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Kathi zieht mit ihrer Mutter nach Burgstadt, wo es ihr anfangs gar nicht gefällt. Dort geht es furchtbar streng zu und die aufgeblasenen Mädchen aus dem Streberverein sind ekelhaft zu ihr. Aber bald lernt sie zwei coole Jungen aus der Nachbarschaft kennen - Hannes und Franz. Sie befreundet sich mit ihnen und setzt alles dran, in ihre Bande aufgenommen zu werden. Doch dafür braucht's mehr als nur Mumm …
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Seitenzahl: 273
Veröffentlichungsjahr: 2014
Für meine KinderGerhard und Judithund für meine EnkelKeziah und Matilda
Großer Dank gebührt Judith,die mich mit Rat und Tat bestensunterstützt hat.
Burgstadt
Alles neu
Die Dreier
Ein Dreier in Schwierigkeiten
Geheime Mission
Harte Nüsse
Was nun?
Dreier halten zusammen
Aktion Silberbüchse
Ganz schön dreist
Mutproben
Sieg, so weit das Auge reicht
Mach weiter, der Möbelwagen muss gleich hier sein”, rief Mutti aus der Küche. Kathi saß breitbeinig auf einer der großen Schachteln und versuchte, sie zuzukriegen. Sie hatte auf die Bücher noch ihren Stoffhasen draufgepackt, nun ließen sich die Flügel des Deckels nicht nach unten drücken.
„Wie denn?”, jammerte Kathi und ihre dunklen, mittellangen Haare fielen ihr über die Augen.
Iiitsch, quietschten Bremsen vor dem Haus.
Muttis Kopf erschien im Türrahmen. „Hörst du nicht?!” Sie war genervt und eine Unheil verkündende Falte bildete sich auf ihrer Stirn. „Nimm das Vieh und geh aus dem Weg!” Als sie hastig die Wohnungstür öffnete, polterten bereits vier kraftstrotzende Männer die Treppen herauf.
„Alles klar?”, dröhnte der erste, gab Mutti die Hand, grinste breit zu Kathi hinunter und kniff dabei wohlwollend ein Auge zu. Dieser baumlange Kerl war wohl der Chef der Truppe.
„Na, dann wollen wir mal!”, ermunterte er seine Kumpels.
Er schob das Mädchen sanft in eine Ecke des Vorzimmers und trug gleich darauf mit dem zweiten Muskelmann den ersten schweren Schrank aus der kleinen Wohnung, als wäre er aus Pappe. Ein Möbelstück nach dem anderen wurde in den Laster geschlichtet. Kisten, Schachteln, Koffer, Lampen, Bilder und Kathis altes Kasperltheater wurden aus dem Haus geschafft. Alle Achtung! Die Männer verstanden ihr Handwerk! Schon nach einer guten Stunde schlugen die Heckklappen des Transporters mit einem Knall zu.
„So, Frau Hoffmann, das war’s!”, lachte der große Boss, zog eine Limoflasche aus seiner viel zu weiten Hosentasche und schob damit seine Kappe aus der Stirn. Er tat einen kräftigen Schluck und turnte, von seinen vierschrötigen Kollegen gefolgt, ins Fahrerhaus des Lasters.
„Wir sehen uns in Burgstadt!”, rief er, während er den Motor anließ. „Gute Fahrt wünsch’ ich Ihnen!“
Schwerfällig setzte sich der klobige Wagen in Bewegung.
Erleichtert sah Frau Hoffmann ihre ganze Habe um die Ecke des Häuserblocks verschwinden. Gleich füllte sie heißes Wasser in einen Eimer. „Das wäre geschafft”, seufzte die zierlich gebaute Frau und fuhr sich durch das volle, kurze Haar. Dann begann sie, die Böden der bescheidenen Zwei-Zimmer-Wohnung zu wischen.
Die vergangenen elf Jahre waren kein Honiglecken für sie gewesen. Kurz nach Kathis Geburt war ihr Mann bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Daraufhin hatte sie einen Job als kleine Sekretärin in einer Elektrofirma angenommen. So hatte sie nur wenig Zeit für ihre kleine Tochter, aber wenigstens finanziell kam sie einigermaßen zurecht. Und sie hatte das große Glück, eine Bekannte zu haben, bei der Kathi später nach dem Unterricht bleiben konnte. Auch für das Mädchen war diese Lösung wunderbar, denn dort wohnte Tanja, ihre beste Freundin.
Vor drei Monaten jedoch war die Firma in Konkurs gegangen und Frau Hoffmann sah sich gezwungen, wieder auf Arbeits-Suche zu gehen. Wenig später schon hatte sie einen Vorstellungstermin bei einer Baufirma in Burgstadt, genauer, in Burgstadt an der Emsa. Da sie eine überaus tüchtige Person war, bekam sie dort einen Job in der Buchhaltung. Der war zwar schlechter bezahlt als der vorige, aber, na ja, es würde schon werden.
Kurze Zeit später saß Kathi neben der blondgezopften Tanja auf den Stufen des Hauseingangs.
„Schreibst du mir?”, fragte Tanja leise.
„Klar”, kam es ebenso leise zurück, „jeden Tag!” Die beiden hielten sich an der Hand und sahen schweigend zu, wie der letzte Schnee dieses Winters dahin schmolz. Es war ein sonniger Tag Anfang März und den Frühling konnte man schon erahnen. Erstes, zaghaftes Vogelgezwitscher war bereits zu hören, aber die zwei Mädchen konnten sich gar nicht so recht darüber freuen.
Kathi und Tanja hatten die ganze Volksschulzeit zusammen verbracht. Sie waren dann im vergangenen Herbst zusammen ins Gymnasium von Almfurt übergetreten und hatten dort schon so manchen lustigen Streich ausgeheckt. So hatten sie zum Beispiel einmal einen aufgeschlitzten Fußball mit Wasser gefüllt. Danach öffneten sie die Klassentür einen kleinen Spalt weit, um den Ball in die oben entstandene Ritze zu setzen. Als nun die Lehrerin von außen die Tür aufstieß, konnte sie sich über eine gewaltige Dusche freuen.
Auch den größten Teil der freien Nachmittage waren sie zusammen gewesen, denn Tanjas Mutter hatte Kathi ja bei sich aufgenommen, während Frau Hoffmann zur Arbeit ging. Die beiden Frauen hatten sich gegenseitig überhaupt immer geholfen, wenn Not am Mann war. Auch die Freundschaft der beiden Töchter wurde mit der Zeit sehr tief und da war es nicht verwunderlich, dass der Abschied nun schwer fiel. Freilich würden sie einander in den Ferien besuchen dürfen, aber das war doch nur ein schwacher Trost! Wie abgemacht, tauschten sie ihre Disney-Schlüsselanhänger, in die sie ihre beiden Vornamen geritzt hatten. So konnten sie einander nie vergessen. Dann stand Tanja auf, warf ihre hellen Zöpfe in den Nacken und seufzte:
„Du, jetzt muss ich zurück in die Schule, sonst krieg’ ich Ärger!“
„Klar! Kann man nichts machen“, gab Kathi nach und umarmte die Freundin ein letztes Mal. Jetzt musste Tanja sich aber beeilen!
Ein kurzes Winkewinke, da war sie schon um die Ecke geflitzt.
Mutti hatte gerade fertig aufgeräumt, als Kathi wieder ins Haus zurück kam. Die beiden packten den letzten Krimskrams, der noch im Vorzimmer herumlag, zusammen und marschierten Richtung Auto. Zwei dicke Tränen rollten über Kathis schmales Gesicht. Frau Hoffmann bückte sich zu ihr herunter und strich ihr übers Haar.
„Freust du dich denn gar nicht auf dein neues Zuhause?“, lächelte sie tröstend.
„Schon, aber ich möchte Tanja mitnehmen“, murmelte das Kind, doch natürlich war klar, dass Tanja hier bei ihren Eltern bleiben musste. Kathi würde sie schrecklich vermissen! In Burgstadt würde sie niemanden kennen. Eine schreckliche Vorstellung. Sie würde dort eine Fremde sein.
Mutti startete den alten gelben Opel und tuckerte vom Parkplatz. „So, jetzt gehen wir erst mal Pizza essen, was?“, riss Frau Hoffmann ihre Tochter aus den trüben Gedanken.
„Super!“, strahlte Kathi, denn es kam ganz selten vor, dass sie auswärts essen gingen. Normalerweise mussten Hoffmanns sparen. Aber heute war eine Ausnahme. Wo sollte Mutti auch kochen, wo doch ihr ganzer Haushalt auf der Autobahn Richtung Burgstadt rollte?
Trotzdem wollte Kathi die Schinken-Käse-Pizza, die sie sonst so gerne mochte, nicht recht schmecken. Während sie auf ihrem Teller herumstocherte, war sie schweigsam und machte sich Sorgen. Wie würde die neue Umgebung sein? Würde sie neue Freunde finden? Wie würde die neue Schule sein? Kathi war leider keine besonders gute Schülerin. Ihre Lehrer meinten, sie sei zwar überhaupt nicht dumm, träume aber zu viel und sei deshalb oft nicht bei der Sache.
Frau Hoffmann erriet die Gedanken ihrer Tochter. Schließlich kannte sie das Mädchen schon ein paar Jahre.
„Kopf hoch, Kathi“, sagte sie und schob sich das letzte Stück Pizza in den Mund. „Wird schon alles klappen. Sicher findest du ganz schnell neue Freundinnen in der Schule.“
„Muss es denn ausgerechnet die dämliche Kloster-Schule sein?“, beschwerte sich Kathi sauer, drückte ihr Kinn nach unten und sah Mutti strafend an. „Da sind ja nur Mädchen und ich spiele doch auch gern mal mit Jungs!“ Jungen unternahmen oft lustigere Dinge als Mädchen, fand sie.
Frau Hoffmann fasste sich in Geduld und die brauchte sie bei einem Mädchen wie Kathi weiß Gott! Kathi konnte, das musste man sagen, furchtbar störrisch sein. Schon jetzt bekam Mutti ständig zu hören, dass ihre Tochter doch kein Kind mehr sei – natürlich immer dann, wenn sie Kathi etwas zu verbieten versuchte. Und das würde sich in den nächsten Jahren kaum bessern.
„Du weißt genau, dass das öffentliche Gymnasium dort keine Nachmittags-Betreuung hat und mein Arbeitstag sieht nun mal so aus, dass ich immer erst um sechs Uhr nach Hause kommen kann. Wer kümmert sich denn in der Zwischenzeit um dich?“
„Ich“, murrte Kathi, schob ihren halbvollen Teller weg und verschränkte trotzig die Arme.
„Das kannst du tun, wenn du groß bist! So und nun komm, wir wollen schließlich heute noch nach Burgstadt!“
Derlei Diskussionen bringen bekanntlich meistens nichts! Das wusste auch Kathi. Kinder müssen nun mal beaufsichtigt werden, da führt kein Weg dran vorbei, auch wenn ihnen das mitunter gar nicht gefällt. Sie haben’s eben auch nicht leicht!
Auf der Autobahn war gottlob nur wenig Verkehr, sodass der Opel die vier-hundert Kilometer ziemlich schnell meisterte. Während der Fahrt wurde Kathis Laune zusehends besser, denn nun wurde sie allmählich neugierig auf die Wohnung. Endlich würde sie ein kleines Zimmer für sich haben! Das war ja schließlich ein großer Vorteil! Da konnte sie dann auch Besuch bekommen und ihre Sachen würden genug Platz finden.
Mutti blinkte und folgte dem Schild „Burgstadt – Ausfahrt“.
„Sieh mal, Kathi, die Gegend hier ist viel hügeliger, als wir es gewohnt sind“, sagte sie.
„Und da oben ist eine alte Burg!“, rief das Mädchen aufgeregt. „Da muss ich unbedingt gleich hin.“
„Langsam, langsam“, lachte Frau Hoffmann, „wir sollten erstmal in die neue Wohnung einziehen. Meinst du nicht auch?“
Einige Minuten später bog der Wagen schon in die Burgstraße ein.
„Nummer 14“, murmelte Mutti und guckte sich suchend um. Aber da sahen sie schon den Möbelwagen vor dem Wohnblock stehen. Die Muskelmänner saßen auf dem Gehsteig und gönnten sich ein paar belegte Brote. Irgendwann mussten sie sich ja verständlicherweise auch mal stärken!
„Kathi, Frühstück fertig!“ Mutti klapperte in der Küche eifrig mit Tellern und Tassen. „Und nachher musst Du einkaufen gehen. Wir brauchen so einiges!“
Kathi schlug gähnend die Augen auf und wusste zunächst nicht, wo sie war… Ach ja, gestern war der Umzug nach Burgstadt über die Bühne gegangen! Sie setzte sich noch ganz schlaftrunken auf. Da war ihr Zimmer, in dem außer den Möbeln nur unausgepackte Kisten und Schachteln herumstanden. Gemütlich war es hier also noch nicht. Aber sie freute sich schon darauf, ihre ganzen Sachen zu verstauen und die Wände mit bunten Postern zu schmücken.
Wie sie gestern ins Bett gekommen war, davon hatte Kathi keine Ahnung mehr. Kein Wunder! Während Mutti Decken und Kissen bezogen hatte, war sie zwischen zwei großen Kisten sitzend eingeschlafen. So müde war sie von all der Aufregung gewesen!
„So, nun aber los!“, dachte Kathi und sprang schleunigst in die bereitliegende abgewetzte Hose, die Mutti immer mit einem leichten Naserümpfen beäugte, sobald sie diese trug. Aber heute hatte sie noch Hosenerlaubnis. Erst morgen würde sie sich in das verhasste Kleid zwängen müssen, das sie für ihren ersten Schultag bekommen hatte. Da würde Mutti erbarmungslos sein.
Was sie bis jetzt über Burgstadt wusste, gefiel ihr ganz gut. Es war eine kleine Stadt mit sechzigtausend Einwohnern. Trotzdem gab es zwei Straßenbahnlinien. Kathi würde die Linie Eins benutzen, wenn sie zur Schule musste. Die Burgstraße, auf der sie nun entlang hüpfte, lag eher am Stadtrand. Sie war von hohen Birken gesäumt und die mehrstöckigen Wohnhäuser mit ihren Mietwohnungen besaßen kleine Vorgärten. Neugierig sah Kathi sich um, als der kleine Supermarkt ein paar Meter weiter vorne in Sicht kam. Er befand sich in einem großen Altbau, der, zusammen mit dem gegenüberliegenden Einfamilienhaus, das Ende der Straße bildete.
Vor dem offenen Eingang des Ladens lehnte ein unglaublich schmal gebauter, schlaksiger Junge mit hellem Haar in lässiger Haltung an seinem Fahrrad. Es handelte sich um ein altes Damenfahrrad, wie Kathi verwundert feststellte. Seine verschlissenen, viel zu weit geratenen Jeans hingen förmlich an ihm. Der Junge lutschte ein Schokoladen-Eis und musterte das Mädchen mit mürrischem Gesichtsausdruck. Kathi blickte verlegen zurück, während sie den Markt betrat.
„Zucker, Nudeln, Eier, Butter, Käse, Kartoffeln…“, murmelte sie, griff sich einen Einkaufswagen und schob ihn zwischen den Regalen hin und her, während sie ihn fleißig belud. An der Gemüseabteilung blieb sie jedoch ratlos stehen. Gleich daneben, über die Kühltruhe gebückt, sortierte ein großer, schlanker Mann gerade verschiedene Produkte ein.
„Na, kleines Fräulein?“ Den Kopf aus der Kühltruhe hebend wandte er sich freundlich um. „Großeinkauf?“ Der Mann hatte eine lustige Glatze, die durch einen dunklen Haarkranz gesäumt war und an seinem weißen Arbeitsmantel war ein kleines Schild befestigt: „Herr Benedikt – Filialleiter“, stand darauf.
„Ja, wir sind hier neu zugezogen“, erzählte Kathi eifrig und sah sich suchend um. „Wo sind eigentlich die Kartoffeln, bitte?“
„Einen kleinen Moment, meine Dame“, sagte Herr Benedikt, wischte seine Hände an seinem Mantel ab und rief zum Eingang hin: „Hannes, ich hab’ dir schon fünfmal gesagt, du sollst das Gemüseregal nachfüllen! Die Kundschaft wartet!“
Der schlaksige Junge von vorhin warf den abgelutschten Eisstiel in einen Abfalleimer und spazierte, die Hände in den Hosentaschen vergraben, betont langsam in den Lagerraum des Ladens. Genauso langsam kam er kurz darauf mit einigen Zwei-Kilogramm-Kartoffelsäcken wieder heraus. Einen davon ließ er in Kathis Einkaufswagen plumpsen. Sein Gesichtsausdruck war unverändert und das Mädchen fragte sich, ob er wohl auch lachen konnte.
„Danke“, sagte sie höflich, „ich heiße Kathi!“
„Tja“, meinte er mit todernster Miene, „da kann ich dir auch nicht helfen!“ Er schob die Unterlippe hoch, drehte sich um und verschwand wieder nach draußen.
Kathi war sprachlos. Dies war der seltsamste Junge, dem sie je begegnet war!
„Die neue Schule!!…“, fiel es Kathi blitzartig ein, als sie die Augen am nächsten Morgen aufschlug. Bei diesem Gedanken krampfte sich ihr Magen kurz zusammen. Eine üble Sache, die ihr da bevorstand!
Kathi trank nur ihren Kakao. Dann schob sie ihre widerspenstigen Haare aus dem Gesicht. „Essen kann ich heute wirklich nichts!“, meinte sie, die Nase rümpfend. „Dazu bin ich viel zu aufgeregt.“
Die Aufregung legte sich auch nicht, als sie mit Mutti das weitläufige Schulgelände betrat, ganz im Gegenteil! Es war erst halb acht Uhr, trotzdem tummelte sich schon eine Menge Mädchen vor dem breiten, verglasten Portal des Gebäudes. Die kleineren sausten schreiend hin und her, während sie ihre Rucksäcke irgendwo herumliegen ließen. Die größeren hingegen standen in Gruppen und lachten, oder führten ernsthafte Gespräche und kamen sich enorm wichtig dabei vor.
Frau Hoffmann und ihre Tochter bahnten sich mühsam einen Weg durch diesen Mädchenauflauf, wobei Kathi so manchen neugierigen Blick im Rücken spürte. Wie unangenehm!
Eine mollige, eher jüngere Schwester gewährte ihnen Einlass.
„Recht herzlich willkommen!“, strahlte sie mit ausgebreiteten Armen und schenkte Kathi ein breites, gemütliches Lächeln.
Sie schüttelte beiden die Hand. „Schwester Gertrud“, stellte sie sich kurz vor, „Sie werden von der Schwester Direktorin schon erwartet.“
Kathi war ein wenig erleichtert. „Also, wenn diese Nonnen alle so nett sind, dann hab’ ich Glück gehabt.“
Schwester Gertrud ging mit wogenden Hüften vor ihnen her. „Immer mir nach!“ sagte sie munter. „Gleich sind wir da!“
Scheu sah Kathi sich um. Fremde Gerüche schlugen ihr entgegen. An den Wänden der langen, blitzsauber geputzten Gänge hingen die üblichen Zeichnungen und Malereien der Schülerinnen und auf den breiten Fenstersimsen standen Bastelarbeiten und blühende Pflanzen, jede auf einem schneeweißen, gehäkelten Spitzendeckchen. Ansonsten aber wirkte alles recht nüchtern und streng.
Plötzlich ging ein Ruck durch Schwester Gertruds Körper.
„Guten Morgen, Schwester Josefa Bernhard!“, flötete sie ehrfurchtsvoll. Mit abgehackten Schritten kam ihnen eine ziemlich alte, furchtbar dünne und klein gebaute Nonne, die den Blick auf den Boden gerichtet hielt, entgegen. Diese nickte wortlos zurück, ohne dabei eine Miene zu verziehen.
Doch da waren sie schon an der Direktion angelangt: Klopfenden Herzens trat Kathi mit Mutti ein. Hinter einem riesigen Schreibtisch saß Schwester Direktorin Bonifacia. Sie drückte das Gesicht nach unten, um über die Brillengläser hinweg linsen zu können, und lächelte säuerlich.
Ihre Augen fixierten Kathi. „Danke, Schwester Gertrud“, säuselte sie und ließ das Mädchen dabei nicht aus den Augen.
Schwester Gertrud drehte sich um, gab Kathi einen aufmunternden Klaps auf die Schulter, sagte: „Mach’s gut, Kleine!“ und entfernte sich schleunigst. Schließlich hatte sie zu tun!
Schwester Bonifacia war wuchtig gebaut. Eine eckige Brille mit breitem Rand saß auf ihrer großen Nase. Geschäftig schob sie jetzt Akten auf dem Tisch herum, bis sie die richtige gefunden zu haben schien.
„So, Frau Hoffmann“, begann sie ernst, runzelte die Stirn und blätterte nachdenklich in ihren Papieren.
„Ihre Tochter soll also in eine erste Klasse eingeschult werden. Wollen mal sehen… hmm“, sie blickte auf die Kopie von Kathis letzter Schulnachricht, „dein Halbjahrszeugnis ist leider nicht besonders gut, Katharina.“ Sie nahm ihre Brille ab und konzentrierte sich mit strenger Miene wieder auf das Kind.
Kathi lief knallrot an und wäre am liebsten davongelaufen.
„Ich weiß“, sagte sie leise.
Die Direktorin holte eine Liste aus der Schublade ihres Schreibtisches und überlegte. „Na ja“, wieder ein säuerliches Lächeln, „in der 1c–Klasse ginge es noch. Mhm, Nachmittags-Betreuung… Ich denke, du wirst dir jetzt im zweiten Halbjahr sicherlich mehr Mühe geben, vor allem in Mathematik, nicht wahr, Katharina?!“
Das Mädchen stieg gequält von einem Fuß auf den anderen.
„Klar“, bemühte es sich.
Schwester Bonifacia griff nach einem Bleistift, machte ein geheimnisvolles Zeichen auf ihre Liste und wandte sich wieder der Mutter zu: „Es ist am besten, wenn Katharina erst morgen zur Schule kommt,“ meinte sie und legte den Kopf schräg. „Sie beide werden ja nach dem Umzug noch einiges zu erledigen haben, nicht wahr?“
„Sehr freundlich, Schwester!“, bedankte sich Frau Hoffmann eilig und nahm ihre Handtasche, die sie auf einem Stuhl abgestellt hatte, wieder an sich.
Die Direktorin erhob sich und trat hinter ihrem monströsen Schreibtisch hervor. Aufgerichtet wirkte sie noch viel wuchtiger.
„So, Katharina, dann wünsche ich dir viel Erfolg an unserer Schule!“, sagte sie förmlich und gab Kathi die Hand.
„Na, war doch halb so schlimm“, meinte Frau Hoffmann, als sie das Schulgebäude wieder verlassen hatten. Der Unterricht musste inzwischen begonnen haben, denn vor dem Haus war kein einziges Mädchen mehr zu sehen.
„Trotzdem, an morgen mag ich gar nicht denken“, jammerte Kathi, „lauter fremde Leute!“
Federschachtel, Zirkel, Geodreieck und eine Reihe Hefte steckten schon im Rucksack. Nun schob Kathi noch eine Plastikdose mit einem Schinkenbrot hinein.
„Benimm dich ordentlich und pass im Unterricht gut auf“, schärfte Mutti ihr ein, „damit du nicht gleich am ersten Tag Scherereien kriegst!“
„Ja, ja“, gab Kathi ungeduldig zurück.
Beide verließen nun eilig die Wohnung. Mutti trug heute ihren schicken, blauen Blazer und sah auch sonst besonders elegant aus, denn sie wollte an ihrer neuen Arbeitsstelle natürlich einen guten Eindruck machen. Flink stieg sie in ihren Wagen, winkte und fuhr los.
Kathi hingegen schlug aufgeregt die Richtung zur Straßenbahnhaltestelle ein, die beim Supermarkt um die Ecke lag.
Und wer lehnte dort am Fahrkartenautomaten? Richtig, Hannes, der seltsame Junge von gestern. Er redete gestikulierend auf einen dunkelhaarigen Jungen ein, der um einiges kleiner war als er und eine dunkelblaue Schirm-Kappe trug. Der brach in schallendes Gelächter aus, wobei ihm die Kappe ins Gesicht rutschte.
Doch da quietschte schon die Bahn daher und eine Menge Leute drängten zum Einstieg. Es waren hauptsächlich Schüler mit dicken Rucksäcken, die einen fürchterlichen Radau machten. Johlend und schubsend stürmten sie die Straßenbahn.
Eine ältere Dame, die auch einsteigen wollte, meinte ärgerlich: „Die Kinder heutzutage haben überhaupt kein Benehmen mehr!“
Hannes und sein Freund stiegen unmittelbar hinter Kathi ein. Die beiden Jungs stürzten an ihr vorbei und ergatterten Sitzplätze, während Kathi sicherheitshalber an der Tür stehen blieb, um nur ja rechtzeitig aussteigen zu können. Sie konnte nicht umhin, sich nach den Jungen umzudrehen. Hannes warf ihr einen Blick zu, grinste und stieß den kleineren Jungen mit dem Ellbogen an, während er ihm etwas ins Ohr flüsterte.
„Die sind blöd!“, dachte das Mädchen verärgert.
An der dritten Haltestelle, so wusste Kathi, musste sie raus. „Nächster Halt: Luisenplatz“, tönte es aus dem Lautsprecher. Die dritte Ansage war „Klosterstraße“. Diese Haltestelle befand sich genau gegenüber der Clara-Fey-Schule.
Mit ihr stieg laut schwatzend noch eine Menge Mädchen aus, die offensichtlich auch alle in dieses Gymnasium wollten. Kathi schloss sich ihnen zögernd an. Die beiden Jungen hingegen blieben in der Straßenbahn sitzen und sahen dem Mädchen neugierig hinterher. Kathi hätte zu gerne gewusst, in welche Schule die zwei unterwegs waren.
Auf dem Schulhof stellte sie sich mit einem mulmigen Gefühl im Bauch alleine in eine Ecke und sah dem munteren Treiben zu. Lauter Mädchen! Ein ungewohnter Anblick für Kathi. Die forschenden Blicke, die sie trafen, hoben ihre Laune nicht gerade. Da öffnete Schwester Gertrud die Glastür und beinahe gleichzeitig stürmten die jüngeren Mädchen wie eine wilde Horde an ihr vorbei ins Haus.
Die Nonne hob hilflos die Arme. „Euch ist nicht zu helfen“, meinte sie in gespielter Verzweiflung. Die Mädchen aus den oberen Klassen hatten es dafür längst nicht so eilig, ins Haus zu kommen. Im Gegenteil, sie ließen sich eine Menge Zeit! Ihnen folgte Kathi langsam.
„Ah, da ist ja die Neue!“, rief Schwester Gertrud lächelnd, als sie Kathi erspäht hatte, und hielt sie am Ärmel fest.
„Na, dann komm mal mit! Du musst in die Klasse von Schwester Josefa Bernhard.“ Sie legte dem Mädchen ihre Hand auf die Schulter und schob sie neben sich her.
Kathi erschrak! Schwester Josefa Bernhard? War das nicht die verhutzelte Nonne, die ihr gestern auf dem Gang begegnet war. Neiin!, dachte sie mit verzweifelter Miene. Warum konnte nicht Schwester Gertrud ihre Klassenlehrerin werden? Die sah viel freundlicher aus!
Laut schrillte die Schulglocke durch die Flure, was zur Folge hatte, dass es im Gebäude plötzlich leiser und leiser wurde.
Der Flur, auf dem Kathi mit Schwester Gertrud ging, war auf einmal leergefegt und aus den Klassenzimmern hörte man nur mehr gedämpftes Murmeln. Unglaublich! In Kathis alter Schule hatte es auch nach dem Klingeln noch jede Menge Radau gegeben!
Schwester Gertrud peilte eine Tür an, öffnete sie und schob das Mädchen hinein. „Die Neue, Schwester Josefa Bernhard“, sagte sie und war schon wieder weg.
Nun stand Kathi in der 1c-Klasse, ganz auf sich gestellt. Ihr Mut sank, denn genau das, wovor ihr gegraut hatte, geschah: Sechsundzwanzig fremde Augenpaare starrten sie an. Die Klassenlehrerin erhob sich hinter ihrem Schreibtisch, trippelte auf sie zu und gab ihr eine knöcherne Hand, während ihre wässerigen Augen misstrauisch dreinblickten. Kathi stellte überrascht fest, dass die Nonne kaum größer war als sie selbst. Jetzt drehte sich Schwester Josefa Bernhard zu den anderen Mädchen um.
„Das ist Katharina Hoffmann aus Almfurt“, sagte sie mit starrem Gesichtsausdruck.
Einige Mädchen kicherten, während Kathi verlegen an ihrem Rucksack herum fummelte. Die Nonne stützte überlegend ihr Kinn in die Hand, während sie ihren Blick durch die Klasse schweifen ließ.
„Neben Brigitte ist noch ein Platz frei“, sagte sie dann ernst und deutete auf einen der hinteren Tische, an dem ein schmächtiges Mädchen mit glattem, schulterlangen Haar saß. „Da kannst du dich hinsetzen!“
Kathi schlich mit rotem Kopf nach hinten, drückte sich auf den freien Platz und kramte in ihrem Rucksack.
„Mich nennen alle Gitti“, flüsterte ihr die Nachbarin mit einem breiten Lächeln zu.
Kathi war unendlich erleichtert. „Und ich heiße eigentlich Kathi“, lachte sie laut zurück.
Schwester Josefa Bernhard hatte bereits mit deutscher Grammatik begonnen. Aber als sie Kathis Lacher hörte, hob sie erstaunt den Kopf, legte ihn schräg, wie Schwester Bonifacia das gestern getan hatte, und sah die „Neue“ eindringlich an.
„An unserer Schule ist es üblich, während des Unterrichts aufzupassen!“, grollte sie und schob dabei ein Haar, das sich unter ihrer Nonnenhaube hervorgestohlen hatte, mit ihrem dünnen Zeigefinger wieder dahin zurück, „War das an eurer Schule etwa anders?!“
Kathi erschrak und lief schon wieder rot an. „Nein, ich wollte aber doch nur…“
„Das spielt jetzt keine Rolle!“, tönte die Schwester. „Sieh dir lieber den Text auf dem Overhead an und nenne uns ein paar Akkusativ- Objekte!“
Oh, verflucht! Kathi beugte sich vor und fixierte fieberhaft den Text an der weißen Tafel. „Akku was…?“ Sie war in dem Moment derart perplex, dass die Wörter vor ihren Augen zusammenhanglos herumtanzten.
„… an einem regnerischen Tag…“, stammelte sie schließlich und ahnte gleichzeitig, dass sie auf dem Holzweg war.
„Wie ich’s mir dachte!“ Schwester Josefa Bernhard schüttelte missbilligend den Kopf und seufzte. „So wirst du hier nicht weit kommen! Ich rate dir, zu arbeiten, anstatt Unsinn zu treiben!“ Damit wandte sie sich wieder ihrer Grammatik zu und würdigte das Mädchen keines Blicks mehr.
„Unsinn?“, dachte Kathi schockiert. Sie wollte sich doch nur ihrer Tischnachbarin vorstellen! Am liebsten hätte sie sich gleich in Luft aufgelöst. Aber, weil das nicht ging, begnügte sie sich damit, still dazusitzen.
Gitti warf ihr einen mitleidigen Blick zu, doch auch der spendete wenig Trost. „Blöder hätte es gar nicht laufen können“, dachte das Kind entmutigt.
Die restliche Stunde musterte Kathi ihre Mitschülerinnen. Beschämt stellte sie fest, dass die meisten fleißig mitarbeiteten und offensichtlich genau wussten, worum es ging. Aber da Kathi sich nicht die Bohne dafür interessierte, wie man Satzglieder bestimmte, versuchte sie erst gar nicht, dem Unterricht zu folgen.
Stattdessen wandte sie nun ihr spezielles Augenmerk der Nonne zu. Die Kleidung der Schwestern war schon höchst eigenartig, fand sie. So etwas hatte das Mädchen noch nie aus der Nähe gesehen: Das langärmelige, schwarze Kleid, das am Hals in einem hohen, steifen Kragen endete, fiel bis zu den Fuß-Knöcheln der Schwester herab und wurde in der Nähe der Taille von einer weißen Kordel gerafft. Von dieser Schnur baumelte ein überdimensionaler Rosenkranz, dessen große Perlen bei jeder Bewegung der Frau zusammenschlugen und dadurch ein leises Klappern verursachten. Vorne und hinten wurde das Kleid der Länge nach von einem schwarzen Stoff-Streifen, einer Art Schürze, bedeckt. Die schwarzbestrumpften Füße steckten in ebenfalls schwarzen, altmodisch geschnittenen Lederschuhen. Am ungewöhnlichsten aber erschien Kathi die Kopfbedeckung von Schwester Josefa Bernhard: Sie bestand aus einer tief ins Gesicht gezogenen, weißen Haube. Von ihr war jedoch nur der steife Rand, der das Gesicht der Schwester umschloss, sichtbar. Der Rest der Haube war von einem schwarzen, weit geschnittenen Schleier bedeckt, der weit über die Schultern herunterfiel.
Die Frau tänzelte Rosenkranz klappernd zwischen dem Overhead, ihrem Schreibtisch und den Mädchen hin und her und konnte von ihren Objekten, Pronomen und Adjektiven nicht genug kriegen. Fiel eine Schülerin durch Unaufmerksamkeit auf, maß die Schwester sie mit giftigen Blicken.
Das Klingeln am Ende der Schulstunde unterbrach Kathis Beobachtungen. Schwester Josefa Bernhard schickte sich jetzt nicht wie sonst üblich an, die Klasse zu verlassen, sondern öffnete ihr Sprachbuch und deckte die Mädchen mit einer ziemlich umfangreichen Hausarbeit aus deutscher Grammatik ein. Erst dann klemmte sie ihre Utensilien unter den Arm und entfernte sich erhobenen Hauptes.
Sofort war Kathi der Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Alle sprangen auf, starrten sie an und einige Mädchen riefen durcheinander:
„Wo kommt die denn her?“ – „Die hat wohl nicht viel Ahnung!“ – „Wenn die sich’s gleich am ersten Tag mit der Josefa verdirbt…!“ – „So doof kann man sich doch gar nicht anstellen!!“
Besonders zwei Mädchen konnten sich nicht genug ereifern. Sie hießen Kerstin und Christine, wie Kathi später erfuhr. Kathi saß mit gesenktem Kopf da und fühlte sich so hilflos wie schon lange nicht mehr. Wäre der Tag doch schon vorbei!
Nun mischte sich ein ziemlich großes, dunkelblondes Mädchen ein: „Seid ihr eigentlich alle bescheuert?“, meinte sie ruhig, während sie in die Runde blickte. „So einfach ist es doch nicht, irgendwo neu anzufangen. Da könntet ihr gefälligst Rücksicht nehmen und Katharina lieber helfen!“
„Genau“, stimmte Gitti zu, „ich geh nachher mit ihr die Schulbücher im Sekretariat holen.“
„Bravo!“, tönte eine volle Stimme von der offenen Klassentür her. Jetzt erst sahen die Mädchen Schwester Gertrud, die den Aufruhr anscheinend mitbekommen hatte. Sie bewegte ihren massigen Körper nach vorne zum Schreibtisch und ihr sonst meistens so fröhliches Gesicht nahm einen besorgten Ausdruck an.
„Einigen Damen hier sind anscheinend ihre guten Leistungen zu Kopf gestiegen. – Gefällt mir gar nicht“, meinte sie trocken. Doch sie ging nicht näher auf diese „Damen“ ein.
„So, meine Lieben“, kam sie zur Sache, „jetzt wenden wir uns aber schleunigst der Vorrangregel zu, denn die nächste Klassenarbeit kommt bestimmt. – Nun Kerstin, was besagt die?“
Kerstin überschlug sich förmlich vor Eifer: „Punktrechnung geht vor Strichrechnung“, deklamierte sie wie aus der Pistole geschossen und dann hagelte es Rechnungen, dass allen nur so die Köpfe rauchten. Doch Kathi bemühte sich vergebens. Sie brachte immer nur falsche Ergebnisse heraus, denn sie hatte keine Ahnung, was „Punktrechnung geht vor Strichrechnung“ bedeutete.
Erst die letzte Stunde entpuppte sich als Lichtblick des Vormittags. Die 1c–Klasse hatte Turnen bei Frau Schlünder. Sie war eine junge, quirlige Frau mit ganz kurzem, schwarzen Bürstenschnitt, und natürlich war sie keine Nonne.
„Wie könnte sie auch in dieser Kluft vorturnen?“, dachte Kathi leise kichernd und stellte sich Schwester Josefa Bernhard vor, wie sie mit fliegenden Röcken ein Rad schlug. Dabei schlüpfte sie neben Gitti und Julia flott in ihren Turnanzug. Im Umkleideraum ging es wesentlich lauter zu als in der Klasse. Aha, die Schlünder war offensichtlich nicht so streng wie die Schwestern!
„Hoch am Trapez hängt Fräulein Schlünder“, sang Gitti fröhlich vor sich hin, „Gymnastik wäre viel gesünder!“ Alle Mädchen lachten schallend.
In dieser Stunde wurde „Völkerball“ gespielt und darin war Kathi unschlagbar! Besonders die Mädchen, die in der Deutsch-Stunde so ekelhaft zu ihr gewesen waren, versuchten mehrfach vergeblich, sie abzuschießen. Kathi, die in ihren Bewegungen äußerst flink war, wich den Bällen spielend aus oder fing sie mit Leichtigkeit. Von einigen Mädchen der Klasse erntete sie bewundernde Ausrufe.
„Super!“, rief auch Frau Schlünder anerkennend und klatschte Beifall. Kathi kriegte wieder ihren roten Kopf, aber diesmal vor Freude.
„Gehst du auch in die Nachmittags-Betreuung?“, fragte Gitti, als sie neben Kathi die Umkleide verließ. Kathi freute sich: „Du auch? Fein! Dann kann ich ja gleich mit dir gehen.“
Der Speisesaal der Schule befand sich in einem anderen Flügel des Gebäudes, in dessen Richtung jetzt unter lautem Stimmengewirr massenweise Schülerinnen der Unterstufe strömten.
„Die älteren dürfen wohl nachmittags allein zu Hause bleiben“, stellte Kathi verbittert fest. Gitti bestätigte das und seufzte: „Die haben’s gut! Die brauchen den Fraß hier nicht zu essen.“ Währenddessen schlug ihnen bereits undefinierbarer Küchengeruch entgegen.
Kathi rümpfte ihre Stupsnase: „Das riecht aber gar nicht lecker“, beschwerte sie sich.
„So riecht es immer,“ erklärte Gitti gleichgültig, „ganz Wurscht, was gekocht wird.“
Im Speisesaal angelangt nahm sie zwei der vielen Bestecke, die auf einem Tisch direkt neben der Tür bereitlagen, steckte eines davon Kathi zu und zog sie an der Hand hinter sich her zu einem Tisch direkt neben der zum Saal hin offenen Küche.
„Hier vorne sitzen die ersten Klassen,“ klärte Gitti das Mädchen auf und setzte sich. Dann zeigte sie auf eine dicke Nonne, die in einem riesigen Kochtopf rührte und statt der üblichen schwarzen Schürze eine weiße trug. „Das ist Schwester Andrea, der Küchenboss. Vor der nimm dich in Acht, die hat’s in sich!“, warnte sie.
Inzwischen trudelten auch die restlichen „Nachmittags-Kinder“ der 1c– Klasse ein. Leider auch Kerstin und Christine, die sich gerade abfällig über ein Mädchen am Nachbartisch äußerten. Vanessa und Carmen, die mit den beiden befreundet waren, schoben sich nun ebenfalls ihre Stühle am gedeckten Tisch zurecht.
„Ja, da ist ja unsere Almfurterin!“, bemerkte Vanessa spöttisch und stieß Kerstin mit dem Ellenbogen an. „Die hat uns grade noch gefehlt.“
„Du sagst es“, bekräftigte Carmen. „Wenn ihr mich fragt, hätte die ruhig in ihrem Almfurt bleiben können!“
„Ihr seid echt nicht auszuhalten!“, konterte die kleine Gitti mutig. „Was hat Kathi euch denn bloß getan?“
Christine war richtig erbost: „Da fragst du noch? Wegen der war die Josefa doch so schlecht drauf. Die ist doch Schuld, dass wir heute doppelt so viele Hausaufgaben gefasst haben wie sonst!“
„Genau“, pflichtete Carmen bei, „außerdem bekommt man nicht gerne eine Nichtskönnerin in die Klasse!“
Unfassbar, wie fies manche Mädchen sein können!
„Hör’ gar nicht hin, Kathi!“, riet Gitti, mit ihrer Geduld am Ende, während sie aus ihrer Serviette ein Schiff faltete. Kathi fiel auf, dass Carmen, Kerstin, Christine und Vanessa anders als die meisten anderen Mädchen in modische, teure Markensachen gekleidet waren.
Nun klatschte Schwester Andrea in die Hände und sofort wurde aus dem lautstarken Gerede der Mädchen ein verhaltenes Gemurmel. Nach einem kurzen Tischgebet wurden die riesigen Kochtöpfe von einigen jungen Küchengehilfinnen auf großen, metallenen Servierwagen durch den Saal kutschiert. Die Helferinnen füllten mit Hilfe von Schöpfkellen einen Teller nach dem anderen. Nur die Mädchen der ersten Klassen wurden von Schwester Andrea höchstselbst bedient.
„Fleischstrudel-Suppe“, kommentierte Christine einsilbig. Kathi aber riss die Augen auf und kriegte es mit der Angst. Sie hasste Fleischstudel-Suppe
„Iiigitt“, entfuhr es ihr.
„Mensch, halt bloß die Klappe!“, zischte Gitti, doch schon beugte sich der Küchenboss über Kathi und kriegte ihren Teller zu fassen. Dabei streifte sie das Mädchen mit ihrem nach gedünsteten Zwiebeln riechenden Schleier.
„Bitte nur gaaanz wenig!“, sagte Kathi mit flehendem Gesichtsausdruck. Schwester Andrea hielt beim Servieren überrascht inne und blickte sie streng an.
„Ah, eine Neue! – Heikel, die feine Dame?“, bemerkte die Nonne, während sie eine Schnitte Fleischstrudel klatschend auf dem Teller landen ließ. „Sieh zu, dass du dich an dieser Schule gut benimmst!“ Die Schwester bediente nun auch die anderen Mädchen am Tisch und schob den Servierwagen anschließend schwitzend wieder Richtung Küche. Die Mädchen am Tisch begannen zu löffeln und setzten ihre Gespräche in gedämpfter Lautstärke fort.