Julia Ärzte zum Verlieben Band 204 - Louisa George - E-Book

Julia Ärzte zum Verlieben Band 204 E-Book

Louisa George

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Beschreibung

NEUANFANG IN DER NOTAUFNAHME von LOUISA GEORGE

Rettungssanitäter Lewis hat nie verwunden, dass seine Ehe mit Notärztin Charlotte zerbrach. Als Charlotte jetzt überraschend in seinem Krankenhaus anfängt, ist Lewis bereit: Er will das Feuer zwischen ihnen neu entfachen – und um die Liebe seines Lebens kämpfen!

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VERLIEBT IN DEN GRIECHISCHEN CHIRURGEN von LUANA DAROSA

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Seitenzahl: 574

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Louisa George, Juliette Hyland, Luana DaRosa

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 204

IMPRESSUM

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/82 651-370 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Deutsche Erstausgabe 2025 in der Reihe JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN, Band 204

© 2024 by Louisa George Originaltitel: „Winning Back His Runaway Wife“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MEDICAL ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Susanne Albrecht

© 2024 by Juliette Hyland Originaltitel: „Her Secret Baby Confession“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MEDICAL ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Dorothea Ghasemi

© 2024 by Luana DaRosa Originaltitel: „Pregnancy Surprise with the Greek Surgeon“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MEDICAL ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Melanie Koster

Abbildungen: Detkov D / Adobe Stock, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2025 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751533492

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Jegliche nicht autorisierte Verwendung dieser Publikation zum Training generativer Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) ist ausdrücklich verboten. Die Rechte des Autors und des Verlags bleiben davon unberührt. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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Louisa George

Neuanfang in der Notaufnahme

1. KAPITEL

Vor fünf Jahren hätte Charlotte Rose sich über diesen Moment gefreut.

Genau diesen Moment, in dem sie ein niedliches, fröhliches Baby in seiner Babyschale mit dem Sicherheitsgurt im Auto befestigte. Und das nach neun Stunden Schlaf. Ganze neun Stunden! Dabei war die kleine Stella erst ein halbes Jahr alt. Das süßeste Baby der Welt. Dann setzte Charlotte sich ans Steuer, um durch die Stadt zu ihrem Job zu fahren, den sie über alles liebte. Sie arbeitete in Teilzeit als Notfallmedizinerin am Auckland Central Hospital. Außerdem genoss sie die sommerliche Atmosphäre mit Sonnenschein, den Ausblick auf das glitzernde Meer und heute sogar ausnahmsweise mal nur wenig Verkehr.

Vor fünf Jahren wäre dies für sie das perfekte Leben gewesen. Ein Baby, ein toller Job mit genau den passenden Arbeitszeiten, und wieder in ihrer geliebten Heimatstadt. Jetzt jedoch wünschte sie sich, es wäre alles ganz anders.

Vom Rücksitz her hörte sie einen kleinen Klagelaut der kleinen Stella. Charlottes Herz zog sich zusammen, da sie wusste, dass dies die Vorstufe war zu … Oh ja, da kam es dann auch, laut und herzzerreißend. Kein Weinen, sondern ein heulendes Geschrei.

Mit einem Blick in den Rückspiegel versuchte Charlotte, das Baby zu besänftigen: „Stella, Stella, Süße, bitte nicht weinen. Schsch …“

Die Kleine war gefüttert, frisch gewickelt und hatte auch ein Spielzeug für die kurze Autofahrt. Vielleicht hatte sie es fallen lassen. Nun ja, das musste jetzt warten.

Charlotte schaltete das Radio auf einen Musiksender um, in der Hoffnung, damit das Baby zu beruhigen. Einen Augenblick lang hielt Stella mit offenem Mündchen erstaunt inne. Eine Pause? Ein Aufschub? Ja …?

Doch dann holte sie tief Luft, und das herzzerreißende Gebrüll setzte erneut ein.

Oh nein.

„Stella, Schätzchen. Bitte nicht weinen. Alles ist gut.“ Seufzend überlegte Charlotte, ob sie kurz anhalten sollte, um das heruntergefallene Spielzeug aufzuheben und ein bisschen mit Stella zu kuscheln. Warum nicht? Babys wussten nichts von festen Dienstzeiten, und eine schnelle Schmuserei konnte nicht schaden.

Auf der gegenüberliegenden Seite der Ampel erspähte Charlotte einen freien Parkplatz. Besänftigend sprach sie auf die Kleine ein, während sie an der Kreuzung darauf wartete, dass Ampel auf Grün wechselte. Dann fuhr sie los …

Plötzlich bemerkte sie aus dem Augenwinkel einen dunklen Schatten. Ihr Hals und Oberkörper zuckten bei dem Aufprall, wie bei einer Stoffpuppe, die man schüttelte. Dann wurde ihr Auto quer über die Fahrbahn von der Straße geschoben.

Was zur Hölle …?

Durch die aufsteigende Panik zitterten Charlottes Hände, ihr Körper fühlte sich auf einmal schwach an, und ihr Herz raste. Es gelang ihr, den Kopf zu drehen, um festzustellen, was zum Teufel da gerade passiert war. Die Kühlerhaube eines riesigen Trucks klebte an ihrer Fahrertür. Es ertönte ein ohrenbetäubendes Reifenquietschen, gefolgt von einem stechenden Geruch nach verbranntem Gummi. Das Knirschen von Metall auf Beton. Ein vor ihr aufragender Laternenpfahl.

Und ein sehr stilles Baby.

2. KAPITEL

„Übrigens, Mias Freundinnen waren begeistert von dir. Ich soll dir sagen, wenn du noch mal Lust hast, uns zu besuchen, könnten wir jederzeit ein Doppel-Date organisieren und …“

„Nein danke“, fiel Lewis Parry seinem Kollegen mit einem Lachen ins Wort. Der zweiwöchige Urlaub mit Brin und seiner Familie auf Rāwhiti Island war fantastisch gewesen. Sie waren angeln, schwimmen und tauchen gegangen. Sie hatten ihre selbst gefangenen Fische gegessen und Craftbeer getrunken. „Es war ein großartiger Urlaub, und ich bin erfrischt und ausgeruht wieder zur Arbeit gekommen. Meiner Erfahrung nach würde eine Beziehung diesem Gefühl sehr schnell ein Ende bereiten.“

„Ich meine ja bloß …“ Beschwichtigend hob Brin die Hände. „Früher habe ich genauso gedacht. Aber wenn man die richtige Frau findet, fügt sich alles zusammen.“

Habe ich alles schon hinter mir, und es ist komplett schiefgegangen.

„Ich glaube, du hattest einfach Glück.“ Lewis beendete seine Eintragungen über den letzten Einsatz, bevor er das Tablet ins Handschuhfach zurücklegte. Manchmal wünschte er, er würde in weit offenem Gelände arbeiten, anstatt in einem engen Rettungswagen mit einem Partner, der allzu eifrig darauf bedacht war, ihn zu verkuppeln.

„Du musst dir eben dein eigenes Glück schmieden“, gab Brin grinsend zurück. „Hey, vielleicht triffst du ja jemanden bei der Spendenaktion am Samstagabend. Da werden jede Menge Kolleginnen aus dem Krankenhaus kommen.“ Augenzwinkernd knuffte er Lewis in den Arm.

Na toll. Nur weil Brin seine große Liebe gefunden hat, meint er, das müsste auch für alle anderen gelten.

Das Funkgerät knisterte. „Alarmstufe Rot. Autounfall. Fahrerin mit Baby als Passagier. Kreuzung Ponsonby Road und Picton Street.“

Lewis war dankbar für diese Ablenkung von seinem beklagenswerten Liebesleben.

„Zehn zwei. Wagen vier übernimmt. Ende“, antwortete er der Einsatzzentrale über Funk, ehe er sich an Brin wandte. „Ein Baby? Verdammt! Los, wir müssen uns beeilen.“

Als sie sich der Unfallstelle näherten, wurde klar, dass ein Truck seitlich in einen alten blauen Pkw gekracht war und diesen gegen eine Laterne geschoben hatte. Die hintere Seitentür auf der Fahrerseite war völlig zerstört und die Fahrertür so weit eingedrückt, dass sie sich nicht öffnen ließ. Die Türen auf der Beifahrerseite waren zwar verbeult, konnten aber noch geöffnet werden.

Lewis, der aus dem Rettungswagen sprang, überprüfte mit einem Blick die Sicherheitsverhältnisse. Kein ausgelaufenes Benzin oder Öl.

Der Truckfahrer hockte am Straßenrand, den Kopf in den Händen vergraben.

„Sind Sie in Ordnung?“, rief Lews ihm zu. „Brauchen Sie Hilfe?“

Mit blassem Gesicht schüttelte der Mann den Kopf. „Helfen Sie den andern. Mir geht es gut. Meine Bremsen … Ich habe die ganze Zeit gebremst, aber …“

„Danke, wir kommen später zu Ihnen, um Sie zu untersuchen.“ Der Truckfahrer konnte warten. Lewis wandte sich an Brin. „Ich kümmere mich um die Fahrerin, du um das Baby.“

„Mach ich.“ Brin eilte zur gegenüberliegenden Seite des demolierten Wagens.

Das Seitenfenster auf der Fahrerseite war zersplittert, und Lewis konnte die Frau auf dem Fahrersitz nur teilweise erkennen, während er an der zerbeulten Tür zerrte. Den Kopf abgewendet, schaute sie nach hinten zum Rücksitz. Ihre Schultern zitterten, und sie sagte irgendetwas für ihn Unverständliches. Das schöne rotbraune Haar hatte sie zu einem tief angesetzten Pferdeschwanz gebunden.

Rot …

Charlie?

Eine lang vergessene Sehnsucht traf ihn tief in die Magengrube und vermischte sich mit Erinnerungen, die er seit fünf Jahren zu verdrängen versuchte. Erinnerungen, die ihm durch den Kopf schossen: rotes Haar mit einem Blumenkranz und einem zarten Schleier. Auf dem Kopfkissen ausgebreitetes rotes Haar, während sie sich liebten. Ein straffer Pferdeschwanz und bebende Schultern, als sie mit dem Koffer in der Hand wegging. Das letzte Bild von ihr, wie sie ihn verlassen hatte.

Nein, das konnte nicht sein. Energisch rief Lewis sich zur Vernunft. Charlie lebte ihn London. Es war seltsam. Obwohl sie auf der anderen Seite der Welt war, glaubte er manchmal, sie am Strand zu sehen, auf einer belebten Straße oder in einem Einkaufszentrum.

Aber sie war es nie.

Konzentrier dich, Mann!

Ihre Schreie wurden deutlicher. „Das Baby! Geht es dem Baby gut? Bitte! Bitte holen Sie das Baby raus!“

Das war ganz sicher nicht Charlie. In ihrem Leben gab es keine Babys. Das war unmöglich. Doch als sie sich umdrehte, um ihn anzusehen, die blauen Augen rotgerändert und mit flehentlichem Blick, die Wangen von zerlaufener Mascara verschmiert, wurde ihm plötzlich flau zumute, und die ganze Welt schien stillzustehen. Sie war es, mit ihren wunderschönen Augen und dem perfekt geschwungenen Mund.

Seine Frau.

Ex-Frau.

„Charlie?“

„Lewis?“ Ihre Schultern sackten zusammen, und sie verzog unglücklich das Gesicht. „Oh, Lewis. Gott sei Dank bist du das. Du musst mir helfen. Bitte hol das Baby raus. Sie ist viel zu still.“

Verdammt. War das ihr Baby? Rasch schob er den schmerzlichen Stich beiseite. „Es ist alles gut, Charlie. Mein Kollege macht grade die Tür auf, und er wird dein Baby untersuchen. Wie heißt sie denn?“

„St.… Stella“, brachte Charlie gepresst hervor und rang nach Luft. „Geht es ihr gut? Bitte sorgt dafür, dass es ihr gut geht.“

„Schon gut, alles in Ordnung, Ich kann sie jammern hören.“ Lewis senkte die Stimme und ging in die Hocke, um mir ihr zu sprechen. Charlie war jetzt seine Patientin. Ihre gemeinsame Vergangenheit hatte hiermit nichts zu tun. Obwohl seine Hände zitterten, musste er seine Aufgabe als Sanitäter erfüllen. Verdammt. Schon immer hatte sie diese Wirkung auf ihn gehabt und ihm den Atem geraubt. „Sie sieht aus, als wäre sie überhaupt nicht verletzt. Der Sicherheitsgurt hat sie gerettet. Mein Kollege Brin kümmert sich um Stella. Ich bin für dich da. Sag mir, wo du Schmerzen hast.“

Der Fahrerairbag hatte sich nicht ausgelöst. Und weil es sich um ein altes Auto handelte, besaß es vermutlich noch nicht einmal Seitenairbags.

„Ich weiß nicht.“ Als sie auf ihre bebenden Hände hinunterschaute, folgte Lewis ihrem Blick. Kein Ring an der Stelle, wo früher ihre Platinringe gewesen waren. „Ich glaube, ich bin okay. Mein Brustkorb tut ein bisschen weh. Und meine Schulter. Aber es ist nicht schlimm. Wahrscheinlich vom Gurt.“

„Bestimmt. Soll ich es mir mal angucken?“

Charlie rutschte etwas zur Seite, um Platz für ihn zu schaffen. „Ich denke, es ist bloß eine Prellung. Ja, schau es dir an.“

Sie fing seinen Blick auf, und einen Moment lang wurde Lewis von einem beinahe übermächtigen Bedürfnis erfasst, auf sie aufzupassen. Sogar nach so vielen Jahren der Trennung. Obwohl sie ihn damals verlassen hatte.

Schnell wandte er den Blick ab. Auch wenn er Charlie nur ansah, zog sich sein Herz schmerzhaft zusammen. Er konnte es nicht ertragen, sie verletzt zu sehen. Behutsam schob er den weichen Stoff ihrer Bluse beiseite. Dabei nahm er den vertrauten Zitrus- und Rosenduft ihres Parfums wahr, was ihn sofort in die Vergangenheit zurückversetzte.

„Autsch, ja, die Stelle ist rot und aufgeschürft. Das wird einen großen blauen Fleck geben. Tun dir die Rippen weh?“ Rasch zog er seine Hände wieder zurück, um die Erinnerungen zu verbannen, die unvermittelt auf ihn einstürmten.

Charlie schaute zu ihm auf und versuchte zu lächeln. „Nur wenn ich mich bewege.“

„Dann halte still. Was ist mit deinen Beinen und Füßen?“ In der Nähe ihrer Knie konnte Lewis verbogenes Metall erkennen. Um ihre Füße herum schien jedoch alles frei zu sein. Es war ein Wunder, dass sie keine schweren Verletzungen davongetragen hatte.

„Die tun nicht weh. Ich bin bloß durch die Tür eingequetscht. Lewis, ich muss zur Arbeit. Aber ich kann Stella nicht allein lassen. Nach dem, was gerade passiert ist, kann ich sie jetzt nicht einfach in die Kinderkrippe bringen.“

Zur Arbeit? Wohnte sie wieder hier?

„Oh, nein. Auf gar keinen Fall.“ Er schaute in den Wagen, um einen besseren Blick auf Charlie zu bekommen und damit ihre Verletzungen besser zu beurteilen. „Wir müssen dich aus diesem Wrack rausholen und dich im Krankenhaus untersuchen lassen. Du stehst unter Schock. Es könnte sein, dass du verletzt bist und es nicht merkst. Zum Beispiel durch ein Schleudertrauma.“

„Hey.“ Brin kam mit dem Baby auf dem Arm zur Fahrerseite herüber. „Hier braucht jemand seine Mama.“

Mit einem Ausdruck voller Liebe und Panik zugleich fragte Charlie: „Ist sie …?“

Brin lächelte ihr beruhigend zu. „Sie scheint vollkommen in Ordnung zu sein. Ein bisschen verwirrt über die ganze Dramatik, aber ansonsten geht es ihr wunderbar. Ich werde sie gleich noch einmal gründlich untersuchen. Aber ich dachte, Sie möchten sie zuerst sehen.“

„Gott sei Dank.“ Zutiefst erleichtert streckte sie die Hand durch die zerbrochene Fensterscheibe und streichelte Stella über den Kopf. „Es tut mir leid, Schätzchen. Ich hab dich lieb. Es ist alles gut.“

Die Kleine gluckste erfreut und streckte die Ärmchen nach ihrer Mutter aus. Doch Charlie lächelte unter Tränen und schüttelte den Kopf. Lewis kannte die tapfere Miene, die sie aufsetzte, noch aus den letzten anderthalb Jahren ihrer Ehe.

Liebevoll sagte sie: „Hey, hey, Süße. Ich stecke hier grade ein bisschen fest. Sobald ich draußen bin, nehme ich dich wieder auf den Arm.“

Ein hohles Gefühl von Leere erfasste Lewis.

Charlie und ein Baby – das war alles, was sie sich jemals zusammen gewünscht hatten.

Aber wie konnte das sein? Doch das spielte eigentlich keine Rolle. Nun hatte sie das Baby, nach dem sie sich so sehr gesehnt hatte. Nur eben mit einem anderen Mann.

Erneut zerrte er an der Fahrertür und stieß erleichtert den Atem aus, als er den Klang einer Sirene hörte. „Hilfe ist unterwegs. Gleich holen wir dich hier raus.“

„Das Auto hat einen Totalschaden“, meinte sie niedergeschlagen.

„Zum Glück war es bloß das Auto.“

Sie ließ die Stirn aufs Lenkrad sinken. „Oh Mann, Lucy wird mich killen.“

„Das ist Lucys Auto?“

„Ja, ich hatte noch keine Zeit, mir eins zu kaufen.“ Mühsam richtete Charlie sich wieder auf und rieb sich über die Schulter. „Und ich weiß noch nicht mal, was da genau passiert ist. Wie soll ich ihr das erklären?“

Sie war also noch nicht lange wieder hier. Aber warum ist sie überhaupt zurückgekommen, fragte sich Lewis. Und was bedeutete das schon? Ihre gemeinsame Vergangenheit war längst Geschichte. Damals war sie so unglücklich gewesen, dass sie ohne ihn auf die andere Seite der Welt flüchtete. Im Augenblick zählte nur, dass sie und ihr Baby außer Gefahr und unverletzt waren.

„Der Truckfahrer meinte, dass seine Bremsen versagt haben“, antwortete Lewis.

Charlie schloss flüchtig die Augen, als würde sie sich vorstellen, wie schlimm die Sache hätte ausgehen können.

„Willst du Lucy anrufen? Oder deine Eltern? Oder irgendjemand anders?“

Sie hatte ihr Leben ja offensichtlich weitergelebt. Ob Stellas Vater wohl noch eine Rolle darin spielte?

„Nein!“ Ein Ausdruck von Panik blitzte in ihren Augen auf, ehe sie sich wieder entspannte. „Nein, schon gut. Ich rufe sie an, wenn ich im Krankenhaus fertig bin.“

„Na gut.“ Lewis überlegte, ob er sie noch nach ihrem Lebenspartner fragen sollte, unterließ es jedoch. Das ging ihn schließlich nichts an.

Aber Charlie schaute ihn an. „Ich muss dir was erklären, Lewis …“

„Wie schon gesagt, der Truckfahrer übernimmt die Verantwortung.“ Obwohl er das Gefühl hatte, dass sie nicht den Unfall meinte, wollte er nicht weiter auf die Sache eingehen. Charlie besaß jetzt eine eigene Familie und hatte die Vergangenheit hinter sich gelassen. So wie er … irgendwie. „Wirklich. Wir müssen dich nur in Sicherheit bringen. Die Kollegen von der Feuerwehr sind gleich da. Sie werden die Tür aufhebeln, und dann bringen wir dich und dein Baby ins Auckland Central.“

Sie stützte den Kopf in die Hände. „Oh je, als Patientin an meinem eigenen Arbeitsplatz. So ein Mist.“

„Du arbeitest dort?“

„Ja, ich bin vor ein paar Wochen zurückgekommen. Das ist eine lange …“

„Hey, Lewis. Die Kleine wird allmählich ungeduldig.“ Brin übergab ihm das Baby, das herumzappelte und jammerte. Noch weinte die Kleine nicht, aber es war eindeutig das Vorspiel zu lautem Geschrei. „Kannst du sie vielleicht besänftigen? Vielleicht mag sie dein Gesicht lieber als meins.“

„Na, aber sicher“, gab Lewis scherzhaft zurück, auch wenn ihm eigentlich nicht zum Lachen zumute war. Stella besaß ein gutes Gewicht, vermutlich sechs oder sieben Monate alt. Dasselbe rote Haar wie ihre Mutter. Ein kerngesundes und sehr niedliches Baby.

Er musste sich räuspern, weil ihm plötzlich der Hals eng wurde. „Ähm … Hey du. Schau mal, wer da ist. Sie möchte dich ja gerne knuddeln, aber sie steckt in dem Auto fest. Darum musst du dich jetzt erst mal mit mir begnügen.“

Stella blickte zu ihm auf und tippte ihm mit ihrer kleinen Faust auf die Nase. Ihre riesengroßen blauen Augen standen voller Tränen. Lewis’ Herz zog sich zusammen. Nein. Er wollte nichts fühlen. Nicht den Schmerz darüber, dass Charlie ihn verlassen hatte. Auch nicht die Anziehung, die er ihr gegenüber empfand und für ihn so natürlich war wie das Atmen. Genauso wenig wie das Gefühl von Sanftheit und Fürsorge. Keins dieser Dinge wollte er jemals wieder spüren.

Dies war nicht Charlies und sein Baby. Trotzdem tat ihm das Herz weh, und sein Hals war rau, als er die Kleine auf dem Arm hielt. Voller Panik wollte er sie an Brin zurückgeben, der jedoch hinübergegangen war, um den Truckfahrer zu untersuchen.

Nun stand Lewis also da, mit dem heiß ersehnten Baby seiner Ex-Frau auf dem Arm. Seine Füße waren ihm schwer wie Blei, und ihm war zumute, als hätte er einen eisernen Ring ums Herz. Der merkwürdige und völlig unerwartete Beginn einer neuen Woche.

„Entschuldige, Kumpel.“ Ein Feuerwehrmann in voller gelber Montur stand mit einer Hydraulikzange hinter ihm. „Mach mal ein bisschen Platz, ja?“

„Klar.“ Entschlossen schluckte Lewis all die Emotionen herunter, die ihn zu überfluten drohten. Dann ließ er das Baby auf und ab hüpfen und schnitt Grimassen, in dem Versuch, die Kleine zum Lachen zu bringen. Vielleicht hatte sie Angst, weil sie gesehen hatte, dass ihre Mutter in dem Wagen festsaß. Manchmal wurden Kinder durch solche Dinge traumatisiert. Aber vielleicht war sie auch noch zu klein, um das zu begreifen.

Aus eigener Erfahrung wusste er nur zu gut, dass das, was Erwachsene sagten und taten oder auch nicht, sehr lange nachwirkte. Deshalb wandte er sich von dem Wagen ab und zeigte Stella eine Möwe, die auf dem beschädigten Laternenpfahl saß. Die Blumen auf der Grasböschung und ein Flugzeug hoch am Himmel.

„Du bist ein Naturtalent.“

Er fuhr herum und erblickte Charlie, die direkt vor ihm stand. Ihr Gesicht war tränenverschmiert, ihre Miene todtraurig und ihre Wangen gerötet. „Mit dem Baby, meine ich.“

Lewis wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Er wollte keine alten Geschichten aufwärmen. Über die Vergangenheit zu reden, änderte rein gar nichts. Es wäre also besser, auf der Hut zu sein und den Mund zu halten.

Doch genau das war die Wurzel all ihrer Probleme gewesen. Die letzten fünf Jahre hatte er damit verbracht, die Trennung zu analysieren. Vielleicht hätte er sich damals doch mehr äußern müssen, anstatt alles in sich hineinzufressen und sich ausschließlich um Charlie zu kümmern, auf Kosten seiner eigenen Gefühle. Er hätte seine stoische Haltung aufgeben und einfach absolut ehrlich sein sollen.

Aber damals hatte er geglaubt, das Richtige zu tun. Er hatte das getan, was er selbst gelernt hatte: nämlich die eigene Wahrheit zurückzuhalten, weil niemand etwas von seinen Problemen hören wollte. Niemand wollte jemals etwas über seine Gefühle wissen.

Charlie streckte die Arme nach ihrem Kind aus, das Lewis ihr nur allzu gerne übergab. Eindringlich ließ sie ihre Blicke erst über das Gesicht und dann über den ganzen Körper ihres Töchterchens gleiten, als suchte sie nach Anzeichen für mögliche Verletzungen.

„Da bist du ja, mein Schatz. Dir geht es gut, es ist alles wunderbar.“ Zärtlich bedeckte sie das Gesichtchen des kleinen Mädchens mit zahllosen Küssen. Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass alles in Ordnung war, sagte sie zu Lewis: „Brin meint, wir müssen ins Krankenhaus. Ich denke auch, dass ich Stella gründlich untersuchen lassen sollte. Mir geht’s gut, aber bei ihr will ich auf jeden Fall sichergehen.“

„Natürlich. Und lass auch deine Schulter und deinen Nacken untersuchen“, erwiderte er.

„Fährst du hinten im Krankenwagen mit?“, fragte Charlie.

„Nein, ich bin heute der Fahrer.“

„Oh.“

Ihren Tonfall konnte er nicht recht deuten. War sie erleichtert oder enttäuscht? Und warum wünschte er sich, dass es Enttäuschung wäre? Sein armes, klägliches Herz.

Sie hat dich verlassen, Mann. Komm damit klar.

Brin, der offenbar nicht das Geringste der unterschwelligen Emotionen zwischen ihnen mitbekam, öffnete die Hecktür des Rettungswagens und lachte. „Er findet, ich bin zu sehr Perez, um ein echter Sanitäter zu sein.“

Charlie, die hinten einstieg, zog verständnislos die Brauen zusammen. „Perez?“

„Ein Formel-1-Rennfahrer.“ Lewis lächelte. „Vertrau mir, so ist es sicherer.“

Vertrau mir.

Wieder versetzte es ihm einen Stich ins Herz. Er hatte sein Bestes gegeben, um für sie da zu sein und sie zu unterstützen. Er hatte es versucht, und zwar verdammt hart. Aber es hatte nicht gereicht.

Und jetzt war es sowieso zu spät.

Entschlossen wandte er sich ab und ging nach vorne, um Charlie zum Krankenhaus zu fahren. Ihr Arbeitsplatz, wo er regelmäßig hinkam. Dort würde er sie täglich sehen, wenn er Patienten brachte. Im Aufenthaltsraum, im Café oder auf dem Flur.

Bis heute war ihm nicht bewusst gewesen, wie viel leichter sein Leben gewesen war, weil sie auf der anderen Seite der Welt lebte und er ihr hier in Auckland nie über den Weg laufen würde. Ebenso wenig hatte er gewusst, welche Wirkung sie selbst nach einer fünfjährigen Trennung noch auf ihn ausüben würde.

Und nun war Charlotte Rose wieder zurück …

3. KAPITEL

Lucy von dem Unfall zu erzählen, war eines der schlimmsten Dinge, die Charlie jemals hatte tun müssen. Obwohl Stella und sie es beide gut überstanden hatten – abgesehen von ihren Prellungen am Brustkorb und an der Schulter. Sie hatte ihrer Schwester die Nachricht so schonend wie möglich beigebracht und ihr versichert, dass es ihnen gut ging.

Jetzt schob Lucy die Decke von ihren Knien, setzte sich auf dem Sofa auf, wo sie gelegen hatte, und nahm Stella in die Arme. „Armes Baby. Ein Autounfall? Was für ein Abenteuer!“

„Abenteuer? Ich wünschte, ich hätte deine Einstellung. Eigentlich bin ich ja hier, um dir zu helfen, und nicht, um dir noch mehr Stress zu verursachen.“

Als Charlie ihre Schwester ansah, bemerkte sie jedoch den Kummer, den sie zu verbergen versuchte. Die Sorgenfalten, durch die sie älter aussah als achtunddreißig. Die dunklen Schatten unter ihren Augen, die Haut, die schlaff wirkte, weil sie kürzlich so viel abgenommen hatte. Das lag an ihrer Krankheit und an der Chemotherapie, die sie zugleich vergiftete und heilte.

Lucy seufzte. „Du bist mir eine riesengroße Hilfe. Ohne dich würde ich das nicht schaffen, das weißt du. Ich bin dir so dankbar, dass du zurückgekommen bist. Du hast dein ganzes Leben in London für Stella und mich aufgegeben. Komm, setz dich. Du siehst schrecklich aus, so blass und geschockt. Ich mache dir einen Tee.“

„Nein, mir geht’s gut. Wirklich. Ich habe bloß ein paar Prellungen und blaue Flecken. Aber ich will nicht, dass Stella irgendwas zustößt. Setz dich wieder hin.“ Sie warf ihrer Schwester einen gespielt finsteren Blick zu. „Du bleibst hier, und ich stelle den Wasserkocher an. Vielleicht können wir ein bisschen draußen die Sonne genießen.“

„Oh ja, gerne. Und bring die Ingwerplätzchen mit. Ich bin am Verhungern.“

„Super! Dann ist dir nicht mehr schlecht?“

„Ich versuche, die Übelkeit zu ignorieren.“ Lucy lächelte matt. „Ich muss doch für meine Kleine stark sein.“

„Darum bin ich ja da.“ Charlie setzte sich zu ihr.

In Lucys Augen glänzten Tränen. Ein seltener Moment, in dem sie ihre Schwäche zeigte. Normalerweise tat sie immer so, als wäre alles in bester Ordnung. „Ich hab dich lieb. Danke.“

„Ich hab dich auch lieb.“ Charlie legte den Arm um ihre Schwester und drückte sie an sich. Es war gut, dass sie wieder nach Hause gekommen war.

Sie war zu lange weg gewesen, um sich ihre eigenen Wunden zu lecken, nachdem sie die Diagnose ihrer Unfruchtbarkeit erhalten hatte und deshalb ihre Ehe gescheitert war. In London war Charlie kaum auf die Bemühungen ihrer Familie eingegangen, mit ihr in Kontakt zu bleiben. Doch als sie den Anruf der zutiefst verängstigten Lucy bekam, war dies der notwendige Impuls gewesen, der sie wachgerüttelt hatte. Lucy hatte ihren Eltern nicht die einmalige Chance ihres Auslandsaufenthalts bei einer Hilfsorganisation verderben wollen. Denn den hätten sie sicher sofort abgebrochen, um ihr zu Hilfe zu eilen. Daher hatte sie zuerst ihre Schwester angerufen. Und Charlie hatte sich auf Anhieb dazu bereiterklärt, Lucy bei ihrer Krebsbehandlung zu begleiten.

Sie wollte auch Lucys Ex-Freund nicht dafür kritisieren, dass er nicht bereit gewesen war, sich der Aufgabe zu stellen und sich um sein Kind zu kümmern. Das ging sie nichts an, und außerdem verpasste er damit etwas Wunderbares. Die Art, wie Lucy mit ihrer augenblicklichen Situation umging, war beeindruckend.

„Ich verstehe nicht, wie du so gut gelaunt sein kannst, obwohl du nach der Chemo eigentlich total gerädert sein musst.“

Ein Zyklus war vorbei, sechs sollten noch folgen … hoffentlich … und noch ein langer Weg bis zur Heilung.

„Ich fühle mich beschissen, ja. Aber ich habe beschlossen, positiv zu bleiben. Immerhin habe ich meine Haare noch und auch meinen Humor.“ Lucy machte ein witziges Gesicht, auch wenn sie beide wussten, dass ihr die Haare bald ausfallen würden. Hoffentlich konnte sie ihre positive Haltung während der gesamten strapaziösen Behandlung beibehalten. Seufzend drückte Lucy ihr Töchterchen an sich. „Es hätte alles viel schlimmer ausgehen können.“

„Das habe ich auch zu Lewis gesagt.“

„Oh je, du hast Lewis gesehen?“ Lucys Augen wurden groß. „Davon hast du gar nichts erzählt.“

„Ich dachte, es wäre wichtiger, dir von dem Unfall anstatt von dem Rettungssanitäter vor Ort zu berichten.“

„Aber stell dir das mal vor. Du hast einen Unfall, und der Sanitäter, der kommt, ist dein Ex-Mann. Gott sei Dank seid ihr freundschaftlich auseinandergegangen.“

„Ja, das ist schon verrückt.“ Charlie hatte ihrer Familie nicht allzu viel über die Gründe verraten, weshalb ihre Ehe gescheitert war. Auch wenn sie wussten, dass es mit ihrer Unfruchtbarkeit zusammenhing.

Allerdings hatte Charlie nicht gewusst, dass Lucy dachte, sie und Lewis hätten sich freundschaftlich getrennt. Tatsächlich hatten sie kaum noch miteinander geredet. Über Monate hinweg war die Kommunikation zwischen ihnen immer weniger geworden, bis sie sich eher wie distanzierte Mitbewohner verhielten anstatt wie ein Ehepaar. Aber es hatte keine wütenden Streitereien oder Verbitterung gegeben, sondern nur eine tiefe Trauer, weil sie es als Paar nicht geschafft hatten. Charlie hatte lange gebraucht, um diese Trauer zu überwinden.

„Wie ist es gelaufen? Wie war er?“, fragte Lucy.

Immer noch wahnsinnig attraktiv.

Trotz der Panik, Angst und auch einiger Schmerzen war Charlie seinen wunderschönen braunen Augen und dem strahlenden Lächeln gegenüber nicht immun gewesen. Sein Lächeln hatte ihr schon immer den Atem geraubt. Als Lewis behutsam ihre Schulter untersuchte, mit einem so gefühlvollen Ausdruck in seinen Augen, hatte sich ihr Herz zusammengezogen. Sie erinnerte sich daran, mit wie viel Liebe und Zuneigung er sie immer angesehen hatte, und dann … nur noch voller Enttäuschung. Auch wenn er es nie zugegeben hatte.

„Ich war einfach froh, dass er da war. Er ist sehr gut in seinem Job und hat dafür gesorgt, dass ich mich gleich viel besser gefühlt habe. Sehr professionell. Er hat Stella untersucht und sie von allem abgelenkt, was ihr hätte Angst machen können“, antwortete Charlie.

„Habt ihr geredet? Du weißt schon, über das, was damals passiert ist?“

„Wir haben über gar nichts geredet. Ich war seine Patientin, wurde zum Krankenhaus gebracht, und dann ist er zu seinem nächsten Einsatz gefahren.“

Stirnrunzelnd meinte Lucy: „Nicht mal ein kurzes Gespräch?“

„Worüber denn? Und wie hätten wir das tun sollen?“, entgegnete Charlie. „Er war beschäftigt und hat gearbeitet. Niemand hätte erraten, dass wir uns kennen, geschweige denn mal verheiratet waren.“

„Er hält seine Gefühle also immer noch unter Verschluss“, stellte Lucy fest.

„Ja. Stark und schweigsam, was einen zum Wahnsinn treibt. Und ich fühle mich ein bisschen … zerschlagen.“ Nicht nur körperlich, sondern auch emotional.

Lewis hatte ihr niemals seine wahren Gefühle in Bezug auf ihre Trennung oder die Unfruchtbarkeit gezeigt. An seiner Miene hatte man zwar seine Emotionen ablesen können, aber er hatte sich standhaft geweigert, über seine Gefühle zu sprechen. Ja, er hatte ihr gesagt, dass er sie liebte und wie viel sie ihm bedeutete, dass sie großartig war … Aber ihn dazu zu bringen, über schwierige Themen zu reden, die ihn im tiefsten Inneren berührten? Nein, niemals. Er hatte geglaubt, es wäre Gleichmut, belastende Dinge für sich zu behalten. Aber letztendlich war es nichts weiter als Sturheit.

Ob er wohl wieder verheiratet war? Hatte er eine eigene Familie? Hatte es mit einer anderen Frau funktioniert?

Diese Vorstellung tat so weh, dass Charlie lieber nicht weiter darüber nachdenken wollte.

Sie betrachtete ihre kleine Nichte, die in den Armen ihrer Mutter schlief, und es versetzte ihr einen Stich. „Er hat Stella auf dem Arm gehabt, Lucy. Und das sah so richtig aus. Dadurch ist es mir noch einmal ganz deutlich geworden. Es war richtig, ihn zu verlassen, damit er in seiner Zukunft so etwas erleben konnte. Ich habe uns beiden damit einen Gefallen getan, obwohl er das nie eingestehen würde.“

Lucy legte ihr die Hand auf den Arm. „Ach, Süße. Ich kann mir vorstellen, wie es sich für dich angefühlt haben muss, ihn mit einem Baby auf dem Arm zu sehen.“

„Ich glaube … Ich weiß nicht, ob ich es ihm gesagt habe. Es ist alles etwas durcheinander. Aber ich glaube, er hält Stella für mein Kind.“

„Oh nein“, meinte Lucy. „Das ist ja blöd.“

„Ja, sehr. Irgendwie war es mir zu viel, ihm alles auf einmal zu erklären. Warum ich wieder hier bin, zu wem Stella gehört und warum sie in meinem … deinem Auto war. Das jetzt einen Totalschaden hat.“ Charlie verzog das Gesicht bei dem Gedanken an all den Versicherungskram, den sie nun erledigen musste. „Siehst du? Es ist wirklich zu viel. Außerdem wollte ich ihm nichts von deiner Krankheit sagen, ohne es vorher mit dir abgesprochen zu haben. Ich weiß, dass es dir noch schwerfällt, dich damit abzufinden, und noch nicht viele Leute wissen davon.“

„Du kannst es sagen, wem du willst. Es ist kein Geheimnis. Außer für Mum und Dad, das weißt du ja. Ich bin noch nicht bereit dafür, wie sie reagieren werden. Wegen ihrer Panik muss ich mich kräftiger fühlen als jetzt.“

Wenn sie wüssten, wie krank Lucy war, würden ihre Eltern sofort alles stehen und liegen lassen. Selbst ihre Traumreise. „Na gut, wenn das Thema zur Sprache kommt, werde ich Lewis sagen, warum ich zurückgekommen bin.“ Damit Charlie sich um Lucy und Stella kümmern konnte. Nicht, um sich nach dem Mann zu verzehren, den sie verlassen hatte. Oder nach all dem, was sie zusammen gehabt hatten, bevor der Sex nach Plan stattfand, vor den erfolglosen Schwangerschaftstests und all den medizinischen Untersuchungen.

Okay, Schluss damit.

Sie stand auf und ging zur Küche. „Gut, dann mache ich uns jetzt mal einen Tee.“

„Danke dir.“ Lucy schnitt ein Gesicht. „Es fühlt sich komisch an, wenn du dich um mich kümmerst.“

An der Küchentür blieb Charlie stehen. „Wieso?“

„Weil ich die ältere Schwester bin. Eigentlich sollte ich mich um dich kümmern.“

„Das hast du immer getan.“ Sogar zu viel, wenn sie ganz ehrlich war. Zwischen ihr und Lucy bestand ein Altersunterschied von acht Jahren, sodass Charlie von Anfang an eine große Schwester gehabt hatte, die auf sie aufpasste. Eine sehr hingebungsvolle große Schwester.

Da ihre Eltern bei ihrer Geburt bereits älter gewesen waren, hatte Charlie immer das Gefühl gehabt, sie sei eine Art Notfall-baby gewesen, um mögliche Probleme zwischen ihrer Mutter und ihrem Vater zu kitten.

Ein Kind, das alle wieder glücklich machen sollte. Eine neue Perspektive. Und da Lucy nie den Wunsch gehabt hatte, die Familientradition als Ärztin fortzusetzen, hatte ein großer Druck auf Charlie gelastet, um die hohen Erwartungen ihrer Eltern zu erfüllen. Verbunden damit, dass diese sehr darauf achteten, Charlies Bedürfnisse in jeder Hinsicht zu erfüllen.

Bis zum Ende ihres Medizinstudiums und weil sie nach der Heirat mit Lewis zusammengezogen war, hatte sie keinen einzigen Tag alleine gelebt oder selbst irgendwelche Kämpfe für sich ausgefochten. Sie war nie sie selbst gewesen. Immer nur Lucys kleine Schwester, die Tochter des berühmten Dr. Rose oder die Frau von Lewis. Alle hatten sich gut um sie gekümmert, aber ihr auch die Luft zum Atmen genommen. Erst als Charlie alleine nach London gegangen war, hatte sie gemerkt, wie sehr sie sich immer darauf verlassen hatte. Aber das war mittlerweile vorbei.

„Lehn dich zurück und ruh dich aus. Jetzt bin ich an der Reihe, mich um dich zu kümmern“, erklärte sie.

Mit Lewis würde sie sich später befassen. Ihn so lange aus ihrem Kopf zu verbannen, stellte sich allerdings als schwieriger heraus, als sie gedacht hätte.

„Männlicher Patient, zweiundachtzig. Henry Gerald Woods. Er ist gestern Abend auf seinem nassen Küchenboden ausgerutscht und musste bis heute Morgen auf seinen Betreuer warten. Er klagt über starke Schmerzen an seiner rechten Hüfte. Blutdruck anfangs bei achtzig zu vierzig, jetzt bei vierundneunzig zu siebenundsechzig. Leichte Unterkühlung von knapp fünfunddreißig Grad. Flüssigkeitszufuhr mit Kochsalzlösung. Wert auf der Schmerzskala ursprünglich acht von zehn, ist nach einer Morphingabe jetzt aber auf fünf heruntergegangen. Seine Medikamente habe wir mitgebracht. Er nimmt täglich Entwässerungstabletten und Betablocker.“ Lewis gab der Triage-Schwester in der Notaufnahme die Tabletten.

„Danke, dann übernehmen wir ihn jetzt.“ Sie lächelte Henry zu, als er von der Trage auf die Krankenhausliege gehoben wurde. „Hallo, Henry. So schnell sind Sie also wieder bei uns? Was haben Sie denn diesmal angestellt?“

„Bis dann.“ Lewis nickte Henry zu. Er war einer ihrer häufigsten Kandidaten, der darauf bestand, weiterhin eigenständig zu leben, sich gleichzeitig jedoch weigerte, einen Notrufknopf bei sich zu tragen, der ihm bei Bedarf schnelle Hilfe bringen würde. „Machen Sie den netten Schwestern hier nicht das Leben schwer, okay?“

„Sie sind ja bloß neidisch auf mein Charisma“, gab Henry scherzhaft zurück, gedämpft wegen seiner Sauerstoffmaske.

„Ehrlich gesagt, unser Lewis hier besitzt jede Menge Charisma. Er hält es nur gut versteckt.“ Lachend hielt Brin den Vorhang der Kabine auf, damit Lewis wieder in den hektischen Hauptbereich der Notaufnahme treten konnte.

Unwillkürlich begann Lewis’ Herz wie verrückt zu pochen. Ob Charlie hier war? Suchend blickte er sich in dem großen Raum um. Sie war weder an den Arbeitsplätzen am Tresen in der Mitte noch im Korridor zu sehen. Ihre Stimme war nicht zu hören, und er sah auch nirgendwo ihren verräterischen Rotschopf.

Verflixt, noch nie hatte er hier im Krankenhaus nach ihr Ausschau gehalten. Weil Charlie während ihrer Ehe die klinische Fachausbildung absolvierte, hatten sie nie zusammen in derselben Abteilung gearbeitet. Bis heute.

Vorhin hatte er gehört, wie einer der Pfleger gesagt hatte, dass die neue Notärztin gestern beinahe unverletzt einen Unfall überstanden hatte und heute wieder zur Arbeit erschienen war. Inzwischen war Lewis in seiner Frühschicht bereits dreimal hier gewesen, ohne sie zu Gesicht zu bekommen. Da er gleich Feierabend machen würde, konnte er wieder freier atmen. Die Chance, ihr jetzt noch zu begegnen, war sehr gering.

„Lewis?“ Brins Tonfall wirkte ungeduldig. „Ich habe dich gefragt, ob du den Wagen aufräumst und ich uns einen Kaffee holen soll?“

„Klar.“ Je eher er von hier wegkam, desto besser.

Brin zog die Brauen zusammen. „Du scheinst heute ziemlich abgelenkt zu sein. Ist bei dir alles okay?“

„War nie besser.“ Entschlossen, sich auf seinen Job zu konzentrieren, nickte Lewis. Noch hatte er es nicht für nötig gehalten, ihm von seiner Beziehung zu der neuen Notärztin zu erzählen. Das würde noch früh genug der Fall sein. „Ja, unbedingt. Einen doppelten Espresso mit Milch und einen von diesen Riesen-Chocolate-Chip-Cookies. Wir sehen uns dann am Wagen.“

Draußen an der Rettungsrampe atmete er tief die frische, salzhaltige Meeresluft ein und wollte gerade ins Heck des Rettungswagens einsteigen, um dort aufzuräumen, da erhaschte er einen Blick auf rotes Haar. Jemand eilte mit gesenktem Kopf auf den Eingang des Krankenhauses zu und kam genau an ihm vorbei.

Als sie den Kopf hob, trafen sich ihre Augen.

„Oh … Hi, Lewis.“ Ein zögerndes Lächeln umspielte ihren Mund.

Unwillkürlich musste er daran denken, wie ihre Lippen schmeckten. Nein, lass das.

Nun, da es keinen dringenden Rettungseinsatz gab, so wie gestern, war er imstande, Charlie genauer zu betrachten. Mit ihren großen blauen Augen, dem hellen keltischen Teint und dem rosigen Mund, der zum Küssen einlud, war sie noch immer unsagbar schön. Aber sie war dünner, ihre Wangenknochen betonter, und wenn sie lächelte, erschienen feine Linien um ihre Augenwinkel. In den letzten Jahren ihrer Ehe hatte sie nicht mehr oft gelächelt, doch ihm waren diese Linien aufgefallen, als sie gestern ihr Baby an sich gedrückt hatte.

Lewis musste schlucken. „Hey, Charlotte.“

„Charlotte? Nicht Charlie?“ Es entstand eine Pause. Offenbar fand sie die Situation genauso schwierig wie er. „Na gut. Ich schätze, an dem Punkt sind wir wohl angelangt.“

Er räusperte sich. „Ich wollte bloß höflich sein.“

In Wahrheit war Charlie die Frau, die er über alles geliebt hatte. Sie Charlotte zu nennen, verschaffte ihm ein wenig Abstand.

„Ich weiß. Es ist nur … Du hast mich noch nie Charlotte genannt.“ Einen Moment lang verdunkelten sich ihre Augen. „Okay, wenn ich gerade die Chance dazu habe, möchte ich dir dafür danken, was du gestern für mich getan hast.“

„Keine Ursache. Ich habe nur meinen Job gemacht. Wie geht es dir heute?“

Sie hob die rechte Schulter und verzog schmerzlich das Gesicht. „Ich fühle mich etwas zerschlagen und habe einige blaue Flecke. Aber ich werde es überleben.“

Sofort überkam Lewis der Impuls, sie in die Arme zu nehmen und ihr zu sagen, dass sie sich ausruhen sollte und er sich um sie kümmern würde. Doch das ging nicht mehr. Ihre Beziehung war vor langer Zeit zerbrochen.

Also lächelte er nur freundlich und antwortete: „Dann schon dich, ja? Keine schweren Sachen heben.“

Charlie nickte, wobei ihr Gesichtsausdruck schwer zu deuten war. „Ist gut. Danke.“

Er wollte sich abwenden, aber dann fiel ihm noch etwas anderes ein. „Und dein Baby … Stella. Ist mit ihr alles in Ordnung?“

Ihre Züge wurden weich. Offensichtlich liebte sie ihre Tochter sehr. „Ja, es geht ihr gut. Sie hat gar nichts abbekommen. Ich war gerade in der Kinderkrippe, um nach ihr zu schauen.“

Das tat alles viel zu weh. Vor diesem Schmerz musste Lewis sich schützen. „Das freut mich. Also dann, ich muss hier weitermachen …“

„Warte, Lewis. Ich will dir was erklären.“ Mit der Hand auf seinem Handgelenk hielt sie ihn zurück. Die Wärme ihrer Berührung auf seiner Haut war beinahe zu vertraut. Ihre Haut fühlte sich weich an, und der Griff ihrer zarten Finger war leicht. Sie besaß wunderschöne Hände.

„Nein, du brauchst mir gar nichts zu erklären. Das geht mich nichts an.“

Charlie zog ihre Hand zurück und steckte sie in die Kitteltasche. „Ähm … Stella ist nicht mein Baby. Sie ist meine Nichte. Lucys Tochter.“

„Ah.“ Er hatte also voreilige Schlüsse gezogen. Der Druck auf seiner Brust löste sich ein wenig. „Ach so. Lucy. Na klar, Lucys Baby. Verstehe.“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das glaube ich nicht. Ich bin nach Hause zurückgekommen, weil Lucy krank ist.“ Flüchtig schloss sie die Augen und seufzte. „Brustkrebs.“

Lewis schnürte sich der Magen zusammen. „Oh nein, das tut mir leid. Und das mit einem so kleinen Baby, wie schrecklich. Wird sie … wieder gesund?“

„Die Chemo hat gerade erst angefangen, aber ihre Chancen stehen gut. Ich helfe ihr mit Stella, und natürlich versuche ich, mich so gut wie möglich um Lucy zu kümmern. Aber wie du dich vielleicht erinnerst, ist das nicht ganz einfach.“

Er erinnerte sich daran, dass die Schwestern manchmal Schwierigkeiten miteinander hatten. Lucy hatte die Neigung gehabt, Charlie zu bevormunden und sich in ihre Angelegenheiten einzumischen, wenn auch immer in guter Absicht. Charlie hatte sich oft darüber beklagt, wie sehr ihre Familie versuchte, in ihre Ehe und ihr Leben hineinzureden.

Die Roses waren eine geschlossene Einheit – eine liebevolle Schwester und Helikoptereltern. Jeder war ständig am Leben der anderen beteiligt. Meistens auf positive Art und Weise. Um diese Nähe, die so ganz anders war als das, was es in seiner Familie gab, hatte Lewis sie immer beneidet. Seine Eltern hatten nie in derselben Stadt gewohnt, und erst recht nicht im selben Haus. Von seinem Dad hatte er nie etwas gehört. Und er wusste auch nicht genau, wo seine Mutter war, die ständig umzog. Zuletzt hatte sie sich in Invercargill aufgehalten, wollte aber dort weg, weil sie es dort zu kalt fand. Das war vor etwa sechs Monaten gewesen. Sie war nicht besonders gut darin, in Kontakt zu bleiben. Egal, wie oft Lewis sie anrief oder ihr Nachrichten schrieb.

Aber zum Glück hatte er ein sehr gutes Verhältnis zu seinem Zwillingsbruder Logan. Wenn Logan krank geworden wäre, hätte Lewis für ihn dasselbe getan wie Charlie für ihre Schwester und sich um ihn gekümmert.

„Natürlich erinnere ich mich daran. Ihr seid früher fast wie siamesische Zwillinge gewesen. Vielleicht lässt sie es ja zu, dass du dich zur Abwechslung mal um sie kümmerst.“

„Schön wär’s.“ Charlie schien sich etwas zu entspannen, weil er sie verstand. „Sie will unbedingt alles selber machen, ist aber unglaublich erschöpft. Ein Baby zu versorgen ist schon anstrengend genug, auch ohne eine zusätzliche Krebsbehandlung. Darum habe ich hier eine Teilzeitstelle angenommen, damit ich meine Arbeit um mein Leben herum organisieren kann. Am liebsten würde ich im Moment gar nicht arbeiten, aber irgendjemand muss ja die Rechnungen bezahlen, stimmt’s?“

„Ja, klar. Ich hoffe, sie erholt sich schnell. Und wie geht es deinen Eltern?“ Lewis fühlte sich mehr als unbehaglich, weil er vorsichtige, höfliche Fragen über Leute stellte, die er früher gut gekannt und mit denen er viele fröhliche Stunden verbracht hatte. Die Familie der Frau, mit der er sein Leben hatte verbringen wollen. Jetzt war sie wie eine Fremde für ihn, mit einem vollkommen anderen Leben.

„Gut. Sie sind jetzt zwar in Rente, aber momentan bei einem Hilfseinsatz in Uganda“, erwiderte sie. „Wir haben ihnen nichts von Lucys Diagnose gesagt, weil sie dann sofort zurückkommen würden. Du kennst sie ja. Sie wollen ständig an unserem Leben teilhaben, was manchmal ein bisschen erdrückend ist. Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh wir waren, als sie beschlossen haben, auf Reisen zu gehen. Lucy wollte nicht, dass sie ihre Zeit in Uganda abkürzen. Also habe ich ihnen nur gesagt, ich würde für eine Weile nach Hause kommen, um Zeit mit meiner Schwester zu verbringen.“

Plötzlich wirkte sie verlegen und verdrehte die Augen. „Du liebe Güte, ich weiß gar nicht, warum ich dir das alles erzähle. Du hast zu tun und solltest wahrscheinlich schon unterwegs sein. Und ich muss auch los, sonst komme ich zu spät zur Arbeit. Entschuldige, Lewis.“

„Du musste dich doch nicht entschuldigen“, meinte er sofort. Es war gut, dass sie ein wenig hatte Dampf ablassen können. „Und grüß Lucy von mir.“

„Mach ich, danke.“ Charlie, die erleichtert zu sein schien, lächelte. War sie darüber beunruhigt gewesen, wie diese Unterhaltung verlaufen würde? Hatte sie befürchtet, er würde ihre gemeinsame Vergangenheit ansprechen? Denn da wäre sicherlich noch verdammt viel zu analysieren. Aber vielleicht war es das Beste, all das einfach ruhen zu lassen.

Trotz der seltsamen Situation erwiderte Lewis ihr Lächeln. „Mach’s gut, Charlotte … ähm … Charlie. Wir sehen uns.“

„Ja, bestimmt.“ Wieder lächelte sie, und diesmal war es ein so strahlendes Lächeln, dass es ihn mitten ins Herz traf. Ihm war nicht bewusst gewesen, wie sehr er sich darauf gefreut hatte, dieses Lächeln noch einmal zu sehen. Und wie sehr die Sehnsucht nach ihr noch immer in ihm verankert war.

Als sie davonging, schaute er ihr nach.

Die Geschichte meines Lebens.

Unter keinen Umständen durfte er sich erneut in sie verlieben. Sie hatte ihm schon einmal das Herz gebrochen, und wenn er nicht aufpasste, würde es wieder geschehen.

4. KAPITEL

Bei der Spendenaktion nahm Charlie an einem leeren runden Tisch Platz. Sie fühlte sich nicht ganz wohl dabei, hier zu sein, obwohl sie sich eigentlich zu Hause um ihre Schwester und ihre kleine Nichte hätte kümmern sollen. Doch Lucy hatte darauf bestanden und sie mit einem breiten Lächeln und einem tiefen Seufzer verabschiedet, nachdem sie Charlie versprochen hatte, sofort anzurufen, falls es ihr schlecht gehen sollte.

„Du musst mehr ausgehen“, hatte Lucy gesagt. „Du kannst doch nicht dein ganzes Leben mit mir zusammen in diesen vier Wänden verbringen. Du brauchst Freunde, Charlie.“

„Ich gehe zur Arbeit, und ich kaufe ein“, hatte diese entgegnet, als wäre Einkaufen die aufregendste Tätigkeit der Welt. „Ich will bei dir sein.“

„Aber mir ist es wichtig, dass du auch mal ausgehst. Sonst machst du mir ein schlechtes Gewissen, weil ich deine ganze Zeit in Anspruch nehme, obwohl du dir eigentlich ein gesellschaftliches Leben aufbauen solltest, nachdem du jetzt wieder zu Hause bist. Du bist viel zu jung, um immerzu bloß mit Kranken zusammen zu sein.“ Mit einem schwachen Lächeln hätte Lucy geseufzt. „Geh zu dieser Comedy-Veranstaltung, von der du neulich erzählt hast. Hab Spaß, und wenn du nach Hause kommst, kannst du mir alles darüber erzählen. Ich will wenigstens indirekt einen normalen Samstagabend miterleben.“

Charlie hatte verstanden, was sie ihr zwischen den Zeilen damit sagen wollte. Lucy war dankbar für ihre Unterstützung, aber ständig zusammenzuhocken, war genauso erdrückend wie früher die Atmosphäre in ihrem Elternhaus. Lucy wollte sich normal fühlen, anstatt ausschließlich in einen Tunnel von Erkrankung und Unsicherheit zu starren. Also war Charlie jetzt hier, in der Hoffnung, dass der Comedy-Teil des Abends sie zum Lachen bringen würde, sodass sie hinterher Lucy alles erzählen und sie ebenso zum Lachen bringen konnte.

Mehrere Leute, die lachten und fröhlich miteinander plauderten, betraten den großen Saal und suchten nach ihrem Tisch. Charlie kannte sie. Patience und Arno waren Pflegekräfte aus der Notaufnahme, und mit ihnen kamen auch zwei junge Assistenzärzte herein, die seit Kurzem mit zum Team gehörten – Seung und Mei.

Charlie stand auf und winkte. „Wir sind hier!“

Patience winkte zurück und kam mit den beiden Ärzten herüber, während Arno sich umdrehte, um mit zwei Personen hinter ihm zu sprechen. Eine Frau, die Charlie nicht kannte und die mit einem der Sanitäter Händchen hielt, die ihr Leben mehr oder weniger in der Notaufnahme zu verbringen schienen. Und ihnen folgte …

Lewis.

Oh nein. Charlies Magen schnürte sich zusammen.

Sie rutschte tiefer in ihren Sitz hinein. Gab es so wenig Teilnehmer aus der Notaufnahme, dass sie für einen Achtertisch noch Rettungssanitäter einladen mussten? Den Abend mit Lewis zu verbringen, war wirklich das Letzte, was sie wollte.

Früher wäre das normal gewesen, aber jetzt nicht mehr. Schon seit fünf Jahren nicht mehr. Doch da sie bei seinem Anblick ein elektrisierendes Prickeln überlief, zeigte diese instinktive Reaktion eindeutig Aufregung und freudige Erwartung.

Nein, bitte nicht. Charlie wollte sich ein neues Leben aufbauen. Auch wenn Lewis nett zu ihr war, tat er das vermutlich aus reiner Höflichkeit. Wahrscheinlich verabscheute er sie, und wahrscheinlich hatte er inzwischen auch eine Frau und Kinder.

Wie sollte sie in Gesellschaft von Kollegen und Freunden mit ihm umgehen? Sollten sie zugeben, dass sie sich kannten, oder lieber so tun, als wären sie Fremde?

Rasch klopfte sie auf den Platz neben sich, damit Patience sich dort hinsetzte. Bei der Begrüßung ihrer Kollegen achtete sie jedoch nicht darauf, wie schnell alle Plätze besetzt waren, bis auf den zu ihrer anderen Seite. Und nur einer stand noch.

„Lewis, hi.“ Charlie zwang sich zu einem Lächeln. „Sieht aus, als wäre dieser Platz für dich.“

„Tut mir leid“, flüsterte er ihr zu, als würde er spüren, wie unbehaglich sie sich fühlte. „Es gibt keinen anderen mehr.“

„Schon gut“, meinte sie gepresst. „Einen Abend können wir sicher überstehen.“

„Natürlich. Ich glaube, keiner hier weiß von unserer Vergangenheit. Also belassen wir es auch dabei, ja? Wir vergessen einfach alles und versuchen, uns einen schönen Abend zu machen.“

Sein Blick aus diesen braunen Augen löste unwillkürlich eine tiefe Verwirrung in Charlie aus.

Was sagte er da? Alles vergessen? Niemals könnte sie ihre Ehe mit Lewis vergessen. Seinen Antrag, die Hochzeit, die traumhaften Flitterwochen, das Lachen, den Spaß … den Sex. Oh ja, der Sex.

Aber es hatte eben nicht sein sollen. Sie hatten sich darum bemüht, dass es funktionierte und waren gescheitert. Letztendlich war Charlie gegangen, um der allgegenwärtigen Trauer zu entgehen. Sie hatte Lewis verlassen und einen Job auf der anderen Seite der Welt angenommen. Hätte sie stattdessen lieber bleiben und sich noch mehr anstrengen sollen? Hätten sie ihre Probleme überwunden, wenn sie durchgehalten hätten? Vermutlich hasste er sie, aber woher sollte sie das wissen? Er hatte der Trennung zugestimmt, ihr jedoch nie seine Gefühle mitgeteilt.

Was blieb ihr also jetzt anderes übrig, als sich damit einverstanden zu erklären, dass sie freundlich miteinander umgingen, als ob sie nichts weiter als Kollegen wären.

„Gut, einverstanden“, antwortete Charlie daher. „Ich will auch niemandem die Stimmung verderben.“

„Möchtest du was trinken?“ Lewis griff nach einer der Weinflaschen auf dem Tisch.

„Ja, gerne. Danke.“

Er schenkte beide Gläser ein, ehe auch er Platz nahm, wobei er mit dem Knie ihr Bein streifte. Hastig rückte er von ihr ab. Und trotzdem hing der Duft nach seinem Aftershave in der Luft. Ebenso wie der typische eigene Geruch von Lewis, der ihr so vertraut war.

Aber Charlie musste sich keine Sorgen machen, denn Lewis wurde sofort in ein Gespräch mit Dr. Mei hineingezogen, die neben ihm saß. Und Patience unterhielt sich mit Charlie über Verfahrensweisen in der Notaufnahme, bevor sie ihr den zweiten Sanitäter Brin und seine Freundin Mia vorstellte. Charlie hatte Brin zwar schon häufiger gesehen, kannte seinen Namen aber bisher nicht.

Mia war Krankenschwester in einer Hausarztpraxis. Sie erzählte, dass Brin aus Irland nach Neuseeland ausgewandert war. Sie hatten eine kleine Tochter namens Harper. Einen großen Teil ihrer Zeit verbrachte die Familie auf Rāwhiti Island, wo sie auch erst kürzlich zusammen mit Lewis gewesen waren. Als Mia fragte, ob Charlie ihn kannte, nickte sie nur kurz, ehe sie das Gespräch auf den Urlaub lenkte. Ob er wohl mit seiner Freundin oder Frau dort gewesen war? Auch wenn sie diese Frage natürlich nicht stellte, interessierte es sie dennoch brennend, etwas darüber herauszufinden, und sie versuchte, zwischen den Zeilen zu lesen.

Brin erzählte allerdings immer nur von Lewis. Mit ihm konnte man offensichtlich viel Spaß haben. Er sei ein hervorragender Angler, ein guter Grillmeister und konnte wunderbar mit Kindern umgehen. Manchmal würde er auch bei ihrer Tochter babysitten. Er war einfach ein wirklich netter Kerl.

Charlie tat das Herz weh. Natürlich wusste sie das, besser als jeder andere. Ein guter Kerl mit einem Herzen aus Gold.

Schließlich verdrehte Lewis die Augen und sagte Brin, er solle mit dem Loblied aufhören.

Aber Brin grinste bloß belustigt. „Ach, was. Ich sage Charlie nur die Wahrheit.“ Er wandte sich ihr wieder zu. „Wie ich sehe, sind Sie heute alleine hier. Haben Sie einen Partner oder eine Familie?“

Alle sahen sie an, und plötzlich wurde ihr der Mund staubtrocken. „Ähm … Nein, weder noch.“

„Was soll das hier werden?“, schaltete Lewis sich da ein. Er kam ihr zu Hilfe, genau wie früher. Sein Tonfall wirkte humorvoll, doch Charlie wusste, dass dies gespielt war. „Auf ein solches Kreuzverhör hat Charlie sicher keine Lust.“

Achselzuckend warf Brin seinem Freund einen neugierigen Blick zu. „Ich wollte bloß nett sein und die neue Ärztin kennenlernen.“

Charlie brauchte von Lewis keine Hilfe mehr. Durch ihren Aufenthalt in London war sie sehr viel erwachsener geworden und konnte gut für sich selbst einstehen. Sie lächelte beiden Männern zu. „Kein Problem. Ich habe keinen Lebenspartner und auch keine Kinder. Ich stamme aus Auckland, habe aber einige Jahre im Ausland gelebt. Und jetzt bin ich wieder da.“

„Darüber freuen wir uns.“ Brin hob sein Glas und sah Lewis bedeutungsvoll an, als wollte er ihn dazu auffordern, auch etwas zu sagen.

Unwillig schüttelte Lewis den Kopf. Offenbar ging es um irgendein bestimmtes Thema zwischen den beiden. Schließlich räusperte sich Lewis und erklärte beinahe mechanisch: „Ja, wir freuen uns, dass du da bist.“

Doch das nahm Charlie ihm nicht ab. Er war keineswegs froh darüber. Er wollte nicht, dass irgendjemand von ihrer gemeinsamen Vergangenheit erfuhr. Und als er sich hingesetzt hatte, war er betont von ihr abgerückt.

Nun wurde das Licht gedimmt, und eine Komikerin betrat die Bühne. Sie war witzig und erzählte ein paar sehr lustige Geschichten, die Charlie davon ablenkten, dass sie hier im Halbdunkel neben ihrem Ex-Mann saß, der offensichtlich lieber ganz woanders gewesen wäre. Aber sie saßen nun mal alle dicht gedrängt um den Tisch. Lewis war ihr so nah, dass Charlie sich seiner Nähe nur allzu bewusst war. Früher hätte er bei einer solchen Veranstaltung ihre Hand gehalten oder unter dem Tisch gefüßelt. Er hätte seinen Arm auf die Rückenlehne ihres Stuhls gelegt und geistesabwesend mit ihrem Haar gespielt oder ihr die Schulter gestreichelt. Und sie hätte sich an ihn gelehnt.

Als sie ihre Sitzposition veränderten, spürte sie sein Bein an ihrem, was jedoch daran lag, dass sie so eng zusammengeschoben worden waren. Trotzdem war Charlie von seinem Duft umgeben und beobachtete wie gebannt seine Finger, als er mit dem Stiel seinen Weinglases spielte. Seine langen schlanken Hände hatte sie schon immer geliebt.

Mit ihrem Blick streifte sie die Stelle, wo früher sein Ehering gewesen war. Weil sie sich nichts Luxuriöses hatten leisten können, hatten sie ihre Ringe bei einem Juwelierkettengeschäft gekauft. Aber diese hatten ihnen gut gefallen – ein schlichter Platinring für ihn und eine Kombination aus Verlobungs- und Ehering für sie. Lewis hatte noch nicht mal mehr eine weiße Linie an seinem Ringfinger.

Charlie blickte auf ihren eigenen leeren Ringfinger. Das war alles schon so lange her. Dennoch hatte sie ihre Ringe behalten. Es wäre ihr zu traurig vorgekommen, die Ringe wegzugeben. Selbst nach der Scheidung hatte sie sie zur Erinnerung an ihre gemeinsame Liebe behalten. Damals hatte sie eine wundervolle Zukunft geplant … bis dieser Traum wegen ihrer unnützen Gebärmutter zerstört wurde.

Charlie war erleichtert, als das Publikum während der Pause dazu aufgefordert wurde, in einer stillen Auktion auf gespendete Gewinne zu bieten. Sofort sprang sie auf, um sich dringend benötigten Abstand zu verschaffen. Sie ging an den Tischen auf der anderen Saalseite entlang, um sich die einzelnen Gegenstände anzusehen. Dann schrieb sie ihren Namen und die Summe, die sie bieten wollte, auf den entsprechenden Zettel, ehe sie an ihren Platz zurückkehrte. Der Tisch war leer, da die meisten ihrer Kollegen sich ebenfalls in die Schlange eingereiht hatten, um mitzubieten.

Aber wo war …?

„Hey.“ In diesem Augenblick kam Lewis und setzte sich ebenfalls.

„Hi.“ Lächelnd sah Charlie ihn an. „Ich habe auf mehrere Sachen geboten. Ein paar Wellnessbehandlungen für Lucy, sobald es ihr wieder besser geht, und ein Planschbecken für Stella. Und du?“

„Lucy findet es bestimmt toll, sich verwöhnen zu lassen, sobald sie dafür bereit ist.“ Er hob die Schultern. „Ehrlich gesagt ist für uns Männer nicht viel dabei. Aber ich biete auf das Dinner in diesem schicken Restaurant, dem Marcel.“

„Ist das gut? Was hiesige Restaurants betrifft, bin ich nicht mehr auf dem Laufenden.“

„Ich weiß nicht.“ Erneut zuckte Lewis die Achseln. „Ich wollte es schon länger mal ausprobieren.“

„Ach ja?“ Ob er vielleicht ein Date dorthin mitnehmen wollte? „Na ja, ich war die Letzte, die darauf geboten hat. Also wehe, du überbietest mich!“

Er zog die Augenbrauen hoch. Und auf einmal bemerkte Charlie in dem kleinen Lächeln, das seine Mundwinkel umspielte, etwas von dem alten Lewis. „Sonst …?“

„Sonst …“ Sie sprang auf. „… muss ich eben ein noch höheres Gebot abgeben.“

„Eher nicht.“ Auch er sprang auf und eilte zu dem Tisch mit der Restaurantauktion.

Plötzlich war es genauso wie früher, als sie miteinander gespielt, gewetteifert und gelacht hatten.

„Untersteh dich, Lewis Parry!“

Sie überholte ihn, aber als sie beide gleichzeitig den Tisch erreichten, drängte er sich vor. Sie streckten die Arme aus, um nach dem Stift zu greifen, wobei sich ihre Hände berührten. Einen flüchtigen Moment lang überlief Charlie ein elektrisierendes Prickeln. Aber unter keinen Umständen wollte sie den Stift loslassen.

„Meins!“ Er sah sie an, schnitt ein Gesicht und lachte. „Meins, meins!“

Damals, in den glücklichen Zeiten ihrer Beziehung, hatten sie zusammen den Film Findet Nemo angeschaut und sich über die Szene der Seemöwen vor Lachen ausgeschüttet, wo die Vögel sich schreiend um eine Krabbe stritten: „Meins, meins, meins!!!“ Jedes Mal, wenn sie danach eine Möwe sahen, machten sie es nach und brachen in schallendes Gelächter aus.

Über seinen triumphierenden Gesichtsausdruck musste Charlie lachen. „Das glaube ich kaum, Mr. Parry. Meins! Ich war zuerst hier.“

„Hey, hey, Kinder.“

Als sie die Stimme hinter sich hörten, fuhren sie auseinander. Sie drehten sich um und erblickten Brin, der sie fröhlich angrinste. „Hier geht es um ein gutes Werk, nicht um einen Wrestlingwettkampf. Frieden?“

Als sie sich gegenseitig ansahen, mussten sie weiteres Gelächter unterdrücken, bis Charlie dann doch nicht anders konnte, als zu lachen. „Wir haben schon ein bisschen übertrieben, oder?“

„Es gibt nichts Besseres als gesunden Wettbewerb.“ Auch Lewis lachte. „Und ich werde dich trotzdem schlagen.“

„Keine Chance, mein Lieber. Keine Chance.“

Zunächst schaute Brin erstaunt von einem zum andern, dann leuchtete seine Miene auf. „Ich habe eine Idee. Hört zu. Es gibt keine Garantie, dass einer von euch gewinnt, weil hier noch viele andere Leute mitbieten. Aber wenn einer von euch tatsächlich gewinnt, warum teilt ihr euch dann den Preis nicht einfach?“

„Was?“, riefen Charlie und Lewis vollkommen überrascht wie aus einem Mund.

„Genial, oder?“, gab Brin belustigt zurück.

Charlie wären ganz andere Worte eingefallen, mit denen sie diese Idee beschrieben hätte: aufdringlich, idiotisch, gefährlich. Es wäre eindeutig besser für sie, weniger Zeit mit Lewis zu verbringen anstatt mehr.

Sie hatte doch kein Interesse mehr an ihrem Ex-Mann, oder?

Nein, an die Zusammenarbeit mit ihm musste sie sich erst noch gewöhnen. Dafür war es notwendig, eine neue Normalität mit ihm zu entwickeln. Außerdem wäre es gut möglich, dass jemand anders sie überbieten würde. Sie blickte erst zu Brin und dann zu Lewis, die sie beide erwartungsvoll ansahen.

Jetzt konnte sie schlecht Nein sagen, denn das wäre wirklich unhöflich gewesen. „Okay … vielleicht.“

„Hm.“ Lewis überlegte. Er wirkte nun wieder etwas distanzierter, so wie vorhin. „Na ja. Dann würde ich auch sagen … vielleicht.“

Sein Zögern kränkte Charlie ein wenig.

„Gut“, bestätigte Brin. „Dann nehme ich das als zweimal Ja.“

Sie sah Lewis an. „Solltest du das nicht erst mit deiner Freundin besprechen?“

Kopfschüttelnd warf Lewis seinem Kollegen einen ironischen Blick zu. „Könnte sein, dass ich dich nachher dafür umbringe.“

Oh je. Aber wenigstens lächelte er ein wenig. Also fand er die Aussicht auf ein Dinner mit ihr wohl doch nicht allzu grauenhaft. Und bedeutete das, dass Lewis Single war? Na ja, vielleicht wäre ein gemeinsames Dinner gar keine so schlechte Idee. Dann könnten sie sich aussprechen und damit dieses Unbehagen loswerden, das bei jeder Begegnung zwischen ihnen stand.

Zusammen kehrten sie an ihren Tisch zurück, und der Abend ging weiter. Aber Charlie fühlte sich noch immer etwas überrumpelt von dem, wozu sie sich gerade bereit erklärt hatte.

Ein Dinner mit Lewis? Nach allem, was sie durchgestanden hatten? Und trotz ihrer Scheidung?

Schließlich begann die Komikerin, die jeweiligen Gewinner der Auktion zu verkünden. Charlie stand auf und winkte bei dem anerkennenden Applaus für ihr großzügiges Gebot auf die Wellnessbehandlung. Das Planschbecken für Stella gewann sie ebenfalls.

Dann kam das Dinner bei Marcel an die Reihe. „Und jetzt zu unserer letzten Auktion des heutigen Abends“, erklärte die Komikerin. „Wir können uns glücklich schätzen, Marcel, den Inhaber des Restaurants, persönlich hier begrüßen zu dürfen. Sein Vater war vor zwei Wochen Patient bei uns, und Marcel war so beeindruckt von der medizinischen Versorgung, dass er beschlossen hat, für denjenigen, der das Dinner im Restaurant gewinnt, noch einen Sonderbonus draufzulegen.“

„Oh.“ Brin hielt beide Daumen in Richtung Lewis und Charlie hoch. „Vielleicht eine Flasche Sekt?“

Kopfschüttelnd erwiderte Charlie: „Ich bestimmt nicht. Ich habe nie solches Glück.“

Lewis lachte. „Tja, für eine Gratisflasche Sekt bin ich immer zu haben.“