Kann man sagen, muss man aber nicht - Andreas Neuenkirchen - E-Book

Kann man sagen, muss man aber nicht E-Book

Andreas Neuenkirchen

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Beschreibung

Regen Sie sich über manche Wörter immer wieder auf? Fragen Sie sich, warum "mega" plötzlich ein eigenständiges Adjektiv ist? Warum Kinder heutzutage "Kids" sind und man ständig auf sein "Bauchgefühl" hören soll? Dieses Wörterbuch sammelt Sprachverwahrlosungen der Gegenwart und liefert Argumente, warum man sie zwar sagen kann, aber vielleicht doch besser vermeidet: weil sie zu oft oder nicht richtig verwendet werden, weil sie verharmlosen oder unnötig dramatisieren, weil sie zu viel oder zu wenig bedeuten, weil sie hoffnungslos abgenutzt sind und trotzdem nicht ableben wollen.

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Inhalt

Eine Kritik an der Kritik der Sprachkritik

A

B

C

D

E

F

G

H

I

K

L

M

N

O

P

R

S

T

U

V

W

Z

Anmerkungen

Eine Kritik an der Kritik der Sprachkritik

Wir alle wissen: Worte können Waffen sein. Manchmal jedoch sind Worte nur ein Fingerzeig. Und oft genug sind sie die Finger, die nicht nur, wie es im Floskeldeutsch heißt, in die Wunde gelegt werden, sondern ganz penetrant hineingebohrt. Wenn der »Sinn« nur noch »gemacht« wird, wenn alles »zeitgleich« und nichts mehr »gleichzeitig« geschieht, wenn Bankangestellte Mundwerke haben wie Gangsterrapper.

Im deutschsprachigen Raum wurde sprachlicher Schönheit schon mal größeres Augenmerk zuteil als heute, und das ist gar nicht so schrecklich lange her. Anfang des 21. Jahrhunderts, nach Jahren der Verwahrlosung durch die sogenannte Spaßgesellschaft der 1990er-Jahre, galt es plötzlich als schick, sich anständig auszudrücken. Überall schauten und hauten süffisante Sprachkolumnisten dem Volk aufs Maul, und das Volk rief: »Mehr! Mehr!« Es gab kaum eine Zeitung oder Zeitschrift, die sich nicht einen schadenfrohen Besserwisser leistete, der Fehlleistungen in Dativbildung, Apostrophsetzung oder gutdeutscher Sprachreinheit genüsslich anprangerte. »Sprachpolizist« war keine Beleidigung, sondern eine Auszeichnung. Eine Art Kosename gar. Sprachpolizisten und Sprachpolitessen suchten und fanden einander, gingen fortan Hand in Hand durchs Leben, glücklich in der Gewissheit, viel besser Deutsch zu können als der gemeine Pöbel. Man schlenderte durch die Fußgängerzonen der Provinz, knipste Fotos von Schildern mit sogenannten Deppenapostrophen, klebte sie daheim ins Deppenapostrophenfotoalbum, lachte sich schlapp und fühlte sich herrlich überlegen.

Dabei übersah die Polizei, dass das Leben kein Schuldiktat ist und Sprache mehr als bloße Bürokratie, in der es nur Nullen und Einsen, richtig oder falsch gibt. So kam es bald, wie es kommen musste, und es kam die Gegenbewegung. Die neue Strenge in der Sprachkritik wich einem neueren Laisser-faire (auf gut Deutsch gesagt). Sprachpolizisten wurden zu Sprachnazis degradiert, und Nazis sind nicht gut, so viel weiß man. Der aktuelle Trend in der Sprachkritik ist eine Kritik an der Sprachkritik. Denn Sprache sei halt etwas Lebendiges, so wird argumentiert. Etwas, das wächst, gedeiht und sich verändert. Dieser Umstand sei nicht schlimm, sondern evolutionäre Normalität. Sogar das ROFL-OMG-WTF-YOLO-Gebrabbel der modernen Mobilkommunikation sei eine wunderbare neue Kulturtechnik, die studiert und zelebriert statt kritisiert gehöre. Junge Schnösel und alte Grantler hätten bereits vor Jahrhunderten den vermeintlichen Sprachverfall beklagt, und doch sprechen wir alle noch, irgendwie. Nicht mehr wie vor Jahrhunderten, zugegebenermaßen, aber das könne ja auch keiner wollen.

Nein, das möchte wohl tatsächlich niemand (oder höchstens eine sehr begrenzte Anzahl Exzentriker und Exzentrikerinnen im statistisch nicht relevanten Bereich). Dennoch: Sprachkritik tut not, heute wie gestern. Eben weil Sprache etwas Lebendiges ist. Lebendiges kann leiden, wer würde das bestreiten wollen? Sprachkritiker haben nicht die Aufgabe, Entwicklungen zu hemmen, sondern sie zu lenken. Sie müssen ihre Finger nicht notwendigerweise in Wunden legen (schon gar nicht, wenn sie Berührungsängste gegenüber allzu abgegriffenen Redewendungen haben), sondern lediglich aufzeigen, wo es wehtut. Die Schmerzlinderung kommt in den meisten Fällen aus der Sprache selbst, man muss dort nur ein wenig suchen. Sprachkritikern vorzuwerfen, sie wollten die Weiterentwicklung der Sprache verhindern, ist so, als würde man Literaturkritikerinnen vorwerfen, sie versuchten die Weiterentwicklung der Literatur zu verhindern, nur weil ihnen hin und wieder ein Buch nicht gefällt. Oder werfen wir einen Blick in den Garten: Will man dem Gärtner einen Vorwurf machen, weil er das Unkraut jätet, damit die Blumen prächtiger blühen? Auch Botanikkritik ist notwendig, möchte man das Schöne wahren.

Dieses Buch möchte keineswegs alles verdammen, was nicht schon in Opas kleiner Deutschfibel stand, und nicht gleich jedes Wort mit ▶ Migrationshintergrund als undeutsch denunzieren. Dennoch wollen wir einen kritischen Blick werfen auf einige oft unachtsam nachgeplapperte und viel zu schnell verinnerlichte Wortungetüme. Um deren Herr zu werden, muss man erst mal feststellen, in welchen Habitaten sie überhaupt am verlässlichsten anzutreffen sind. Hierfür wagt sich das Buch in sieben Hauptbereiche:

Die Sprache der Angeber und Aufschneiderinnen

Welche Codes und Chiffren werden denn in Ihrer Blase getriggert? Mit diesen Wörtern meint sich jeder Einfaltspinsel zum großen Geist hochtönen zu können.

Alltag und Small Talk

Im Endeffekt wird im Small Talk letztlich ein Stück weit wenig spannend dahergeredet, und wenn dann zum Bleistift noch Unlustige lustig sein wollen, funzt latürnich gar nichts mehr.

Jugendsprache und Popjargon

Kranker Scheiß und geile Zeiten bis man fett zu alt ist, sich derart auszudrücken. Spoiler-Warnung: Die Sprache der Jugend kann betören und verstören, sollte aber in jedem Fall ein Privileg der Jugend bleiben.

Anglizismen

Welches Feeling hatten Sie nach dem Voten? Dazu hätten wir gerne Ihr Feedback. Vielleicht können wir uns nach dem Lunchen meeten.

Presse und Werbung

Transparent, nachhaltig und ganzheitlich wollen uns Influencer mit dynamischen und authentischen Themen abholen. Darauf gibt es Gänsehaut-Garantie, leider.

Politik und Stammtisch

Ist eine Krise noch das, was man manchmal im Stadtverkehr oder an der Supermarktkasse »kriegt«, oder ist sie schon Krieg? Ist Schaden nur halb so schade, wenn er Kollateralschaden ist? Ist es wirklich so schlecht, ein Gutmensch zu sein? Und ist »neoliberal« das neue »Nazi!«?

Die Sprache der Arbeitswelt

Welche Hausnummer müssen wir auf dem Schirm haben, bevor wir uns dazu committen, jeden sprachlichen Anstand fahren zu lassen? Kann das nicht irgendein Entscheider mal zeitnah challengen?

Jeder Eintrag in diesem Buch ist mit mindestens einem Symbol markiert, das seine Kategorie oder Kategorien verrät. Da deren Schnittmengen groß sind, finden sich bei den meisten Stichwörtern mehrere Symbole. Die Arbeitssprache schwappt in den Alltag, der Einzug des Englischen ist ein milieuübergreifendes Phänomen, und am Jugendjargon klammert man sich heute bis ins hohe Alter und durch alle Schichten fest.

Aber hat nicht jede und jeder das Recht, so zu sprechen, wie ihr oder ihm der Schnabel gewachsen ist? Selbstverständlich. Zum Recht auf freie Rede gehört allerdings ebenso das Recht, auf unschöne Rede hinzuweisen. Dieses Buch ist kein Regelwerk, sondern eine Sammlung unverbindlicher Vorschläge. Man kann sie sich gänzlich oder vereinzelt zu Herzen nehmen. Muss man aber nicht.

abartig Wer Menschen als abartig bezeichnet, weil sie aufgrund ihrer Angewohnheiten oder Angeborenheiten nicht den eigenen Vorstellungen vom properen Auftreten der Spezies entsprechen, der demonstriert damit verlässlich seine Menschenverachtung. Wer dagegen äußert, dass es heute mal wieder abartig heiß war, der beschwert sich lediglich salopp übers Wetter. Das eine ist sicherlich harmloser als das andere. Vielleicht könnte man dennoch — im einen wie im anderen Fall — auf ein Adjektiv, das im vermeintlichen Abweichen von einer vermeintlichen Norm nur etwas Unpässliches und Unschickliches sieht, einfach mal verzichten. Das wäre abartig schön.

abholen »Wir müssen die Kunden dort abholen, wo sie sind.« Hört man solche Phrasen aus der Marketingabteilung, dann ist das beste Gegenmittel, unmittelbar danach ein bisschen dem Satiriker Wiglaf Droste bei einer seiner archivierten Lesungen zuzuhören: »Ist es wieder so weit? Werden wieder Menschen abgeholt? An der Haustür? Ins Café? Zum Frühstück? Mitten in Deutschland? Vor unser aller Augen? Dazu dürfen wir nicht schweigen!«1 Zugegeben, vielleicht sah er das ein wenig zu eng. Zum Frühstück darf man gute Freundinnen und Freunde an der Haustür schon mal abholen. Ein fehlgeliefertes Paket sollte man unbedingt beim Postamt abholen. Sperrmüll kann man ohne Gewissensbisse abholen lassen. Aber Kunden, Mitarbeiterinnen, Geschäftspartner ungefragt abzuholen, das gehört sich rein sprachlich nicht. Abholen ist etwas für Kinder und Dinge, die dann in der Regel nach Hause gebracht werden. Und genau das will das Abholen der Marketingsprache bewirken: dass wir uns bereit erklären, unseren persönlichen Raum mit weiterem Tand zuzustellen.

Action-Item Hört man das Wort Action, dann horcht man auf, denn es verspricht zünftige Unterhaltung. Bezeichnet die deutsch geschriebene Aktion lediglich eine »Handlung« (kommt sie doch vom lateinischen actio, was ebendieses bedeutet), so ist die englische Schreibweise im deutschen Kontext einer ausdrücklich »spannenden Handlung« oder »turbulenten Szenen« vorbehalten. Trotzdem sind Action-Items nichts weiter als Aufgaben, die dringend erledigt werden müssen. Dass das bislang nicht geschehen ist, liegt offenbar daran, dass sie weder spannend sind noch Turbulenzen versprechen. Anders als die abstrakte, expressionistische Kunstform des Action-Paintings, bei der es tatsächlich recht turbulent zugehen kann, haben die Action-Items zum Glück bislang nicht den Weg in den Duden gefunden. Das steht hoffentlich auch nicht als Action-Item auf der ▶ Agenda.

Agenda Am schleichenden Bedeutungswandel des Substantivs Agenda lässt sich schön (oder eben besonders unschön) beobachten, wie leicht die Deutschen ihre Sprache mit der englischen verwechseln. Das Wort, das ursprünglich aus dem Lateinischen kommt und für »Dinge, die zu tun sind« steht (von agere, »agieren«), gibt es in beiden Sprachen und hat in beiden dieselbe Bedeutung: Es handelt sich um eine Liste von Gesprächs- und Verhandlungspunkten. Im Englischen hat sich allerdings eine weitere, umgangssprachliche Definition etabliert, nämlich die einer heimlichen Absicht, die sich hinter Worten, Taten und Werken verbergen kann. Sagt man: »Eastwoods neuer Film kommt mit einer konservativen Agenda«, dann meint man damit keineswegs, dass vor dem Vorspann ein altbackenes Inhaltsverzeichnis steht, sondern dass der Künstler uns zwischen den Zeilen und Bildern etwas vermitteln bzw. unterjubeln möchte. Diesen Umstand allerdings kann man durchaus auch ausdrücken, ohne das unschuldige Wort Agenda mit hineinzuziehen und dabei seine Bedeutung zu verwässern.

Alter Seit Anbeginn der Zeit, so scheint es, bezeichnen sich junge Männer gegenseitig aus Jux als Alter: »Ey, Alter, alles klar?!« Der Jux ist inzwischen leider viel älter als die, die ihn skrupellos am Leben erhalten. Ob ein Verzicht durchzusetzen ist, darf bezweifelt werden. Wie heißt es im Sprichwort? »Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen.«

alternative Gemeint ist hier nicht das schöne Substantiv Alternative, also laut Duden eine »freie, aber unabdingbare Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten«, sondern das englische Adjektiv alternative, das seit geraumer Zeit auch im Deutschen jedem alten Hut bunte Federn aufzusetzen versucht, gerne mal abgekürzt zu alt (die entlarvende deutsche Lesart haben die englischsprachigen Erfinder freilich nicht mitgedacht). Wer Alternative Music hört, hält sich für etwas Besseres als die, die nach eigener Aussage »eigentlich querbeet alles, was gerade so in den Charts ist« mögen. Wer der Alt-Right-Bewegung angehört, legt Wert darauf, kein dumpfer alter ▶ Nazi zu sein, sondern zu einer verwegenen neuen Art von konservativen Querdenkern zu gehören. Dabei ist Alternative Music auch bloß Musik, meistens veröffentlicht von Subunternehmen der Großunternehmen, die querbeet alles veröffentlichen, was gerade so in den Charts ist. Und der Alt-Rechte steht auch nur für alte Ideen in erschreckend jungen Köpfen. Glücklicherweise sind diese Konzepte keineswegs ▶ alternativlos.

alternativlos Ja, es stimmt: Manche Wörter darf man denken, obwohl man sie nicht sagen sollte. Das Politikerinnen und Politiker von Thatcher bis Merkel ihre Politik für alternativlos halten, ist kein Skandal, auch wenn das Adjektiv 2010 zum Unwort des Jahres gewählt wurde. Sie sollen ruhig überzeugt sein von dem, was sie tun und sagen. Andernfalls könnten sie kaum andere von dessen Richtigkeit überzeugen. Die zackige Vokabel sollte allerdings ein stummes Motto zur Selbstmotivation bleiben. Daraus ein offen ausgesprochenes Argument zu machen, womöglich noch das einzige, das man hat, ist eine geistige, moralische und philosophische Bankrotterklärung. Es heißt: »Wir machen es so, weil uns nichts Besseres einfällt.« Es ist zugleich der klägliche Versuch, allen anderen ebenfalls das Weiterdenken zu untersagen. In Demokratien kommt man so nicht weiter. Wer sich mit der Alternativlosigkeit seiner Vorhaben brüstet, der provoziert, dass anderswo vermeintliche Alternativen für das Land nur so aus dem Heimatboden schießen. Nicht alle müssen gut sein, und nicht alles, was sich als Alternative verkauft, ist tatsächlich eine. Denn eine Alternative (vom lateinischen alternus, »abwechselnd«) ist eine Auswahlmöglichkeit. Oder, wie der Duden ebenfalls nicht vergisst: »Eine weibliche Person, die der Alternativbewegung angehört.« Alternative heißt jedoch nicht: »Wir machen jetzt mal denselben Unsinn wie vor 100 Jahren.«

andenken Legt man ein Buch nach wenigen Seiten beiseite, dann hat man es angelesen. Denkt man einen Gedanken nicht zu Ende, dann hat man ihn … angedacht? Ja, kann man sagen. Muss man aber nicht. Vor allem stellt sich die Frage: Warum hat man ihn nicht zu Ende gedacht? War einfach die Zeit zu knapp? Oder hat sich der Gedanke schon in dieser frühen Phase disqualifiziert, sodass sich ein Weiterdenken nicht lohnte? Das bleibt ebenso offen wie der Gedanke selbst. Das Substantiv Andenken ist dagegen von anderem Kaliber. Es kann die Erinnerung an Verstorbene bezeichnen oder ein Mitbringsel aus dem Urlaub (fremdsprachlich: Souvenir). Es hat mitnichten etwas mit unvollständigem Denken zu tun, sondern vielmehr mit dem Nicht-Vergessen. Das passt auch besser zu einer weiteren Bedeutung des Verbs, nämlich dem gedanklichen Anstemmen gegen etwas: »Ich denke dagegen an, die Bedeutung des Verbs andenken zu minimieren.« Da denk mal einer an.

Angebotsoptimierung Ein kleiner Wirtschafts-Geheimtipp für alle ▶ Entscheider und die, die es werden wollen: »Weniger« ist in den allerseltensten Fällen »mehr« und wird – allen scheinklugen Sinnsprüchen zum Trotz – von den meisten auch nicht so wahrgenommen. Ein Ladenhüter wird nicht attraktiver, wenn man ihn gleichzeitig schlechter und teurer macht. Leider ist genau das allzu oft gemeint, wenn ein Anbieter von Angebotsoptimierung spricht: Die Bahn fährt nicht mehr, wo sie einmal fuhr; die Zeitung kommt ohne Kulturteil; von der Speisekarte wurde das Leibgericht gestrichen. Optimal ist das für keinen. Nicht mal für den Optimierer, denn so optimiert er sich schnell die Klientel weg. Die Angebotsoptimierung ist ein Pfosten jener unheiligen euphemistischen Dreifaltigkeit der Betriebswirtschaft, die vom Besinnen auf die ▶ Kernkompetenzen und vom ▶ Gesundschrumpfen vervollständigt wird.

anpingen Im EDV-Jargon spricht man von anpingen, wenn ein Computer einem anderen Computer ein Signal sendet, das dessen Erreichbarkeit im Netzwerk überprüft. In der Arbeitswelt ist anpingen ein absurdes Synonym für »kontaktieren« und klingt eher nach Babysprache als nach Geschäftssprache. Merke: Geschäftsmündige Menschen pingen nicht an. Sie rufen an, sie schreiben, sie kontaktieren. Fragt das nächste Mal jemand: »Darf ich Sie mal anpingen?« Dann lautet die einzige richtige Antwort: »Solange ich kein Computer bin und Sie kein Computer sind, lassen Sie das mal lieber bleiben.«

asozial Zur korrekten Verwendung des Adjektivs asozial gibt es eine ganz einfache Faustregel: Wer andere als asozial bezeichnet, ist es selbst. Eigentlich beschreibt das Wort, geformt aus dem griechischen a- (»un-«) und dem lateinischen socialis (»gesellschaftlich«), Menschen, die nicht fähig sind, sich in die Gesellschaft einzugliedern, oder diese sogar durch ihr Verhalten schädigen. Selbstverständlich gibt es solche Gesellen, und warum sollte man auf deren schadhaftes Handeln nicht hinweisen? Leider hat aber der Stammtisch längst den Begriff beschlagnahmt und auf alle gemünzt, die in der gesellschaftlichen Hackordnung unter den Stammtischbrüdern und -schwestern stehen, ob selbst verschuldet oder nicht, ob nützlich oder schädlich, ob gut oder böse. Da darf es nicht wundern, dass asozial über die gesellschaftspolitische Konnotation hinaus auch gerne als Schimpfwort für alles benutzt wird, was einem nicht ganz geheuer ist: »Eine ziemlich asoziale Kneipe ist das hier.« Wenn es sich um jene handelt, in der der besagte Stammtisch steht, passt es wieder.

ätzend Im Labor brodeln Laborantinnen und Laboranten vor Wut, denn ihnen laufen die Adjektive davon und machen draußen einfach, was sie wollen. ▶ Toxisch ist neulich erst ausgebüxt; vorgemacht hat es schon vor vielen Jahren ätzend. Beim dazugehörigen Verb ätzen ist noch alles in Ordnung: Es meint in erster Linie das zerstörende, zerfressende, auflösende Wirken von Säuren und Laugen und lediglich in salopper Nebenbedeutung besonders bösartiges Höhnen. Dass der Begriff mit viel Fantasie ein kleines bisschen wie essen klingt, kommt dabei nicht von ungefähr: Er stammt ab vom althochdeutschen ezzen, was unter anderem für »füttern« und »essen machen« stand. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Essen damals echt ätzend war. Den Zusammenhang verdanken wir eher dem Fressverhalten der Säure, wenn sie auf feste Stoffe trifft. Anders als das Verb konnte das Adjektiv den Kampf gegen die Umgangssprache nicht für sich entscheiden: Man hört es heute fast ausschließlich als Synonym für »abscheulich« oder »furchtbar«: »Ätzend, wie die Leute daherreden.« Sagt dann die Laborantin: »Diese Säure ist total ätzend«, dann lässt sich schwer feststellen, ob die chemische Verbindung in ihrem Reagenzglas besonders gut oder besonders schlecht gelungen ist.

aufschlauen Würden Sie sich für einen Studiengang einschreiben, der folgendermaßen um Ihre Aufmerksamkeit wirbt? »Der Kurs besteht aus vier fluffigen Lerneinheiten, in denen du dich zu Methoden wie in vitro und in vivo und zur Kombi mehrerer Testsysteme aufschlaust.« Trotzdem geht die deutsche Website Oncampus, laut Selbstbeschreibung »Megaprovider im E-Learning« (immerhin eines der drei Wörter ist deutsch), genau so auf Studentenwie Studentinnenfang. Menschen, die Deutsch als Fremdsprache lernen, freuen sich oft darüber, dass man sich im Deutschen offenbar ganz einfach schlaumachen kann. Das junge aufschlauen ist die weniger schlaue Variante davon. Noch hat sie es nicht in den Duden geschafft. Und das muss sie auch nicht, wenn wir alle versprechen, uns bei jeder sich bietenden Gelegenheit schlauzumachen, und weder uns noch andere jemals aufzuschlauen.

Augenhöhe »Verhandlungen auf Augenhöhe« wünscht und verspricht man sich nicht selten in der Geschäftswelt und meint damit ein demokratisches, gleichberechtigtes Miteinander. Meistens ist diese Augenhöhe aber nur ein frommer Wunsch desjenigen, der hochguckt, oder ein reines Lippenbekenntnis desjenigen, der nach unten schaut. Um den Rest des Gesichts nicht zu vernachlässigen: Beim inflationären Gebrauch der Floskel »auf Augenhöhe« kann man eigentlich nur die Stirn runzeln, die Nase rümpfen und sich die Ohren zuhalten.

Augenmaß Wer beteuert, »Politik mit Augenmaß« zu betreiben, der meint damit, dass er besonnen und umsichtig handelt. Womöglich auf ▶ Augenhöhe mit den einfachen Menschen auf der Straße. Dabei dürfen wir von Politikerinnen dasselbe erwarten wie von Handwerkern: Bitte nicht einfach nur nach Augenmaß arbeiten; wir hätten es gern etwas präziser. Sonst könnten wir es auch selbst machen und müssten nicht extra eine Fachkraft ranlassen.

-Aus Liest man sich durch die Klatsch- und Lokalpresse, könnte man meinen, in Deutschland sei alles aus. »Liebes-Aus bei Sophia Thomalla!« »Ehe-Aus bei Adel Tawil!« »Trash-Fluch schlägt zu – Beziehungs-Aus für Sam Dylan!« Und nicht zu vergessen: »Pokal-Aus für Trillfingen!« Gut, im Fußball hat das Aus eine gewisse Bewandtnis, obwohl es auch dort nicht immer das unwiderrufliche Ende einer Partie oder gar eines Turniers markiert, sondern einfach den Bereich jenseits der Tor- und Seitenauslinien bedeuten kann. Für das Benennen des dramatischen Abschlusses entscheidender Lebens- und Geschichtsabschnitte (und wenn es sich nur um die Geschichte des lokalen Sportvereins handelt) sollte man sich nicht lumpen lassen und etwas angemessenere Formulierungen finden als ein unscheinbares Suffix.

auschecken »Check it out!«, rufen die Anglofonen, wenn sie jemanden auffordern wollen, sich etwas genauer zu Gemüte zu führen. Das finden viele vermeintlich Deutschsprachige so überzeugend, dass sie ebenfalls Dinge sagen wie: »Ich muss das mal auschecken!« Benennen sie damit die Absicht, ein Gepäckstück aus der Gepäckverwahrung im Hotel auszulösen, dann liegen sie richtig. Meinen sie damit allerdings »überprüfen« oder »untersuchen«, dann sollten sie lieber diese Wörter benutzen. Denn auschecken bezeichnet im Deutschen einzig und allein die Aufhebung des Eingecheckt-Seins. Wobei man über Sinn und Unsinn des ▶ Checkens im Deutschen ganz im Allgemeinen noch das eine oder andere weitere Wort verlieren könnte.

authentisch Wenn etwas authentisch (nach dem altgriechischen authentikós) ist, dann entspricht es laut Definition den Tatsachen, ist also wahr. Eine nüchterne Feststellung, eine geringe Anforderung an Menschen und Inhalte, sollte man meinen. Und doch wird dieses Adjektiv dieser Tage derart mit Emotionen aufgeladen und aufgebläht, dass es jederzeit platzen und uns alle mit ungenießbarem Bedeutungsbrei bekleckern könnte. Das Online-Magazin »Karrierebibel« versucht Authentizität mit komplexen Diagrammen zu erklären2: Es handelt sich wohl um die Schnittmenge aus Reden, Handeln, Denken, Fühlen, Schein und Sein. Kann ein Mensch überhaupt authentisch bleiben, wenn er ständig ausrechnen muss, wie authentisch er gerade ist? Schwierig auch, dass jeder auf andere Art authentisch sein muss. Der Rockstar ist es, wenn er mit breiten Beinen und schwungvollen Bewegungen Fernsehgeräte durch geschlossene Hotelzimmerfenster befördert. Die Politikerin dann eher nicht. Sie muss, um ihre Authentizität zu unterstreichen, auch nicht unbedingt schon einmal im Knast gewesen sein (außer zu wohltätigen Zwecken). Für den Gangsta-Rapper hingegen empfiehlt sich das eine oder andere Jahr hinter Gittern im Lebenslauf. So jedenfalls die Vorstellung. Doch man muss sich keine Sorgen machen: In Wirklichkeit ist authentisch lediglich das Schlagwort, das man bemüht, wenn einem sonst keines einfällt. Authentisch ist das kleine Geschwisterchen von ▶ Respekt: ein Lob für alles, an dem es sonst nichts Lobenswertes gibt. Authentisch ist ein Hilferuf scheiternder Rhetoriker. Schlimm wird es erst, wenn man es selbst im Mund führt.