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Wie denkt eine Malerin, deren Bilder keine Grenzen kennen? Katharina Grosse zählt zu den radikalsten Malerinnen der Gegenwart – ihre Werke sprengen Leinwände, besetzen Räume und lösen Grenzen auf. In diesem Band tritt sie in einen intensiven Dialog mit dem Theologen und Autor Klaus Dermutz. Über zwei Jahre hinweg entstanden zehn tiefgründige Gespräche, die zentrale Aspekte ihres künstlerischen Denkens und Handelns berühren: das Verhältnis von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, von Zeit und Bild, Wiederholung und Ursprung. Grosse spricht über ihre Materialien, die Entwicklung ihrer Methode über vier Jahrzehnte hinweg – und darüber, wie Malerei zur körperlichen, räumlichen und politischen Erfahrung wird. Ergänzt wird das Buch durch zahlreiche, teils unveröffentlichte Abbildungen aus dem persönlichen Archiv der Künstlerin. Highlights des Buches: - Einblicke in Grosses malerische Praxis über vier Jahrzehnte hinweg - Zahlreiche, teils unveröffentlichte Archivaufnahmen und Werkbilder - Teil der renommierten Reihe Hatje Cantz Text Ein unverzichtbares Buch für alle, die Kunst nicht nur sehen, sondern verstehen wollen – reflektiert, persönlich und inspirierend. KATHARINA GROSSE (*1961 in Freiburg i. Br.) hatte Professuren an der Weißensee Kunsthochschule Berlin (2000–2009) sowie an der Kunstakademie Düsseldorf (2010–2018) inne. Ihre Arbeiten sind in zahlreichen internationalen Sammlungen vertreten. Zuletzt widmete ihr die Albertina in Wien eine Einzelausstellung (Warum Drei Töne Kein Dreieck Bilden, 2023/24), aktuell zeigt das Centre Pompidou – Metz drei raumgreifende In-situ-Arbeiten (Déplacer les étoiles, bis Februar 2025). Grosse lebt und arbeitet in Berlin und Neuseeland. KLAUS DERMUTZ (*1960 in Judenburg, Österreich) ist Autor und Publizist in den Bereichen Bildende Kunst und Theater. Seit 1990 Veröffentlichungen in Die Zeit, Süddeutsche Zeitung, Theater heute u.a., 2001–2009 Mitherausgeber der Edition Burgtheater. Zahlreiche Bücher über die Theaterarbeit, u.a. zu Andrea Breth, Otto Sander, Klaus Michael Grüber, Christoph Marthaler, Peter Zadek, sowie Publikation eines Gesprächsbandes mit Anselm Kiefer.
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Seitenzahl: 241
Veröffentlichungsjahr: 2025
Katharina GrosseIm Gespräch mit Klaus Dermutz
Herausgegeben vonColin Lang und Dirk Luckow
Vorwort
Dirk Luckow
Wunderbild
Ausstellungsansichten Deichtorhallen Hamburg
Gespräche
»Ich bin mit allen Elementen gleichgestellt«
»Ankommen und Abfahren bewegen mich emotional am stärksten«
»Die Unterbrechung ist zentral in meinem Werk«
»Der Sprung ist das Entscheidende«
»Der Baum könnte ein Pinsel sein«
»Die Erde manifestiert sich sofort in meinem System«
»Die Falte ist ein großartiges Element«
»In meiner Arbeit wird Vehemenz aufgeführt«
»Das Bild spricht immer wieder in einer anderen Sprache zu mir«
»Als würde man eine dünne, leise Stimme immer wieder überlagern«
»Wahrnehmung von Sprachlosigkeit angesichts der Existenz«
Widmung und Dank
Fotonachweis
Seit den 1960er-Jahren eroberte die internationale Avantgarde neue Freiräume und integrierte verstärkt gesellschaftliche und soziale Kontexte in die künstlerische Praxis. Diese Entwicklung prägt bis heute die Ideen und Methoden der zeitgenössischen Kunst. Auch die Malerei ist von diesem Streben nach einem größeren Zusammenhang beeinflusst – ein Prozess, den Katharina Grosse seit über 25 Jahren konsequent verfolgt.
International bekannt wurde Grosse in den späten 1990er-Jahren für ihre aufsehenerregenden Installationen, die sie direkt vor Ort in Sprühtechnik ausführte. Ihre erste direkt auf die Architektur gesprühte Arbeit entstand 1998 in der Kunsthalle Bern. Bald darauf erweiterte sie ihre Werke auf größere Flächen und verwandelte nicht nur Wände und Böden von Museen und Ausstellungshallen, sondern auch ganze Landschaften und urbane Räume, Naturmaterialien und Objekte in begehbare Farbräume.
Stets sind die Ergebnisse radikal malerisch gedacht. Sie verbindet die Leuchtkraft ungemischter Farben mit dem großflächigen Charakter der Landart, wodurch sie die Grenzen zwischen Zwei- und Dreidimensionalität aufhebt. Heute gehört Katharina Grosse zu den bedeutendsten Künstler*innen der Gegenwart. Ihr Werk steht exemplarisch für die Aufhebung der traditionellen Grenzen der Malerei und fordert die Betrachter*innen in einzigartiger Weise dazu auf, ihre gewohnten Seh- und Denkweisen zu hinterfragen.
Der vorliegende Gesprächsband, zugleich Begleitpublikation zur Ausstellung in den Deichtorhallen Hamburg, versammelt elf ausführliche Interviews, die Klaus Dermutz in den Jahren von 2020 bis 2022 mit Katharina Grosse in ihrem Atelier in Berlin-Moabit geführt hat. In den Interviews werden zentrale Themen ihres künstlerischen Schaffens vertieft wie in keiner anderen Publikation zuvor – etwa das haptische Bild, die Grenze, Umkehrung, Wiederholung ohne Ursprung, Unterbrechung, das Sichtbare und das Unsichtbare, Zeit, um nur einige wenige zu nennen.
In den Gesprächen werden auch die im Laufe der vergangenen vierzig Jahre sich diversifizierenden Methoden (fräsen, häufen, gießen, drucken, sprühen etc.) und Materialien (etwa Erde, Holz, Aluminium, Latex, Glas oder Metallgewebe) ihrer Arbeit diskutiert. Es wird der Frage nachgegangen, in welcher Weise diese Katharina Grosses Erkenntnisse über die Möglichkeitsformen des gemalten Bildes prägen. Zur Bebilderung stand ein reicher Fundus von Reproduktionen sowohl aus dem Werk- als auch aus dem Privatarchiv Katharina Grosses zur Verfügung. So öffnet sich ein facettenreiches Panorama ihrer radikalen Denk- und Arbeitsweise.
Der Wunsch, Katharina Grosse einmal die Räume der Deichtorhallen Hamburg für ihre energiegeladene immersive Kunst zu überlassen, bestand seit Langem. Umso mehr freuen wir uns, dass mit der Installation Wunderbild ein absolutes Meisterwerk und Meilenstein ihrer Kunst die Weite des Raums der Halle für Aktuelle Kunst mit der expansiven Kraft ihrer Malerei vereint und zugleich Ausgangspunkt einer umfangreichen Ausstellung ihrer Kunst geworden ist. Das begehbare Werk, das außer in Prag noch an keinem anderen Ort zu sehen war, fordert die klassischen bildlichen Darstellungsformen ganz besonders heraus. Ursprünglich 2018 für den Messepalast der Nationalgalerie Prag entwickelt, hat Katharina Grosse die kolossale Installation in der großen Halle der Deichtorhallen neu inszeniert und mit einer eigens für das Werk komponierten Soundarbeit von Stefan Schneider ergänzt. Die Installation besteht aus zwei gigantischen etwa 55 Meter breiten Gemälden auf sich überlagernden Stoffbahnen, die von der Decke herabhängen, einige Meter über den Boden fließen und von beiden Seiten betrachtet werden können. Der zentrale Raum der Halle für Aktuelle Kunst bleibt ansonsten unberührt, wodurch das Wunderbild ungeteilte Aufmerksamkeit erhält. Die Malerei erstreckt sich auf zwei Flächen über mehr als zwei Drittel der Länge der Halle und wirkt, als ob die Natur selbst in ein Bild verwandelt worden wäre. In dieser Farbschlucht bewegen sich die Besucher*innen durch einen Korridor zwischen den Stoffbahnen, wodurch das Kunstwerk seine begehbare Dimension erhält und sich beim Durchschreiten zu einem lebendigen Reflexionsraum verwandelt.
Wie im Katalog zur Prager Installation hervorgehoben, stellt das Werk einen Wendepunkt in der Karriere der Künstlerin dar. Zum ersten und einzigen Mal arbeitet Katharina Grosse auf einer derart großen Fläche mit Schablonen. Die so entstehenden Leerstellen innerhalb der komplex geschichteten Malerei wirken wie Fenster zu imaginären Räumen und verleihen der Arbeit einen architektonischen Charakter. Der Wechsel zwischen den vor- und zurückspringenden besprayten und nicht besprayten Passagen öffnet die Arbeit für mannigfache Interpretationen und Assoziationen. So ließe sich bei den unbemalten Stellen von unbesetzten Zwischenräumen sprechen – von Bildfenstern oder Bildrahmen im Bild, die an Mussorgskys Bilder einer Ausstellung denken lassen und zu wechselnden Spaziergängen zwischen verschiedenen Bildern im Bild einladen. Auch lassen sie sich als geheimnisvolle Schalllöcher im Klanggefüge der irisierend lodernden dunkel- und hellgrünen, roten oder blassblauen Farbversprühungen wahrnehmen; hermetische blanke Felder, die perspektivisch und räumlich aus dem Rhythmus des weiten Kontinuums der aktionsgeladenen Malerei fallen. Katharina Grosse hat neben Schablonen immer wieder auch mit zerschnittenen Leinwänden gearbeitet – als ein Mittel, das Fließende und Illusionistische der verwehten Farbspuren mit Hard-Edge-Malereiformen zu unterbrechen.
In einem 300 Quadratmeter großen Raum hinter der Halle hat Grosse eine Erdarbeit ausgeführt, die einen spannungsvollen Kontrast zu den großflächigen, hängenden Stoffbahnen bildet. Die Malerei erstreckt sich nahezu über die gesamte Bodenfläche und setzt sich nahtlos auf organischen Erdhügeln fort. Auch hier führt ein schmaler Pfad durch die Landschaft aus Lehm und erlaubt es den Besucher*innen, das Werk aktiv zu erfahren. Der Geruch und die haptische Qualität der Erde beeinflussen die Wahrnehmung, während sich die Farben je nach Bewegung der Betrachter*innen und einfallendem Licht verändern. Indem die Besucher*innen reale, von der Künstlerin nicht kontrollierbare Abdrücke hinterlassen und die Farbe mit ihren Füßen zerstäuben, wird die Aura des Kunstwerks erweitert.
In der Ausstellung befinden sich sechs großformatige Leinwände, die eine markante Veränderung in Grosses Werk zwischen den 2005 und 2006 geschaffenen Werken und denen von 2024 verdeutlichen. Die früheren, größtenteils mit breiten Pinseln gemalten Arbeiten wirken reduzierter und in gewisser Weise sperriger, mit ausladenden Farbgesten, die die Flächigkeit der Farbgefüge unterstreichen und die Farbe als Farbsetzung offenlegen. Die charakteristischen Farbbewegungen der Künstlerin werden über die Ränder der Leinwände hinausgeführt und streben eine Entgrenzung des Bildraumes an – ein Konzept, das in ihrer künstlerischen Praxis eine zentrale Rolle spielt und im Panoramahaften unmittelbar bleibende Sinneseindrücke hinterlässt. Die in Sprühtechnik ausgeführten neueren Werke hingegen sind verspielter und serieller, mit wilden Farbbündeln, die in achterbahnähnlichen Farbschleifen unentwirrbar sich aus der Tiefe des Bildes herausbilden. Schärfere und unschärfere Partien grenzen sich wie in einer Fotografie voneinander ab. In diesen Arbeiten verschmelzen die Ausdrucksmittel – Spraydüse und Gestus der Künstlerin – miteinander und verstärken die emotionale Wirkung der Werke.
Die Verdichtung dieses Raumes, das intensive Zusammentreffen der Erdarbeit mit den großen Bildern, steht im Kontrast zur präzise genutzten Weite der großen Halle und erzeugt eine rhythmische Spannung. Die expansive Form bleibt dabei stets präsent, während gleichzeitig die Differenzierung im Werk betont und erlebbar wird.
Im Gegensatz zu ihren großen Installationen im Innen- oder Außenraum, bei denen Katharina Grosse mit größeren Teams zusammenarbeitet und denen unterschiedliche Planungsphasen vorausgehen, ist sie bei den Bildern, die in ihrem Studio entstehen, völlig auf sich und ihre Materialien gestellt. Der Film von Claudia Müller dokumentiert den Entstehungsprozess der Arbeiten und gewährt einen faszinierenden Einblick in die mentale und körperliche Dimension der Malerei von Katharina Grosse. Die Zuschauer*innen werden so direkt in die Überlegungen etwa zur Auswahl der Farben sowie die gestischen Momente, die das körperlich-performative Geschehen beim Malprozess prägen, einbezogen. Die Regisseurin hat das Geschehen bei der Entstehung der Werke über mehrere Tage hinweg auf dem Studiogelände in Trechwitz in Brandenburg gemeinsam mit der vielfach ausgezeichneten Kamerafrau Christine A. Maier aus verschiedenen Perspektiven dokumentiert und mit Isabel Maier, verantwortlich für die Montage, in dem 30-minütigen Film umgesetzt. Ziel des Films ist es, die Besucher*innen direkt in das Geschehen miteinzubeziehen, um unseren Blick auf das Werk der Künstlerin weiter zu schärfen.
Mein Dank gilt zuallererst Katharina Grosse für die Möglichkeit, ihre außergewöhnliche Kunst in den Deichtorhallen zu präsentieren, sowie für die inspirierende Zusammenarbeit. Besonderer Dank geht auch an ihr Studioteam, stellvertretend genannt seien Hans Grosse, Maximiliane Kolle, Jona Lueddeckens, Ivonne Schwarz und Philippa von Wittgenstein. Ein weiterer Dank geht an Klaus Dermutz für die hier veröffentlichten Interviews, die das Werk von Katharina Grosse luzide befragen. Ohne diesen Dialog wäre uns Vieles an wertvollem Wissen verschlossen geblieben. Ich möchte auch Colin Lang, dem Mitherausgeber und Übersetzer des Buches, Kristin Rieber, die die Publikation redaktionell betreut hat, den Lektor*innen sowie dem Hatje Cantz Verlag für ihre großartige Arbeit danken. Für den exzellenten Film über Katharina Grosse, der im Rahmen der Ausstellung Premiere feierte, danke ich Claudia Müller und ihrem Team sowie der Produzentin Rebekka Garrido von Manderley Films. Außerdem danke ich all denjenigen herzlich, die das Projekt finanziell unterstützt haben. Gagosian, Galerie Max Hetzler, Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, National-Bank Essen, Peter Frankenheim Stiftung sowie der Wunderblock Stiftung sei für die generöse Unterstützung des Films gedankt. Des Weiteren danke ich dem Förderkreis der Deichtorhallen unter der Leitung von Julia von Jenisch für ihre abermals tatkräftige Hilfe wie auch unseren Hauspartnern Hapag Lloyd, White Wall und dem Ausstellungspartner Bankhaus Metzler.
Eine Ausstellung wie diese wäre ohne den unermüdlichen Einsatz des Teams der Deichtorhallen Hamburg nicht denkbar. Ich möchte allen Kolleg*innen ausdrücklich danken und dabei Bert Antonius Kaufmann hervorheben, der sich als Kaufmännischer Direktor mit großem Engagement für diese Ausstellung und ihre Realisierung eingesetzt hat. Ich danke Annette Sievert, die als Projektmanagerin zusammen mit ihrer Assistentin, Vilja Gunzelmann, das anspruchsvolle Vorhaben mit großartigem Einsatz, Augenmaß und Einfühlungsvermögen umgesetzt hat. Dabei stand sie in kontinuierlichem Austausch mit der Registrarin der Deichtorhallen, Lydia Jung, die für die Abwicklung der Leihgaben sowie für das Art-Handling-Team verantwortlich war. Die technische Umsetzung, insbesondere des Wunderbildes, stellte eine besondere Herausforderung dar, die von der technischen Abteilung unter der Leitung von Henning Best meisterhaft bewältigt wurde. Jutta Wasser danke ich wiederum für ihre grafischen Gestaltungen im Ausstellungsraum in enger Zusammenarbeit mit dem Studio Grosse. Ein ausdrücklicher Dank gilt auch der gesamten Kommunikations- und Verwaltungsabteilung der Deichtorhallen, insbesondere Sonja Ostendorf für das Fundraising.
Die Ausstellung Wunderbild regt dazu an, Malerei in einer neuen Dimension zu erleben – als unmittelbare körperliche und geistige Erfahrung. Sie eröffnet einen Raum für eine neue Wahrnehmung von Kunst, die uns aus dem Alltag heraushebt und neue Perspektiven auf die Welt eröffnet. Alle zuvor Genannten haben dazu beigetragen, mit dieser Ausstellung von Katharina Grosse die Welt ein Stück intensiver und anders erfahrbar zu machen. Genau dafür ist die Kunst da.
Dirk Luckow
Intendant der Deichtorhallen Hamburg
S. 13–26
Wunderbild, 2018/2025, Acryl auf Stoff, 1300 × 1800 × 6000 cm
S. 28
o. T., 2024, Acryl auf Leinwand, 295 × 422 cm
S. 29, 32
o. T., 2005, Acryl auf Leinwand, 298,8 × 900 cm
S. 30, 32/33, 42
o. T., 2024, Acryl auf Leinwand, 298 × 605 cm
S. 30–44
o. T., 2025, Acryl auf Lehm, 75 × 3100 × 1100 cm
S. 31, 33, 38, 42/43
o. T., 2024, Acryl auf Leinwand, 287 × 587 cm
S. 34, 36/37, 38
o. T., 2005, Acryl auf Leinwand, 393 × 900 cm
S. 34/35, 39, 40/41
o. T., 2006, Acryl auf Leinwand, 298 × 598 cm
Frau Grosse, Sie wurden 2000 für den »Preis der Nationalgalerie« im Hamburger Bahnhof nominiert. Für die Ausstellung haben Sie eine Wand in die Historische Halle gebaut. Auf der einen Seite trugen Sie auf weißem Grund lange bronzefarbene Bahnen auf, auf der anderen Seite schufen Sie in Sprühtechnik eine flüchtige Welt aus Rosa, Orange, Violett, hellem und dunklem Grün. Wie war es für Sie nun, zwanzig Jahre später, wieder im Hamburger Bahnhof zu arbeiten?
Damals waren die Gegebenheiten anders: Bei der Ausstellung zum »Preis der Nationalgalerie« wurden die Arbeiten aller vier Finalisten gezeigt. Wir verhielten uns strategisch zueinander. Wir dachten darüber nach, wie wir mit dieser Räumlichkeit umgehen können, ohne dass wir uns Kabinette bauen, aber trotzdem jede künstlerische Position einen Wirkungsradius entfalten kann. Jeder stellte für sich einen Ort her, Ólafur Elíasson realisierte eine große Erdarbeit, presste eine Mauer aus Erde, und Dirk Skreber zimmerte für seine Bilder drei Innenräume aus Holz, die an Baustellenzäune erinnerten, Christian Jankowski schuf eine Projektion, und ich baute quer zur Historischen Halle eine Wand, um die Halle wie zwei Räume zu beanspruchen.
Bei It Wasn’t Us (2020) hatten Sie nicht nur den gesamten Innenraum, sondern auch den Außenbereich zur Verfügung.
Bei It Wasn’t Us hat die Halle eine völlig andere Bedeutung, obwohl auf jeden Fall das von oben kommende Licht ähnlich ist, es exponiert den Raum, leuchtet ihn wie in einem Modell aus. Der Raum steht für eine bestimmte Architektur und nimmt Anregungen der englischen Stahlbauarchitektur von Mitte, Ende des 19. Jahrhunderts auf. Es ist mir bewusst gewesen, dass ich das einzige Auge bin, das von oben in den Raum sieht. Ich sah von außen in den Raum und fragte mich, wie sich meine Arbeit darin entfalten und auch im Außenbereich weitergeführt werden könnte.
Ein Gestaltungsprinzip japanischer Gärtner ist es, bei einem Innenraum immer auch das Außen mitzudenken und in die Gestaltung einzubeziehen.
Die Idee des Mitschauens ist auch für meine Arbeit ungeheuer wichtig. Sie sprechen vom japanischen Prinzip der geliehenen Landschaft. Es verhält sich wie bei dem umgebauten Supermarkt in Friedrichshain, wo ich zurzeit in Berlin wohne. Hinter dem Garten stehen Bäume entlang der Straße und dahinter befindet sich eine weitere Baumreihe. Sieht man die Straße und Häuser nicht, sondern nur die Baumreihen, denkt man, man lebt in einem Park. Beim Hamburger Bahnhof spielt auch das Zeichensystem eine Rolle, das die Halle umgibt. Was ist zu sehen, wenn die Tür aufgeht? Wie bewegt sich der Himmel, wenn ich durchs Fenster blicke? Diese visuellen Einflüsse können zu Entscheidungen in meiner Arbeit führen.
Vor zwanzig Jahren haben Sie mit einer eingebauten Wand diese Halle verriegelt. In der Publikation zu Ihrer 2002 und 2003 in Birmingham, München, St. Gallen und Kiel gezeigten Ausstellung Cool Puppen – Der weiße Saal trifft sich im Wald – Ich wüsste jetzt nichts äußern Sie sich folgendermaßen über diese Arbeit: »Da habe ich, weil der große Raum so gutes Licht hat, versucht, mit einer freistehenden Wand zu arbeiten, die die große Halle verriegelt. So dass man nicht wissen konnte, was sich hinter der Außenseite der Malerei innen auftun würde. Ich wusste nicht genau, ob es wirklich ein Bild war oder bemalte Architektur … es war ambivalent.« Bei It Wasn’t Us empfindet man eine extreme Öffnung. Die Inszenierung des Raums beginnt mit zwei zur Seite geschlagenen Vorhängen: Durch ein diskretes Grau betritt man den Raum.
Auf jeden Fall ist es eine Inszenierung des Bildes. Jede Ausstellung stellt auch die Frage: Wie werden die Bilder gezeigt, wo sind sie, nicht nur welche Bilder sind zu sehen? Wie bewegt sich das gemalte Bild im Raum, welches Verhältnis hat es zum Volumen? Könnte das gemalte Bild nicht viel unabhängiger von der gebauten Wand bzw. der zur Verfügung gestellten Wand sein?
Sie haben vor einem Jahr die kuratorische Einladung für It Wasn't Us bekommen. War es eine offene Einladung, wurden auch Wünsche und Anregungen ausgesprochen?
Die Kuratorin Gabriele Knapstein und Direktor Udo Kittelmann luden mich aus unterschiedlichen Gründen ein, beide kennen meine Arbeit, verfolgen sie seit Langem. Bei Udo Kittelmann spielt immer der Zeitpunkt und der Ort eine Rolle, das Aufeinandertreffen bestimmter örtlicher Gegebenheiten wird tatsächlich für eine künstlerische Arbeit sinnvoll. Udo Kittelmann interessierte es besonders, auch den Außenraum mitzubenutzen und dem Expansiven und Großformatigen der Arbeit eine Entfaltungsmöglichkeit zu geben. Gabriele Knapstein war sehr an der plastischen Arbeit interessiert. In der Ausstellung One Floor Up More Highly, 2011 in mass MoCa in North Adams nördlich von New York, hatte ich ebenfalls große, geschnittene Formen gezeigt. Die Ausstellung hatte eine intensive Innen- und Außenbeziehung, die Architektur im Raum sah wie eine Hausfassade aus, aber es gab noch keine physische Verbindung zwischen Innen und Außen. Diese Verbindung herzustellen, fing mit It Wasn’t Us an, Sinn zu ergeben. Ich bemerkte, wenn ich die großen Flügeltüren öffne und danach vom Gelände wieder ins Museum zurückgelange, habe ich in der Ausstellung einen anderen Bewegungsfluss, ich kann das Innen und Außen zu einem neuen Scharnier machen. Zum Verriegeln des Raums ist zu sagen, die Historische Halle hat das Problem, dass man am Eingang wie auf einer Empore steht und sofort alles sieht. Läuft man durch die Ausstellung, vollzieht man nur noch nach, was man am Anfang schon vermutet hat. Ich wollte nicht defensiv arbeiten, dass man vorne zumacht, nichts mehr sieht und um eine Wand herumlaufen muss. It Wasn’t Us entfaltet sich Stück für Stück durch die Nahsicht des Werks. Am Anfang hat man ein Fernbild, und ich dachte mir, ich könne aus der Fernsicht ein Bild herstellen, das eine neue Form bekommt, wenn man sich in ihm befindet. Das plastische Gebilde ist nach allen Seiten hin angerissen, es teilt den Raum nicht horizontal und auch nicht vertikal, es versperrt manche Laufwege, an einigen Stellen kommt man nur mit den Augen durch.
It Wasn’t Us, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin, 2020, Acryl auf Boden, Polystyrol und Bronze, Farbe auf Asphalt, Beton, Ziegel und Metall, 700 × 6500 × 18 300 cm
Sie meinten einmal, das Bild ist bereits im Raum enthalten, in der Ausstellung kommt es in die Präsenz.
Ich würde sogar sagen, dass es sich mit der Malerei insgesamt so verhält. Wir Künstler aktualisieren mit verschiedenen Ansätzen und Perspektiven das Vermögen, Bilder zu malen, und führen den Schatz des gemalten Bildes fort, der seit vielen, vielen tausenden Jahren existiert. Die große Anwesenheit von Malerei wurde über Jahrhunderte hin etabliert und wird wie beim Staffellauf an die nächste Generation übergeben. Im Grunde genommen steht in der Malerei ein riesiges Bild zur Verfügung, und von dem Bild wird immer wieder nur ein Teil aktualisiert oder sichtbar gemacht. It Wasn’t Us kann auf diese Weise gesehen werden.
Für Sie ist ein bestimmter Geist in den Räumen anwesend – von der Geschichte, der Architektur, der Verwendung des Raums und auch vom Licht her.
Ich denke nicht, dass es ein bestimmter Geist ist. Ich bin mir nicht sicher, ob ich in der Lage bin, solche spezifischen Gegebenheiten wahrzunehmen. Ich stoße auf eine Ablagerung ineinander gebetteter Bildfolgen und in ihnen lasse ich die Möglichkeit des von außen hereinschwappenden Bildes sichtbar werden. Vielleicht birgt die durch meine Arbeit eingeschriebene Realität eine höhere, dichtere Form von Information, sie hat nicht nur eine funktionelle Zuschreibung. Es ist für mich von großem Interesse, diese Form jenseits des Realen zu erfahren und deshalb wehre ich mich gegen den Begriff des Abstrakten.
Die Styroporblöcke in mass MoCa waren nicht bemalt, erschienen wie kristallisiertes Licht. Wie verhielt es sich mit den Styroporblöcken in It Wasn’t Us? Diese Blöcke wurden zunächst in Hannover digital gefräst und dann von Ihnen mit einem glühenden Draht geschnitten.
Ich hatte schon einmal große Stücke mit heißem Draht geschnitten, auf zehn Meter Länge für eine filigrane Arbeit 2017 in Shanghai. Für die von der K11 Art Foundation und dem Chi K11 Art Museum veranstaltete Ausstellung Mumbling Mud schoben wir auch schon Einzelteile zusammen, sodass es wie eine große Arbeit aussah. Schneidet man einzelne Teile mit heißem Draht, hat es den Vorteil, dass man Unterschnitte und Aushöhlungen so ineinanderschieben kann, dass man Räume generiert, die im Algorithmus unmöglich darzustellen sind. Sie sind schwer wiederzuerzählen, aber faszinierend anzuschauen. Das erste Modell für It Wasn’t Us war 1:100. Ich setzte sehr grobe Teile ins Modell und übermalte einzelne Strecken, ich baute auch den Außenbereich und spielte alles einmal durch. Danach ging ich davon aus, dass es im Innenraum ein großes Gebilde gibt. Dieses baute ich im Maßstab 1:50, es gefiel mir gut, ich ließ es scannen und in 1:10 fräsen. Ich bekam zwei Versionen in 1:10 zur Ansicht, beide gefielen mir überhaupt nicht. Und ich bemerkte plötzlich: Eine große, auf dem Boden stehende Skulptur, unter der man hindurch laufen kann, wird statisch schwer zu bewältigen sein. Mit meinem Schneideassistenten Arne Schreiber schnitt ich die beiden 1:10-Versionen mit dem heißen Draht total auseinander und reformulierte sie. Wir kamen auf keinen grünen Zweig. Wir fingen an, ganz neue Elemente in 1:10 neu zu schneiden und stellten fest, dass bestimmte Sachverhalte in der Halle von Bedeutung sind: Es muss in der gesamten Skulptur Löcher geben, damit man von der einen auf die andere Seite sehen kann, und es muss auch Stellen geben, an denen sich die Seiten schließen. Wir schnitten fünf verschiedene neue Elemente, jedes Element entwickelte bestimmte Charakteristika: Es gab ein großes, gerade geschnittenes Element mit Lichtschneisen und Tälern und es gab sehr flache Elemente, die nur bis zur Hüfte gingen und wie über dem Boden schweben sollten. Wir arbeiteten sehr lange daran, die einzelnen Elemente miteinander in Verbindung zu bringen, gaben wiederum zwei Versionen bestehend aus jeweils fünf Stücken zum Scannen und ließen sie zu 1:5-Modellen hochskalieren. Wir bearbeiteten auch diese wieder mit heißem Feindraht und differenzierten sie aus. Es musste entschieden werden, wie detailliert unser Schnitt sein muss, damit er im letzten Skalierungsschritt (im Maßstab 1:0,9) sichtbar wird. Wird das Teil zu kompliziert, wird es zu fein? Wir schnitten auch das 1:5-Modell fein, ließen es wieder scannen und das gesamte Gebilde in 1:0,9 fräsen, sodass es dicker war, als wir es brauchten. Zwischendurch hatten wir im Hamburger Bahnhof eine Stellprobe gemacht und daraufhin entschieden, die Arbeit größer und höher zu machen, als wir dies zunächst vorhatten. Ich schnitt Segment für Segment in Hannover mit dem heißen Draht nach, bevor wir sie in Berlin etagenweise zusammenbauten. In Hannover sah ich die zusammengebaute Form nie.
Wie funktioniert Schneiden mit heißem Draht? Die digitale Fräsmaschine kann sehr präzis die Vorgaben umsetzen.
Die Fräsmaschine hat einen anderthalb bis zwei Zentimeter dicken Kopf. Die Oberfläche weist sehr feine Verläufe auf, wie Linien oder eine Struktur, und das Tolle am Styropor ist, dass der heiße Draht die Oberfläche zu etwas sehr Glattem verschmilzt, wie sehr glatter Schnee. Dadurch reflektiert dieses Material auch fantastisch. Bekommt das Styropor eine geriffelte Oberfläche, wird alles weicher, es sieht wie eine weiche, über allen Dingen liegende Decke aus. Mit dem Draht kann ich sehr scharfe, federartige Kanten schneiden und das große Gebilde auch fragil machen.
Auf welche Distanz schneiden Sie?
Wir schnitten auf vierzehn Meter, wechselten aber oft die Entfernung. Manche Elemente schnitten wir auch nur auf drei Meter, und einmal schnitt ich sie auch mit einem Einhandbogen. Wir probierten alle Techniken und wandten auch Schneidetechniken an, die wir während der Arbeit kennengelernt hatten. Es war konzeptuell äußerst interessant, dieses Gebilde zu entwickeln.
Was sind das für Schneidetechniken?
Zum Beispiel auf große Entfernungen gerade zu schneiden. Oder man lässt den Draht ins Styropor einsinken und weiß eine ganze Weile nicht, was er macht, und zieht ihn an einer anderen Stelle heraus. Oder die Person an dem einen Ende des Drahtes bleibt an einer Stelle stehen, während die Person am anderen Ende den Draht führt. Wenn man in einer Entfernung von zehn Metern zueinander arbeitet, sieht man den Draht nicht mehr, man sieht nur die andere Person. Vor dem Schneiden bespricht man, was man vorhat, und bewegt sich mit dem Draht gegenläufig zueinander in die unterschiedlichsten Richtungen. Das vorgefräste Stück erleichterte es uns, bestimmte Entscheidungen im Voraus zu treffen und dennoch die Ankerpunkte in der Topografie zu behalten. Manchmal schnitten wir die Form nur nach, manchmal veränderten wir sie grundlegend.
Hat Ihnen der Schnitt mit dem heißen Draht bei der Entwicklung von It Wasn’t Us geholfen?
Bei komplizierteren Aufbauten ist es interessant zu sehen, dass das Geschnittene nicht ohne die Malerei gedacht ist. Schon beim Schneiden bin ich damit beschäftigt, wie das Objekt sich im Raum bewegt. Letztlich konnte ich erst zum Schluss sagen, ob es sich in die vorgestellte Richtung entwickelt hat. Bei diesen Prozessen gibt es oftmals Bewegungen, die völlig neue Möglichkeiten zeigen, sodass eine Bewertung lange Zeit gar nicht vorgenommen werden kann. Diese Freiheit in der Bewertung hat mir das Malen sehr erleichtert. Als die Malerei begann, konnte ich mich mit viel Neugier der frisch geschnittenen Form nähern.
Sie beginnen eine Arbeit meistens aus einer Ecke heraus. War dies bei It Wasn’t Us auch der Fall?
Nein, ich bin von der Skulptur ausgegangen. Ganz am Anfang dachte ich, ich müsste aufpassen, dass die Arbeit nicht zu groß wird und nicht zu viel vom Hamburger Bahnhof verschwindet.
War die Skulptur im Modell nicht um einiges größer?
Vielleicht, schwer zu sagen. Das denkt man vielleicht, wenn man das Modell der Skulptur von oben sieht. Vieles gestaltet sich beim Malen vor Ort anders. Die Lineatur, die ich mit der Minipistole dem Modell einschreiben kann, ist sehr genau gerichtet und von einer überdimensional entfernten Hand gemalt. Vor Ort habe ich mit der Lanze einen völlig anderen Radius. Ich musste erst anfangen, das Gebogensein des Malstroms zu verstehen, ich habe lange gebraucht zu begreifen, was für ein toller Richtungswechsel dadurch möglich ist. Am Anfang hat es mich gestört, dass ich mich nicht linear zur Arbeit verhalten konnte.
Wie lange ist die Lanze?
Drei bis vier Meter.
Und der Bereich, der dadurch gesprüht werden kann?
Das kann ich gar nicht in Metern ausdrücken, aber er ist groß. Es kommt noch hinzu, dass ich mich ständig bewege. Zwei, drei Assistent*innen sorgen unentwegt dafür, dass genug Farbe läuft und ich so lange malen kann, wie ich will. Meine Mitarbeiter*innen bewegen sich hinter mir her, tragen den Schlauch, sodass ich über nichts laufe oder falle, und mich gänzlich ungehindert fühle.
Wie viel Farbe geht in eine Füllung der Lanze, ein halber Liter?
Nein, das ist eine Maschine, sie hat hinten einen Stutzen, der saugt die Farbe aus Zwanzig-Liter-Eimern an.
It Wasn’t Us entsteht, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin, 2020, Acryl auf Boden, Polystyrol und Bronze, Farbe auf Asphalt, Beton, Ziegel und Metall, 700 × 6500 × 18 300 cm
Wie lange können Sie so arbeiten?
Solange ich will.
Wie ist es während Ihrer Arbeit mit dem peripheren Sehen bestellt? Bringt die Schutzmaske eine Einschränkung mit sich?
Nein, die Maske stört mich gar nicht mehr, sie ist wie eine zweite Natur. Das Bild setzt sich aus dem zusammen, was ich gerade mache, und all dem, was ich wahrscheinlich in der Erinnerung gespeichert habe. Bei It Wasn’t Us malte ich vielleicht zehn Tage von morgens bis abends im Innenbereich, ich machte nichts anderes, ging nicht weg, ging nicht raus, aß bloß etwas. Ich malte am Tag vielleicht sechs, sieben Stunden. Manchmal ging ich um die Arbeit herum und wieder zurück an den Ort, an dem ich vielleicht mit dem Gelb weiter malen wollte. Es war ein ständiges Umherlaufen und Alles-im-Blick-Haben. Wie dies genau funktionierte, kann ich Ihnen nicht erklären, aber auf jeden Fall gab es ein Bewusstsein dafür, dass ein Bild aus einem Cluster besteht, nicht aus einer linearen, logisch sich ergänzenden Handlung, das ist unheimlich trainiert und das ist es auch, was mich an der Malerei so sehr interessiert. Was ich am Anfang und was ich am Schluss mache, fällt in dem Moment zusammen, in dem ich auf die Arbeit schaue. Ich bin geübt, in Verballungen von Zeit zu denken und meine bildnerische Strategie zu organisieren.
Wassily Kandinsky schreibt in seinem 1911/12 entstandenem Hauptwerk Über das Geistige in der Kunst: »Die Farbe ist die Taste, das Auge ist der Hammer, die Seele ist das Klavier mit vielen Saiten. Der Künstler ist die Hand, die durch diese oder jene Taste zweckmäßig die menschliche Seele in Vibration bringt.« Was sind Farbe, Auge und Hand für Sie?
Es kann ständig wechseln. Ich verstehe das Bild als einen Versuch, Zusammenhänge zu formulieren. Ich mache sehr oft die Erfahrung, dass manchmal glasklar ist, warum ich etwas mache, und dann gibt es Handlungen, die ich mit sehr viel Selbstbewusstsein ausführe, von denen ich keinen blassen Schimmer habe, wie sie verursacht werden. Es ist ein impulsives, vollkommen intuitives Handeln und es gibt ein Handeln, das stattfindet, weil sonst nichts stattfinden würde. Im Außenbereich habe ich die Wand sehr schnell gemalt, an einem Nachmittag. Ich male meistens überall, bei It Wasn’t Us trennte ich den Innen- und Außenbereich, es sind zwei verschiedene Farbsysteme. Hatte ich im Innenbereich erst einmal eine Farbe, malte ich mit ihr überall. Der Außenbereich ging sehr schnell vonstatten, er fiel mir zu. Das Licht, der Wind und die Atmosphäre halfen mir dabei sehr. Das Wetter war im Mai sehr stimulierend, klar und brillant, Edelsteinschimmer überall, Diamantschimmer von frisch gefallenem Regen, vielleicht war der Wind die Taste (lacht)