Topfenknödel Kalamitäten - Thomas Hrabal - E-Book

Topfenknödel Kalamitäten E-Book

Thomas Hrabal

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Beschreibung

Gramakirchen ist ein Schmelztiegel der österreichischen Seele. In Österreich gibt es unzählige Landgasthäuser wie den Goldenen Bock, die das österreichische Dorfleben in all seinen Facetten perfekt widerspiegeln. Das Buch ist eine liebevolle, leicht ironische Hommage an diese Welt samt ihrem Umfeld und den dafür typischen Charakteren. Das vererbte Topfenknödel-Geheimrezept der Wirtin des Gramakirchner Dorfwirtshauses kommt abhanden. Kurz darauf eröffnet eine neue Knödel-Fast-Food-Kette, deren Knödel verdächtig gut schmecken. Die Stammtischrunde ist empört und wild entschlossen für Aufklärung zu sorgen: man gründet eine Taskforce. Im Ort entwickeln sich Verdächtigungen, erste Aufklärungsversuche scheitern, aber schlussendlich gelingt es doch, den gemeinen Diebstahl aufzudecken. Durch die anschließende Medienberichterstattung werden die Wirtin und ihr köstliches Rezept noch berühmt.

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Gramakirchen ist ein Schmelztiegel der österreichischen Seele. Ob beim Kirchenchor, am Fußballplatz oder am Stammtisch beim Dorfwirt „Zum goldenen Bock“, dem Gasthaus der Familie Scheuringer: alles ist in bester Ordnung. Bis das Geheimrezept der Wirtin Renate zur Zubereitung der weltbesten Topfenknödel gestohlen wird!

hangry

[„hungry“ + „angry“]

The anger you fell due to lack of food.

An irritable state of mind

that can only be cured by prompt eating.

Inhaltsverzeichnis

Sauerkraut

Verkaufsfahrt

1. SC Veggieversum Gramakirchen

Porzellanfiguren-Verkaufsvorführung

Stammtisch

Tourneeprobe

Knödel-Woche

Frühstücksfernsehen

Preisschnapsen

Bezirksblatt

Bärlauch-Woche

Knödel-King goes international

Fanblock in Aufruhr

Taskforce Topfenknödel

Kirchenchor – Die Verabschiedung

Verdächtigungen

Spanferkel - Grillabend

Knödel-King – Investigationen

Kirchenchor – Auf Tournee

Gramakirchner Kirtag

Topfenwickel

Knödel-King – Der Plan

Dauerwellen

Knödel-King – Der Köder

Knödel-King – Die Falle

Stammtisch - Verzweiflung

Knödel-King – Die Wende

Stammtisch - Euphorie

Knödel-King – Der Fall

Knödel-King – Die Krise

Medienhype

Knödel-King – Die Übernahme

Influencerin

Topfen-Queen – Die Neueröffnung

Buchpräsentation

Topfen-Trivia

Renates Topfen-Bibel (Auszug)

Sauerkraut

Gramakirchen zeigte sich von seiner schönsten Seite. Golden angestrahlt von der sanften Frühlingssonne verschmolzen die Häuser der kleinen Ortschaft harmonisch mit den hell- und dunkelbraun gestreiften Äckern und saftigen Wiesen, unterbrochen von Waldstücken in einer breiten Palette an Grüntönen. Als kitschige Abrundung der Szenerie schlängelte sich die blau glitzernde Grama durch die leicht hügelige Landschaft der Umgebung und durch das Dorf, vorbei am Fußballplatz, was immer wieder zu ungewollten Ballverlusten führte, und am Feuerwehrhaus, was sehr praktisch für die Löschübungen war.

Nicht am idyllischen Bach, sondern an der Bundesstraße gelegen ist der Dorfgasthof, wo die Wirtin vor dem Eingang ihres Goldenen Bocks stand und mit dem schönen Wetter und dem neuen schmiedeeisernen Wirtshausschild mit seiner stattlichen Steinbocksilhouette um die Wette strahlte.

Hintereinander bogen ein kleiner Sportwagen und ein Mini auf den Wirtshausparkplatz und parkten sich nebeneinander unter der großen Linde ein. Friederike Gollinger-Holzinger und Maria Steininger entstiegen ihren beiden Flitzern und winkten der Wirtin zu.

„Schön, dass ihr’s geschafft habt“, begrüßte Renate Scheuringer ihre beiden Freundinnen herzlich.

„Danke, dass du dir die Zeit für uns nimmst“, erwiderte Friederike Gollinger-Holzinger.

„Ich habe uns einen Winzersekt mitgenommen. Ist gekühlt!“ Maria Steininger reichte der Wirtin die Flasche.

„Na dann kann es ja losgehen. Kommt rein in die gute Stube!“

Der Goldene Bock war leer, es war Montag, Ruhetag.

Die Damenrunde begab sich zielstrebig in die Küche.

„Ihr könnt Eure Sachen da ablegen.“ Renate Scheuringer zeigte auf ein Pult neben der Türe. „Und nehmt euch die Schürzen, die ich hingelegt habe.

Damit ihr euch nicht eure Designerkleidchen anpatzt!“

Die beiden Gäste legten folgsam die frisch gestärkten weißen Wirtshausschürzen an. Währenddessen öffnete die Wirtin den Winzersekt, füllte drei Sektflöten randvoll und reichte ihren Freundinnen die Gläser.

„Auf gutes Gelingen, meine Lieben!“

„Auf gutes Gelingen“, antwortete Maria Steininger.

„Unter deiner fachlichen Anleitung mache ich mir keine Sorgen. Aber du musst wirklich ganz von vorne anfangen mit deinen Erklärungen. Ich habe gar keine Ahnung, wie man so ein Sauerkraut kocht!“

„Fermentiert, Mitzi. Nicht kocht. Kommt her, ich habe schon alles vorbereitet!“ Sie führte ihre Freundinnen zu einem Edelstahlpult, auf dem drei große Krauthäuptel und drei nicht minder große, glänzende Küchenmesser auf drei Schneidbrettern akkurat nebeneinander ausgerichtet lagen.

Friederike Gollinger-Holzinger ergriff das bereit gelegte Messer und hob es theatralisch und hochmotiviert über ihren Krauthäuptel.

„Halt, Fritzi! Ich hole noch die restlichen Zutaten, und dann bekommt ihr eine Einführung in die Welt des Haltbarmachens“, lachte die Wirtin. „Die Mitzi will es schließlich immer genau wissen.“

Renate Scheuringer holte ein kleines Tablett hervor, auf dem sie Salz und Gewürze vorbereitet hatte. Dann brachte sie noch drei Schüsseln und drei große Gläser und platzierte alles feinsäuberlich neben den Schneidbrettern.

„Das ist dann eigentlich auch schon alles. Viel braucht man nicht zum Fermentieren. Die äußeren Blätter und den Strunk habe ich schon entfernt. Also könnt ihr eure Happel jetzt gleich in kleine Streifen schneiden!“

Die Messer flogen unter dem wachsamen Blick von Renate Scheuringer im Takt über die Schneidbretter.

„Jetzt gebt ihr das Kraut in die Schüssel und vermengt es mit dem Meersalz, das sind jeweils zirka 20 Gramm. Ihr müsst das Kraut ordentlich kneten, damit der eigene Saft austritt. Den brauchen wir zur Fermentation.“

Die Wirtin inspizierte die Arbeit ihrer Schülerinnen.

„Ja, genau. Ihr könnt jetzt nach Belieben Kümmel, Nelken oder Wacholderbeeren dazu geben. Aber nicht übertreiben! Sehr gut. Jetzt kommt das ganze ins Glas.

Und zwar Schicht für Schicht.“

Sie zeigte vor, wie sie jede Schicht festdrückte und alles mit Salzlake bedeckte.

„So, und zum Schluss beschweren wir das Ganze mit diesen Fermentationsgewichten, damit nichts aufschwimmt und schimmelig wird!“

Sie verteilte die speziellen Glasgewichte, und alle platzierten diese vorsichtig in ihren Gläsern.

„So, jetzt noch die Deckel drauf, aber bitte so, dass noch Luft dazukommen kann, und dann brauchen wir nur noch ein wenig Geduld. Aber zuerst trinken wir auf den erfolgreichen ersten Schritt!“

Renate Scheuringer schenkte ihren Freundinnen nach und sie prosteten sich zu, dann fuhr sie mit ihren interessanten Erläuterungen fort.

„Wir lassen die Gläser mit dem Kraut jetzt eine Woche bei Raumtemperatur stehen. Damit die Bakterien ihre Arbeit aufnehmen können. Die stattfindende Umwandlung führt zu dem typischen Geschmack und macht die Lebensmittel länger haltbar.“

Die beiden Fermentierkursteilnehmerinnen folgten aufmerksam den fachkundigen Erläuterungen.

„Nach diesem Prozess kommen die Gläser nochmals eine Woche in den Kühlschrank. Und dann treffen wir uns wieder zum Kosten!“

Verkaufsfahrt

Ein kalter böiger Nordwestwind, ein hoffentlich letzter Gruß des vergangenen Winters, fegte über die große Asphaltwüste des Busparkplatzes, auf dem einsam auf weiter Flur ein einzelner, moderner Reisebus stand.

Neben der offenen Schwenktüre stand der Chauffeur, in schmuddeligem khakifarbenem Blouson und einer beigen Jogginghose, selbstverständlich rauchend und ein wenig grantig dreinblickend, im Gespräch mit einem zweiten Mann, ebenfalls rauchend, aber mit blitzblauem Slim-Fit-Anzug, schmaler Krawatte, zurückgegeltem Haar und einem Dauergrinsen im Gesicht, Marke „Heizdecken-Verkäufer“, was wohl daran lag, dass das tatsächlich sein Job war.

„Sonderfahrt“ stand in leuchtend roten Lettern auf der Fahrtrichtungs-Anzeige des Reisebusses. Und auf der Windschutzscheibe klebte innen ein Zettel mit der Aufschrift „Verkaufsfahrt Porzellan“.

In etwa im Minutentakt schnauften ältere Damen über den großen Platz auf den Bus zu, sich vor dem Wind schützend, indem sie ihre Jacke am Revers oder im Falle einer Kopfbedeckung diese festhielten. Jede Einzelne wurde vom Verkäufer herzlich begrüßt und vom Chauffeur geflissentlich ignoriert.

Der Busfahrer blickte gelangweilt auf seine Uhr, sah, dass Zeit zum Abfahren war, beschloss aber dann noch eine zu rauchen, was ein Glück für die letzte heranschnaufende Dame war, die sich ein wenig außer Atem und eine Entschuldigung murmelnd schnell die Treppen des Busses hochzog.

„Ist da noch frei?“

„Ja, bitte schön.“

Herta Haberfellner wuchtete sich in den Gangsitz des Reisebusses.

„Ich kenne sie von wo.“

„Bitte?“

„Ich kenne sie von wo. Wir sind uns schon einmal begegnet!“

Erika Smetana versuchte sich ihrer neuen Sitznachbarin zuzudrehen, was sich aufgrund der nunmehrigen Enge ihres Fensterplatzes als aussichtloses Unterfangen erwies.

„Jetzt habe ich sie nicht richtig gesehen, weil ich das Prospekt studiert habe. Aber sie haben recht: Ihre Stimme kommt mir bekannt vor!“

„Waren sie vielleicht beim letzten Mal bei den Schüßler-Salzen dabei?“

„Nein, leider – da waren meine Enkel zu Besuch. Da wäre ich gerne dabei gewesen! Wie war die Fahrt?“

„Sehr informativ. Da haben Sie wirklich etwas versäumt! Ich fühle mich wie ein neuer Mensch, seit ich die Salze täglich nehme.“

Herta Haberfellner kramte in ihrer Handtasche herum, was aufgrund der Körperfülle der beiden Busreisenden ein eher schwieriges Unterfangen war.

„Da: Nummer 9. Natrium phosphoricum, das ist gut für den Stoffwechsel. Die habe ich immer dabei.

Wollen sie eine Tablette?“

„Danke, vielleicht später!“

Erika Smetana versuchte sich den Sicherheitsgurt anzulegen, nestelte umständlich im Spalt zwischen den beiden Sitzen herum und schnaufte angestrengt.

„Ach, lassen sie‘s. Wir zwei stecken hier so fest drinnen. Da brauchen sie sich nicht auch noch anschnallen!“

Herta Haberfellner war über das Herumfummeln an ihrem Oberschenkel ganz offensichtlich nicht begeistert.

„Aber wenn sie nicht bei den Schüßler-Salzen dabei waren, woher kennen wir uns dann?“

„Waren sie beim Grander-Wasser?“

„Letzten Herbst in Bad Ischl?“

„Ja, wo es zu jedem 4er Karton einen Mini-Zauner-Stollen gratis gegeben hat! Die habe ich dann meinen Lieben zu allen vier Adventjausen kredenzt.“

„Natürlich! Sie haben mir damals doch fast die letzte Original-Karaffe weggeschnappt. Aber die nette Dame von Grander hat dann doch noch eine für mich gefunden!“

„Jesus, Maria. Das waren sie! Ich habe Ihnen meine aber angeboten. Ich hätte stattdessen die Halbliter-Karaffe genommen. Wäre eigentlich eh besser gewesen, mir allein ist die Liter-Karaffe eh zu groß.“

„Wir alleinstehenden älteren Damen brauchen ja nicht mehr so viel!“

„Sie sagen’s!“

„Freut mich, dass wir uns heute wieder sehen.“

„Ja, so ein netter Zufall.“

Die Türen des Reisebusses schlossen mit dem typischen Zischgeräusch.

„Gott sei Dank geht es endlich los. Waren sie schon einmal bei den Porzellanfiguren?“

„Ich glaube, der Chauffeur hat nur zugemacht, damit es nicht so kalt reinzieht. Es ist noch eine Viertelstunde. Porzellanfiguren? Nein, das ist mein erstes Mal. Sie?“

„Acht Mal! Ich bin eine leidenschaftliche Sammlerin.“

„Dann müssen sie mir dann Tipps geben!“

„Gerne. Übrigens ich glaube wir können du sagen: Erika.“

„Herta. Sag‘, von wo kommst du eigentlich, Erika?“

„Ich komme aus Groß-Niederau. Aber ich wohne seit meiner Hochzeit in Markt Hinterstätten. 49 Jahre schon!“

„Eine Hinterstättnerin! Dann kann man ja bald zu 50 Jahren Eheglück gratulieren.“

„Das muss ich allein feiern. Der Meinige ist leider schon kurz nach der silbernen Hochzeit von uns gegangen!“

Herta Haberfellner räusperte sich betreten und suchte nach Worten.

„Entschuldigung, das tut mir leid. Ich habe gedacht, weil sie…, weil du von der Hochzeit gesprochen hast.

Ich bin auch schon lange eine Witfrau. 12 Jahre sind es jetzt. Die Männer müssen alle viel zu früh gehen.“

„Ja, da hast du recht. Und wir bleiben über.“

Die Sitznachbarinnen verharrten kurz in ihren Gedanken. Erika Smetana seufzte. Herta Haberfellner kramte in ihrer Handtasche und nahm ein Döschen Schüßler-Salze zur Hand.

„Kalium phosphoricum. Nummer 5. Gut für die Nerven. Willst du jetzt eine Tablette?“

Erika Smetana hielt der Nachbarin ihre Hand hin.

„Danke. Das könnte ich öfter brauchen! Und sag, von wo kommst du?

„Ich wohne hier gleich ums Eck in Waidmannsberg.

Wahrscheinlich fahre ich deshalb so oft mit dem Bus wohin! Damit ich ein wenig herauskomme aus meinem Nest. Und ich finde mir auch meistens etwas Schönes.“

„Ich auch. Es sind immer wieder schöne Sachen dabei.

Entweder für einen selbst oder als Geschenk!“

„In dieser Reihenfolge!“

Herta Haberfellner stieß ihre Sitznachbarin kumpelhaft mit dem Ellbogen, und die beiden älteren Damen lachten verschwörerisch.

„Alles muss man den Kindern nicht geben. Denen geht es doch sowieso so gut heutzutage. Und ein bisschen etwas dürfen wir uns auch gönnen! Wir haben schließlich unser ganzes Leben lang hart gearbeitet und waren immer nur für die anderen da.“

„Sie haben ja so recht. Ach, entschuldige! Stimmt genau, Erika. Uns bleibt doch nicht viel an Vergnügungen. Da dürfen wir uns schon ein wenig verwöhnen. Und bei den Busfahrten treffe ich meistens noch so nette Leute wie dich. Da kann man sich austauschen!“

„Ja, sonst sitzen wir allein zuhause und starren die Decke an. Und die Kreuzworträtsel sind auch immer dasselbe. Ägyptischer Sonnengott mit zwei Buchstaben.“

„Ra. Adriainsel mit drei Buchstaben!“

„Krk!“

„Pag!“

„Rab!“

„Vis“

„Ist!“

„Ist?“

„Ist. Keine Ahnung, wo die ist.“ Sie lachten.

„Uns tut es wirklich gut unter Leute zu kommen!“

„Und wir bekommen gratis eine gute Kaffeejause!“

Der Chauffeur startete den Motor.

„Wo fahren wir denn heute eigentlich hin?“

„Nach Gramakirchen in den Goldenen Bock! Warst du dort schon einmal?“

„Gramakirchen kenne ich. Aber den Goldenen Bock nicht.“

„Die Wirtin dort macht die besten Topfenknödel, nach ihrem uralten Familien-Geheimrezept! Hoffentlich gibt es heute wieder welche. Ich sag’s dir, die Knödel – ein Traum!“

„1, 2. 1, 2, 3. Hallo, kann mich jeder hören?“

Eine Rückkoppelung schoss schrill durch den Reisebus und Erika Smetana hielt sich ein wenig theatralisch die Ohren zu.

„Das ist ja der, der …!“

„Wer?“

„Der Dampfdruckkochtopf-Verkäufer! Was macht der bei den Porzellanfiguren? Da ist doch immer ein anderer, der nette Herr Reznicek.“

„Wer?“

„Der Reznicek. Ein reizender Mensch. Und eine Koryphäe bei Porzellanfiguren. Der hat selbst eine große Sammlung Hummel-Figuren!“

„Sehr verehrte Damen und Herren, ich darf Sie herzlich zu unserer Verkaufsfahrt an Bord des modernen klimatisierten Reisebusses der Firma Fußharz-Reisen begrüßen! Nach dem Motto: Vom Äquator bis zum Pol und weiter, Fußharz ist ihr Reisebegleiter! Mein Name ist Klaus-Jürgen Schleinzer, und ich darf Sie heute ins schöne Gramakirchen begleiten, wo…“

„Der heißt aber nicht Reznicek?!“

Erika Smetana sah Herta Haberfellner fragend an.

„Ach Gott! Ich habe mich auf eine Fahrt mit dem Herrn Reznicek gefreut, und ich hätte so viele Fragen zu seiner Hummel-Figurensammlung gehabt! Und jetzt fährt er nicht mit.“

Herta Haberfellner schaute enttäuscht in die Richtung des jungen Verkäufers, zauberte nervös eines ihrer Schüßler-Salze-Döschen aus der Handtasche und schüttete sich eine Handvoll Tabletten in den Mund.

„Wobei helfen die?“, fragte Erika Smetana leicht irritiert.

„Was weiß ich!“

Herta Haberfellner blickte auf ihr Döschen.

„Nummer 10. Jesus, Maria!“

„Was ist denn damit? Hast du etwas Falsches genommen?“

„Natrium sulfuricum. Gut für die Ausscheidung.“

„Ist ja nicht weit nach Gramakirchen!“ Erika Smetana zwinkerte ihrer Sitznachbarin beruhigend zu.

1. SC Veggieversum Gramakirchen

Das überdimensionale Schild mit dem neuen Vereinslogo prangte stolz am Tribünendach und glänzte hell in der Sonne. Ein perfekter Tag für das Freundschaftsmatch zur offiziellen Präsentation des neuen Sponsors des Landesligisten.

Gramakirchen hatte im Sog seines jungen kosovarischen Goalgetters den historischen Aufstieg geschafft und war topmotiviert in die erste Landesliga-Saison gestartet.

Schnell wurde der ambitionierte Dorfclub aber von der harten Fußball-Realität eingeholt. Der vermeintlich kleine Schritt in die nächste Spielklasse entpuppte sich als Quantensprung in eine neue Dimension mit verschärften Spielregeln abseits des Platzes: saftige Spielerprämien und hohe Transfersummen für Zukäufe, weitere Anfahrtswege zu den Auswärtsspielen, aufwendige Trainingslager und neue Auflagen für den Platz bereiteten dem Vereinsvorstand Kopfzerbrechen. Und auch der anfangs so euphorische Mäzen Josef Graminger musste sich nach einer durchwachsenen ersten Saison eingestehen, dass die Graminger Bau mit den Sponsoring-Budgets der Landesliga-Konkurrenz nicht lange mithalten können würde.

Dass die Rettung in der zweiten und wenn es so weiterginge letzten Landesligasaison in der Person des Dorffleischhauers Walter Dörflinger kommen würde, war wohl noch unerwarteter gekommen als die Probleme in der neuen Liga.

Walter Dörflinger war der neue Shootingstar des Fleischersatzes. Seine Karriere hatte ebenfalls einen Quantensprung gemacht, oder vielmehr hatte er sich quasi durch ein innovatives Wurmloch aus seiner wirtschaftlich angeschlagenen Fleisch-Welt in das boomende Universum der vegetarischen und veganen Ernährung gebeamt: in sein „Veggieversum“!

Die heimischen Handelsriesen rissen sich um ihn und seine innovativen Produkte, die perfekt den Zeitgeist trafen. Seine fleischlosen Würstelkreationen, Fleisch- und Wurstersatzwaren gingen wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln über den Ladentisch. Vor allem seine veganen Leberknödel, kreativ und schmackhaft hergestellt aus Kidneybohnen, Räuchertofu, Zwiebeln, Majoran sowie weiteren Gewürzen nach Geschmack und natürlich auch Semmelbröseln, waren ein absoluter Verkaufsschlager und kürzlich sogar zum internationalen Exporthit geworden.

Man arbeitete bereits mit Hochdruck an der Ausweitung der Produktionskapazitäten; auch eine eigene Kidneybohnenproduktion wurde firmenintern evaluiert, um sich von den stark schwankenden Einkaufspreisen am Weltmarkt unabhängig zu machen.

Und ein stilisierter veganer Leberknödel zierte nun auch das Stadion des 1. SC Gramakirchen: umkreist von vegetarischen Knack- und Weißwurstsatelliten bildet er die zentrale Bildmarke des Veggieversum-Logos.

Somit trug nun auch jeder Spieler des 1.SC einen Leberknödel-Planeten am Rücken, als beigebraunen Hintergrund einer bei den Heimdressen tief Ketchuproten Spielernummer. Die Nummern der Auswärtsdressen sind in Senf-Gelb gehalten. Eine dritte Garnitur in Mayonnaise-Weiß war ursprünglich zur Abrundung des Konzeptes auch im Gespräch, allerdings hatte der neue Marketing-Direktor der Veggieversum GmbH berechtigterweise eingewandt, dass das relativ neutrale Weiß den Geschmack der veganen Mayonnaise nie so appetitlich visuell widerspiegeln würde wie die Senf-gelben und Ketchup-roten Ziffern die damit assoziierten Produkte.

Auch wenn einige Spieler die zu erwartenden Witze der gegnerischen Spieler schon mehr fürchteten als deren spielerisches Können, war der neue Sponsoring-Vertrag alternativenlos und kam gerade noch rechtzeitig um nach einer desaströsen Herbstrunde für die Frühlingssaison die notwendige Verstärkung für die Schwachstellen in Verteidigung, Mittelfeld und Angriff zukaufen zu können. Einzig der heimische Tormann war immer schon ein Talent und hatte bislang noch größeren Schaden von seiner Mannschaft abwenden können.

Walter Dörflinger selbst hatte schon in der Jugend des 1.SC gespielt und war schon immer ein treuer Fan seines Vereins, auch wenn er selbst den Sprung in die Kampfmannschaft nie geschafft hatte. Sportlichen Höchstleistungen stand sein schon damals ausgeprägter Hang zu leiblichen Genüssen im Wege.

Mit der stattlichen Fülle des Ergebnisses jahrelanger fleischlicher und sonstiger Genüsse stand der nunmehr vegane Mäzen auf der Mittelauflage des Spielfeldes und strahlte mit seinem riesigen Firmenschild um die Wette.

„Der Leberknödel ist irgendwie universell, meinst du nicht, Josef?“

Josef Graminger war überhaupt nicht in der Stimmung, irgendetwas Gutes an dem neuen Schild, das jenes der Graminger Bau, das mehr als 20 Jahre lang das von ebendieser errichtete Tribünendach geziert hatte, zu finden. Aber weder wollte er sich etwas von der Erniedrigung, die er gerade empfand, anmerken lassen, noch wollte er seinem alten Freund die Freude verderben.

„Na, es muss ja universell sein, schließlich steht es für dein Universum!“

„Natürlich, aber das meine ich gar nicht“, entgegnete der stolze Ex-Fleischhauer. „Man könnte es darüber hinaus als braunen Fußball interpretieren. Weißt du: ein Knödel und ein Fußball in einem – beide Welten vereinend, als würde sich ein Kreis schließen!“

Das war dem Baumeister, dessen Firmenlogo aus einem Kran, der aus dem G von Graminger herauswuchs und einen das J von Josef bildenden Haken hob, bestand, dann doch zu viel, also hob er – um nicht weiter über das Leberknödel-Logo philosophieren zu müssen – seine Bierflasche, stieß wortlos mit seinem Nachfolger als Vereinspräsident an und nahm einen großen, langen Schluck.

„Die Satelliten bilden einen Mittelkreis um den Ball, um den sich alles dreht!“ Der langgediente Platzsprecher hatte die letzten Wortfetzen aufgeschnappt, trat mit seiner verbalen Logo-Interpretation zu den beiden Würdenträgern seines Vereins und stieß zur Begrüßung mit ihnen an.

„Dabei hatten wir bei der Logo-Entwicklung gar nicht an derartige erweiterte Anwendungen gedacht,“ erwiderte der neue Sponsor hörbar begeistert von den sich auftuenden endlosen Möglichkeiten im Rahmen seiner künftigen Marketingaktivitäten und strategischen Visionen.

„Walter, die Reporter sind eingetroffen“, informierte der Platzsprecher diensteifrig. „Und die Fotografen möchte das gute Licht ausnutzen und vor der Pressekonferenz noch schnell ein paar Fotos mit dir machen. Mit der Tribüne und dem Logo im Hintergrund, und vielleicht eines, wo du einen Elfer schießt …“

„Josef, du entschuldigst“, wandte sich Walter Dörflinger kurz um, und schon gingen die Beiden schnellen Schrittes zur Tribüne und ließen den alten ausgedienten Sponsor allein am Rasen zurück.

Der Baumeister nahm den auf der Mittelauflage bereit liegenden Fußball und versuchte zu gaberln: links – rechts – rechts – mit dem linken Knie – rechter Oberschenkel – links – links – links. Zufrieden mit seiner Leistung legte er den Ball zurück an seinen Platz und verließ nachdenklich das Fußballfeld.

Porzellanfiguren-Verkaufsvorführung

Der schnittige Reisebus, beide Seiten komplett überzogen von einer riesigen Weltkarte mit einem wolkigen Äquatorband als Hintergrund der regenbogenfarbenen Aufschrift Fußharz-Reisen bog von der Bundesstraße auf den kleinen Parkplatz neben dem Goldenen Bock und parkte sich gekonnt entlang der Giebelmauer des Gramakirchner Dorfwirtshauses ein. Die beiden Bustüren schwenkten langsam auf, und kaum waren diese einen Spalt breit geöffnet, sprang Herta Haberfellner die Stufen hinunter wie eine junge Gazelle, gefolgt von der etwas weniger grazilen, aber umso gehetzteren Erika Smetana.

In Erwartung der Teilnehmer der Verkaufsfahrt stand Renate Scheuringer an ihrem angestammten Platz vor dem Eingang des Goldenen Bock und damit den beiden von Schüssler Salze Nummer 10 geplagten Damen im Weg.

„Wo geht’s da zum Klo?“, rief ihr Herta Haberfellner als Begrüßung zu. Und Erika Smetana schnaufte sich, ihrer Sitznachbarin auf den Fersen, grußlos die Bahn frei und stieß die Wirtin unsanft zur Seite.

Die Wirtin hatte Glück, dass im Moment unüblich wenig Verkehr auf der Bundesstraße war, sonst hätte sie sich zwischen der Kollision mit einem Lastwagen