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Katharina hat ihr altes Leben in Deutschland aufgegeben und freut sich auf den Neubeginn im Haus in Dubrovnik. Mit ihrer großen Liebe Jure an ihrer Seite. Ihr zukünftiger Exehemann besucht sie und bittet sie um einen Bummel durch die Altstadt, als Abschiedsgeschenk sozusagen. Aus purer Habgier fasst er einen gemeinen Plan und schreckt auch vor einem Mordversuch nicht zurück.
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Seitenzahl: 390
Veröffentlichungsjahr: 2013
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Katharina und Jure standen eng umschlungen auf ihrer Terrasse und genossen den Anblick, der sich ihnen bot. Vor ihnen breitete sich das Meer wie ein smaragdgrüner Teppich aus. Es war Sonntagvormittag und man konnte jetzt schon spüren, dass es wieder ziemlich heiß werden würde. Aber zum Glück wehte immer eine leichte Brise und ließ die Hitze nicht unerträglich werden.
Nach einigen Augenblicken vertrauten Schweigens sah Katharina ihren Liebsten nachdenklich an.
»Meinst du, dass es nun vorbei ist und dass Dirk begriffen hat, dass kein Platz mehr in meinem Leben für ihn ist?«. Zweifel schwangen in ihrer Stimme mit. Sie traute dem Frieden nicht so recht. Ihr zukünftiger Exehemann hatte ihrer Meinung nach zu schnell klein beigegeben. Sie war überzeugt davon, dass ihm noch irgendeine Gemeinheit zu diesem Punkt einfallen würde. Es passte einfach nicht zu ihm und war auch nicht seine Art. Sie hatte es vorhin an seinem Gesichtsausdruck ablesen können, er war völlig schockiert gewesen. Sie in den Armen eines anderen Mannes. Nachdem er sich doch sicherlich wieder große Chancen ausgerechnet hatte. Und noch dazu bei solch einer Menge Geld, die er Katharina als Abfindung hatte zahlen müssen. Daran kaute er bestimmt den Rest seines Lebens. Deshalb war er überhaupt auch hierher gekommen, um sie und sein Eigentum, als diese betrachtete er seine Frau und das Haus, dass sie von dem Geld gekauft hatte, wieder in seinen Besitz zu bringen. Von seinen diesbezüglichen Plänen, das Anwesen an Geschäftsfreunde zu vermieten oder besser noch, alles wieder zu verkaufen. Den Erlös würde er dann in sein allerneuestes Hobby stecken; ein Boot. Diese Vorhaben hatte er ihr im Detail und sehr wortreich erläutert. Es war ja schließlich das Beste für sie. Aber der Zug war endgültig abgefahren. Sie hatte hier ein neues Zuhause gefunden und würde sich ihr Leben so einrichten, wie sie es für gut befand. Damit sollte sich der, ach so, korrekte Herr Seeberg endlich abfinden. Bei nächster Gelegenheit wollte Katharina ihm das nochmal in aller Deutlichkeit klarmachen. Außerdem war hier auch Jure, ein wichtiger Teil ihres neuen Lebens.
»Lass uns den Champagner trinken, bevor er völlig warm wird«, mit diesen Worten ging Jure ins Wohnzimmer, um Gläser zu holen. Er wollte Katharina einen Moment mit ihren Emotionen alleinlassen. Sein Gefühl sagte ihm, dass seine Liebste die vergangenen Minuten verdauen musste.
Katharina hatte gestern Abend, oder genauer gesagt, heute morgen, den Tisch im Wohnzimmer für den bühnenreifen Auftritt ihres Gatten dekoriert. Langstielige Champagnergläser, der silberne Kühler mit der Flasche, mittendrin der riesige Strauß herrlicher roter Rosen, die einen atemberaubenden Duft verströmten.
Sie sah Jure gedankenverloren nach.
Eine tolle Figur. Schmale Hüften, noch betont durch die hautenge schwarze Lederhose, die er mit einer Lässigkeit trug, als wäre es seine zweite Haut. Braungebrannt, lange schwarze Haare, die ihm bis auf die Schultern fielen. Geschmeidige, fast katzenhafte Bewegungen. Aber das aufregendste an ihm waren seine Augen. Dunkel, wie das Meer, wenn ein Unwetter aufzog. Das unwiderstehlichste Lächeln, dass man sich überhaupt vorstellen konnte.
Eine blendend aussehende Erscheinung. Ein Mann, bei dem vermutlich jede Frau Herzklopfen und weiche Knie bekam.
Das hatte sogar Rosie, ihre beste Freundin, mit der sie vor noch gar nicht so langer Zeit hier ihren Urlaub verbracht hatte, zugegeben. Und die war mit solchen Äußerungen oder Komplimenten sehr vorsichtig und zurückhaltend.
Aber ihr gehörte er. Ihr ganz allein.
Als sich damals in seinem Lokal ihre Blicke zum ersten Mal getroffen hatten, war es um sie geschehen. Das war überhaupt der Moment gewesen, in dem sie sich unsterblich in Jure verliebt hatte. Den Abend brannte ihr Herz lichterloh. Sie hatte es zu diesem Zeitpunkt nur noch nicht gewusst. Außerdem nicht damit gerechnet, da sie immer der festen Meinung gewesen war, Dirk sei ihre große Liebe und der absolute Mittelpunkt ihres Lebens. Dass nichts und niemand sie trennen könnte. Ein großer Irrtum, wie sich dann doch herausgestellt hatte. Was war in den vergangenen Monaten nicht alles passiert.
Sie dachte an den Morgen beim Frühstück in ihrem gemütlichen Esszimmer in ihrem Haus, als ein paar Worte von Dirk ihr Leben von einer Minute zur anderen völlig verändert hatten, ihr fast den Stuhl, auf dem sie saß, unter dem Hinterteil weggezogen hatte. Ein Tag wie jeder andere auch, doch war alles zusammengefallen wie ein Kartenhaus.
»Ich werde mich von dir trennen!«.
Dieser Satz hatte sich so in Katharinas Gedächtnis eingebrannt.
Wahrscheinlich kann ich mittlerweile jedes Wort rückwärts buchstabieren, dachte sie mit einem Anflug von Galgenhumor.
»Ich werde mich von dir trennen!«.
Ohne Kommentar und große Erklärungen. Die sollten nach Dirks Meinung abends gemütlich bei einem Gläschen Wein erfolgen, zwischen Nachrichten und dem Wetterbericht. Er hatte ihr nur ein paar Brocken hingeworfen, wie einem Hund den Knochen.
Eine andere Frau aus dem Golfclub, die von ihm schwanger war. Mehr nicht, Schluss, Aus, Ende, Punkt. Jetzt sieh zu, wie du damit zurecht kommst. Er war aufgestanden und wie jeden Morgen ins Büro gefahren. Für ihn war es ja wahrscheinlich auch ein ganz normaler Arbeitstag, seine heile Welt war nicht eingestürzt. Es war auch schließlich nichts besonderes, seiner Frau nach fünfzehn Ehejahren die Trennung hinzuschmeißen.
Sie war in ein tiefes Loch gefallen, als diese verhängnisvollen Worte wie zäher Nebel über ihrem Kopf waberten. Es waren schlimme Tage, die folgten. Aber Rosie hatte sie immer wieder getröstet. Ab und zu auch mal ein bisschen geschimpft. Sie war in diesem Dingen manchmal ziemlich direkt. Aber das hatte ihr wahrscheinlich am meisten geholfen, um aus dem Tal der Tränen und unbeantworteten Fragen herauszukommen. Außerdem hatte Rosie Dirk nie richtig leiden mögen, nur ihr zuliebe gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Vielleicht hatte sie einen siebten Sinn besessen in Bezug auf Dirks wahren Charakter.
Die zwei Frauen waren auch gemeinsam in Ferien gefahren.
Nach Dubrovnik, an die herrliche Adriaküste.
Ein Urlaub, der eigentlich Dirk und sie für die viele Arbeit und noch mehr Entbehrungen entschädigen und ihrer Ehe neuen Schwung hätte geben sollen. Aber es war alles ganz anders gekommen als geplant. Unter diesen Umständen konnten sie ja kaum noch gemeinsam eine Reise unternehmen. Sie war außerdem aus dem Schlafzimmer ins Gästezimmer umgezogen.
Hier am Meer, hatte sie sich bei einem Spaziergang erst in dieses Haus, damals noch eine ziemlich renovierungsbedürftige Ruine und dann in Jure verliebt. Der, nicht weit von hier entfernt, ein schönes Restaurant besaß.
Katharina lächelte vor sich hin, als ihre Gedanken in die Gegenwart zurückkehrten. Bis jetzt war alles so verlaufen, wie sie es erhofft hatte. Obwohl keiner ihrer Freunde, nicht einmal ihre Schwester Claudia, ihr diesem Sprung ins kalte Wasser, sprich in ein neues Leben, zugetraut hatten. Aber mittlerweile gehörte das Haus ihr. War wunderschön renoviert worden, liebevoll eingerichtet und der schönste Mann, den diese Gattung je hervorgebracht hatte, liebte sie und hatte ihr gestern Nacht einen Heiratsantrag gemacht. Sie war unendlich glücklich und die Zukunft lag schillernd, wie der Diamant an ihrer Hand, vor ihnen beiden.
Wenn nur nicht ein winziger Stachel in ihrem Innern piken würde. Und dieser Dorn hieß eindeutig Dirk und war vor ein paar Minuten mit entsetztem Gesichtsausdruck aus ihrem Haus gestürmt. Seiner Miene zufolge hatte es zwar so ausgesehen, als ob er begriffen hatte, was Sache war. Ihm war buchstäblich die Kinnlade heruntergefallen und das selbstgefällige Verführerlächeln wie weggewischt. Aber Katharina konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass damit alles vorbei war und Herr Seeberg das Feld räumte und sang und klanglos nach Deutschland zurückfliegen würde. Dazu kannte sie ihren Gemahl zu gut. Irgendeine Gemeinheit würde der Typ sich noch ausdenken, davon war sie fest überzeugt. Außerdem hatte die Vergangenheit deutlich gezeigt, zu was für Machenschaften Dirk fähig war und das er auch vor kriminellen Mitteln nicht zurückschreckte, wenn er sein Ziel erreichen wollte.
Dirk und Katharina waren beide Steuerberater und hatten sich gemeinsam nach ihrer Zulassung einen Traum erfüllt. Eine eigene Steuerkanzlei. Nach vielen Jahren harter Arbeit, noch mehr Entbehrungen und kaum freier Zeit hatte ihr Büro jetzt endlich schwarze Zahlen geschrieben. Das Haus war fast abbezahlt. Es ging ihnen finanziell sehr gut und sie hatten sich einen erfolgreichen Platz in der hiesigen Gesellschaft erworben. Sie führten eine Bilderbuchehe und galten als das Traumpaar überhaupt.
Jetzt wird mir auch der Begriff Bilderbuchehe so richtig klar, dachte Katharina mit einem Anflug von Sarkasmus. Bilderbücher waren was für Kinder und erzählten Märchen.
Sie ließ ihre Gedanken wieder in die Vergangenheit eintauchen. Ein Kind war ihr sehnlichster Wunsch gewesen. Aber dafür war keine Zeit vorhanden. Diese Gespräche hatte Dirk immer erfolgreich abgeblockt. Sein liebster Spruch zu diesem Thema war immer gewesen, wir sind noch jung, wir haben noch viel Zeit.
Als ihre Kanzlei begann, mehr Zahlungseingänge auf der Habenseite zu verbuchen, fing Herr Seeberg an, seine teuren Hobbys auszuleben. Erst ein sündhaft kostspieliges und riesengroßes Auto, dann seine Mitgliedschaft im Golfclub. Das gehörte einfach zum guten Ton und entsprach genau seinem neuen Image, dass er sich aufgebaut hatte. Egoistisch und oberflächlich. Er war aber so clever, diese negativen Eigenschaften hinter einer charmanten und loyalen Fassade zu verstecken, sodass keiner sein wahres Gesicht sehen konnte. Auch Katharina war lange von seinem Charme geblendet, außerdem sah sie sowieso alles durch die rosarote Brille der Liebe.
Aber mit diesem Golfspleen hatte das ganze Elend angefangen. Er hatte eine junge Frau im Golfclub kennengelernt, eine Studentin, die sich etwas dazu verdiente. Es schmeichelte ihm ungeheuer, dass ein junges Mädchen, halb so alt wie er, sich in ihn verliebte. Sie hatten eine Beziehung begonnen und das Fräulein war anscheinend schwanger, und zwar von Dirk, wurde jedenfalls so behauptet. Er wollte die Verantwortung für das Kind übernehmen und mit ihr eine Familie gründen.
Katharina hatte aber etwas später in einem Gespräch mit Henriette Seeberg, ihrer Schwiegermutter, erfahren, dass Dirk zeugungsunfähig war. Er hatte als Kind Masern gehabt, die nicht richtig behandelt wurden und somit sein Problem hervorgerufen hatten. Zu diesem Zeitpunkt aber, als die Seniorin ihr diese Ungeheuerlichkeit beichtete, eine Tatsache, die sie immer verschwiegen hatte, gab es für Katharina kein Zurück mehr. Sie hatte ihren neuen Weg gewählt. Die Kluft zwischen den Eheleuten war schon zu groß. Dirk hatte immer wieder versucht, ihr den Plan, in einem fremden Land einen Neuanfang zu wagen, auszureden. Er hatte geschmeichelt, den Gekränkten gespielt, fiese Tricks angewandt, um sie nicht auszahlen zu müssen. Es kam zu unschönen Auseinandersetzungen. Katharina hatte ihm sogar mit einer Anzeige gedroht, weil er auch vor Betrug nicht zurückgeschreckt hatte. Erst als er merkte, dass Katharina in diesem Punkt nicht mit sich spaßen ließ, hatte er eingewilligt, das Geld auszuzahlen. Sein Zähneknirschen hallte immer noch in ihren Ohren. Das war jetzt mittlerweile ein paar Wochen her, aber etwas würde bestimmt noch kommen. Ihr Göttergatte würde nicht so einfach und mit leeren Händen verschwinden. Etwas würde dem Kerl noch einfallen, um ihr das Leben schwer zu machen, davon war Katharina felsenfest überzeugt.
Er hatte ja gestern Abend, bei ihrem Treffen in der Möwe, mehrmals davon gesprochen, was mit dem Haus geschehen könnte. Die Tatsache, dass das Anwesen ihr gehörte, hatte er großzügig vom Tisch gewischt. Solche Kleinigkeiten störten und beeindruckten Herrn Seeberg nicht sonderlich. Er vertrat sicherlich die Meinung, sie würde zurückkommen und ihr altes Leben wieder aufnehmen. Brav in der Steuerkanzlei für gute Umsatzzahlen sorgen. Zurück in sein Leben.
So tun, als wäre nichts geschehen.
So tun, als hätte er sie niemals betrogen. Mit einer Frau, die vom Alter her seine Tochter sein konnte.
So tun, als wäre dieses Mädchen nie schwanger gewesen. Das Dirk keine eigenen Kinder produzieren konnte, wurde ja erst später aktenkundig.
So tun, als hätte es die fiesen Tricks und Gaunereien nicht gegeben, mit denen Dirk versucht hatte, sie von ihrem Vorhaben abzubringen.
So tun, als hätte sie diesen Satz nie gehört:
»Ich werde mich von dir trennen!«.
Um ihm ausdrücklich vor Augen zu führen, dass es keinen Platz mehr in ihrem Leben für ihn gab, hatte sie diese Komödie heute Vormittag inszeniert.
Katharina hatte Dirk eingeladen, wie sie es für ihn formuliert hatte. Den Tisch schön gedeckt. Champagner stand bereit und mitten im Blickfeld der herrliche Rosenstrauß, den sie von Jure geschenkt bekommen hatte. Ebenso einen traumhaft schönen Verlobungsring. Sie hatte sich angezogen wie eine Filmdiva aus Hollywood. Ein rotes, atemberaubend tief ausgeschnittenes, Hauskleid umschmeichelte ihren Körper wie eine zweite Haut. Dazu trug sie den Ring, für jeden sichtbar. Dirk war vor lauter Staunen fast der Mund offen stehen geblieben, als sie ihm in diesem Outfit die Tür geöffnet hatte. Aber richtig fassungslos hatte er ausgesehen, als Jure, recht sparsam bekleidet, aus dem Schatten des Wohnzimmers hinter sie getreten war und den Arm auf ihre Schulter gelegt hatte.
Normalerweise mussten nun auch bei ihm die Groschen gefallen sein. Anscheinend war ihr Plan geglückt. Sein Gesicht war rot angelaufen wie eine Tomate und wutentbrannt hatte er wortlos kehrt gemacht. Aber Katharina kannte die schauspielerischen Fähigkeiten ihres Mannes. So schnell gab der sicher nicht auf. Er wollte sie zurückhaben. Nicht aus großer selbstloser Liebe. Nein. Seine Eitelkeit und männlicher Stolz waren verletzt. Außerdem war er wieder allein, seine Geliebte war wieder bei ihren Eltern, nachdem die Geschichte mit dem Baby ans Licht gekommen war. Um es krasser auszudrücken, nachdem der Plan mit der Unterschiebung missglückt war. Übrigens war der Vater des Kindes ein ebenso mittelloser Student. Die beiden hatten gemeinsam ausgeheckt, Dirk das Kleine als sein Kind unterzujubeln. Diese Tatsache wusste sie von Rosie. Obendrein hatte er eine Woche Urlaub in Dubrovnik gebucht und bezahlt. Er würde niemals das Geld sausen lassen. Dazu hing er zu sehr an seiner Kohle.
Diese Gedanken wirbelten in Katharinas Kopf durcheinander, als sie sachte die Schaukel bewegte.
Aber er wird es nicht schaffen, mich mit seinen fiesen Tricks übers Ohr zu hauen. Ich lasse mir mein neues Leben nicht kaputt machen, dachte Katharina und straffte entschlossen die Schultern.
Jure betrat wieder die Terrasse. In der einen Hand zwei Gläser, den Sektkübel unter den Arm geklemmt. In der anderen Hand balancierte er eine Platte mit kleinen Häppchen, die er eben noch in der Küche zubereitet hatte.
»Ich dachte mir, Champagner auf leeren Magen ist nicht ganz von Vorteil«, er reichte ihr ein Glas mit der perlenden Flüssigkeit.
»Auf was wollen wir trinken?«.
»Einfach nur auf unsere Liebe und das uns nichts und niemand mehr trennen kann«, Katharina lächelte ihm zu und hob ihr Glas an die Lippen.
Vor allem darauf, dass die kommende Woche ganz schnell vorbei geht, aber das behielt sie für sich.
Sie sah Jure in die Augen und hatte wie immer das Gefühl, in seinem Blick zu versinken.
Die Leckereien waren nach ein paar Minuten aufgegessen und die Flasche auch seltsamerweise schon leer.
Katharina spürte einen kleinen Schwips und bemerkte auch das verheißungsvolle Glitzern in Jures Augen.
»Ich geh mal schnell nach oben, mich umziehen, damit ich mir nicht mehr vorkomme wie eine Diva, die auf ihren Liebhaber wartet«. Sie stellte ihr leeres Glas auf den Tisch und stand auf. Verführerisch drehte sie sich ein paar Mal vor ihm hin und her und verschwand mit einem perlenden Lachen im Haus.
Nein mein Schatz, warten musst du nicht. Und aussehen tust du wie eine Göttin, dachte Jure, als er ihr einen Moment später folgte.
Dirk hatte das Haus mit einer Mischung aus grenzenloser Wut und gekränkter Eitelkeit verlassen. Er gab Katharina nicht die Schuld an dem, was er soeben gesehen hatte. Der Kerl aus diesem zweitklassigen Lokal hatte seine Frau verführt, um sich ins gemachte Nest zu setzen. Man wusste ja schließlich genau, wie so was ablief. Davon war er in seiner anmaßenden Überheblichkeit überzeugt. Bestimmt hatte er sie auch zu diesem Hauskauf überredet. Er wusste aus eigener Erfahrung, wie leicht seine Katharina zu beeinflussen war. Von allein wäre sie nie auf solche Ideen gekommen. Ein Haus in einem fremden Land zu kaufen und hierher übersiedeln. Alles in Deutschland aufgeben. Ihre gemeinsame Steuerkanzlei, die ihr immer so viel bedeutet hat und auf die sie so stolz war. Ihre gemeinsamen Freunde und vor allem ihn zu verlassen. Sie hätten bestimmt eine vernünftige Lösung gefunden. Es kam ihm nicht der kleinste Anflug eines Gedankens, dass er mit seinen Eskapaden die ganze Lawine erst ins Rollen gebracht und seine Frau aus dem Haus getrieben hatte. Er war überzeugt, dass dieser unbedeutende Kneipenwirt alles eingefädelt hatte. Vermutlich hatte ihm sogar Rosie, die verhasste Freundin seiner Frau, dabei geholfen. Dieser Hexe war alles zuzutrauen. Die hatte ihn nie leiden können. Immer nur so katzenfreundlich und scheinheilig getan. Er brauchte nur an ihren peinlichen und skandalösen Auftritt beim Italiener zu Hause in Deutschland denken. Er hatte gutgelaunt mit Christine, seiner Freundin, beim Essen gesessen, als diese Frau wie eine Furie an ihren Tisch geschossen kam und ihn vor allen Gästen derart blamiert und bloßgestellt hatte. Lauthals hatte sie von seinem Bastard gesprochen, den ihm seine Geliebte unterschieben wollte und seine Zeugungsunfähigkeit in den Raum gebrüllt. Alle hatten sich nach ihm die Hälse verrenkt und an seiner Demütigung geweidet. Es war so peinlich gewesen, er war sich furchtbar entwürdigt vorgekommen. Er hatte sich danach tagelang in seinem leeren Haus verstecken müssen. Das war so erniedrigend gewesen, aber er hatte unmöglich normal weiterleben können. Der Spott der ganzen Stadt wäre über ihm hereingebrochen. Erst vor ein paar Tagen war er wieder im Club gewesen. Jeder der angeblich guten Freunde und Golfpartner hatten so getan, als wüssten sie von nichts. Aber hinter seinem Rücken hatte er das Getuschel gehört und die hämischen Blicke hatte sich beinahe in seinen Körper gebohrt. Dabei war er nicht mal der Einzige, der eine Freundin hatte. Viele seiner Golffreunde fuhren sogar mit ihren Geliebten in Urlaub, ohne dass es die eigenen Frauen mitbekamen. Allerdings musste er fairerweise eingestehen, keine dieser Frauen war schwanger. Jedenfalls war ihm nichts davon bekannt. Er würde diesem Biest niemals vergessen, dass sie ihn so bloßgestellt hatte.
Mit diesen und noch weit weniger schmeichelhaften Gedanken ging er den Weg bis zum Hotel. Den Blick fest auf die Erde gerichtet. Er wollte keinen Menschen ansehen und die Natur um ihn herum interessierte ihn genauso wenig.
In der Hotelbar bestellte er sich einen doppelten Cognac, den er in einem Zug austrank.
»Noch einen Doppelten!«, keifte er ziemlich unfreundlich.
Der Barkeeper stellte ihm wortlos ein gefülltes Glas vor die Nase. Er hatte Erfahrung mit solchen Herren und würde sich nicht provozieren oder aus der Ruhe bringen lassen. Der Gast war schließlich König und finanzierte außerdem mit den Getränken seinen Job. Er dachte nur beiläufig daran, dass es für ein einsames Saufgelage noch recht früh am Tag war. Die Uhr zeigte gerade mal die Mittagszeit an.
Dirk kippte auch diesen Drink und noch zwei weitere in einem runter. Er gab sich nicht geschlagen. Er hatte zwar die Schlacht verloren, aber den Krieg noch lange nicht.
Das wird mir dieser dahergelaufene Habenichts büßen. Erst macht er sich an meine Frau ran und jetzt drückt er seinen Hintern in meinem Haus breit. Solche und ähnliche Überlegungen bevölkerten Dirks Gedanken. Sein Gehirn war völlig umnebelt. Zum einen vom Alkohol auf fast leeren Magen und zum anderen von seinem grenzenlosen Selbstmitleid. Jeder hatte Schuld an seinem Elend.
Wegen Rosie hatte er keine Geliebte mehr und war in der ganzen Stadt gesellschaftlich zum Gespött geworden.
Wegen diesem verdammten Kneipenmusikant hatte er keine Frau mehr.
Mit seiner Mutter grollte er, die hätte ruhig den Mund halten können und sein Problem weiterhin verschweigen können. Das hätte bestimmt keinem geschadet. Dann hätte er eben ein fremdes Kind als sein eigenes anerkannt. Na und!
Aber das war alles mehr, als er ertragen konnte.
»Noch einen!«, sein Ton wurde immer aggressiver und so langsam ein wenig unverständlich. Er hatte wirklich genug intus, den Kanal gestrichen voll.
»Möchten Sie ein Glas Wasser dazu oder vielleicht einen starken Kaffee, auf Kosten des Hauses?«. Er versuchte es immer noch auf die höfliche Art.
»Lass mich in Frieden, du bist nicht besser als dieser Bastard aus dem Lokal und deinen Kaffee kannst du dir sonst wo hin stecken. Ich will nichts geschenkt haben«. Dirk wurde beleidigend und verlor jegliche Kontrolle über seine Reden.
»Ihr seid doch alle gleich. Macht euch an reiche und schöne Frauen ran, die hier ihren Urlaub verbringen, verführt sie mit euren scheinheiligen Schmeicheleien und brüstet euch später mit euren sexuellen Eroberungen. Aber nicht mit mir, dass lass ich mir nicht gefallen. Ich hole mir meine Frau zurück!«.
Zornentbrannt und mittlerweile völlig besoffen schlug er mit der Faust auf die Theke, dass Gläser und Flaschen in seiner Nähe bedenklich klirrten.
»Sie gehen jetzt besser«, Tom hatte genug und schärfer als beabsichtigt sprach er mit dem Gast. Er gab seinem gegenüberstehenden Kollegen ein Zeichen. Die anderen Besucher hatten diesen Zwischenfall bereits bemerkt und einige schüttelten die Köpfe. Manche Menschen benahmen sich immer und überall daneben. Verfügten über keinerlei Ehrgefühl oder Anstand.
Aber Dirk kam jetzt erst richtig in Fahrt und schüttelte die Hand des Obers ab, der ihn in sein Zimmer bringen wollte. Er wusste den Namen des Gastes und auch die Zimmernummer.
»Nimm deine Pfoten von mir weg, sonst verpasse ich dir eine!«.
Bösartig, mit fast blutunterlaufenen Augen und hochrotem Kopf drehte Dirk sich um und stolperte, mehr als er ging, aus der Bar. Der Alkohol hatte ihn fest im Griff.
Der junge Mann bugsierte seine Fracht unter Protest und wüsten Beschimpfungen in sein Zimmer. Er hatte Dirks Arm wie mit einem Schraubstock umklammert. Er würde ihm notfalls auch einen Kinnhaken verabreichen, zu seiner eigenen Sicherheit. Aber das war nicht mehr notwendig. Dirks große Klappe wurde immer leiser und endete mit unverständlichem Gebrabbel. Sobald er in seinem Zimmer auf dem Bett lag, war nur noch lautes Schnarchen zu hören. Der Mut hatte Herrn Seeberg sehr schnell verlassen. Es war nur noch ein Berg Elend übrig geblieben. Sein Begleiter versicherte sich noch, dass die Balkontür fest verschlossen war, er wollte den Gast schließlich nicht morgen früh vom Rasen kratzen, und verließ dann mit einem Blick auf den Schlafenden kopfschüttelnd das Zimmer. Der würde später einige Tabletten brauchen, wenn er erst wieder aufwachte.
Katharina stieg die Stufen zu ihrem Schlafzimmer hoch. Sie musste sich ein wenig am Geländer festhalten. Die Treppe bewegte sich irgendwie merkwürdig, es schaukelte alles so seltsam. Aber es waren natürlich nicht die Stufen, sie hatte ganz einfach einen kleinen niedlichen Schwips.
Gerade als sie den Reißverschluss ihres hautengen Fummels öffnen und raus schlüpfen wollte, betrat Jure das Zimmer.
»Liebling, das Kleid sieht umwerfend an dir aus, aber ich glaube auch, es ist bequemer, wenn du es ausziehst. Bestimmt ist dir furchtbar warm. Ich helfe dir beim Aufmachen«.
Katharina kicherte ein bisschen, er hatte nämlich wieder dieses verräterische Glitzern in seinen Augen und ein Blick auf den Mittelteil seines Körpers versprach ihr einen aufregenden Vormittag.
Er ging auf Katharina zu, half ihr aus dem Kleid und schälte sich dann ebenfalls aus einer Jeans. Mehr hatte er nicht an und mit nichts als einem strahlenden Lächeln in den Gesichtern fielen beide übermütig auf das Bett.
»Du hattest einen grandiosen Auftritt, mein Schatz. Das war wirklich eine bühnenreife Leistung. Obwohl du gar nicht viel sagen musstest. Wenn er jetzt nicht begriffen hat, was Sache ist, kann ihm keiner mehr helfen«.
Lächelnd nahm Jure seine Liebste in die Arme und küsste sie so leidenschaftlich und lange, als wäre es das letzte Mal. Er folgten eine ganze Reihe solcher Zärtlichkeiten und was man sonst noch im Bett so anstellen kann. Sie verschmolzen in inniger Umarmung zu einem Körper und erreichten in Liebe vereint den Regenbogen.
Am späten Nachmittag erwachten die beiden Turteltauben von den Sonnenstrahlen, die durch die offene Glastür ins Zimmer fielen und ihre Gesichter streichelte.
»Was wollen wir heute noch unternehmen?«. Jure sah zärtlich auf Katharina nieder, die sich wohlig in seinen Armen bewegte und fast wie ein Kätzchen schnurrte.
»Wir können rüber in die Möwe gehen, was essen und den Abend gemütlich hier zu Hause auf unserer Terrasse verbringen«.
»Das ist eine sehr gute Idee«. Katharina hatte blendende Laune. Die düsteren Schatten der letzten Tage hatten sich für den Moment fast völlig verflüchtigt. Es war nur noch ein ganz leichter Grauschleier, aber der würde auch spurlos verschwinden, sobald die nächsten acht Tage vorbei waren und ihr Herr Gemahl endlich im Flieger nach Deutschland saß. Aber diese Woche würde sie auch überstehen. Sie war schließlich nicht allein. Der liebste, beste und schönste Mann war an ihrer Seite.
»Ich will nur noch ein bisschen am Nachtisch naschen«. Nach diesen Worten fing sie an, zärtlich an Jure zu knabbern. Der hatte das Gefühl, dass das Dessert aus einem Champagnersorbet bestand. Sein Körper prickelte, als Katharina ihn mit ihren Lippen so zart wie Schmetterlingsflügel berührte. Ihre Fingerspitzen zeichneten sachte Kreise auf seine glühende Haut. Er brannte lichterloh und beide vergaßen für eine Weile die Pläne für den weiteren Abend.
Aber dann war es wirklich an der Zeit, aufzustehen, sonst würden sie im Lokal nur noch die Reste aus der Küche bekommen oder müssten womöglich in die Stadt zu einem Schnellimbiss fahren.
Kurz unter die Dusche, in leichte bequeme Klamotten geschlüpft und fertig.
Es war ein herrlicher Abend, ein leichter Wind wehte und brachte den Geruch des Meeres herüber. Jure und Katharina spazierten Hand in Hand und in bester Stimmung zum Restaurant.
Das Haus lag im Schein der untergehenden Sonne vor ihnen. Es verfügte über zwei Etagen. Ebenerdig das Lokal mit Küche und Nebenräumen. Oben die Wohnung, die Jure bis vor kurzem noch bewohnt hatte. Seine persönlichen Sachen hatte er vor einigen Tagen rüber ins Haus gefahren. Die restliche Einrichtung war sowieso eher spartanisch zu bezeichnen und blieb hier. Er wollte die Räume als Büro und Musikzimmer nutzen. Deshalb hatte er die große Musikanlage mit den riesigen Boxen und Verstärkern hier stehen lassen. Nur ein paar CDs waren mit umgezogen.
Als er damals die obere Etage bezogen hatte, hatte er nur das nötigste Mobiliar gekauft. Er hatte zu dem Zeitpunkt keine Beziehung und verbrachte sowieso die meiste Zeit im Lokal. Nach dem Tod seiner Frau Mariana war ihm alles gleichgültig gewesen, er hatte damals fast die Kontrolle über sein Leben verloren und hatte erst langsam den richtigen Weg zurückgefunden. Und jetzt hatte er die Liebe getroffen, war glücklich, hatte auch Spaß daran gehabt, die Einrichtung für ihr neues Heim mit auszusuchen. Das Haus war gemütlich ausgestattet. Er hatte erst in den vergangenen Wochen gespürt, was er die letzten Jahre vermisst hatte. Nämlich ein Zuhause und eine liebende Frau.
Die Möwe war ein sehr erlesenes Restaurant mit dalmatinischen als auch internationalen Gerichten auf der Speisekarte. Der Ruf der ausgezeichneten Küche war in der ganzen Gegend bekannt. Vor dem Lokal war ein Platz angelegt, gesäumt von riesigen Kübeln mit Pflanzen, die eine herrliche Farbenpracht zeigten. Zum Meer hin erstreckten sich zwei Terrassen, die durch naturbelassene Steintreppen miteinander verbunden waren. Die dritte Treppe führte direkt hinunter zum Strand. Kleine Bistromöbel waren verteilt und bunte Sonnenschirme boten den Gästen Schutz vor der Sonne, die um die Mittagszeit gnadenlos brannte. Zum Glück wehte vom Meer her immer eine leichte Brise, die die Hitze nicht unerträglich werden ließ. Abends, wenn sich der Mond im dunklen Wasser spiegelte, verströmten Lichterketten mit kleinen farbigen Glühbirnen eine stimmungsvolle Atmosphäre.
Jure und Katharina betraten den Gastraum, der, wie immer um diese Zeit, gut besucht war. Die Einrichtung war sehr geschmackvoll, die Tischdekorationen in hellen Farben passten wunderbar zu den dunklen Möbeln. Deckenbalken gaben dem Raum das rustikale Ambiente. Hübsche bunte Bilder mit Motiven vom Hafen, dazwischen ein Gemälde mit dem Schwarzwald, dass ihm Katharina zusammen mit einem weißen Plüschhasen zu Ostern geschickt hatte, vervollständigten den Eindruck eines sehr gepflegten Restaurants. Das Prachtstück aber war eine Theke, die eine ganze Wand völlig einnahm. Das Holz glänzte im Schein der Lampen wie dunkler Honig. Alles zusammen ergab einen wunderschönen Rahmen für einen gemütlichen Abend.
Jeden Samstag veranstaltete Jure mit seinen Mitarbeitern einen Tanzabend, der bei allen Gästen sehr beliebt war. Der Chef des Hauses sang mit seiner herrlichen samtenen Stimme alte dalmatinische Volksweisen, begleitete sich selbst dazu auf der Gitarre. Für Tanzmusik sorgte eine Drei-Mann-Band, die über ein großes musikalisches Repertoire verfügte. Die Tanzwütigen konnten zu flotter Countrymusic rocken oder zu Elvis Schmusesongs langsam dahin schweben.
Es war nicht immer so einfach und problemlos für Jure gewesen. Nach seinem Studium, Deutsch und Politwissenschaft, hatte er mit seiner jungen Frau Mariana in Deutschland gelebt und als Botschaftsangehöriger gearbeitet. Als der Krieg in Kroatien ausbrach, kam das Paar zurück in die Heimat. Mariana wurde ermordet, als sie von einem Abendessen heimkamen. Sie mussten durch einen Wald fahren und wurden von schwer bewaffneten Rebellen beschossen. Jure raste wie verrückt ins Krankenhaus, aber die Ärzte konnten nichts mehr tun. Die inneren Verletzungen waren zu schwer. Seine junge lebenslustige Frau starb in seinen Armen, mit ihm das Kind, das sie unter ihrem Herzen trug. Diese freudige Nachricht hatte ihm seine Frau mitteilen wollen, deshalb waren sie zum Essen ausgegangen. Aber nur er allein war wieder nach Hause gekommen.
Für Jure brach eine Welt zusammen und er verlor völlig die Kontrolle über sein Leben. Er gab sich die Schuld an ihrem Tod, er hatte damals aktiv im politischen Untergrund mitgewirkt. Die Selbstvorwürfe fraßen ihn fast auf. Immer wieder stellte er sich die Frage, was wäre gewesen, wenn er in Deutschland geblieben wäre, wenn er politisch nicht aktiv gewesen wäre, wenn er nicht für die eine Seite Partei ergriffen hätte. Fragen, die ihm keiner beantworten konnte. Dazu war es zu spät. Das Schicksal hatte grausam zugeschlagen.
Er fing an zu Trinken, sich bei der kleinsten Gelegenheit zu prügeln. Er war nicht mehr er selbst. Seine sämtlichen Freunde wandten sich von ihm ab, keiner wollte etwas mit einem Säufer oder Schläger zu tun haben. Jeder hatte in dem verdammten und sinnlosen Krieg einen oder mehrere liebe Menschen verloren. Ganze Familien waren ausgelöscht worden. Alle versuchten auf die eine oder andere Weise mit diesem Verlust fertig zu werden. Aber nicht so wie Jure.
Nur Franjo, sein bester Freund, verstand, was in ihm vorging und hielt zu ihm. Aber viel helfen konnte er auch nicht. Jure war auf dem besten Weg, sich und sein junges Leben zu zerstören. Es fehlten wirklich nur noch ein paar Schritte bis zum Abgrund.
Erst ein sehr ernsthaftes Gespräch mit seinem Vater brachte ihn zurück in die Wirklichkeit und ins Leben.
Der damalige Besitzer der Möwe, ein älterer Herr und guter Freund seiner Eltern, der genau nachvollziehen konnte, was Jure durchmachte, er hatte auch seinen einzigen Sohn in dem unseligen Gemetzel verloren, bot ihm die Chance, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Er stellte ihn ein. Jure arbeitete erst als Kellner und sang sich nebenbei seinen Schmerz und Kummer von der Seele. Die dunkle samtene Stimme passte wunderbar zu den melancholischen Liedern. Mit seinem fast zigeunerhaften Aussehen und atemberaubender Figur wurde er bald zum Mittelpunkt der Abende. Mehr als die Hälfte der Gäste waren weiblich, die sich ein Rendezvous oder mehr erhofften. Aber keine konnte sein damals noch vereistes Herz erwärmen.
Einige Jahre später bot sich Jure die Möglichkeit, das Lokal zu kaufen. Mit Hilfe seiner Eltern, die ihn finanziell großzügig bedachten, einem Kredit und viel harter Arbeit war er jetzt schuldenfrei und stolzer Besitzer eines sehr gut besuchten Restaurants.
Als Jure und Katharina den Gastraum betraten, verstummten auf einmal alle Gespräche. Katharina hatte das Gefühl, sie würden angestarrt werden wie grüne Männchen vom Mars.
Der Herr des Hauses grüßte, wie immer charmant lächelnd, nach allen Seiten. Bei manchen Tischen blieb er stehen und wechselte ein paar nette Worte mit den Gästen. Aber auch er hatte die nur Sekunden währende Spannung, die fast zum Greifen war, gespürt. Er gab seinem Freund und Chefkellner durch ein Nicken zu verstehen, ihnen in die Küche zu folgen.
Die beiden Männer sprachen einige Minuten miteinander, bis Jure auf einmal in schallendes Gelächter ausbrach.
Katharina sah die Herren mit gerunzelter Stirn fragend an.
»Anscheinend hat dein Mann sich heute morgen an der Hotelbar ganz schön daneben benommen und zum Gespött gemacht«, begann Jure die Erklärung für seine Erheiterung.
»Einige Gäste sind von drüben hier und haben erzählt, dass ein deutscher Gast, dessen Frau seit Kurzem hier lebt, nämlich du, sich sinnlos betrunken und auf alle Männer von hier geschimpft hat. Wir taugen nichts und sind nur auf sexuelle Abenteuer mit den weiblichen Gästen aus. Ein Kellner hat ihn dann zu seinem Zimmer gebracht, bevor er sich noch mehr blamierte und völlig besoffen vom Hocker kippte. Wahrscheinlich schläft er immer noch seinen Rausch aus und hat später schreckliche Kopfschmerzen«. Er konnte sein Lachen und auch ein bisschen Schadenfreude kaum unterdrücken.
Katharina war bei seinen Worten etwas blass geworden. Amüsieren konnte sie sich über diesen peinlichen Auftritt nicht. Im Gegenteil. Sie schämte sich für Dirk.
Deshalb hatten die Leute im Gastraum sie auch vorhin so seltsam und bedauernd angesehen. Einige Stammgäste kannten sie ja bereits und wussten, dass sie die neue Frau an der Seite des Restaurantbesitzers war und ein Haus hier gekauft hatte. Aber so ein Theater hätte sie niemals erwartet. Dirk war bisher immer allen Konfrontationen aus dem Weg gegangen, weil er ein erbärmlicher Feigling war. Das hatte sie zwar spät, aber zum Glück noch rechtzeitig erkannt. Wenn auch mit Hilfe seiner damaligen Freundin und seinem angeblichen Kind.
Sie war im höchsten Maße erstaunt, dass ihr Herr Gemahl sich in der Öffentlichkeit zu solch einem Auftritt hatte hinreißen lassen. Ebenso war sie verärgert. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein? Aber sie wusste genau, was ihn derart nervte.
Es ging ihm nicht um sie, sondern einzig und allein um ihn und seine Person. Sie hatte sich von ihm getrennt wegen seiner Eskapaden. Das war die schlimmste Erfahrung, die er außerdem nicht hatte verhindern können. Wenn Christine nur eine kurzfristige Liebelei gewesen wäre, hätte sie ihm vielleicht irgendwann den Ausrutscher verzeihen können. Aber er kam ja gleich mit Baby und Familiengründung. Sicherlich, zu dem Zeitpunkt wusste ja noch keiner, dass sich seine Gespielin einen raffinierten Plan ausgedacht hatte, um sich und ihrem Kind ein warmes und kuscheliges Plätzchen zu erobern. Wenn Dirk nicht dieses Problem gehabt hätte, wäre die ganze Sache niemals aufgeflogen. Obendrein lag ihm mit Sicherheit das viele Geld schwer im Magen, dass er ihr, als Abfindung sozusagen, hatte zahlen müssen. Es waren immerhin zweihundertfünfundsiebzig Tausend Euro gewesen, die hier den Besitzer gewechselt hatten. Aber Katharina hatte keinen Cent zu viel verlangt. Das Ehepaar hatte damals gemeinsam die Steuerkanzlei eröffnet und geführt, die mittlerweile schwarze Zahlen schrieb und sehr erfolgreich lief. Sie hatten gemeinsam das Haus gekauft und bezahlt, das bereits fast schuldenfrei war. Über sämtliche Aktionen existierten Verträge. Sie hatte alles ganz genau ausgerechnet. Schließlich war es bisher ihr Job gewesen, Bilanzen zu lesen, zu analysieren und auszuwerten. Aber Dirk konnte sich damit nicht abfinden. Das konnte er nicht verkraften und die Gewissheit, dass es für ihn keine Möglichkeit mehr gab, alles, einschließlich sie, zurückzubekommen. Das hatte sie ihm heute morgen deutlich zu verstehen gegeben.
»Er ist hartnäckiger als ich dachte«, aufgebracht über solch ein skandalöses Benehmen blickte Katharina Jure an, der noch immer lächelte.
»Liebling, er kann nichts tun, was dir schadet. Er macht sich nur selbst lächerlich mit solchen Showeinlagen«, versuchte Jure seine Liebste etwas zu beruhigen. Er spürte genau, was in ihr vorging. Sie hatte einen erbitterten Kampf hinter sich, bei dem Dirk alles versucht hatte, sie umzustimmen und ihr den Plan, hier zu leben, zu vermiesen. Selbst Gaunereien waren ihm Mittel zum Zweck gewesen.
Aber jetzt war alles vorbei. Die Scheidung eingereicht, nur noch eine Frage der Zeit. Sie wohnten zusammen in einem wunderschönen renovierten Anwesen und er würde alles tun, damit keiner Katharina wieder wehtat und sein Glück nicht von einem arroganten selbstgefälligen und besitzergreifenden Mann zerstört wurde.
Genau dies Worte sagte er auch zu Katharina.
»Ich hoffe, dass du recht behältst und der Zirkus hier in Dubrovnik nicht von vorne losgeht«, ihre Stimme klang nicht sehr überzeugend. Jure küsste sie und auch Franjo klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter. Er konnte zwar nicht mit ihr reden, er sprach leider nur ein paar Brocken Deutsch. Aber diese Geste besagte, dass auch er immer für sie da sein würde, der neuen Liebe seines besten Freundes Jure.
»Lass uns rausgehen und was essen. Wir, vor allem du, brauchen uns nicht zu verstecken. Dein Mann hat sich lächerlich aufgeführt«.
Jure nahm Katharina bei der Hand und sie betraten erneut den Gastraum. Diesmal verstummten die Gespräche nicht. Sie setzten sich an ihren Lieblingstisch und nach einigen Minuten wurde eine appetitlich angerichtete und herrlich duftende Fleischplatte serviert.
»Aber ich glaube nicht, dass Dirk sich nach diesem Theater ruhig verhält. Es ist fast noch eine ganze Woche, die er hier verbringen wird«, nachdenklich nahm Katharina das Thema wieder auf und legte nach ein paar Happen die Gabel aus der Hand. Sie nahm einen großen Schluck aus ihrem Weinglas. Es erweckte fast den Eindruck, als wolle sie den Ärger runter spülen.
Aber der soll nur kommen, diesmal war sie darauf vorbereitet. Ich bin auch nicht mehr das kleine Dummchen, dass sich alles gefallen lässt. Katharina war dicht dran, sich schon wieder aufzuregen.
»Liebling, du bist nicht mehr allein, ich bin immer bei dir. Wir werden die nächsten Tage zusammen verbringen. Ich werde im Hotel Bescheid sagen, dass die den randalierenden Herrn im Auge behalten und uns sofort Bescheid sagen, wenn er einen falschen Schritt macht, oder sich wieder daneben benimmt. Du wirst sehen, es geht gut. Du brauchst dir wirklich keine Sorgen mehr zu machen. Jetzt mach nicht so ein ärgerliches Gesicht, davon bekommst du Falten und iss weiter, bevor das Fleisch ganz kalt ist und zäh wie eine Schuhsohle wird«. Er griff nach ihrer Hand, die nervös mit dem Glas spielte und hauchte einen zärtlichen Kuss darauf.
»Die Falten habe ich schon vor lauter Ärger, da musst du mich gar nicht erst daran erinnern«, Katharina konnte schon wieder lächeln und ließ sich das leckere Essen weiter schmecken. Jure hatte völlig Recht, es machte keinen Sinn, sich jetzt in etwas rein zu steigern, was vielleicht nicht eintreten würde. Und das Essen konnte weiß Gott nichts dafür.
Nach ungefähr zwei Stunden verließen sie das Lokal und spazierten im Mondschein nach Hause. Maja, ihre kleine Hundedame, die die vergangene Nacht und den Sonntag bei Franjo verbracht hatte, tollte und rannte übermütig vor ihnen her.
Auf ihrer Terrasse ließen sie den denkwürdigen Tag ausklingen.
Katharina kuschelte sich nach ihrem dritten Glas Wein dicht an Jure. Im Moment waren sämtliche grässlichen Gedanken ausgelöscht. Sie dachte nur daran, dass dieser wunderbare Mann, in dessen Armen sie gerade lag, sie liebte. Das war das wichtigste überhaupt, was für sie zählte. Sie wusste nicht, was ihr zukünftiger Exehemann im Schilde führte, was Gutes war es aber bestimmt nicht. Im Moment war es ihr auch völlig gleichgültig und gemeinsam würden sie alles schaffen und auch dieses lästige Hindernis überwinden. Außerdem war morgen auch noch ein Tag, an dem sie sich Strategien ausdenken konnte. Heute wollte sie nur in Jure Armen glücklich sein.
Dirk wachte mit einem grauenhaften Brummschädel auf und wusste im ersten Moment nicht, wo er sich befand. Es war fast dunkel im Zimmer und er konnte nur schemenhaft die Einrichtung erkennen. Irgendwie fehlte ihm auch die Erinnerung an den heutigen Vormittag.
Warum lag er fast komplett angezogen um diese Zeit im Bett?
Wer hatte ihn ins Bett gebracht?
Wer hatte ihm die Schuhe ausgezogen?
Er wusste noch, dass er Katharina in einem sündhaft engen, aber toll aussehenden Kleid gesehen hatte, im Arm von diesem Kerl aus der Spelunke. Dann war er ins Hotel zurückgegangen und an der Bar hängengeblieben. Er hatte seinen Frust über das unselige Treffen, es war wirklich nicht so gelaufen, wie er sich das vorgestellt hatte, mit einigen Drinks, wie viele es waren, wusste er auch nicht mehr, runter gespült. Danach war der Film gerissen, nur noch gähnende Leere. Alles dunkel, wie jetzt in seinem Zimmer.
Mühsam stand er auf und tappte ins Badezimmer, wo er sich erst einmal mit viel kaltem Wasser das Gesicht erfrischte und auch ein paar große Schlucke trank. Das vertrieb zwar nicht den Kater, der in seinem Kopf gnadenlos tobte, belebte aber etwas und der Durst war vorübergehend gemildert. Nach einer fast eiskalten Dusche und in frischen Klamotten fühlte er sich wieder einigermaßen fit und seine gesunde Gesichtsfarbe kehrte zurück. Nur die Erinnerung fehlte nach wie vor.
Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass es mittlerweile acht Uhr vorbei war und außerdem meldete sich sein Magen. Er hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen und jetzt fürchterlichen Hunger. Bestimmt gab es im Speisesaal noch was zum Essen. In den südlichen Ländern zog sich das Abendessen ja manchmal bis fast um Mitternacht in die Länge.
Auf seinem Weg zum Essen kam er an der Bar vorbei. Nun wusste er auch wieder, was heute Vormittag passiert war und seine Gesichtsbräune verwandelte sich in tomatenrot. Zum Glück beachtete ihn keiner der Gäste, die hier ihren Schlummertrunk nehmen wollten und ein anderer Barkeeper schenkte die Getränke aus. Der hatte ihn heute morgen nicht bedient.
Was war nur in ihn gefahren?
Er hatte sich unmöglich aufgeführt, was normalerweise nicht seine Art war. Möglicherweise auch bis auf die Knochen blamiert.
Aber das wusste er im Moment noch nicht so genau, dass musste er erst noch in Erfahrung bringen. Hier fehlte ein großes Stück seiner Erinnerung.
Aber daran waren nur Katharina und der Typ schuld. Die beiden hatten ihn mit ihrem ordinären Auftritt, das war der richtige Ausdruck für solch ein Benehmen, derart provoziert, dass er später völlig die Kontrolle verloren hatte. Wie eine Szene aus einem billigen Pornofilm war die Show gewesen. Er musste unbedingt nochmal mit ihr reden und sie zur Vernunft bringen. Das konnte doch unmöglich das endgültige Aus ihrer Beziehung sein. Sie hatte ihn schließlich bis vor einigen Monaten geliebt.
Er musste Katharina vor diesem Mann warnen, sie konnte doch nicht so blind in ihr Unglück rennen. Diese Kerle aus dem Süden wollten doch alles das Gleiche. Das war doch keine Leben an der Seite eines Kneipenwirtes. Wollte sie am Ende gar als Bedienung von Tisch zu Tisch laufen, Essen austeilen oder Geschirr spülen?.
Dafür hatte sie in Deutschland alles aufgegeben und ihn im Stich gelassen. Dirk dachte in seiner grenzenlosen Großmut wirklich nur an seine Gattin. Er war ja so selbstlos und wollte doch nur das Beste für sie. Die Welle der Hochherzigkeit schwappte fast über ihm zusammen. Er glaubte auch daran, was er sich da zusammenreimte. Das er selbst der auslösende Faktor gewesen war, der Katharina zu diesem Schritt getrieben hatte, war für ihn nicht so wichtig.
Der Speisesaal war nur noch zur Hälfte besetzt. Er nahm sich von allen Speisen eine ordentliche Portion und fand einen Tisch, an dem nur eine einzelne Dame saß. Er brauchte jetzt ein bisschen Gesellschaft. Nach ein paar höflichen Floskeln stellte er seinen Teller ab und holte sich auch was zum Trinken. Das Essen schmeckte erstaunlicherweise gut und der Wein, obwohl nur einfacher Tafelwein, war auch zu genießen.
Dirk begann ein Gespräch mit der Frau, die, wie er, aus Deutschland kam und Rita hieß. Sie lebte in Frankfurt und führte dort ein Modegeschäft. Das war zu sehen, sie war elegant, aber nicht aufdringlich, gekleidet und sah sehr gut aus. Ungefähr Mitte Vierzig, schätzte Dirk ihr Alter. Vor kurzem geschieden, keine Kinder. Ein Zustand, der ihm nicht ungelegen kam. Einen eifersüchtigen Ehemann oder plärrende Kinder konnte er nun wirklich nicht um sich haben.
Nach zwei Stunden, die beiden waren mittlerweile allein im Speisesaal und die Kellner schauten immer wieder demonstrativ auf die Uhr, die wollten schließlich endlich Feierabend machen, verlegten sie ihre Unterhaltung an die Bar.
Es sei dazu angemerkt, dass bisher Dirk den Großteil des Gespräches geführt hatte, er war so richtig in Fahrt, er hatte schließlich eine interessierte Zuhörerin. Nach einigen Gläsern Wein hatte er seine trostlose Lebensgeschichte erzählt. Allerdings hatte Herr Seeberg ein paar pikante Details ausgelassen und auch alles ein bisschen anders dargestellt, frisiert sozusagen. Seine Sicht der Dinge entsprach ja sowieso nicht unbedingt den wirklichen Tatsachen.
Mitternacht war längst vorbei, als Dirk seine neue Bekanntschaft bis zu ihrer Zimmertür begleitete, er war ja schließlich ein Kavalier und wusste, wie man eine Dame behandelte. Verabschiedete sich formvollendet mit einem Handkuss und dem Versprechen, morgen gemeinsam einen Spaziergang zu machen.
Rita war froh, dass sie diesen aufgeblasenen Gockel endlich los war. Die Frau, die diesen Mann jahrelang ertragen hatte, war wirklich zu bedauern oder schrecklich dumm. Aber das war nicht ihr Problem und irgendwie war ihr gar nicht nach einem Treffen am nächsten Tag. Irgendetwas würde sie sich ausdenken, um dem zu entgehen.
Aber auf der anderen Seite, überlegte Rita, war es bestimmt auch ganz interessant, diese Frau und den neuen Mann, den Dirk fast als Monster dargestellt hatte, mal unter die Lupe zu nehmen, kennenzulernen. Denn das nicht alles so stimmte, wie der Herr Seeberg es dargestellt hatte, war ihr schon nach einigen Minuten der doch etwas einseitigen Unterhaltung aufgefallen. Außerdem besaß sie eine ausgezeichnete Menschenkenntnis. Solche Männer hörten sich gern reden und nahmen es mit der Wahrheit nicht so genau. Die ließ sie nämlich in einem ganz anderen Licht erscheinen und das entsprach ganz und gar nicht ihrem Ego. So ein Exemplar war sie vor einigen Wochen zum Glück losgeworden.
Der Montagmorgen begann für Katharina ziemlich früh und mit einer leichten Übelkeit. Irgendetwas hatte sie aus dem Schlaf gerissen und sie war ziemlich erschrocken aufgewacht. Jetzt hatte sie Magenschmerzen.
Sie stand auf und verließ mit einem Blick auf ihren Liebsten ganz leise das Schlafzimmer und ging hinunter in die Küche. Eine Tasse Kaffee würde ihr bestimmt guttun und den leichten Kater, was anderes konnte es nicht sein, vertreiben. Sie schaltete die Maschine ein und ging ins Bad, während aromatischer Kaffeeduft durch das Haus zog.
Ein bleiches Gesicht blickte ihr aus dem Spiegel entgegen. Aber das war ja auch kein Wunder. Wahrscheinlich war ihr das ganze Theater auf den Magen geschlagen. Sie musste unbedingt Dirk nochmal ordentlich die Meinung sagen. Er sollte sie jetzt in Ruhe lassen und endlich aus ihrem Leben verschwinden. Damit sie wenigstens hier zufrieden und glücklich sein konnte. Sie würde ihn oft genug in Deutschland zu sehen bekommen, wenn sie beruflich hin fliegen musste. Obwohl sie sich dafür auch noch eine andere Möglichkeit einfallen lassen musste.
Sie nahm einen Kaffeebecher und schenkte sich die dampfende Flüssigkeit ein. Barfuß und nur mit kurzen Hosen und luftigem Blüschen bekleidet, betrat sie die Terrasse und lehnte sich über die Steinmauer, die jetzt wieder vollständig renoviert war und als Geländer diente.
Immer, wenn sie das Meer erblickte, das sich majestätisch unter ihr ausbreitete, überkam sie dieses besondere Gefühl der Ruhe. Diese Empfindungen hatten auch damals Besitz von ihr ergriffen, als sie das erste Mal hier gestanden und den Entschluss gefasst hatte, ihr altes Leben in Deutschland aufzugeben und hier neu anzufangen.
Allerdings war zu diesem Zeitpunkt das Gemäuer eine ziemlich verfallene Ruine, so hatte Rosie es jedenfalls beschrieben.