Kampf um Taiwan - Jamal Qaiser - E-Book

Kampf um Taiwan E-Book

Jamal Qaiser

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Beschreibung

Der Machtkampf zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Volksrepublik China um die globale Vorrangstellung spitzt sich immer mehr zu. Die kleine Insel Taiwan - amtlich die "Republik China" - stellt in diesem Spannungsfeld das "Zünglein an der Waage" dar, das die offene Feindschaft in einen Krieg der beiden Supermächte verwandeln könnte. Für die VR China stellt Taiwan einen selbstverständlichen Teil ihres eigenen Staates dar, die USA behandeln Taiwan ebenso selbstverständlich wie einen eigenständigen Staat, der zu ihrem Einflussgebiet gehört und den es unter allen Umständen zu verteidigen gilt. Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine ist deutlich geworden, wie schnell derartige Spannungen in einen Krieg münden können. Es ist zu erwarten, dass die USA die gleiche westliche Allianz, die sie gegen Russland in Stellung gebracht haben, auch gegen China einsetzen werden, um ihre globale Vormachtsstellung zu verteidigen. Mit anderen Worten: Wenn wir uns seit 2022 in einer Art "indirekten Krieg" gegen Russland befinden, so steht ein ähnliches wenn nicht schlimmeres Szenario an, wenn der Konflikt zwischen der VR China und den USA eine militärische Dimension annimmt. Hat der Krieg um die Ukraine Europa und insbesondere Deutschland schon hart getroffen, so würde eine militärische Auseinandersetzung der beiden Supermächte um Taiwan Europa politisch und vor allem wirtschaftlich erschüttern. Europa und wiederum in erster Linie Deutschland hat sich über lange Zeit hinweg als äquidistant zu den USA und der VR China verstanden - diese politische Einordnung wäre auf einen Schlag pulverisiert. Ein Versiegen der Nachschubversorgung aus der VR China und der Wegfall der dortigen Absatzmärkte würde Deutschland an den Rand des wirtschaftlichen Ruins treiben. Zudem hätte der Ausfall Taiwans als der weltweit größte Auftragsfertiger für Computerchips verheerende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Dieses aktuelle und brisante Buch analysiert die Hintergründe und zeichnet mögliche Szenarien für die Zukunft.

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Inhalt

Vorwort

Fundamentale Konfrontation China versus USA

Die Frage, wer die Welt in die Zukunft führt

Situation ähnlich wie vor dem Ersten Weltkrieg

Taiwan – die Republik China

Taiwan wie „das kleine Dorf unbeugsamer Gallier“

Der Zwerg, der ein Riese ist

Eine der am schnellsten alternden Gesellschaften

Taiwan ist die Chipmetropole der Welt

USA rüsten Taiwan gegen China

Zuspitzung seit 2022

2024: China macht eine klare Ansage

Taiwan erteilt eine klare Absage

Mehr Dialog mit China

Erster Oktober 2049

G2 auf allen Ebenen

Den Haag spricht China Hoheit in der Region ab

Die Falle des Thukydides

Die Internationalen Institutionen

Das Recht der Völker

Multilateralismus am Ende

Eine neue Weltordnung

Niemand hat den Dritten Weltkrieg ausgerufen

Die UNO als Spielball der Weltmächte

Die Anfänge der UNO

Grundlage für eine bessere Welt

China kommt in den Sicherheitsrat

Der Sicherheitsrat

Die Vetofalle

Nagelprobe Koreakrieg

Der gemeinsame US/UNO-Krieg

China versus US/UNO-Pakt

Der längste Krieg auf Erden

Auf Korea folgte Vietnam

Kampf der Kulturen

Deutschland stand beinahe äquidistant

Das „duale System“, das nicht scheitern wollte

Globaler Wettbewerb der Gesellschaftssysteme

Europa schaut vor allem auf sich selbst

China und die APEC-Staaten

Wettbewerb um die Weltordnung

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Instrumentalisierung der Menschenrechte

Wirtschafts- und Technokrieg

Die demütigende Erfahrung

Der Wirtschaftskrieg hat längst begonnen

US-Börsen ohne China

Chinas Weg zur Spitzentechnologie

Social Scoring für eine bessere Bevölkerung

Kryptowährungen – China geht voran

Welt hat sechs Billionen Dollar Schulden bei China

„Geopolitische“ Kreditvergabe – ein déjà vu?

Das schwierige Jahr 2023

Tech-Konzerne lösen sich von China

China fällt bei Künstlicher Intelligenz zurück

China fliegt 69 Jahre hinterher

Die neue Seidenstraße

Der chinesische Traum

Ost-West-Handelsroute der Antike

Das deutsche Wort „Seidenstraße“

Die Skepsis der anderen

Gigantisches Jahrhundertprojekt

Europa fällt Land um Land an China

Italien am Start… und am Ende

Das Riesenreich und die Zwergstaaten Europas

Stärkste Wirtschaftsmacht der Welt

Europas Anti-Seidenstraße

Militärischer Wettlauf

US-Soldaten erwarten baldigen Krieg

USA fallen militärisch zurück

Chinas Militärdoktrin: Westpazifik

17 plus 1

Raketen gegen China – und zurück

Die Welt rüstet auf

Killer-Roboter im Anmarsch

Wettrüsten im Weltraum

Cyber War – Krieg im Internet

Von „Blackout“ bis „Outbreak“

China, Russland und Nordkorea am aktivsten

USA rüsten zum Cyberkrieg

Staatliche Cyber-Armeen auf dem Vormarsch

Greift China mit Spionagechips an?

WannaCry – Warnung an die Digitalgesellschaft

Der Stuxnet-Angriff auf die Industrie

Regierungen beschuldigen staatliche Hacker

Kein Hack ohne Nordkorea?

Größter Hackerangriff auf die USA in der Krise 2020

Benzinnotstand 2021

Treffen wir uns 2049 wieder

Ziel: Quadratur des Kreises

China ist nicht der „neue Ostblock“

Über die Autoren

Jamal Qaiser

Dr. Horst Walther

Bücher im DC Verlag

Quellenangaben und Anmerkungen

„Die Ära der westlichen Dominanz endet… Die Pandemie könnte den Startpunkt für das asiatische Jahrhundert markieren… Die neue Weltordnung kann paradoxerweise sogar eine demokratischere sein… China will sein Modell nicht exportieren. Es kann sehr gut mit einer multipolaren Welt leben. Das anbrechende asiatische Jahrhundert muss nicht notwendigerweise unangenehm für den Westen oder den Rest der Welt sein.“

Kishore Mahbubani

Ehem. Präsident des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen

Hinweis: In diesem Buch wird das Wort „China“ als Bezeichnung für die Volksrepublik China (VR China) verwendet, sofern an der betreffenden Stelle nicht ausdrücklich etwas anderes vermerkt ist. Mit dem Wort „Taiwan“ ist im Folgenden die Inselgruppe gemeint, die den amtlichen Namen „Republik China“ trägt, häufig abgekürzt als „R.O.C.“ für „Republic of China“.

Vorwort

Die politischen Spannungen zwischen den USA und China sind seit Jahren unübersehbar, genauer gesagt, spitzt sich die Situation seit Jahren zu. Das hat einen einfachen Grund: Die Volksrepublik China ist nicht länger bereit, den Anspruch der Vereinigten Staaten von Amerika auf die Rolle der einzigen und wahren Weltmacht widerspruchslos anzuerkennen. China ist auf dem Weg, sich selbst an die Spitze zu kämpfen. Der Kampf um die globale Vorherrschaft hat längst begonnen und eine weitere Eskalation in den nächsten Jahren ist zu erwarten.

Das Ringen um die globale Vormachtstellung findet auf vielen Ebenen statt, geopolitisch, militärisch, wirtschaftlich, technologisch, logistisch - in vielen Regionen auf der Erde und zusehends auch im Weltraum. Das ist soweit im Grunde nichts Neues, wenngleich dadurch nicht weniger bedrohlich.

Doch mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine ist seit 2022 deutlich geworden, wie schnell derartige Spannungen in eine gewaltsame Auseinandersetzung und letztlich einen Krieg münden können. Es ist klar geworden, dass sich die USA dabei nicht mit der Rolle des Zuschauers begnügen, sondern äußerst aktiv militärisch eingreifen und dabei auch ihre europäischen Verbündeten wie selbstverständlich in den Konflikt mit hineinziehen. Die Lieferung schwerer Waffen aus der Bundesrepublik Deutschland für den Einsatz gegen russische Truppen steht exemplarisch für die unmittelbare und umfassende Beteiligung des Westens an dem Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA in der Ukraine.

Es ist zu erwarten, dass die USA die gleiche Allianz, die sie gegen Russland in Stellung gebracht haben, auch gegen China einsetzen werden, sollte ihnen dies sinnvoll und opportun erscheinen, um ihre eigene globale Vormachtstellung zu erhalten bzw. auszubauen. Mit anderen Worten: Wenn wir uns seit Februar 2022 in einer Art „indirekten Krieg“ gegen Russland befinden, so steht ein ähnliches Szenario an, wenn der Konflikt zwischen China und den USA eine militärische Dimension annimmt. Vieles deutet darauf hin, dass die Auseinandersetzung um die vergleichsweise kleine Insel das Potenzial hat, in einen Stellvertreterkrieg zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik auszuarten, schlimmstenfalls sogar in einen Dritten Weltkrieg.

Fundamentale Konfrontation China versus USA

Um diese drohende Entwicklung einschätzen zu können, muss man die fundamentale Konfrontation zwischen den USA und China analysieren. Genau darum geht es in diesem Buch. Der „Kampf um Taiwan“ stellt lediglich die Speerspitze eines Aufeinanderprallens der derzeit einzigen wahren Supermacht der Erde und einer aufsteigenden Großmacht, die sich in die erste Reihe nach vorne schieben will, dar.

Wann und in welchem Umfang der Konflikt zwischen China und den USA in Taiwan oder möglicherweise auch an anderer Stelle auf der Erde – oder im Kampf um die Vorherrschaft im Weltraum – militärisch ausbricht, lässt sich kaum vorhersagen. Allerdings scheint der Zeitraum, innerhalb dessen damit zu rechnen ist, vorprogrammiert: vor 2049.

Am 1. Oktober 2049 wird in China gefeiert. Genau 100 Jahre zuvor hatte Mao Zedong die Volksrepublik China ausgerufen. Sein Nachnachnachnachnachnachnachnachnachnachnachfolger Xi Jinping1 ist entschlossen, das Land, das zu den ältesten Hochkulturen der Menschheit gehört (schriftliche Aufzeichnungen der chinesischen Kultur reichen 3.500 Jahre zurück), bis dahin an die Weltspitze zu bringen.

Diesem Plan, das kommunistische China bis 2049 zur „Weltmacht Nummer 1“ zu machen, steht im Wesentlichen „nur“ ein anderes Land im Wege: die Vereinigten Staaten von Amerika, die heutige „Weltmacht Nummer 1“. Es ist ein Wettlauf um die globale Vorherrschaft entbrannt, dem sich kein anderes Land – auch in Europa nicht – entziehen kann. Der Kampf um die Spitze findet auf allen Ebenen statt: politisch, wirtschaftlich, technologisch und möglicherweise auch militärisch. Und er findet überall und auf allen Wegen statt: zu Lande (mit den Staaten Europas als „Spielball“), auf und unter dem Meer, in der Luft und zunehmend in einer Art Wettlauf im Weltall.

Beide Länder sind mit 9.596.960 (China) bzw. 9.833.517 (USA) Quadratkilometer Fläche ungefähr gleich groß, aber das Bruttosozialprodukt als Gradmesser von Größe und Bedeutung der USA liegt mit 21,43 Billionen Dollar rund 50 Prozent über dem Chinas (14,34 Billionen). Mit 1,4 Milliarden Einwohnern ist China den USA (328 Millionen) bei der Bevölkerung etwa um das Vierfache überlegen. Doch es geht beim Wettlauf zwischen den beiden Supermächten weniger um Zahlen als vielmehr um Einfluss und Dominanz – und zwar weit über das eigene Land hinaus.

Die Frage, wer die Welt in die Zukunft führt

Es geht um die Frage, wer die Welt in Zukunft führen wird. Da eine „friedlich Einigung“ darüber wohl ausgeschlossen werden kann, ist es nicht übertrieben, von einem neuen „Kalten Krieg“ zwischen China und den USA zu sprechen. Im Grunde können wir nur hoffen, dass dieser Krieg tatsächlich „kalt“ bleibt – und eben nicht in einem Krieg um Taiwan führt. Man mag sich erinnern, dass der letzte Kalte Krieg zwischen dem westlichen Block unter der Führung der USA auf der einen Seite und dem Ostblock unter Führung der Sowjetunion auf der anderen Seite mehrmals kurz davor stand, die halbe oder sogar die ganze Welt zu zerstören, wenn man sich das atomare Vernichtungspotential beider Seiten vor Augen hält. Diesen Machtkampf „USA versus UdSSR“ haben die Vereinigten Staaten von Amerika eindeutig gewonnen (manche sagen, vorläufig). Der Sowjetblock ist im Grunde implodiert, er hat sich von innen heraus aufgelöst – und dadurch die USA als Siegermacht zurückgelassen (mit dem Versuch eines „Comebacks“ seit 2022). Das bedeutet keineswegs, dass die USA aus dem „Kampf um die Welt“ – oder auch nur um die kleine Insel Taiwan – ebenfalls als Sieger gegen China hervorgehen werden. Der „Kalte Krieg 2.0“ hat bereits begonnen.

Situation ähnlich wie vor dem Ersten Weltkrieg

Der amerikanische Wissenschaftler John Mearsheimer vergleicht die aktuelle Situation in seinem Buch The Tragedy of Great Power Politics2 (Die Tragödie der Großmachtpolitik) mit der Situation vor dem Ersten Weltkrieg. Damals stieg Deutschland wirtschaftlich und politisch auf. Das wurde von Großbritannien, der damals dominierenden Weltmacht, frühzeitig als Bedrohung angesehen, der militärisch zu begegnen sei.

Tatsächlich bieten sich verblüffende Parallelen der Ausgangssituation, nur hoffentlich nicht auch im daraus folgenden Verlauf der Schlussfolgerungen. Auf der vorletzten Seite seines Werkes warnt Mearsheimer:

„Weder das wilhelminische Deutschland noch das kaiserliche Japan noch Nazideutschland, noch die Sowjetunion hatten auch nur annähernd so viel latente Macht wie die Vereinigten Staaten während ihrer Konfrontationen ... Aber wenn China sich zu einem riesigen Hongkong entwickeln würde, hätte es wahrscheinlich etwa viermal so viel latente Macht wie die Vereinigten Staaten, was China einen entscheidenden militärischen Vorteil gegenüber den Vereinigten Staaten verschaffen würde.“

Entsprechend erklärte US-Außenminister Anthony J. Blinken in seiner Antrittsrede im März 2021: „China ist das einzige Land, das über die wirtschaftliche, diplomatische, militärische und technologische Macht verfügt, um das stabile und offene internationale System ernsthaft in Frage zu stellen – all die Regeln, Werte und Beziehungen, die dafür sorgen, dass die Welt so funktioniert, wie wir es wollen, weil es letztlich den Interessen und Werten des amerikanischen Volkes dient.

Unsere Beziehung zu China wird wettbewerbsorientiert sein, wenn sie es sein sollte, kooperativ, wenn sie es sein kann, und feindselig, wenn sie es sein muss.“3

Damit griff er eine Warnung von Richard Nixon auf, der in seinen Erinnerungen warnte: Die USA müssten sich China „in den nächsten Jahrzehnten widmen, es fördern und entwickeln, noch während es seine Stärke und sein Potenzial als Nation entfaltete. Anderenfalls wären wir eines Tages mit dem beachtlichsten Gegner konfrontiert, den es in der Weltgeschichte je gab.“ 4

Dieses Buch erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es umfasst ausdrücklich nicht die über jahrtausendalte Hochkultur, die ihre Anfänge in der heutigen Provinz Henan unter der Xia-Dynastie (ca. 2000 v. Chr.) hat und die ersten Piktogramme auf Orakelknochen als Vorläufer der heutigen chinesischen Schriftzeichen hervorgebracht hat. Es beleuchtet nicht den Mythos der drei Urkaiser: Fuxi, Shennong und schließlich den Gelben Kaiser Huang Di als eigentlichen Kulturschöpfer, und auch nicht die ihnen vorangegangenen 16 irdischen sowie himmlischen Kaiser. Die bis über 3.500 Jahre zurückreichenden schriftlichen Aufzeichnungen über die chinesische Kultur haben keinen Eingang in das vorliegende Buch gefunden. Es dreht sich weder um das Kaiserreich noch um die Mao-Revolution und die Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949.

Vielmehr ist das vorliegende Buch ganz der Auseinandersetzung zwischen der Volksrepublik China und den Vereinigten Staaten von Amerika gewidmet – am Beispiel Taiwans, aber auch weit darüber hinausgehend. Historische Bezüge werden nur genommen, soweit sie für die heutige und vor allem die künftige Entwicklung von unmittelbarer Bedeutung erscheinen. Das gilt insbesondere für den verstärkten Multilateralismus nach 1945 und den Niedergang eben dieser staatenübergreifenden Verständigungsform in den letzten zehn oder mehr Jahren.

Das vorliegende Werk konzentriert sich bewusst auf die Analyse der heutigen geopolitischen Lage, die wirtschaftlichen, technologischen, gesellschaftlichen und militärischen Optionen der heutigen Volksrepublik China im Kampf um die Vorherrschaft mit dem Vereinigten Staaten von Amerika und die mutmaßlichen Aussichten bis zum Jahr 2049.

Jamal Qaiser, Dr. Horst Walther

Taiwan – die Republik China

Taiwan ist der weltweit bekannte Name, aber tatsächlich nennt sich der kleine Inselstaat mit einer Fläche von nur 36.179 Quadratkilometer – das entspricht in etwa der Größe Baden-Württembergs – im westlichen Pazifik selbst offiziell Republik China. In Österreich und der Schweiz trägt er den amtlichen Namen Republik China auf Taiwan. Staatliche Stellen Taiwans verwenden in Texten, die an internationales Publikum gerichtet sind, ebenfalls den Namen Taiwan und Hilfskonstruktionen wie „Republik China auf Taiwan“ oder „Republik China (Taiwan)“. Auf der Insel produzierte Waren tragen häufig die Herkunftsbezeichnung „Made in Taiwan, R.O.C.“ (R.O.C. steht dabei für Republic of China) oder „Made in Taiwan“.

Diplomatisch anerkannt ist die Inselrepublik, die aus der Hauptinsel Taiwan (99 Prozent der Landfläche) und einigen kleinen Inseln besteht, indes nur von einigen wenigen Staaten in Ostasien.

Das hängt unmittelbar mit der sogenannten Ein-China-Politik zusammen. Der Begriff beschreibt die politische Prämisse der Volksrepublik China, dass es nur ein einziges China gibt, nämlich die VR China selbst. Dieses „einzige China“ umfasst neben dem von der Volksrepublik kontrollierten Festlandchina auch Macau und Hongkong sowie Taiwan. Alle Staaten, die diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik China unterhalten wollen, müssen diese Prämisse anerkennen. Die Einhaltung dieser Ein-China-Politik betrachtet die Volksrepublik China als Voraussetzung für eine friedliche Wiedervereinigung.

Taiwan wie „das kleine Dorf unbeugsamer Gallier“

Doch Taiwan erinnert in diesem Szenario ein wenig an die Comicserie „Asterix & Obelix“, bei der sich bekanntlich auch nicht „ganz Gallien“ den Römern unterworfen hat, sondern „ein kleines Dorf unbeugsamer Gallier“ Widerstand leistet – genauso, wie Taiwan keineswegs bereit ist, sich der Volksrepublik China unterzuordnen.

Die Inselrepublik Taiwan, zu der auch die kleineren Inseln Penghu, Kinmen und Matsu gehören, nimmt in der Tat eine besondere Stellung ein. Die Kontroverse um den politischen Status Taiwans ist eine Folge des chinesischen Bürgerkriegs und der anschließenden Teilung Chinas in die beiden heutigen selbstverwalteten Einheiten der Volksrepublik China (VRC; gemeinhin als „China“ bekannt) und der Republik China (ROC; gemeinhin als „Taiwan“ bekannt). 5

Es geht um die Frage, ob Taiwan als faktisch getrenntes, selbstverwaltetes Gebiet in der VR China verbleiben soll, ob es im Rahmen des Konzepts „Ein Land – zwei Systeme“ Teil der VR China werden soll, ob ein de jure unabhängiger taiwanischer Staat gegründet werden soll, ob es sich mit dem chinesischen Festland unter der Regierung der VR China vereinigen soll oder ob es sich mit dem chinesischen Festland im Rahmen einer alternativen politischen Regelung vereinigen soll. Der Status Taiwans ist, außer, dass sich bisher alle beteiligen Kontrahenten zur einer „Ein-China-Politik“ bekennen, schlicht nicht definiert, ein Status quo also, auch strategische Zweideutigkeit (Strategic Ambiguity6) genannt. 7 Jedes Rütteln an dieser Mehrdeutigkeit kann einen ernsthaften militärischen Konflikt zwischen den beiden Supermächten entfachen. Taiwan ist dabei vollständig auf Sicherheitsgarantien der USA angewiesen. Um das Wohlwollen dieser Inselrepublik mussten die vereinigten Staaten also nicht lange werben.

Der Zwerg, der ein Riese ist

So klein wie die Insel so überschaubar ist die Bevölkerung mit rund 23,5 Millionen Menschen. Doch geopolitische und wirtschaftlich ist Taiwan ein Riese: als einer der wichtigsten Versorger der Weltwirtschaft mit Elektronikchips und als Zankapfel zwischen der Volksrepublik China und den Vereinigen Staaten von Amerika. Als nicht anerkannter Underdog kann Taiwan auch nicht Mitglied der Vereinten Nationen werden. Man muss einen Blick in die Geschichte werden, um zu verstehen, wie Taiwan in die „Rolle des Dorfes der Unbeugsamen“ geriet.

Die Republik China wurde nach der Xinhai-Revolution (benannt nach dem Jahr Xinhai im chinesischen Lunisolarkalender vom 30. Januar 1911 bis 17. Februar 1912) auf dem chinesischen Festland am 1. Januar 1912 in Nanjing ausgerufen. Die Revolution begann im Herbst 1911 und endete mit dem Thronverzicht des sechsjährigen Kaisers Puyi am 12. Februar 1912. Durch sie konnte am 1. Januar 1912 die erste chinesische Republik gegründet werden. Die Beendigung der Regentschaft des letzten Mandschu-Kaisers Puyi aus der Qing-Dynastie bedeutete das Ende des über 2100 Jahre alten chinesischen Kaiserreichs, das seit 221 v. Chr. über viele Dynastien hinweg Bestand hatte. Sowohl die Republik China auf der Insel Taiwan als auch die Volksrepublik China auf dem Festland betrachten sich als die rechtmäßigen Nachfolger der Xinhai-Revolution.

Die Insel Taiwan, von 1683 bis 1895 unter chinesischer Herrschaft und von 1895 bis 1945 unter Herrschaft des japanischen Kaiserreichs, fiel erst mit Ende des Zweiten Weltkriegs an die Republik China. 1949, nach der Niederlage im 22-jährigen Bürgerkrieg gegen die Kommunistische Partei und der Gründung der Volksrepublik China auf dem Festland zogen sich die Regierung, die Eliten und die Streitkräfte der Republik China auf die Insel Taiwan zurück. Dort etablierte die von Chiang Kai-Shek geführte Staatspartei Kuomintang unter Beibehaltung des Ausnahmezustands eine mehrere Jahrzehnte andauernde Einparteienherrschaft. Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war von hohem Wirtschaftswachstum gekennzeichnet, gegen Ende der 1980er Jahre initiierte die Kuomintang eine schrittweise Demokratisierung. Gemäß verschiedenen Demokratieskalen ist die Republik China heute neben Japan einer der demokratischsten Staaten Asiens, vergleichbar mit Deutschland und der Schweiz.8

Auch nach der Ausrufung der Volksrepublik China 1949 vertrat die Regierung der Republik China den chinesischen Staat zunächst bei den Vereinten Nationen und war ständiges Mitglied des UNO-Sicherheitsrats. Als Folge der Ein-China-Politik der Volksrepublik brachen aber immer mehr Staaten ihre diplomatischen Beziehungen zur Republik China ab, die 1971 mit der UNO-Resolution 2758 auch ihre Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen an die Volksrepublik abgeben musste. Mit dem Taiwan Relations Act brachen auch die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Beziehungen zur Republik China, also zu Taiwan, pro forma ab, nachdem die USA am 1. Januar 1979 unter Präsident Jimmy Carter offizielle diplomatische Beziehungen mit der Volksrepublik China aufgenommen hatten. Allerdings haben die USA seitdem niemals ein Hehl daraus gemacht, dass ihre politische Sympathie der demokratischen Republik, nicht der kommunistischen Volksrepublik, gilt.

Eine der am schnellsten alternden Gesellschaften

Taiwans Bevölkerung wuchs zwischen 1950 und 2015 von sieben auf 23 Millionen an und damit prozentual gesehen deutlich stärker als in der Volksrepublik China. Doch inzwischen hat sich die Lage umgekehrt: Inzwischen beträgt die Einwohnerwachstumsrate nur noch 0,2 Prozent jährlich. Das Durchschnittsalter liegt bei rund 40 Jahren. Die Geburtenrate war 2016 mit 1,12 Kindern pro Frau eine der niedrigsten der Welt (Vergleichszahlen für andere asiatische Länder im Jahr 2015: Hongkong 1,20, Südkorea 1,24, Singapur 1,24, Japan 1,46). Taiwan ist deshalb eine der am schnellsten alternden Gesellschaften der Welt. Bis 2050 könnte das Durchschnittsalter auf 56 Jahre steigen, was – wie auch in anderen alternden Gesellschaften – eine große Herausforderung für die Renten- und Gesundheitssysteme darstellen dürfte.

Bevölkerungsprognosen für das Jahr 2060 bewegen sich zwischen 17,3 und 19,7 Millionen; das wären etwa so viele Einwohner, wie Taiwan Anfang der 1980er Jahre hatte. Die Bevölkerung im Erwerbsalter (15 bis 64 Jahre) wird nach diesen Prognosen zwischen 2022 und 2060 von 17,2 Millionen auf 9,6 Millionen sinken, während die Zahl der Rentner (über 64 Jahre) von 3,2 Millionen auf 7,2 Millionen steigen soll.

Die dramatische Entwicklung der demografischen Pyramide hängt auch damit zusammen, dass der Inselstaat seit 1949 lange Zeit eine restriktive Einwanderungspolitik verfolgt hat. Erst nach der Demokratisierung Anfang der 1990er Jahre nahm die Immigration nach Taiwan allmählich zu. Im Zeitraum zwischen 1992 und 2015 stieg die Zahl der in Taiwan lebenden Personen mit nicht-taiwanischer Staatsbürgerschaft von etwa 44.400 (etwa 0,2 Prozent der Gesamtbevölkerung) auf 637.800 (etwa 2,8 Prozent).

Die Regierung der 2016 ins Amt gewählten Präsidentin Tsai Ing-wen legte den Plan der „Neuen Politik der Südausrichtung“ (New Southbound Policy) vor, der die Beziehungen zu 18 südostasiatischen Staaten, darunter die ASEAN-Staaten, Australien, Neuseeland und Indien, intensivieren und von dort eine erleichterte Immigration nach Taiwan ermöglichen sollte. Das schien einerseits unausweichlich angesichts der demografischen Lage, führte andererseits jedoch wie jede offensive Migrationspolitik zu politischen und gesellschaftlichen Streitigkeiten im Inland – umso mehr, als es in Taiwan gefühlt ohnehin schon „eng“ ist. Die Republik China weist nämlich mit etwa 640 Einwohnern pro Quadratkilometer nach Bangladesch die zweithöchste Einwohnerdichte aller Flächenstaaten der Welt auf. Infolge des hohen Gebirgsanteils Taiwans konzentriert sich die Bevölkerung in den westlichen Ebenen sowie im Norden der Insel um die Hauptstadt Taipeh. Entsprechend hoch ist dort die Verstädterungsrate mit einer zunehmenden Konzentration auf die Agglomeration in der Hauptstadt Taipeh. Weitere Siedlungsschwerpunkte finden sich um Taichung und Tainan entlang der Westküste bis zur südlichen Hafenstadt und zweitgrößten Metropole Kaohsiung. In den Städten leben um die 75 Prozent der Bevölkerung.

Taiwan ist die Chipmetropole der Welt

Die Bedeutung Taiwans geht weit über die historische Entwicklung oder die geografische Lage hinaus; das hängt vor allem mit einem Unternehmen zusammen, der Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC, chinesisch 台灣積體電路製造股份有限公司 / 台湾积体电路制造股份有限公司).9

Die 1987 in Hsinchu gegründete TSMC ist heute mit über 55.000 Beschäftigten nach Samsung der zweitgrößte Halbleiterhersteller der Welt und zugleich der weltweit größte unabhängige Auftragsfertiger für Halbleiterprodukte, eine sogenannte Foundry („Gießerei“).10 So bezeichnet man Betreiber von Chipfabriken, die im Auftrag anderer Unternehmen, die keine eigenen Halbleiterfertigungsstätten besitzen, Mikroelektronik produziert. Wenn man sich die Kundenliste von TSMC ansieht, wird die enorme Bedeutung der taiwanischen Foundry für die Weltwirtschaft deutlich: AMD, Apple, Qualcomm, Nvidia und Broadcom sind nur einige der Namen aus dem Kundenkreis von TSMC. Mit anderen Worten: Sollte die Halbleiterproduktion in Taiwan jemals zum Stillstand kommen, steht auch die halbe Welt still, denn die Chips „made in Taiwan“ sind in beinahe allen Elektronikprodukten rund um den Globus enthalten. Autos, Maschinen, Anlagen, Smartphones, PCs, Server – ohne Taiwan läuft kaum noch etwas.

Der Vorsitzende von TSMC, Mark Liu, stellte 2022 klar: „Niemand kann TSMC mit Gewalt kontrollieren. Wenn man militärische Gewalt oder eine Invasion einsetzt, wird die TSMC-Fabrik nicht mehr betriebsfähig sein. Da es sich um eine so hochentwickelte Produktionsstätte handelt, ist sie auf Echtzeit-Verbindungen mit der Außenwelt angewiesen, mit Europa, Japan und den USA, von Materialien über Chemikalien und Ersatzteile bis hin zu technischer Software und Diagnose.“ Liu verglich einen potenziellen Konflikt in Taiwan mit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine und sagte, dass die beiden Konflikte zwar sehr unterschiedlich, die wirtschaftlichen Auswirkungen auf andere Länder aber ähnlich seien.11

TSMC rüstet sich schon seit längerem für diese Auseinandersetzung – mit einer rigorosen Expansion außerhalb Taiwans.12 So entwickelte das Unternehmen Pläne zur Errichtung neuer Chipfabriken auf der japanischen Hauptinsel Kyushu, im US-amerikanischen Phoenix und in Dresden.13 Doch in allen drei Fällen erwies sich die Etablierung der hochspezialisierten Fertigung im Ausland als schwierig.14 Und so verkündete TSMC auch prompt, dass man seine Wurzeln auch weiterhin in Taiwan sehe, sowohl was die Forschung und Entwicklung als auch die Fertigung der jeweils neuesten Chiptechnologie beträfe.15

Damit bleibt die durch die zunehmende Elektronisierung, Computerisierung und Digitalisierung praktisch aller Wirtschaftszweige und Lebensbereiche in allen Industrienationen – und nicht nur dort – geschaffene ungesunde Abhängigkeit von dem umstrittenen und künftig möglicherweise umkämpften Inselstaat, die im Fall eines bewaffneten Konflikts oder gar eines Kriegs um die Insel weite Teile der Weltwirtschaft ins Chaos stürzen könnte, weiterhin bestehen.

Einer Studie aus dem Jahr 2023 zufolge rechneten im Fall einer militärischen Auseinandersetzung rund zwei Drittel der deutschen Mittelständler mit „starken bis sehr starken Beeinträchtigungen“ bei der Versorgung mit elektronischen Komponenten.

Rund zwei Drittel der Firmen bezeichneten IT-Komponenten wie Halbleiter, Sensoren und andere Mikrochips als „wichtig bis sehr wichtig für ihr Unternehmen“. Erneute Störungen in der Versorgung, unter denen Mittelständler und Konzerne schon während der Covidpandemie massiv gelitten hatten, könnten daher entsprechend schwerwiegende Folgen für den Geschäftsbetrieb haben. Bei knapp zwei Dritteln der befragten Unternehmen aus dem deutschen Mittelstand stammten wichtige Lieferanten für Elektronikbauteile aus der Volksrepublik, rund 44 Prozent der Befragten bezogen daneben oder ausschließlich Komponenten aus Taiwan. Zwar kauften ebenfalls rund zwei Drittel der deutschen Mittelständler auch Elektroniklieferanten in Europa ein. Doch die damit vermeintlich verbundene Versorgungssicherheit war und ist trügerisch: Bei einem chinesischen Angriff auf oder Einmarsch in Taiwan drohen auch bei den europäischen Lieferanten Versorgungsengpässe durch den Ausfall von Fabriken oder als Folge von Sanktionen.16

Die Schlüsselrolle der Elektronikchips für immer mehr Produktkategorien dürfte auch die Überlegungen der Volksrepublik stark beeinflussen und der Zugriff auf die Chiptechnologie von TSMC bleibt verlockend – zumal andere Quellen versiegen. So haben die USA seit Anfang 2024 ein Exportverbot für sogenannte Deep-Ultraviolet-Lithografiemaschinen (DUV) in die Volksrepublik ausgesprochen, um das Land von der Versorgung mit Chip-Hochtechnologie abzuschneiden. Bereits zuvor hatten sie auf das Verbot der Lieferung von moderneren Belichtungsanlagen der sogenannten Extreme-Ultraviolet-Technologie (EUV) nach China hingewirkt. DUV und EUV stellen die Basisverfahren für moderne Chipfabriken dar. 17 Ohne Zugang zu diesen westlichen Technologien wird der Volksrepublik die Entwicklung und Fertigung moderner Chips deutlich erschwert.

Doch die Volksrepublik wehrte sich ebenfalls mit Handelshemmnissen – nicht gegen die USA, sondern gegenüber Taiwan. So wurden Anfang 2024 Zollsenkungen auf zwölf wichtige Produktkategorien aus Taiwan ausgesetzt. Offiziell war dies eine Reaktion auf „diskriminierende Verbote und Beschränkungen“ der Inselrepublik gegen Produkte vom chinesischen Festland. Doch tatsächlich sollte es wohl eher ein politisches Signal im Vorfeld der anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Taiwan am 13. Januar 2024 sein.18 Einmal mehr versuchte China politischen und wirtschaftlichen Druck aus den USA an Taiwan weiterzugeben.

Aus allen diesen Gründen ist es also durchaus gerechtfertigt, Taiwan als „die gefährlichste Insel der Welt“ zu bezeichnen. Sie birgt die Gefahr eines militärischen Ausbruchs der Auseinandersetzung zwischen den USA und der Volksrepublik China mit potenziell verheerenden Folgen für die Volkswirtschaften rund um den Globus. Und es deutet vieles darauf hin, dass sich die Konfrontation zwischen dem absoluten Supermachtsanspruch der USA und dem ebenso absoluten Anspruch der VR China auf die Insel im Kampf um Taiwan entladen wird.

USA rüsten Taiwan gegen China

Wie eine schallende Ohrfeige für die VR China wirkte der Militärdeal der Vereinigten Staaten mit Taiwan im Sommer 2019: Die USA verkauften 66 Kampfflugzeuge vom Typ F-16 an Taiwan. Der Rüstungsdeal mit einem Wert von insgesamt acht Milliarden Dollar (umgerechnet 7,2 Milliarden Euro) umfasste neben den Kampfjets auch 75 Triebwerke und andere Systeme. Die US-Regierung stufte das militärische Milliardengeschäft in Übereinstimmung mit den „historischen Beziehungen“ zwischen den USA und China ein.

Die VR China bezeichnete es als „schwere Verletzung“ von Vereinbarungen und als „schwere Einmischung in Chinas innere Angelegenheiten“. Schließlich betrachtet Peking den Inselstaat Taiwan als abtrünnige Provinz, die eines Tages wieder mit dem Festland vereinigt werden soll – notfalls mit militärischer Gewalt.

Die militärische Unterstützung durch die USA konnte daher nur als Provokation verstanden werden. Das war 2019 allerdings keine große Neuigkeit mehr. Schon 1992 hatte sich Taiwan eine F-16-Flotte zugelegt und über die Jahre hinweg mehrfach modernisiert. Die USA haben sich der Verteidigungsfähigkeit Taiwans verpflichtet. Wie ernst sie diese selbstauferlegte Pflicht wurde, wurde 2022 deutlich, als bekannt wurde, dass die USA planen, Taiwan mit 60 Schiffsabwehrraketen und 100 Luft-Luft-Raketen im Wert von insgesamt 1,1 Milliarden Dollar weiter zu unterstützt.19 Doch die USA sind nicht die einzige Nation, die sich auf den Kampf in der Region vorbereiten. So kündigte Japan 2022 an, 1.000 Langstrecken-Marschflugkörper zu stationieren, die mit einer Reichweite von 1.000 Kilometern die Küsten Festlandchinas und Nordkoreas erreichen können. Nach Japans pazifistischer Verfassung darf das Militär sie zwar nur zur Selbstverteidigung einsetzen, doch das Land hat seine Militärausgaben über Jahre hinweg kräftig erhöht.20

Zuspitzung seit 2022

Tatsächlich hat sich die Lage seit 2022 dramatisch zugespitzt. Im Sommer 2022, die USA befanden sich in Europa mitten in einem indirekten Krieg mit Russland um die Ukraine, besuchte die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, die 82-jährige Nancy Pelosi, Taiwan. Es war der ranghöchste Besuch aus den USA seit einem Vierteljahrhundert in Taiwan. Ihre Landung auf der Insel ordnete sie geopolitisch als äußerst bedeutsam ein, sie unterstreiche das „unerschütterliche Engagement der USA für die Unterstützung der lebendigen Demokratie in Taiwan“. Und weiter: „Amerikas Solidarität mit den 23 Millionen Menschen in Taiwan ist heute wichtiger denn je, da die Welt vor der Wahl zwischen Autokratie und Demokratie steht. Unsere Gespräche mit der taiwanischen Führung werden sich darauf konzentrieren, unsere Unterstützung für unseren Partner zu bekräftigen und unsere gemeinsamen Interessen zu fördern, einschließlich der Förderung einer freien und offenen indopazifischen Region.“21

Es war eine offene Kampfansage an die Volksrepublik China, wenngleich Pelosi ebenso wie US-Präsident Joe Biden betonte, dass die USA weiterhin an der Doktrin der Ein-China-Politik festhalten würden. Jeder politische Beobachter stellte sich jedoch zwangsläufig die Frage: wie lange noch?

Peking reagierte umgehend mit „gezielten militärischen Aktionen“. Das Verteidigungsministerium ließ wissen: „Die chinesische Volksbefreiungsarmee ist in hohem Alarmzustand und wird mit einer Serie gezielter militärischer Aktionen antworten.“ Das chinesische Außenministerium erklärte: Der Besuch Pelosis gefährdet den Frieden und die Stabilität in der Straße von Taiwan. Die Visite beeinträchtigt zudem die politischen Grundlagen der Beziehungen zwischen China und den USA ernsthaft. Und klipp und klar: „Wer mit dem Feuer spielt, wird darin umkommen“ stand in der offiziellen Mitteilung der Volksrepublik Chinas zu dem Pelosi-Besuch.22