Julia Collection Band 100 - Lynne Graham - E-Book

Julia Collection Band 100 E-Book

Lynne Graham

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Beschreibung

Sexy, selbstbewusst und widerspenstig –Jemima, Flora und Jessica lassen sich so schnell nichts sagen. Schon gar nicht von attraktiven, reichen Männern, die glauben, sich bräuchten nur mit dem Finger zu schnippen, um sie zu erobern …

MINISERIE von Lynne Graham

IM SCHLOSS DES SPANISCHEN GRAFEN von GRAHAM, LYNNE
Seit seine schöne Frau Jemima ihn betrog und wortlos verließ, brennt nur der Wunsch nach Rache in Graf Alejandro Olivares. Doch als er sie von einem Detektiv aufspüren lässt, macht er eine folgenschwere Entdeckung: Jemima hat einen kleinen Sohn - und er ist der Vater!

UND ICH EROBERE DICH DOCH! von GRAHAM, LYNNE
Eine Frau, die sich ihm widersetzt? Das ist Angelo nicht gewohnt! Als Flora seine Einladung zum Dinner ablehnt, ist sein Jagdinstinkt geweckt. Bei einer Begegnung in den Grachten von Amsterdam will er seine Verführungskünste spielen lassen. Doch es läuft anders als geplant …

EIN MILLIARDÄR ENTDECKT DIE LIEBE von GRAHAM, LYNNE
Einen Mann wie ihn verschmäht man nicht! Für den attraktiven Milliardär Cesario di Silvestri bedeutet das Nein der schönen Jessica nur eins - eine Herausforderung! Doch kaum hat er sie heiß verführt, spürt er nicht den ersehnten Triumph, sondern ein viel gefährlicheres Gefühl …

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Seitenzahl: 593

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Lynne Graham

JULIA COLLECTION BAND 100

IMPRESSUM

JULIA COLLECTION erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Zweite Neuauflage in der Reihe JULIA COLLECTIONBand 100 - 2016 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 2010 by Lynne Graham Originaltitel: „Naïve Bride, Defiant Wife“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Sonja Sajlo-Lucich Deutsche Erstausgabe 2012 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 2016

© 2011 by Lynne Graham Originaltitel: „Flora’s Defiance“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Sonja Sajlo-Lucich Deutsche Erstausgabe 2012 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 2020

© 2011 by Lynne Graham Originaltitel: Originaltitel erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Sonja Sajlo-Lucich Deutsche Erstausgabe 2012 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 2024

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 11/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733707804

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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Im Schloss des spanischen Grafen

1. KAPITEL

Alejandro Navarro Vasquez, der Graf Olivares, saß im Sattel seines mächtigen schwarzen Hengstes und schaute vom Schatten des Orangenhains aus über das weitläufige Tal, das seit über fünfhundert Jahren im Besitz seiner Familie lag. Unter dem strahlend blauen Frühlingshimmel boten die Wälder und Tausende von Morgen fruchtbarer Erde ein atemberaubendes Panorama. So weit das Auge reichte, gehörte das Land ihm, dennoch wirkten die Züge seines faszinierend attraktiven Gesichts eher grimmig – so wie meist, seit vor zweieinhalb Jahren seine Ehe zerbrochen war.

Er war Großgrundbesitzer und reich, doch durch seine unüberlegte Heirat war seine Familie zerrissen worden. Dabei bedeutete die Familie einem Spanier mehr als Geld und Reichtum. Eine bittere Wahrheit, die an einem stolzen und erfolgreichen Mann wie ihm nagte – statt dem Verstand war er seinem Herzen gefolgt und hatte die falsche Frau geheiratet. Ein Fehler, für den er noch immer teuer bezahlte. Sein Halbbruder Marco hatte einen Job in New York angenommen und den Kontakt zu Mutter und Geschwistern abgebrochen. Doch sollte Marco, den Alejandro nach dem frühen Tod des Vaters mit aufgezogen hatte, jetzt in diesem Moment vor ihm stehen … wäre es Alejandro wirklich möglich, dem Jüngeren zu vergeben?

Er stieß einen leisen Fluch aus. Für alles, was mit Jemima zusammenhing, konnte er keine Vergebung in sich finden, nur Wut und Feindseligkeit. In ihm loderten Rachegelüste für seine Frau und seinen Bruder. Die beiden hatten sein Vertrauen missbraucht und seine Liebe mit Füßen getreten. Seit Jemima ihn verlassen hatte und wortlos verschwunden war, verlangte sein Herz nach Gerechtigkeit, auch wenn er instinktiv wusste, dass es in diesen Dingen niemals Gerechtigkeit geben würde.

Sein Handy begann zu vibrieren. Er unterdrückte einen lauten Fluch. Momente der Entspannung waren rar geworden, und die ließ er sich nur höchst ungern nehmen. Er zog die dunklen Brauen zusammen, als er das Handy hervorzog und die Nachricht las. Der Privatdetektiv, den er angeheuert hatte, um Jemima zu finden, war gerade im Schloss angekommen, um Bericht zu erstatten.

Alejandro lenkte den Hengst zurück zum Schloss. Auf dem wilden Ritt fragte er sich, ob es Alonso Ortega wohl endlich gelungen war, den Aufenthaltsort der davongelaufenen Ehefrau ausfindig zu machen.

„Ich muss mich entschuldigen, dass ich unangemeldet auftauche, Durchlaucht.“ Der ältere Mann deutete eine höfliche Verbeugung an. „Aber ich wusste, Sie würden die Neuigkeiten sofort erfahren wollen. Ich habe die Gräfin gefunden.“

„In England?“, fragte Alejandro und erhielt seinen lang gehegten Verdacht bestätigt, während er Ortegas Bericht zuhörte.

Unglücklicherweise betrat ausgerechnet jetzt Alejandros Mutter den Raum. Die verwitwete Doña Hortencia war eine beeindruckende Erscheinung. Sie richtete ihren Blick aus nachtschwarzen Augen auf den Privatdetektiv und verlangte kühl zu wissen, ob er endlich seinen Auftrag erfüllt habe. Als er die Frage bejahte, erschien ein schmales Lächeln auf ihren Lippen.

„Eines muss ich noch hinzufügen.“ Unter der unangenehm intensiven Musterung der Gräfin zögerte Ortega. „Die Gräfin hat ein Kind, einen kleinen Jungen von ungefähr zwei Jahren.“

Der Erklärung des Detektivs folgte drückendes Schweigen. Die Tür ging erneut auf, und Beatriz, Alejandros ältere Schwester, trat mit einer gemurmelten Entschuldigung ein. Sofort wurde sie von ihrer herrischen Mutter zum Schweigen gebracht, als diese sich klirrend kalt an sie wandte: „Die englische Hexe, die mit deinem unglückseligen Bruder verheiratet ist, hat einen Bastard zur Welt gebracht.“

Entsetzt, dass eine solche Bemerkung vor Alonso Ortega gemacht worden war, warf Beatriz einen Blick zu ihrem Bruder und beeilte sich dann, Erfrischungen anzubieten, um zu einem weniger heiklen Thema überzulenken. Seine bestürzte Schwester wäre beruhigter gewesen, wenn sie jetzt zu Small Talk – am unverfänglichsten wäre da wohl das Wetter – hätten übergehen können, Alejandro jedoch war versucht, Ortega beim Kragen zu packen und sämtliche Einzelheiten aus dem Mann herauszuschütteln. Vermutlich spürte der Detektiv die Ungeduld seines Auftraggebers, daher reichte er Alejandro eine dünne Aktenmappe und verabschiedete sich hastig.

„Ein Kind.“ Beatriz schnappte schockiert nach Luft, kaum dass die Tür hinter dem Mann ins Schloss gefallen war. „Wessen Kind?“

Mit steinerner Miene zuckte Alejandro nur mit den Schultern. Seines ganz bestimmt nicht. Es war definitiv die größte Schande, die ihm je widerfahren war. Wie hatte Jemima ihm das nur antun können? Por Dios, das Kind eines anderen Mannes!

„Hättest du nur auf mich gehört“, klagte Doña Hortencia. „Ich brauchte nur einen Blick auf sie zu werfen und wusste, dass sie nicht die Richtige für dich ist. Du warst der begehrteste Junggeselle ganz Spaniens, du hättest jede heiraten können …“

„Ich habe Jemima geheiratet.“ Alejandro hatte noch nie viel Geduld für die melodramatische Art seiner Mutter aufgebracht.

„Sie hat dich verhext, schamlos wie sie ist. Ein Mann wird ihr nie genügen. Nur ihretwegen lebt mein armer Marco jetzt am anderen Ende der Welt. Sie bringt ein Kind zur Welt und trägt noch immer unseren Namen! Das ist das Widerwärtigste, was ich je …“

„Es reicht!“, unterbrach Alejandro donnernd den keifenden Redefluss. „Was geschehen ist, ist geschehen. Es ist vorbei.“

Doña Hortencia sah ihren Sohn zornig an. „Es ist eben nicht vorbei, oder? Du hast die Scheidung noch immer nicht eingereicht.“

„Ich werde so bald wie möglich nach England reisen und Jemima aufsuchen“, presste er hervor.

„Schicke unseren Familienanwalt! Es besteht keinerlei Notwendigkeit, dass du persönlich hinfliegst.“

„Einen Grund gibt es, der es sogar unerlässlich macht“, widersprach er gefasst. „Jemima ist meine Frau.“

Als Doña Hortencia in eine weitere Tirade ausbrach, verlor er endgültig die Geduld. „Es ist reine Höflichkeit, dass ich dich über meine Schritte informiere. Ich brauche weder deine Erlaubnis noch deine Billigung.“

Alejandro zog sich in sein Arbeitszimmer zurück und goss sich als Erstes einen doppelten Brandy ein. Jemima hatte also ein Kind. Diese Eröffnung war ein Schock. Kurz bevor sie ihn verließ, hatte sie eine Fehlgeburt erlitten – mit seinem Baby. Daher wusste er, dass dieses Kind nicht von ihm sein konnte. War der Junge von Marco? Oder von einem anderen Mann? Fragen, die scharf wie Speere durch ihn hindurchfuhren, während er die dünne Aktenmappe durchsah.

Es gab nur wenige Fakten. Jemima lebte jetzt in einer Kleinstadt in Dorset und führte einen Blumenladen. Erinnerungen drohten Alejandro zu überrollen, als er sich für einen Moment erlaubte, an seine Frau zu denken. Doch er drängte die Bilder zurück, mit dem nüchternen Verstand und der eisernen Selbstdisziplin, die so charakteristisch für ihn waren. Doch wo waren diese Charaktereigenschaften gewesen, als er sich mit Jemima Grey eingelassen hatte?

Es gab keine Entschuldigung, er hatte von Anfang an um die riesigen Unterschiede zwischen ihnen gewusst. Was ihn damals natürlich fasziniert hatte, war Jemimas enormer Sex-Appeal. Wie viele andere Männer auch, war er anfälliger für die Versuchung gewesen, als er sich hätte träumen lassen. Vielleicht hatte das Leben ihn auch verwöhnt und ihm die Eroberungen zu leicht gemacht. Seine Unfähigkeit, das Verlangen nach Jemimas schlankem Körper zu beherrschen, war ihm zum Verhängnis geworden. Glücklicherweise hatten die Erfahrungen während seiner kurzen Ehe und die Zeit des Getrenntlebens Jemimas Begierdefaktor auf null sinken lassen.

Allerdings war durch seine unpassende Ehe seine Familie entzweit worden. Dennoch … Jemima hatte keine eigene Familie, die sie unterstützen könnte, und offiziell war sie noch immer seine Ehefrau. Somit oblag ihm die Verantwortung, ganz gleich, welche Gefühle er für sie hegen mochte. Und nicht nur für sie, sondern auch für das Kind, das, bis die Scheidung rechtskräftig wurde, gesetzlich als sein Kind angesehen wurde. Sosehr ihn das auch erboste, es blieb Fakt. Er musste persönlich nach England.

Seit dem fünfzehnten Jahrhundert gab es keinen Graf Olivares, der ein Feigling gewesen wäre oder sich vor seinen Pflichten gedrückt hätte. Und von sich erwartete Alejandro nicht weniger. Jemima konnte von Glück sagen, dass sie in modernen Zeiten lebten. Seine Vorfahren hätten eine untreue Ehefrau ins Kloster gesteckt oder sie schlicht umgebracht, weil sie die Familienehre besudelt hatte.

Jemima wickelte gerade ein Bouquet in dekoratives Zellophan ein, als Alfie um die Ecke des Ladentresens lugte.

„Hallo“, grüßte Alfie die wartende Kundin fröhlich. Schüchternheit gehörte definitiv nicht zu seinen Charaktereigenschaften.

„Hallo. Du bist aber ein hübscher kleiner Kerl.“ Die Frau lächelte den Jungen an, der mit großen braunen Augen und seinem unwiderstehlichen Grinsen zu ihr aufblickte.

Ein Kompliment, das Alfie oft zu hören bekam. Während Jemima das Geld in die Kasse zählte, fragte sie sich still lächelnd, ab welchem Alter ihrem Sohn diese Beschreibung peinlich werden würde. Wie der Vater, so der Sohn, dachte sie. Äußerlich glich Alfie seinem spanischen Vater wie ein Spiegelbild – dunkle Augen, oliv getönte Haut und glänzendes schwarzes Haar. Von seiner Mutter hatte er nur die widerspenstigen Locken geerbt, allerdings vom Wesen her auch das optimistische Gemüt und die herzliche Wärme. Nur selten brach bei ihm der eher düstere und auf jeden Fall leidenschaftlichere Charakter des Vaters durch.

Mit einem leichten Schauer verdrängte Jemima den Gedanken. Alfie spielte wieder mit seinen Autos hinter dem Tresen, und sie konzentrierte sich darauf, ein weiteres Bouquet für den nächsten Kunden zu binden.

Der Zufall hatte Jemima nach Charlbury St Helens geführt, als ihr Leben in einer tiefen Krise steckte, und bis zum heutigen Tag hatte sie es nicht bereut, dass sie hiergeblieben war und sich ein neues Leben aufgebaut hatte.

Die einzige Stelle, die sie während der Schwangerschaft hatte finden können, war als Hilfe hier in diesem Blumenladen gewesen. Sie stellte fest, dass ihr die Arbeit nicht nur Spaß machte, sondern dass sie auch ein Händchen dafür hatte. Und so hatte sie sich weitergebildet und offizielle Qualifikationen erworben. Als ihre Arbeitgeberin sich dann aus gesundheitlichen Gründen zur Ruhe setzte, hatte Jemima den Schritt gewagt und den Blumenladen übernommen. Inzwischen hatte sie ihren Wirkungskreis erweitert, richtete Hochzeiten und andere private Feiern aus.

Manchmal musste sie sich kneifen, weil sie noch immer nicht so recht glauben konnte, dass sie ihr eigenes Geschäft führte. Nicht schlecht für die Tochter eines kriminellen Vaters und einer alkoholkranken Mutter, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Als Teenager hatte Jemima keinerlei Ehrgeiz gehabt. Niemand aus ihrer Familie war schließlich jemals weitergekommen.

„So was ist nichts für uns“, hatte ihre Mutter damals gesagt, als die Lehrerin vorschlug, Jemima solle Abitur machen, schließlich hätte sie das Zeug dazu. „Jem muss arbeiten und Geld nach Hause bringen.“ Und mit der Etikettierung ihres Vaters – „Du bist genau wie deine Mutter, strohdumm und zu nichts zu gebrauchen!“ – hatte Jemima lange Jahre zu kämpfen gehabt.

Nach dem Lunch brachte sie Alfie zu seiner Spielgruppe. Sie zuckte leicht zusammen, als ihr Sohn seine Freunde voller Begeisterung lautstark begrüßte, kaum dass er im Eingang stand. Zwar hatte sie im Laden eine Spielecke für ihn eingerichtet, aber nach einem Vormittag in dem kleinen Hinterzimmer war er immer voller Energie und Bewegungsdrang. Als Alfie noch kleiner gewesen war, hatte Jemimas Freundin Flora sich während der Geschäftszeiten um den Jungen gekümmert, doch jetzt war er alt genug, um den Nachmittag mit seinen Freunden zu verbringen. Außerdem hatte Flora inzwischen auch genug mit ihrer kleinen Bed & Breakfast-Pension zu tun und konnte nicht mehr so viel Zeit erübrigen.

Daher war es auch eine angenehme Überraschung, als Flora eine gute Stunde später in den Laden kam und Jemima fragte, ob sie Zeit für eine Tasse Kaffee habe.

In der kleinen Küche brühte Jemima also Kaffee auf. Es war nicht zu übersehen, dass die rothaarige Freundin sich Sorgen machte. „Was ist denn los?“

„Wahrscheinlich ist es gar nichts. Ich wollte es dir schon am Wochenende erzählen, aber am Samstag hat sich eine ganze Familie eingemietet. Ich konnte kaum Atem schöpfen.“ Flora stöhnte, dann setzte sie an: „Letzten Donnerstag hat ein Typ in einem Mietwagen vor deinem Laden gestanden und Fotos geschossen. Er hat jedem Fragen nach dir gestellt, sogar auf dem Postamt.“

Jemima verharrte, ihre dunkelblauen Augen weiteten sich. Ihr herzförmiges Gesicht, eingerahmt von rotgoldenen Locken, wurde bleich, und alles an ihr verspannte sich. Schlank und zierlich, wie sie war, hatte die hochgewachsene Flora sie mit einem Rauschgoldengel verglichen, als sie sich zum ersten Mal trafen. Allerdings hatte Flora ihre Meinung schnell geändert, sobald die beiden Frauen sich besser kannten. Auf jemanden, der so humorvoll und gleichzeitig realistisch war wie Jemima, passte eine solche Beschreibung nicht.

Aber es war nicht zu bestreiten, dass sie geradezu ätherisch schön war. Die Ansässigen scherzten immer, dass der Kirchenchor vor dem Aus gestanden hatte, bis Jemima Mitglied wurde und sich plötzlich eine Unmenge von jungen Männern ebenfalls einschrieb. Nicht, dass die Herren auch nur einen Schritt weitergekommen wären, dachte Flora trocken. Aufgrund der Erfahrung mit ihrer schiefgegangenen Ehe zog Jemima platonische Freundschaften vor und konzentrierte ihre Energien allein auf ihren Sohn und ihr Geschäft.

„Welche Art von Fragen?“ Jemimas Magen zog sich ungut zusammen.

„Nun, ob du ständig hier lebst und wie alt Alfie ist. Der Typ war wohl jung und attraktiv. Maurice von der Post meinte, dass er vielleicht auf Brautschau gewesen sei …“

„Ein Spanier?“

Flora schüttelte den Kopf. Sie nahm der Freundin die Kaffeekanne aus der Hand, um endlich ihren Kaffee zu bekommen. „Nein, Maurice meinte, ein Londoner.“

„Letzte Woche war kein einziger junger attraktiver Mann im Laden“, grübelte Jemima.

„Vielleicht hat er ja das Interesse verloren, sobald er erfuhr, dass du ein Kind hast.“ Flora zuckte die Schultern. „Hätte ich gewusst, dass du dich so aufregst, hätte ich es dir gar nicht gesagt. Warum rufst du nicht einfach deinen Mann an – wie heißt er noch? – und sagst ihm, dass es Zeit für einen sauberen Schlussstrich ist und du die Scheidung willst?“

„Er heißt Alejandro“, erwiderte Jemima gepresst. „Und er lässt sich von niemandem sagen, was er zu tun hat. Er ist derjenige, der die Anweisungen gibt. Wenn er von Alfie erfährt, wird alles nur noch komplizierter.“

„Dann geh zu einem Rechtsanwalt und beschreibe ihm, was für ein lausiger Ehemann dein Alejandro war.“

„Er hat weder getrunken, noch ist er gewalttätig geworden.“

Flora zog eine Grimasse. „Warum die Messlatte so hoch anlegen? Es gibt andere Gründe für eine Scheidung. Zum Beispiel seelische Grausamkeit und Vernachlässigung. Er hat dich der Gnade seiner grässlichen Familie ausgeliefert.“

„Seine Mutter war grässlich, sein Bruder und seine Schwester nicht.“ Wie immer versuchte Jemima, fair zu bleiben. „Wirklich grausam war er auch nicht zu mir.“

Floras Temperament war ebenso feurig wie ihr Haar. „Alejandro hat jeden Schritt von dir kritisiert, hat dich ständig allein gelassen und dir ein Kind gemacht, bevor du bereit dazu warst.“

Jemima lief bis in die Haarspitzen rot an. Wie hatte sie nur so offen zu Flora sein und ihr all das erzählen können? Sie wusste, warum. In den ersten Wochen ihrer Freundschaft hatte sie so unter Druck gestanden, dass sie sich einfach Luft verschaffen und mit jemandem reden musste. Glücklicherweise hatte sie die schlimmsten Geheimnisse aber für sich behalten. „Ich war schlicht nicht gut genug für ihn …“

So sah sie es zumindest. Für ihre Eltern war sie auch nie gut genug gewesen. Ihre Mutter hatte sie bei Schönheitswettbewerben für Kinder angemeldet, doch Jemima war zu schüchtern gewesen, um vor der Kamera zu posieren. Bei den Interviews hatte sie auch keinesfalls geglänzt, sondern vielmehr kein Wort herausbekommen. Als gelangweilter Teenager hatte sie ebenso schlecht bei dem Sekretärinnenkurs abgeschnitten, für den ihre Mutter sie ebenfalls angemeldet hatte – in der Hoffnung, ein millionenschwerer Tycoon würde die Tochter in irgendeinem Vorstandsbüro sehen und sich Hals über Kopf in sie verlieben. Die mit Alkohol getränkte Fantasiewelt war der Mutter wohl die einzige Fluchtmöglichkeit aus einer jämmerlichen Ehe gewesen.

Jemimas Vater, dessen Ehrgeiz es immer gewesen war, so viel Geld wie möglich zu machen, ohne auch nur einen Finger zu krümmen, hatte sich eine Model-Karriere für seine Tochter vorgestellt, doch für die Modewelt war Jemima leider nicht groß genug, und für andere Optionen in diese Richtung fehlten ihr die üppigen Kurven. Nach dem Tod der Mutter hatte er aus ihr eine Tänzerin in einem Nachtklub einer seiner Freunde machen wollen und sie aus dem Haus geworfen, als sie sich weigerte, sich in dem dürftigen Outfit vor aller Augen zu zeigen. Jahre waren vergangen, bevor sie ihren Vater wiedergesehen hatte, und dann war es unter Umständen geschehen, an die sie lieber nicht zurückdachte.

Ja, schon in frühen Jahren hatte Jemima gelernt, dass die Leute immer mehr von ihr erwarteten, als sie zustande brachte. Ihre Ehe hatte da keine Ausnahme gebildet. Doch jetzt hatte sie mit dem eigenen Geschäft auch die eigenen Erwartungen übertroffen.

Als sie Alejandro begegnet war, hatte sie das Gefühl gehabt, als wäre jeder ihrer Träume wahr geworden. Rückblickend jedoch erschien es ihr nur noch lachhaft. Sie hatte sich auf den ersten Blick in ihn verliebt, und Liebe machte bekanntlich blind. Sie hatte tatsächlich an das Unmögliche geglaubt, bevor das Unmögliche sie wieder auf den Boden der Realität zurückgezerrt hatte.

Die Unterschiede hatten sich nicht nur einfach als groß erwiesen, sondern als unüberwindbar. Ihr familiärer Hintergrund hatte sie verfolgt, aber den größten Fehler hatte sie selbst begangen – sie hatte sich zu sehr mit ihrem Schwager angefreundet. Nur … hätte Alejandro sie nicht so oft allein gelassen, sondern ihr geholfen, mit dem neuen Leben in Spanien fertigzuwerden, wäre sie auch nicht so froh über Marcos Gesellschaft gewesen.

„Du warst zu gut für deinen Ehemann“, widersprach Flora überzeugt. „Aber du solltest Alejandro endlich von Alfie erzählen, anstatt dich hier zu verstecken, als hättest du dir etwas vorzuwerfen.“

Jemima fühlte das Blut in ihre Wangen schießen und wandte das Gesicht ab. Wenn du die ganze Wahrheit wüsstest … Dann würde sich wahrscheinlich auch die Freundin von ihr abwenden. „Wenn Alejandro von Alfie erfährt, wird er sofort das Sorgerecht einklagen und den Jungen nach Spanien holen. Alejandro nimmt seine Pflicht gegenüber der Familie sehr ernst.“

„Nun, wenn das so ist, ist es vielleicht wirklich besser, wenn du dich bedeckt hältst.“ Ganz überzeugt wirkte Flora jedoch nicht. „Aber du kannst ihm den Sohn nicht auf ewig verschweigen.“

„Im Moment ist es das Beste.“ Jemima stellte ihre Tasse ab, als die Glocke über der Ladentür klingelte, und ging, um die neue Kundschaft zu bedienen.

Bald danach lieferte sie die Blumenarrangements für eine Dinnerparty in einer der großen Villen am Stadtrand aus. Auf dem Rückweg holte sie Alfie ab und fuhr mit ihm nach Hause. Sie war stolz auf das kleine Cottage mit dem Garten, in dem eine Schaukel stand und ein Sandkasten angelegt war. Die Zimmerwände hatte sie selbst eher laienhaft gestrichen und die Einrichtung bestand aus billigen Fertigmöbeln, aber es fühlte sich wie das erste wirkliche Zuhause seit ihrer Kindheit an.

Manchmal schien es ihr noch immer wie ein Märchen, dass sie tatsächlich einmal in einem Schloss gewohnt hatte. Castillo del Halcón, das Falkenschloss – erbaut von den kriegerischen Vorfahren Alejandros, geschichtsträchtige Mauern in einer Mischung aus europäischen und islamischen Baustilen, angefüllt mit Luxus und unbezahlbaren Kunstgegenständen. Möbel umzustellen oder düstere Gemälde abzuhängen, war ein absolutes Tabu gewesen. Doña Hortencia ließ keinerlei Einmischung zu, sah sie das Schloss doch als ihr alleiniges Zuhause an. Jemima war sich wie der Gast vorgekommen, der nie willkommen war.

Gab es überhaupt irgendetwas Gutes an ihrer miserablen Ehe? Bei der Frage schoss ihr sofort das Bild ihres formidablen Ehemannes in den Kopf. Sie hatte immer geglaubt, einen Preis gewonnen zu haben, den sie nicht wirklich verdiente. Überhaupt schien sie die besten Dinge im Leben allein glücklichen Zufällen zu verdanken. Da war die ungeplante Schwangerschaft mit Alfie, die Tatsache, dass ihr Wagen ausgerechnet in Charlbury St Helens liegen geblieben war, und ironischerweise war ihr erstes Zusammentreffen mit Alejandro auch nicht anders verlaufen …

Er hatte sie auf ihrem Fahrrad umgefahren. Oder besser, der übertrieben zügige Fahrstil seines Chauffeurs hatte dafür gesorgt, dass sie mit einem schmerzhaften Sturz auf dem Boden landete. Damals hatte sie als Rezeptionistin in einem Hotel gearbeitet, aber gerade ihren freien Tag gehabt. In der ländlichen Gegend fuhren Busse nur selten, und so war das Fahrrad ein unerlässliches Verkehrsmittel.

Der große Mercedes hatte abrupt abgebremst, sowohl der Chauffeur als auch Alejandro waren herausgesprungen, um nach dem Unfallopfer zu sehen.

Jemimas Knie waren aufgeschürft, an ihrer Hüfte prangte sofort ein großer blauer Fleck, und ihr Fahrrad sah ziemlich verbeult aus. Noch bevor sie wusste, wie ihr geschah, saß sie in dem Luxuswagen, ihr Fahrrad wurde im nächsten Fahrradgeschäft zur Reparatur abgegeben, und sie wurde von dem bestaussehenden Mann, der ihr je begegnet war, in die Krankenhausambulanz eskortiert. Zwar hatte sie immer wieder beteuert, dass alles nicht so schlimm sei, doch schon wurde sie geröntgt, ihre Wunden gesäubert und verbunden, und sie ließ alles mit sich geschehen, weil Alejandros wunderbares Lächeln sie völlig verzaubert hatte.

Liebe auf den ersten Blick, hatte sie gedacht, als sie in jener Nacht schlaflos im Bett lag. Sie hatte nie an Liebe auf den ersten Blick geglaubt. Im Gegenteil, sie hatte sich geschworen, keinem Mann je die Macht zu überlassen, die ihr Vater über ihre Mutter ausgeübt hatte. Doch trotz der harten Lektion, die sie in Kindheit und Jugend auf den Knien der Mutter gelernt hatte, reichte ein Blick auf Alejandro Navarro Vasquez, und sie war ihm zu Füßen gesunken wie die sprichwörtliche gefällte Eiche.

Leider hatte sie aber aus den Lektionen, die Alejandro ihr erteilte, offenbar nichts gelernt. Bevor er sie mit seinem Heiratsantrag schockierte, hatte er sie monatelang durch die Hölle geschickt. Er rief nicht wie abgesprochen an, sagte Verabredungen in letzter Minute ab und traf sich mit anderen Frauen, mit denen er sich auch noch fotografieren ließ.

Vor der Hochzeit hatte er ihr Herz und ihren Stolz mit Füßen getreten. Sie hatte es sogar nachvollziehen können. Schließlich war er ein spanischer Graf, während sie für einen Hungerlohn in einem kleinen Hotel arbeitete – in einem Hotel, das seinen Standards nach in die Kategorie „Absteige“ fiel. Von Anfang an hatte er gewusst, dass sie nie sein Level erreichen konnte, und dieses Wissen hatte ihn immer irritiert.

Ein halbes Jahr nach dem Kennenlernen hatte er seine Einstellung jedoch geändert … „Sol y sombra – Sonne und Schatten, querida mía“, hatte er gemurmelt, als er ihre helle mit seiner gebräunten Haut verglich. „Das eine existiert nicht ohne das andere. Wir gehören zusammen.“

Doch zusammen waren wir wie Öl und Wasser – wir konnten uns nicht verbinden, dachte Jemima jetzt mit dem dumpfen Schmerz, mit dem sie hatte leben lernen müssen. Inzwischen war es zwei Uhr nachts geworden. Sie lag im Bett und fand keinen Schlaf. Und morgen würde die neue Blumenlieferung ankommen, was hieß, dass sie früh auf den Beinen sein musste …

Im Laden gab es kaum noch Raum zum Laufen, nachdem Jemima die frischen Schnittblumen in die bereitstehenden großen Kübelvasen gestellt hatte. Die Temperaturen des frischen Frühlingsmorgens und der Kontakt mit den vielen nassen Blumenstängeln hatten ihre Finger taub gemacht. Jemima rieb mit dem Handflächen über ihre Jeans und unterdrückte den Schauer. Ganz gleich, ob Winter oder Sommer, im Laden war es immer kühl. Es war ein altes Gebäude mit unzureichender Isolierung, aber Wärme würde die Blumen auch schneller welken lassen.

Sie ging ins Hinterzimmer und holte sich die alte Strickjacke. Alfie fuhr draußen im Garten mit seinem kleinen Dreirad herum und ahmte lautstark ein Rennauto nach, ungerührt von der Uhrzeit. Ein Lächeln zog auf ihr Gesicht, während sie ihrem Jungen eine Weile zuschaute.

„Jemima …“

Sie hatte gehofft, diese Stimme nie wieder hören zu müssen. Tief, voll, melodisch und so männlich sexy, dass ihr unwillkürlich ein Prickeln über den Rücken lief. Sie kniff die Augen zusammen und weigerte sich, sich umzudrehen. Sagte sich, dass ihr die Fantasie nur einen gefährlichen Streich spielte, der sie in die Vergangenheit zurückzerren wollte und ihr Bilder vorgaukelte – von Alejandro. Wie sie morgens zusammen aufwachten, er mit vom Schlaf wirrem Haar und Bartstoppeln auf den Wangen. Von Alejandro, der allein mit einem Blick unter halb gesenkten schwarzen Wimpern hervor das Feuer in ihr anfachen konnte.

Doch bevor das laszive Bild ihren Verstand zu vernebeln und ihr den Atem zu rauben drohte, tauchte die nächste Erinnerung auf: die ungeplante Schwangerschaft, die leere Bettseite neben sich und die Einsamkeit, als Alejandros Interesse an ihrem rapide runder werdenden Körper völlig schwand. Ein Schauder überlief Jemima, sie drehte sich um.

Und dort stand er. Alejandro Navarro Vasquez, ihr Ehemann. Der Mann, der sie gelehrt hatte, ihn zu lieben und zu brauchen und sich dann wegen ihrer Unzulänglichkeiten von ihr zurückgezogen hatte. Er sah überwältigend gut aus, elegant in dem maßgeschneiderten dunklen Anzug und den glänzenden handgefertigten Schuhen. Aber er hatte ja immer makellos ausgesehen … außer im Bett, wenn sie mit den Fingern durch sein Haar gewühlt und es voller Leidenschaft zerzaust hatte. Am liebsten hätte sie losgeschrien – geschrien wegen der Erinnerungen, die sie nicht in Ruhe ließen und sie aus dem Gleichgewicht bringen wollten.

Doch mehr als ein ersticktes: „Was willst du hier?“ brachte Jemima nicht hervor.

2. KAPITEL

„Wir haben noch einiges zu klären“, antwortete Alejandro nüchtern.

Unter seinem musternden Blick wurde Jemima heiß, so als hielte er einen Scheinwerfer auf sie gerichtet. Ihr war klar, dass sie alles andere als perfekt aussah, ohne Make-up, in ausgewaschenen Jeans und alter Strickjacke. Sie ärgerte sich über sich selbst, wollte sie doch gar nicht gut für ihn aussehen, vor allem nicht, wenn sie keinerlei Kontrolle über ihre Reaktion auf ihn hatte. Aber noch mehr ärgerte sie sich über seinen kühlen Blick und den geschäftsmäßigen Ton. Es war die ultimative Zurückweisung. Sie lehnte sich gegen den Türrahmen, reckte die Schultern und hob den Kopf an, sodass ihr die rotgoldenen Locken über die Schultern fielen.

Ein leises Zucken meldete sich in Alejandros Wange. Unmerklich kniff er die Augen zusammen, und Jemima wusste, er hatte die Herausforderung so laut und deutlich verstanden, als hätte sie ein Megafon benutzt. Spannung knisterte plötzlich in der Luft. Bedauerlicherweise erlitt Jemimas Mut ausgerechnet jetzt einen erheblichen Dämpfer, denn sie merkte, dass die Spitzen ihrer Brüste sich aufrichteten und sie tief in sich ein aufloderndes Feuer spürte.

„Noch immer die Verführerin“, meinte Alejandro lang gezogen. „Wirke ich etwa so verzweifelt?“

Sein beißender Spott hätte sie verletzen können, wenn sie nicht genau erkannt hätte, was in seinen schönen Augen stand. Sie senkte ihren Blick, und sofort fiel ihr die leichte, aber unverkennbare Wölbung auf, die den Sitz der maßgeschneiderten Hose ruinierte. Das Blut schoss ihr heiß in die Wangen. Einerseits meldete sich Triumphgefühl in ihr, andererseits aber auch Entsetzen.

„Was willst du?“, wiederholte sie ihre Frage.

„Die Scheidung. Ich brauchte eine Adresse, um dir die Unterlagen zukommen zu lassen. Oder ist dir der Gedanke nie gekommen? Dein wortloses Verschwinden war egoistisch und unreif.“

Am liebsten hätte Jemima ihm jetzt einen der Blumenkübel über den Kopf geschüttet. „Du hast mich dazu gezwungen“, konterte sie hitzig.

„Wie?“ Mit energischen Schritten kam er vor den Tresen und stützte die Hände darauf, bereit zu einem Streit.

„Du hast mir nicht zugehört. Kein Wort von dem, was ich damals sagte, hat dich interessiert. Wir hatten eine Pattsituation erreicht, und es gab nichts mehr, was ich tun konnte.“

„Ich hatte dir versichert, dass wir gemeinsam eine Lösung finden“, hielt er verächtlich dagegen.

„Während unserer Ehe haben wir nie gemeinsam etwas gelöst. Wie auch, wenn du nicht mit mir geredet hast? Als ich dich wissen ließ, wie unglücklich ich bin … hast du irgendetwas geändert?“ Schmerz und Verachtung standen in ihren dunkelblauen Augen, als sie sich an die verschwenderischen Geschenke erinnerte, mit denen er sie überhäuft hatte, anstatt ihr seine Zeit und Aufmerksamkeit zu geben.

Ärger schoss in ihm auf und ließ seine Augen golden glühen. Genau in diesem Moment ertönte die Ladenglocke. Sandy, Jemimas Hilfe, erschien in der Tür. Abrupt legte sich drückendes Schweigen über den Raum.

„Bin ich etwa zu spät?“, fragte die dunkelhaarige Frau mit einem bestürzten Blick zu Jemima. „Hattest du mich früher erwartet?“

„Nein, nein“, versicherte Jemima der anderen hastig. „Aber ich muss zurück nach Hause. Du wirst also für eine Weile allein die Stellung halten müssen.“ Ohne Alejandro anzusehen, ging sie nach draußen und kehrte mit Alfie auf dem Arm wieder zurück. „Ich wohne hundert Meter von hier“, teilte sie Alejandro kühl mit. „Hausnummer zweiundvierzig.“

Jemima war nur einen Schritt von der Ladentür entfernt, als diese von außen aufgestoßen wurde. Ein junger Mann mit windzerzaustem Haar trat ein und hielt ein Papiertablett vor sich hoch. „Frisch aus dem Backofen!“, rief er fröhlich. „Kirschtörtchen – für unsere zweite Pause.“

„Oh Charlie, ich hatte völlig vergessen, dass du heute kommen solltest.“ Jemima hatte den Termin mit dem jungen Elektriker schon letzte Woche bei der Chorprobe vereinbart. „Ich muss noch mal weg. Aber komm, ich zeige dir die Steckdose, die nicht funktioniert.“ Sie drückte Alfie fester an ihre Hüfte und bückte sich hinter dem Tresen, um Charlie die Doppelsteckdosen zu zeigen.

„Wenn es jetzt nicht passt, kann ich auch morgen wiederkommen“, bot der junge Mann unbeschwert an. „Damit du dabei bist.“

„Nein, ist schon in Ordnung, Charlie.“ Sie ging wieder zur Tür, wo Alejandro auf sie wartete und den eindeutig enttäuschten Elektriker mit düsterem Blick musterte. „Sandy ist ja hier.“

Und dann stand sie auch schon draußen an der frischen Luft und war sich Alejandros Gegenwart extrem bewusst. Gleichzeitig war sie auch verstört, denn selbst wenn er Alfie auch nur zehn Sekunden lang angeblickt hatte, so zeigte er keinerlei Reaktion. „Wir sehen uns dann beim Haus“, sagte sie tonlos, setzte Alfie ab und fasste seine Hand.

„Ich nehme euch mit dem Wagen mit“, bot Alejandro an.

„Nein danke.“ Ohne ein weiteres Wort setzte Jemima sich mit Alfie in Bewegung. Sie waren keine zwanzig Meter weit gekommen, als eine schwarze Limousine neben ihnen anhielt.

Ein großer Mann im Anzug stieg aus. „Ihr geht nach Hause? Steigt ein, ich fahre euch.“

„Danke, Jeremy, aber es ist ja nicht weit. Wir laufen das Stückchen“, erwiderte sie freundlich, auch wenn ihre Gedanken sich allein um Alejandros Ankündigung drehten, dass er die Scheidung wollte.

Hatte er eine andere kennengelernt? Eine Frau mit Geld und Stammbaum, die besser zu ihm passte? Jemima fragte sich, mit wie vielen Frauen er wohl zusammen gewesen war, seit sie ihn verlassen hatte, und tausend kleine Nadeln stachen in ihr Herz. Was Alejandro anging, war sie eine wirklich schlechte Verliererin. Sie wollte ihn nicht zurück, definitiv nicht, aber eine andere sollte ihn auch nicht haben. Doch es war unrealistisch, sich einzubilden, dass er seither keine andere gehabt hatte. Alejandro war kein Mann der Enthaltsamkeit … bis offensichtlich geworden war, dass ihre praller werdenden Brüste und ihre immer ausladendere Taille für ihn so reizvoll waren wie ein Bad in der Jauchegrube. Wieso also sollte es sie kümmern, was er seither mit wem getan hatte?

Jeremy zog die Beifahrertür auf. „Steigt schon ein. Bis ihr zu Hause ankommt, seid ihr ja völlig durchweicht.“

Erst jetzt fiel Jemima auf, dass es regnete. Hastig hob sie Alfie auf den Arm und kletterte in das Auto. Als sie dann vor ihrem Cottage ankamen, stand bereits ein schnittiger Sportwagen davor geparkt.

Jeremy stieß einen bewundernden Pfiff aus. „Wem gehört denn diese Schönheit?“

„Einem alten Freund von mir“, behauptete Jemima und stieg aus.

Sie wollte sich schon abwenden, als Jeremy ebenfalls ausstieg, um die Kühlerhaube herumkam und die Hand auf ihren Arm legte. „Geh heute Abend mit mir zum Dinner.“ Hoffnungsvoll blickte er sie an. „Ganz unverbindlich, ohne Hintergedanken. Nur zwei Freunde, die zusammen essen.“

Jemima lief rot an und trat einen Schritt zurück. Ihr war bewusst, dass Alejandro nur wenige Meter weit entfernt die kleine Szene beobachtete. „Tut mir leid, aber es geht nicht“, antwortete sie verlegen.

„Ich werde dich immer wieder fragen“, warnte Jeremy vor.

Innerlich krümmte sie sich. Jeremy, Anfang dreißig und geschieden, arbeitete als Immobilienmakler und verstand offensichtlich den Wink mit dem Zaunpfahl nicht, wenn eine Frau nicht interessiert war. Seit dem Tag, an dem Jemima den Mietvertrag für das Cottage unterschrieben hatte, hatte er sie mindestens ein Dutzend Mal zum Dinner eingeladen, und jedes Mal erfolglos.

Zusammen mit Alfie eilte sie zu ihrer Haustür, wo Alejandro bereits auf sie wartete.„Warum sagst du ihm nicht einfach, dass du verheiratet bist?“, fragte er sie, als sie den Schlüssel im Schloss drehte.

„Das weiß er bereits. Jeder hier weiß es.“ Der Ehering brannte plötzlich an ihrem Finger. „Er weiß aber auch, dass ich von meinem Mann getrennt lebe.“

„Die Trennung ist nicht offiziell“, konterte er prompt und ging von der kleinen Diele ins Wohnzimmer weiter. „Es überrascht mich, dass du den Ring noch trägst“, meinte er.

Darauf reagierte sie nur mit einem stummen Schulterzucken, während sie Alfie die Jacke auszog und sie an die Garderobe hängte.

„Saft.“ Alfie zupfte an ihrem Ärmel.

„Es heißt ‚Bitte‘“, erinnerte Jemima ihren Sohn, und gehorsam fügte er das „Bitte“ an. „Kaffee für dich?“, fragte sie Alejandro eher unfreundlich. Er stand beim Fenster mit seiner großen Gestalt und den breiten Schultern, sodass noch mehr von dem wenigen Tageslicht ausgesperrt wurde.

„Sì.“

„Du musst auch ‚Bitte‘ sagen“, kam es hilfreich von Alfie.

„Por favor“, sagte Alejandro in der eigenen Sprache, ohne dem Kind auch nur einen Blick zuzuwerfen.

Jemima war verdattert über Alejandros völliges Desinteresse an dem Jungen. Sie hätte wesentlich mehr Neugier erwartet. „Willst du mir keine Fragen stellen?“ Ihr Blick ruhte auf Alfie, der bereits seine Spielzeugautos aus der Kiste holte und sie in einer ordentlichen Reihe aufstellte.

„Die ansässige Kanzlei, die mit der Vertretung meiner Interessen beauftragt wird, kann die Fragen stellen“, erwiderte Alejandro nüchtern.

„Du bist also überzeugt, dass der Junge nicht von dir ist.“

Für einen Moment blitzten Alejandros schwarze Augen auf. „Wie könnte er das sein?“

Frustration schoss in Jemima auf. Für einen Moment hatte sie das Bedürfnis, Alejandros Brust mit den Fäusten zu bearbeiten, damit er ihr endlich zuhörte. Doch erstens war sie nicht gewalttätig, und zweitens … Er hatte ihr nie zugehört, und so, wie es um ihre Beziehung stand, würde er ihr jetzt erst recht nicht zuhören. War das nicht ebenfalls ein Grund, weshalb sie gegangen war? Weil sie ständig das Gefühl gehabt hatte, mit dem Kopf gegen eine undurchdringliche Mauer zu rennen? Wie konnte sie bei einem Mann bleiben, der glaubte, sie hätte eine Affäre mit seinem Bruder?

Während sie in der Küche Kaffee aufbrühte, traf sie eine Entscheidung. Sie nahm das Telefon, rief Flora an und bat die Freundin, eine Stunde auf Alfie aufzupassen. „Alejandro ist hier“, erklärte sie steif.

„In fünf Minuten bin ich bei dir und hole den Jungen ab“, versprach Flora.

Auf Flora war Verlass, sie kam wenig später und nahm Alfie mit. Danach jedoch senkte sich bleiernes Schweigen über den Raum.

Jemima streckte den Rücken durch, sie hielt es nicht mehr aus. „Ich wiederhole mich nur ungern, aber du zwingst mich dazu … Ich habe nie mit deinem Bruder geschlafen.“

Alejandro warf ihr einen vernichtenden Blick zu. „Er hatte immerhin genügend Mut, es nicht abzustreiten.“

Wut schäumte in ihr auf. „Aha. Marco hat es nicht abgestritten, was automatisch heißt, dass ich lüge!“

„Mein Bruder hat mich noch nie angelogen. Was man von dir nicht unbedingt behaupten kann.“

Sie ballte die Hände zu Fäusten. „Was redest du da? Wann soll ich dich angeblich angelogen haben?“

„Als wir noch zusammenlebten, hast du Abertausende von Euro ausgegeben, ohne irgendetwas für deine Extravaganz vorzeigen zu können. Du konntest nicht einmal für eigene Ausgaben aufkommen, trotz des großzügigen Betrags, den ich dir monatlich zur Verfügung stellte. Irgendwo in diesem finanziellen Chaos muss es Lügen gegeben haben.“

Jemima wurde bleich. Die Vorwürfe waren nicht abzustreiten. Sie hatte tatsächlich erschreckend hohe Summen ausgegeben, wenn auch nicht für sich selbst. Und während der letzten Wochen hatte sie nicht einmal mehr die eigenen Rechnungen bezahlen können, denn da hatten sämtliche ihrer Sünden sie eingeholt. Nur weil sie eine – wie ihr damals beim ersten Kennenlernen schien – harmlose Lüge erzählt hatte.

„Hast du Marco das Geld gegeben?“, fragte Alejandro harsch. „Er ist schon immer verschwenderisch mit Geld umgegangen. Ich kann mir gut vorstellen, dass er an dich herangetreten ist.“

Für den Bruchteil einer Sekunde war Jemima versucht, sich mit einer weiteren Lüge herauszureden, doch dann senkte sie über sich selbst beschämt den Kopf. Einerseits ärgerte sie sich maßlos über Alejandros Bruder, weil er den Vorwurf einer angeblichen Affäre mit ihr nicht laut und deutlich bestritten hatte, andererseits empfand sie genügend echte Zuneigung zu Marco, um ihn nicht zu verraten. „Nein, Marco hat mich nie um Geld gebeten.“

Alejandro bedachte sie mit einem vernichtenden Blick. „Ich nehme an, du stehst noch immer in Kontakt mit ihm?“

Eine Frage, die sie überraschte. „Nein. Ich habe nicht mehr mit ihm gesprochen, seit ich aus Spanien weggegangen bin.“

„Erstaunlich. Wo ihr doch so vertraut miteinander wart.“

Mühsam schluckte Jemima ihren Ärger hinunter. Nicht zum ersten Mal stand sie kurz davor, die Wahrheit hinauszuposaunen. Doch die Konsequenzen wären zu schwerwiegend. Außerdem hatte sie Marco hoch und heilig versprochen, sein Geheimnis nicht preiszugeben. Aus eigener Erfahrung konnte sie verstehen, weshalb der junge Mann es so unbedingt gewahrt wissen wollte. Und schließlich trug Marco nicht allein die Schuld am Scheitern ihrer Ehe.

„Seit zwei Jahren arbeitet Marco jetzt in unserer Galerie in New York, und du hast ihn nicht ein Mal aufgesucht? Aber er unterstützt doch hoffentlich wenigstens sein Kind, oder?“

Jemima musste sich zusammennehmen, damit ihr Temperament nicht mit ihr durchging. „Alfie ist nicht Marcos Sohn.“

„Dein Kind ist eigentlich der geringste Grund für unser Zerwürfnis. Mich interessiert viel mehr, was du mit meinem Bruder im Bett getrieben hast, und warum du meintest, es tun zu müssen.“ Der Schleier der Zivilisiertheit riss, Alejandros heißblütiges Temperament kam zum Vorschein. Er ballte die Hände zu Fäusten, so hart, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Warst du mit ihm im Bett?“, stieß er nur mühsam beherrscht hervor.

Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück. Wenn er in dieser Stimmung war, würde ein direktes Abstreiten nur alles verschlimmern. Schließlich hatte sie das vor zwei Jahren schon einmal durchgemacht, und damals hatte er ihr auch nicht geglaubt. „Alejandro …“, versuchte sie, ihn zu beschwichtigen.

Er warf den Kopf zurück, dann ließ er den dunklen Blick über sie wandern. Jemima wäre nicht erstaunt gewesen, hätte sie Funken aus seinen Augen sprühen sehen. Ohne Vorwarnung war sie plötzlich die Gefangene seines übermächtigen sexuellen Charismas. Sie meinte, der Sonne zu nahe gekommen zu sein. Sie erinnerte sich noch gut an die gespannte Erwartung, an das einsetzende Summen in ihrem Körper, jedes Mal, wenn Alejandro zum Abendessen nach Hause gekommen war. Weil sie dann wusste, dass sie beide sich irgendwann gemeinsam in das eheliche Schlafzimmer zurückziehen würden und er sie in die fantastische Welt sinnlicher Freuden führen würde, sodass Einsamkeit und Unglücklichsein für kurze Zeit vergessen waren.

„Stört es dich, dass ich solche Details wissen will? Hast du dir je überlegt, was es mir antut, wenn ich mir meine Frau in den Armen meines Bruders vorstelle?“, presste er hervor.

„Nein.“ Es war die reine Wahrheit, hatte doch nie Grund dafür bestanden. Wieso hätte sie darüber nachdenken sollen, welche Gefühle sein unbegründeter und zudem beleidigender Verdacht in ihm auslöste? Verärgerung? Enttäuschung? Die musste er so oder so empfunden haben, denn bei der Herausforderung, sich wie eine spanische Gräfin zu benehmen, hatte Jemima kläglich versagt.

„Nein, natürlich nicht“, entgegnete er harsch. „Marco diente lediglich dazu, deiner Eitelkeit zu schmeicheln und dir die Langeweile zu vertreiben. Eine wirklich billige und geschmacklose Art, um es mir und meiner Familie heimzuzahlen …“

„Das ist völliger Unsinn!“, brauste sie wütend auf.

„Warum hast du dich dann von ihm anfassen lassen? Meinst du nicht, ich hätte Szenen vor mir gesehen, wie es zwischen euch abläuft?“, konterte er bitter. „Du, nackt in seinen Armen, stöhnend vor Lust, im höchsten Moment …“

„Hör auf!“, flehte sie ihn an. Die Bilder, die er in ihr heraufbeschwor, ließen ihre Wangen brennen. „Hör sofort auf damit!“

„Warum? Kommt es der Wahrheit zu nahe?“, fragte er aufgebracht. „Als verlogene, ehebrecherische Schlampe bist du viel zu leicht davongekommen. Schau mich also nicht mit diesen großen schockierten Augen an. Auf diese Show vom ‚armen unschuldigen Mädchen‘ falle ich nicht mehr herein. Dazu kenne ich dich zu genau.“

Seine Worte wühlten Jemima zutiefst auf. Sie ging an ihm vorbei und stellte sich ans Fenster, kämpfte mit sich, um ihre Gefühle wieder unter Kontrolle zu bekommen. Bis zu diesem Moment war ihr nicht klar gewesen, welchen Schaden seine Überzeugung, sie wäre ihm untreu gewesen, angerichtet hatte. Vor zwei Jahren, als er sie wegen Marco zur Rede gestellt hatte, da war er eiskalt und beherrscht gewesen, ja regelrecht gleichgültig. Daraus hatte sie den Schluss gezogen, dass sie ihm nur wenig bedeutete und er geradezu froh war, einen Grund gefunden zu haben, die Beziehung mit ihr zu beenden. Erst jetzt erkannte sie, wie naiv diese Annahme gewesen war.

„Ich bin keine ehebrecherische Schlampe“, setzte sie dumpf an. „Ich habe auch keine Affäre mit deinem Bruder gehabt.“ Wie in Zeitlupe drehte sie sich zu ihm um. „Und du solltest wissen, dass mein Sohn, dass Alfie … auch dein Sohn ist.“

„Soll das ein schlechter Witz sein?“ Alejandros Blick brannte sich wütend in ihre Augen. „Ich weiß mit absoluter Gewissheit, dass du eine Fehlgeburt erlitten hast, bevor du aus Spanien abgereist bist.“

„Wir sind davon ausgegangen, dass ich eine Fehlgeburt hatte“, korrigierte Jemima knapp. „Als ich mich dann hier in England von einem Gynäkologen untersuchen ließ, stellte er fest, dass ich noch immer schwanger war. Seiner Meinung nach ist es möglich, dass ich mit Zwillingen schwanger war und einen Zwilling verloren habe. Oder die Blutungen waren nur Warnzeichen einer drohenden Fehlgeburt. Wie auch immer …“

Unter seinem Blick rieb sie die schlanken Hände ineinander. „Auf jeden Fall bestand die Schwangerschaft, als ich hier ankam, und fünf Monate später wurde Alfie geboren.“

Alejandro starrte sie noch immer an, er glaubte ihr kein Wort. „Das ist unmöglich.“

Sie riss eine Kommodenschublade auf und suchte in den dort untergebrachten Papieren nach Alfies Geburtsurkunde. Einerseits konnte sie kaum fassen, was sie da tat, andererseits … was sonst könnte sie tun? Ihr Sohn war das Kind ihres Ehemannes. Irgendwann in der Zukunft würde Alfie nach seiner Herkunft und seinem Vater fragen, und dann würde sie die Wahrheit offenlegen müssen, ob es ihr gefiel oder nicht. Sie zog das Dokument hervor und reichte es Alejandro.

„Das kann nur ein Bluff sein.“ Entgegen seinen sonst immer untadeligen Manieren riss er ihr das Blatt aus der Hand.

„Nun, wenn dir eine Erklärung einfällt, wie ich zu dieser Zeit ein Kind zur Welt gebracht haben kann und es dann nicht dein Kind sein soll, würde ich sie gerne hören“, sagte Jemima herausfordernd.

Alejandro schaute auf das Blatt und las, dann sah er mit blitzenden Augen auf. „Das beweist nur, dass du schwanger warst, als du unsere Ehe hingeworfen hast und gegangen bist, nicht aber, dass es mein Kind ist.“

Jemima schüttelte frustriert den Kopf und atmete hörbar aus. „Dir kann diese Neuigkeit nicht gefallen, das ist mir klar, und ich wollte es dich auch gar nicht wissen lassen. Zu viel Zeit ist seit unserer Trennung vergangen, zu viel ist passiert. Wir leben unsere eigenen Leben. Dennoch kann ich dich über deinen Sohn nicht anlügen. Eines Tages wird Alfie dich vielleicht kennenlernen wollen.“

Für einen langen Moment musterte er sie düster. „Wenn es stimmt, wenn dieser kleine Junge tatsächlich mein Sohn ist, dann war es extrem egoistisch und rachsüchtig von dir, mir nichts davon zu sagen.“

Ihr Gesicht verlor alle Farbe. „Als ich ging, wusste ich nicht, dass ich noch immer schwanger war.“

„Zwei Jahre sind eine lange Zeit, und doch hast du nicht einen Versuch unternommen, um mich wissen zu lassen, dass ich Vater sein könnte“, warf er ihr harsch vor. „Ich verlange einen DNA-Test, bevor ich entscheide, was weiter zu tun ist.“

Jemima presste die Lippen zusammen. Schon wieder beleidigte Alejandro sie mit der Unterstellung, sie sei ihm untreu gewesen und dass daher Zweifel über Alfies Abstammung bestünden. „Wie du willst“, erwiderte sie knapp. „Ich weiß, wer Alfies Vater ist.“

„Ich werde alles für einen Vaterschaftstest arrangieren. Sobald die Ergebnisse vorliegen, informiere ich dich entsprechend.“ Eisige Arroganz strahlte aus jeder seiner Poren.

„Und ich werde einen Rechtsanwalt aufsuchen und die Scheidung einreichen.“ Er sollte nicht denken, er wäre der Einzige, der Entscheidungen traf!

Er runzelte die Stirn und musterte Jemima mit leerem Blick. „Es wäre unklug, irgendetwas zu unternehmen, bevor die Testergebnisse vorliegen.“

„Das sehe ich anders“, schleuderte sie zornig zurück. „Ich hätte gleich die Scheidung einreichen sollen, noch in der gleichen Minute, als ich dich verließ.“

Er zog eine Augenbraue in die Höhe. „Und warum hast du das nicht?“, fragte er kühl.

Jemima warf ihm einen vernichtenden Blick zu, sagte aber nichts. Wortlos ging sie an ihm vorbei zur Haustür und riss sie auf – eine unmissverständliche Aufforderung für ihn, zu gehen. Sie merkte nicht einmal, dass sie am ganzen Körper zitterte wie Espenlaub. Sie hatte vergessen, wie wütend Alejandro sie machen konnte. Es war seine arrogante Art, immer genau das zu tun, was er wollte, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen.

„Ich melde mich“, sagte er noch, bevor er über die Schwelle nach draußen trat.

„Das nächste Mal würde ich eine Vorwarnung zu schätzen wissen.“ Sie nahm eine Visitenkarte von dem kleinen Tischchen und gab sie ihm. „Ruf vorher an.“

Wütend knallte sie die Tür hinter ihm zu und stellte sich dann ans Fenster. Durch die Gardinen beobachtete sie, wie er in seinen schnittigen Wagen stieg und davonfuhr.

Nichts hat sich geändert, dachte sie unglücklich. Sie brauchte nur in Alejandros Nähe zu sein, und schon lebten alle Selbstzweifel, Unsicherheiten und Reuegefühle wieder auf. Dabei hatte sie geglaubt, das alles in dem Moment zurückgelassen zu haben, als sie es aufgegeben hatte, seine Frau zu sein …

3. KAPITEL

Leise zog Jemima die Haustür hinter sich zu. Donnerstagabends passte ein Babysitter auf Alfie auf, denn dann ging sie zusammen mit Flora zur Chorprobe. Normalerweise freute Jemima sich immer auf einen Abend im Kreise von Freunden und Bekannten, doch in letzter Zeit – seit zwei Wochen, um genau zu sein – schien sich die schlechte Laune permanent bei ihr eingenistet zu haben.

„Lach doch mal wieder“, versuchte Flora, die Freundin auf dem Weg zu der kleinen Kirche aus dem Mittelalter, die so viel zum typischen Flair von Charlbury St Helens beitrug, aufzumuntern. „Du lässt dir diese Geschichte mit dem Vaterschaftstest viel zu tief unter die Haut gehen. Das ist ungesund.“

Jemima schaute die Freundin entschuldigend an. „Ich kann nichts dafür, ich fühle mich, als wäre ich öffentlich erniedrigt worden.“

„Sowohl der Notar als auch der Arzt sind zur Verschwiegenheit verpflichtet“, versicherte Flora ihr. „Ich bezweifle, dass sie damit hausieren gehen, vor allem, wenn es sich um eine Angelegenheit handelt, die vielleicht bald vor einem Familienrichter landet.“

Wirklich überzeugt war Jemima nicht, aber sie wusste, die Freundin wollte sie nur trösten und zuversichtlich stimmen. Sie wollte mit dem Thema auch nicht langweilen, aber die Tests waren eine Prozedur gewesen, bei der ihre Privatsphäre und ihre persönlichen Grenzen völlig ignoriert worden waren. Wenn solche Tests für ein mögliches Gerichtsverfahren verlangt wurden, dann mussten sie auch genau nach den Regeln ausgeführt werden.

Ein überheblicher Londoner Anwalt hatte im Auftrag von Alejandro angerufen und sie über die Liste der notwendigen Schritte informiert. Bei einem Notar hatte sie eine eidesstattliche Erklärung sowie Fotos abgeben müssen, um ihre Identität festzustellen, bevor Alfie und sie dann den DNA-Test vom Hausarzt hatten durchführen lassen dürfen. Eigentlich war es keine große Sache gewesen, nur ein paar Tupfer mit einem Wattestäbchen im Mund, und wenig später lag bereits das Laborergebnis vor. Dennoch hatte Jemima sich vor Scham innerlich gekrümmt, wussten Notar und Hausarzt jetzt doch, dass ihr Mann die Vaterschaft ihres Kindes anzweifelte.

Sie würde Alejandro nie verzeihen, dass er sie gezwungen hatte, diese Erniedrigung über sich ergehen zu lassen. Natürlich hätte sie sich auch weigern können. Aber eine Weigerung wäre in Alejandros Augen einem Schuldbekenntnis gleichgekommen. Außerdem war es wichtig, dass Alfies Vater die Wahrheit kannte. Um Alfies willen durfte es keine Zweifel geben. Deshalb hatte sie den Tests zugestimmt.

Sie waren bei der Kirche angekommen. Jemima zwang sich zu einem unbeschwerten Lächeln und winkte grüßend den bekannten Gesichtern zu. Das Singen im Chor und der Solopart, den sie mit ihrer klaren Sopranstimme bestritt, halfen ihr, auf andere Gedanken zu kommen. Bis sie am Ende der Probe dabei half, die Stühle wieder zusammenzustellen, fühlte sie sich schon wesentlich lockerer. Fabian Burrows, einer der hiesigen Ärzte und zudem ein sehr attraktiver Mittdreißiger, griff nach ihrer Jacke und half ihr hinein, bevor sie etwas einwenden konnte.

„Du hast eine wirklich wunderschöne Stimme“, sagte er.

„Danke.“ Bei seinem Kompliment errötete sie leicht.

Fabian fiel an ihrer Seite in ihren Schritt mit ein. „Hast du noch Lust auf einen Drink?“

„Ja.“

„Wie wäre es mit dem Red Lion?“, schlug er vor, als Flora sich am Kirchenportal zu ihnen gesellte. Die anderen Chormitglieder überquerten bereits die Straße in Richtung des beliebten Pubs.

„Danke, aber ich bin mit Flora da“, erwiderte sie leichthin.

„Ihr seid mir beide herzlich willkommen.“

Jemima schaute zu der Freundin und wusste nicht, wie sie die tiefe Falte auf Floras Stirn zu deuten hatte. Hieß das, dass Flora die Einladung annehmen wollte, oder nicht?

„Ich fürchte, der heutige Abend passt nicht gut“, meinte Flora jetzt steif und hielt den Blick übertrieben starr auf die Straße gerichtet.

Jemima, die Floras Blick folgte, bemerkte zuerst den geparkten Sportwagen, dann sah sie den Mann, der mit verschränkten Armen an der Kühlerhaube lehnte und ganz offensichtlich auf sie wartete. Erst war sie entrüstet, dann schäumte Ärger in ihr auf. Hatte sie Alejandro nicht ausdrücklich gebeten, sie über sein Erscheinen vorher in Kenntnis zu setzen? Wie konnte er es wagen, schon wieder unangemeldet aufzutauchen?

Doch im gleichen Augenblick, in dem ihre Aufmerksamkeit Alejandro galt, spürte sie auch schon ein heißes Prickeln über ihre Haut laufen. Tief in ihr setzte sich ein dumpfes Pochen in Gang, und Alejandros gefährliche Sinnlichkeit stach auf sie ein wie eine scharfe Messerspitze. Mit seinem dunkel glühenden Blick musterte er sie von Kopf bis Fuß, und plötzlich hatte sie Mühe, zu atmen.

Ganz gleich, wie wütend sie auch auf ihn sein mochte, er war einfach sündhaft attraktiv. Allein wie er da an seinem Wagen lehnte – geschmeidig, elegant, überwältigend. Am liebsten hätte Jemima ihn ignoriert und wäre einfach an ihm vorbeigelaufen, als ob er unsichtbar wäre. Seine Anziehungskraft ärgerte sie fast ebenso sehr wie sein unerwartetes Auftauchen.

„Woher wusstest du, wo ich bin?“

„Dein Babysitter“, sagte er nur. „Tut mir leid, falls ich dir den Abend verdorben haben sollte.“

„Wer ist das?“, wollte Fabian wissen.

„Oh, ich bin nur der Ehemann“, meinte Alejandro mit leidender Stimme. Das macht er mit voller Absicht, dachte Jemima und biss die Zähne zusammen.

Fabian versteifte sich leicht und murmelte einen verlegenen Abschiedsgruß. Man sehe sich ja nächste Woche bei der Probe. Damit wandte er sich Flora zu, die ebenfalls eher ratlos stehen geblieben war, und ging mit ihr davon.

„Musstest du den Mann unbedingt in Verlegenheit bringen?“, fragte Jemima verärgert, sobald die beiden außer Hörweite waren.

Ganz der arrogante Graf Olivares, sah Alejandro auf seine zierliche Ehefrau hinab. „Es ist nur die Wahrheit. Jedes Mal, wenn ich dich treffe, flattern hechelnde Kerle um dich herum, und du flirtest schamlos mit ihnen.“

„Dir steht es nicht mehr zu, mir vorzuschreiben, wie ich mich zu benehmen habe“, rechtfertigte sie sich wütend.

Seine Augen blitzten auf, und plötzlich lagen seine Hände auf ihren Schultern. Mit einem Ruck zog Alejandro Jemima an sich und presste seinen sinnlichen Mund auf ihren. Es war wie eine Explosion, die alle ihre Schutzmauern zerstörte. Auf so etwas war sie überhaupt nicht vorbereitet gewesen, nie hätte sie sich träumen lassen, dass er sie noch einmal berühren würde.

Es erschütterte sie zudem zutiefst, dass sie noch immer so anfällig für ihn war. Die Knie wollten unter ihr nachgeben, als sein drängender Mund eine Reaktion von ihr forderte, Alarmsirenen schrillten los, als ein Verlangen in ihr aufflammte, das sie seit Alfies Geburt vergessen und begraben geglaubt hatte.

Abrupt schwang Alejandro sie herum, sodass sie nun zwischen dem Wagen und seinem muskulösen Körper gefangen war. Als er sich der Länge nach an sie presste, entschlüpfte ihr ein Seufzer, denn das war genau das, wonach sie sich in diesem Moment sehnte. Und wenn diese Sehnsucht sie erst einmal in den Klauen hielt, kannte sie keine Scham. Ihr Puls raste, ihr Atem ging ebenso schnell, als Alejandro sich unmissverständlich an ihr rieb. Hitze floss in ihrem Schoß zusammen.

„Por Dios! Vamonos … gehen wir“, sagte er heiser. Er zog sie von der Kühlerhaube hoch und öffnete mit der gleichen Bewegung die Beifahrertür, um Jemimas widerstandslosen Körper dann auf den Ledersitz zu drücken.

Gehen wir … Wohin? hätte sie fast geschrien, doch sie hielt die Worte zurück. Musste die verräterische Frage zurückhalten, wenn sie die Antwort doch längst kannte. Ihr Körper sehnte sich geradezu schmerzhaft nach ihm. Sie senkte den Kopf und verschränkte die Hände auf dem Schoß. Alejandro sollte nicht sehen, wie sehr ihre Finger zitterten. Sie hatte sich gezwungen, zu vergessen, wie diese Sehnsucht sich anfühlte, und sie wollte sich auch nicht daran erinnern. Dennoch konnte sie seinen Geschmack noch immer auf den Lippen schmecken, konnte das Gefühl seiner Hände auf der Haut spüren.

„Wir sollten darauf achten, uns in der Öffentlichkeit nicht zu berühren“, sagte er jetzt leise.

Jemima unterdrückte einen Fluch. Sie hasste sich dafür, dass sie ihn nicht von sich gestoßen hatte. Und wie hatte er es überhaupt wagen können, sie an sich zu ziehen? Warum hatte er ihr beweisen müssen, dass sie noch immer auf ihn reagierte? Damals, als sie noch zusammenlebten, hatte sie ihn immer gewollt. Das Verlangen war wie eine ständig nagende Gier gewesen. Nur in seinen Armen hatte sie sich sicher gefühlt, in seinen Armen hatte sie alles vergessen können. Doch diese Erinnerung würde sie niemals preisgeben. Um ihre aufgewühlten Emotionen zu kaschieren, setzte sie für die gesamte Fahrt zum Cottage eine steinerne Maske auf.

„Du hast mir noch immer nicht gesagt, wieso du hier bist“, beschwerte sie sich auf dem Weg zu ihrer Haustür.

„Wir reden drinnen.“

Sie musste sich eine beißende Bemerkung verkneifen. Alejandro übernahm in jeder Situation das Kommando. Dass er meist richtig damit lag, ärgerte sie nur noch mehr.

Im Haus entlohnte sie als Erstes den Babysitter. Audra wohnte nur ein Stück die Straße hinunter, und das Arrangement passte ihnen beiden gut.

„Lässt du immer ein Kind auf ein Kind aufpassen?“, wollte Alejandro wissen, als das junge Mädchen gegangen war.

„Nein, durchaus nicht“, erwiderte Jemima kühl. „Audra mag jung aussehen, aber sie ist achtzehn und macht eine Ausbildung zur Krankenschwester.“

Alejandro sah wohl keine Veranlassung, sich zu entschuldigen. Jemima zog ihre Jacke aus und hängte sie an den Haken. „Für einen Höflichkeitsbesuch ist es ein wenig zu spät.“ Sie vermied es, ihn anzusehen. Die Erinnerung an den heißen Kuss war noch zu frisch. Aber sie würde auch nicht nachgeben und jetzt die perfekte Gastgeberin spielen.

„Ich will meinen Sohn sehen.“

Das Bekenntnis, vorgebracht mit rauer Stimme, schlug mit der Macht einer Flutwelle über Jemima zusammen. Das Ergebnis des Vaterschaftstests lag also vor und hatte, wie nicht anders erwartet, ihre Behauptung bewiesen. Dennoch zeigte Alejandro nicht das geringste Anzeichen von Reue, obwohl eine Entschuldigung mehr als fällig wäre. Sie hob ihr Kinn. „Alfie schläft.“

„Ich sehe ihn mir auch an, wenn er schläft.“ Die Aufregung konnte er nicht verbergen.

Seine Miene rührte etwas tief in ihr an und ließ sie für einen Moment schwach werden … aber nur für einen Moment. „Als ich dir sagte, dass er dein Sohn ist, wolltest du mir nicht glauben.“

„Lass uns nicht länger darüber debattieren, jetzt kenne ich die Wahrheit. Seit heute Morgen weiß ich, dass er mein Kind ist. Ich kam, so schnell ich konnte.“

Seine Eindringlichkeit beunruhigte sie, auch wenn sie sich sagte, dass eine solche Reaktion wohl zu erwarten gewesen war. Schließlich hatte er gerade herausgefunden, dass er Vater war. „Ich führe dich nach oben“, bot sie an, in der Hoffnung, die Kontrolle über die Situation zurückzugewinnen.

Hinter Jemima ging Alejandro leise in das Kinderzimmer und trat an das Kinderbettchen, um den schlafenden Jungen zu betrachten. Mit den wirren dunklen Locken und den im Schlaf leicht geröteten Wangen sah Alfie in den Augen seiner Mutter wie ein Engel aus.

Lange blieb Alejandro so stehen, die Finger um den Gitterrand geklammert, die Wimpern gesenkt, sodass der Ausdruck in seinen Augen nicht zu erkennen war. Dann hob er abrupt den Blick zu Jemima. „Ich will ihn mit nach Hause nehmen, nach Spanien.“

Eine Erklärung, die sie traf wie ein Eimer kalten Wassers, sie schockierte und jähe Angst in ihr aufschießen ließ. Von der Tür aus konnte sie sehen, wie Alejandro einen letzten zärtlichen Blick auf seinen Sohn warf. Oh ja, Alejandro konnte zärtlich sein, doch war es ein Gefühl, das er nicht oft zeigte. An dem Tag, als sie ihm sagte, sie sei schwanger, hatte er sie auch mit diesem Blick angesehen. Und es war dieser Blick gewesen, der am Ende alles so schwierig gemacht hatte. Wie sollte sie ihre damalige konfuse Reaktion rechtfertigen, wenn Alfie heute der Dreh- und Angelpunkt ihrer Welt war?

Ich will ihn mit nach Hause nehmen, nach Spanien. Alejandros unmissverständliche Ankündigung hallte unablässig in ihrem Kopf wider, während sie die Treppe wieder hinunterstieg. Es war nur verständlich, dass Alejandro Alfie in seine Familie einführen und sicherstellen wollte, dass der Junge erfuhr, in welches Erbe er väterlicherseits hineingeboren worden war. Jemima ermahnte sich, nicht überzureagieren.

Dennoch hörte sie sich abrupt fragen: „Was meinst du damit, dass du ihn nach Spanien mitnehmen willst?“

Erst zog Alejandro sich den hellen Kaschmirmantel aus und legte ihn über eine Sessellehne, bevor er sich zu Jemima umdrehte. Der anthrazitfarbene, maßgeschneiderte Anzug betonte seine Statur und seine breiten Schultern. In seiner Miene zeigte sich keine Regung, aber in seinen Augen blitzte die Herausforderung.

„Ich kann dir das Sorgerecht für meinen Sohn nicht lassen“, erklärte er unumwunden. „Ich bin nämlich der Überzeugung, dass du ihm nicht die Gegebenheiten bieten kannst, die er braucht, um aufzublühen. Ich wünschte, ich könnte etwas anderes behaupten, ich habe wirklich keine Lust auf einen Streit um das Sorgerecht. Doch ich sehe keine andere Möglichkeit, will ich die Pflicht gegenüber meinem Sohn nicht vernachlässigen.“

„Wie kannst du es wagen!“, fuhr Jemima hitzig auf. Das Herz hämmerte ihr gegen die Rippen. „Ich habe deinen Sohn allein zur Welt gebracht, ohne jegliche Unterstützung, und seither sorge ich auch allein für ihn. Alfie ist ein glücklicher und ausgeglichener kleiner Junge. Du weißt überhaupt nichts über ihn, doch in der Minute, in der du von seiner Existenz erfährst, gehst du sofort davon aus, ich wäre eine unfähige Mutter.“

„Weiß er überhaupt von seinem Vater in Spanien? Lernt er die spanische Sprache? Kannst du ihm die notwendige Stabilität geben? Du bist nicht sehr verantwortungsbewusst.“

„Woher nimmst du dir das Recht, solche Behauptungen aufzustellen?“ Ungläubig ballte sie die Hände zu Fäusten.