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Opfer und Täter. Ist es wirklich so einfach? Manchmal lohnt es sich, einen Blick auf das Motiv zu riskieren. Moralisch ist es verwerflich, aber manchmal möchten wir uns trotzdem mit dem Täter solidarisch zeigen. Das Motiv macht es nicht besser, aber manchmal verständlicher. Das hier ist kein Moralkompass, es ist eine Antwort auf manche Fragen. Eine Antwort, keine Erklärung. In welcher Richtung Ihr Kompass beim Lesen ausschlägt, bleibt Ihr Geheimnis. Das Leben ist bunt und die Sichtweise zu ändern kann die festgelegte Ordnung des Kaleidoskops verändern. Trauen Sie sich?!
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Veröffentlichungsjahr: 2023
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Vorwort
Blütezeit
Ein Wunder
Happy Anniversary
Holunterblüten-Apfel-Tee
Ich werde dich nie vergessen
Schöne Aussicht
Unentschlossen
Die Trösterin
Homeoffice
Zur Person Tanja Wahle
„Haben diese Geschichten eine Verbindung?“ wurde ich neulich gefragt. Nein, eigentlich nicht, aber sie sind entstanden aus meiner Neugier, die andere Seite der Medaille kennenzulernen. Nicht um sie zu mögen, nicht um sie zu verstehen oder der gleichen Meinung zu sein, wie der Täter, aber immer auf der Suche nach dem Grund. Warum stehlen Menschen, verletzen oder töten vielleicht sogar?
Diese Geschichten ergeben für jeden ein anderes Bild aus den „Stückchen“, die jeder von uns hineinliest. Ähnlich wie bei einem Kaleidoskop, das sich ändert, wenn man es dreht.
Hack, Gewürze, Zwiebeln und eine Mohrrübe, gehackte Tomaten, Tomatenmark. Sie zählte die Zutaten in ihrem Kopf auf und überprüfte, ob sie alles vorbereitet hatte. Denn gute Vorbereitung war alles. Während sie wartete, dass das Öl heiß wurde, sah sie aus dem Fenster und betrachtete voller Stolz ihr neues Blumenbeet im Garten. Eine stattliche Größe hatte es und die Blumen fingen langsam an zu sprießen. Sie hatte Wildblumensamen gesät und von Tag zu Tag kamen mehr grüne Köpfchen zum Vorschein. Bald würde es ein richtiges Blumenmeer sein.
Eigentlich hatte sie einen Gärtner, aber dieses besondere Projekt wollte sie selber in die Hand nehmen. Ihr Gärtner, ein Rentner der sich seit einigen Jahren bei ihr etwas dazu verdiente hatte sich so gefreut. Sie hatten vor dem neuen Beet gestanden und sie hatte über seine Euphorie gelächelt. Gemeinsam hatten sie noch einen Kaffee getrunken und gefachsimpelt. Also, er hatte gefachsimpelt, sie hatte Kaffee getrunken.
Sie hatte das Beet angelegt, als er im Urlaub war. Was für eine glückliche Fügung. Das hatte ihr etwas Zeit verschafft. Denn entgegen ihrer Gewohnheit, sich immer gut vorzubereiten, hatte sie in diesem Fall im Affekt gehandelt. Das wäre vielleicht zu ihrem Vorteil ausgelegt worden, aber das Risiko wollte sie nicht eingehen.
In ihrem Job hatte sie gelernt, dass gut vorbereitet und informiert zu sein unverzichtbar war. Das war letztlich das unspektakuläre Geheimnis ihres Erfolges.
Und dann war er in ihr Leben getreten. Das heißt, zuerst war er in ihr Büro getreten, dann in ihr Leben und als sie einen kleinen Moment nicht aufgepasst hatte, war er darin herumgetrampelt.
Sie hatten eine kurze Affäre, es war nichts Besonderes und fing bereits an sie zu langweilen. Niemand hatte davon gewusst und ihr war klar gewesen, dass es nur ein netter Zeitvertreib war. Aber sie hatte ihn unterschätzt. Er hatte sie gefilmt, während sie Sex hatten. Gut, sie konnte sich sehen lassen, aber man sah dort deutlich mehr, als sie jemals von sich hätte Preis geben wollen. Er wollte sie erpressen, er wollte ihren Job, ihren Erfolg. Aber er hatte sich nicht gut vorbereitet und war offensichtlich mit einer zu kleinen kriminellen Energie gesegnet. Nicht das Einzige, was von Natur aus zu klein an ihm war, aber sie wollte sich jetzt auch nicht über ihn lustig machen.
Sie lagen noch erhitzt nebeneinander, als er ihr das Video auf seinem Handy zeigte. Er offenbarte ihr, was er wollte und sie nickte, stand auf, schlüpfte elegant in ihren Kimono und verließ das Schlafzimmer.
Nach einer halben Stunde rief er nach ihr und als sie nicht antwortete, machte er sich auf die Suche. Er hatte sie im Wohnzimmer gefunden. Sie stand dort lächelnd im Dämmerlicht. Als er einen Schritt auf sie zu machte klebte plötzlich etwas knisternd unter seinen Füßen. Er fing noch einen Satz an, mit dem er sie fragen wollte, was hier los war, da durchbohrte der Bolzen sein Herz. Er blickte sie erstaunt an, bevor das Leben aus seinen Augen wich und er der Länge nach auf die von ihr vorbereitete Folie fiel. Sie rollte ihn ein und wuchtete ihn hinter ihr Sofa. Ihr Plan war spontan, aber sie musste zugeben, dass sie trotzdem mit der Ausführung zufrieden war. Ein guter Schuss, wenn man überlegt, wann sie den Bogen zum letzten Mal in der Hand gehabt hatte.
Am nächsten Morgen hatte war sie angefangen, ihren Garten umzugraben, wählte einen Platz im Garten, der nicht von außen einsehbar war und grub ein Loch. Danach lud sie die in Folie eingepackte Leiche auf eine Sackkarre und brachte sie unter Aufwendung all ihrer Kräfte in den Garten. Das Workout würde heute überflüssig sein, dachte sie beim Blick in das Loch, in dem jetzt seine Leiche lag. Eine Stunde später harkte sie die Blumensamen ein und goss die Samenpracht. In ein paar Wochen würde alles blühen.
Die Meldung über sein Verschwinden erreichte sie in ihrem Büro. Sie war angemessen betroffen und so blieb es auch während der Befragung durch die Polizei. Reine Routine. Alle Kollegen wurden befragt. Niemand konnte sich erklären, wo er geblieben war. Verwandte berichteten, dass er Single war und auf seine Karriere fokussiert. Sie beteuerte, dass sie ihn so gut leider nicht gekannt hatte. Die Ermittlungen würden eingestellt werden. Keine Leiche, keine Hinweise, kein Motiv. Man fing jetzt an zu vermuten, dass er sich einfach abgesetzt haben könnte, um die Welt zu bereisen, wie er es immer allen erzählt hatte.
Die Bolognese-Sauce köchelte mittlerweile vor sich hin und sie stand mit ihrem Wein am Fenster und prostete dem Blumenbeet zu. Er hätte sie nicht unterschätzen sollen, aber er konnte ja auch nicht ahnen, was ihm blühen würde. Sie lachte leise über ihren doppeldeutigen Gedanken. Sie horchte kurz in sich hinein, aber da war kein Funke Reue. Sie zuckte mit den Schultern und machte sich daran, ein Sieb für die Nudeln zu holen. Sie hatte einen Mordshunger.
Ein Geräusch hatte sie geweckt. Noch schlaftrunken und mit geschlossenen Augen lauschte sie dem Gezwitscher der Vögel, das durch die offene Terrassentür zur ihr hineindrang. Sie lächelte und kuschelte sich wieder in ihr Kissen. Aber da war es wieder: Das Geräusch. Es klang wie ein Schnarchen. Sie entspannte sich wieder und dachte sich, dass ihr Mann sicherlich noch tief schlief. Aber dann war sie auf einmal hellwach. Ihr Mann hatte Nachtschicht. Sie war allein. Und dennoch war da dieses Schnarchen. Ihr Herz klopfte so laut, dass sie sich nicht sicher war, ob sie sich dieses Geräusch nicht nur eingebildet hatte. Sie atmete flach und versuchte, sich so geräuschlos wie möglich umzudrehen. Sie konnte es kaum glauben, aber im Bett ihres Mannes neben ihr, lag ein Kind. Offenbar ein kleiner Junge, vielleicht knapp zwei Jahre alt. Er schlief selig und tief neben ihr. Sie schaute in alle Richtungen, aber sonst war da niemand. Nur dieser kleine Engel, der dieses winzige Schnarchen von sich gab und so wunderschön aussah. Ein perfekter kleiner Mensch. Sie legte sich möglichst leise wieder auf ihr Kopfkissen, gemütlich auf ihren Arm und schaute ihm beim Schlafen zu. Sie konnte sich nicht sattsehen an seinem Anblick. Ab und zu machte er kleine schmatzende Geräusche und strampelte im Traum mit Armen und Beinen. Vielleicht jagte er einen Drachen, oder er lief einer Seifenblase hinterher. Wer konnte schon wissen, was im Kopf dieses wundervollen Wesens vorging. Ihr Handy brummte und kündigte so eine neue Nachricht an. Sie bewegte sich nicht und atmete ganz leise, damit das kleine Wunder neben ihr nicht aufwachte.
Schließlich machte es den Anschein, als ob der kleine Sonnenschein wach würde. Sie streckte zögerlich ihre Hand aus und strich sanft über seinen kleinen Bauch. Tränen stiegen ihr in die Augen. Wie oft hatte sie sich schon gewünscht, dass so ein kleiner Mensch in ihr Leben kommen würde.
Sie hatten nicht viel Glück gehabt. Auf natürlichem Wege war sie nicht schwanger geworden. Dann hatten sie die Riege der Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung voll ausgeschöpft. Schließlich hatten sie beschlossen sich eine Pause zu gönnen. Sie wollten ein Jahr warten, bevor sie sich noch einmal mit anderen Möglichkeiten, ein Kind zu bekommen, beschäftigten.
Die Hormonbehandlungen und die Enttäuschungen über die missglückten Versuche, Eltern zu werden, hatten ihre Ehe auf eine harte Probe gestellt. Schließlich beschlossen sie, es sich als Paar wieder gutgehen zu lassen. Sie wollten Urlaube zusammen machen und die Zeit genießen. Essen, Trinken und endlich kein Sex mehr nach Eisprungkalender.
Alle, die ihnen gute Ratschläge gegeben hatten, sie sollten doch mal eine Pause machen und sich entspannen, sahen sich bestätigt, als sie nach fünf Monaten völlig unerwartet einfach ganz von selber schwanger wurde. Sie fühlten sich glücklich. Unendlich glücklich, beschenkt und konnten ihr Glück kaum fassen. Sie bangten die ersten drei Monate und hofften auf ihr Happy End. Tatsächlich ging die Zeit ins Land und alles war wundervoll. Sie fingen an, nach einem Namen zu suchen, nach einem Kinderbettchen. Sie machten alles, was werdende Eltern tun. Sie waren nicht darauf vorbereitet, dass der Arzt ihnen im sechsten Monat sagte, dass er leider keinen Herzschlag mehr feststellen könne. Es war eine furchtbare Zeit, aber sie trauerten gemeinsam um ihren verlorenen Familientraum. Sie hatten sich, sie liebten sich und trotz des schrecklichen Verlusts hatten sie etwas, dass sie vor der Schwangerschaft nicht gehabt hatten. Sie hatten Hoffnung. Und ihre Hoffnung sollte nicht enttäuscht werden. Nach fünf Monaten war sie wieder schwanger. Ihr Glaube daran, dass alles gut werden könnte, schien sich endlich zu erfüllen.
Dieses Mal verlor sie das Kind im vierten Monat. Nach der sechsten Schwangerschaft, die im achten Monat mit einer Todgeburt endete, rieten ihr die Ärzte von einer weiteren Schwangerschaft ab. Es sei gesundheitlich zu gefährlich für sie. Sie fühlte sich, als wäre sie schuld. Was stimmte denn mir ihr nicht, dass sie nicht wie eine Frau funktionierte. Ihr Mann gab ihr nie die Schuld, aber das war auch nicht nötig, das tat sie bereits selber.
Sie verfiel in Depressionen und kapselte sich immer mehr ab. Wie schlecht es ihr ging, war niemandem klar. Erst als sie nach einem Selbstmordversuch in die Klinik kam, begann für sie die Zeit diesen schrecklichen Verlust aufzuarbeiten. Nach drei Monaten stationärer Therapie konnte sie wieder fühlen und einen Sinn im Leben sehen, auch ohne ein Kind.