Julia Extra Band 575 - Sophie Pembroke - E-Book

Julia Extra Band 575 E-Book

Sophie Pembroke

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Beschreibung

DAS GLÜCK KAM UM MITTERNACHT von SOPHIE PEMBROKE

Eine unglückliche Autorin und ein Witwer, der den Tod seiner Frau nicht überwunden hat, treffen in einer magischen Silvesternacht aufeinander. Im winterlichen Kopenhagen beginnen Ellie und Jesper, wieder an Wunder zu glauben. Doch kann diese Liebe ihre Herzen wirklich heilen?

SINNLICHE ENTSCHEIDUNG AUF SIZILIEN? von CAITLIN CREWS

Alceu Vaccaro ist reich, sexy – und unglaublich wütend. Nach ihrer ebenso sinnlichen wie folgenreichen Affäre will die selbstbewusste Dioni die Konsequenzen allein tragen. Für den befehlsgewohnten Millionär undenkbar! Also holt er Dioni zurück – in sein Anwesen auf Sizilien. Und sein Bett.

VERBOTENE KÜSSE IM ALPENGLÜHEN von MAISEY YATES

Die Unternehmer Florence und Hades sind am Tag erbitterte Rivalen – doch nachts ein perfektes Team. Natürlich darf keiner von ihrer heimlichen Liaison wissen. Doch dann geschieht etwas Unvorhergesehenes … Und in dem Chalet in den Schweizer Alpen lodert das Feuer zwischen ihnen immer heißer …

ZWISCHEN MEINER LIEBE UND DEINER KRONE von DANI COLLINS

Als Schauspielerin Lexi auf einer Gala bedroht wird, bekommt sie unerwartet Hilfe: Der charismatische Prinz Magnus zieht sie in seine starken Arme! Ist nur das Adrenalin schuld daran, dass sie sich danach verboten nahe kommen? Aber ein Leben im goldenen Käfig? Das ist nichts für Lexi!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 695

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Sophie Pembroke, Caitlin Crews, Maisey Yates, Dani Collins

JULIA EXTRA BAND 575

IMPRESSUM

JULIA EXTRA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/82 651-370 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Julia Fischer (v. i. S. d. P.)Grafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Bildredaktion)

Deutsche Erstausgabe 2025 in der Reihe JULIA EXTRA, Band 575

© 2025 by Sophie Pembroke Originaltitel: „Copenhagen Escape with the Billionaire“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Jennifer Britzen

© 2025 by Caitlin Crews Originaltitel: „Carrying a Sicilian Secret“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Martin Hengst

© 2024 by Maisey Yates Originaltitel: „Pregnant Enemy, Christmas Bride“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Susanne Hartmann

© 2024 by Dani Collins Originaltitel: „His Highness‘s Hidden Heir“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Jennifer Britzen

Abbildungen: Sanja Radin, MarcelloLand, Andreas Rose / Getty Images, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2025 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751534390

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Jegliche nicht autorisierte Verwendung dieser Publikation zum Training generativer Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) ist ausdrücklich verboten. Die Rechte des Autors und des Verlags bleiben davon unberührt. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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Sophie Pembroke

Das Glück kam um Mitternacht

1. KAPITEL

Ellie Peters wischte sich energisch eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann schob sie ihre verrutschte Lesebrille wieder hoch und richtete sich kerzengerade auf.

Und dann?

Griff sie doch lieber wieder zu der dampfenden Teetasse, anstatt sich endlich ihrem Laptop zu widmen, wo ein leeres Textdokument sehnsüchtig darauf wartete, mit allerlei Weisheiten zum Thema Glück gefüllt zu werden.

Bisher war es Ellie nicht gelungen, auch nur eine einzige Zeile des Manuskripts für ihr erstes Buch zu vollenden.

Dabei hatte doch alles so vielversprechend angefangen!

Der Verlag war von ihrem Exposé und der Idee eines Kopenhagen-Trips als Forschungsreise in Sachen Glückseligkeit so angetan gewesen, dass man ihr sogar einen großzügigen Vorschuss gewährt hatte. Und normalerweise hätte das genügt, um die stets pflichtbewusste Ellie sofort zur Tat schreiten zu lassen.

Es gab da nur ein klitzekleines Problem.

Wie um alles in der Welt sollte sie ein Buch über das Glück schreiben, wenn in ihrem Leben doch gerade alles schiefging?

Mann weg.

Freunde weg.

Das Haus so fürchterlich leer.

Und die Tätigkeit als Kulturredakteurin eines renommierten Hochglanzmagazins war plötzlich nur noch eine hohle Fassade.

Aber es half nichts: Der Verlag hatte gezahlt, also war Ellie nichts anderes übrig geblieben, als nach Dänemark zu reisen.

Nun war sie schon seit zwei Monaten in Kopenhagen.

Es war Silvester. Und die Deadline für ihr Buch rückte immer näher.

Aber die Worte wollten einfach nicht fließen.

Seufzend schloss Ellie das immer noch leere Dokument, wechselte zu ihrem Webbrowser und öffnete dann ihren Social-Media-Account. Sofort erschien eine Fotogalerie, die unzählige Bilder mit ihrem strahlenden Konterfei zeigte.

Ellie, noch vor der Scheidung, in ihrer Heimatstadt London. Schick herausgeputzt und umgeben von einer munteren Freundesschar.

Dann Impressionen von ihrer Reise nach Dänemark.

Und schließlich zahlreiche Selfies, die sie von sich in Kopenhagen geknipst hatte.

Alles Momentaufnahmen, die nicht für sie selbst, sondern ausschließlich für ihre Internet-Fangemeinde bestimmt waren.

Denn zur großen Freude ihrer Verlegerin war es Ellie gelungen, eine beträchtliche Anzahl von Followern für ihren Happy-Blog zu gewinnen, die sie nun mit regelmäßigen Postings über ihre Suche nach dem Glück auf dem Laufenden hielt.

Was für ein Glück, dass sich meine Schreibblockade anscheinend nicht auf meine Social-Media-Skills auswirkt, dachte Ellie erleichtert. Sonst hätte ich ja wirklich gar nichts vorzuweisen! Aber natürlich schreibt sich so ein Blog auch viel leichter als ein Buch. Da kann ich einfach auf die Reaktionen meiner Fans eingehen, wenn mir nichts mehr einfällt!

Und wie auf Kommando erschien in diesem Moment ein neuer Kommentar unter einem ihrer Fotos.

Hey, Ellie! Ich finde es super, dass du zu deinen grauen Haaren stehst! Ich färbe auch seit zwei Jahren nicht mehr. Und bereue nichts!

Ellie konnte es kaum fassen.

Da färbe ich mir eine Weile lang nicht die Haare, weil ich den hiesigen Friseuren nicht traue und die Anleitungen der dänischen Haarfärbemittel nicht verstehe. Und schon wird das als Pro-Aging-Attitüde verstanden!

Aber anstatt zu widersprechen, spielte sie einfach mit.

Denn ihre oberste Devise lautete stets: Tu alles, um deinen Mitmenschen zu gefallen!

Also schrieb sie Folgendes:

Persönliches Glück hat viel mit Authentizität zu tun. Ich bin jetzt vierundvierzig. Natürlich habe ich das eine oder andere graue Haar. Und bin verdammt stolz darauf!

Obwohl Ellie in Wirklichkeit ziemlich damit haderte, keine zwanzig mehr zu sein.

Aber so konnte sie sich wenigstens die weitere Suche nach einem kompetenten Haarstylisten ersparen. Und sich dabei gleichzeitig auch noch als entspanntes Vorbild für Frauen jenseits der vierzig präsentieren.

Da war ein wenig Flunkern doch gewiss erlaubt!

Doch dann packte sie wieder das schlechte Gewissen.

Was tue ich eigentlich hier? schalt sie sich schuldbewusst. Anstatt über Haarfarben zu philosophieren, sollte ich lieber endlich mit meinem Buch anfangen. Das schreibt sich schließlich nicht von allein!

Ellie rief erneut die leere Dokumentvorlage auf und starrte dann resigniert auf den vorwurfsvoll blinkenden Cursor.

Und war unglaublich erleichtert, als ihr Handy vibrierte.

Eine neue Nachricht. Da muss ich sofort nachsehen, redete sie sich ein. Schließlich könnte es etwas Wichtiges sein.

Hallo, Schwesterherz! Ich schreibe dir jetzt schon, weil das Handynetz wegen all der Neujahrswünsche, die um Mitternacht verschickt werden, bestimmt überlastet sein wird. Ich möchte nur, dass du weißt, wie stolz ich auf dich bin. Du hast es geschafft, dich von der ganzen Sache mit Maisie und Dave nicht unterkriegen zu lassen. Das war eine reife Leistung!

Es ist schön, zu sehen, wie viel Spaß du in Kopenhagen hast. Du musst mir unbedingt alles im Detail erzählen, wenn du wieder zurück in London bist. Bis dahin, mach einfach weiter so … Und such dir einen heißen Kerl, den du um Mitternacht für mich küssen kannst!

Alles Liebe, Sarah

Na, dann macht meine Dänemarkreise wenigstens eine glücklich, dachte Ellie missmutig.

Denn nichts von dem, was Sarah da schrieb oder was auf den heiteren Blogfotos zu sehen war, entsprach der Wahrheit.

Ellie amüsierte sich kein bisschen.

Und ihre angebliche Glücksexpedition nach Kopenhagen war eigentlich weder Geschäftsreise noch Selbstfindungstrip.

Sondern eine Flucht.

Vor der „Sache“ mit Maisie und Dave, die ihr in Wirklichkeit immer noch schwer zu schaffen machte.

Da summte das Telefon erneut – noch eine Nachricht von Sarah.

Ich weiß, ich weiß … du willst dein persönliches Glück nicht mehr von irgendeinem Kerl abhängig machen. Aber ein wenig unverbindlicher Spaß hat noch niemandem geschadet … Also, amüsier dich gut, okay?

Zumindest in diesem Punkt gab sie ihrer Schwester recht. Ich werde mich auf keinen Fall noch mal derartig an einen Mann klammern, wie ich es bei Dave getan habe!

Ellie blickte auf die Uhr.

Der Nachmittag war wie im Flug vergangen, ohne dass sie es bemerkt hatte.

Hier in Kopenhagen war es manchmal schwer, die Tageszeit richtig einzuschätzen, weil die Sonne im Dezember erst sehr spät aufging und dann schon am frühen Nachmittag bereits wieder vom Horizont verschwand. Aber vermutlich waren die Wintertage in Dänemark wegen des ähnlichen Breitengrads auch nicht wesentlich kürzer als in London. Doch Ellie schien bereits diesen kleinen Unterschied deutlich zu spüren.

Darum war sie froh, dass sie für ihr Buchprojekt Dänemark und nicht den tiefsten Norden Finnlands ausgewählt hatte. Zwar hatte eine Umfrage die Finnen gerade zum glücklichsten Volk der Erde gekürt. Aber es war Ellie ein absolutes Rätsel, wie sie das mit gerade einmal drei Stunden Tageslicht überhaupt zustande brachten.

Dänemark war wegen der längeren Helligkeitsperioden und gemäßigteren Lebensumstände viel besser für ihr Vorhaben geeignet.

Und besonders Kopenhagen war schlicht wundervoll.

Ellie hatte bereits einen Großteil der Stadt zu Fuß erkundet. Und war äußerst angetan von dem, was sie dabei entdeckt hatte. Allerdings erschloss es sich ihr immer noch nicht ganz, was es genau war, dass die Dänen gleich hinter den Finnen auf Platz zwei des weltweiten Glücksrankings landen ließ.

Und jetzt, da bereits die Hälfte ihres Aufenthalts verstrichen war, befürchtete sie, dass es ihr vielleicht niemals gelingen würde, hinter das Geheimnis skandinavischer Glückseligkeit zu kommen.

Egal, wie lange sie sich auch dort aufhielt.

Natürlich hatte sie sämtliche Studien gelesen, die die großartige Work-Life-Balance, die umfassende Unterstützung für Familien und das exzellente dänische Gesundheitssystem lobten.

Nur gingen all diese Vorteile an ihren Bedürfnissen als kerngesunde, frisch geschiedene, kinderlose Freiberuflerin völlig vorbei.

Seufzend erhob sich Ellie von ihrem Stuhl.

Na ja, eine Chance habe ich noch, überlegte sie mit einem letzten Funken Hoffnung. Wenn mir überhaupt jemand etwas über die dänische Glückseligkeit beibringen kann, dann wohl Lily und Anders.

Ihre beste Freundin hatte sich Hals über Kopf in einen stattlichen Wikinger verliebt und war direkt nach der Hochzeit zu ihm nach Kopenhagen gezogen. Und nun hatten sie und ihr Mann Ellie zu ihrer Silvesterparty eingeladen.

Nichts Großes, hatte ihr Lily versichert. Nur wir drei und eine Handvoll unserer Kopenhagener Freunde.

Und weil Ellie keine passende Ausrede eingefallen war, hatte sie eben zugesagt.

Wer weiß, dachte sie nun, verzweifelt um Optimismus bemüht, vielleicht finde ich auf dieser Party ja auch endlich die Informationen, die ich brauche, um das dänische Glücksrezept zu entschlüsseln …

Zumindest war die Vorstellung, das neue Jahr mit Anders und Lily einzuläuten, immer noch tausendmal besser, als hier allein in der kleinen, für ihren Dänemarkaufenthalt gemieteten Wohnung weiter vor sich hinzuversauern, bis die Uhr endlich Mitternacht schlug.

Und wenn dabei ein paar Ideen für ihr Buch heraussprangen, umso besser!

Vielleicht wird ja doch noch alles gut, versuchte sie sich einzureden. Ich muss nur darauf achten, dass mir nicht wieder ein Kerl in die Quere kommt, der all meine hochfliegenden Zukunftspläne zunichtemacht!

Nachdem Jesper Mikkelsen sich auf dem Designersessel im Büro seines Schwagers niedergelassen hatte, trommelte er ungeduldig mit den Fingern auf der Armlehne des schicken Möbels herum.

Und hing seinen trüben Gedanken nach.

Streng genommen müsste ich jetzt wohl eher Ex-Schwager sagen, dachte er fatalistisch. Oder bleibt es beim gleichen Begriff, selbst wenn einem die Frau einfach so wegstirbt? Vielleicht sollte ich Will mal danach fragen …

Oder besser doch nicht.

Denn genau wie er selbst hatte Will den Tod von Agnes immer noch nicht verkraftet.

Da war es ratsam, das Thema nicht wieder anzuschneiden.

Unter anderem auch, weil heute der letzte Tag im alten Jahr war.

Nach drei Jahren tiefster Trauer hatte Jesper das Gefühl, dass niemand damit gedient war, weiter der Vergangenheit nachzutrauern.

Es war Zeit für einen Neuanfang.

Ohne Schuldgefühle.

Ohne Reue.

Aber warum war das nur so schwer?

In diesem Moment betrat Will das Zimmer. „Tut mir leid, dass du warten musstest“, meinte er entschuldigend und nahm hinter seinem Schreibtisch Platz. „Es ist zum Verrücktwerden. Da haben die Kunden ein ganzes Jahr Zeit, um ihre Angelegenheiten zu regeln. Und wann kommen sie zu mir? An Silvester!“ Er schüttelte ungläubig den Kopf.

„Mich wundert, dass du heute überhaupt im Büro bist“, erwiderte Jesper. „Braucht dein Göttergatte dich denn gar nicht bei den Vorbereitungen für eure legendäre Neujahrsparty?“

„Was kümmert dich das?“, fragte Will. „Du kommst doch eh nie vorbei.“ Er klang gekränkt. „Immer hast du irgendwelche Ausreden parat, warum du nicht mit uns feiern willst. Wenn du nicht bald mal wieder unter Leute gehst, wirst du noch zum verschrobenen Einsiedler.“

„Keine Sorge, das wird nicht passieren“, versicherte Jesper. „Ich habe wirklich genug Gesellschaft.“

„Ach ja?“, fragte Will und verschränkte die Arme. „Na, wenn das so ist, dann erzähl mir doch mal, wo du den heutigen Abend verbringen wirst.“

Seine Augen funkelten triumphierend. Denn er war fest davon überzeugt, dass Jesper den Jahreswechsel wieder einmal ganz allein in seinem Apartment absitzen würde.

Doch er wurde eines Besseren belehrt.

„Mein Freund Anders und seine Frau Lily haben mich zum Dinner eingeladen“, erzählte Jesper. „Keine große Sache. Es kommen nur ein paar Freunde. Und nach dem Essen geht es dann später noch in den Tivoli. Da sehen wir uns das Feuerwerk an.“

„Soso, es kommen also nur ‚ein paar Freunde‘“, wiederholte Will süffisant und grinste. „Ja, so sagt Matthew das auch immer, wenn er jemand verkuppeln will. Würde mich nicht wundern, wenn am Ende außer dir nur noch ‚ein‘ anderer Gast zur Party kommt. Und der ist attraktiv. Und ‚weiblich‘.“ Er zwinkerte verschwörerisch.

Doch davon wollte Jesper nichts wissen. „So etwas würde Anders niemals tun“, sagte er vehement. „Dafür ist er viel zu harmlos.“

Doch dann geriet er ins Grübeln. Denn Lily war da schon deutlich durchtriebener. Außerdem hatte Anders kürzlich erwähnt, dass eine von Lilys Freundinnen ihnen gerade einen Besuch abstattete. Ob sie wohl auch bei diesem Dinner anwesend sein würde?

Ach was, dachte Jesper. Bestimmt ist sie längst wieder abgereist!

Will grinste immer noch. „Tja, ich denke, das wird sich bald herausstellen, wie ‚harmlos‘ die ganze Sache wirklich ist. Wer weiß, vielleicht gibt es da am Ende sogar jemand, den du gern um Mitternacht küssen möchtest?“

„Dass ausgerechnet du mich dazu ermunterst, mich neu zu verlieben, ist erstaunlich“, meinte Jesper irritiert. Und sah Will herausfordernd an.

Doch der erkannte den Schmerz, der sich hinter Jespers abweisender Fassade verbarg. „Es ist jetzt drei Jahre her, Jesper“, sagte Will mitfühlend. „Du hast dich lange genug gequält. Du musst endlich wieder anfangen zu leben.“

Nein, widersprach Jesper in Gedanken. Nach allem, was ich Agnes angetan habe, verdiene ich es gar nicht, jemals wieder glücklich zu sein.

Außerdem war es viel zu riskant, sich erneut zu verlieben.

Denn die Erfahrung hatte ihn eins gelehrt: Wenn die Liebe stirbt, endet irgendwann alles in einer Katastrophe.

„Außerdem muss es ja nicht gleich die ganz große Liebe sein“, ergänzte Will gerade unbeirrt. „Glaub mir, es wird dir guttun, ein bisschen herumzuknutschen. Einfach nur so zum Spaß. Gönn dir ein paar Glücksmomente. Ich glaube, die hast du dringend nötig.“

„Ich weiß gar nicht, was du willst“, wehrte Jesper ab. „Es geht mir bestens.“

Also zumindest deutlich besser als in der Zeit, als ich mich ganz allein in die Wildnis zurückgezogen habe und mich die Trauer und die Schuldgefühle fast umgebracht haben, fügte er in Gedanken hinzu.

„Das hoffe ich wirklich sehr.“ Doch Wills Blick verriet, dass er Jespers Beteuerung nur wenig Glauben schenkte.

Das Apartment von Lily und Anders wirkte auf Ellie wie der Inbegriff eines typischen modernen skandinavischen Zuhauses. Überall klare Linien, helle Farben und nur vereinzelte nach Funktionalität und Design ausgewählte Möbelstücke. Dazu kleine heimelige Akzente wie Duftkerzen, eine flauschige Tagesdecke und das eine oder andere Kuschelkissen, um der reduzierten Form- und Farbgestaltung des Interieurs ein wenig die Strenge zu nehmen und für Wohlfühlatmosphäre zu sorgen.

Das Apartment war völlig anders als alle Wohnungen oder Häuser, die Ellie kannte. Und genau deshalb gefiel es ihr so gut.

Denn hier gab es keinen Platz für unschöne Erinnerungen an die Vergangenheit.

„Hygge ist das Zauberwort“, hatte Lily ihr erklärt, als Ellie die Wohnung zum ersten Mal betreten hatte. „Man kann das Wort nicht wirklich übersetzen, aber es hat viel mit Gemütlichkeit zu tun. Die Winter in Skandinavien sind lang und dunkel. Und eisig. Also ist es umso wichtiger, dass man ein kuschliges, warmes Zuhause hat, in dem man sich so richtig wohlfühlt. Und das Beste daran ist, dass man die Wohnung nicht mit irgendwelchem Schnickschnack vollstellen muss, um diesen Wohlfühleffekt zu erreichen. Da genügen schon wenige Details.“

Ein Beispiel dafür war die herrlich weiche, schneeweiße Wohnzimmercouch, auf der sich Ellie mit einem Glas Wein in der Hand niedergelassen hatte.

Lily hat recht, dachte sie zufrieden und schnappte sich noch ein Kanapee. In so einer Umgebung lässt es sich prima aushalten. Und ausreichend Platz für Besuch ist auch da.

Dann wurde sie stutzig.

„Sagt mal, wo bleiben eigentlich die anderen Gäste?“, fragte sie Anders und Lily.

„Ach, Jesper ist bestimmt gleich da“, erklärte Anders sofort. „Er musste noch zu einer Besprechung. Aber er hat versprochen, pünktlich zu sein.“

Und Ellie fiel fast das Kanapee aus der Hand, als sie erkannte, was Anders‘ Aussage bedeutete.

„Soll das etwa heißen, außer diesem Jesper kommt sonst niemand mehr?“, fragte sie entgeistert. „Aber ich dachte …“ Sie schnappte empört nach Luft.

„Oh, natürlich waren auch noch ein paar andere Leute eingeladen“, versicherte Lily schnell. „Aber die haben leider alle ganz kurzfristig abgesagt.“

Was Ellie ihr nicht im Geringsten abnahm.

Erst recht nicht, als sich Lilys Mann wieder zu Wort meldete.

„Ach wirklich?“, fragte Anders erstaunt. „Und ich dachte, es war von Anfang an geplant, dass wir nur Ellie und Jesper … aua!“ Er verstummte sofort, als Lily ihm ihren Ellbogen in die Seite rammte.

Ellie seufzte.

Denn nun gab es keinen Zweifel mehr.

Anders und Lily wollten sie tatsächlich mit diesem Jesper verkuppeln.

Und vermutlich war es zu spät, um noch zu flüchten. Denn es bestand die große Gefahr, dass sie dabei diesem Typ direkt in die Arme laufen würde.

Und das wäre viel zu peinlich gewesen.

Also beschloss Ellie, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

Und blieb einfach sitzen.

„Na schön, ihr habt gewonnen“, meinte sie gönnerhaft. „Also, dann erzählt mal: Wer ist dieser Jesper?“

Lily atmete erleichtert auf. „Er ist ein alter Freund von Anders“, erklärte sie dann eifrig. „Er ist nur für dieses Wochenende wieder in der Stadt. Wir haben Jesper eine ganze Weile nicht gesehen. Und wir dachten, es wäre schön, wenn er heute Abend auch kommt. Glaub mir, er wird dir gefallen!“ Nun strahlte sie vor Begeisterung.

Aber Ellie konnte ihren Enthusiasmus nicht teilen. Denn sie dachte gerade wieder an ihren Ex-Mann.

Die Männer sind doch alle gleich, dachte sie verbittert. Erst machen sie dir schöne Augen. Und später verlassen sie dich für eine Jüngere …

Doch dann rief sie sich energisch zur Vernunft.

Jetzt krieg dich mal wieder ein, Ellie! Du musst diesen Jesper ja nicht gleich heiraten. Ein wenig Flirten genügt fürs Erste. Und sieh es mal positiv: Selbst wenn die Chemie zwischen euch überhaupt nicht stimmen sollte, kannst du diese Erfahrung dann wenigstens noch als amüsante Anekdote in dein Buch einfließen lassen!

In diesem Moment klopfte es, und Lily eilte sofort zur Tür.

Ich habe gar nicht gefragt, wie Jesper überhaupt aussieht, dachte Ellie nervös. Ob er auch einer von diesen großen, blonden Wikingertypen ist? Die sind doch überhaupt nicht mein Fall.

Aber der Mann, der da mit Blumenstrauß und einer Flasche Wein im Arm ins Zimmer trat, entsprach keinem der üblichen nordischen Klischees.

Jesper war zwar groß und durchtrainiert, aber kein Hüne. Und sein leicht gewelltes Haar war auch nicht weizenblond, sondern hellbraun und ebenso wie sein kurz geschorener Bart bereits an manchen Stellen deutlich ergraut. Was einen interessanten Kontrast zu seiner gebräunten Haut und den strahlend blauen Augen bildete, um die sich zahlreiche Lachfältchen gruppierten.

Ellie geriet ins Schwärmen.

Der ist auch keine zwanzig mehr, dachte sie verträumt. Aber er sieht trotzdem absolut hinreißend aus. Wie macht er das nur?

Sie musterte beeindruckt Jespers ebenmäßige Gesichtszüge und seine perfekte Statur, die in dem maßgeschneiderten Anzug ganz besonders gut zur Geltung kam.

Nachdem er die Gastgeschenke an Lily und Anders überreicht hatte, trat Jesper auf sie zu.

Und Anders stellte sie einander vor.

„Jesper, das ist Ellie Peters, Lilys Freundin aus London. Ellie, darf ich dir Jesper Mikkelsen vorstellen? Wir kennen uns schon seit Schulzeiten.“ Dann lächelte er verschwörerisch. „Ach, und nicht vergessen, Ellie: Hier in Dänemark ist es üblich, dass man sich gleich duzt. Das hilft ungemein, um sich schnell näherzukommen. Wenn du verstehst, was ich meine …“ Dann zwinkerte er ihr verschwörerisch zu.

Jesper rollte die Augen. „Anders, du bist einfach unmöglich.“ Dann wandte er sich direkt an Ellie. „Vergiss einfach, was er gesagt hat.“ Dann streckte er die Hand zum Gruß aus. „Hallo, Ellie. Freut mich, dich kennenzulernen.“

Ellie stand auf und erwiderte seine Geste. Und als ihre Hände sich berührten, war es, als würde ein kleiner Funke überspringen. „H-hallo, Jesper“, stotterte Ellie überrascht. „Die Freude ist ganz meinerseits.“ Dann blickte sie schnell zu Boden. Denn sie wusste genau: Wenn sie nur noch einen Augenblick länger in Jespers schöne blaue Augen sah, dann war es um sie geschehen!

Schnell ließ sie ihre Hand wieder sinken, trat einen Schritt zurück und schwieg.

Dadurch entstand ein Moment der Stille, den Lily zu überbrücken versuchte, indem sie schnell wieder das Wort ergriff. „Ellie, Jesper hat mal eine Zeit lang in New York gelebt“, erklärte sie eifrig. „Du doch auch, nicht wahr?“

„Ja, das stimmt“, meinte Ellie zögerlich. „Aber das ist lange her.“

Damals sind Dave und ich noch glücklich gewesen, dachte sie wehmütig. Und wir haben uns einfach Hals über Kopf in das Abenteuer Big Apple gestürzt. Ach, was gäbe ich dafür, noch einmal so jung und optimistisch zu sein. Und vor allem so glücklich …

„Und jetzt hat es dich nach Dänemark verschlagen“, sagte Jesper.

Ellie gefiel der tiefe Klang seiner Stimme und der melodische skandinavische Akzent, der in beinahe jedem Wort mitschwang, wirklich enorm.

„Was hat dich hergebracht?“, fragte er nun.

Doch bevor sie antworten konnte, schaltete sich Anders wieder in das Gespräch ein. „Ellie will herausfinden, warum wir Dänen so glücklich sind!“, berichtete er vergnügt. „Ich habe ihr gesagt, dass es nur daran liegt, dass wir in einem Land voller Magie, Märchen und Mythen geboren sind. Aber anscheinend genügt das nicht, um daraus ein Buch zu machen.“

„Ich verstehe“, sagte Jesper ernst. Dann überlegte er einen Moment, bevor er fortfuhr. „Und? Wie weit bist du mit deinen Untersuchungen gekommen? Wenn es nicht nur am Zauber der Sagen liegt, warum sind wir Dänen dann so glücklich?“, fragte er eindringlich. Und sah in diesem Moment alles andere als glückselig aus.

Schlagartig erkannte Ellie, dass Jesper vielleicht so etwas wie eine verwandte Seele war. Denn die Dringlichkeit in seinem Blick vermittelte ihr, dass er sich wohl auf einer ganz ähnlichen Suche befand wie sie selbst.

Einer Suche nach dem Glück im Angesicht widriger Umstände.

Was ihn ihr auf Anhieb sympathisch machte.

Aber gleichzeitig brachte sie diese Erkenntnis auch mächtig auf die Palme.

Er wird dir gefallen, hatte Lily prophezeit.

Und damit wieder einmal goldrichtig gelegen.

Verdammt, dachte Ellie. Ich hasse es, wenn sie recht hat!

Sie ließ sich Jespers Frage einen Moment lang durch den Kopf gehen. „Wenn ich ehrlich bin, war es bisher schwer, geeignete Gesprächspartner zu diesem Thema zu finden“, gab sie zu. „Die echten Kopenhagener sind viel zu beschäftigt. Die Einzigen, die bereit waren, mit mir zu sprechen, waren ausländische Touristen. Und die sind nicht gerade Experten für das Glück der Dänen.“

Allerdings war das nur die halbe Wahrheit.

Denn in Wirklichkeit waren Ellies Bemühungen keine ernsthafte Recherche, sondern eher nur halbherzige Kontaktversuche gewesen, die immer wieder schnell im Sande verlaufen waren. Und irgendwann hatte ihr einfach die Energie dazu gefehlt, weiterzumachen.

Aber das wusste Jesper natürlich nicht.

Also lieferte er eine andere Erklärung für das Scheitern ihres Vorhabens. „Du hast einfach eine unglückliche Zeit für deine Recherchen erwischt“, war er überzeugt. „Im Winter tendieren wir Dänen dazu, uns nach der Arbeit ganz schnell in unser Zuhause zurückzuziehen, um uns dann dort ganz dem Hygge-Gefühl hinzugeben.“

„Ja, davon hat Lily mir schon erzählt“, erklärte Ellie. „Da geht es um Gemütlichkeit. Und die erreicht man, in dem man sich eine ganz besondere Art von skandinavischer Wohlfühloase schafft, die genau dieselben Eigenschaften hat wie dieses Sofa hier. Minimalistisch, aber trotzdem irgendwie kuschelig.“ Sie ließ sich wieder darauf nieder.

Und Jesper nahm neben ihr Platz. „Ja, in gewisser Weise ist das korrekt“, sagte er geduldig. „Aber zum Hygge-Gefühl gehört mehr als nur ein gewisses Ambiente. Wichtig ist vor allem, dass du deine Zeit mit den Menschen verbringst, die dir etwas bedeuten. Entweder du verbringst die kalte Jahreszeit in trauter Zweisamkeit mit deinem Partner. Oder du lädst Familie oder Freunde ein und genießt mit ihnen gutes Essen und interessante Gespräche.“ Er lächelte wehmütig. „Als ich weg war, habe ich das ganz schön vermisst.“

„Das kann ich gut nachvollziehen“, meinte Ellie verständnisvoll. „In den Staaten zu leben, muss eine große Umstellung gewesen sein.“ Denn sie wusste aus Erfahrung, dass die erfolgsbesessenen Amerikaner eine ganz andere Vorstellung von Work-Life-Balance hatten als die tiefenentspannten Dänen.

„Ehm, ja. Das kann man wohl sagen“, erwiderte Jesper schnell.

Und Ellie wurde das Gefühl nicht los, dass sie ihn gerade dabei ertappt hatte, wie seine Gedanken in eine verbotene Richtung gewandert waren.

Wahrscheinlich hat er eben gar nicht von seiner Zeit in Amerika gesprochen, vermutete sie insgeheim. Sondern von etwas ganz anderem …

Und das weckte ihre Neugier nur noch mehr.

Ja, dieser Jesper ist wirklich ein sehr interessanter Mann.

Und verflucht attraktiv noch dazu.

Und jetzt sah Ellie, wie Lily ihr quer durch den Raum äußerst vielsagende Blicke zuwarf.

Ich glaube, ich muss heute Abend vorsichtig sein, dachte Ellie nervös. Sonst tue ich noch etwas, was ich später bereue.

Aber irgendwie war diese Vorstellung nicht nur beängstigend, sondern auf seltsame Weise auch verlockend.

2. KAPITEL

Jesper lehnte sich ein wenig auf der Couch zurück, einen kleinen Teller mit Kanapees auf seinen Knien balancierend. Und immer dann, wenn Ellie gerade nicht zu ihm herübersah, musterte er sie mit interessierten Seitenblicken.

Er musste zugeben, dass diese Frau seine Neugierde weckte.

Und so etwas war lange nicht mehr vorgekommen.

Jesper fragte sich, ob sein Freund Anders das geahnt und ihn nur deshalb eingeladen hatte, um ein Treffen zwischen ihm und Ellie zu arrangieren.

Anders war schon immer sehr gut darin gewesen, ihn aus seinem Schneckenhaus zu locken. Bereits an der Uni hatte er Jesper oft von seinen Büchern weggelotst und auf Partys geschleppt. Und später hatte er den bekennenden Workaholic dazu genötigt, die Arbeit ab und zu für einen kleinen Angeltrip zu verlassen. Manchmal war es Anders sogar gelungen, dass Jesper ihm zuliebe extra aus Amerika angereist war, um die Feiertage bei ihm in Dänemark zu verbringen.

Und natürlich war er es auch gewesen, der ihm Agnes vorgestellt hatte.

Und jetzt war offenbar Ellie an der Reihe.

Denn natürlich war Jesper nicht entgangen, dass außer ihnen beiden keine weiteren Gäste anwesend waren.

Er blickte wieder zu Ellie, die sich ein wenig von ihm abgewandt hatte, um mit ihrer Freundin Lily zu sprechen.

Jesper mochte Lily sehr. Er fand, dass sein Freund Anders eine gute Wahl mit ihr getroffen hatte. Und bedauerte es immer noch, dass er damals nicht dazu imstande gewesen war, der Trauung beizuwohnen.

Ob Ellie wohl dabei gewesen ist? fragte er sich nun.

Aber natürlich. Schließlich stand dort drüben auf der Kommode ein gerahmtes Foto, das sie als Trauzeugin an der Seite von Lily und Anders zeigte.

Wenn ich zu dieser Zeit nicht gerade den Eremiten gespielt hätte, wären wir uns damals schon begegnet, überlegte Jesper. Vielleicht hätten wir Champagner getrunken. Und ein wenig geflirtet.

Doch das war wohl pures Wunschdenken. Denn die Trauer um Agnes war damals noch so stark gewesen, dass er gewiss nichts dergleichen getan hätte.

Aber vielleicht ist jetzt der richtige Moment gekommen, dachte er hoffnungsfroh. Will hat absolut recht. Ich muss mich endlich wieder daran gewöhnen, mit anderen Menschen umzugehen. Sonst werde ich irgendwann wirklich noch zum komischen Kauz!

Außerdem hatte Jesper das Gefühl, dass es nicht nur ihm, sondern auch Ellie guttun würde, wenn sie sich ein wenig annäherten. Denn er ahnte, dass mehr hinter ihrer „Forschungsreise“ zum Thema Glück steckte als nur ein simpler Buchauftrag.

Sie lief vor irgendetwas davon.

Und er wollte unbedingt herausfinden, was das war.

Doch bevor er sie noch einmal auf ihr Projekt ansprechen konnte, kam Anders ihm zuvor.

„Weißt du, Ellie, wenn du unbedingt mehr Dänen treffen willst, ist der Tivoli der ideale Ort dafür“, meinte er begeistert. „Klar, heute Abend werden da wieder viele Touristen sein. Aber eben auch dänische Besucher aus dem Umland. Wer weiß? Vielleicht ergibt sich ja das eine oder andere Gespräch?“

„Stimmt“, erinnerte sich Ellie. „Wir wollten uns ja das Feuerwerk ansehen.“ Dann überlegte sie. „Was tun die Dänen denn sonst noch so an Silvester?“

Jetzt ergriff Jesper das Wort: „Mein Schwager Will und sein Mann Matthew feiern jedes Jahr eine rauschende Party mit unzähligen Freunden. Von ihrer Dachterrasse aus hat man einen spektakulären Blick auf die Stadt.“

Ellie sah ihn erstaunt an. „Wenn diese Partys so toll sind, warum bist du dann heute nicht dort?“

„Na ja, eigentlich ist Will eher mein Ex-Schwager“, gestand er widerwillig. „Da fände ich es irgendwie seltsam, mit ihm zu feiern. Also bin ich stattdessen lieber zu Anders und Lily gekommen.“

Anders trat zu Jesper und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Gute Entscheidung, mein Bester. Denn sonst würde dir ja ein toller Ausflug ins Winterwunderland des Tivoli an der Seite unserer liebreizenden Ellie entgehen!“

Jesper musste schmunzeln.

Anders legte sich ja richtig ins Zeug, um Ellie anzupreisen.

Aber insgeheim musste er ihm recht geben: Sie ist wirklich entzückend.

Fasziniert nahm er wahr, wie der sanfte Kerzenschein die verschiedensten Farbnuancen von Gold bis Silber in ihr seidiges, braunes Haar zauberte.

Er fand es hinreißend, dass sie sich erst mit einer hastigen Geste eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht strich und dann verlegen ihre schönen, samtbraunen Augen senkte, als sie seine interessierten Blicke bemerkte.

Der Tivoli war ein absolutes Muss für jeden Kopenhagen-Trip.

Lily hatte erzählt, dass die Touristen im Sommer in Scharen dorthinströmten, um sich an Fahrgeschäften, Shows, Konzerten und mehr zu erfreuen.

Ellie hatte es sehr bedauert, dass ihr ein Besuch bisher verwehrt geblieben war, weil man den Park bereits im September für die kommende Wintersaison geschlossen hatte.

Darum war sie überglücklich gewesen, als sie von Lily erfahren hatte, dass der Tivoli zum Jahresende mit dem „Winterwunderland“ eine Sonderattraktion speziell für die Feiertage anbot und somit seine Pforten vorübergehend wieder öffnete.

Und was sie jetzt dort zu sehen bekam, war wirklich spektakulär.

Der ganze Tivoli war hell erleuchtet.

Überall an den Gebäuden und in den Büschen und Bäumen der Parkanlage erstrahlten bunte Lichterketten. Und auf den Plätzen sorgten kunstvolle Lichtinstallationen mit weihnachtlichen Motiven für eine hyggelige Atmosphäre.

Die zahlreichen bunten Karussells, auf denen juchzende Kinder zu munterer Weihnachtsmusik ihre Runden drehten, beschworen ein nostalgisches Jahrmarktsflair herauf. Und über allem schwebte der Duft von Bratäpfeln, Karamell und Vanille.

Während Anders und Lily forsch Arm in Arm vorausschlenderten, blieb Ellie ein wenig hinter ihnen zurück und hielt sich dabei stets in Jespers Nähe auf, um nicht im Getümmel verloren zu gehen.

Jetzt neigte er sich ihr gerade ein wenig entgegen, damit sie ihn trotz der lauten Geräuschkulisse verstehen konnte.

„Hier ist ganz schön was los, nicht wahr?“, bemerkte er amüsiert.

Ellie nickte zustimmend. „Oh ja. Aber, was denkst du? Kann der Tivoli mit dem Weihnachtsspektakel am Rockefeller Center in New York mithalten?“

Jesper schmunzelte. „Ich fürchte, darüber kann ich mir kein Urteil erlauben. Ich war noch nie dabei, wenn dort an der Plaza mit großem Tamtam die Christbaumbeleuchtung eingeschaltet wird. Und ich habe auch noch nie meine Runden auf der berühmten Eisbahn gedreht, von der alle so schwärmen.“

Ellie fasste sich dramatisch ans Herz. „Ist nicht dein Ernst! Was um alles in der Welt hast du denn sonst dort getan?“

„Ich habe immer gearbeitet“, erklärte Jesper schlicht. „Sogar an den Feiertagen.“

„Das war aber schrecklich undänisch von dir.“ Die Worte waren Ellie einfach so aus dem Mund gepurzelt. Und sie verzog das Gesicht, als ihr klar wurde, was ihr da gerade herausgerutscht war. „Tut mir leid, es war dumm, so etwas zu sagen. Vermutlich hat mir diese ganze Glückssuche und all das Hygge ein wenig den Kopf vernebelt.“

„Ist schon in Ordnung“, meinte Jesper. „Im Prinzip hast du ja recht. Eigentlich bin ich kein typischer Däne. Oder anders gesagt: So etwas wie den typischen Dänen gibt es vermutlich gar nicht. Wir sind schließlich alle Individuen. Und da variiert natürlich auch die Vorstellung von dem, was uns glücklich macht.“

„Das ist mir schon klar“, erklärte Ellie. „Und trotzdem scheint es bei euch einen gewissen Konsens darüber zu geben, was man für ein zufriedenes Leben braucht. Und das wollte ich genauer erforschen. Aber irgendwie komme ich nicht über die Sache mit den Kuschelkissen und den Wohlfühloasen hinaus …“

„Wie viel Zeit bleibt dir denn noch, um dem dänischen Glücksgeheimnis auf die Spur zu kommen?“, fragte Jesper.

„Noch etwa zwei Monate“, sagte Ellie und seufzte. „Aber wer weiß? Vielleicht bekomme ich ja hier im Tivoli die entscheidende Eingebung für mein Buch.“

„Was bedeutet, dass du gerade ebenfalls während der Feiertage arbeitest“, merkte Jesper an. „Wie undänisch von dir.“ Er grinste.

„Bei mir ist das was anderes“, widersprach Ellie. „Ich bin Autorin und damit immer im Dienst. Denn die Inspiration hält sich leider nicht an feste Zeitpläne.“

„Ach ja, die ‚Inspiration‘. Der Heilige Gral aller Künstler“, sinnierte Jesper. „Verzeih bitte, wenn ich das sage. Aber im Moment wirkst du mir nicht gerade wie von der Muse geküsst.“

Ellie lächelte verlegen. „Ich fürchte, damit triffst du den Nagel auf den Kopf.“

In diesem Moment kam ihnen eine Gruppe von ausgelassenen Teenagern entgegen. Und es war allein Jespers exzellentem Reaktionsvermögen geschuldet, dass Ellie nicht mit ihnen zusammenstieß. Er zog sie blitzschnell aus dem Weg und legte dann schützend den Arm um sie.

Und Ellie durchfuhr ein wohliges Prickeln.

Eigentlich müsste ich mich dagegen wehren, dass er mich einfach so anfasst, dachte sie aufgeregt. Aber das wäre wirklich furchtbar britisch von mir …

Und so beschloss sie, einfach nur Jespers Nähe zu genießen.

Und ihn dabei noch ein wenig auszufragen.

„Sag mal, wie ist das? Schuftest du jetzt weniger, seit du wieder zurück in Dänemark bist?“

„Viel weniger“, meinte Jesper lachend. „Eigentlich habe ich das Arbeiten so gut wie aufgegeben.“

Ellie runzelte die Stirn. Sie war davon ausgegangen, dass Jesper seine Rückkehr nach Dänemark dazu genutzt hatte, um wieder zu einer gesunden Work-Life-Balance zurückzufinden. Aber jetzt schien es so, als hätte er ein Extrem gegen das andere eingetauscht.

Vom Workaholic zum Müßiggänger.

„Warum hast du New York überhaupt verlassen?“, wollte sie wissen. „War die Arbeit zu stressig?“

Plötzlich merkte Ellie, wie Jesper sich sichtlich verkrampfte.

Anscheinend hatte sie mit dieser Frage einen Nerv getroffen, und sie wartete gespannt auf seine Antwort.

Doch mit dem, was Jesper dann sagte, hätte sie niemals gerechnet.

„Ich habe meine Frau verloren“, sagte er leise. „Und dann war mir die Arbeit auf einmal egal. Und ich wollte nur noch weg.“

Zutiefst betroffen sah Ellie ihn an. „Oh, Jesper, das muss schrecklich für dich gewesen sein. Bitte verzeih, dass ich nachgefragt habe. Das war die Journalistin in mir, die manchmal nach Dingen fragt, die sie überhaupt nichts angehen.“

Jesper winkte ab. „Nein, ist schon okay. Frag ruhig.“

„Wann ist das passiert?“, fuhr Ellie mitfühlend fort. Denn es schien so, als hätte er den Verlust noch längst nicht verkraftet.

„Es ist jetzt drei Jahre her“, antwortete Jesper.

Sie wusste, dass die Trauer um einen geliebten Menschen sehr lange andauern konnte.

„Du musst sie sehr geliebt haben“, sagte sie deshalb sanft. „Es tut mir so leid für dich.“

Und plötzlich kam ihr die ganze Sache mit der Glücksforschung total lächerlich vor.

Vielleicht ist es besser, wenn ich diese Schnapsidee aufgebe und sofort nach London zurückfliege, dachte sie resigniert. Selbst wenn ich dann am Ende mit leeren Händen vor meiner Verlegerin stehe.

Doch dann fiel ihr wieder ein, dass das wegen der verdammten Hochzeit keine Option war.

Sie konnte jetzt noch nicht zurück. Denn dann tat sie nur wieder das, was ihre Familie von ihr verlangte.

Und das kam überhaupt nicht infrage!

Jesper war zwar schon oft in seinem Leben im Tivoli gewesen. Aber noch nie an Silvester oder Neujahr. Er hatte es immer als Zeitverschwendung empfunden, solche Feiertage an einem öffentlichen Ort zu zelebrieren.

Aber nun war alles anders.

Denn er hatte das Gefühl, dass es für ihn im Moment nichts Wichtigeres gab, als genau hier an diesem Ort zu sein und mit Ellie zu reden.

Sie faszinierte ihn ungemein.

Und das lag nicht nur daran, dass sie so gut aussah.

Es gefiel ihm, wie wissbegierig sie war. Und dass sie, immer dann, wenn sie etwas besonders interessierte, regelrecht aufblühte.

Es war schön, sie so zu sehen. Aber manchmal schien es ihr schwerzufallen, ihrem Enthusiasmus freien Lauf zu lassen. Als ob sie irgendetwas belastete …

Da war natürlich die Sache mit dem Buch.

Aber das war offenbar nicht alles.

Und dann erkannte Jesper endlich, wo das Problem lag.

Ellie ist unglücklich, schoss es ihm durch den Kopf. Kein Wunder, dass sie ihr Buch über das Glück nicht fertigbekommt!

Inzwischen hatten sie die Eisbahn des Tivoli erreicht, die mit großen roten Schleifen und Glitzergirlanden festlich geschmückt war.

Während Lily und Anders kurz verschwanden, um ein paar Snacks an den Verkaufsständen zu holen, stellten sich Ellie und Jesper an die Bande und sahen den Schlittschuhläufern zu, die begeistert ihre Runden auf dem Eis drehten.

„Sie sehen glücklich aus, oder?“, stellte Ellie fest und sah zu Jesper.

„Ja, durchaus“, stimmte er zu. „Obwohl sie doch eigentlich kein bisschen vorwärtskommen. Denn sie drehen sich ja immer nur im Kreis.“

Er meinte das als Scherz.

Aber Ellie wurde plötzlich ganz ernst. „Klingt nach einer Metapher für mein bisheriges Leben.“ Und als Jesper sie daraufhin besorgt ansah, schenkte sie ihm ein verlegenes Lächeln. „Also, was ich damit sagen will, ist Folgendes: Es kommt vor, dass du dein Leben lebst und denkst, alles ist im Lot. Und dann stellst du fest, dass du eigentlich die ganze Zeit auf dem falschen Weg unterwegs warst.“

„Oder dich nur im Kreis bewegt hast“, ergänzte Jesper und nickte.

„Ganz genau.“ Ellie drehte eine spielerische Pirouette, um der Situation offenbar die Bedeutungsschwere zu nehmen. Und in diesem flüchtigen Moment wirkte sie so unbeschwert wie ein Kind.

Doch dann stand sie auf einmal wieder reglos da und sah wehmütig in Richtung Eisbahn.

„Würdest du es gern einmal versuchen?“, fragte Jesper und zeigte auf die Schlittschuhläufer.

Ellie dachte kurz über seinen Vorschlag nach. Doch dann schüttelte sie den Kopf. „Besser nicht. Ich würde nur hinfallen. Es ist Jahre her, als ich das letzte Mal auf dem Eis stand.“

„Na, dann wird es aber höchste Zeit, es mal wieder zu versuchen“, beharrte Jesper. „Also, das Schlittschuhlaufen natürlich, nicht das Hinfallen.“ Er sah Ellie aufmunternd an. „Ich komme auch mit, wenn du willst.“

Sein Angebot schien Ellie zu überraschen.

Und Jesper bekam den Eindruck, dass er es hier mit einer Frau zu tun hatte, die sich stets nach den Wünschen anderer richtete. Und die dabei ihre eigenen Bedürfnisse vergaß.

„Weißt du, manchmal kann es auch schön sein, sich einfach nur im Kreis zu drehen“, sagte er sanft. „Man muss nicht immer vorwärtskommen.“

„Kann sein.“ Sie hielt seinem Blick für einen kurzen Moment stand.

Und Jesper hoffte, dass sich gerade so etwas wie eine Verbindung zwischen ihnen entwickelte.

Aber dann schaute sie zur Seite und setzte wieder dieses unechte Alles-ist-bestens-Lächeln auf.

Und der magische Moment war vorüber.

„Lily! Anders! Hier sind wir!“, rief sie enthusiastisch und lief dann zu ihren Freunden, die gerade mit Köstlichkeiten beladen von den Verkaufsbuden zurückkehrten.

Und Jesper folgte ihr nachdenklich.

Wie kann sie erwarten, jemals glücklich zu werden, wenn sie sich selbst kleine Freuden versagt? überlegte er. Sie braucht dringend jemand, der ihr wieder beibringt, was Frohsinn ist!

Und dann fasste er einen Entschluss.

Lily und Anders hatten nicht zu viel versprochen. Die dänischen Leckereien, die sie für Jesper und Ellie mitgebracht hatten, waren wirklich köstlich. Egal, ob Süßes wie Baumkuchen und Punschrollen oder Herzhaftes wie die winzigen Fischfrikadellen oder die berühmten dänischen Hotdogs: Alles schmeckte vorzüglich.

Nachdem alle satt und zufrieden waren, schlenderten sie weiter gemeinsam durch den Park, um den besten Aussichtspunkt für das Tivoli-Feuerwerk zu finden, das bereits um elf abgeschossen wurde, damit es nicht in dem pyrotechnischen Getöse unterging, das um Mitternacht losbrechen würde.

Anders fand, dass Lily es dabei ein wenig übertrieb. „Die Raketen werden ganz hoch in den Himmel geschossen“, merkte er an. „Die sieht man doch von überall.“

„Klar. Aber ich möchte uns ein ganz besonders schönes Plätzchen suchen … Wie wär’s denn dort drüben?“

Und schon stürmte sie wieder los.

Und zog Ellie dabei hinter sich her.

Jesper und Anders folgten kopfschüttelnd.

Zu guter Letzt hatte Lily endlich den perfekten Ort auserkoren. Und sie fanden sich gerade noch rechtzeitig am Areal bei der großen Open-Air-Bühne ein, um den Start der ersten Raketen mitzuerleben.

Begeistert reihten sie sich in die Menge der Schaulustigen ein, die das bunte Spektakel mit lauten Oh- und Ah-Rufen begleiteten.

Als Ellie von den Umstehenden gegen Jesper gedrückt wurde, legte er wieder seinen Arm um sie.

Sie lächelte ihn kurz an, wandte sich dann aber sofort wieder dem farbenfrohen Feuerwerk am Himmel zu.

Jesper hingegen hatte nur Augen für sie.

3. KAPITEL

Das Feuerwerk war wirklich sehr schön gewesen. Aber Ellie war trotzdem froh, dass sie sich nun alle wieder auf den Weg zu Lilys und Anders’ Apartment machten, um dort mit Champagner auf das neue Jahr anzustoßen.

Sie redete sich ein, dass das nur daran lag, dass es draußen so kalt war und ihr das Gedränge der Menschenmassen im Tivoli langsam ein wenig zu viel wurde.

Aber eigentlich wollte sie nur weg, weil sie keine Minute länger so nah bei Jesper stehen konnte, ohne auf dumme Gedanken zu kommen.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Lily, die Ellies verklärten Blick bemerkt hatte, und hakte sich bei ihr unter.

„Was?“, fragte Ellie zerstreut. „Ach, so … Ja, alles bestens. Ich denke nur nach. Über das neue Jahr und so.“

„Und darüber, wen du vielleicht an Mitternacht küssen könntest?“, flüsterte Lily ihr ins Ohr und kicherte.

Ellie sah sie entgeistert an. „Anscheinend hat Sarah gleich eine Rundmail an alle geschickt. Die kann was erleben!“

„Sie meint es doch nur gut“, sagte Lily beschwichtigend. „Und du musst zugeben, dass Jesper wirklich ein ganz Süßer ist. Schön, dass ihr euch so gut versteht.“

„Ja, er ist wirklich ein interessanter Gesprächspartner“, musste Ellie zugeben, konnte sich dann aber einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen. „Was für ein Glück für dich und Anders, dass er mir heute Abend Gesellschaft leistet. Sonst hättet ihr mich am Ende noch allein bespaßen müssen. Wo doch sonst alle ‚abgesagt‘ haben.“ Sie betonte das Wort explizit, um Lily zu zeigen, dass sie ihr kleines Spiel durchschaut hatte.

Doch Lily ging gar nicht erst darauf ein und klatschte stattdessen begeistert in die Hände. „Wie schön, dass alles so gut geklappt hat! Ja, ich weiß, du hast es nicht gern, wenn man dir einfach so fremde Leute vorsetzt. Aber ich hatte so ein Gefühl, dass du und Jesper gut miteinander auskommen würden. Und wenn du immer noch jemanden suchst, mit dem du über das Thema Glück philosophieren kannst, wäre Jesper genau der Richtige. Er kennt nämlich beides: Glück und Unglück.“

„Gut, ich werde darüber nachdenken“, versprach Ellie. Sie war froh, dass Lily nicht wusste, wie wenig ihre Recherchen bisher ergeben hatten.

Wieder zurück im Apartment, zauberte Anders eine große Champagnerflasche hervor. Und dann standen sie, mit gefüllten Gläsern in der Hand, auf dem kleinen Balkon und zählten laut den Countdown bis Mitternacht herunter.

„Zehn!“ Lily kletterte auf einen kleinen Hocker, um von ihrem Platz am Fenster über die Köpfe der anderen hinwegblicken zu können. Und schwankte dabei so, dass sie fast ihren Champagner verschüttete.

„Neun!“ Anders legte seinen Arm um Lilys Taille und zog seine Frau an sich.

„Acht!“ Ellie beobachtete ihre Freunde amüsiert und lächelte dann Jesper zu.

„Sieben!“ Ihr stockte der Atem, als ihre Blicke sich trafen.

„Sechs!“ Sie zählte weiter, konnte aber nur noch an Jespers Augen denken.

„Fünf!“ Und das Funkeln darin.

„Vier!“ Das war alles Sarahs Schuld. Und Lily war auch nicht besser. Ohne die beiden wäre Ellie nie auf die Idee gekommen, einen fremden Mann zu küssen.

„Drei!“ Und jetzt wollte sie nichts anderes lieber tun als das.

„Zwei!“ Ellie befeuchtete ihre Lippen mit der Zungenspitze.

Als sie zu Jesper sah, bemerkte sie, dass er schlucken musste. Aber er hielt ihren Blick gefangen.

„Eins!“ Vielleicht bin ich nicht die Einzige, die an Mitternachtsküsse denkt …

„Frohes neues Jahr!“, riefen alle durcheinander, während das Silvesterfeuerwerk mit allen nur erdenklichen Farb- und Soundeffekten am Himmel explodierte.

Dann fielen Anders und Lily sich selig in die Arme.

Doch Ellie bekam das nicht mit, weil sie nur Augen für Jesper hatte.

Und darauf wartete, dass er endlich die Initiative ergriff.

„Frohes neues Jahr, Ellie“, sagte er leise und lehnte sich vor, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben. Doch dann zögerte er, strich sanft mit seiner Hand über ihr Gesicht und sah Ellie dabei fragend an.

Und als sie ihm aufmunternd zunickte, geschah endlich das, worauf sie so sehnlich gewartet hatte.

Jesper küsste sie.

Und zwar richtig!

Und während sie sich seinem Kuss hingab, fühlte sich Ellie Peters zum ersten Mal seit langer Zeit wieder so richtig lebendig.

Zwei Tage später musste sie immer noch an diesen Kuss denken.

Also, natürlich nicht nur an den Kuss.

Sondern auch an den zugehörigen Mann.

Sie rief sich in Erinnerung, was Jesper zu ihr gesagt hatte, bevor er sich in den frühen Stunden des Neujahrsmorgens in sein Hotelzimmer verabschiedet hatte.

„Es hat mich wirklich sehr gefreut, dich kennenzulernen, Ellie“, hatte er versichert. „Und … falls du mal Hilfe bei deiner Suche nach dem Glück brauchen solltest, ruf mich an. Ich bin da so etwas wie ein Experte.“

Dann hatte er ihr aufmunternd zugenickt und war gegangen.

Und Ellie hatte verzweifelt versucht, ihn sich aus dem Kopf zu schlagen.

Denn ein neuer Mann in ihrem Leben würde sicher nur alles noch komplizierter machen.

Und dabei hatte sie doch auch so schon genug Probleme!

Mit Grauen dachte sie an die drei E-Mails von ihrer Verlegerin, die immer noch unbeantwortet in ihrem Posteingang lagen.

Denn Ellie hatte keine Ahnung, wie sie auf die Frage nach dem Stand des Buchs reagieren sollte.

Und dann klingelte zu allem Übel auch noch ihr Telefon.

Keine SMS. Keine E-Mail.

Nein, ein waschechter Anruf.

Ellie fürchtete, dass ihre Verlegerin nun auf diesem Weg nachhaken wollte. Aber als sie auf dem Display sah, wer anrief, war das fast noch schlimmer.

Ergeben atmete sie tief durch und nahm das Gespräch an.

„Hi, Mum. Was gibt’s?“

„Jetzt tu doch nicht so“, meinte Tracy Peters empört. „Du weißt doch genau, dass wir vor der Hochzeit noch eine Menge zu besprechen haben.“

Die Hochzeit von Maisie, meiner jüngeren Halbschwester, und Dave, meinem Ex-Mann.

Dies war der wahre Grund dafür, warum sich Ellie überhaupt zu der Reise nach Dänemark durchgerungen hatte.

„Mum, ich habe es dir doch schon hundertmal gesagt: Ich kann nicht zur Hochzeit kommen, weil ich gerade aus beruflichen Gründen in Dänemark bin“, erklärte sie ungehalten.

„Oh Ellie“, seufzte Tracey. „Das ist doch kein Hinderungsgrund. Dann kommst du eben früher nach London zurück. Tom und ich würden sogar die Kosten für deinen Rückflug übernehmen, falls es da ein Problem geben sollte.“

Aber hier ging es nicht um irgendwelche finanziellen Engpässe.

Sondern einzig und allein darum, dass Ellie einfach nicht bei der Hochzeit dabei sein wollte.

Und das wusste ihre Mutter auch ganz genau.

Nur wollte sie es immer noch nicht wahrhaben, sondern war fest entschlossen, ihren Kopf durchzusetzen.

„Weißt du, Ellie, wir finden alle, dass du in Bezug auf diese Hochzeit viel zu sensibel reagierst.“

„Nein, das tue ich gar nicht“, widersprach Ellie vehement, um Contenance ringend. „Ich habe nur gerade Wichtigeres zu tun. Und darum werde ich noch eine Weile hier in Dänemark bleiben.“

Ellies Mutter schnaufte empört ins Telefon. „Was könnte denn im Moment wichtiger sein als die Hochzeit deiner Schwester? Willst du ihr etwa den schönsten Tag im Leben ruinieren?“

„Sie ist meine Halbschwester“, korrigierte Ellie. „Und wenn hier irgendjemand etwas ruiniert hat, dann wohl Maisie! Und zwar, als sie mir Dave einfach so ausgespannt hat.“

Für ein paar Sekunden blieb es still in der Leitung.

Offenbar war ihre Mutter von diesem Ausbruch schockiert.

Doch zu Ellies Verdruss erholte Tracey Peters sich ganz schnell wieder. „Das ist doch blanker Unsinn! Du weißt genau, dass Maisie erst, lange nachdem Dave sich von dir getrennt hatte, mit ihm zusammengekommen ist“, behauptete sie. „Und sie will unbedingt, dass du bei der Hochzeit dabei bist. Sonst denken die Leute am Ende noch, dass du ihr deinen Segen verweigerst.“

Und damit hätten sie verdammt noch mal recht! dachte Ellie wütend. Egal, was Mum sagt: Maisie hat mir den Mann weggeschnappt. Die verdient keinen Segen, sondern eher das genaue Gegenteil!

Aber das behielt sie lieber für sich.

Denn sie wusste genau, dass jede weitere Diskussion zwecklos war.

Ihre Mutter hatte sich auf Maisies Seite geschlagen.

Und daran war nichts mehr zu ändern, egal, welches Argument Ellie auch anbrachte.

„Ich will doch nur, dass sich meine Mädchen gut miteinander verstehen“, klagte Tracey Peters nun. „Was ist denn daran so falsch?“

Ellie seufzte. „Gar nichts, Mum.“

„Heißt das, du kommst?“

Nein, auf gar keinen Fall!

Aber auch das sprach sie nicht laut aus.

Stattdessen sagte sie: „Ich werde sehen, was sich machen lässt.“

Was ihre Mutter offenbar als Zustimmung auffasste.

„Dann sehen wir uns ja bald. Mach’s gut, mein Schatz“, verabschiedete sie sich überschwänglich von ihrer Tochter.

Sobald sie aufgelegt hatte, stöhnte Ellie genervt auf und vergrub das Gesicht in ihren Händen.

Und das Nächste, was sie dann hörte, war der Signalton, der den Eingang einer weiteren E-Mail auf ihrem Handy ankündigte.

Noch eine Nachricht von ihrer Verlegerin.

Ellie schüttelte frustriert den Kopf.

Es musste sich dringend etwas ändern. Nicht nur, was das Buch betraf. Oder die Sache mit der Hochzeit. Sie brauchte eine viel grundlegendere Veränderung in ihrem Leben.

Und dann tat sie direkt den ersten Schritt dazu, indem sie Lily anrief und um Jespers Telefonnummer bat.

Jesper hatte zwar darauf gehofft, von Ellie zu hören, es aber nicht wirklich erwartet.

In letzter Zeit versuchte er ohnehin, nicht zu viel von anderen Menschen zu erwarten. Denn er vertraute darauf, dass weniger Erwartungen gleichzeitig auch weniger Enttäuschungen bedeuteten.

Aber dann war nur zwei Tage später diese Textnachricht von Ellie gekommen, in der sie ihn um ein Treffen bat.

Und er hatte es nicht übers Herz gebracht, sie einfach so zu versetzen.

Schließlich hatte er ihr seine Hilfe ja angeboten. Also durfte er jetzt auch nicht kneifen.

Darum wartete er nun in seinem Kopenhagener Lieblingscafé darauf, dass Ellie ihm Gesellschaft leistete.

Schließlich erblickte er sie vor dem großen Panoramafenster des Cafés, wo sie kurz innehielt, um das Handy aus der Tasche zu ziehen und etwas zu überprüfen.

Bestimmt vergewissert sie sich gerade, ob sie am richtigen Ort ist, vermutete Jesper. Dabei müsste sie einfach nur hochschauen. Dann wüsste sie, dass sie hier richtig ist!

Doch Ellie konsultierte weiter das Display ihres Smartphones, nickte kurz und eilte dann durch die Eingangstür ins Café, wo sie sich suchend nach Jesper umsah.

Als er mit einem kurzen Winken auf sich aufmerksam machte, kam Ellie zu ihm und nahm Platz. „Hi“, sagte sie und lächelte verlegen. „Vielen Dank, dass du dich mit mir triffst.“

„Aber gerne doch“, meinte Jesper. „Wenn du willst, können wir auch gleich loslegen. Aber vorher musst du mir noch verraten, welchen Kuchen ich für dich bestellen soll. Und was du trinken möchtest.“

Ellie nahm die Speisekarte des Cafés in die Hand, verstand aber weder die Begriffe für die Heißgetränke noch die für den Kuchen oder das Gebäck.

Schließlich kapitulierte sie und meinte: „Ach, weißt du was? Überrasch mich einfach!“

Jesper bestellte, und wenig später erschien der Kellner mit einer dampfenden Kanne Mellemristet und einer überwältigenden Auswahl an hübsch dekorierten Blätterteigtörtchen, üppig gefüllten Plunderteilchen und mit buntem Zuckerguss glasierten Küchlein.

Als Ellie die kleinen Kunstwerke mit großen Augen bestaunte, musste Jesper schmunzeln. „Weil ich ja nicht wusste, was du magst, habe ich einfach eins von jeder Sorte bestellt. Außerdem wollte ich die Gelegenheit nutzen, um noch mal so richtig in Köstlichkeiten zu schwelgen. Morgen verlasse ich Kopenhagen nämlich wieder.“

„Stimmt, du lebst ja gar nicht mehr hier“, erinnerte sich Ellie und griff nach einer Zimtschnecke.

Jesper nickte. „Nein, nicht mehr. Ich bin in Kopenhagen aufgewachsen, habe aber zwischendurch auch mal in anderen Teilen des Landes gelebt. Nach unserer Hochzeit sind Agnes und ich dann nach New York gezogen. Und ich kam wieder zurück nach Dänemark, nachdem sie …“

Er brach ab.

Wir sind hier, um über das Glück zu reden, ermahnte er sich in Gedanken. Da kommt es bestimmt nicht gut an, wenn ich schon wieder über den Tod meiner Frau spreche. Obwohl es ausgerechnet dieses Unglück war, das mich letztlich wieder auf den richtigen Weg gebracht hat!

Ellie hatte aufmerksam zugehört. „Du wolltest also nicht wieder zurück nach Kopenhagen. Wo bist du denn stattdessen hin?“

„An die Küste Nordjütlands. Vier Stunden Fahrt von hier entfernt. Ich habe dort ein Ferienhaus am Meer.“

„Klingt traumhaft“, meinte Ellie versonnen und kostete von der Zimtschnecke. Dann seufzte sie hingebungsvoll. „Also, ihr Dänen versteht wirklich etwas vom Backen.“

„Du musst unbedingt einen Spandauer probieren“, empfahl Jesper und wies auf die quadratischen Blätterteigteilchen mit Marmeladenfüllung. „Die habe ich schon als Kind geliebt.“

„Gut, die versuche ich dann gleich als Nächstes“, versprach Ellie und überlegte kurz. „Also kommst du nur nach Kopenhagen, um irgendwelche Termine wahrzunehmen oder Freunde zu besuchen?“

„Ja, so ungefähr. Aber, wenn ich ehrlich bin, war ich vor diesem Besuch bei Anders und Lily eher selten hier.“ Jesper lächelte, als er sah, wie Ellie beherzt in einen Spandauer biss und dabei eine winzige Puderzuckerwolke aufstob. „Aber ich bin wirklich froh, dass ich hier bin.“

„Ich auch.“ Ellie leckte sich genussvoll den Puderzucker von den Lippen.

Und Jesper spürte, wie bei diesem Anblick ein wohliges Gefühl in ihm aufstieg.

Sofort musste er wieder an den Neujahrskuss denken.

Und als Ellie ihm einen Blick zuwarf, wusste er eins genau: Wenn ich nicht aufpasse, wird sie mich noch ganz schön in Schwierigkeiten bringen!

Für einen Moment vergaß Ellie all die dänischen Törtchen und verlor sich ganz in Jespers strahlend blauen Augen.

Ich hätte Lily nicht nach seiner Nummer fragen dürfen, dachte sie benommen. Und sich dann auch noch mit ihm in einem lauschigen Café zu treffen … Das war eine ganz schlechte Idee … Es wird höchste Zeit, dieses Treffen wieder auf eine rein geschäftsmäßigeEbene zurückzubringen. Schließlich sind wir nicht zum Vergnügen hier!

Ellie wandte den Blick ab und nahm dann schnell einen Schluck Kaffee, um sich zu fokussieren. Denn schließlich ging es um die Frage nach dem Glück!

„Also die Rückkehr nach Dänemark, das Haus in Jütland … das waren alles Etappen auf dem Weg zurück ins Leben nach dem schrecklichen Verlust, den du erlitten hast?“, fragte sie vorsichtig.

Vor ihrem Treffen im Café hatte Ellie ein paar Recherchen über Jesper angestellt. Und so einiges über seine überaus erfolgreiche geschäftliche Karriere in den Staaten erfahren.

Und über den Tod seiner Frau vor drei Jahren.

Ellie hatte sich ausführliche Notizen gemacht. Und dann Lily darum gebeten, ihr all das zu erzählen, was eben nicht in den Zeitungsartikeln und Internetberichten stand.

Etwa, was Jesper in den vergangenen drei Jahren so getrieben hatte. Und warum er sich trotz eines herben Schicksalsschlags dennoch als angeblicher Experte in Sachen Glück bezeichnete.

Lily hatte sich gesträubt, allzu viele Details über Jesper preiszugeben.

„Wenn du mehr über seine Vergangenheit wissen willst, dann frag ihn am besten selbst“, hatte sie gesagt, Ellie dann aber doch das eine oder andere im Vertrauen verraten.

Wie zum Beispiel, dass Jesper nach dem Tod seiner Frau völlig von der Bildfläche verschwunden war und sich auf eine regelrechte Odyssee begeben hatte, um sein Glück wiederzufinden.

Da haben wir etwas gemeinsam, hatte Ellie festgestellt. Allerdings hat er die Sache mit der Glückssuche anscheinend deutlich konsequenter durchgezogen als ich!

„Nachdem das mit Agnes passiert war, wollte ich einfach nur noch weg von allem, was mich an mein altes Leben erinnert hat.“ Während Jesper sprach, schob er die restlichen Krümel seines Streuselteilchens gedankenverloren auf dem Teller herum. „Ihr Tod hat dazu geführt, dass ich meine ganze Existenz infrage gestellt habe.“

Ellie nickte verständnisvoll. „Das kann ich gut nachvollziehen.“

Schließlich war sie aus einem ganz ähnlichen Grund nach Kopenhagen gekommen: um ihr altes Leben hinter sich zu lassen und neue Wege für sich zu finden.

Nur dass sie dabei bisher kläglich gescheitert war …

Jesper sah sie eindringlich an. „Sag mal, Ellie, warum bist du wirklich nach Dänemark gekommen?“

Sie blinzelte nervös. „Na, weil ich ein Buch schreiben will. Das habe ich dir doch schon erzählt. Oder hat Lily etwas anderes behauptet?“

Denn Lily wusste ja von der verdammten Hochzeit und kannte damit den wahren Grund für Ellies Flucht nach Kopenhagen.

Aber Ellie wollte auch nicht darüber reden – schon gar nicht mit Jesper. Denn wenn er wüsste, was für ein Feigling sie war, würde er sich vielleicht zurückziehen.

„Lily hat überhaupt nichts gesagt“, versicherte Jesper. „Ich überlege nur, warum du nach Kopenhagen kommst, um dein Glück zu suchen. Und nach zwei Monaten immer noch so lebst, als ob du gar nicht aus dem trübseligen Londoner Nebel herausgekommen wärst.“

Ellie fühlte sich ertappt. Denn Jesper hatte mit seiner Einschätzung absolut ins Schwarze getroffen.

„Ach, ich weiß auch nicht ...“, meinte sie ausweichend und sah verlegen zu Boden. „Ich gebe mir ja furchtbare Mühe, aber …“

Sie brach ab und seufzte resigniert.

Nach einer langen Pause meinte Jesper: „Du musst es mir nicht erzählen, wenn du nicht willst. Aber falls du doch reden möchtest, höre ich dir gern zu. Wer weiß, vielleicht können wir uns ja sogar gegenseitig helfen.“

„Ich dachte, du bist so etwas wie ein Guru auf dem Gebiet und hast das geheime Glücksrezept längst gefunden?“, platzte Ellie heraus. „Was könnte ich da groß für dich tun?“

Jesper musste lachen. „Also ‚Glücksguru‘ trifft es wohl nicht ganz. Aber ich denke schon, dass ich zumindest eine gewisse Zufriedenheitsstufe erreicht habe und nun mehr mit mir im Reinen bin als je zuvor. Allerdings wird es mir nach meiner Auszeit vermutlich schwerfallen, diesen Zustand auch im Alltag beizubehalten.“

„Lily hat mir erzählt, dass du dich nach Agnes’ Tod total zurückgezogen hast“, sagte Ellie sanft. „Stimmt das?“

„Ja, das könnte man so sagen“, meinte Jesper zögerlich. Und ließ ein paar Krumen des inzwischen völlig zerpflückten Streuselrests in seinem Mund verschwinden.

„Das heißt also: kein Besuch, kein Internet, keine Nachrichten, nichts?“

Jesper nickte.

Ellie war erstaunt. „So weit muss man also gehen, um sein Glück zu finden? Eine Weile allein zu sein, das kann ich mir noch vorstellen. Aber ganz ohne Internet oder Social Media ... Das geht bei meinem Beruf gar nicht.“

„Ich meinte ja auch nicht, dass du meine Vorgehensweise unbedingt exakt kopieren musst“, erläuterte Jesper. „Für mich war das damals das Richtige, um wieder zu mir selbst zu finden. Aber sich komplett zurückzuziehen und dabei absolute Funkstille einzuhalten, ist natürlich kein Muss.“

„Puh, da bin ich aber erleichtert“, meinte Ellie und legte den Kopf schief. „Aber was kann ich denn sonst tun? Ich meine, wenn das, was dir geholfen hat, kein Patentrezept ist, was kannst du mir denn sonst beibringen?“

„Nun, vielleicht gar nichts“, räumte Jesper ein. „Aber ich kann dir zumindest die Orte zeigen, die mir in meinen dunkelsten Momenten Trost gespendet haben. Und an denen ich erkannt habe, dass es nur eins im Leben gibt, was wirklich zählt: nämlich die Menschen, die dein Leben lebenswert machen.“

„Und das sagt ausgerechnet der Mann, der drei Jahre lang jeglichen Kontakt zur Außenwelt gemieden hat.“ Ellie schüttelte ungläubig den Kopf. „Erscheint mir nicht gerade schlüssig. Vor allem auch, weil ich feierlich geschworen habe, mein Glück niemals wieder von einer anderen Person abhängig zu machen. Denn beim letzten Mal ging das katastrophal schief.“

Jesper hob die Augenbrauen. „Klingt, als würde dahinter eine interessante Geschichte stecken.“

„Stimmt“, meinte Ellie. „Aber im Moment möchte ich wirklich nicht darüber sprechen.“

Und auf einmal war sie richtig stolz auf sich.

Erst das Telefongespräch mit Mum. Und jetzt die Reaktion auf Jespers Bemerkung. Anscheinend lerne ich endlich, wie man Grenzen setzt!

Jesper lenkte sofort ein. „Das respektiere ich natürlich. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, wenn man nicht über schreckliche Dinge sprechen kann oder will.“

Sie lächelten einander an.