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Wassily Kandinsky

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Kandinsky

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Autor:

Wassily Kandinsky

Layout:

Baseline Co. Ltd

61A-63A Vo Van Tan Street

4. Etage

Distrikt 3, Ho Chi Minh City

Vietnam

© Confidential Concepts, worldwide, USA

© Parkstone Press International, New York, USA

Image-Barwww.image-bar.com

Weltweit alle Rechte vorbehalten.

Soweit nicht anders vermerkt, gehört das Copyright der Arbeiten den jeweiligen Fotografen, den betreffenden Künstlern selbst oder ihren Rechtsnachfolgern. Trotz intensiver Nachforschungen war es aber nicht in jedem Fall möglich, die Eigentumsrechte festzustellen. Gegebenenfalls bitten wir um Benachrichtigung.

Wassily Kandinsky

Inhalt

Vorwort

A. Allgemeines

I. Einleitung

II. Die Bewegung

III. Geistige Wendung

IV. Die Pyramide

B. Malerei

V. Wirkung der Farbe

VI. Formen und Formensprache

VII. Theorie

VIII. Kunstwerk und Künstler

Schlusswort

Biografie

Kandinsky in Berlin, Januar 1922.

Fotografie.Musée national d’Art moderne,

Centre Georges-Pompidou, Paris.

Vorwort

Der russische Maler, Grafiker und Kunsttheoretiker Wassily Kandinsky (1866-1944) gilt als einer der Erfinder der abstrakten Malerei. Der studierte Jurist entschied sich erst relativ spät für eine Künstlerkarriere, veränderte die Welt der Kunst in der Folge allerdings tief greifend. Als Mitglied zahlreicher Künstlergruppen wie Phalanx, Die Neue Künstlervereinigung München, Karo-Bube und Der Blaue Reiter beeinflusst er die zeitgenössische Kunst maßgeblich. Das vorliegende Buch nimmt Kandinskys kunsttheoretisches Standardwerk Über das Geistige in der Kunst (1912) zum Ausgangspunkt, um sich dem Künstler und seinen Bildern zu nähern. Die in seinem Text dargelegte Farb- und Formenlehre manifestiert sich in all seinen Werken, wird im Laufe seiner Schaffenszeit aber immer mehr an Bedeutung gewinnen. Kandinskys künstlerische Wurzeln liegen in der russischen Ikonenmalerei, seine Motive russischer Folklore zeugen von einer tiefen Verbundenheit mit seiner Heimat. Zunächst folgt Kandinsky dem Realismus, bevor er sich nach Phasen, in denen er von unterschiedlichen Strömungen – darunter Impressionismus, Jugendstil, Neo-Impressionismus und Expressionismus – beeinflusst wird, der Abstraktion zuwendet. Während seiner Anfangszeit als Künstler in München (ab 1896) kann sein Stil als organisch bezeichnet werden. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Gabriele Münter malt er farbenfrohe Landschaften von der bayerischen Natur: Werke, von denen vor allem seine Darstellungen der Gemeinde Murnau repräsentativ für diese Zeit stehen. Kandinsky bleibt bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Deutschland.

Nach seiner Rückkehr nach Russland im Jahr 1914 wird er vom Konstruktivismus beeinflusst, was sich in von harten Linien, Punkten und geometrischen Formen dominierten Kompositionen zeigt. Als Teil der russischen Avantgarde wird er infolge der Russischen Revolution zu einer entscheidenden Persönlichkeit des öffentlichen kulturellen Lebens, bis er aufgrund des sich ändernden politischen Klimas nach Berlin geht. Während seiner Berliner Jahre (1920-1922) werden die Landschaftsdarstellungen aus seiner Zeit in München schließlich von immer abstrakteren Bildern abgelöst. Sein Stil wird sich in den darauf folgenden Jahren, während derer er am Bauhaus – zunächst in Weimar, später in Dessau – tätig ist, in eine geometrische Richtung in Form von Piktogrammen und Hieroglyphen entwickeln. Später in Paris (ab 1933) tauchen im Gegensatz dazu verstärkt biomorphe Formen in seinen Bildern auf. Wie andere Zeitgenossen, darunter Paul Klee, sieht Kandinsky ein notwendiges Zusammenspiel der verschiedenen Kunstformen, allen voran der Musik und der Farbe. Farbe wird bei Kandinsky zum Ausdruck eines Gefühls und dient nicht mehr vorrangig der Darstellung der Wirklichkeit. Kandinsky schuf ein beeindruckendes Gesamtwerk aus Gemälden in Öl, Aquarellen und Holzschnitten, in denen sich auf unterschiedliche Weise sein künstlerisches Potenzial offenbart. Daneben verfasste er weitere kunsttheoretische Schriften wie Punkt und Linie zu Fläche (1926). Sowohl seine Bilder als auch seine Texte machen Wassily Kandinsky zu einem der größten und einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts.

Der Hafen von Odessa, 1898.

Öl auf Leinwand, 65x45cm.

Tretjakow-Galerie, Moskau.

I. Einleitung

Jedes Kunstwerk ist Kind seiner Zeit, oft ist es die Mutter unserer Gefühle. So bringt jede Kulturperiode eine eigene Kunst zustande, die nicht mehr wiederholt werden kann. Eine Bestrebung, vergangene Kunstprinzipien zu beleben, kann höchstens Kunstwerke zur Folge haben, die einem totgeborenen Kinde gleichen. Wir können z. B. unmöglich wie alte Griechen fühlen und innerlich leben. So können auch die Anstrengungen, z. B. in der Plastik die griechischen Prinzipien anzuwenden, nur den griechischen ähnliche Formen schaffen, wobei das Werk seelenlos bleibt für alle Zeiten. Eine derartige Nachahmung gleicht den Nachahmungen der Affen. Äußerlich sind die Bewegungen des Affen den menschlichen vollständig gleich. Der Affe sitzt und hält ein Buch vor die Nase, blättert darin, macht ein bedenkliches Gesicht, aber der innere Sinn dieser Bewegungen fehlt vollständig.

Es gibt aber eine andere äußere Ähnlichkeit der Kunstformen, der eine große Notwendigkeit zugrunde liegt. Die Ähnlichkeit der inneren Bestrebungen in der ganzen moralisch-geistigen Atmosphäre, das Streben zu Zielen, die im Hauptgrunde schon verfolgt, aber später vergessen wurden, also die Ähnlichkeit der inneren Stimmung einer ganzen Periode kann logisch zur Anwendung der Formen führen, die erfolgreich in einer vergangenen Periode denselben Bestrebungen dienten. So entstand teilweise unsere Sympathie, unser Verständnis, unsere innere Verwandtschaft mit den Primitiven. Ebenso wie wir, suchten diese reinen Künstler nur das Innerlich-Wesentliche in ihren Werken zu bringen, wobei der Verzicht auf äußerliche Zufälligkeit von selbst entstand.

Dieser wichtige innere Berührungspunkt ist aber bei seiner ganzen Wichtigkeit doch nur ein Punkt. Unsere Seele, die nach der langen materialistischen Periode erst im Anfang des Erwachens ist, birgt in sich Keime der Verzweiflung des Nichtglaubens, des Ziel- und Zwecklosen. Der ganze Albdruck der materialistischen Anschauungen, welche aus dem Leben des Weltalls ein böses zweckloses Spiel gemacht haben, ist noch nicht vorbei. Die erwachende Seele ist noch stark unter dem Eindruck dieses Albdruckes. Nur ein schwaches Licht dämmert wie ein winziges Pünktchen in einem enormen Kreis des Schwarzen.

Dieses schwache Licht ist bloß eine Ahnung, welches zu sehen die Seele keinen vollen Mut hat, im Zweifel, ob nicht dieses Licht der Traum ist, und der Kreis des Schwarzen die Wirklichkeit. Dieser Zweifel und die noch drückenden Leiden der materialistischen Philosophie unterscheiden stark unsere Seele von der der „Primitiven“. In unserer Seele ist ein Sprung und sie klingt, wenn man es erreicht, sie zu berühren, wie eine kostbare in den Tiefen der Erde wiedergefundene Vase, die einen Sprung hat. Deswegen kann der Zug ins Primitive, wie wir ihn momentan erleben, in der gegenwärtigen ziemlich entliehenen Form nur von kurzer Dauer sein.

Diese zwei Ähnlichkeiten neuer Kunst mit Formen vergangener Perioden sind, wie leicht zu sehen ist, diametral verschieden. Die erste ist äußerlich und hat deswegen keine Zukunft. Die zweite ist innerlich und birgt deswegen den Keim der Zukunft in sich. Nach der Periode der materialistischen Versuchung, welcher die Seele scheinbar unterlag und welche sie doch als eine böse Versuchung abschüttelt, kommt die Seele, durch Kampf und Leiden verfeinert, empor.

Gröbere Gefühle, wie Angst, Freude, Trauer usw., welche auch zu dieser Versuchungsperiode als Inhalt der Kunst dienen könnten, werden den Künstler wenig anziehen. Er wird suchen, feinere Gefühle, die jetzt namenlos sind, zu erwecken. Er lebt selbst ein kompliziertes, verhältnismäßig feines Leben, und das aus ihm entsprungene Werk wird unbedingt dem Zuschauer, welcher dazu fähig ist, feinere Emotionen verursachen, die mit unseren Worten nicht zu fassen sind.

Der Zuschauer heutzutage ist aber selten zu solchen Vibrationen fähig. Er sucht im Kunstwerk entweder eine reine Naturnachahmung, die praktischen Zwecken dienen kann (Porträt im gewöhnlichen Sinne u. dgl.), oder eine Naturnachahmung, die eine gewisse Interpretation enthält, „impressionistische“ Malerei, oder endlich in Naturformen verkleidete Seelenzustände (was man Stimmung nennt).[1]

Alle diese Formen, wenn sie wirklich künstlerisch sind, erfüllen ihren Zweck und bilden (auch im ersten Falle) geistige Nahrung, besonders aber in dem dritten Falle, wo der Zuschauer einen Mitklang seiner Seele findet. Freilich kann also ein derartiger Mit- (oder auch Wider-) Klang nicht leer oder oberflächlich bleiben, sondern die „Stimmung“ des Werkes kann die Stimmung des Zuschauers noch vertiefen – und verklären. Jedenfalls halten solche Werke die Seele von der Vergröberung ab. Sie erhalten sie auf einer gewissen Höhe, wie der Stimmschlüssel die Saiten eines Instrumentes. Aber Verfeinerung und Ausdehnung in Zeit und Raum dieses Klanges bleibt doch einseitig und erschöpft die mögliche Wirkung der Kunst nicht.

Ein großes, sehr großes, kleineres oder mittelgroßes Gebäude in verschiedene Räume geteilt. Alle Wände der Räume mit kleinen, großen, mittleren Leinwändern behängt. Oft mehrere Tausende von Leinwändern. Darauf durch Anwendung der Farbe Stücke „Natur“ gegeben:

Straße im Sonnenlicht, Datum unbekannt.

Öl auf Leinwand, 23x32cm.

Kunstmuseum Odessa, Odessa.

Herbst, 1900.

Öl auf Furnier, 19,9x30,8cm.

Eremitage, Sankt Petersburg.

Skizze zu Achtyrka – Herbst, 1901.

Öl und Aquarell auf Karton,23,6x32,7cm.

Städtische Galerie im Lenbachhaus, München.

Dieses alles ist sorgfältig in einem Buch gedruckt: Namen der Künstler, Namen der Bilder. Menschen haben diese Bücher in der Hand und gehen von einer Leinwand zur andern und blättern und lesen die Namen. Dann gehen sie fort, ebenso arm oder reich, wie sie eintraten und werden sofort von ihren Interessen, die gar nichts mit der Kunst zu tun haben, absorbiert. Warum waren sie da? In jedem Bild ist geheimnisvoll ein ganzes Leben eingeschlossen, ein ganzes Leben mit vielen Qualen, Zweifeln, Stunden der Begeisterung und des Lichtes.

Wohin ist dieses Leben gerichtet? Wohin schreit die Seele des Künstlers, wenn auch sie in der Schaffung tätig war? Was will sie verkünden? „Licht in die Tiefe des menschlichen Herzens senden – Künstlers Beruf“, sagt Schumann. „Ein Maler ist ein Mensch, welcher alles zeichnen und malen kann,“ sagt Tolstoi.

Von diesen zwei Definitionen der Tätigkeit des Künstlers müssen wir die zweite wählen, wenn wir an die eben beschriebene Ausstellung denken – mit mehr oder weniger Fertigkeit, Virtuosität und Brio entstehen auf der Leinwand Gegenstände, die zueinander in gröberer oder feinerer „Malerei“ stehen. Die Harmonisierung des Ganzen auf der Leinwand ist der Weg, welcher zum Kunstwerk führt. Mit kalten Augen und gleichgültigem Gemüt wird dieses Werk beschaut. Die Kenner bewundern die „Mache“ (so wie man einen Seiltänzer bewundert), genießen die „Malerei“ (so wie man eine Pastete genießt). Hungrige Seelen gehen hungrig ab.

Die große Menge schlendert durch die Säle und findet die Leinwände „nett“ und „großartig“. Mensch, der was sagen könnte, hat zum Menschen nichts gesagt, und der, der hören könnte, hat nichts gehört.

Diesen Zustand der Kunst nennt man l’art pour l’art.

Dieses Vernichten der innerlichen Klänge, die der Farben Leben ist, dieses Zerstreuen der Kräfte des Künstlers ins Leere ist „Kunst für Kunst“.

Für seine Geschicklichkeit, Erfindungs- und Empfindungskraft sucht sich der Künstler in materieller Form den Lohn. Sein Zweck wird Befriedigung des Ehrgeizes und der Habsucht. Statt einer vertieften gemeinsamen Arbeit der Künstler entsteht ein Kampf um diese Güter. Man klagt über zu große Konkurrenz und Überproduktion. Hass, Parteilichkeit, Vereinsmeierei, Eifersucht, Intrigen werden zur Folge dieser zweckberaubten, materialistischen Kunst.[2]

Der Zuschauer wendet sich ruhig ab von dem Künstler, der in einer zweckberaubten Kunst den Zweck seines Lebens nicht sieht, sondern höhere Ziele vor sich hat.

„Verstehen“ ist Heranbildung des Zuschauers auf den Standpunkt des Künstlers. Oben wurde gesagt, dass die Kunst das Kind ihrer Zeit ist. Eine derartige Kunst kann nur das künstlerisch wiederholen, was schon die gegenwärtige Atmosphäre klar erfüllt. Diese Kunst, die keine Potenzen der Zukunft in sich birgt, die also nur das Kind der Zeit ist und nie zur Mutter der Zukunft heranwachsen wird, ist eine kastrierte Kunst. Sie ist von kurzer Dauer und stirbt moralisch in dem Augenblicke, wo die sie gebildet habende Atmosphäre sich ändert.

Die andere, zu weiteren Bildungen fähige Kunst wurzelt auch in ihrer geistigen Periode, ist aber zur selben Zeit nicht nur Echo derselben und Spiegel, sondern hat eine weckende prophetische Kraft, die weit und tief wirken kann.

Das geistige Leben, zu dem auch die Kunst gehört und in dem sie eine der mächtigsten Agentien ist, ist eine komplizierte aber bestimmte und ins Einfache übersetzbare Bewegung vor- und aufwärts. Diese Bewegung ist die der Erkenntnis. Sie kann verschiedene Formen annehmen, im Grunde behält sie aber denselben inneren Sinn, Zweck.

In Dunkel gehüllt sind die Ursachen der Notwendigkeit, „im Schweiße des Angesichts“, durch Leiden, Böses und Qualen sich vor- und aufwärts zu bewegen. Nachdem eine Station erreicht ist und manche bösen Steine aus dem Wege geschafft sind, werden von einer üblen unsichtbaren Hand neue Blöcke auf den Weg geworfen, welche manchmal scheinbar diesen Weg gänzlich verschütten und unerkennbar machen.

Da kommt aber unfehlbar einer von uns Menschen, der in allem uns gleich ist, aber eine geheimnisvoll in ihn gepflanzte Kraft des „Sehens“ in sich birgt.

Er sieht und zeigt. Dieser höheren Gabe, die ihm oft ein schweres Kreuz ist, möchte er sich manchmal entledigen. Er kann es aber nicht. Unter Spott und Hass zieht er die sich sträubende, in Steinen steckende schwere Karre der Menschheit mit sich immer vor- und aufwärts.

Oft ist schon lange nichts von seinem körperlichen Ich auf Erden geblieben, dann sucht man alle Mittel, dieses Körperliche aus Marmor, Eisen, Bronze, Stein in gigantesken Größen wiederzugeben. Als ob etwas läge an diesem Körperlichen bei solchen göttlichen Menschendienern und Märtyrern, die das Körperliche verachteten und nur dem Geistigen dienten. Jedenfalls ist dieses Heranziehen des Marmors ein Beweis, dass eine größere Menschenmenge zu dem Standpunkt angelangt ist, wo einst der jetzt Gefeierte stand.

Bergsee, 1899. Öl auf Leinwand, 50 x 70 cm.

Sammlung M.G. Manuchina, Moskau.

Fluss im Herbst, 1900.

Öl auf Karton, 20x30,5cm.

Russisches Museum, Sankt Petersburg.

Kochelsee, um 1902.

Öl auf Karton, 23,8x32,9cm.

Tretjakow-Galerie, Moskau.

II. Die Bewegung

Ein großes spitzes Dreieck in ungleiche Teile geteilt, mit der spitzesten, kleinsten Abteilung nach oben gewendet – ist das geistige Leben schematisch richtig dargestellt. Je mehr nach unten, desto größer, breiter, umfangreicher und höher werden die Abteilungen des Dreiecks.

Das ganze Dreieck bewegt sich langsam, kaum sichtbar nach vor- und aufwärts, und wo „heute“ die höchste Spitze war, ist „morgen“[3] die nächste Abteilung, d. h. was heute nur der obersten Spitze verständlich ist, was dem ganzen übrigen Dreieck eine unverständliche Faselei ist, wird morgen zum sinn- und gefühlvollen Inhalt des Lebens der zweiten Abteilung.

An der Spitze der obersten Spitze steht manchmal allein nur ein Mensch. Sein freudiges Sehen ist der inneren unermesslichen Trauer gleich. Und die, die ihm am nächsten stehen, verstehen ihn nicht. Entrüstet nennen sie ihn: Schwindler oder Irrenhauskandidaten. So stand beschimpft zu seinen Lebzeiten auf der Höhe Beethoven allein.[4] Wie viele Jahre wurden gebraucht, bis eine größere Abteilung des Dreiecks an die Stelle gelangte, wo er einst einsam stand. Und trotz allen Denkmälern – sind denn wirklich viele bis an diese Stelle empor gestiegen?[5]

In allen Abteilungen des Dreiecks sind Künstler zu finden. Jeder von denselben, der über die Grenzen seiner Abteilung hinaufblicken kann, ist ein Prophet seiner Umgebung und hilft der Bewegung, der widerspenstigen Karre. Wenn er aber nicht dieses scharfe Auge besitzt, oder dasselbe aus niedren Zwecken und Gründen missbraucht oder schließt, dann wird er von allen seinen Abteilungsgenossen völlig verstanden und gefeiert. Je größer diese Abteilung ist (also je tiefer sie gleichzeitig liegt), desto größer ist die Menge, der des Künstlers Rede verständlich ist. Es ist klar, dass eine jede solche Abteilung nach dem entsprechenden geistigen Brot bewusst oder (viel öfter) gänzlich unbewusst hungert. Dieses Brot wird ihr von ihren Künstlern gereicht und nach diesem Brot wird morgen schon die nächste Abteilung greifen.

Diese schematische Darstellung erschöpft freilich das ganze Bild des geistigen Lebens nicht. Unter anderem zeigt sie eine Schattenseite nicht, einen großen toten schwarzen Fleck. Es geschieht eben zu oft, dass das erwähnte geistige Brot zur Nahrung manchen wird, die schon in einer höheren Abteilung leben. Für solche Esser wird dieses Brot zu Gift: in kleiner Dosis wirkt es so, dass die Seele aus einer höheren Abteilung in eine niedere allmählich sinkt; in großer Dosis genossen, bringt dieses Gift zu einem Sturz, welcher in immer tiefere und tiefere Abteilungen die Seele wirft. Sienkiewicz vergleicht in einem seiner Romane das geistige Leben mit Schwimmen: wer nicht unermüdlich arbeitet und mit dem Sinken fortwährend kämpft, der geht unfehlbar unter. Hier kann die Begabung eines Menschen, das „Talent“ (im Sinne des Evangeliums) zum Fluch – nicht nur des dieses Talent tragenden Künstlers, sondern auch für alle diejenigen, werden, die von diesem giftigen Brot essen.

Der Künstler braucht seine Kraft, um niederen Bedürfnissen zu schmeicheln; in einer angeblichen künstlerischen Form bringt er einen unreinen Inhalt, er zieht die schwachen Elemente an sich, vermengt sie ständig mit schlechten, betrügt die Menschen und hilft ihnen, sich zu betrügen, indem sie sich und andere überzeugen, dass sie geistigen Durst haben, dass sie von der reinen Quelle diesen geistigen Durst stillen. Derartige Werke verhelfen nicht der Bewegung nach aufwärts, sie hemmen sie, drängen das Vorwärtsstrebende zurück und verbreiten Pest um sich.

Solche Perioden, in welchen die Kunst keinen hochstehenden Vertreter hat, in welchen das verklärte Brot ausbleibt, sind Perioden des Niederganges in der geistigen Welt. Unaufhörlich fallen Seelen aus höheren Abteilungen in tiefere, und das ganze Dreieck scheint unbeweglich zu stehen. Es scheint sich ab- und rückwärts zu bewegen. Die Menschen legen zu diesen stummen und blinden Zeiten einen besonderen ausschließlichen Wert auf äußerliche Erfolge, sie kümmern sich nur um materielle Güter und begrüßen einen technischen Fortschritt, welcher nur dem Leibe dient und dienen kann, als eine große Tat. Die rein geistigen Kräfte werden im besten Falle unterschätzt, sonst überhaupt nicht bemerkt.

Die vereinsamten Hungerer und Seher werden verspottet oder für geistig anormal gehalten. Die seltenen Seelen aber, die nicht in Schlaf gehüllt werden können und dunkles Verlangen nach geistigem Leben, Wissen und Vorschreiten fühlen, klingen im groben materiellen Chorus, trostlos und klagend. Die geistige Nacht sinkt allmählich tiefer und tiefer. Grauer und grauer wird es um solche erschrockene Seelen, und ihre Träger, von Zweifeln und Angst gepeinigt und entkräftet, ziehen oft diesem allmählichen Verdunkeln um sie den plötzlichen, gewaltsamen Sturz ins Schwarze vor.