Kalamitäten im Sparverein - Thomas Hrabal - E-Book

Kalamitäten im Sparverein E-Book

Thomas Hrabal

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Beschreibung

Gramakirchen ist ein Schmelztiegel des beschaulichen Landlebens. Ob beim Kirchenchor, im Tennisstüberl oder beim Dorfwirt: alles ist in bester Ordnung. Bis der eingeheiratete Schwiegersohn des gerade verstorbenen Altbürgermeisters zum Kassier des Sparvereins gewählt wird. Er verschwindet kurz darauf mit der Sparvereinskasse. Und auch das alte Tanklöschfahrzeug der freiwilligen Feuerwehr ist weg! Die dadurch ausgelöste Verfolgungsjagd entwickelt sich zu einem abenteuerlichen Roadtrip.

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Thomas Hrabal

Kalamitäten im Sparverein

Landkrimi aus Österreich

Zum Buch

Sparvereins-Roadtrip Gramakirchen ist ein Schmelztiegel des beschaulichen Landlebens. Ob beim Kirchenchor, im Tennisstüberl oder am Stammtisch beim Dorfwirt »Zum goldenen Bock«, dem Zuhause des Sparvereins »Zum heiligen Gerschtl«: alles ist in bester Ordnung. Bis Magister Peter Gerl, der eingeheiratete Schwiegersohn des gerade verstorbenen Altbürgermeisters Franz Gollinger, zum Kassier des beliebten Sparvereins gewählt wird. Neu im Amt verschwindet Gerl kurz darauf mit dem Schwarzgeld des örtlichen Baumeisters und heimlichen Ortskaisers Josef Graminger aus der Sparvereinskasse. Und auch Barbara, das alte Tanklöschfahrzeug der freiwilligen Feuerwehr, ist weg! Die dadurch ausgelöste Verfolgungsjagd entwickelt sich zu einem abenteuerlichen Roadtrip durch Österreich, Ungarn, Serbien und Nordmazedonien bis in den Kosovo.

Thomas Hrabal, geboren 1967, lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Wien Mauer. Der promovierte Architekt und Projektmanager arbeitet mit seinem Team an Laborgebäuden und vielen anderen spannenden Projekten. Von 2005 bis 2009 leitete er den Aufbau eines internationalen Architekturstudiums im Kosovo. 2016 gewann er den österreichischen Kinderbuchpreis LESEL.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Andreas Praefcke; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Schulsparkasse_Wirtschaftsmuseum_RV.jpg

ISBN 978-3-8392-7098-1

Zitat

»Man muss rechtzeitig darauf schauen,dass man’s hat, wenn man’s braucht!«

VERFASSUNG

Sparverein Zum heiligen Gerschtl – Satzung

§ 1 Die Spargemeinschaft verfolgt den Zweck, ihren Mitgliedern die Gelegenheit zum regelmäßigen, zusätzlich auch freiwilligen Sparen zu bieten. Die hierbei anfallenden Zinsen sowie etwaige Eintritts- und Strafgelder werden verwendet für die Finanzierung von Veranstaltungen, die der Verein für seine Mitglieder durchführt.

§ 2 Mitglied in der Spargemeinschaft kann jede natürliche Person werden, die das 16. Lebensjahr vollendet hat und in ihrer Geschäftsfähigkeit nicht beschränkt ist. Das Aufnahmebegehren in die Spargemeinschaft wird gegenüber dem Vorstand erklärt. Dieser kann die Aufnahme mit Stimmenmehrheit verweigern. Die Mitgliedschaft ist mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende jederzeit kündbar. Die Mitgliedschaft endet im Übrigen durch Tod oder durch Ausschluss, den die Mitgliederversammlung mit Stimmenmehrheit bestimmen kann. Ein Mitglied hat keinen Anspruch auf Auszahlung eines Anteils an den von der Spargemeinschaft vereinnahmten Zinsen, Straf- und Eintrittsgeldern. Das gilt auch dann, wenn das Mitglied kurz vor einer gemeinschaftlichen Veranstaltung ausscheidet, die mithilfe der genannten Beträge finanziert wird.

§ 3 Für die Aufnahme der Sparbeiträge verwendet die Gemeinschaft einen Sparschrank. Jedem Mitglied der Spargemeinschaft wird ein Fach zugeteilt, das mit seinem Namen sowie einer Nummer versehen ist. Der Sparschrank ist mit zwei Sicherheitsschlössern versehen und mit einem Gebäudeteil fest verbunden. Er ist in der Gastwirtschaft Zum goldenen Bock, Hauptstraße 13, 7654 Gramakirchen, aufgehängt und dort den Mitgliedern während der üblichen Geschäftszeiten zugänglich.

§ 4 Das Geschäftsjahr der Spargemeinschaft beginnt am 1. Juli und endet zum 30. Juni des Folgejahres.

§ 5 Die Amtszeit des Vorstandes beträgt ein Jahr. Seine Mitglieder können wiedergewählt werden. Die Wahl hat anonym zu erfolgen. Der Vorstand ist ehrenamtlich tätig und trifft seine Entscheidungen mit einfacher Mehrheit. Verfügungen über das Vereinskonto kann nur der/die Vorsitzende in Verbindung mit zwei weiteren Vorstandsmitgliedern vornehmen, verwaltet wird dieses vom/von der Kassier(in).

§ 6 Die Mitglieder der Gemeinschaft sind einmal jährlich durch Aushang in der Nähe des Sparschrankes zu einer Versammlung einzuladen. Die Versammlung ist beschlussfähig, wenn mindestens 50 Prozent der Mitglieder anwesend sind. Die Versammlung wählt anonym den Vorstand der Gemeinschaft, und zwar den/die Vorsitzende(n), eine(n) Stellvertreter(in), den/die Kassier(in) und den/die Schriftführer(in). Die Mitgliederversammlung entscheidet, für welche Art der gemeinschaftlichen Veranstaltung die aufgelaufenen Zinsen sowie etwaige Eintritts- und Strafgelder verwendet werden. Die Mitgliederversammlung entscheidet ferner über eine Geschäftsordnung, die unter anderem die Höhe des mindestens einzuzahlenden Sparbetrages sowie die Höhe der Zinsen, der Eintritts- und Strafgelder festlegt.

§ 7 Die Spargemeinschaft kann sich durch Zwei-Drittel-Beschluss der jährlichen Mitgliederversammlung auflösen. In diesem Fall werden die jeweils angesparten Beträge ausgezahlt. Jedes Mitglied erhält den von ihm angesparten Betrag gegen Quittung ausgezahlt. Das Guthaben der Spargemeinschaft aus Zinsen, Eintritts- und Strafgeldern wird unter den Mitgliedern, die ihr zur Zeit des Auflösungsbeschlusses angehören, zu gleichen Teilen aufgeteilt.

Sparverein Zum heiligen Gerschtl – Geschäftsordnung

§ 1 Jedes Mitglied hat zugunsten der Spargemeinschaft ein einmaliges Eintrittsgeld in Höhe von € 25,- zu entrichten. Das Eintrittsgeld wird nicht erstattet und kann auch nicht mit Sparleistungen verrechnet werden.

§ 2 Jedes Mitglied hat monatlich einen Mindestbetrag in Höhe von € 20,- durch Einzahlung in sein Fach zu sparen. Zusätzliche freiwillige Sparleistungen sind jederzeit möglich. Der obligatorische Sparbetrag muss jeweils bis fünf Tage vor Monatsende eingegangen sein. Ist ein(e) Sparer(in) seinen/ihren Verpflichtungen mindestens dreimal ohne Entschuldigung gegenüber dem Vorstand nicht nachgekommen, kann der Vorstand gegen ihn/sie ein einmaliges Strafgeld in Höhe von € 35,- verhängen. Das Strafgeld ist zugunsten der Spargemeinschaft zu leisten. Im Falle von Erwerbslosigkeit, Krankheit oder anderen sozialen Notlagen kann der Vorstand über eine Befreiung von der wöchentlichen Sparpflicht entscheiden.

§ 3 Die Entleerung der Spareinlagen hat monatlich, jeweils bis zum letzten Tag eines Monats, zu erfolgen. Die Entleerung nehmen ein anwesendes Spargemeinschafts-Mitglied und der/die Kassier(in) gemeinsam vor. Letztere(r) verwahrt den Schlüssel für den Sparschrank. Über die entnommenen Geldbeträge aus den einzelnen Sparfächern wird eine Liste aufgestellt, die die beiden Vorgenannten gemeinsam zu unterschreiben haben.

§ 4 Das dem Sparschrank entnommene Geld ist auf dem der Entleerung folgenden Werktag auf das Vereinskonto bei der Raiffeisenbank Gramakirchen zugunsten der Spargemeinschaft einzuzahlen.

§ 5 Das Sparjahr läuft jeweils elf aufeinander folgende Monate. Danach erhält jedes Mitglied die von ihm/ihr eingezahlten Sparbeiträge zurück. Die Auszahlung der Spargelder hat jeweils bis zum Ablauf des darauffolgenden Monats zu erfolgen. Was das einzelne Mitglied in den Verein einlegt, sind also nicht die Sparbeiträge als solche, sondern nur das Recht auf vorübergehende Nutzung dieser Sparbeiträge.

§ 6 Der Sparschrank und sein jeweiliger Inhalt werden gegen Einbruchdiebstahl versichert. Die Kosten der Versicherung trägt die Spargemeinschaft. Der Sparschrank wird mit einer Alarmanlage ausgerüstet.

§ 7 Die etwaige Unwirksamkeit einzelner Vereinbarungen dieser Geschäftsordnung hat auf die Wirksamkeit der ganzen Satzung in ihren übrigen Teilen keinen Einfluss.

VERSTRICKUNG

Beerdigung des Altbürgermeisters

…, bitte für uns Sünder

jetzt und in der Stunde unseres Todes.

Amen.

Gegrüßet seist Du, Maria,

voll der Gnade, der Herr ist mit Dir.

Du bist gebenedeit unter den Frauen,

und gebenedeit ist die Frucht Deines Leibes, Jesus.

Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder

jetzt und in der Stunde unseres Todes.

Amen.

Gegrüßet seist Du, Maria, bitte für uns Sünder

jetzt und in der Stunde unseres Todes.

Amen.

Gegrüßet seist Du, Maria,

voll der Gnade, der Herr ist mit Dir.

Du bist gebenedeit unter den Frauen,

und gebenedeit ist die Frucht …

»Es geht nicht, dass er das wird.«

»Ich weiß, aber …«

»Nichts weißt du. Weißt du, was das heißt?!«

»Schon, nur …«

»Nur was? Ihr seid euch alle nicht im Geringsten dessen bewusst, was das heißt.«

Eine der Frauen vor ihnen drehte sich um und warf ihnen einen verärgerten Blick zu.

Gleich würde Hochwürden mit der Grabrede für den verstorbenen Altbürgermeister beginnen. Da wäre es wohl auch von den beiden ehrenwerten Herren nicht zu viel verlangt, dem Anlass entsprechend Würde zu bewahren!

Josef Graminger war es nicht gewohnt, dass man ihn zurechtwies, aber in Anbetracht der Umstände bedeutete er Ludwig Piringer mit einer Geste, später mit dem Gespräch fortzufahren.

»… Maria,

voll der Gnade, der Herr ist mit Dir.

Du bist gebenedeit unter den Frauen,

und gebenedeit ist die Frucht Deines Leibes, Jesus.

Heilige Maria, Mutter Gottes, …«

Der Pfarrer hatte Aufstellung neben dem offenen Grab genommen, eingerahmt von einem knappen Dutzend Ministranten. So viele hatte er nicht einmal zu den Feiertagsgottesdiensten, aber heute wollte es sich keine der angesehenen Familien von Gramakirchen nehmen lassen, Hochwürden einen Spross zur Seite zu stellen.

»Liebe Gemeinde, liebe Hinterbliebene, liebe Fritzi!« Er blickte zur trauernden Tochter des Verstorbenen. »Wir sind heute zusammengekommen, um uns von deinem geliebten Vater, unserem ehrenwerten Altbürgermeister, unserem Ehrenfeuerwehrkommandanten, unserem langgedienten Fußballvereinspräsidenten, unserem Pfarrgemeinderatsmitglied, unserem Sparvereinskassier, unserem …«, er räusperte sich, »Freund und Gönner Gollinger Franz zu verabschieden.«

Er hielt kurz inne. Nicht, um die Wirkung seiner Worte zu verstärken, sondern, weil ein Güterzug direkt am Friedhof vorbeirauschte.

Gramakirchen war eine infrastrukturell hervorragend angebundene Gemeinde, wie man der Homepage des neu aufgeschlossenen Gewerbegebietes, das um Betriebsansiedlungen warb, entnehmen konnte. Das vom Verkehr der vor dem Friedhof vorbeiführenden Bundesstraße stammende Hintergrundrauschen bestätigte dies eindrucksvoll.

»Der Tod ist gewiss, ungewiss nur seine Stunde, heißt es. Unser Franz führte ein Leben für die Gemeinschaft, er …«

Jetzt auch noch der Schnellzug. Die Schwingungen verdichteten sich zuerst Hals über Kopf zu immer höheren Frequenzen, um sich dann wieder langsam länger werdend zu verabschieden, der Doppler-Effekt in Reinkultur.

Dass er sich mit der Situierung des neuen Friedhofs zwischen Bahn und Bundesstraße seine eigene Grabrede verderben würde, hatte er wohl nicht geplant, der Herr Bürgermeister. Aber derart pragmatische Überlegungen waren nie relevant gewesen bei den Entscheidungen des langjährigen Ortskaisers. Dafür waren ganz andere Kriterien ausschlaggebend.

Pfarrer Piotr Santak ließ seinen Blick in die Runde schweifen. Es waren wirklich alle gekommen. Der Gemeinderat, die Funktionäre und Mitglieder der Vereine: Feuerwehr, Fußball, Verschönerung, Sparverein, selbstverständlich auch die Bürgermeister aller Gemeinden des Entsorgungsverbandes. Der Gemeinderat von Gramakirchen war einst, wie üblich, einstimmig der Empfehlung einer vom Altbürgermeister höchstpersönlich eingesetzten Expertenkommission gefolgt, die Mülldeponie für die umliegenden sieben Ortschaften auf seinem Gemeindegebiet zu errichten. Aus den jährlichen Kompensationszahlungen für die daraus resultierenden olfaktorischen Emissionen ließ sich neben den laufenden Instandhaltungskosten glücklicherweise auch das der verantwortungsvollen Aufgabe angemessene Salär des Entsorgungsverbandsobmannes finanzieren, ein Posten, für den der liebe Verstorbene sich in seiner Gemeinschaftsverbundenheit über viele Jahre aufgeopfert hatte.

Die honorige Expertenkommission von damals war selbstverständlich ebenfalls vollzählig anwesend, angeführt von Josef Graminger, dem geschäftsführenden Gesellschafter der örtlichen Graminger Bau. Der Baumeister tuschelte immer noch in einer Tour mit dem Filialleiter der hiesigen Raiffeisenkasse und langjährigem Sparvereinsobmann. Es war gar nicht deren Art, so ungeniert in aller Öffentlichkeit zu konspirieren. Der unerwartete Tod des Gemeindeobersten hatte wohl für gehörig Unruhe bei den ehrenwerten Herren in seinem Dunstkreis gesorgt.

»Im Namen der Hinterbliebenen bedanke ich mich für die geschätzte Anwesenheit, die Blumen-, Bukett-, und Kranzspenden, und darf ich alle Trauergäste zum gemeinschaftlichen Speisen in den Goldenen Bock einladen«, leierte der Bestatter in seinem monotonen Tonfall herunter.

Der Gasthof Zum goldenen Bock war der Brennpunkt des dörflichen Lebens in Gramakirchen. Hier wurden die Meilensteine im Leben jedes rechtschaffenen Gramakirchner Bürgers zelebriert. Vom Essen zur eigenen Taufe über den Festschmaus zur Erstkommunion und selbigen zur Firmung bis zur großen Hochzeitstafel, gefolgt von den Taufen, Erstkommunionen, Firmungen und Hochzeiten der Kinder, Enkel, der näheren und entfernteren lokalen Verwandtschaft, über Freunde und Vereinskollegen bis eben schlussendlich dem eigenen Leichenschmaus war der Goldene Bock Schauplatz und Zeuge aller zu begehenden römisch-katholischen Rituale. Dazu kamen die obligatorischen Anlässe an allen christlichen Feiertagen, der sonntägliche Frühschoppen, die Nachbesprechungen von Gemeinderats- oder Vereinssitzungen, die monatlichen Sparvereinstreffen, das Preisschnapsen, die Stammtischrunde und ein paar außertourliche Besuche mit Kollegen, Kameraden oder Familie.

Die ehemalige Postkutschenstation lag direkt an der Bundesstraße unweit des Kirchenplatzes. Seit der Verbreiterung der alten Hauptstraße auf den für Bundesstraßen vorgeschriebenen Regelquerschnitt musste man bei jedem vorbeifahrenden Lkw um das schmiedeeiserne Steckschild mit dem glänzenden goldenen Bock bangen.

Johann »Johnny« Scheuringer hatte das erste Haus am Platz von seiner Mutter übernommen, die es nach dem frühen Tod ihres Gatten in siebenter Generation fortgeführt hatte, bis der Hansi alt genug war, in den Betrieb einzusteigen. Die mittlerweile angegraute Eternitfassade stammte noch aus der kurzen Ära seines Vaters.

Der Wirt des Goldenen Bocks stand, so breitbeinig es der Platz zwischen Hausmauer und Gehsteigkante zuließ, vor dem Eingang seines Dorfgasthofes und begrüßte jeden einlangenden Trauergast mit gebührendem Ernst, einem halb verschluckten »Mein Beileid«, das klang wie »ei-ei-ei«, und einem Händedruck Marke Schraubstock.

Seit Tagen war er mit den Vorbereitungen beschäftigt. So einen Umsatz machte er nur zwei bis drei Mal im Jahr, wenn überhaupt. Sogar das große Festzelt hatte er im Hof aufgestellt, was am Vorabend der Beisetzung zu heftigen Diskussionen mit der alteingesessenen Stammtischrunde geführt hatte. Der Feuerwehrkommandant-Stellvertreter Alfred Pointinger, aufgrund der Betagtheit des Kommandanten seit Jahren der eigentliche Chef der örtlichen Freiwilligentruppe und grundsätzlich ein treuer Freund des Hauses, fand das unpassend.

»Ein Festzelt ist zum Feiern da. Und einen Grund zum Feiern haben wir wohl nicht!«

»Wir zelebrieren morgen zu Ehren von unserem Josef – Gott hab ihn selig – eine Trauerfeier! Der Herr Altbürgermeister hätte das Aufstellen des Festzeltes sehr wohl zu schätzen gewusst.«

Alfred Pointinger war offensichtlich überrascht und wenig begeistert von der Entgegnung des Kirchenchorleiters Herbert Irdinger, einem sonst eher zurückhaltenden Charakter im Ruhestand, der an den Stammtischabenden meist mehr Viertel Rot trank, als er Worte wechselte.

»Geh, Herbert, trink lieber noch ein Viertel und halt den Mund!«

Der Wirt ließ sich in seinem Umsatzstreben ohnehin durch die Kommentare der Stammtischrunde nicht irritieren. Also stand das Zelt festlich im Hof und füllte sich rasch mit der großen Trauergemeinde. Renate Scheuringer, die fesche Wirtsgattin, empfing die einlangenden Gäste und wies ihnen die Plätze zu. Gerade bei einem förmlichen Anlass wie diesem war die Einhaltung der ungeschriebenen Hierarchie des dörflichen Netzwerkes oberstes Gebot. Und die Wirtin war eine ausgewiesene Kennerin der sozialen Strukturen des Gramakirchner Mikrokosmos.

Wie es sich demgemäß gehört, traf als eine der Letzten Friederike Gollinger-Gerl ein, die Tochter und einzige Hinterbliebene des Verstorbenen. Am Arm ihres Mannes nahm sie gefasst wiederholte Beileidswünsche entgegen und ging zum Kopf der Tafel, wo der designierte Nachfolger ihres Vaters, Vizebürgermeister Ernst Holzinger, sie bereits erwartete und ihr einen Stuhl anbot. Er führte mittlerweile schon ein paar Monate die Geschäfte, seit immer mehr klar geworden war, dass Franz Gollinger diese aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben können würde.

»Fritzi.«

»Ernst.«

»Fritzi, ich muss mit dir sprechen.«

»Nicht jetzt, Ernst«, erwiderte sie dem Vizebürgermeister.

»Fritzi, Josef …«

»Ernst, nicht jetzt!«

»Fritzi, Josef lässt das nicht zu.«

»Ernst, wir sind hier versammelt, um das Ableben meines Vaters, deines Mentors, zu betrauern.«

»Fritzi, …«

»Geh, Willi, bring mir einen doppelten Espresso bitte«, drehte sie sich zum Kellner und dem Vizebürgermeister den Rücken zu.

Schließlich erschien Hochwürden Piotr Santak und setzte sich feierlich auf den Platz neben den Schwiegersohn des Dahingeschiedenen. Sie waren beide nicht von hier. Der Priester war aus Polen oder Tschechien von der Diözese geholt worden, nachdem die Pfarrei nach dem Ableben des Altpfarrers, wie man seinen Vorgänger im Ort immer noch nannte, schon monatelang nicht besetzt gewesen war. Das war kein Zustand damals. Und der Schwiegersohn war ein Akademiker aus der Landeshauptstadt. Man munkelte, die Bürgermeistertochter und er hätten sich über eine Online-Partnerplattform oder so kennengelernt. Sie hatte davor zwar ihre Liebschaften im Ort, vor allem mit dem baldigen Amtsnachfolger ihres Vaters, Ernst Holzinger, war sie sogar recht lange liiert gewesen, aber es war nie etwas Ernstes daraus geworden. Kurz vor ihrem 30. Geburtstag, als sich viele Leute in Gramakirchen schon Gedanken über ihre beziehungsmäßige Zukunft machten, wurde dann überraschend die Verlobung mit Magister Peter Gerl bekanntgegeben. Er hatte bald nach der Hochzeit die Steuerberaterprüfung gemacht, damit er in die Kanzlei seines Schwiegervaters eintreten konnte. Ansonsten wusste man wenig über ihn, er kam nur selten in den Goldenen Bock, und wenn, dann immer nur an der Seite seiner Gattin.

Der Leichenschmaus konnte beginnen. Die extra großen Totensemmeln, mit Kümmel und Anis bestreut, waren schon angerichtet. Eine Tradition, die dabei half, den ersten Hunger zu stillen oder einfach nur aus Verlegenheit ein Stück abzubrechen und sich so über die ersten Minuten der traurigen Zusammenkunft hinwegzuretten.

Lange dauerte die Beklemmung aber nicht an. Spätestens nach dem gekochten Rindfleisch – niemand machte so einen herrlichen Semmelkren wie Renate Scheuringer, die Wirtin vom Goldenen Bock – schwoll der Lärmpegel aber schon wieder auf das übliche Maß eines Frühschoppens an.

»Ist ja tragisch, dass er nicht mehr unter uns weilt, aber überraschend war es zuletzt nicht.«

»Der Herr gibt, der Herr nimmt.«

»Und dem Gollinger Franz hat er es im Leben reichlich gegeben, jetzt hat er ihm ebendieses genommen.«

»Vor dem Herrn sind alle gleich, selbst der Herr Altbürgermeister.«

»Der Franz wird es sich da oben sicher auch richten.«

»Wenn er hinaufkommt!«

»Er war schon ein fescher Mann früher, wie er noch jung war und noch nicht so … so beleibt war!«

»Also fesch war er aber wirklich nicht! Dir hat an ihm wohl sein vieles Geld gefallen.«

»Herrschaften, könnt ihr euch bitte wenigstens heute zurückhalten? Jetzt ist er gerade eine Stunde unter der Erde, ihr esst und trinkt quasi noch auf seine Kosten und zerreißt euch euer schändliches Maul über ihn!«

»Hast du schon mit ihr geredet?«

Baumeister Josef Graminger fing den Vizebürgermeister, der bis jetzt nicht von seinem Platz neben der trauernden Tochter gewichen war, vor dem Pissoir ab.

»Ich habe es versucht.«

»Und?«

»Und nichts. Sie will nicht darüber reden.«

Ein Trauergast musste seine Blase entleeren.

»Grüß Gott, Herr Bürgermeister! Servus, Josef!«

»Ernstl, du musst …«

Wieder forderte das Gramakirchner Pils sein Tribut.

»Grüß Gott, die Herren.«

»Du, Josef, wir können hier nicht reden, da geht ständig jemand aufs Klo oder kommt heraus! Und außerdem wird schon nichts sein.«

Vizebürgermeister Ernst Holzinger ließ den Baumeister vor dem stinkenden Pissoir stehen und ging an seinen Platz zurück. Ihm war überhaupt nicht wohl in seiner Haut. Der Herr Graminger stellte sich das so einfach vor, aber so war das jetzt nicht mehr. Aber vielleicht würde Fritzi ja doch noch zur Vernunft kommen.

Just in diesem Moment erhob sich Friederike Gollinger-Gerl, nahm ihr Weinglas und schlug mit dem Messer dagegen, um sich Gehör zu verschaffen.

»Liebe Freunde, ich möchte kurz um eure Aufmerksamkeit bitten.«

»Schschschscht!«

»Danke! Er …«