Karma - Katja Wilhelm - E-Book

Karma E-Book

Katja Wilhelm

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Beschreibung

Major Cornelius Metz tritt nach 2 Jahren Auszeit nach einem privaten Schicksalsschlag wieder seinen Dienst als Ermittler der Mordkommission in Wien an. Doch viel Zeit, sich wieder einzufinden, bleibt ihm nicht. Gleich an Tag 1 wird er zu einem Tatort in den Wienerwald gerufen. Eine Wandergruppe hat dort in den frühen Morgenstunden statt Entspannung die nackte Leiche eines Mannes auf einer Lichtung entdeckt. Bei dem Toten handelt es sich um den Eigentümer und Starkoch des Gourmet-Tempels ›Karma‹. Sein Geschäftspartner und zweiter Küchenchef Gerry Hofinger gibt sich zugeknöpft. Er und der Rest der ›Karma‹-Crew wirken nervös und dürften mehr als nur ein Geheimnis hüten. Eine verschwundene Frau auf einem Kreuzfahrtschiff scheint nicht der einzige mysteriöse Schatten der Vergangenheit zu sein, der zum Tod Richard Mautners geführt hat. Denn auch der Tatort wurde vom Mörder nicht zufällig gewählt.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 394

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Katja Wilhelm

KARMA

BAND 1 DER KRIMIREIHE »BEWEIS_LAST«

© 2023 Katja Wilhelm

Korrektorat: Mona Jakob, Textfein

Umschlag, Illustration: Katja Wilhelm

katja_wilhelm_autorin

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland

ISBN Softcover:

978-3-347-88116-7

ISBN E-Book:

978-3-347-88123-5

ISBN Großschrift:

978-3-347-88133-4

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Kapitel 1: Der Tote im Wald

Kapitel 2: Das wird in Polen gern genommen

Kapitel 3: Jedem sein Kevin

Kapitel 4: Ein Toter, den keiner vermisst

Kapitel 5: Weiß ist das Glück

Kapitel 6: Wenn niemand ein Alibi hat, haben alle eines

Kapitel 7: Bis aufs Blut

Kapitel 8: Der Blasse Jonathan

Kapitel 9: Das Mädchen seiner Träume

Kapitel 11: Das innere Kind

Kapitel 12: Neues Leben, endlich Glück

Kapitel 13: Glücklich ist, wer vergisst

Kapitel 14: Der Zauberlehrling

Kapitel 15: Harter Hund

Kapitel 16: Man trifft sich im Leben immer zweimal

Kapitel 17: Reich und reich gesellt sich gern

Kapitel 18: Sei deinen Feinden nahe

Kapitel 19: Der unsichtbare Dritte

Kapitel 20: Katz und Maus

Kapitel 21: Lange Schatten

Kapitel 22: Stein um Stein auf Sand gebaut

Kapitel 23: Aus schwach mach stark

Kapitel 24: Ich gebe, du gibst

Kapitel 25: Win-win

Kapitel 26: Trojanische Pferde zählen nicht

Kapitel 27: Allen Menschen schlecht getan

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Urheberrechte

Kapitel 1: Der Tote im Wald

Kapitel 27: Allen Menschen schlecht getan

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Kapitel 1: Der Tote im Wald

»Tot sehen alle Menschen gleich aus«, dachte sich Major Cornelius Metz, als er sich dem Tatort näherte. Das rot-weiße Absperrband flatterte fröhlich im Wind, ganz so, als ob hier kein grausamer Mord passiert wäre. »Dinge haben’s gut«, dachte Metz und riss sich sogleich wieder am Riemen. »Dinge haben’s gut – geht’s noch?«, ermahnte er sich und grüßte die Beamten vor Ort mit einem freundlichen Kopfnicken. Eine uniformierte Polizistin kam auf ihn zu. Sie war groß, fast so groß wie er, und wirkte rundlicher, als sie es war. Sie dürfte altersmäßig in seiner Liga spielen – die späten mittleren Jahre ließen grüßen – und war wohl das, was man umgangssprachlich ein ›spätes Mädchen‹ nennen würde. Die dunklen schulterlangen Haare hatte sie zu einem freudlosen Mittelscheitel frisiert und zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie reichte ihm die Hand, die er kurz und kräftig drückte. »Kollegin Attensam?«, fragte er knapp. Sie nickte. Im Gegensatz zu ihm hatte sie immerhin Gummistiefel an den Füßen, ein klarer Vorteil im Kampf Mann gegen Waldboden. Seine handgenähten Budapester würden ihm diesen unfreiwilligen Ausflug in die Botanik wohl nicht so schnell verzeihen. Ein Fehltritt. Sie informierte ihn kurz und knapp, was Metz zu schätzen wusste. Vielleicht war sie doch keine allzu schlechte Wahl als Partnerin, wenn er schon unbedingt eine haben musste. »Gefunden hat die Leiche eine Wandergruppe heute Morgen. Hergeführt hat sie Claudia Sommer, die Waldbaden und meditatives Wandern im Auftrag des nahe liegenden Klosters organisiert. Ich … wir kennen uns von früher, das möchte ich gleich anmerken, bevor eine schiefe Optik entsteht.« Metz nickte. »Wir brauchen die Gruppe morgen auf dem Revier für eine Befragung. Wo sind sie jetzt?« Er blickte sich um, konnte aber niemanden entdecken. »Ich habe sie ein Stück weit entfernt auf eine Bank gesetzt. Die Spurensicherung brauchte Platz und außerdem …« Sie hielt kurz inne und zeigte mit dem Kopf kaum merklich auf den nackten toten Körper vor ihnen auf dem Boden, »ist so eine Leiche nicht unbedingt ein schöner Anblick. Ihre Personalien aufgenommen habe ich schon. Sie halten sich zu unserer Verfügung und bleiben für den Rest der Woche noch im Stift für ihre Exerzitien.« Das angrenzende prunkvolle Zisterzienserstift Heiligenkreuz war die Attraktion der Gegend. Die armen Pilger hatten sich ihre geruhsamen Tage hinter Klostermauern wohl anders vorgestellt. Er war angenehm überrascht von der professionellen und effizienten Art der Gruppeninspektorin. Und ER war definitiv aus der Übung, wie er feststellen musste. Seine Wiedereingliederung nach zwei Jahren Freistellung hätte eigentlich ein sanfter Einstieg werden sollen. Gleich mit einem Mord zu beginnen und ein Team wider Willen auf Schiene zu bringen, hatte nicht auf seiner Agenda gestanden. Der Polizeichef hatte ihm schon berichtet, dass er seine ›Neue‹ am Tatort treffen würde. Wie passend: Zwei Kriminalbeamte geben sich erstmals über einer Leiche die Hand. Wie eine groteske Aufforderung zum Tanz, könnte man meinen. Nun, Major Metz pflegte nicht zu tanzen. Er und Gruppeninspektorin Hilde Attensam waren eher wie zwei Gestrandete in einem Rettungsboot, und beide wussten das. Worte wie ›letzte Chance‹ und ›Dienst auf Bewährung‹ waren vorhin im noblen Büro des Hofrats gefallen. Dieser Mordfall war der erste für Metz seit zwei Jahren. Nicht Mordfall, sondern Fall überhaupt. Hilde Attensam hatte man ihm zugeteilt. Sie beide bildeten die neue, noch namenlose Soko. »Ah, die Soko ›Reha‹ ist da, wie schön!« Der Gerichtsmediziner mit der hünenhaften Gestalt und der wehenden weißen Haarpracht stand wie ein weißer Riese in dem kleinen Quadrat, das das Absperrband – um Geometrie bemüht – abzugrenzen versuchte. »Das mit dem Namen hätte sich wohl nun geklärt«, dachte Metz, blieb aber regungslos und grüßte den Mediziner freundlich. »Schön, Sie wieder im Angesicht des Todes zu sehen, Herr Kommissar.« Und, an Hilde Attensam gerichtet: »Küss die Hand, gnädige Frau. Gestatten, Hagedorn, Rechtsmedizin, wir hatten noch nicht das Vergnügen.« »Nein«, dachte Metz, »Vergnügen hatten wir alle, die wir hier mitten im Wienerwald auf dieser Lichtung stehen, schon lange keines mehr.« Das galt schon gar nicht für den Toten, der blass und wächsern vor ihnen auf dem Waldboden lag. Er hatte einen kahl rasierten Kopf mit dunklem Haarschatten, den dafür ein pornomäßiger Vollbart in tiefem Schwarz auszugleichen versuchte – vergeblich. Seine leicht gedrungene Gestalt ließ auf wenig körperliche Betätigung schließen. Wie er auf die Lichtung des beschaulichen Wienerwaldes gekommen war, würde die Spurensicherung klären müssen. Metz blickte sich kurz um. Außer ein paar armseligen Farnen wuchs hier nichts. Der Tote lag auf der bloßen Erde, völlig nackt und ungeschützt. Eine riesige Wunde klaffte an seiner Schläfe. Wie viel Blut davon im Boden versickert war, konnte man mit freiem Auge nicht sagen. Auch seine Nase war blutverkrustet. Sie hatte anscheinend unfreiwilligen Sozialkontakt mit einer Faust gehabt. Im Gegensatz zum Blut an der Kopfwunde sah dieses schon stark eingetrocknet und älter aus. Wahrscheinlich gab es nicht nur einen, sondern zwei Tatorte, dachte Cornelius Metz. Am ersten hatte man ihn vermutlich nur k. o. geschlagen, am zweiten – mitten in einem der schönsten Flecken um Wien – hatte man ihm den tödlichen Rest gegeben. Er richtete daher gleich seine erste Frage an den Experten im weißen Schutzanzug, doch dieser kam ihm souverän zuvor: »Der Fundort dürfte auch der Tatort gewesen sein, jedenfalls was die letalen Verletzungen an der Schläfe betrifft. Die Erde rund um die Kopfwunde herum ist getränkt von seinem Blut. Eine aufgeplatzte Lippe, seine lädierte Nase und ein paar kleinere Blutergüsse deuten auf einen Kampf hin, wenn auch nicht gerade auf einen sehr heftigen. Ihr Opfer war vermutlich nicht mehr der Wehrhafteste.« »Wie meinen Sie das?«, hakte Metz nach. Der Gerichtsmediziner kratzte sich vernehmlich am Kopf, wo die wenig kleidsame Kapuze des Schutzanzuges ziemlich straff saß. Für Männer seiner Größe gab es vermutlich wenig Berufsbekleidung von der Stange, die passte und saß. »Sehen Sie das weiße Pulver an seinem linken Nasenflügel? Wir können gerne Wetten abschließen, aber meiner Erfahrung nach würde ich bei Menschen wie dem Herrn Mautner nicht auf Backpulver schließen, obwohl das in seinem Fall auch nicht ganz abwegig wäre. Nein, nein. Unser Opfer hier hatte ein paar schöne letzte Minuten im schneeweißen Himmel, bevor es endgültig dorthin befördert wurde.« Metz war erstaunt. Dass man bereits die Identität des Toten kannte, hatte man ihm nicht mitgeteilt. »Woher wissen Sie, wer der Mann ist?«, fragte er daher. Der Hüne im weißen Overall richtete sich auf und stemmte seine Hände in die schmalen Hüften. Als olympischer Athlet hätte er leichtes Spiel in vielen Disziplinen gehabt, mutmaßte der Kommissar. Die buschigen weißen Augenbrauen von Professor Gunter Hagedorn säumten gütige, warme Augen, die bei jeder seiner Wortspenden aufzublitzen schienen. Er liebte seinen Beruf, doch er liebte auch die Menschen. Metz wusste von vergangenen Fällen, dass die joviale Art des Rechtsmediziners seine Methode war, sich die Toten nicht mehr unter die Haut gehen zu lassen als unbedingt nötig. »Ihr Opfer ist ein Promi. Richard ›Richie‹ Mautner, um genau zu sein. Inhaber und Starkoch des Gourmettempels ›Karma‹. Ich habe alle seine Kochbücher, und sein letztes wurde erst vor zwei Wochen präsentiert.« Cornelius Metz versuchte krampfhaft, das Bild, das vor seinem geistigen Auge aufstieg, zu verdrängen. Ein renommierter Arzt als Hobbykoch: Der Name ›Hannibal Lecter‹ drängte sich sofort in sein Gehirn. »Wissen Sie schon Näheres zum Todeszeitpunkt?«, fragte er stattdessen, ganz darum bemüht, in Windeseile wieder der Profi zu werden, der er einmal gewesen war. Hilde Attensam hatte begonnen, alles mitzuschreiben. Auch sie war ein Profi, auf ihre Art. Cornelius Metz hatte keinen Blick in ihre Akte werfen dürfen – Datenschutz. Doch natürlich hatte die Geschichte rund um ihre drohende Suspendierung die Runde gemacht. Er und sie waren wie zwei Desperados, auf die ein ordentliches Kopfgeld ausgesetzt war. Nur dass der Polizeichef bei der kleinsten Entgleisung Köpfe rollen sehen wollte und kein Geld der Welt ihn davon abhalten würde. Wie waren seine Worte gewesen? »Ich muss Ihnen, lieber Metz, ja nicht erklären, dass diese neu gegründete, extra für SIE ins Leben gerufene Sonderabteilung nicht gerade als Sprungbrett konzipiert ist. Sehen Sie sie vielmehr als Wartesaal bis hin zu Ihrer Pensionierung. Und Kollegin Attensam wartet dort mit Ihnen, oder Sie beide werden in Zukunft Sicherheitskontrollen vor Senioren- und Heimtiermessen durchführen.« Der Gerichtsmediziner riss ihn aus seinen Gedanken. »Todeszeitpunkt? Schwer zu sagen oder auch nicht. Irgendwann zwischen Mitternacht und 2 Uhr morgens. Exakte Angaben gibt es wie immer erst, wenn ich ihn als Gast bei mir zu Tisch begrüßen durfte.« Er legte eine wohldosierte Kunstpause ein und erlaubte sich dann einen Moment der Schwäche, jedenfalls für Vertreter seines Berufsstandes. Er streckte sich vernehmlich – Größe hatte eben nicht nur Vorteile – und ergänzte dann: »Ein Jammer, dieser Tod. Selten zuvor gab es ein Talent wie ihn. Vor knapp einem Monat erst wurde das ›Karma‹ mit einem dritten Michelin-Stern geadelt. Seine Fleischgerichte und sein Sushi waren einmalig.« Hilde Attensam trat bei der Erwähnung von Sushi unbewusst einen Schritt von der Leiche zurück. Es war wohl auch für sie schwer vorstellbar, wie jemand, der den ganzen Tag an Leichen herumschnippelte, sich abends noch rohes totes Tier auf den Teller laden und genussvoll verspeisen konnte. »Also ich bin hier fertig. Wenn sonst nichts Akutes mehr ansteht, bringen wir den Herrn Mautner in die Gerichtsmedizin. Letztes Abendmahl, quasi.« Bei dieser Bemerkung blitzten die Augen wieder fröhlich auf. »Humor hat der Mann«, dachte Cornelius Metz.

Er fuhr im Wagen von Hilde Attensam mit. Zum Tatort gebracht hatte ihn eine Streife, denn einen Dienstwagen besaß er noch keinen. Sie fuhr so, wie er sie bislang kennengelernt hatte: schweigsam und konzentriert. Nur wer vom Vorfall rund um ihre Suspendierung wusste, konnte unterschwellige Aggressionen vermuten. Keiner von beiden schien Lust zu haben, eine gekünstelte Unterhaltung vom Zaun zu brechen. Metz wies sie an, zuerst das ›Karma‹ anzusteuern. Erfolgsmenschen wie berühmte Starköche verbrachten ihre Zeit wahrscheinlich an ihrem Wirkungsort, nicht auf dem Golfplatz und schon gar nicht in ihrem Zuhause. Sein Penthouse in der noblen Wiener Innenstadt würden sie sich später vornehmen. Hilde Attensam holte auf den letzten Metern, bevor sie in den eleganten 1. Wiener Bezirk einbogen, beherzt Luft. »Ich wollte mich bedanken. Dass Sie mich nehmen. Ich meine, nach allem …« Mehr sagte sie nicht. Es schien ihr sichtlich schwerzufallen, und Metz war ohnehin kein Freund vieler Worte. Oder Emotionen. Emotionale Worte konnte der elegante Mittfünfziger schon gar nicht leiden. In seiner Familie regierte noch immer das Motto ›Noblesse oblige‹, auch wenn der Adel in Österreich schon seit 1919 kein Thema mehr war. Die altehrwürdige Familie von Metz ignorierte dieses lästige kleine Detail und hielt Standesdünkel und Traditionen hoch. Seine Eltern – vor allem sein Vater – hatten sich nur schwer damit abgefunden, ihren Sohn ausgerechnet an das mittlere Beamtentum zu verlieren. Genauso gut hätte er als Pirat zur See fahren oder Waffenhändler im Jemen werden können. Oder Lehrer. »Danke jedenfalls«, drang es in dieser Sekunde von der Fahrerseite an sein Ohr. Hilde Attensam war offensichtlich fertig mit ihrer knackigen Rede, und er sollte sich besser zusammenreißen, wenn er diese Chance nicht vermasseln wollte. »Sie haben es ja gehört«, antwortete er. »Wir heißen jetzt Soko ›Reha‹.

Das wird sich herumsprechen, und dabei wird es bleiben. Danken Sie mir lieber nicht. Sie haben mit mir nicht gerade das Gewinnerlos gezogen.« »Alles ist besser, als suspendiert zu werden«, fügte die Gruppeninspektorin tonlos hinzu. Sie hatte einfach rotgesehen damals und keine Sekunde lang an die Konsequenzen ihrer Handlungen gedacht. Kühl, beherrscht und unaufgeregt: So hatte sie sich bis dato ihren Dienstgrad und auch ein wenig Respekt und Anerkennung unter den männlichen Kollegen erarbeiten können. Ihre einzige Alternative, wenn man sie wirklich gefeuert hätte, wäre die Rückkehr auf den elterlichen Weinbauernhof im Burgenland gewesen, der ihr und ihrer freudlosen Schwester zu gleichen Teilen gehörte. Schon der Gedanke daran, ihre kleine, aber feine Stadtwohnung gegen den primitiven Mief des ewig gestrigen Landlebens tauschen zu müssen, jagte ihr kalte Schauer über den Rücken. Das hämische Grinsen ihrer Schwester war das Einzige, das sie dort erwarten würde. Und die nicht minder hämischen Hänseleien und Beleidigungen, die die Geister ihrer Kindheit dort immer noch für sie bereithielten. Mobbing würde man heute wahrscheinlich dazu sagen. Damals hieß es nur: »Selber schuld, wilde Hilde.« Niemand hatte geglaubt, dass das schüchterne, dicke Mädchen mit dem wachen Verstand tatsächlich die Aufnahme in den Polizeidienst schaffen würde.

Fett und dumm waren auf dem Land immer noch zwei vom selben Schlag. Doch sie hatte es geschafft, war sogar bis zur Gruppeninspektorin aufgestiegen. Die Uniform hätte sie ablegen können. Hätte, wäre nur nicht diese eine Sache vorgefallen. Heute früh, als man sie zum Tatort beordert hatte, hatte sie die Uniform vorsorglich wieder aus dem Schrank geholt. Man konnte ja nie wissen. Lieber einen guten ersten Eindruck machen. Lieber unterwürfig und bescheiden, anpassungsfähig und nicht sehr clever rüberkommen. Dieser Devise folgte sie seit dem Schulhof. Sie hatte ihr damals die Haut gerettet, sie würde es wieder tun. Das Leben war für sie anscheinend eine nie enden wollende große Pause in einer zynischen Endlosschleife. Als ob er ihre Gedanken lesen konnte, entgegnete Metz: »Sie müssen übrigens keine Uniform bei mir tragen, wenn Sie nicht möchten. Zivile Kleidung ist angemessen. Wir werden wahrscheinlich ohnehin die meiste Zeit im Präsidium am Schreibtisch zubringen. Für besonders menschenfreundlich hält uns der Herr Hofrat – denke ich – beide nicht.« Hilde nickte. Sie würde sich das noch überlegen. Denn einerseits war die Uniform ein Zeichen ihres Versagens. Andererseits war sie manchmal auch ganz nützlich. Es stimmte schon, was man so sagte: Sie machte den Menschen darin unsichtbar. Und genau diesen Zustand hatte sie am liebsten.

Im ›Karma‹ herrschte schon reger Betrieb. Das Mittagsgeschäft war anscheinend in vollem Gange. Cornelius Metz versuchte, sich daran zu erinnern, wann er das letzte Mal in einem solch noblen Lokal gespeist hatte. Und die wirklich edlen Fress-Tempel – hatten die früher tatsächlich mittags geöffnet? Das schöne Leben schien schon lange passé zu sein für ihn. Er klopfte sich am Parkplatz, so gut es ging, den verkrusteten lehmigen Waldboden von seinen Schuhen. Hilde Attensam hatte schon vor der Rückfahrt ihre Gummistiefel gegen patente schwarze Schnürer – blank geputzt, wie Metz bemerkte – getauscht. Sie steuerten auf den Eingang zu und wurden prompt von einem eleganten jungen Mann Ende 20 charmant, aber bestimmt aufgehalten. »Guten Tag, die Herrschaften. Haben Sie reserviert?« Erst beim Blick auf Hildes Uniform dämmerte ihm, dass diese Besucher aller Wahrscheinlichkeit nach nicht der berühmten Küche wegen hier waren. Er erkannte seinen Irrtum sofort und lief rot an wie ein Krebs. »Oder wie ein Mensch, der etwas zu verbergen hat«, schoss es Metz durch den Kopf. Er stellte sich und seine uniformierte Begleiterin formvollendet vor und fragte nach dem Geschäftsführer. »Der Richie ist nicht da«, konterte der junge Mann, der sich als »Daniel Wellensteyn, Sommelier und Mann für alles« vorstellte. Um die Mittagszeit benötigte man seine önologischen Dienste offensichtlich nicht so sehr wie am Abend. Er verwaltete souverän und äußerst eloquent – wie Hilde feststellen musste – die Reservierungen. Seine Gesichtsfarbe wechselte von rot zu kalkweiß, als Metz ihm mitteilte, dass Richie Mautner für immer in die ewigen Jagdgründe der Erlebnisgastronomie eingegangen war. Der straffe, sichtlich muskulöse Körper Daniel Wellensteyns sackte für einen kurzen Moment zusammen. Sein scharf geschnittenes Gesicht mit den blauen Augen und dem kunstvoll gepflegten Hipster-Bart verlor für einen Augenblick seinen jungenhaften Glanz. »Ich bringe Sie nach hinten zu Gerry und Svenja. Sie schmeißen den Laden, wenn Richie nicht da ist.« Cornelius Metz und Hilde Attensam folgten ihm. Durch den geschmackvollen Gastraum führte er sie an der Küche vorbei in ein kleines Büro. »Hier ist – ich meine – hier war Richies Reich. Ich hole Ihnen die beiden. In die Küche darf niemand hinein, das ist hier eines der Gesetze.« Metz und Hilde wechselten einen raschen Blick. Beide dachten anscheinend dasselbe: Daniel Wellensteyn wollte offensichtlich jemanden warnen. Hilde, plötzlich ganz souverän, verstellte ihm für einen kurzen Moment den Weg. Sie war fast so groß wie er. Metz war ihre Größe aufgrund ihrer gedrungenen Statur bislang gar nicht aufgefallen. Für eine Polizistin hatte sie Idealmaße: gleich breit wie hoch, aber flink und kräftig, wenn die Situation es erforderte. Mit den Worten »Ich komme lieber mit. Das ist eines unserer Gesetze« nahm sie ihm kurz und knapp den Wind aus den Segeln. Wenige Minuten später folgten ein Mann in den 30ern und eine junge Frau – beide blass und sichtlich verstört – Hilde und dem Sommelier ins Büro. Cornelius Metz bat sie, Platz zu nehmen. Der Mann stellte sich als Gerhard ›Gerry‹ Hofinger vor. Er war neben Richie Mautner der zweite Küchenchef und seine rechte Hand. Die junge Frau mit den lockigen roten Haaren und den fröhlichen Sommersprossen hatte alle Mühe, nicht loszuweinen. Svenja Beckmann arbeitete als Souschefin im ›Karma‹. Das Küchenpersonal hatte Richie bewusst überschaubar gehalten. Neben den drei Köchen gab es nur noch Dorian, die Spülnase, der für den Abwasch zuständig war, und zwei Küchenhilfen mit Namen, die weder Hilde noch Metz sich auf Anhieb merken konnten. Das Lokal war nicht gerade groß. Dennoch dürfte diese dünne Personaldecke alle Hände voll zu tun haben, wenn das noble Haus sich über eine solide Reservierungslage freute. Zwei Kellner und Sommelier Daniel komplettierten das Team. »Wann haben Sie Richard Mautner das letzte Mal lebend gesehen?«, fragte er die drei, die sichtlich erschüttert waren. Erschüttert und im Fall von Gerry Hofinger und Daniel Wellensteyn offensichtlich auch ziemlich nervös. Metz kannte diese Art von Blick, die beide ihm zuwarfen. »Bullenschwein«, schien er zu sagen. Beide hatten vermutlich schon Bekanntschaft mit Vertretern seiner Zunft gemacht. Svenja Beckmann, inzwischen unter Tränen, antwortete: »Wir haben gestern wie üblich gegen Mitternacht klar Schiff gemacht. So nannte Richie das immer. Er kam herein, spülte seine Messer und ging anschließend mit der Kasse in sein Büro. Alles war so wie immer.« Gerry Hofinger nickte. Sein blasser, magerer Körper wirkte wie der eines schmächtigen Jungen und war von Kopf bis Fuß mit Tätowierungen übersät. Nicht einmal seine Fingerknöchel und sein Hals waren verschont geblieben. An jedem anderen Ort in Wien würde Metz ihn sofort für einen Junkie halten, für einen Dealer an guten Tagen. Sein kreidebleiches Gesicht zierte eine billige Brille, die er, den Gläsern nach zu urteilen, auch dringend brauchte. »Also kein Hipster«, schoss es Metz durch den Kopf. Er und Richard Mautner mussten ein höchst ungleiches, wenn auch anscheinend sehr erfolgreiches Duo gewesen sein. Während er auf die Küchencrew warten musste, hatte er die zahlreichen Presseartikel an der Wand studiert.

Jeder Einzelne war elegant gerahmt worden, anscheinend von professioneller Hand. Im ›Karma‹ ließ man sich das Dasein offensichtlich ganz ordentlich etwas kosten. Auch die Ausstattung des Büros war vom Feinsten, das sah Metz auf Anhieb. Hier könnte sein anspruchsvoller Vater oder seine luxusverwöhnte Mutter standesgemäß Hof halten, so man das noch dürfte. Minimalistische Designermöbel aus der maximal möglichen Preiskategorie reihten sich formvollendet aneinander. Der surrende Kühlschrank in der Ecke könnte problemlos einst Elvis Presley gehört haben. Er war eindeutig Vintage und leuchtete in Neonpink. Gerry Hofinger passte so überhaupt nicht in dieses Konzept. Da war der Sommelier Wellensteyn schon ein anderes Kaliber. Der Siegelring an seinem Finger ließ auch für seine Herkunft nur das Beste erahnen. Das gestärkte weiße Hemd schloss die makellos gebügelten, faltenfreien Ärmel mit edlen Manschettenknöpfen. Gold, mutmaßte Metz. Seinen gepflegten ›Man-Bun‹ trug er mit exakt jenem nötigen Quäntchen von Arroganz, das diese Trendfrisur zweifellos erforderte. Svenja Beckmann wirkte ehrlich mitgenommen. Sie schien das nette Mädchen von nebenan zu sein, auch wenn Metz wusste, dass für ›nett‹ in der Spitzengastronomie kein Platz war. Hier konnte die Luft im Fegefeuer der Eitelkeiten schnell sehr dünn werden. Ein dickes Fell war neben einem entsprechenden Ausnahmetalent ebenso obligatorisch erforderlich wie ein langer Atem. Gourmettempel wie das ›Karma‹ konnten ein fantastisches Sprungbrett für junge Kochtalente sein. Doch bis dahin galt die Devise: Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Und selbst eine fertig ausgebildete Souschefin würde hier immer nur genau das bleiben: unten. Viel zu sagen hatten die Obersten des ›Karma‹ nicht gerade. Richard Mautner war eine Legende der Wiener Spitzengastronomie, und das Lokal lief bestens. Nein, Streitigkeiten oder Unstimmigkeiten gab es keine. Ja, manchmal konnte es in einer Küche wie dieser schon hektisch und streng zugehen. Metz wusste, dass sie nicht viel Wissenswertes aus der ›Karma‹-Crew herausbringen würden, solange sie sie nicht getrennt voneinander befragten. Er bestellte sie für den nächsten Tag aufs Revier. Er selbst merkte, dass er dringend eine Pause benötigte. Zu viele Menschen auf einmal nach zwei Jahren Abstinenz: Das konnte rasch zu einer Überdosis führen. Wie hatte sein Vater stets gesagt: Ein geborener Cornelius Hagen, Freiherr von Metz, sollte keine Klinken putzen und tote Menschen ihrem Kühlfach in der Gerichtsmedizin zuführen müssen. Seine zahlreichen Versuche, die Eltern über die eigentliche Quintessenz seiner Arbeit aufzuklären, hatte er irgendwann aufgegeben. Er hatte seine Erzeuger sogar schwer in Verdacht gehabt, seine Freistellung vom aktiven Dienst hinter seinem Rücken voranzutreiben. Sein Vater hatte – Adelsverbot hin oder her – immer noch die allerbesten Kontakte in die allerhöchsten Kreise. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er sogar vermuten, dass sein Zusammenbruch vor zwei Jahren ein willkommener Anlassfall für seine Eltern gewesen war, den sanft glimmenden Funken der Hoffnung wieder aufleben zu lassen, dass das berufliche Leben ihres Sohnes noch nicht vollends verpfuscht worden war. Dabei hatte es sich für Cornelius Metz genauso angefühlt. Erst der Tod von Violante, seiner Frau, auf die schlimmstmögliche Art. Dann die Gewissheit, dass es seine Schuld gewesen war. Der darauffolgende Verlust seiner Identität und seiner Selbstwahrnehmung als Polizist durch und durch hatte ihm dann noch den Rest gegeben. Sie waren fertig hier im ›Karma‹, jedenfalls fürs Erste. Die Spurensicherung musste sich hier umsehen, keine Frage. Außerdem würden sie jemanden für die Hintergrundrecherche – Telefon- und Bankdaten, das Übliche – benötigen. Ob Hilde Attensam dafür die Richtige war? Metz war müde. Er schickte Hilde zurück aufs Präsidium, um ihren Bericht zu schreiben und die Befragungen für morgen vorzubereiten. Er ging zu Fuß nach Hause, jedenfalls dorthin, was einmal sein Zuhause gewesen war. Morgen würde man weitersehen. Morgen war wenigstens eine Option, fiel ihm gerade auf. Seit zwei Jahren das erste ›morgen‹, das ihn interessierte, immerhin.

Kapitel 2: Das wird in Polen gern genommen

Eberhard Blauensteiner war ein Mann von Welt. Jedenfalls war er einmal einer gewesen, in einer früheren Welt. Nun war er eher ein Mann der Unterwelt, und ebendiese und seine Kontakte dorthin schienen ihm nun die einzig nützlichen zu sein. Seine kroatischen Wurzeln hatte er nie geleugnet. Seine lebensfrohe, musikalische Mutter hatte ihm das Klavierspielen beigebracht. Sein Vater hatte es geduldet. Im elterlichen Betrieb hatte er ohnehin mehr Schaden als Nutzen angerichtet, so die Diagnose des Vaters, der in dem jungen Eberhard keinen patenten Nachfolger für das Familiengeschäft sah. Als Klempner war er Meister darin, das lecke Teil, das schwache Glied und die undichte Stelle sofort zu erkennen. Er hatte ein Auge für Rohrleitungen und für Menschen. Der musikbegeisterte Eberhard würde schon etwas aus seinem Leben machen. Klempner war jedoch nicht dabei. Zweisprachig aufzuwachsen, war ihm nie ungewöhnlich vorgekommen. Er kannte schließlich nichts anderes. Später, in der großen Stadt, lernte er schnell, dass es besser war, ein reinrassiger Österreicher ohne südländische Wurzeln zu sein. Doch genau diese retteten ihm nun seinen alters- und alkoholbedingt knochigen Hintern. Wäre alles nach Plan verlaufen in seinem Leben, hätte er schon längst sein Haus in Kroatien, irgendwo an der Küste mit direktem Zugang zum Meer. In seinem Wohnzimmer würde ein teurer Flügel stehen, auf dem er sich jeden Tag seiner Leidenschaft, dem improvisierten Klavierspiel, widmen könnte. Stattdessen wohnte er noch immer im Gemeindebau, wie die höfliche Umschreibung in Wien für ›Sozialwohnung‹ hieß. Die dunkle Ecke für die Übergabe hatte nicht er wählen dürfen. Szép, sein Kontaktmann, hatte ihn hierhergelotst. Eigentlich war Szép Kroate, so wie Eberhard zur Hälfte auch. Doch seine kriminellen Machenschaften hatten ihn schon bald erkennen lassen, dass dieser Herkunft kein echter Schrecken innewohnte. Nach Kroatien fuhr man auf Urlaub oder zum Segeln. Um als ernst zu nehmender Kleinkrimineller durchzugehen, musste schon etwas Bedrohlicheres her. So wurde aus Szép, dem Kroaten, Szép, der ›Pole‹. Polen war in Österreich so etwas wie eine informelle Freihandelszone. Höchst informell. Autos, Motorräder, seit Neuestem auch E-Bikes und E-Scooter: All das wurde in Polen gern genommen. Szép fragte nie nach, wo die Ware herkam, von welchem Laster sie gefallen oder ob sie heiß war. Es interessierte ihn nicht. Seit er über Nacht aus dem kroatischen Landkind ohne Zukunft den Furcht einflößenden ›Polen‹ von tadellosem Ruf unter seinesgleichen aus der Taufe gehoben hatte, war er menschliches Teflon. Als Eberhard ihm ein Angebot machte, das er nicht ablehnen konnte, tat der geschäftstüchtige Szép dies auch nicht. Er kam wie immer ohne Licht. Falls die Polizei ihn eines Tages hopsnehmen sollte, dann wegen grober Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung. Das hatte schon ganz anderen Kapazundern wie dem RAF-Terroristen Andreas Baader die Freiheit gekostet. Doch erstaunlicherweise war der ›Pole‹ bislang offiziell ein unbeschriebenes Blatt geblieben. Er wechselte seine Kontakt- und Hintermänner so schnell wie seine Prepaidhandys. Eine Kindheit in Armut machte eben erfinderisch und das, was man streetwise nannte. Eberhard hob die Hand zum Gruß. Viele Worte wechselten zwischen Szép und ihm nie den Besitzer, im Gegensatz zu anderen Dingen. Der ›Pole‹ hatte ihn jahrelang mit allem Möglichen beliefert, das am Schwarzmarkt einfach billiger und teils auch in besserer Qualität zu bekommen war. Ihre Geschäftsbeziehung war so makellos wie ihre beiden Strafregister. Und beides sollte makellos bleiben. Szép hatte wie üblich gar nicht nach dem Grund ihres Treffens gefragt. Nun pfiff er anerkennend durch die Zähne und sagte nur: »Dein Alter, echt?« Eberhard nickte. Sein ›Alter‹ war ein Pontiac Firebird im Originalzustand. Sogar seine Lackierung in Bright Blue Metallic hatte mehr Charakter als viele Menschen, die Eberhard im Laufe seines bewegten Lebens getroffen hatte. Der Wagen war ein echtes Sammlerstück, wenn man die richtigen Leute kannte. Für diesen Fall hätte er Szép nicht kontaktieren müssen. Doch seinem ›Alten‹ war leider ein Missgeschick widerfahren. Man könnte es auch ›spontane Wertminderung‹ nennen, diesen Begriff kannte Eberhard noch aus seiner aktiven Zeit. Er hatte ihn immer gemocht, bis heute. Szép ging einmal prüfend um den Wagen herum und öffnete den Kofferraum. Er leuchtete das Innere mit einer Taschenlampe aus und nickte zufrieden. »Wie viel?«, fragte er. Eberhard zuckte mit den Schultern. Er wusste aus Erfahrung zwar, dass er dieses Spiel mitspielen musste. Doch hier und heute hatte er keine Lust darauf, Szép seine taktischen Fähigkeiten als knallharter Basarhändler unter Beweis stellen zu lassen. »Der Wagen ist nicht sauber. Gib mir einfach dafür, was du für richtig hältst«, antwortete er. Szép hielt kaum merklich bei seiner Umrundung inne. Natürlich war der Wagen nicht sauber, sonst würde jemand wie Eberhard, die treue Seele in Person, sich nicht in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von dem guten Stück trennen. Er könnte vermutlich aufs Ganze gehen. Menschen in Notlagen waren ihm grundsätzlich die liebsten Geschäftspartner, egal, welche der inzwischen recht zahlreichen Branchen, die er bediente, davon profitierte. Doch Széps Erfolgsgeheimnis beruhte darauf, dass er Loyalität immer mit der ihr zustehenden Währung bedachte: Sie war unbezahlbar. Die langjährige Geschäftsbeziehung mit Eberhard nun durch die Gier eines Augenblicks zu gefährden, wäre dumm gewesen. Herzlos natürlich auch, doch dieses Organ hatte bei Szép nur eine rein biologische Funktion. »Zehntausend, wenn es schnell gehen muss. Fünfzehn, wenn es bis morgen warten kann.« Szép erkannte eine Chance, wenn sie sich ihm bot, doch hier ließ er Fair Play gewinnen. Eberhard nickte nur müde und sagte: »Zehn jetzt und hier sind gut.« Sie besiegelten den Deal mit Handschlag. Der berühmt-berüchtigten Ganovenehre musste schließlich Genüge getan werden. Szép holte einen Umschlag aus seinem Wagen, und ein zweiter Mann, den Eberhard zuvor gar nicht bemerkt hatte, folgte ihm. Sie tauschten Wagenschlüssel gegen Umschlag, Eberhard drehte sich wortlos um und verschwand in die Nacht. Aus einiger Entfernung hörte er, wie Széps Handlanger den Pontiac startete und das Gaspedal durchdrückte. Der Wagen heulte auf wie ein verletztes Tier. Eberhard spürte einen Stich in seiner Brust. In diesem Wagen hatte er seine Frau kennengelernt. Sie waren damit zum Standesamt gefahren und von der Kirche nach Hause. Nach Hause gebracht hatte er sie darin auch, als die Ärzte ihr nur mehr wenige Wochen gaben. Damals hatte ein Leben geendet, und es war nicht das ihre gewesen. In dieser Nacht spürte er nun zum zweiten Mal, was Verlust bedeutete. Doch gleichzeitig war dieses Ende ein Neubeginn für ihn. Auch er hatte in der Nacht zuvor eine Chance erkannt, wie sie ihm das Leben kein zweites Mal mehr bieten würde. Der Verlust des Pontiacs war so gesehen ein geringer Preis, den er für das Leben, das nun vor ihm lag, nur allzu gerne zu zahlen bereit war. Eberhard Blauensteiner entwischte bei dem Gedanken daran ein Lächeln. Den Wagen würde er morgen als gestohlen melden. Bis dahin war das gute Stück längst irgendwo in Polen, vermutlich schon mit neuer Identität versehen. Alles war irgendwann in Polen. Der kleine Grenzverkehr funktionierte ganz ausgezeichnet. Um polizeiliche Ermittlungen in dieser Diebstahlssache – einer von vielen in Wien – machte er sich keine Sorgen. In der tristen Tiefgarage seines Wohnblocks gab es weder Kameras noch andere Sicherheitsvorkehrungen. Die wenigen Verkehrskameras auf dem Weg hierher hatte er souverän umgehen können. Es hatte eindeutig Vorteile, in einem Haus, einer Gegend zu leben, deren Bewohner*innen der Exekutive egal waren. ›Gesellschaftlich nicht relevant‹ würde man das wohl auf Amtsdeutsch nennen. Die Menschen besaßen nichts, das es zu bewachen lohnte. Dafür hatten sie die Freiheit, ein gänzlich unbeobachtetes Leben zu führen. Eine Freiheit, die hier im wahrsten Sinne des Wortes bedeutete: ›nichts zu verlieren‹.

Kapitel 3: Jedem sein Kevin

Hilde Attensam stand mit verschränkten Armen vor dem neuen, noch spärlich eingerichteten Büro der Soko ›Reha‹. Ihr Blick verhieß nichts Gutes, als Cornelius Metz, wie aus dem Ei gepellt, um punkt 8 Uhr dort eintraf. Sie hatten an diesem Tag volles Programm vereinbart. Die gesamte Crew des ›Karma‹ sollte getrennt voneinander befragt werden. Die Wandergruppe hob man sich für einen späteren Zeitpunkt auf. Und Richard Mautners Wohnung würde ebenfalls noch mit polizeilichem Besuch rechnen dürfen. Hilde Attensam zog zur Begrüßung die Augenbrauen hoch und deutete mit dem Daumen Richtung Büro. Dort staunte Metz nicht schlecht, als er einen jungen Mann antraf, der Ringelspiel mit seinem Bürostuhl spielte. Wie ein Derwisch – oder ein vierjähriges Kind – drehte er sich temporeich im Kreis. Die schwarzen Locken konnten der Schwerkraft kaum widerstehen. Metz räusperte sich vernehmlich und wartete ab, bis der Wirbelwind im schwarzen Rollkragenpullover sein Tempo drosselte. »Wer sind Sie bitte?«, fragte der Kommissar und fügte hinzu: »Und was machen Sie in meinem … unserem Büro?« Noch bevor der schmale Mittzwanziger mit dem blassen Gesicht und den gefährlich hohen Wangenknochen antworten konnte, ertönte eine andere Stimme aus Richtung des Flures. Hofrat Leo Katzinger, der amtierende Polizeichef, kam wichtig und übereifrig auf Metz und Hilde zu. Er galt als schmieriger Opportunist und Anzugträger, der sich nie wirklich die Hände schmutzig gemacht hatte für seinen beruflichen Aufstieg. Diesen hatte der aalglatte Bürohengst mit den rotblonden kurzen Haaren und den milchig-grauen Augen seiner Heirat und seinen Schwiegereltern zu verdanken, so munkelte man. Als Morgengabe ergab es sich für den Herrn Hofrat, dass er die Karriereleiter gar nicht rasch genug erklimmen konnte. Sein Spitzname ›Katzbuckler‹ war das Einzige, was er sich im Zusammenhang mit seiner Arbeit jemals redlich verdient hatte. Cornelius Metz – dessen voller Name samt Titel natürlich Bestandteil seiner Akte war – war Leo Katzinger immer schon ein besonderer Dorn im Auge gewesen. Nur zu gerne hätte er aus der Freistellung eine Versetzung in den Vorruhestand oder eine Suspendierung gebastelt. Doch nicht nur er, auch Metz verfügte über Kontakte in höhere Kreise, auch wenn dieser wahrscheinlich eher Freundschaften dazu sagen würde. Der elegante Freiherr mit seinem Sinn für gepflegtes Understatement, seinen makellosen, aber unaufdringlichen Manieren und seiner ganz und gar bestechenden Gabe, auch die kompliziertesten Fälle zu lösen, hätte seinetwegen gerne bleiben können, wo der Pfeffer wächst. Oder in der Geschlossenen, in der ihn zumindest im Präsidium alle vermuteten. »Metz, mein Lieber, und ja ähm …« Sein Blick auf Hilde Attensam – wieder in Uniform – hätte genauso gut einer lästigen Fliege an der Wand gelten können. Schließlich jedoch rang er erfolgreich um Contenance und grüßte sie mit: »Kollegin …« Er rieb sich die Hände und setzte zu einer Art halben Verbeugung an, die ihn nicht sonderlich souverän wirken ließ. »Meine Herrschaften, schön, ich sehe, Sie haben sich in Ihrem neuen Zuhause schon eingewöhnt. Ich habe Ihnen noch jemanden zur Unterstützung besorgt.« Nach diesen Worten deutete er auf den jungen Mann im Steve Jobs-Pullover, der sich inzwischen erhoben hatte. Immerhin. »Darf ich vorstellen: Kevin Wiesinger. Er ist der Neffe von unserem hoch verehrten Herrn Sektionschef gleichen Namens und wird Ihnen hier ein wenig zur Hand gehen.« Kevin hob unsicher die Hand und winkte unbeholfen. Mehr als ein ›Hallo‹ brachte er nicht zustande. Metz war irritiert. Erst wurde ihm das Arbeiten im Alleingang zugesichert, dann kam Hilde Attensam mehr unfreiwillig als freiwillig hinzu. Und nun dieser Junge. »Und was soll Kevin bei uns machen?« Berechtigte Frage, ging er doch davon aus, dass man ihnen diesen prominenten Fall so schnell wie möglich entziehen würde. Niemand traute einem Wrack wie ihm als Einstieg gleich einen Mord zu. Noch dazu einen an einem Prominenten. Leo Katzinger setzte zur Höchstform an: »Gut, dass Sie fragen! Herr Wiesinger hat zahlreiche sehr renommierte Lehrgänge im In- und Ausland, ähm, ausprobiert. Unter anderem sogar beim FBI in Quantico.« Die Pause sollte den letzten drei Worten vermutlich besonderes Gewicht verleihen. Metz feines Gehör und sein untrüglicher Instinkt hingegen blieben an einem anderen Wort aus dem Mund des Herrn Hofrat hängen: »Ausprobiert? Nicht absolviert?« Nun ergriff der Stein des Anstoßes selbst das Wort. Kevin, beide Hände so tief in den Taschen seiner Jeans vergraben, dass er sich problemlos an den Knien hätte kratzen können, führte aus: »Wir waren quasi nicht kompatibel miteinander.« Metz hakte nach: »Wer ist wir?« »Das FBI und ich. Genauer gesagt: die Compliance-Richtlinien und noch so was Kleingedrucktes.« Metz wurde langsam ungeduldig, und auch Hilde Attensam hatte das Hochziehen ihrer Augenbrauen inzwischen bedrohlich perfektioniert. »Geht’s ein wenig genauer?« Statt des Delinquenten antwortete Leo Katzinger mit jovialem Grinsen im Gesicht, doch sichtlich bemüht, das Zähnefletschen dahinter nicht allzu offen zur Schau zu tragen. Metz wusste, er war angezählt. Egal, was jetzt kommen würde, er würde damit leben müssen, ob er wollte oder nicht. »Der junge Herr Wiesinger ist ein Mann mit vielen beachtlichen Talenten. Leider sind nicht alle davon, nun, wie soll ich sagen, ähm …« »Legal?«, antworteten Metz und Hilde Attensam unisono. Ihr dämmerte bereits, was diese verbale Blendgranate verschleiern sollte. Kevin grinste nur verschmitzt, ein wenig beschämt, aber dennoch sehr zufrieden mit sich und der Welt. Metz sprach ihn nun direkt an: »Sind Sie so etwas wie ein Hacker?« Kevin wurde rot im Gesicht, was angesichts seiner Blässe keine allzu beachtliche Leistung war. »Auch. Aber: Lassen wir das. Schwamm drüber, haha! Ich verfüge auch über andere, mehr kognitive Fähigkeiten, die Ihnen mit Sicherheit bei der Aufklärung Ihrer Fälle nützlich sein könnten. Mein IQ ist überdurchschnittlich, und mein Gedächtnis ist, nun sagen wir, spitze.« Nun hatte auch Cornelius Metz’ Gesicht an Farbe zugelegt. An den Herrn Hofrat gewandt, der sichtlich lieber wieder in seinem luxuriösen Büro dessen schlecht imitierten Biedermeier-Charme inhalieren wollte, als noch eine Sekunde hier ausharren zu müssen, sagte er: »Ich fasse zusammen: Sie geben mir ein Team aus einer chronisch widerständigen Kollegin, die hauptsächlich für tätliche Angriffe auf ihre Kollegen berühmt-berüchtigt ist, und einen offensichtlich international amtsbekannten Hacker? Wieso erschießen Sie mich nicht gleich, dann hätten wir es hinter uns?« Hilde Attensam ergänzte, ein wenig aus der Reserve gelockt: »Und mir wäre eine Kaffeemaschine lieber als er.« Ihre Kopfbewegung in Richtung Kevin ließ keinen Zweifel daran, dass sie auch die kognitiven Fähigkeiten einer Espressomaschine höher einschätzte als jene von Kevin. Doch Leo Katzinger hatte nun genug. Ihm hatte man direkt von oben sehr deutlich klargemacht, dass er keinen dieser drei Desperados so einfach loswerden würde, aus jeweils drei ganz unterschiedlichen Gründen. Er trat daher den geordneten Rückzug an und ließ das Trio mit den Worten stehen: »Mein lieber Metz, Sie sollten mir dankbar sein. Betrachten Sie drei sich einfach ab sofort als die letzten Überlebenden der ›Medusa‹. Sie sind ja so ein kunstsinniger Mensch. Sie wissen, was ich meine. Für Sie alle drei ist diese Soko, die wir exklusiv geschaffen haben, das letzte Rettungsboot. Sie wissen das, ich weiß das, der Herr Sektionschef weiß das auch. Widmen Sie sich Ihrer Arbeit in aller Stille, dann bleiben wir die besten Freunde, und Vater Staat zahlt Ihnen allen weiterhin brav Ihr Gehalt.« Er drehte sich um und verschwand. Kevin, sichtlich um gute Stimmung bemüht, reichte Metz und Hilde ungeschickt die Hand: »Ja, dann also auf supergute Zusammenarbeit. Ich freu mich, quasi. Welche Fälle liegen denn so an, hier, in dieser Soko?« Metz hatte keine Wahl. Wie es aussah, sah der erste Tagesordnungspunkt ein Meeting vor mit einem Team, das er nie wollte, aus Mitgliedern, die vermutlich überall anders lieber wären als hier bei ihm. Doch die Zeit drängte. Bereits in einer halben Stunde würden Gerry Hofinger, Svenja Beckmann und der Rest der ›Karma‹-Crew hier zur Befragung auftauchen. Bis auf Weiteres müssten sie den Mordfall Richard Mautner bearbeiten, und er musste vor allem so tun, als ob er sich und alles andere im Griff hatte. Er schloss daher die Tür und blickte Hilde und Kevin mit seinem berühmten Totschlag-Blick (so hatten ihn seine früheren Kollegen immer genannt) aus eisblauen Augen an: »Nichts von dem, was ich Ihnen jetzt sage, verlässt diesen Raum, verstanden?« Kevin und Hilde nickten stumm. Metz lehnte sich an die Schreibtischkante und verschränkte die Arme vor der Brust. Mehr als zwei Stühle hatte das improvisierte Büro noch nicht. Diese Info hätte eigentlich geheim bleiben sollen, doch angesichts der Tatsache, dass man ihm nun den Neffen des zuständigen Sektionschefs im Innenministerium direkt ins Team platziert hatte, war Transparenz ohnehin mehr als gegeben. »Es gibt immer wieder Fälle, die der Wiener Polizei um die Ohren fliegen könnten. Schlechte Presse zu vermeiden, ist dabei oberstes Gebot. Und wenn Sie es ganz genau wissen wollen: Unseren Job hier gut zu machen, bedeutet eine Aufklärungsquote von null Prozent. Wir sollen die Fälle bekommen, die am liebsten unentdeckt oder zumindest ungelöst bleiben sollen.« Hilde Attensam war sichtlich irritiert: »Sie meinen, wir sollen die Ermittlungen absichtlich verschlampen?« Kevin konnte nicht an sich halten: »Wow, geil! Im Ernst? Weiß das mein Onkel?« Metz holte tief Luft und antwortete dann so ruhig wie möglich: »Ihr Onkel hatte, wenn ich es richtig verstanden habe, die Idee dazu. Und nein, natürlich sollen wir die Ermittlungen weder verschlampen noch sabotieren. Wir werden so ermitteln wie jede andere Einheit auch. Aber wir werden ziemlich sicher nicht gerade die Fälle zugeteilt bekommen, wo uns die Lösung auf dem Silbertablett serviert wird. Außerdem muss uns klar sein, dass wir an der ultrakurzen Leine von Polizeichef und Innenministerium hängen.« Kevin pfiff leise durch die Zähne. »Eine Polizeiverschwörung mitten in Wien, angeordnet von oberster Stelle. Schade, dass ich kein Whistleblower bin.« Hilde Attensam sah ihn genervt an: »Sie haben es ja gut. Wenn es hier bei uns nicht läuft für Sie, geht’s einfach zurück in die USA.« Kevin blickte verlegen zu Boden und sagte dann leise, kaum hörbar: »Nein, das geht leider nicht. Ich habe Einreiseverbot. Lebenslänglich.« »Na super!«, entfuhr es Metz. Hilde schüttelte nur den Kopf. Eine Sache interessierte sie dann aber doch noch: »Was hat der Chef eigentlich mit der Medusa gemeint?« Noch bevor Cornelius Metz antworten konnte, sah Kevin seinen Moment des Ruhms gekommen. Er antwortete eifrig: »Diese Aussage hat sich ziemlich sicher auf ein Vorkommnis während der napoleonischen Kriege bezogen. Das Schlachtschiff ›Medusa‹ lief mit 400 Menschen an Bord auf Grund. Aus den Trümmern zimmerten die Überlebenden notdürftig ein Floß, welches trotz seiner geringen Maße immer noch mehr als 140 Überlebende aufnehmen konnte. Wirklich überlebt haben letztendlich aber nur zehn davon.« Nun mischte Metz sich ein: »Ja, und vorher haben sie sich gegenseitig aufgegessen und sind dem Wahnsinn verfallen.« »Sie sind wirklich so ein Überflieger, oder?«, setzte Hilde nun mit einem Hauch von Anerkennung in der Stimme Richtung Kevin nach. Doch ihr Wohlwollen musste dieser Möchtegern-Anonymus sich erst verdienen. Daher griff sie zum meistgehassten Satz ihrer Polizeikarriere, diesmal von der anderen Seite der Hackordnung aus: »Aber hier halten wir uns an die Dienstvorschriften und die Rangordnung, verstanden?« Erschrocken stellte sie fest, dass sie Metz vermutlich gerade übergangen und ihm ins Wort gefallen war. Doch dieser nickte nur zustimmend und ergänzte: »Wir haben bis auf Weiteres viel zu tun. Auch wenn es vermutlich nur eine Frage der Zeit ist, bis wir den Fall abgeben