Kalle gegen Alle - Charlotte Habersack - E-Book

Kalle gegen Alle E-Book

Charlotte Habersack

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Beschreibung

Ein Hoch auf die Freundschaft! Kalle ist ein starker Typ, aber ein bisschen zu dick. Und in der Schule ist er nicht gerade beliebt. Der schüchterne Arthur weiß Rat: Kalle soll beim Sportfest als "stärkster Junge der Welt" antreten - schließlich haben Sportler viele Fans. Dafür schenkt Kalle Arthur ein Hühnerei zum Ausbrüten. Denn Arthur wünscht sich nichts sehnlicher als ein Haustier. Ob das Küken tatsächlich schlüpft? Und ob Kalle es schafft, berühmt zu werden? Eins ist sicher: Für Kalle und Arthur ist es der Beginn einer wunderbaren Freundschaft!

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1. Tag

An dem ich König Ludwig vier Eier klaue und etwas Wichtiges von Oma Nita erfahre

Am liebsten würde ich Wolfgang heißen. Ich würde mich Lonely Wolf nennen, was Englisch ist und einsamer Wolf bedeutet.

Getauft bin ich aber auf den Namen Karl Ignaz Ferdinand Knappe. Aus Sparsamkeit nennen mich alle nur Kalle. Ignaz, das war mein Opa. Ferdinand, das ist mein Vater. Er geht nicht morgens ins Büro und kommt abends nach Hause wie andere Väter. Er steht um Mitternacht auf und legt sich ins Bett, wenn es wieder hell wird. Falsch geraten!

Er ist kein Vampir.

Papa ist Bäcker. Von Mitternacht bis zwei Uhr früh bereitet er den Teig vor. Von zwei bis vier formt er Brötchen und von vier bis fünf macht er Baguette und Brot. Ich brauche keinen Wecker. Ich wache auf, wenn mein Magen knurrt, weil es im ganzen Haus nach warmem Brot duftet.

Wir wohnen in einem zitronengelben Haus, das so viereckig wie ein Würfel ist. Unser Haus steht gleich neben der Bücherei. Wir, das sind Papa, Mama, Oma Nita und ich. In unserem Städtchen gibt es fast alles nur einmal. Eine Kirche, ein Gasthaus, eine Schule. Einen Bach, eine Brücke, eine Bücherei. Einen Friseur, einen Supermarkt und einen Bäcker. Kaum ist man in den Ort hineingefahren, schwups, schon ist man wieder draußen, wenn man nicht aufpasst.

Im ersten Stock des Zitronenwürfels wohnen wir. Im Keller befindet sich Papas Backstube. Dort ist es selbst im Winter warm und gemütlich. Im Erdgeschoss haben wir unseren Laden. Wenn ein Kunde die drei Stufen zum Haus hochsteigt und durch die Tür kommt, bimmelt eine kleine goldene Glocke über dem Türrahmen und er steht mitten im Paradies. Dann kann er auswählen zwischen Brezeln, Rosinenbrötchen und Kaisersemmeln. Zwischen Kornspitz, Schusterjungen und Pfennigmuckerl. Selbstverständlich gibt es auch jede Menge Kuchen und Torten: Bienenstich zum Beispiel und Käsestreusel, Erdbeerschnitten, Donauwellen, Biskuitrollen und natürlich Apfeltaschen, Nussschnecken, Rumkugeln, Quarkbällchen und Plundergebäck. Außerdem haben wir die besten Schokocroissants der Welt im Angebot.

Jeden Morgen bringt Papa das allererste Croissant zu Mama ans Bett. Danach frühstücken wir. Wenn ich in die Schule muss, haut sich Papa aufs Ohr, und Mama verkauft mit Oma Nita, was Papa gebacken hat.

Oma Nita hat eine Haut wie Seidenpapier. Mit ihrer bemehlten Schürze und den weißen Haaren sieht sie selbst aus wie eins von Papas Plunderteilchen, die über und über mit Puderzucker bestreut sind. Zart und zerbrechlich wie Blätterteig. »Aber das täuscht«, sagt Papa, »Oma Nita ist zäh wie das Gulasch im Gasthof.« Sie kann Spülmaschinen reparieren, die schwierigsten Kreuzworträtsel lösen und hat auf jede Frage eine Antwort. Egal ob einer wissen will, wie der Schweinebraten knusprig wird, warum das Baby einen wunden Po hat oder was der Unterschied zwischen Prädikat und Objekt ist. Nur nachmittags, da macht sie ein Nickerchen. Dann sitzt sie auf dem Hocker in der Ecke des Ladens und schnarcht so laut, dass die Brotkrümel auf den Brettern vibrieren.

Mama ist eher eine Schwarzwälder Kirschtorte. Sie ist so süß wie Sahne, hat schokoteigbraunes Haar und trägt meist zwei rote Kugel-Ohrringe, die aussehen wie Kirschen. Papa ist eine Laugenstange mit Salz, denn er ist lang und dünn und hat viele Sommersprossen auf der Nase.

Und ich?

Mama sagt, ich bin »ihr Krapfen«. Süß und rund. Blöd ist nur: Krapfen mag jeder. Aber Jungs, die aussehen wie Krapfen, mag keiner.

Weil nie jemand nachschaut, ob sie vielleicht einen Kern aus Marmelade haben.

Bis vor Kurzem saß ich in der Pause lieber auf der Bank, anstatt mit den anderen aus meiner Klasse Fangen zu spielen. Ich bin eben keine Rakete und wollte mir die Peinlichkeit ersparen, noch vor dem ersten Mädchen erwischt zu werden. Nicht, dass die Mädchen langsam waren, aber auch die schnellen rannten meist nur planlos im Kreis herum, kreischten und ließen sich absichtlich von Finn Kaiser, dem beliebtesten Jungen der Klasse, schnappen. Sie hielten Super-Finn für ein Sahneschnittchen, dabei war er eher ein Scherzkrapfen. Er hatte definitiv kein Herz aus Marmelade. Bei ihm war innen drin nur Senf.

»Und jetzt?«, fragten die Mädchen Finn, wenn alle aus der Puste waren.

»Kaiser, welche Fahne weht?«, schlug einer vor.

»Laaaangweilig«, gähnte Finn.

»Räuber und Gendarm?«, sagte ein anderer. Aber Finn schüttelte immer nur den Kopf. Und weil jeder immer das machte, was Finn machte, schüttelten alle den Kopf.

»Ich weiß was Besseres«, rief Finn dann und deutete wie immer auf mich.

»Alle gegen Kalle!«

Doch Anfang des Jahres sollte sich mein Leben schlagartig ändern.

Ich war genau neun Jahre und 344 Tage alt. Es waren also noch 21 Tage bis zu meinem zehnten Geburtstag.

Den ersten Tag, einen Sonntag, verbrachte ich mit Mama und Oma Nita am Stadtrand, wo wir einen kleinen Garten mit sechs Apfelbäumen, vier Hühnern und einem Hahn haben. Während Mama die roten Gartenstühle aus dem Schuppen kramte und Oma Nita die Hühner fütterte, klaute ich Sissi, Marie, Terese und Lola vier Eier. König Ludwig beäugte mich dabei so misstrauisch, als würde ich die berühmten Fabergé-Eier aus dem Zarenpalast rauben und nicht stinknormale Hühnereier aus einem Hühnerstall. Dabei war nicht ein einziges Ei von ihm. Er ist ja nur der Hahn.

Mama freute sich wahnsinnig über die ersten warmen Sonnenstrahlen, und vielleicht hatte sie auch schon einen kleinen Sonnenstich, denn plötzlich kam sie auf diese bescheuerte Idee.

»Weißt du was, Kalle?«, sagte sie. »An deinem Geburtstag machen wir ein Gartenfest. Und du darfst alle deine Freunde einladen!«

»Ich will aber lieber in die Therme und danach mit euch Pizza essen. So wie letztes Jahr.«

»Ach, i wo!« Mama reckte ihr Gesicht der Frühlingssonne entgegen. »Diesmal wird gefeiert! Man wird schließlich nur einmal zehn.«

Das war natürlich völlig unlogisch. Schließlich bin ich auch nur einmal sieben oder acht geworden. Und immer war ein Besuch in der Therme gut genug.

»Ich weiß aber gar nicht, wen ich einladen soll«, maulte ich und dachte: ›Ich bin ein Wolf, ein einsamer Wolf, und Wölfe machen keine Geburtstagspartys. Sie wollen einfach nur in Ruhe gelassen werden, dann lassen sie auch die anderen in Ruhe.‹

»Du hast ja viel Zeit, drüber nachzudenken. Drei Wochen, das ist noch lange hin.«

»Da muss ich nicht drüber nachdenken!«, rief ich trotzig. »Ich hab auch in drei Wochen niemanden, den ich einladen will.«

Unsanft stellte Oma Nita den Eimer mit dem Legemehl ab. Sie fasste mich bei den Schultern, damit ich ihr nicht entwischen konnte. Trotzdem starrte ich lieber auf die Hühnerkacke am Boden, um ihrem Röntgenblick auszuweichen.

»Hör mal zu, Kalle«, sagte sie ernst. »In 21 Tagen können Wunder geschehen!« Sie deutete auf eins der Eier in meiner Hand.

»Was ist das?«

Nun musste ich sie doch anschauen, weil ich nicht wusste, ob sie die Frage ernst meinte.

»Ein … Ei?«, versuchte ich es vorsichtig.

»Richtig!« Oma Nita nickte zufrieden. »Das lässt sich prima in die Pfanne hauen, nicht wahr?«

Ich seufzte und ahnte, worauf sie hinauswollte. Ich sollte wohl das Ei sein, das sich von anderen in die Pfanne hauen lässt.

»Man kann es aber auch kochen«, wandte ich ein.

»Schon!«, rief Oma fröhlich. »Aber dann ist es ein Weichei!«

»Aha!« Ich starrte Oma Nita mit offenem Mund an.

»Aber wenn du 21 Tage wartest«, fuhr sie fort, »dann schlüpft vielleicht ein stolzer Hahn heraus. Was willst du sein?«

Ich dachte nach: Spiegelei, Weichei oder Hahn? »Aber das ist doch was ganz anderes …«, setzte ich an.

Oma Nita ließ keinen Einwand gelten. »Mumpitz!«, rief sie. »Das ist überall das Gleiche …

… Wenn du etwas erreichen willst, nimm dir21Tage Zeit und bleibe an der Sache dran!«

2. Tag

An dem ich drei Eier crashe und eines verschenke

Der zweite Tag war ein Montag. Wir sollten Eier in die Schule mitbringen. Ein paar Tage zuvor hatte sich Fräulein Storch, unsere Lehrerin, vor die Klasse gestellt und gesagt: »Ich habe eine tolle Idee! Wir wollen Eier ausblasen und sie dann anmalen.« Aber das war natürlich doppelt gelogen.

Erstens ist Eieranmalen vor Ostern keine tolle Idee … An Weihnachten vielleicht oder im Hochsommer. Aber vor Ostern? Da macht das doch jeder! Das ist genauso bescheuert wie an Weihnachten zu sagen: »Hört mal her. Ich habe eine tolle Idee, wir stellen einen Tannenbaum ins Zimmer und schenken uns was.«

Zweitens konnte von »wir« keine Rede sein. Denn Fräulein Storch macht nie bei etwas mit. Sie sagt immer nur, was wir tun sollen, und schaut uns dann zu.

Nicht, dass ich alles doof finde, aber Eier auspusten, das ist nichts für mich. Ich kann wirklich eine Menge cooler Sachen: Skateboard fahren, einen Nagel mit einem einzigen Schlag ins Brett hauen, Steine siebenmal übers Wasser flitschen lassen oder jemanden mit links in den Schwitzkasten nehmen, während ich rechts ein Schokocroissant verspeise.

Nur so Fitzelsachen finde ich dämlich. Leider muss man die in der Schule ständig machen. Buchstaben ausschneiden, Schleifen binden oder Zahlen in winzige Kästchen schreiben, bis die Bleistiftmine abbricht.

»Mehr Fingerspitzengefühl!«, hat mich Fräulein Storch mal angezischt, als ich vergeblich versucht habe, einen Faden einzufädeln.

Manchmal glaube ich, Schule wurde für Mädchen erfunden. Die haben einen Heidenspaß an so einem Schwachsinn!

Um die Eier auszupusten, mussten wir mit einer Nadel zwei Löcher in die Schale piksen. Eins oben, eins unten. Das untere sollte etwas größer sein, damit wir die Schlonze gut rauspusten konnten. Ich stocherte und stocherte und vor lauter Rumgestocher ist mir plötzlich – knacks – das Ei zerplatzt.

›Na prima!‹, dachte ich. ›Erstes Ei kaputt. Aber ich hab ja noch drei.‹

Ich pikste in das zweite Ei und diesmal war das zweite Loch groß genug. Ich beugte mich über eine Schüssel und pustete, bis mir fast der Schädel platzte. Aber die blöde Eierschlonze wollte einfach nicht rausflutschen. Da hab ich wohl, anstatt stärker zu pusten, vor lauter Ärger fester gedrückt.

Patsch!

Zweites Ei kaputt. Na zauberhaft!

»Kalle hat schon zwei Eier zermanscht!«, petzte Elli.

Alle lachten. Mit den Pinseln in der Hand und den Malkitteln, die eigentlich alte Hemden von ihren Vätern waren und die sie auf dem Rücken zugeknöpft hatten, sahen sie aus wie eine Bande Verrückter aus der Irrenanstalt.

Natürlich war ich mittlerweile, sagen wir, leicht verstimmt und wollte von Ostern nichts mehr wissen. Aber als ich sah, wie Antonia bereits ihr siebtes Ei mit Herzchen und Pünktchen verzierte, probierte ich es doch noch mal. Über so ein Herzchen-Ei würde sich Mama sicher freuen. Und vielleicht konnte ich sie dann überreden, an meinem Geburtstag doch mit mir in die Therme zu gehen.

Ich griff nach Ei Nummer drei. Genau in dem Moment rempelte mich Finn von hinten an. Das Ei fiel auf den Boden, bevor ich überhaupt nur daran denken konnte, Löcher hineinzupiksen.

Klatsch! Schöne Sauerei!

»Gar nicht so einfach mit Wurstfingern, oder?«, lachte Finn und trollte sich, bevor ich ihm eine kleben konnte.

»Du hast wohl zu viel Malwasser getrunken?«, rief ich ihm hinterher und schnappte mir mein letztes Ei.

Da traf mich ein genialer Geistesblitz. ›Wozu überhaupt ausblasen?‹, dachte ich und beschloss, das Ei einfach so anzumalen. Auspusten konnte ich es hinterher immer noch. Und ein gefülltes Ei ließ sich doch viel leichter bemalen.

Ich tunkte meinen dünnsten Pinsel ins Wasser und rührte so lange im Magenta, bis es eine wunderschöne rote Pampe gab. Dann malte ich ein dickes, fettes Herz auf die Schale. Und, man glaubt es nicht: Es wurde das schönste Ei der ganzen Klasse!

Damit es nicht kaputtging, legte ich es in meine Pausenbox und klemmte es zwischen Schinkenbrot und Schokocroissant. Mit Airbag sozusagen.

Ich war zufrieden. Sehr zufrieden. Wäre da nicht schon wieder der Blödmann des Monats hinter mir aufgetaucht.

Finn deutete auf mein Ei und sang: »Kalle ist verlie-hiebt! Kalle ist verlie-hiebt!«

»Gar nicht wahr«, klärte ich ihn auf. »Das ist für meine Mutter.« Was die Sache leider nicht besser machte.

»Kalle ist in seine Mutter verliebt«, sang Finn weiter, obwohl die Melodie jetzt viel holpriger war. »Kalle ist in seine Mutter verliebt!«

Ich gab Finn einen winzigen Stups. Und – das muss man ihm lassen, dumm ist er nicht – er setzte sich sofort auf seine Arschbacken und jammerte lautstark.

»Kalle!«, krähte Fräulein Storch prompt und kam hastig auf ihren dünnen Storchenbeinen angestakst. »Was haben wir denn über Gewalt im Klassenzimmer gesagt?«

»Das war eine Schwalbe«, verteidigte ich mich, aber Fräulein Storch glotzte mich nur verständnislos an. Sie hat eben keine Ahnung von Fußball.

Freunde habe ich mir mit dieser Aktion natürlich keine gemacht. Sich mit Finn anzulegen ist wie Schneewittchen vergiften. Nur dass man dann alle gegen sich hat, nicht nur die sieben Zwerge.

»Alle gegen Kalle!«, riefen diesmal gleich mehrere Kinder, als es zur Pause gongte.

Ich rannte davon. Natürlich war ich nicht so blöd, in den Pausenhof zu laufen. Ich nahm die Abzweigung nach links und lief den Gang runter zu den Toiletten. Ich riss die Tür zum Jungenklo auf und verschwand so eilig in einer der Toiletten, dass jeder, der mich gesehen hat, sicher gedacht hat: Aha, Durchfall.

Ich schloss die Tür ab, setzte mich im Schneidersitz auf den geschlossenen Klodeckel und atmete erst mal tief durch. Da sah ich es: Was Gemeines über mich an der Klotür. Zum Glück nur mit Bleistift.

Ich spuckte auf meinen Zeigefinger und rubbelte das »F« einfach weg. Dann öffnete ich meine Pausenbox, bohrte ein Loch in mein Schokocroissant, bis ich auf Schokolade stieß, und schmierte mit dem Schokofinger statt des »F« ein »N« an die Tür.

KALLE IST NETT! stand nun da.

Schon besser!

Zufrieden biss ich in mein Croissant und genoss, wie sich die Schokomasse tröstend im Mund verteilte, als ich plötzlich ein leises Schluchzen hörte. Geräuschlos kaute ich eine Weile weiter, bis ich merkte, dass Oma Nita recht hat, wenn sie sagt: »Neugier ist stärker als Schiss!«

Ich stieg vom Klo, kniete mich auf den Boden und lugte unter der Trennwand hindurch. In der Nachbartoilette hockte ein kleiner Junge und heulte wie ein Schlosshund. Er hatte die Arme um seine Knie geschlungen, und obwohl er seinen Kopf darin vergraben hatte, konnte ich genau sehen, dass er karottenrotes Haar hatte. Aus seinen kurzen Hosen schaute ein Paar knubbelige Knie, das wie schmutzige Kartoffeln aussah.

»He! Hallo! Was hast du denn?«, rief ich zu ihm rüber, doch der Junge schluchzte hartnäckig weiter. Seine schmalen Schultern zitterten. »Hast du dich verirrt?«, fragte ich. »Bist du aus dem Kindergarten?« Ohne aufzusehen, schüttelte er empört den Kopf.

»I…hich bin schon in der Sch…Schule«, japste er. »Zweihei b.«

»Und warum heulst du?«, bohrte ich weiter. »Hast du deine Hausaufgaben vergessen? Hat deine Lehrerin mit dir geschimpft?« Der Winzling schluchzte ein bisschen leiser, um mich besser verstehen zu können.

»Du hast dir hoffentlich nicht in die Hosen gemacht?«, fragte ich.

Endlich hob er den Kopf.

»Nein!«, schniefte er entrüstet und wischte sich seine kleine Rotznase am Ärmel ab. »Ich weine, weil meine Lehrerin Guido umgebracht hat.«

»Wer ist denn Guido?«

»M…mein bester Freund.«

»Lehrer bringen niemanden um. Zumindest nicht wirklich.«

»Doch. Wirklich. Sie hat ihn mit dem Atlas erschlagen.«

»Warum sollte sie so was tun?«

»Weil sie M…Mäuse eklig findet. Wie meine Eltern. Als Papa Guido in der Sockenschublade gefunden hat, wollte er ihn einfach laufen lassen. Da hab ich ihn mit in die Schule genommen, aber er ist mir entwischt. Frau Laus hat ihn gesehen und den Atlas auf ihn geworfen.«

Wieder fing der Junge an, heftig zu schluchzen. Irgendwie tat er mir leid.

»Dabei w…wünsche ich mir n…nichts sehnlicher als ein H…Haustier«, jammerte er weiter, »aber m…meine Eltern erlauben es mir nicht.«

Ich warf einen nachdenklichen Blick in meine Pausenbox. Das Herz auf dem Ei für Mama leuchtete knallrot. Es sah wirklich toll aus! Mama hätte sich sicher gefreut. Langsam schob ich meine Pausenbox unter der Wand hindurch.

»Willst du mein Ei?«, fragte ich.

»Nein, danke. Ich hab keinen Hunger«, kam seine erstickte Stimme von nebenan.

»Du sollst es ja nicht essen. Sondern ausbrüten.«

»Ausbrüten?«

»Ja, dann hast du in 21 Tagen ein neues Haustier. Ein Küken.« Endlich kam Bewegung in den Karottenkopf. Er kniete sich hin und linste mit schokobraunen Augen neugierig zu mir rüber.

»Ich hab aber nix, was ich dir dafür geben könnte.«

»Macht nix«, sagte ich. »Kannst es einfach so haben. Nun nimm schon!« Vorsichtig nahm er das Ei aus der Box und starrte mich ungläubig an.

»Echt? Wow! Danke!«

»Aber pass gut auf. Eier gehen verdammt schnell kaputt.«

»Na klaro!«, rief er und sprang fröhlich auf. Und noch bevor ich aus der Toilette trat, war er verschwunden.

3. Tag

An dem sich mein Gehirn ausschaltetund Frau McLoyd etwas Seltsames entdeckt