Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Rektor Feldhege hatte Frau Bongards gewarnt. »Laden Sie nicht gleich die ganze Familie zum Gespräch ein. Das wächst Ihnen über den Kopf.« Die junge engagierte Lehrerin hatte gar nicht verstanden, was der Rektor meinte. »Wie? Nicht die ganze Familie?«, hatte sie verständnislos gefragt. Sie wollte natürlich nur mit Robins Eltern sprechen. Der Junge war sehr unkonzentriert und vergaß ständig seine Sachen. Immer öfter fehlten die Hausaufgaben oder die Materialien, die mitzubringen seine Aufgabe gewesen wäre. Der Sportlehrer Heiner Frankenfeld hatte sich auch schon beklagt, dass Robin oft seine Sportsachen zu Hause liegen lassen würde und deshalb nicht richtig mitmachen konnte. Dabei war er ein sehr guter Schüler und engagierte sich mit Fabian Schöller in der Biologie AG. »Sie wissen von der Scheidung der Eltern, Frau Bongards? Es liegt schon lange zurück. Beide Elternteile haben wieder geheiratet und Robin lebt mal bei der einen und mal bei der anderen Familie. Das nennt man Wechselmodell«, hatte der Rektor des Gymnasiums in Maibach geduldig erklärt. Er hatte den vierzehnjährigen Robin selbst nicht im Unterricht, hatte aber eine Vorstellung davon, wo das Problem liegen könnte. Er wollte jedoch nicht vorgreifen. Die junge Kollegin sollte sich schon selbst ein Bild machen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 127
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Rektor Feldhege hatte Frau Bongards gewarnt.
»Laden Sie nicht gleich die ganze Familie zum Gespräch ein. Das wächst Ihnen über den Kopf.«
Die junge engagierte Lehrerin hatte gar nicht verstanden, was der Rektor meinte.
»Wie? Nicht die ganze Familie?«, hatte sie verständnislos gefragt. Sie wollte natürlich nur mit Robins Eltern sprechen. Der Junge war sehr unkonzentriert und vergaß ständig seine Sachen. Immer öfter fehlten die Hausaufgaben oder die Materialien, die mitzubringen seine Aufgabe gewesen wäre. Der Sportlehrer Heiner Frankenfeld hatte sich auch schon beklagt, dass Robin oft seine Sportsachen zu Hause liegen lassen würde und deshalb nicht richtig mitmachen konnte. Dabei war er ein sehr guter Schüler und engagierte sich mit Fabian Schöller in der Biologie AG.
»Sie wissen von der Scheidung der Eltern, Frau Bongards? Es liegt schon lange zurück. Beide Elternteile haben wieder geheiratet und Robin lebt mal bei der einen und mal bei der anderen Familie. Das nennt man Wechselmodell«, hatte der Rektor des Gymnasiums in Maibach geduldig erklärt. Er hatte den vierzehnjährigen Robin selbst nicht im Unterricht, hatte aber eine Vorstellung davon, wo das Problem liegen könnte. Er wollte jedoch nicht vorgreifen. Die junge Kollegin sollte sich schon selbst ein Bild machen. Nur sollte sie seiner Meinung nach nicht beide Familien gleichzeitig einladen.
»Wechselmodell? Davon habe ich noch gar nichts gehört«, hatte Frau Bongards zugegeben.
Doch da war es schon zu spät gewesen, um etwas zu korrigieren und nun saßen vier Erwachsene und drei kleine Kinder vor ihr. Robin Hoffmann saß in der Mitte und schaute sie mit dunklen Augen unglücklich an. Die ganze Situation schien ihm nicht zu behagen. Das hatte er mit seiner Klassenlehrerin gemein. Frau Bongards fragte sich nämlich zwei Dinge. Warum hatte sie nicht früher den Rat von Herrn Feldhege eingeholt und wer waren die vielen Menschen eigentlich. Wer gehörte zu wem? Die Verwirrung wurde auch dadurch begünstigt, dass die beiden zweijährigen Zwillinge von einem Arm in den nächsten gehoben wurden und das vierjährige Mädchen im Klassenraum auf Entdeckungstour ging. Dabei wurde sie von verschiedenen Seiten ermahnt nicht alles anzufassen. Eine der Frauen war schwanger, wie man unschwer erkennen konnte. Die zierliche Blondine folgte dem Trend, ihren Babybauch regelrecht in Szene zu setzten, anstatt ihn zu verstecken. Sie trug ein enges schlauchähnliches Kleid und dazu Sneaker.
»Ich stelle uns mal vor«, begann sie munter. »Ich bin Lilo Meinert und das ist mein Mann Charlie Meinert. Lara gehört zu uns. Ich bin Robins Mutter«. Dann zeigte sie auf einen Mann mit dunklen Haaren. Er trug einen Anzug, als wäre er gerade erst von der Arbeit zurück.
»Das ist Kai Hoffmann. Er ist Robins Vater. Er ist mit Simone Helios verheiratet. Sie haben die Zwillinge Jan und Philipp.« Simone hob kurz die Hand zur Begrüßung. Die dunkelhaarige Frau mit Pagenschnitt und knallrot geschminkten Lippen wirkte etwas zugeknöpfter als die lebhafte Lilo, aber auch ernsthafter.
»Danke, Frau Meinert. Das hilft mir sehr weiter. Dann sind Sie und Herr Hoffmann die Eltern von Robin und verantwortlich für seine Erziehung, richtig?«
»Na ja, so eng sehen wir das nicht«, fuhr Charlie Meinert lachend dazwischen. Frau Bongard taxierte den Ehemann von Robins Mutter. Dass er vieles nicht so eng nahm, glaubte sie sofort. Er war sehr leger gekleidet und seine mittellangen Haare schauten unter einem Sonnenhut hervor, dessen Zweck nicht ersichtlich war, da es regnete.
»Könnten Sie mir das vielleicht etwas genauer erklären?«, fragte Frau Bongards trotzdem, aber ihre Frage ging im Getöse unter, weil Lara beim Herumstöbern etwas umgestoßen hatte, dass jetzt krachend zu Boden fiel. Die Zwillinge erschraken und begannen gleichzeitig zu weinen. Simone Helios und Kai Hoffmann versuchten, die Zwillinge zu beruhigen. Lilo tröstete Lara, wo Frau Bongards eine Zurechtweisung angemessener gefunden hätte. Aber Lara hatte es ja nicht absichtlich gemacht, meinte Lilo entschuldigend. Nachdem sich alle wieder beruhigt hatten, griff Frau Bongard die Frage erneut auf.
»Herr Meinert, könnten Sie mir bitte erklären, was Sie genau meinen, wenn Sie sagen, dass Sie das mit der Erziehung nicht so eng sehen.«
»Ich wollte nur sagen, dass wir alle die Verantwortung für Robin tragen. Da nimmt sich keiner raus aus der Pflicht«, erklärte er und klemmte seine halblangen Haare hinters Ohr. Eine Handbewegung, die die Lehrerin seltsam bei einem Mann fand.
»Verstehe«, sagte sie, aber das Gegenteil war der Fall.
»Was Charlie sagen will, ist, dass Robin beim Wechselmodel nicht nur mal bei dem einen und mal bei dem anderen Elternteil wohnt, sondern immer in der ganzen Familie. Simone und Charlie kümmern sich auch ganz großartig um Robin«, behauptete Kai.
Frau Bongards fing einen Blick von Robin auf, dem sie Zweifel entnahm. Der Junge seufzte schwer. Vielleicht sollte sie mal zum Thema kommen.
»Also, was ich gerne mit Ihnen besprechen möchte, sind die vielen Male, wo Robin ohne Material, ohne Sportsachen und ohne Hausaufgaben im Unterricht erscheint. Robin weiß das. Wir haben schon öfter darüber gesprochen. Er ist ein sehr guter Schüler, aber ihm mangelt es offensichtlich an Konzentration«, erläuterte die Lehrerin. Statt der erwarteten Antwort von den Erwachsenen, begannen die Zwillinge laut zu quengeln. Simone Helios kramte Spielzeug aus einem riesigen Shopper und versuchte die Aufmerksamkeit der Kleinkinder darauf zu lenken. Sie hatte nicht zugehört, was Frau Bongards zu der unausgesprochenen Frage veranlasste, warum die Kinder unbedingt dabei sein mussten. Sie sah demonstrativ zu Lilo Meinert.
»Ich verstehe das Problem nicht. Wenn Robin doch gut in der Schule ist, dann ist es doch egal, wenn er mal etwas vergisst. Er wird er doch nicht der Einzige sein, dem das passiert«, verteidigte Lilo ihren Sohn und indirekt auch sich selbst.
»Nein, der Einzige ist er nicht. Aber er fällt auf. Und wenn er keine Sportsachen dabeihat, kann er nicht mitmachen. Herr Frankenfeld hat mir schon mitgeteilt, dass Robin dieses Halbjahr keine Eins in Sport bekommen wird. Er hat einfach zu oft auf der Bank gesessen.«
»Na ja, Sport …«, sagte Kai und strich seinen Anzug glatt.
Frau Bongards verzichtete auf eine Entgegnung und sah zwischen den Erwachsenen hin und her.
»Ist das nicht typisch für Jugendliche in dem Alter?«, stellte Simone eine rhetorische Frage. Daraufhin machten, wie auf ein geheimes Startzeichen, Anekdoten die Runde. Charlie begann, was er selbst früher als Jugendlicher schon alles vergessen hatte. Plötzlich war von verlorenen Jacken in Bussen, vermissten Sportschuhen und unauffindbaren Büchereiausweisen die Rede. Alles wurde mit Gelächter quittiert. Frau Bongards musste sich zusammenreißen. Das lief ganz und gar nicht so, wie sie gedacht hatte.
»Frau Bongards, es tut mir leid. Es liegt daran, dass ich immer hin und her reisen muss. Wenn ich bei Papa in Igelshofen bin, denke ich nicht daran, dass ich in drei Tagen Sport habe. Dann liegt die Sporttasche noch bei Mama in Maibach. Es ist schwierig, in zwei Familien zu leben. Ich versuche immer, an alles zu denken, aber es ist oft so ein großes Durcheinander.« Robin hatte sich zu Wort gemeldet und alle vier Erwachsenen schauten auf einmal betroffen drein.
»Bekommst du denn keine Unterstützung?«, fragte Frau Bongards ehrlich überrascht.
»Na ja, Robin ist doch kein Kind mehr. Wir haben mit den Kleinen schon so viel zu tun. Robin ist doch schon groß«, entgegnete Kai Hoffmann.
»Und sicher denkt er auch an die Überweisung des Betrags für die Klassenfahrt«, parierte Frau Bongards ironisch. »Geht ja heutzutage ganz einfach per online Banking.« Den Betrag hatte sie wiederholt anmahnen müssen, bis er endlich eingezahlt worden war.
Die plötzliche Stille, die daraufhin einkehrte, hätte peinlich werden können, wenn sich Lara nicht erneut eingebracht hätte. Dieses Mal hatte sie einen Bücherstapel ins Wanken gebracht, der gerade noch von Charlie aufgefangen wurde, sodass nur wenige Bücher auf dem Boden landeten.
Frau Bongards reichte es. Es machte mehr Sinn, sich mit Robin allein zu verständigen. Sie hatte einen Eindruck von der Lage bekommen, obwohl sie nur einen Bruchteil der Herausforderungen, die das Familienleben im Wechselmodell mit sich brachten, erfahren hatte. Aber dieser Bruchteil genügte ihr.
»Nun, ich bin erfreut darüber, Sie alle einmal kennengelernt zu haben. Ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind«, beendete sie die Unterredung. Erstaunte Blicke trafen sie, aber niemand wollte noch länger über das Thema sprechen. Bis sich die beiden Familien sortiert hatten und klar war, mit welcher Familie Robin den Heimweg antreten würde, dauerte es dann noch eine Weile.
»Bis morgen, Frau Bongards«, verabschiedete sich Robin freundlich, aber in seiner Stimme schwang Resignation mit und die Lehrerin hatte plötzlich großes Mitleid mit dem Jungen. Sie konnte sich sein Leben vorstellen. Sie war selbst mit vielen jüngeren Geschwistern großgeworden. Allerdings nur mit zwei Eltern. Robin hatte es mit vier Erwachsenen und demnächst mit vier kleinen Kindern zu tun. Wo war eigentlich sein Platz? Wer war wirklich für ihn da? Was würde passieren, wenn auch noch ein Baby dazukäme? Wie gut kooperierten die beiden Familien wirklich? Frau Bongard hatte den Eindruck, dass die zwei Elternpaare doch sehr verschieden waren.
*
»Also Robin, tut mir leid, aber diese Frau Bongards hat ja vielleicht Nerven. Bestellt uns alle wegen solch einer Lappalie ein. Als hätten wir nichts Besseres zu tun«, sagte Robins Vater Kai genervt. Er saß am Steuer und schaute in den Rückspiegel. Robin saß im Fond zwischen den Zwillingen eingeklemmt, da die beiden Kindersitze, in denen die Zwillinge saßen, kaum Platz auf der Rückbank ließen.
»Hm, ich glaube, Frau Bongards wusste nicht, wie das bei uns läuft. Sie dachte bestimmt, dass du mit Mama alleine kommst«, gab Robin zu bedenken.
»Ach so, ja, das könnte natürlich sein«, lenkte Kai ein. Simone sah kurz zu Kai herüber.
»Warum hast du heute einen Anzug angezogen, Papa?« Robin war das gleich aufgefallen. Normalerweise trug Kai bequeme Sachen und seit er die Rolle des Hausmanns übernommen hatte, trug er immer öfter Jogginghosen. Kai hatte Elternzeit genommen. Als IT-Spezialist konnte er von zu Hause arbeiten. Simone war Anwältin. Sie wollte nicht pausieren, um ihre Karriere nicht zu gefährden. In letzter Zeit gab es zwischen den beiden oft Streit, denn Kai hatte oft nicht die Ruhe, um »Homeoffice« zu machen. Die Zwillinge forderten ihn und wenn sie endlich abends im Bett lagen, war er zu müde, um zu arbeiten.
»Ich hatte ein Bewerbungsgespräch. Ich will wieder eine feste Anstellung.«
»Und wer kümmert sich dann um die Kleinen?«, fragte Robin.
»Das müssen wir dann sehen …«, erwiderte Kai unbestimmt.
»Nicht vor Robin«, flüsterte Simone scharf, was Robin natürlich gehört hatte.
»Meinst du, ich merke nicht, wenn ihr streitet, Simone.« Robin hasste es, wenn die beiden versuchten, etwas vor ihm geheim zu halten. Er fühlte sich dann einerseits ausgeschlossen und andererseits wie ein Kind, dem man nichts zutraute. Dabei machte sich Robin viele Gedanken. Niemand in seiner Klasse hatte zwei Familien. Selbst Fabian Schöller war besser dran als er, dachte Robin. Fabian wusste, wohin der gehörte: Nach Sophienlust, nachdem er lange in einem Internat gelebt und sich dort nicht wohlgefühlt hatte. Das hatte er Robin anvertraut. Fabian saß neben ihm. Sie kamen sehr gut miteinander aus, besonders seit sie zusammen für »Jugend forscht« über Blattschneiderameisen forschten. Robin wäre gerne näher mit ihm befreundet, aber er schien mit Simon und Martin genug Freunde zu haben. Angelina, Angelika und Vicky gehörten auch zu der Gruppe, die mit dem roten Bus kam und auch wieder abgeholt wurde. Alle lebten in Sophienlust, einem Kinderheim in der Nähe von Bachenau. Deshalb sollte Robin sie eigentlich nicht beneiden, aber er tat es dennoch. Warum genau hätte er nicht sagen können. Aber sie hatten so eine tolle Gemeinschaft in Sophienlust. Und irgendwie klare Verhältnisse. So schien es Robin zumindest, wenn Fabian von Sophienlust erzählte.
Sie waren in Igelshofen angekommen. Kai und Simone wohnten in einer Neubausiedlung in einem sehr schicken Einfamilienhaus. Simones Eltern hatten der jungen Familie finanziell kräftig unter die Arme gegriffen. Robin hatte ein eigenes großes Zimmer unter dem Dach. Es war doppelt so groß wie das Zimmer bei seiner Mutter und Charlie. Aber es war etwas unpersönlich. Die meisten Dinge, an denen sein Herz hing, waren in seinem kleinen Zimmer in Maibach. Die Zwillinge waren auf der Autofahrt eingeschlafen. Simone war deshalb schlecht gelaunt.
»Na super, gleich wachen sie wieder auf und wir bekommen sie vor zehn nicht wieder ins Bett«, maulte sie. Kai und sie nahmen jeweils eins der Kleinkinder aus dem Kindersitz und trugen sie vorsichtig ins Haus. Robin fühlte sich schuldig. Wegen ihm hatten die Zwillinge zu einer ungünstigen Uhrzeit im Auto gesessen und waren eingeschlafen. Dann war noch nicht einmal etwas bei dem Gespräch rumgekommen. Er sah auf seinen Stundenplan, den er in doppelter Ausführung hatte, und packte seine Schulsachen für morgen zusammen. Er gab sich Mühe, nichts zu vergessen. Irgendetwas fehlte immer. Morgen war Kunst. Wo war der verdammte Farbkasten? Ach nein, den brauchte er ja gar nicht. In Kunst machten sie digitale Collagen am PC. Zum Glück! Plötzlich hörte er Simone von unten rufen.
»Essen ist gleich fertig, Robin.«
»Komme!«
Bei Simone und Kai wurde abends warm gegessen. Allerdings gab es selten etwas Selbstgekochtes. Als Robin in die klinisch saubere sehr stylische Küche trat, hörte er das typische Geräusch der Mikrowelle. Es waren aber nur die Hipp-Gläschen der Zwillinge, die gerade die richtige Temperatur erreicht hatten.
»Die Pizza ist auch gleich fertig«, sagte Simone und versuchte ein Lächeln. Sie war immer noch schlecht gelaunt, versuchte es aber, nicht zu zeigen oder gar an Robin auszulassen. Das musste man ihr lassen. Sie gab sich immer Mühe, nett zu Robin zu sein.
»Prima«, sagte der Junge und lächelte ebenfalls. Pizza gab es ziemlich oft, aber für Robin war das okay. Es war ihm lieber als die veganen Kreationen von Charlie und Lilo. Die beiden hatten vor gut einem Jahr den Plan eines eigenen Bistros entwickelt. Das Projekt stand unmittelbar vor dem Abschluss. Das erste Bistro mit veganer Küche in Maibach. Das war gewagt. Noch war nicht sicher, ob die Bürger von Maibach das Bistro annehmen würden. Kai und Lilo experimentierten schon länger mit veganer Ernährungsweise herum. Robin und die vierjährige Lara waren davon nicht immer begeistert. In diesem Punkt waren sie sich einig. Ansonsten hatte Robin ein eher neutrales Verhältnis zu Lara, während die Kleine ganz begeistert von ihrem großen Bruder war. Er war zehn Jahre älter als Lara. Was sollte er mit seiner kleinen Schwester spielen? Es wäre ihm peinlich, wenn ihn jemand dabei beobachten würde, wie er mit der Kleinen mit Puppen spielte. Das mussten Lilo und Charlie doch verstehen.
»Könntest du den Zwillingen nach dem Abendessen etwas vorlesen, Robin? Ich muss noch etwas wegen meiner Verhandlung morgen vorbereiten und Kai will unbedingt an den Schreibtisch«, fragte Simone und holte Robin damit aus seinen Gedanken.
»Ja, okay. Mach ich«, gab er knapp zur Antwort.
»Du bist ein Schatz«, antwortete Simone etwas überschwänglich.
Kai kam herein und holte sich seine Pizza, die er am Schreibtisch verzehren wollte. Das gefiel Simone gar nicht.
»Könnten wir nicht wenigstens fünfzehn Minuten wie eine ganz normale Familie am Tisch zusammen zu Abend essen. So viel Zeit wirst du doch noch erübrigen können«, platzte sie heraus.
Kai setzte sich wortlos. »Wie eine ganz normale Familie? Was verstehst du darunter Simone? Normal ist bei uns gar nichts, würde ich behaupten«, knurrte er.