Julia Herzensbrecher Band 31 - Ally Blake - E-Book
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Julia Herzensbrecher Band 31 E-Book

Ally Blake

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Beschreibung

DAS MEER, DER STRAND UND DU von Ally Blake
Maggie möchte wieder das Meer sehen! Entschlossen beauftragt sie den attraktiven Tom Campbell, den kleinen Dschungel zwischen ihrem Ferienhaus und dem Strand zu lichten. Der Mann für alle Fälle schenkt ihr mehr als einen bezaubernden Blick auf den Ozean. Doch er hat ein Geheimnis …

DIE GEHEIMEN KÜSSE DES MILLIONÄRS von MICHELLE CELMER
Der Millionär Brandon ist unglaublich von der leidenschaftlichen Medien-Managerin Paige fasziniert. Doch um deren Boss als Betrüger zu entlarven, spielt er den mittellosen Cowboy – und Paige ahnt nichts von seiner wahren Identität …

GLÜCKSSTERN ÜBER DER AKROPOLIS von DIANA HAMILTON
Wer ist der attraktive Fremde im Hof der Villa? Die Gärtnerin Maddie hält ihn für einen Hilfsarbeiter, bis sie erfährt, dass Dimitri Kouvaris ein reicher Reeder ist – und sicher unerreichbar für sie. Doch dann bittet er die Engländerin überraschend, in Athen zu bleiben. Als seine Frau!

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Ally Blake, Michelle Celmer, Diana Hamilton

JULIA HERZENSBRECHER BAND 31

IMPRESSUM

JULIA HERZENSBRECHER erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Neuauflage in der Reihe JULIA HERZENSBRECHER, Band 31 05/2023

© 2007 by Ally Blake Originaltitel: „Billionaire on her Doorstep“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Elke Schuller-Wannagat Deutsche Erstausgabe 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA EXTRA, Band 281

© 2011 by Harlequin Enterprises ULC Originaltitel: „Exposed: Her Undercover Millionaire“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Ute Augstein Deutsche Erstausgabe 2012 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe BACCARA, Band 1712

© 2006 by Diana Hamilton Originaltitel: „The Kouvaris Marriage“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Bettina Röhricht Deutsche Erstausgabe 2013 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe ROMANA EXTRA, Band 7

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2023 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751519717

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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Das Meer, der Strand und du

1. KAPITEL

Tom Campbell warf die Tür seines altgedienten Pritschenwagens zu, schloss sie aber nicht ab. Hier in Portsea lebten Ärzte, Anwälte und andere wohlhabende Bürger hinter hohen Zäunen in großen Häusern auf ausgedehnten Grundstücken mit eigenen Tennisplätzen und schicken Pools. Sie würden ihm bestimmt nicht das ziemlich ramponierte Vehikel entwenden.

Er schob den Werkzeuggürtel zurecht, hängte den rosa Kissenbezug mit alten Lappen über die Schulter und ging durch ein mit Moos bewachsenes Tor, auf dem ein Schild mit dem Schriftzug Belvedere prangte.

Weiter unten auf dem abfallenden Gelände sah er zwischen üppigem Laub weiß gestrichenes Holz und ein schiefergraues Dach, was für ein Haus am Strand nicht ungewöhnlich war. Unüblich war jedoch, dass der Besitz nicht total herausgeputzt und gepflegt war. Genauer gesagt, er war überhaupt nicht gepflegt.

Tom ging über die Zufahrt weiter, die mehr einem Feldweg ähnelte, bis sich ihm schließlich der Blick auf das Haus als Ganzes bot. Es wirkte, als wäre es über Jahrzehnte hinweg erbaut worden, wobei mehrere Architekten mit völlig verschiedenen Ideen das Sagen gehabt hatten. Auf mindestens fünf Ebenen erstreckte es sich auf dem sanft geneigten Hang über der Klippe. An den meisten Fenstern waren die grünen Läden geschlossen und offensichtlich schon lang nicht mehr geöffnet worden, wie man am Rost auf den Angeln erkennen konnte. Dichtes Gebüsch wucherte rings um das Haus.

Es hätte einen neuen Anstrich gut gebrauchen können – und der Garten etwas liebevolle Zuwendung sowie den energischen Einsatz einer Hacke. Der Besitz wäre der Traum eines jeden Restaurators, und das würde er, Tom, seiner Arbeitgeberin „Lady“ Bryce mitteilen, sobald er wusste, weshalb sie ihn engagiert hatte. Immerhin war er kein professioneller Gärtner, sondern nur ein „Mann für alles“, der verschiedenste Dinge erledigte.

Die Dame des Hauses kannte er bisher nur vom Sehen, wenn sie in ihrem schwarzen Jeep die Hauptstraße von Sorrento entlangfuhr – das Haar im Nacken gebunden, eine große Sonnenbrille vor den Augen und die Hände fest am Steuer. Das Etikett „Lady“ hatten ihr die Schwestern Barclay angehängt, denen der Kurzwarenladen gehörte und die pikiert waren, weil sie dieses Geschäft noch nicht mit ihrem Besuch beehrt hatte.

Zuerst hatte Tom überlegt, den Auftrag der Lady höflich abzulehnen und stattdessen lieber mehr Zeit fürs Angeln zu haben. Dann hatte er es jedoch wie üblich nicht geschafft, Nein zu sagen, wenn eine Frau ihn um Hilfe bat.

Sein Cousin Alex unterstellte ihm, stets wie ein Ritter in schimmernder Rüstung Frauen zu Hilfe eilen zu wollen, aber was wusste Alex denn? Der sollte sich lieber um seine eigenen Angelegenheiten kümmern!

Tom duckte sich unter einer niedrig hängenden Weinranke, ging vorsichtig weiter, um sich nicht den Knöchel zu verstauchen, und stand schließlich vor einer eindrucksvollen, drei Meter hohen, geschnitzten Haustür. Der rechte Türflügel war nur angelehnt, davor lag ein großer rotbrauner Setter, an dessen Halsband eine Plakette mit dem Namen Smiley baumelte.

„Du bist also Smiley, stimmt’s?“, meinte Tom.

Der Hund hob müde den Kopf und sah tieftraurig drein. Anscheinend freute er sich nicht über den unerwarteten Besucher.

„Ist die Dame des Hauses denn auch da?“, fragte Tom und streichelte dem Tier sanft den Kopf.

In dem Moment erklang von drinnen ein Krachen, gefolgt von einem Schwall höchst undamenhafter Flüche. Ja, die Besitzerin war unüberhörbar zu Hause.

„Hallo!“, rief er, aber drinnen blieb es nun still.

Da keine Klingel zu sehen war, stieg er schließlich über den melancholischen Hund hinweg und ging in die große Eingangshalle. Drinnen stand eine alte Gartenbank, auf der sich ungeöffnete Post stapelte, daneben fristete ein Farn in einem bunten Keramiktopf ein trauriges Dasein.

Wieder ertönte ein Fluch, diesmal etwas leiser, und Tom ließ sich davon zu einem Raum leiten, der offensichtlich einmal das Wohnzimmer gewesen war. Der Holzfußboden hätte eine Behandlung mit Bohnerwachs durchaus vertragen. Große Fenster, die vom Boden bis fast zur Decke reichten und an denen keine Gardinen hingen, boten einen durch Büsche teilweise verdeckten Blick auf die in der Sonne glitzernde, spektakuläre Bucht von Port Philip.

Unwillkürlich stellte er sich vor, was er aus diesem Besitz machen könnte, wenn er den ganzen Sommer Zeit hätte, dazu genug Geld und sein altes Team an der Seite. Dann schüttelte er den Kopf, wie um die dummen Gedanken zu vertreiben.

Der Raum war leer, es gab keine Möbel, keine Bilder, nichts. Nun ja, nicht absolut nichts: Eine Telefonschur schlängelte sich zur gegenüberliegenden Wand, wo auf dem Boden ein großes Laken ausgebreitet war, auf dem Behälter mit verschiedenen Farben standen, außerdem ein wackeliger Tisch mit Bechern voll Pinselreiniger und Pinseln in allen möglichen Größen. Verhüllte flache Gegenstände lehnten an der Wand, auf einer Staffelei stand eine große Leinwand, bedeckt mit kräftigen Pinselstrichen in verschiedensten Schattierungen von Blau.

Und vor der Staffelei stand die Dame des Hauses. Ein dunkelblaues Tuch hielt ihr das blonde Haar aus dem Gesicht, sie trug eine mit Farbe bespritze Jeans, ein ehemals weißes T-Shirt … und keine Schuhe.

Tom räusperte sich. „Miss Bryce?“, rief er dann.

Sie drehte sich so rasch um, dass Farbe vom Pinsel auf die Leinwand spritzte. Rote Farbe.

„Heiliger Bimbam“, schimpfte die Malerin, schon viel gemäßigter als vorhin. Ihre Stimme war tief und ein bisschen rau, leichtes Rot lag auf den hohen Wangenknochen, und die grauen Augen funkelten.

Heute ist ein Glückstag, dachte Tom. „Lady“ Bryce war umwerfend attraktiv! Schade, dass Alex nicht hier war. Dem hätte er jetzt liebend gern erklärt, dass er wegen solcher angenehmen Überraschungen niemals Nein sagte, wenn eine Dame in Nöten an seine Hilfsbereitschaft appellierte.

„Wer, zum Teufel, sind Sie?“, fragte die Lady. Sie war wohl von ihm weniger beeindruckt als umgekehrt. „Was machen Sie in meinem Haus?“

Er fand, dass sie sich das denken konnte, da er seinen Werkzeuggurt umgeschnallt hatte, antwortete aber trotzdem höflich: „Ich bin Tom Campbell, der freundliche Mann für alles hier in der Gegend.“ Er lächelte herzlich, was ihm schon öfter Schwierigkeiten erspart hatte, und breitete die leeren Hände aus, um zu zeigen, wie harmlos er war. „Sie haben mich vor einigen Tagen angerufen und für heute hierhergebeten, damit ich irgendetwas richte.“

Sie blinzelte mehrmals, was seine Aufmerksamkeit auf ihre langen, dichten Wimpern lenkte. Flirten wollte sie jedoch nicht. Im Gegenteil: Sie wirkte äußerst abweisend und musterte ihn streng.

Er musste sich zwingen, unter dem eindringlichen Blick ruhig stehen zu bleiben.

„Ja, richtig!“ Sie wies mit dem Pinsel auf ihn, und er wäre beinahe zurückgezuckt. „Tom Campbell, der Mann für alles“, wiederholte sie. „Okay.“

Nach einem kurzen Blick auf die roten Spritzer auf dem blauen Bild fluchte sie nochmals. Anscheinend war es ihr egal, dass sie nun Gesellschaft hatte.

Tom lächelte. Wenn die Schwestern Barclay über die Vorliebe der Dame fürs Fluchen Bescheid wüssten, würden sie ihr den Titel „Lady“ bestimmt sofort wieder aberkennen.

Sie schüttelte kurz den Kopf und kam auf ihn zu. Ihr Gang war sehr anmutig, fast wie der einer Ballerina. Jeans und T-Shirt saßen locker, ganz so, als hätte sie in letzter Zeit abgenommen und noch keine Zeit oder Lust gehabt, sich neue Sachen zu kaufen. Oder wieder zuzunehmen.

Sie war auch ziemlich groß, ungefähr einen Meter fünfundsiebzig, schätzte Tom und richtete sich unwillkürlich zu seiner vollen Größe von einem Meter zweiundachtzig auf.

Während sie auf ihn zukam, nahm sie das Tuch aus dem Haar und steckte es in die Hosentasche. Das blonde Haar schüttelte sie kurz aus und band es mit einem Gummiband zusammen.

Das ist sicher nur Gewohnheit, dachte Tom. Keineswegs wirkte sie so, als wollte sie ihre Vorzüge ins rechte Licht rücken. Aber die Vorstellung hatte ihm, wie er zugeben musste, durchaus gefallen.

Ohne ein Wort ging sie an ihm vorbei und weiter in eine große Küche, wohin er ihr folgte. Auch dieser Raum war spartanisch eingerichtet. Es gab keine mit Magneten befestigten Kinderzeichnungen am Kühlschrank, auch keine Notizen oder Einkaufslisten. Keine Blumen auf der Fensterbank, keine Krüge mit unterschiedlichsten, nicht zusammenpassenden Küchenutensilien, wie sie in den meisten Häusern standen, in denen er arbeitete.

Laut den Schwestern Barclay lebte Miss Bryce schon seit Monaten in Portsea, aber im Haus sah es aus, als wäre sie gerade erst eingezogen und hätte noch nicht alle Umzugskisten ausgepackt.

Und wenn sie ihm nicht bald sagte, was sie von ihm wollte, würde er sich verabschieden. Es war ein herrlicher Frühlingstag, ideal zum Angeln, denn die Fische würden bestimmt anbeißen …

„Was kann ich denn nun für Sie tun, Miss Bryce?“, erkundigte Tom sich schließlich.

Sie füllte den Wasserkocher, schaltete ihn ein und lehnte sich gegen die Spüle. „Maggie“, sagte sie überraschend. „Als Erstes möchte ich, dass Sie mich Maggie nennen.“

„Okay – wenn Sie mich Tom nennen“, erwiderte er und hielt ihr die Hand hin.

Sie schüttelte diese energisch. Ihre Hand war schmal, aber kräftig, die Handfläche rau und schwielig, beinahe so wie seine. Er hielt sie einen Moment länger als üblich fest, während ihr Parfüm ihn kurz einhüllte.

Es war ausgerechnet Ainos – ein schwerer, würziger Duft, den er einmal, überredet von einer hübschen Verkäuferin, seiner Schwester zu Weihnachten gekauft hatte, obwohl er überhaupt nicht zu Tess passte, die fröhlich und lebhaft gewesen war. Sie hatte das Parfüm auch nie benutzt, worüber sie beide oft gescherzt hatten.

Für Maggie Bryce hingegen war der Duft wie geschaffen, denn sie war, trotz ihrer abweisenden Art, einfach hinreißend.

Und ich bin, dachte Tom – durchaus selbstironisch – ausgesprochen liebenswert, also steht einer Sommerromanze nichts im Weg. Er musste nur Maggie zuerst von seiner Idee überzeugen.

„Sie wohnen hier draußen also ganz allein?“, meinte er und ließ endlich ihre Hand los.

„Ich habe Smiley“, erwiderte sie und verschränkte die Arme. „Sie haben ihn bestimmt schon an der Haustür kennengelernt.“

„Ja. Er ist sicher ein interessanter Hausgenosse.“

Maggie lachte leise und sah ihm in die Augen. „Ich ziehe ihn jeder anderen männlichen Gesellschaft vor.“

„Klar. Wer würde das nicht.“

Tom überlegte, dass es in seinem Leben durchaus Frauen gegeben haben durfte, denen er nicht gefiel … sowohl früher in Sydney, wo er als guter Fang gegolten hatte, als auch hier in Sorrento, wo man ihn als zufriedenen Eigenbrötler einschätzte. Aber keine von ihnen hatte ihn mit einem direkten Blick gewarnt, an eine Affäre nicht einmal zu denken. Maggie war die Erste.

„Vermutlich ist Smiley aber kein begnadeter Heimwerker“, meinte er humorvoll. „Sonst hätten Sie nicht meine Hilfe angefordert.“

„Ja, und ich habe ihm deswegen schon die Leviten gelesen“, erwiderte sie im selben Ton.

Tom lachte leise. Trotz ihres kühlen Benehmens hatte Maggie Mumm, und das gefiel ihm an einer Frau.

Das Wasser kochte, und sie fing an, Kaffee für zwei aufzugießen. Ohne ihn zu fragen, ob er welchen wolle.

Vielleicht hatte sie nichts gegen ihn persönlich, sondern war nur Arbeitern gegenüber distanziert?

Die Frauen in Portsea fielen in zwei Gruppen: solche, die durch Männer wie ihn förmlich hindurchblickten, und solche, die ihn als genaues Gegenstück zu ihren angesehen, langweiligen Ex-Ehemännern ansahen, denen sie ihr Geld und ihren Status verdankten.

Wenn sie zu den Hochnäsigen zählte, konnte er ja bei Gelegenheit wie zufällig einen Kontoauszug fallen lassen, um zu zeigen, dass es ihm nicht so schlecht ging, wie es vielleicht den Anschein hatte.

Allerdings war sie nicht wirklich nach seinem Geschmack, wenn er es genau überlegte. Sie war groß, ihre Art direkt statt charmant, und sie war viel zu kühl. Er hingegen liebte es warm … vor allem heiße Nächte mit einer feurigen Frau in den Armen.

Ja, bestimmt war es besser, Maggie Bryce in Ruhe zu lassen!

„Sind Sie auch für längere Jobs zu haben?“, fragte sie unvermittelt und reichte ihm einen Becher mit schwarzem Kaffee.

„Na ja, ich stehe auf Abruf für verschiedene Arbeiten bereit, besser gesagt, meine Nummer steht im Telefonbuch, und man kann sich mit mir einigen. Die Schwestern Barclay lassen jedenfalls keine Entschuldigung gelten, wenn bei ihnen eine Glühbirne gewechselt werden muss.“

„Es ist kein großer Job“, meinte sie. „Glaube ich.“

Tom war anderer Meinung. Das Haus zu renovieren wäre eine Heidenarbeit, aber eine, die sich lohnen würde. Er war sich sicher, dass hier in der Küche unter dem dicken Verputz die originalen Stuckverzierungen zu entdecken wären.

„Was genau soll ich tun?“, fragte er.

„Ich kann nicht zum Strand“, erklärte Maggie und zerstörte damit seinen Traum. „Der Bereich hinter dem Haus ist so überwuchert mit wildem Wein, Gebüsch und Dornenranken, dass man nichts anderes sehen kann.“

„Dornen“, wiederholte er. Das konnte ja heiter werden!

„Ja. Erinnern Sie sich an den heißen Tag letzte Woche, als kein Lüftchen vom Meer her wehte?“

Tom nickte. Er hatte an dem Tag den Eindruck gehabt, dass der Frühling zu Ende ging. Bald würden die Touristen durch den Ort schwärmen, sein Telefon würde unablässig klingeln – und er würde in den kommenden drei Monaten kaum Zeit haben, allein mit seinem Boot auszufahren.

„An dem Tag wollte ich den Strand begutachten, der zum Grundstück gehört“, erzählte Maggie weiter, „aber das Dickicht hätte man nur mit einer Motorsäge bewältigen können. Ihnen ist vielleicht schon aufgefallen, dass ich mich hier auf das Nötigste beschränke – und eine Motorsäge zählt für mich nicht dazu.“

Sieh an, sie hat also Humor und ist zu Selbstironie fähig, dachte Tom. Vielleicht war sie doch nicht zu groß für ihn? Außerdem waren Portsea und der Nachbarort Sorrento, wo er lebte, kleine Gemeinden. Insofern war es vernünftig, Maggie Bryce näher kennenzulernen – falls er mal eine Tasse Zucker borgen wollte.

„Wie lange leben Sie eigentlich schon hier?“, erkundigte er sich.

„Ich bin vor ungefähr sechs Monaten von Melbourne hergezogen“, antwortete sie, doch bevor er weiterfragen konnte, wies sie zur Hintertür. „Soll ich Ihnen das Gestrüpp mal zeigen?“

Plötzlich schien sie es eilig zu haben. Er folgte ihr auf eine schattige Veranda, die sich auf der Rückseite am Haus entlangzog. Einige wackelige Stufen führten auf einen kleinen gepflasterten Hof, der ebenso von Unkraut überwachsen war wie die Zufahrt.

Und dahinter erhob sich eine dreißig Meter dicke Wand aus dickem, dornigem, Jahrzehnte lang nicht gestutztem Gebüsch, das übermannshoch war. Er konnte nicht einmal ansatzweise sagen, wo die Klippe begann oder ob eine Treppe beziehungsweise ein Pfad zum Strand existierte. Falls es den überhaupt gab!

„Hübscher Farn“, meinte Tom, um nichts Unüberlegtes zu sagen, und duckte sich unter einer Reihe mickriger Pflanzen in hängenden Töpfen durch.

„Die habe ich mit dem Haus übernommen“, informierte Maggie ihn. „Wie Ihnen vielleicht schon aufgefallen ist, bin ich keine großartige Gärtnerin.“

„Ja, das hab ich bemerkt“, bestätigte er und fragte sich, wie viele Zweige und Blätter mittlerweile unter seinem Hemd steckten.

„Ich habe mich damit abgefunden, keinen grünen, sondern sozusagen einen schwarzen Daumen zu haben“, sagte sie und hielt ihn hoch. „Na ja, eigentlich ist er blau“, stellte sie dann fest, denn er war voller Farbe von ihrem Bild. „Was könnte das bedeuten?“

„Dass Ihre Pflanzen den Blues haben?“, schlug er vor.

Zum ersten Mal lächelte sie, wobei ihre Augen funkelten und ihre Wangen sich zart röteten. „Da könnten Sie recht haben, Tom. Und wie ist es nun? Machen Sie auch Gartenarbeit?“

„Ja, sicher. Rasenmähen und Jäten sind meine Spezialität. Gelegentlich bessere ich auch Gartenwege aus. Und jetzt“, er ging näher an das scheinbar undurchdringliche Dickicht heran, „kann ich mir einen lang gehegten Traum erfüllen und mit einer Sense arbeiten.“

„Wie schön, dass ich Ihnen das bieten kann“, sagte sie. „Und wie lange, glauben Sie, wird es dauern?“

„Das kann ich vermutlich erst heute bei Feierabend abschätzen.“

„Okay. Dann überlasse ich Sie jetzt der Arbeit, Tom. Neben dem Haus ist ein Schuppen. Vielleicht finden Sie darin Gartengeräte, die Sie brauchen können. Sense ist allerdings keine da.“

„Wie können Sie hier ohne eine überleben?“, fragte er scherzend und lächelte sie strahlend an.

Leider erwiderte sie das Lächeln nicht.

„Indem ich literweise Kaffee trinke“, antwortete sie, ohne die Miene zu verziehen, kühl.

Wahrscheinlich überlegte sie nun, ob sie jemanden wie ihn überhaupt in ihrer Nähe ertragen konnte.

Unter ihrem Blick wurde ihm seltsam zumute. Und dann drehte sie sich ohne ein weiteres Wort um und ging ins Haus.

Tom blieb sich und seiner überaktiven Fantasie überlassen.

2. KAPITEL

Einige Stunden später blickte Maggie in ihren Becher mit dem speziellen jamaikanischen Kaffee, der zwischen ihren Malsachen stand, und stellte fest, dass er nicht nur kalt geworden, sondern auch mit Farbpartikeln bedeckt war.

Sie ging, nachdem sie sich die nackten Füße am Laken auf dem Boden abgeputzt hatte, in die Küche, um sich neuen Kaffee zu machen.

Während sie darauf wartete, dass das Wasser zu kochen anfing, lehnte sie sich an den Tisch und versuchte, die verspannten Nackenmuskeln zu lockern. Hätte sie noch in Melbourne gelebt, wäre sie jetzt zu Maurice gefahren, um sich eine belebende Massage zu gönnen. Damals hatte sie sich das auch noch leisten können. Jetzt besaß sie ein rapide schwindendes Bankguthaben und ein riesiges Haus, auf dem eine kolossale Hypothek lastete. Deshalb würde sie sich später mit einer warmen Kompresse begnügen müssen, um die Verspannung zu lindern.

Plötzlich fuhr sie hoch, als das Knacken brechender Zweige die Stille durchbrach. Zuerst dachte sie, es wäre Smiley, der sich Abenteuer suchend im Garten herumtrieb. Dann fiel ihr der „Mann für alles“ ein, und sie wandte sich dem Fenster zu, um zu sehen, was er machte. Doch er war nicht zu entdecken. Wahrscheinlich war er irgendwo unterhalb des Hauses.

Eigentlich hatte sie einen rüstigen Rentner erwartet, der sich nebenbei Geld fürs Bingo verdiente. Und sie hatte sich vorgestellt, der alte, aber rüstige Tom Campbell würde nach einem Blick auf das Gestrüpp erklären, es zu roden wäre unmöglich.

In dem Fall hätte sie es als weiteres Signal angesehen, dass ihre Zeit hier in Portsea zu Ende ging. Die anderen Signale waren: kein Geld auf der Bank, keine Schaffensfreude beim Malen und folglich keine neuen Meisterwerke, und vor allem das Gefühl, dass sie niemals hierherpassen würde, sosehr sie es sich auch wünschte.

Tom Campbell war eine Überraschung gewesen, schon deshalb, weil er pünktlich erschienen war. Außerdem war er alles andere als ein Rentner. Er war ungefähr Mitte dreißig und hatte keine grauen, sondern schwarze, etwas zu lange Haare. Außerdem war er muskulös, kräftig und gesund. Und er hatte ein herzerwärmendes Lächeln.

Noch mehr als durch sein Aussehen hatte er sie durch die Behauptung überrascht, er könne das scheinbar undurchdringliche Dickicht roden. Anscheinend brauchte er Geld noch dringender als sie.

Nun war sie sich nicht sicher, ob es sie freute, die Entscheidung noch etwas aufschieben zu können. Bestimmt kostete es sie eine ziemliche Summe, die Büsche entfernen zu lassen, und was erwartete sie dahinter? Schroffe Felsen? Mit ein bisschen Glück ein schmaler Sandstreifen?

Wenn Tom es schaffte, zum Strand vorzudringen, dann würde sie es schaffen, mit dem Geld so lange auszukommen.

Als das Wasser kochte, machte Maggie sich frischen Kaffee und ging damit auf die Veranda. Sie stützte die Ellbogen auf die Brüstung und beobachtete Tom, der unten energisch arbeitete.

Inzwischen hatte er den Pullover ausgezogen, sein graues T-Shirt war schon feucht von Schweiß und lag eng an seinem muskulösen Oberkörper an. Auf der untersten Stufe lagen der Werkzeuggurt und der Kissenbezug, aus dem ein Lappen herausschaute.

Unwillkürlich lächelte Maggie, während sie das Kinn auf die Hand stützte. Ein Mann, der seine Siebensachen in einem rosa Kissenbezug zur Arbeit mitnahm, war bestimmt ziemlich selbstsicher.

Smiley kam zu ihr und schmiegte die Schnauze in ihre Hand.

„Na, mein Guter, wie geht’s?“, fragte sie, und er sah sie verständnislos an. „Ich weiß ja, dass du hier draußen als Wachhund ein bisschen aus der Übung bist, aber könntest du mich nächstes Mal warnen, wenn ein Fremder an der Tür steht?“

Er ließ sich auf ihren Füßen nieder, und mehr Reaktion konnte sie von ihm nicht erwarten.

Sie trank einen Schluck des starken, aromatischen Kaffees und seufzte zufrieden, dann wandte sie die Aufmerksamkeit wieder ihrem Helfer zu. Er würde Tage, wenn nicht Wochen benötigen, um die Wildnis zu bändigen. Und obwohl er ein ziemlicher Charmeur zu sein schien und sie nicht beabsichtigte, auf sein Flirten einzugehen, fand sie doch, dass sie höflich zu ihm sein sollte.

Ja, sie würde ihm Mittagessen anbieten. Nichts Großartiges natürlich, sondern ein Sandwich mit Käse und Tomaten. Um ihm zu zeigen, dass ihr nur an seiner Geschicklichkeit als Handwerker lag und nicht an den anderen Qualitäten, die er ganz offensichtlich zu bieten hatte.

„Ich bin anscheinend hungriger, als ich dachte“, bemerkte Maggie zu Smiley und scheuchte ihn von ihren Füßen hoch. „Ab ins Haus mit uns.“

Etwa zehn Minuten später ging sie die hölzerne Treppe von der Veranda hinunter mit dem ersten Essen, das sie in den vergangenen sechs Monaten für jemand anderen außer sich – und natürlich Smiley – gemacht hatte. Sogar ihre Freundinnen Freya, Sandra und Ashleigh brachten zu den regelmäßigen Treffen mittwochs selbst etwas zu essen mit, was nur vernünftig war. Käsesandwich mit Tomaten war so ziemlich das Einzige, was Maggie an Genießbarem produzieren konnte.

Tom wandte sich um, als er die Stufen knarren hörte, und strich sich das Haar aus der Stirn, was er augenscheinlich schon häufiger getan hatte.

„Ich dachte mir, dass Sie vielleicht hungrig sind“, begann Maggie.

„Ja, wie ein Wolf!“, bestätigte er. „Danke schön.“ Er richtete sich auf und reckte die muskulösen Arme über den Kopf.

Sie stellte den Teller mit dem Sandwich und den Becher Kaffee auf die Treppe und wollte eigentlich gleich wieder ins Haus zurück, doch sie bemerkte einen Schmutzstreifen quer über Toms Stirn. Zuerst dachte sie daran, nichts zu sagen, aber dann störte es sie doch zu sehr.

„Sie haben da Schmutz“, sagte sie leise und wies auf seine Stirn.

Tom zuckte nur die breiten Schultern. „Es wird nicht der letzte sein. Diese Art Arbeit hinterlässt nun mal Spuren. Ihre übrigens auch, wie ich sehe.“

Da er den Blick senkte, sah sie ebenfalls nach unten und stellte fest, dass ihre Füße mit blauen und roten Farbsprenkeln verziert waren. Früher hatte sie sich einmal pro Woche eine professionelle Pediküre gegönnt, jetzt lackierte sie sich nicht einmal mehr die Nägel.

„Na ja, das ist Arbeitsrisiko“, meinte sie und stellte den schmutzigeren Fuß hinter den anderen.

„Schmutzig zu werden ist immer noch weniger schlimm, als hohen Blutdruck zu haben und unter Stress zu stehen wie die armen Menschen in der Großstadt“, erwiderte Tom und lächelte.

Will er sich mit mir unterhalten?, fragte Maggie sich im Stillen. Sie müsste sich eigentlich um das unfertige Bild kümmern, aber sie wollte nicht unhöflich sein.

„An hohem Blutdruck liegt mir nichts, aber das Tempo der Großstadt vermisse ich hier schon“, gestand sie.

„Wieso denn das?“

„Ohne Termindruck neige ich leider dazu, mich zu verzetteln. Man hat mir schon nachgesagt, ich hätte die Nabelschau zur Kunstform erhoben.“

Er blickte ihr auf den Bauch, und sie musste sich zwingen, nicht ihr T-Shirt weiter nach unten zu ziehen, obwohl es den Nabel durchaus verdeckte.

„Außerdem vermisse ich nachts den Verkehrslärm“, fügte sie hinzu. „Dieses permanente Rauschen unter dem Fenster. Ohne das schlafe ich nicht vor zwei Uhr morgens ein. Meine Freundin Freya meint, ich solle froh sein, dass ich Abgase gegen frische Seeluft getauscht habe. Aber ein Kaffee trinkender, arbeitssüchtiger Nachtmensch wie ich kann sich nicht plötzlich in eine friedliche, sternguckende Yogajüngerin verwandeln.“

Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie viel mehr über sich verraten hatte als beabsichtigt. Aber statt sie anzusehen wie jemanden, der dringend einer Therapie bedurfte – was Freya tat –, nickte Tom.

„Mir ist es in der ersten Zeit ebenso ergangen, als ich aus Sydney hierhergezogen bin.“

„Sie sind aus Sydney?“, hakte Maggie erstaunt nach.

„Ja, ich bin dort geboren und aufgewachsen, aber das ist schon eine Weile her. Hier bin ich schon seit Längerem und habe mich an Sand und Salzwasser gewöhnt. Warten Sie nur ab, es wird Ihnen auch noch gelingen“, versicherte er ihr aufmunternd.

Sie errötete. Merkte man ihr so deutlich an, dass Sand und Salzwasser nicht zu ihren absoluten Favoriten zählten? Und dass sie wünschte, es wäre so? Denn das wäre der Beweis gewesen, dass sie ihr Leben ändern konnte.

„Hatten Sie in Sydney denselben Beruf?“, fragte sie, um das Thema zu wechseln.

„Sozusagen. Ich war als Restaurator tätig.“

„Von Häusern?“

„Ja, vor allem von solchen unter Denkmalschutz.“

„Davon gibt es in Sydney ja genug, aber hier nicht. Warum sind Sie hierhergezogen?“, wollte sie wissen.

„Ich habe als Kind meine Sommerferien hier verbracht, und mein Cousin Alex lebt ganz in der Nähe“, erklärte Tom.

„Soviel ich gesehen habe, lassen die Leute hier aber alte Häuser eher abreißen als renovieren“, meinte Maggie. „Das wäre auch mit Belvedere passiert, wenn ich es nicht gekauft hätte. An Restauratoren scheint also kein großer Bedarf zu bestehen.“

„Macht nichts. Ich arbeite ohnehin nicht mehr in der Branche.“

„Warum nicht?“

Er antwortete nicht sofort, und nun lächelte er auch nicht mehr. Doch es war zu spät, sie konnte die Frage leider nicht zurücknehmen.

„Weil ich mein ganzes Leben ändern wollte, nachdem meine jüngere Schwester gestorben war.“

„Oh!“, sagte Maggie leise, und ihr Magen krampfte sich zusammen. Sie wünschte, sie könnte die Zeit zurückdrehen bis zu dem Punkt, bevor sie Tom Campbell zu sich bestellt hatte, damit er ihr Dickicht rodete. „Tom, es tut mir so leid. Es geht mich ja gar nichts an, was Sie …“

„Schon gut“, unterbrach er sie und zuckte die Schultern. Er wirkte plötzlich bedrückt. „Wenn Tess jetzt hier wäre, würde sie Sie mit Fragen förmlich löchern. Sie hatte zwar so viel Talent zum Malen wie Sie, Maggie, zum Gärtnern haben, aber sie liebte Kunst über alles. Ja, sie war ein komisches Mädchen. Jedenfalls ist mir nach ihrem Tod die Entscheidung leichtgefallen, hierherzuziehen, auch wenn Restauratoren nicht hoch im Kurs stehen.“

Maggie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte mehr über Tom erfahren, als sie eigentlich wissen wollte. Als sie gerade überlegte, den Rückzug anzutreten, fragte er: „Wollen Sie einen Tipp fürs Einschlafen?“

„Wenn er hilft.“

„Sie müssen sich nur auf die Klänge des Meeres konzentrieren. Die Schreie der Möwen, das Rauschen der Brandung, das Tuten der großen Dampfer draußen. Und dann fragen Sie sich, wie Sie es so lange als Landratte ausgehalten haben.“

Er lächelte nun wieder, und sein attraktives Gesicht wurde noch anziehender.

Sie schüttelte skeptisch den Kopf. „So einfach kann es nicht sein.“

„Wissen Sie nicht, dass es Menschen gibt, die sich CDs mit Meeresrauschen als Einschlafhilfe kaufen?“

„Na, dann wünsche ich denen viel Glück.“

Tom lachte über ihre Starrköpfigkeit. Es wunderte sie gar nicht, dass sein Lachen tief und ansteckend klang. Er war der lebende Beweis, dass ihre Freundinnen recht hatten, wenn sie behaupteten, dieser Ort hier würde mit seiner Ruhe und guten Luft ein glückliches Leben fördern.

Sie blickte ihm in die Augen und las darin eine unmissverständliche Einladung. Als er unerwartet einen Schritt auf sie zumachte, wich sie hastig zurück und stieß mit der Ferse gegen die unterste Stufe.

Tom hob beide Hände. „Ich wollte mir nur mein Sandwich holen“, erklärte er beschwichtigend.

„Natürlich. Ich war nur kurz in Gedanken weit weg und deshalb …“ Sie ging beiseite, um ihm Platz zu machen.

Er nahm das Sandwich und den Becher Kaffee und zog sich damit ein Stück zurück. Anscheinend merkte er, dass sie eine gewisse Distanz brauchte, um frei atmen zu können. Herzhaft biss er ein Stück Brot ab und trank einen Schluck Kaffee. Dann seufzte er zufrieden.

Maggie wurde neidisch, als sie überlegte, wann sie zum letzten Mal wirklich zufrieden gewesen war. Es musste schon Monate her sein, wie die halb fertigen Bilder im großen Zimmer bewiesen. Schon bevor sie nach Portsea gekommen war, hatte ihr nichts mehr wirklich gefallen.

Und an dem unglaublich heißen Tag eine Woche zuvor hatte sie auch noch einen Brief von ihrer Galeristin Nina bekommen, die anfragte, wann sie endlich neue Werke von Maggie Bryce ausstellen könne, womit Nina Bilder meinte, die sich verkaufen ließen.

Maggie hatte auf der Veranda gesessen und nachdenklich Smileys Ohren gestreichelt, als ihr plötzlich klar wurde, dass sie vielleicht nie wieder etwas produzieren würde, für das man Geld verlangen konnte.

Ihre lebendigen, abstrakten Porträts mit den leuchtenden Farben, voll Bewegung und Heiterkeit, gehörten vielleicht der Vergangenheit an, denn seit Monaten hatte sie nur noch nichtssagende blaue Wirbel gemalt.

Nicht einmal Ninas Brief, zwischen dessen Zeilen deutlich stand, dass sich ihre Wege trennen würden, wenn Maggie nicht bald etwas Brauchbares lieferte, konnte sie anspornen. Hier draußen kam sie einfach nicht richtig in Schwung. Sie war sozusagen in eine kreative Flaute geraten, aus der sie nur eine ganz spezielle Brise holen konnte. So etwas wie ein eigener Strand am Fuß der Klippe.

Und da diese von dichtem Gestrüpp überwuchert war, hatte sie Tom Campbell angeheuert. Einen Mann, der offensichtlich mit sich und seiner Arbeit zufrieden war. Wirklich beneidenswert!

Maggie atmete tief durch. „Wenn Sie noch Kaffee möchten, holen Sie sich ruhig welchen in der Küche. Der Inhalt meines Kühlschranks steht Ihnen ebenfalls zur Verfügung.“

Sie drehte sich um und eilte ins Haus, wobei ihr der Duft von Kaffee, Rasierwasser und Meeresluft in die Nase stieg.

Am Ende des langen, heißen Tags bürstete Tom sich Reste von Brombeerranken, Waldrebe und sonstigen lästigen Unkräutern ab und sammelte sein Werkzeug ein. Dann ging er ins Haus, wo er seine Arbeitgeberin im großen Zimmer fand. Sie blickte so konzentriert auf das blaue Bild, als könne sie dort die Lösung aller Rätsel des Lebens entziffern.

Ihm tat der Rücken weh, seine Arme waren zerkratzt, und ihm war heiß. Außerdem war er schmutzig und verschwitzt. Ihm lag jetzt nur noch an einer Dusche, einem kräftigen Essen und einem kalten Bier.

Trotzdem fiel ihm auf, dass die roten Farbspritzer auf der Leinwand verschwunden waren, oder vielmehr in die blaue Fläche eingearbeitet, die dadurch plastischer wirkte. Ihm fiel außerdem auf, dass Maggie leise vor sich hinsummte.

Die Melodie kam ihm bekannt vor. War es etwas Klassisches? Eher nicht, da er selber Rockmusik bevorzugte und anderes kaum kannte. Wie hieß dieses Lied doch gleich? Er war sich ganz sicher, es zu kennen.

Oder erkannte er nur das Gefühl, das die tiefe, etwas raue Stimme vermittelte, die leise im Raum schwang?

Tom atmete tief durch und übertönte damit das leise Singen.

Maggie wandte sich um, einen trockenen Pinsel quer zwischen den Lippen – wie die Rose einer Tangotänzerin.

„Ich bin für heute fertig“, erklärte Tom.

Sie schien einen Moment lang zu brauchen, um sich zu erinnern, wer er war und was er hier zu suchen hatte.

„Ich brauche mindestens eine Woche, um das Dickicht hinter dem Haus zu roden“, informierte er sie weiter. „Eher zwei. Und ich brauche eine Motorsäge sowie einen Container für die Abfälle. Wir wollen ja nicht, dass sich Samen verbreiten und bis zum Ende des Sommers alles wieder zugewuchert ist, oder? Das kann ich bei meinem Cousin besorgen, dem der Eisenwarenladen in Rye gehört. Morgen mache ich Ihnen einen Kostenvoranschlag, okay?“

„Ja, schön“, antwortete sie. „Bestellen Sie das Werkzeug und was Sie sonst brauchen.“

„Wollen Sie nicht den Kostenvoranschlag abwarten?“

„Nein. Wenn Sie meinen, Sie schaffen es, können Sie weitermachen. Aber wenn Sie eine Vorauszahlung möchten, kann ich Ihnen jetzt gleich Geld geben.“ Sie kam bis zum Rand der Plane und blieb dort plötzlich stehen.

Mit einem Mal wirkte sie nicht mehr kühl und abweisend, als sie ihm in die Augen sah, sondern sehr einnehmend mit ihrem zerzausten Haar und der biegsamen Figur.

Tom war froh, dass sie noch nicht herausgefunden hatte, wie schwer es ihm fiel, Nein zu sagen. Wenn sie ihn jetzt bitten würde, die ganze Nacht lang weiterzuarbeiten, würde er nach draußen gehen und Dornenranken ausreißen.

Das tat sie jedoch nicht. Vielmehr errötete sie plötzlich heftig.

„Mir fällt gerade ein, dass ich das letzte Bargeld gestern für Farbe ausgegeben habe“, gestand Maggie. „Kann ich Ihnen stattdessen einen Scheck ausstellen?“

„Ja, das geht in Ordnung“, versicherte er, ungewohnt kurz angebunden. „Es eilt aber nicht. Sie können mich nicht um meinen Lohn prellen, weil ich ja weiß, wo Sie wohnen.“

Um die plötzlich aufgetretene, seltsame Spannung zu lösen, versuchte er es mit einem charmanten Lächeln. Es nutzte nichts. Maggie schien sich noch mehr in sich zurückzuziehen.

Unvermittelt hatte er eine Vision von Tess, die ihn herzhaft auslachte, weil er hier versuchte, mit Maggie Bryce zu flirten und sie mit Charme und Humor zu beeindrucken, obwohl sie ihn ansah wie etwas, das ihr den Blick auf Wichtigeres verstellte.

Tess hätte recht gehabt, sich über mich lustig zu machen, gestand Tom sich ein. Aus der Sommerromanze, die er sich seit dem Morgen ausgemalt hatte, würde nichts werden. Maggie duftete nach Ainos, er roch nach Schweiß. Sie war eine echte Städterin, die sich und anderen vorzumachen versuchte, das Strandleben zu schätzen – er hingegen liebte das Leben hier tatsächlich und versuchte so zu tun, als hätte er nie etwas anderes gekannt.

Maggie würde bestimmt nicht lange bleiben. Sie hatte, wie man an der Plane auf dem Boden ablesen konnte, nicht die Absicht, Spuren zu hinterlassen. Nicht im Haus, nicht im Ort und schon gar nicht im Leben eines selbstbewussten Handwerkers, dessen Weg sich zufällig mit ihrem gekreuzt hatte.

„Ist es Ihnen recht, wenn ich morgen Vormittag um zehn Uhr anfange?“, fragte er schließlich.

„Ja. Ob zehn Uhr morgens oder abends, ich werde hier sein, an meine Staffelei gekettet und mit Smiley zu meinen Füßen.“ Unerwartet erhellte ein scheues Lächeln ihr Gesicht, und sie wirkte nicht länger abweisend, sondern äußerst anziehend, um nicht zu sagen hinreißend.

„Dann bis morgen, Maggie!“, verabschiedete Tom sich und trat den Rückzug an.

„Auf Wiedersehen, Tom.“

Er ging an den Farnen neben der Tür und dem traurig blickenden Smiley vorbei nach draußen und weiter über den vernachlässigten Platz vor dem Haus. Und er wusste eins: Er würde kein einziges Detail seiner ersten Begegnung mit Maggie Bryce vergessen, auch nicht, wenn sie es von ihm wünschen sollte.

3. KAPITEL

Pünktlich um zehn Uhr stellte Tom am nächsten Tag seinen Pritschenwagen hinter Maggies Haus ab. Auf der Ladefläche türmten sich verschiedenste Geräte aus Alex’ Eisenwarenladen.

Wie am Vortag lag Smiley an der Haustür und hob nur kurz den Kopf, um sich hinter den Ohren kraulen zu lassen, und drinnen stand Maggie im großen Zimmer und betrachtete eindringlich die Leinwand auf der Staffelei.

Über Nacht hatte Tom sich eingeredet, dass „Lady“ Bryce nur deswegen einen so starken Eindruck auf ihn gemacht hatte, weil er von den Terpentin- und Farbdämpfen ein bisschen benebelt gewesen war. Als er sie nun wiedersah, musste er sich jedoch eingestehen, dass er sie nach wie vor hinreißend fand, obwohl sie an Schlaflosigkeit litt, keine Möbel hatte und zu kompliziert war, als dass man sich mit ihr einlassen sollte.

Wieder war sie ganz schlicht angezogen. Sie trug ein gelbes Kapuzenshirt zu einer braunen Cargohose und hatte heute ein rotes Tuch um den unordentlich gebundenen Pferdeschwanz gewickelt. Ihre Haltung war allerdings einer Königin würdig. Ihr Parfüm ebenfalls.

Sollte sie ihre abweisende Art jemals länger als ein paar Minuten aufgeben, wäre sie wirklich umwerfend.

Tom blickte unauffällig zu dem Bild und stellte fest, dass es genauso aussah wie am Vorabend, als er es zum letzten Mal gesehen hatte. Obwohl er seit der Schule kein Bild mehr gemalt hatte, wusste er, dass fehlender Schaffensdrang bei einem Künstler nicht einfach daher kam, dass er keinen Termindruck hatte.

Aber vielleicht war es bei Maggie anders? Sie war ja überhaupt eine ganz eigenartige Frau, die lieber mit ihrem Hund zusammen war als mit einem Mann, die anscheinend nur Kaffee trank und keine Möbel besaß.

Er hätte gern den Grund dafür gewusst. Vor allem interessierte ihn, warum sie gegen sein Lächeln so immun war. Und warum ihn das gehörig störte.

„Guten Morgen, Maggie!“, begrüßte er sie.

Rasch drehte sie sich um, und diesmal erkannte sie ihn sofort. „Guten Morgen, Tom!“

Sie hatte Schatten unter den Augen, und wenn sie nicht etwas anderes angehabt hätte als am Vortag, hätte er vermutet, sie wäre die ganze Nacht nicht im Bett gewesen.

„Haben Sie alles bekommen, was Sie an Geräten brauchen?“, erkundigte sie sich.

„Ja. Ich kann sofort loslegen.“

„Möchten Sie vorher noch eine Tasse Kaffee?“, fragte sie, schon auf dem Weg in die Küche.

„Ja, gern!“ Er folgte ihr auf dem Fuß.

Maggie füllte den Wasserkocher und schaltete ihn ein, nachdem sie sich die Hände geschrubbt hatte. „Haben Sie den Kostenvoranschlag schon gemacht?“, wollte sie wissen.

Er bestätigte es, und sie einigten sich auf eine Arbeitszeit von zwei Wochen und einen Lohn, von dem er sich einen Monat lang würde ernähren können.

Maggie sah einen Moment lang beinahe bestürzt aus, zog aber sofort das Scheckbuch aus einer ansonsten leeren Küchenschublade.

„Moment!“ Tom hielt eine Hand hoch. „Was halten Sie davon, die Bezahlung auf den letzten Arbeitstag zu verschieben?“

Skeptisch schaute sie ihn an und schien zu überlegen, ob er sie irgendwie zu übervorteilen beabsichtigte.

„Es ist wahrscheinlich nicht das beste Geschäftsgebaren“, erklärte er weiter, „aber ich habe festgestellt, dass es die Beziehung zwischen mir und meinen Arbeitgebern fördert. Dann komme ich mir nicht wie ein Untergebener vor, weil man mich eher wie einen hilfsbereiten Freund behandelt.“

„Wenn es Ihnen so lieber ist.“ Sie wandte sich um und steckte das Scheckbuch wieder in die Küchenschublade.

„Ja, durchaus. Sobald ich meine Arbeit erledigt habe, bekomme ich einen diskreten Umschlag mit meinem Lohn sowie ein Dankeschön, und dann kann man die nächste Kegelpartie oder eine Einladung zum Essen organisieren.“

Erstaunt sah sie ihn an, und er fragte sich, wie sie reagieren würde, wenn er sie tatsächlich zum Essen einlud. Vielleicht ganz ungezwungen bei ihm zu Hause. Mit einem weiteren Paar, damit die Stimmung entspannt blieb. Alex und seine Frau Marianne waren sehr amüsante Gäste, wenn man sie mal von ihren fünf kleinen Töchtern loseisen konnte, von denen die Älteste noch nicht einmal ganz acht Jahre alt war.

Plötzlich landete ein Fellbündel auf Toms Füßen, und der richtige Moment für die Einladung war verpasst.

„Smiley, aufstehen!“ Maggie schnippte auffordernd mit den Fingern, aber der Hund tat so, als wäre er taub. „Tut mir leid“, entschuldigte sie sich bei Tom. „Sie dürfen ihn wegschubsen. Sanft natürlich.“

Smiley ließ seufzend die Schnauze auf die Vorderbeine sinken und gab damit zu erkennen, dass er sich so schnell nicht vom Fleck rühren würde.

„Tut mir echt leid“, sagte Maggie nochmals. „Mir sitzt er auch ständig auf den Füßen. Er ist seine Art, Zuneigung zu beweisen. Er sieht ziemlich miesepetrig aus, aber er ist in Wirklichkeit sehr liebevoll.“

Tom lächelte. „Mich stört er nicht.“

Sie kam einen Schritt näher und schnippte wieder mit den Fingern. Tom nahm den schweren Duft ihres Parfüms wahr und wunderte sich wie schon am Vortag, dass eine Frau wie sie, die sich nicht schminkte und sich nicht herausputzte, Wert auf einen so eleganten Duft legte. Es war irgendwie ein Widerspruch in sich.

Und alles Widersprüchliche war faszinierend. Einer Sache auf den Grund gehen zu wollen, war für ihn als Mann so normal wie atmen.

Vielleicht wäre es tatsächlich eine gute Idee, Maggie zum Essen einzuladen. Aber ohne Anstandsdamen und – herren. Zu einem Essen bei Kerzenlicht. Nein, noch besser: bei Mondschein auf seinem Boot. Er würde frisch gefangene Tintenfische grillen, dazu würde es herrlich kaltes Bier geben …

Sie beugte sich vor und schaute Smiley direkt in die Augen. Obwohl dem Hund klar zu sein schien, dass es sich um eine List handelte, stand er auf und ging zu seinem Frauchen, das ihn zärtlich umarmte. Dann setzte er sich zufrieden neben die Tür.

Maggie richtete sich auf, und plötzlich merkten sie beide, dass zwischen ihnen nur ein Meter Abstand war. Sie verzog die Lippen und steckte die Hände in die hinteren Hosentaschen.

Toms Instinkte riefen ihm zu, es auf jeden Fall zu versuchen, zu lächeln, zu flirten – und den Mut zu fassen, sie einfach einzuladen.

Sein Verstand jedoch riet ihm dringend, sie in Ruhe zu lassen und sich lieber an die Arbeit zu machen. Trotz der nackten Füße und des zerzausten Haars war Maggie Bryce keine sorglose, entspannte Lebenskünstlerin. Sie war hochmütig und mondän, skeptisch und schroff. Er wusste genau, dass es wenig Spaß machen würde, mit so einer Frau auszugehen – trotzdem hätte er es gern versucht. Die Gefühle waren nun mal nicht halb so vernünftig wie der Verstand.

Tom trank den Kaffee aus und konzentrierte sich nur noch auf dessen kräftiges Aroma. Anschließend spülte er den Becher und stellte ihn umgekehrt auf das Abtropfbrett neben der Spüle. Dann verließ er die Küche.

„Wann möchten Sie zu Mittag essen?“, rief Maggie ihm nach.

Er drehte sich um und sah sie an der Küchentür stehen und nachdenklich Smileys Ohren kraulen. Und obwohl er Sandwiches mit Schinken und Avocado, Obst und Schokolade in der Kühlbox in seinem Wagen mitgebracht hatte, hörte er sich zu seiner eigenen Überraschung sagen: „Wann es Ihnen am besten passt.“

Er ging nach draußen und die Treppe hinunter, ohne sich noch einmal umzusehen. Das brauchte er auch nicht. Den Blick ihrer großen grauen Augen spürte er förmlich im Rücken.

Maggie kam mit der Arbeit überhaupt nicht voran. Wenn man bedachte, dass sie eine spektakuläre Aussicht vor Augen hatte, die sie eigentlich inspirieren müsste, war es besonders frustrierend.

Zugegeben, sie hatte seit Jahren keine Landschaften mehr gemalt, denn sie hatte ein ausgesprochenes Talent für Porträts. Mit vier Jahren hatte sie das erste für ihren Vater gemalt, und auch in der Schule sowie der Ausbildung an der Kunsthochschule – für die sie ein Begabtenstipendium bekommen hatte – waren ihr Menschen immer das liebste Thema gewesen.

Als sie nach Portsea gezogen war, hatten ihr jedoch bestimmte Gesichter ständig vor dem inneren Auge gestanden, die sie auf keinen Fall abbilden wollte. Deshalb hatte sie beschlossen, es mit etwas Neuem zu versuchen, etwas Sicherem und Harmlosen, kurz gesagt, mit Landschaften. Doch bisher wirkten die ungefähr so reizvoll wie die halb verkümmerten Farne auf der Veranda.

Sie rieb sich die verspannten Nackenmuskeln, dann beugte sie sich so weit nach vorn, bis ihre Hände den Boden berührten und das Blut ihr in den Kopf strömte. Die Gesichter wurden nun glücklicherweise ausgeblendet.

Plötzlich hörte sie, von weit weg, einen seltsam vertrauten Klang und richtete sich so rasch auf, dass ihr kurz schwarz vor den Augen wurde. Der Klang blieb, und nun wusste sie auch, was es war: Musik. Ganz einfach Musik.

Wie magisch angezogen folgte sie den Tönen nach draußen, die Treppe hinunter und zum Areal neben dem Haus. Hier stand Toms Wagen, er selbst saß auf der Ladefläche und schärfte mit einem Wetzstein eine große Gartenschere, während aus einem kleinen Transistorradio, das auf dem Dach der Fahrerkabine stand, ein früher Song der Beatles ertönte.

Maggie blieb im Schatten stehen und bewunderte das Spiel von Toms Rückenmuskeln, während er gleichmäßig den Stein über die Schere gleiten ließ, ganz gemächlich und als hätte er alle Zeit der Welt.

Sie wünschte sich sehnlich, sie könne ebenso entspannt sein. Was hatte sie nicht alles versucht! Weinproben mit ihren Freundinnen abends, Yoga frühmorgens am Strand, aber danach hätte sie jedes Mal am liebsten an einem Straßenrennen teilgenommen oder wenigstens den Schiedsrichter eines Fußballmatches ausgepfiffen, um die Spannung loszuwerden, die sich in ihr aufgebaut hatte.

Die Wurzel des Übels war, laut Freya, Maggies Beziehung zu ihrem Vater, und sie schlug Hypnose als Therapie vor. Maggie glaubte allerdings, es waren eher Entzugserscheinungen, weil sie nicht mehr die speziellen Muffins aus dem Café in ihrem Apartmentblock kaufen konnte.

Tom hingegen war so entspannt, wie sie es nicht einmal nach tausend Stunden Yoga wäre. Dabei stammte er aus Sydney, einer Stadt, in der es noch hektischer zuging als in Melbourne.

Oder sah sie das Problem aus dem falschen Blickwinkel? War Tom schon immer so gelassen gewesen und deswegen nicht für den Konkurrenzkampf geeignet? War er deshalb nach Sorrento gezogen, als seine Schwester gestorben war und ihn nichts mehr in der Großstadt hielt?

Entweder hatte sie unwillkürlich geseufzt, oder er hatte gespürt, dass sie ihn beobachtete, jedenfalls wandte er sich um und schaute sie mit seinen haselnussbraunen Augen eindringlich an.

„Hallo“, grüßte er lässig. „Was ist denn?“

Vorsichtig, um nicht in die Dornen zu treten, ging sie zu ihm. „Ich habe Musik gehört.“

„Es ist Ihnen doch nicht zu laut, oder?“

„Nein, gar nicht. Ich liebe dieses Lied, und ich habe es seit undenklichen Zeiten nicht mehr gehört.“

Tom drehte die Lautstärke höher.

„Früher habe ich beim Malen immer Musik im Hintergrund gehabt“, erklärte Maggie. „Meistens Klassik. Manchmal hörte ich wochenlang immer wieder dasselbe Stück, was alle anderen fast wahnsinnig machte.“

Sie verstummte und erwartete, dass er nun fragte, wer „alle anderen“ wären, aber er blickte sie weiterhin nur an, einen sorglosen Ausdruck auf dem Gesicht.

Es hatte, wie sie fand, viel Charakter und würde sich gut malen lassen, vor allem mit den intelligent blickenden Augen als Mittelpunkt … nicht, dass sie daran dachte, ihn zu malen! Nein, wirklich nicht.

„Ich habe dieses Lied auf CD“, sagte Tom nun. „Die leihe ich Ihnen gern.“

„Tatsächlich könnte ich Hilfe jeglicher Art brauchen“, gestand Maggie.

„Haben Sie einen iPod?“, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf. Leider hatte sie nicht daran gedacht, ihren iPod oder den CD-Player einzupacken, als sie Melbourne blind vor Wut verlassen hatte. Sie hatte nur daran gedacht, so schnell wie möglich zu flüchten …

Vielleicht konnte sie sich ein kleines gebrauchtes Stereogerät leisten? Und wieder Musik hören – ein neues Lied für ein neues Bild?

„Warum brauchen Sie Hilfe?“, wollte Tom wissen.

„Ich komme mit dem Bild nicht weiter“, erklärte sie ohne zu überlegen und war von ihrer Ehrlichkeit total überrascht. „Oh! Ich kann nicht glauben, dass ich das laut gesagt habe. Bisher habe ich es nie jemandem erzählt, wenn ich eine Blockade hatte.“

„Warum denn nicht? Man darf doch gelegentlich eine schlechte Phase haben.“

„Ja, aber man kann einmal gesagte Worte nie mehr zurücknehmen. Und irgendwie habe ich wohl Angst, dass aus meinem Bild tatsächlich nichts mehr wird, wenn ich behaupte, es tauge nichts.“

Plötzlich fiel ihr auf, dass sie ihr ganzes Leben nach diesem Muster führte: Sie versuchte, schlechte Phasen lächelnd zu überspielen, nichts zu sagen und ihre Gefühle nur auf der Leinwand einzugestehen.

Und nun sah sie ja, wohin sie das gebracht hatte. Hier stand sie: allein und ohne Geld.

Tom rutschte ein Stück beiseite, um ihr neben sich Platz zu machen. Falls sie sich neben ihn setzen wollte.

Sie brauchte nicht lange, um zu beschließen, dass sie es wollte. Geschickt schwang sie sich auf die warme Ladefläche und ließ die Beine baumeln.

„Mir gefällt Ihr Bild“, bemerkte Tom.

„Das kann nicht sein.“ Sie sah ihn an und fand, dass seine Augen aus der Nähe noch eindrucksvoller waren.

„Doch! Blau ist meine Lieblingsfarbe“, versicherte er. „Und davon ist auf dem Bild ja viel zu sehen.“ Er schien ein Lächeln zu unterdrücken.

„Banause!“, nannte sie ihn und musste ihrerseits ein Lächeln verbergen.

Nach einigen Augenblicken freundschaftlichen Schweigens wollte Tom wissen: „Was soll das Bild denn darstellen?“

Maggie lachte und entspannte sich ein bisschen. Sie hätte gern behauptet, es sei der Blick aus dem Fenster aufs Meer, aber das hätte ihr niemand abgenommen.

„Es ist das bislang letzte Bild einer Serie von Studien in Blau“, erklärte sie. „Und wenn Ihnen die Farbe tatsächlich so gut gefällt, können Sie es gern haben.“

Tom nickte. „Abgemacht! Aber nur, wenn ich es als Bezahlung für meine Arbeit bekomme.“

Sie wollte ablehnen, denn wie sollte er überleben, wenn er sich nicht für seine Arbeit von ihr bezahlen ließ? Doch dann schien ihr ein Teufelchen ins Ohr zu flüstern, sie solle das Angebot annehmen, denn sie brauchte ihr Geld selber dringend. Ihr Gewissen hielt ihr allerdings vor, dass sie seine Gutmütigkeit weidlich ausnutzte.

Schließlich ignorierte sie die Stimme ihres Gewissens. „Okay. Einverstanden.“

Dass Tom noch vor einem Jahr mit einem Bild von ihr ein gutes Geschäft gemacht hätte, konnte sie nicht ändern. Es war einfach Pech, dass sein Timing nicht stimmte.

Er lehnte sich zurück. „Das Bild ist noch nicht fertig, stimmt’s?“

„Woher wissen Sie das?“

„Sie würden nicht so viel Zeit damit verbringen, es prüfend anzublicken, wenn es fertig wäre, oder?“, vermutete er.

Dass er sie nach kurzer Bekanntschaft schon durchschaute, verstörte sie. Sie zuckte nur die Schultern und blickte den Hang hinauf zum Tor ihres Grundstücks.

„Sie haben mir zwei Wochen zugestanden, um das Dickicht zu roden“, sagte Tom. „Ich gebe Ihnen vierzehn Tage, um das Bild fertig zu malen.“

„Zwei Wochen? Bei meinem jetzigen Tempo dauert es zwei Jahre, bis ich fertig bin!“

Er überlegte kurz. „Sie haben doch gesagt, Sie arbeiten besser, wenn man sie unter Druck setzt.“

Unwillkürlich lächelte sie, blickte ihn aber nicht an. „Habe ich das?“

„Ja. Also fühlen Sie sich von mir hiermit unter Druck gesetzt. Da ich aber finde, dass Sie ohnehin schon zu viel Kaffee trinken und deshalb nicht schlafen können, will ich nicht übertreiben. Anders gesagt: In zwei Jahren bin ich garantiert noch hier. Wenn Sie also so lange brauchen, um Ihr Werk zu vollenden, soll es mir auch recht sein.“

Maggie blinzelte. Sie konnte sich so gerade eben vorstellen, wo sie zwei Wochen später sein würde, aber zwei Jahre später? Zwei Jahre zuvor hatte sie jedenfalls in einer ganz anderen Welt gelebt, war der Liebling der Kunstszene gewesen, ihre Bilder hatten sich besser und schneller verkauft als die aller anderen Maler in Australien – und sie war glücklich verheiratet gewesen.

Das hatte sie jedenfalls gedacht.

Sie atmete tief die salzige Meeresluft ein und sah sich um. Ihr großes, unkonventionelles, wunderschönes Haus verfiel langsam vor ihren Augen, während ein beunruhigend charismatischer Mann dicht neben ihr saß. Ihr jetziges Leben schien das einer ganz anderen Frau zu sein als der früheren Maggie.

Mit einem tiefen Seufzer ließ sie sich von der Ladefläche gleiten und ging einige Schritte aufs Haus zu.

„Suchen Sie weitere Ablenkungen?“, fragte Tom, und seine Augen funkelten herausfordernd.

„Ja, natürlich. Das tue ich immer. Und Sie glauben wirklich, ich könnte das Bild in zwei Wochen fertig malen?“ Über die Schulter blickte sie zu ihm und sagte sich, dass er jedenfalls eine Ablenkung darstellte, die sie sich nicht zu oft gönnen durfte.

Er nickte lächelnd. „Ja. Mir hat mal jemand gesagt, ein fester Termin sei die beste Inspiration für einen Künstler.“

Maggie erwiderte sein Lächeln strahlend, dann eilte sie ins Haus, wobei sie eine fröhliche Melodie summte.

„Ich weiß nicht, was Sie daran auszusetzen haben, Maggie! Ich finde es jetzt schon großartig.“

Sie war in die Betrachtung des Bilds ganz vertieft gewesen und blickte nun hoch. Tom kam auf sie zu, einen Becher frisch gebrühten Kaffee in der Hand.

„Wie bitte?“, fragte sie.

„Big Blue, wie ich es inzwischen getauft habe. Ihr Bild, Maggie! Es macht sich doch schon ganz gut.“

Sie ließ einen trockenen Pinsel zwischen den Fingern kreisen, während sie Tom musterte, der wiederum kritisch das Bild betrachtete. Sie hatte an diesem Nachmittag einige Farbtupfer in der oberen Hälfte eingearbeitet, was man durchaus als Fortschritt werten konnte, wenn schon nicht als Verbesserung.

Tom stellte sich neben sie, und sie hatte den Eindruck, seine Haut würde die gespeicherte Sonnenwärme abstrahlen. Als er einen Schluck Kaffee trank, ohne den Blick von dem Bild zu lösen, freute sie sich.

Es war für sie immer faszinierend zu beobachten, wie jemand sozusagen die Beziehung zu ihren Werken aufnahm.

„Es gefällt mir immer besser“, kommentierte Tom schließlich. „Ja, es wird sich sehr gut an der einen Wand in meinem Badezimmer machen.“

Überrascht lachte Maggie auf. „Wenn Sie das ernsthaft vorhaben, bekommen Sie das Bild nicht.“

„Na gut, dann suche ich ihm einen anderen Platz. Obwohl es im Bad mehr Leute sehen würden als in meinem Schlafzimmer.“

„Dass meine Galeristin es überhaupt nicht zu sehen bekommt, freut mich jedenfalls“, gestand Maggie.

„Ach, Sie haben eine Galeristin?“

Sie funkelte ihn an. „Warum so überrascht? Ich dachte, Sie würden mich für talentiert halten.“

„Das tue ich durchaus“, sagte er und lächelte entschuldigend. „Nur haben wir hier im Sommer immer sehr viele Hobbymaler, die meistens den Sonnenuntergang abbilden. Jemanden, der tatsächlich Bilder verkauft, habe ich bisher noch nicht gekannt.“

„Jetzt tun Sie’s“, meinte sie beiläufig und ließ wieder den Pinsel zwischen den Fingern kreisen.

„Wie machen Sie das?“, fragte Tom fasziniert. „Es sieht schwer aus.“

„Aber es ist einfacher als Malen und für mich eine der beliebtesten Ablenkungen.“

Er streckte die Hand aus. „Zeigen Sie mir, wie es geht?“

„Ja.“ Sie reichte ihm den Pinsel und vermied bewusst, seine Hand zu berühren.

Zuerst versuchte er es ohne Anleitung, gab es aber bald auf. „Es geht nicht! Der Pinsel ist doch viel zu groß.“

„Unsinn!“ Sie nahm einen noch größeren und steckte ihn zwischen die Finger. „Es ist keine Frage der Physik, sondern des Glaubens“, erklärte sie und sah ihm in die Augen.

Das hätte sie lieber nicht tun sollen, denn plötzlich erfüllte sie ein seltsames Gefühl, und ihre Finger begannen zu beben. Es wäre besser, die Lektion so schnell wie möglich hinter mich zu bringen, sagte sie sich und ließ den Pinsel kreisen.

Natürlich blickte Tom nicht richtig hin und verpasste den eigentlichen Trick.

Als Abschluss warf sie den Pinsel in die Luft und fing ihn hinter ihrem Rücken auf.

„Heiliger Bimbam!“, rief Tom anerkennend. „Ablenkung führt zu einer ganz eigenen Art von Meisterschaft, wie ich sehe.“

Sein Lob freute sie, und als er den Pinsel auf den Tisch zurücklegen wollte, hätte sie beinahe kurz die Hand auf seine gelegt, um ihn zu stoppen. Rasch überlegte sie es sich anders und steckte die Hand sicherheitshalber in die Hosentasche.

„Behalten Sie ihn zum Üben“, bot sie an.

„Oh, danke!“ Er trat einige Schritte zurück, und sie atmete auf. „Ich mache jetzt Feierabend. Und keine Widerrede: Morgen kümmere ich mich ums Mittagessen.“

„Wer würde dem Angebot widersprechen?“, meinte Maggie. „Ich bestimmt nicht.“

Er winkte ihr mit dem Pinsel zu und verließ das Haus.

Seufzend machte sie sich klar, dass in ihrem Fall der Spruch „Aus den Augen, aus dem Sinn“ bestimmt nicht zutreffen würde.

4. KAPITEL

Tom machte vor seiner Haustür einen eleganten Tanzschritt, dann erst schloss er auf. Drinnen legte er das Schlüsselbund in die Holzschüssel auf dem antiken Tisch, und unwillkürlich fiel ihm die verwitterte Gartenbank ein, die Maggie als Ablage in ihrer Diele diente.

Maggie war eine sehr interessante Frau. Klug. Scharfsinnig. Tiefgründig. Und sogar witzig, was er überhaupt nicht erwartet hatte. Seiner Ansicht nach war bei einer Frau die Kombination von Intelligenz und Humor eine umwerfende Mischung.

Als Nächstes hörte er den Anrufbeantworter ab, auf dem ihm einige Jobs angeboten wurden, die er jedoch leichten Herzens ausschlagen würde, da er für die kommenden zwei Wochen engagiert und damit zufrieden war.

Als er den Lichtschalter betätigte, flammten mehrere Lampen im Wohnzimmer gleichzeitig auf und beleuchteten warm die dunklen Ledersofas, die eleganten Mahagonimöbel und seine Sammlung moderner Kunst.

Ja, sein Wohnzimmer war ganz anders als Maggies! Auch wenn er sich jetzt hier als Mann für alles betätigte, statt mit seiner Renovierungsfirma Milliarden zu verdienen und in der besten Gegend Sydneys zu leben, wollte er doch nicht auf die schönen Dinge verzichten, die er bisher gesammelt hatte.

Was hält sie bloß davon ab, ihr Haus zu möblieren?, fragte sich Tom.

Er beschloss, zu duschen und sich dann ein Bier zu gönnen, bevor er sich Nudeln zum Abendessen kochte und anschließend ein Fußballmatch im Fernsehen anschaute.

„Guten Abend, Tom“, erklang es plötzlich aus seinem Arbeitszimmer, und er fuhr erschrocken hoch.

„Alex!“, rief Tom empört. „Mach dich nächstes Mal gefälligst ein bisschen früher bemerkbar.“

„Entschuldige. Du weißt ja, wie das ist, wenn man hart arbeitet. Da vergisst man alles andere. In meinem Büro funktioniert der Internetanschluss nicht, und ich muss noch einige dringende Aufträge bestätigen. Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass ich mich hier kurzfristig eingenistet habe.“

„Natürlich nicht! Möchtest du auch ein Bier?“

„Danke, ich hab mich schon bedient.“ Ohne vom Bildschirm hochzublicken, griff Alex nach der halb vollen Flasche.

„Was ist denn bei dir zu Hause heute los?“, wollte Tom wissen, nachdem er sich aus der offenen Küche ein Bier geholt hatte.

„Musikstunden. Dora lernt neuerdings Trompete“, gestand Alex.

Tom lachte und dachte sich seinen Teil. Wahrscheinlich waren die dringlichen Bestellungen nicht ganz so dringend wie Alex’ Wunsch nach Ruhe.

„Wie ist es dir heute mit Lady Bryce ergangen?“, erkundigte sich Alex. „Wie ist sie überhaupt? Ist sie eine Einsiedlerin? Oder ein Snob, wie die Schwestern Barclay meinen? Und hast du die Motorsäge gebraucht oder nur für alle Fälle mitgenommen?“

„Maggie ist weder eine Einsiedlerin noch ein Snob, sondern ausgesprochen nett“, behauptete Tom.

„Moment mal!“ Alex wandte sich ihm zu und lächelte breit. „Habe ich da etwa Anerkennung in deiner Stimme gehört?“

„Ich fürchte, ja“, gestand Tom. „Sie ist … faszinierend. Und schon bei einer unserer ersten Unterhaltungen habe ich ihr gegenüber Tess erwähnt.“

Alex sah ihn verblüfft an. „Ach ja? Wieso hast du ausgerechnet mit ihr über deine Schwester gesprochen?“

„Keine Ahnung!“

„Erinnert sie dich irgendwie an Tess?“

„Nein. Maggie ist groß, schlank und anmutig wie eine Ballerina, Tess war doch eher ein kleiner Wildfang und ein bisschen rundlich. Vielleicht habe ich sie deshalb erwähnt, weil sie sich so für Kunst begeistert. Maggie ist Malerin.“

Alex zuckte nur die Schultern.

„Sie hat Mumm“, fügte Tom hinzu. „Und eine ziemlich scharfe Zunge. Ihre sarkastische Art hätte Tess gefallen.“

Ein bisschen Würze muss sein im Leben, dachte er und trank einen Schluck. Er und Tess hatten mehr Wert auf diese Würze gelegt als die meisten anderen Menschen, die er kannte. Die Wortgefechte mit ihr vermisste er immer noch. Täglich …

„Wie heißt die Lady doch gleich mit Vornamen?“, erkundigte Alex sich.

„Maggie. Wieso?“

„Ich sehe mal kurz nach, was im Internet über sie zu finden ist!“

Obwohl Tom sich wegen seiner Neugier insgeheim tadelte, ging er zu Alex und sah ihm über die Schulter.

„Aha! Sie ist entweder eine dreizehnjährige Meisterin im Skateboardfahren oder eine vierundneunzigjährige Pferdezüchterin in Irland.“

„Lass mich mal!“

Alex machte ihm Platz. „Das macht richtig Spaß“, bemerkte er.

„Du solltest eben öfter dein Haus verlassen“, riet Tom seinem Cousin, der nur nickte, und gab außer Maggies Namen den Begriff Malerin ein, dazu Melbourne.

Sofort lieferte der Computer nicht nur Informationen, sondern auch Fotos. Eins davon zeigte sie, noch keine zwanzig Jahre alt, neben einem Porträt in leuchtenden Farben, mit dem sie einen sehr renommierten Kunstpreis gewonnen hatte.

Ja, es war unverkennbar „seine“ Maggie Bryce, auch wenn er sie noch nie so strahlend hatte lächeln sehen.

„Donnerwetter“, sagte Alex hinter ihm. „Dieser Kunstpreis ist eine große Sache, richtig?“

„So ziemlich die größte in Australien“, bestätigte Tom und klickte weitere Fotos an. Auf denen sah sie so aus, wie er sie kannte: in Jeans und T-Shirt, einen Farbfleck auf der Wange. Und wieder lächelte sie strahlend.

„Sie ist nicht nur faszinierend, sie ist hinreißend schön“, bemerkte Alex beeindruckt.