Karena weint um ihren Vater - Marisa Frank - E-Book

Karena weint um ihren Vater E-Book

Marisa Frank

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Beschreibung

Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Karena stürmte ins Zimmer. »Vati, Vati, warum kommst du nicht?« Sie blieb an der offenen Zimmertür stehen. Schmollend schob sie ihre Unterlippe vor. Ihr Vater telefonierte schon wieder. Sie wußte nur zu gut, was das bedeutete. Und da machte er ihr auch schon ein ungeduldiges Zeichen. Nein! Karena dachte gar nicht daran zu gehorchen. Sie schob sich ins Zimmer und schloß die Tür bewußt laut. Arno Jonas sah noch einmal hoch. Seine Hand legte sich über die Muschel. »Karena, was ist? Du siehst doch, daß ich telefoniere.« »Ja, aber ich bin fertig. Wir wollten doch einen Ausflug machen.« Die fünfjährige Karena trat näher. Nur mühsam unterdrückte Arno Jonas einen Seufzer. Er wußte, Karena konnte sehr lästig sein, aber sie hatte recht. Diesen Ausflug hatte er ihr schon lange versprochen.

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Sophienlust – 281–

Karena weint um ihren Vater

Du Mut bald wieder gesund werden!

Marisa Frank

Karena stürmte ins Zimmer. »Vati, Vati, warum kommst du nicht?« Sie blieb an der offenen Zimmertür stehen. Schmollend schob sie ihre Unterlippe vor. Ihr Vater telefonierte schon wieder. Sie wußte nur zu gut, was das bedeutete. Und da machte er ihr auch schon ein ungeduldiges Zeichen.

Nein! Karena dachte gar nicht daran zu gehorchen. Sie schob sich ins Zimmer und schloß die Tür bewußt laut.

Arno Jonas sah noch einmal hoch. Seine Hand legte sich über die Muschel. »Karena, was ist? Du siehst doch, daß ich telefoniere.«

»Ja, aber ich bin fertig. Wir wollten doch einen Ausflug machen.« Die fünfjährige Karena trat näher.

Nur mühsam unterdrückte Arno Jonas einen Seufzer. Er wußte, Karena konnte sehr lästig sein, aber sie hatte recht. Diesen Ausflug hatte er ihr schon lange versprochen.

»Gleich, Schatz.« Arno nickte Karena zu, dann hielt er den Hörer wieder ans Ohr. Rufen Sie mich am Abend noch einmal an. Wir können uns dann nochmals darüber unterhalten.«

Arno hörte die unwillige Stimme seines Managers, aber er sah auch Karenas große, bittende Augen. »Es tut mir leid, ich fahre jetzt weg«, sagte er rasch und legte danach auf.

Mit einem kleinen Begeisterungsschrei lief Karena auf ihn zu und hängte sich an seinen Hals. »Das hast du toll gemacht, Vati. Jetzt können wir gehen.« Sie küßte ihn schmatzend auf die Wange.

»Ja, das können wir.« Arno stellte seine Tochter auf den Boden zurück und fuhr ihr über die braune Kurzhaarfrisur. Er lächelte. Sie war schon ein lebhaftes Kind, seine Kleine. Lächelnd gab er ihr einen zärtlichen Klaps.

»Vergiß deine Jacke nicht. Am Abend wird es bereits kühl.«

Gehorsam nickte Karena und lief zum Schrank. Dabei sah sie nicht, daß das Lächeln plötzlich aus dem Gesicht ihres Vaters verschwand. Arno drückte eine Hand gegen seinen Leib. Da waren sie wieder, diese stechenden Schmerzen. Stöhnend ließ er sich auf das Bett sinken.

Karena fuhr herum. »Vati!« Sie betrachtete ihn entsetzt.

Arno richtete sich wieder auf. »Es geht schon wieder«, sagte er und versuchte ein Lächeln. »Ich glaube, ich habe Bauchweh.«

Auf Karenas Stirn erschien eine tiefe Falte. Skeptisch musterte sie ihren Vater. Mit hochgezogenen Augenbrauen hob sie dann den Zeigefinger. »Keine Ausrede! Versprochen ist versprochen. Wir haben den Ausflug jetzt schon zweimal verschoben.«

»Ich weiß, mein Schatz.« Die Schmerzen ließen nach, und Arno gelang ein kleines Lächeln. »Du bist aber doch mein großes, vernünftiges Mädchen und weißt, daß es wirklich nicht anders ging.«

Karena zuckte die Achseln. »Die dumme Malerei.«

»Komm her zu mir.« Das Lächeln auf Arnos Gesicht vertiefte sich. Er streckte die Hände nach seiner Tochter aus. Als sie herangekommen war, zog er sie auf seinen Schoß.«

»Es ist doch wahr«, beharrte Karena, dabei schmiegte sie sich an den geliebten Vater. »Nie hast du für mich Zeit, und daran sind die dummen Bilder schuld. Immer wieder mußt du ein neues Bild malen.«

»Das muß sein.« Arno hielt seine Tochter etwas von sich. »Wenn ich keine Bilder verkaufe, dann haben wir auch kein Geld zum Leben.«

Altklug nickte die Kleine. »Das schon, Geld brauchen wir. Aber wenn wir zu Hause sind und wenn du malst, dann darf ich dich nicht stören. Und hier sind immer so viele fremde Menschen, die mit dir sprechen möchten.«

»Du hast es wohl sehr schwer mit mir?« Der Blick, mit dem Arno seine Tochter umfaßte, enthielt all seine Zärtlichkeit. Er liebte sein Kind über alles.

»Na ja, du bist der liebste Papa der Welt, aber hier in Stuttgart hast du wirklich noch nicht viel Zeit für mich gehabt.«

»Du bist also nicht mit mir zufrieden?« fragte Arno. Sein Gesicht war ernst geworden.

»Doch.« Schnell drückte Karena ihrem Vater einen ziemlich feuchten Schmatz mitten auf den Mund. »Nur wäre es schön, wenn am Abend jemand länger an meinem Bett sitzen würde oder wenn in der Früh jemand da wäre, wenn ich aufstehe. Ich denke da an meine Mutti.« Karenas Stimme war leiser geworden.

Arno Jonas hatte das Gefühl, mit eiskaltem Wasser übergossen worden zu sein. Sekundenlang saß er stocksteif da. Er ahnte schon lange, daß Karena sich nach einer Mutter sehnte. Er hatte sich zwar bemüht, aber es schien ihm doch nicht gelungen zu sein, die Mutter zu ersetzen. Karena hatte recht. Es fehlte ihm an Zeit. Spöttisch zuckte es um seine Mundwinkel. Endlich war der Erfolg auch zu ihm gekommen. Wie lange hatte er darauf warten müssen?

»Vati, was hast du denn?« Du

siehst plötzlich so komisch aus. Tut dir dein Bauch wirklich weh?« Zärtlich strich Karena ihrem Vater über die Wange. Sie tat das so lange, bis dieser wieder lächelte.

»Es ist schon alles in Ordnung, mein Schatz. Aber wenn wie uns nicht beeilen, dann findet unser Ausflug wieder nicht statt.« Arno stand auf.

»Das darf nicht sein.« Karena lief zum Schrank, nahm ihre Jacke heraus und ergriff die Hand ihres Vaters. »Wir wollen ganz schnell machen, sonst bekommst du am Ende noch Besuch, oder das Telefon klingelt wieder.« Sie zerrte ihren Vater zur Tür. Im Moment war für sie nur der Ausflug wichtig. Alles andere war vergessen.

Zu ihrem Leidwesen mußte Karena im Wagen ihres Vaters auf dem Kindersitz Platz nehmen. »Vorhin hast du gesagt, daß ich ein großes, vernünftiges Mädchen bin. Warum kann ich dann nicht vorn bei dir sitzen?«

»Weil es verboten ist. Kinder gehören auf den Rücksitz«, sagte Arno und schloß die hintere Tür des Wagens.

»Ich würde auch ganz ruhig sitzen«, schmeichelte Karena. »Soll ich nicht doch nach vorn zu dir kommen? Wir könnten uns dann besser unterhalten.«

»Das können wir auch so. Über dieses Thema sprechen wir erst in ein paar Jahren wieder.«

»Wenn ich in die Schule komme?« fragte Karena hoffnungsvoll.

»Das ist noch immer zu früh. Du kommst schon nächstes Jahr in die Schule.« Arno fuhr los.

»Ich weiß«, sagte Karena und setzte sich dicht hinter ihren Vater. »Ich weiß nur nicht, ob ich mich darauf freuen soll.«

»Natürlich mußt du das.« Arno schlug einen Schulmeisterton an. »Du willst doch nicht dumm bleiben. Du willst doch schreiben und lesen lernen.«

»Und auch rechnen«, fiel Karena prompt ein.

»Und auch rechnen«, bestätigte der Vater und dachte daran, daß dann alles noch komplizierter werden würde. Jetzt konnte er mit Karena so oft und so lange wie er wollte verreisen. Durch seine Ausstellungen war er gezwungen, viel zu reisen. Was aber würde sein, wenn Karena in die Schule ging? Er konnte sie nicht allein zu Hause lassen. Noch hatte er für dieses Problem keine Lösung gefunden, und er schob es auch immer wieder von sich.

Karena plapperte hinter ihm. Arno versuchte zuzuhören, aber da waren wieder diese Schmerzen. Er biß die Zähne zusammen. Schweißperlen traten auf seine Stirn. Er bezweifelte, daß es sich um eine gewöhnliche Magenverstimmung handelte und versuchte, ruhig durchzuatmen, doch diesmal löste sich der Druck nicht. Er mußte die rechte Hand vom Lenkrad nehmen und gegen seine Seite drücken. Gekrümmt saß er nun hinter dem Steuer.

Schließlich fiel Karena auf, daß der Vater ihr keine Antwort mehr gab. »Du hörst mir ja gar nicht zu«, maulte sie. »Vielleicht bist du lieber bei deinen Bildern?«

»Aber Kleines«, sagte Arno mühsam. Zum Glück lag die Stuttgarter Innenstadt bereits hinter ihnen.

»Es ist doch wahr! Du und ich, wir beide wollen uns einen schönen Tag machen, und nun sagst du gar nichts.«

Ohne in den Rückspiegel gesehen zu haben, wußte Arno, daß Karena ihre beleidigte Miene aufgesetzt hatte. Sie war sehr selbständig, aber auch sehr altklug für ihr Alter. Das kam daher, daß sie kaum gleichaltrige Kinder kannte. Er war im Grunde ihre einzige Kontaktperson.

»Wir werden uns auch einen schönen Tag machen«, sagte Arno. Diese Schmerzen! Wenn nur diese Schmerzen nicht gewesen wären! Er hatte das Gefühl, ein Messer stocherte in seinen Eingeweiden herum.

»Karena, ich… ich muß anhalten«, stieß er hervor. Die rechte Hand gegen die stechende Seite gepreßt, lenkte er das Auto mit der linken an den Straßenrand.

»Mußt du mal, Vati?« erkundigte sich Karena. »Du kannst ruhig gehen. Ich bleibe inzwischen im Auto.«

Arno gab keine Antwort. Er wollte seiner Tochter nicht zeigen, wie schlecht es ihm ging. Die Lippen fest aufeinandergepreßt lehnte er sich im Sitz zurück.

»Vati, jetzt, da du angehalten hast, kann ich ja nach vorn kommen«, sagte Karena und schnallte sich los.

Da der erwartete Protest ihres Vaters ausblieb, sah sie ihm ins Gesicht. »Vati, hast du wieder Bauchweh?« rief sie erschrocken. »Du mußt wirklich Bauchweh haben. Die siehst ganz komisch aus. Und ich habe geglaubt, du schwindelst.«

»Was denkst du nur von mir?« versuchte Arno zu scherzen. »Ich freue mich doch auf unseren Ausflug.«

»Ich glaube dir, Vati«, versicherte Karena. Sie holte ihr nicht mehr ganz sauberes Taschentuch hervor und fuhr ihrem Vater damit über die Stirn.

»Was mache ich nur mit dir?« Sie legte ihre Stirn in ernsthafte Falten. »Ich muß dich ins Bett stecken, und dann mußt du bittere Medizin schlucken.«

»So ernst wird es schon nicht sein.« Arno hob die Hand und fuhr seinem Töchterchen über das Haar. »Ich ruhe mich nur ein bißchen aus, dann können wir sicher weiterfahren.«

»Muß ich mich auch ausruhen?« fragte Karena.

»Aussteigen kannst du hier nicht. Du mußt sitzenbleiben.«

»Aber mein Bauch tut doch nicht weh«, entgegnete Karena. Da sah sie, wie sich das Gesicht ihres Vaters wieder schmerzlich verzog. »Ich bleibe natürlich bei dir«, versicherte sie rasch. »Soll ich deine Hand halten?«

»Lieb von dir, aber es geht schon wieder.« Arno richtete sich auf. In diesem Moment hatte er wirklich das Gefühl, daß die Schmerzen nachließen.

»Du bist aber noch ganz weiß im Gesicht«, sagte Karena. Voller Mitleid kletterte sie vollends auf den Vordersitz und begann ihren Vater zu streicheln.

»Wo tut der Bauch dir weh?« erkundigte sie sich dabei. »Ich bin jetzt die Frau Doktor, und du mußt alle meine Fragen beantworten.«

Arno nickte. Sie war wirklich reizend, seine Tochter. Jetzt gelang ihm auch schon wieder ein Lächeln.

»So«, sagte Karena. Sie kniete sich auf den Nebensitz und begann: »Du hast also Bauchweh. Wo tut der Bauch dir weh?« Sie streckte ihre Hand aus und tippte mit dem Finger auf die rechte Seite, dann auf die linke.

»Ich weiß nicht«, sagte Arno und sagte damit die Wahrheit. Er konnte sich auch nicht den Grund seiner Schmerzen vorstellen. Noch nie hatte er mit seinem Magen zu tun gehabt. Er hatte sich in letzter Zeit nur des öfteren matt gefühlt.

»Soso«, Karena nickte und versuchte die Ärztin genau nachzuahmen. »Da hast du sicher etwas Verkehrtes gegessen. Vielleicht zuviel Süßigkeiten.« Sie wiegte den Kopf. »Ich sage es ja immer, Süßigkeiten sind nicht nur schlecht für den Magen, sondern auch für die Zähne. Putzt du dir auch jeden Tag die Zähne?«

Karena fragte das mit einer so ernsthaften Miene, daß Arno laut auflachte. Da fiel Karena ihm um den Hals. »Jetzt bist du wieder gesund. Du hast gelacht.«

»Ja, wir fahren weiter«, entschied Arno.

»Fein.« Karena kuschelte sich auf dem Vordersitz zurecht. Mit unschuldiger Miene sah sie geradeaus. Würde ihr Vati vergessen, daß sie hinten sitzen sollte? Es wäre zu schön, einmal wie die Großen vorn sitzen zu dürfen.

Arno ließ den Motor an. Bevor er die Handbremse löste, bemerkte er seine Tochter. »Ja, was ist denn los? Dann müssen wir wohl noch länger hier stehenbleiben.«

»Nein, nein!« So schnell sie konnte, turnte Karena auf den Rücksitz zurück. Von dort hörte Arno sie seufzend sagen: »Man kann es doch versuchen.« Die Gurte klickten.

Arno wußte, daß er hätte nach Stuttgart zurückfahren müssen. Irgend etwas war mit ihm nicht in Ordnung. Die Schmerzen konnten ihn erneut mit solcher Heftigkeit überfallen. Durch den Rückspiegel sah er auf Karena. Nein, er durfte sie nicht enttäuschen.

Arno fuhr zügig. Die leichte Übelkeit konnte er unterdrücken. Er hatte gerade die ersten Häuser des kleinen Ortes Wildmoos erreicht, als er erneut von heftigen Schmerzen befallen wurde. Die Zähne zusammenbeißen nützte nichts. Die Schmerzen wurden immer unerträglicher. Da sah er das Praxisschild des Ehepaares Dr. Frey. Er trat auf die Bremse, hielt dicht beim Gartenzaun. »Karena, du mußt hier auf mich warten. Da drinnen wohnt dein Arzt. Ich lasse mich von ihm schnell untersuchen.« Das Sprechen fiel ihm schwer.

Wie durch einen Nebel sah Arno das enttäuschte Gesicht seiner Tochter und hörte sie sagen: »Dann war ich doch kein guter Arzt.«

»Warte hier, bitte!« Arno hatte das Gefühl, seine ganze Kraft zu brauchen, um die wenigen Schritte bis zum Haus gehen zu können.

*

Karena lutschte an ihrem Daumen. Wie lange wollte ihr Vater sie noch allein lassen? Sicher saß sie nun schon Stunden hier. Laut begann sie zu zählen. Sie zählte bis zehn, dann stutzte sie. Nein, zehn Stunden war sie noch nicht hier. Zehn Stunden waren fast ein ganzer Tag. Das wußte sie.

Karena kurbelte das Autofenster herab, streckte ihren Kopf aus dem Fenster. In diesem Haus sollte ein Arzt wohnen? Zu dumm, daß sie noch nicht lesen konnte. Irgendwas stand auf dem Schild.

Mitten in Karenas Überlegungen hinein rief ein helles Stimmchen: »Hallo!« Gleich darauf bellte ein Hund.

Karena fuhr zusammen. Sie wollte das Fenster wieder hochkurbeln, aber da sagte eine Mädchenstimme: »Du mußt keine Angst haben vor Stoffel. Er ist ein ganz lieber Hund. Er gehört mir und tut alles, was ich will.«

Karena wandte den Kopf und sah nun das Mädchen. Es war nicht viel älter als sie und stand auf der Gartenmauer. »Was tust du da?« fragte sie.

»Ich wohne da«, erwiderte Felicitas Frey, das Töchterchen von Dr. Stefan Frey und seiner Frau Anja. Sie deutete auf das Haus. »Mußt du zum Doktor?«

Karena schüttelte den Kopf.

»Warum bist du dann hier? Ich habe dich noch nie hier gesehen.«

»Mein Vati hatte plötzlich arge Bauchschmerzen. Er ist in das Haus gegangen. Wohnt darin wirklich ein Arzt?«

»Sogar zwei Ärzte«, sagte Felicitas stolz. »Mein Papi und meine Mami sind Arzt.«

»Dann verstehe ich nicht, warum das so lange dauert«, sagte Karena.

»Na, hör mal«, begehrte Felicitas auf. »Meine Eltern haben ja noch andere Patienten.«

Karena sah ein, daß das Mädchen recht hatte. Nach kurzem Schweigen bekannte sie: »Ich langweile mich aber so.«

»Dann komm doch zu mir. Vor Stoffel brauchst du keine Angst zu haben.«

»Habe ich doch nicht«, sagte Karena fast empört. »Es ist nur, Vati hat es mir verboten.«

»Das verstehe ich nicht.« Felicitas sprang von der kleinen Mauer herab und kam zum Auto. Schwanzwedelnd folgte ihr Stoffel.

»Vati hat eben gemeint, ich soll nicht fortgehen«, verteidigte Karena ihren Vater.

»Das ist doch klar, daß du nicht weglaufen wirst. Aber bis er fertig untersucht ist, können wir doch miteinander spielen, oder?«

»Gern.« Karena öffnete die Autotür und stand schon neben dem Mädchen. »Hast du auch einen Namen?« fragte sie.

»Zuerst du. Wie heißt du?« forderte Felicitas.

»Ich heiße Karena.«

»Und ich Felicitas, aber alle nennen mich Filzchen. Wenn du willst, kannst du mich auch so nennen. Komm, ich zeige dir meinen Garten.«

An der Mauer zögerte Karena.

»Du hast doch nicht etwa Angst?« meinte Felicitas.

»Pah! Nur… Vati wird mich suchen.«

»Er wird dann schon nach dir rufen. Ohne dich fährt er sicher nicht weg.«

Karena nickte. »Nur, er hat gesagt, ich soll sitzenbleiben.«

»Bist du immer so folgsam?« fragte Felicitas. Sie stand bereits wieder auf der anderen Seite der kleinen Gartenmauer.

»Nein. Aber mein Vati ist doch jetzt krank.«

»Mein Papi und meine Mami kümmern sich doch um ihn«, versicherte Felicitas. »Sie machen alle Leute wieder gesund. Ich verrate dir etwas. Ich hätte auch nicht über die Mauer steigen dürfen. Meine Mami hat es mir streng verboten. Ich habe es trotzdem getan.« Sie setzte sich auf die Mauer.

Karena machte es ihr nach. Eine Zeitlang musterten sich die beiden Kinder. Schließlich platzte Felicitas heraus: »Hier zu sitzen ist aber auch langweilig. Soll ich dir meine Schaukel zeigen? Ich habe hinten im Garten auch einen Sandkasten und eine Rutsche. Nur, allein macht es mir dort keinen Spaß. Hast du Geschwister?«

Karena schüttelte den Kopf. Sie war neugierig geworden. Und schon schwang sie die Füße über die Mauer und stand nun in dem fremden Garten. Sofort sprang Stoffel an ihr hoch.

»Stoffel«, rief Felicitas. »Wirst du wohl!« Zu Karena gewandt, sagte sie: »Er will dich nur begrüßen. Du mußt keine Angst haben. Er beißt wirklich nicht.«

»Ich habe keine Angst. Darf ich ihn streicheln?«

»Natürlich. Ich nehme ihn immer mit nach Sophienlust. Das ist ein Kinderheim. Meine Mutter untersucht dort die Kinder. Da streicheln ihn auch alle.«

»Wie lieb er mich ansieht.« Karena hockte sich zu dem Spaniel ins Gras. Nachdem sie ausgiebig sein dunkelbraunes langhaariges Fell gestreichelt hatte, sah sie zu Felicitas empor. »Der gehört wirklich dir?«

»Ja, Stoffel ist mein Hund.«

»Du hast es aber schön.« Karena seufzte. »Ich wünsche mir schon so lange einen Hund, aber Vati meint, dazu sind wir zu wenig zu Hause. Wir könnten den Hund auch nicht immer mitnehmen. Es fällt doch schon mir schwer, immer ruhig zu sein, wenn Vati mit den Leuten spricht. Du mußt wissen, mein Vati ist ein bekannter Maler. Immer wieder wird in der Zeitung von ihm geschrieben, und wenn er eine neue Ausstellung macht, dann besuchen viele Leute sie.«