Keiner verliert allein - Gerd Zahner - E-Book

Keiner verliert allein E-Book

Gerd Zahner

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  • Herausgeber: Transit
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Ein hintergründiger Krimi mit schnellen, prägnanten Szenenwechseln, schrägen Beobachtungen und einem sprachmächtigen, wortwitzigen Kommissar. Eine ganze Stadt scheint sich aufzulösen: Drogen aus alten Zeiten zirkulieren unter dem Namen Führer oder Panzerschokolade, Crystal Meth-Depots explodieren, Hausflure brennen, um letzte Mieter zur Flucht zu bewegen, über Facebook werden riesige Partys am Wannsee organisiert, auf denen reiche Menschen ihren Abschied aus dem Leben zelebrieren, um dann doch weiterzuleben. Für Goster, den Philosophen unter den Kommissaren, ist erstmal kein roter Faden, geschweige denn ein Sinn hinter all diesen verstörenden Ereignissen zu erkennen. Erst als sich nach einem simplen Mord, begangen an einer scheinbar harmlosen Mutter von drei Kindern, Querverbindungen zu skrupellosen Immobilien- wie Pervitinhändlern ergeben, kommt Goster der Sache auf die Spur.

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Seitenzahl: 124

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© 2019 by :TRANSIT Buchverlag

Postfach 121111 | 10605 Berlin

www.transit-verlag.de

Umschlaggestaltung und Layout:

Gudrun Fröba

eISBN 978-3-88747-359-4

Gerd Zahner

KEINER VERLIERT ALLEIN

Ein Goster Krimi

INHALT

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

ELF

ZWÖLF

DREIZEHN

VIERZEHN

FÜNFZEHN

SECHZEHN

SIEBZEHN

ACHTZEHN

NEUNZEHN

ZWANZIG

EINUNDZWANZIG

ZWEIUNDZWANZIG

DREIUNDZWANZIG

VIERUNDZWANZIG

FÜNFUNDZWANZIG

SECHSUNDZWANZIG

EINS

In der Mittagspause machte Goster einen Spaziergang durch den Park. Das Laub einer Linde fiel in einen Brunnen, und jedes Mal antwortete die Ewigkeit mit kleinen Kreisen, die am Brunnenrand verebbten. Auf dem Wasser spiegelten sich die Wolken, und die Kreise bewegten die Wolken wie ein zweiter Wind. Es schien, als ob der Himmel an diesem Brunnenrand enden würde.

Goster setzte sich auf eine Bank, schlug die Beine über Kreuz und versuchte, was am schwierigsten war, an nichts zu denken. Sein Gesicht war blass. Mit der rechten strich er über die linke Hand, die auf seinem Schenkel ruhte. Seine bewährte Rüstung gegen den Tag, ein feiner Zwirn in einer taubengrauen Farbe, die schwarzen halbhohen Schuhe, das schwarzbraune Manschettenhemd, waren stumpfe Waffen geworden.

Der Tote mit dem zerschlagenen Gesicht blickte noch immer zurück. Heute Morgen war der arme Kerl tot aufgefunden worden, auf dem Rücken liegend, in einer endlos verrauchten Kneipe im Wedding. Mit seinem Widersacher wegen der Rückennummer eines Herthaspielers in Streit geraten, schlug der vierzig Mal in Richtung Augen, Wange, Nase, Mund.

Das Geständnis, so wie man atmet, kam ganz von selbst. Der andere war mehrfach einschlägig vorbestraft, kam drinnen besser zurecht als draußen, nannte die Nummer seines Anwaltes auswendig und war beinahe froh, wieder in Haft zu kommen.

Auf der Parkbank, mit dem Gesicht zur Herbstsonne, hatte Goster erst kurz Platz genommen, als am Rand des Parks etwa zehn Personen einen brennenden Mülleimer umringten, der blaue Rauchschwaden ausstieß. Die Gruppe nahm leichten Abstand, offensichtlich weil der Rauch in den Augen brannte, aber statt dass die vom Rauch Eingeschlossenen sich weiter verzogen, den Abstand vergrößerten, begannen sie wie ein betrunkener Chor gemeinsam zu lachen, der blaue Rauch wirbelte, dichtete sich zu einer stahlblauen Wolke, so beschreibt es Goster später in seinem Bericht.

Die blaue Luft umfing die Menschen, als sei es ein Spiel. Ein paar der Zuschauer wackelten wie Enten auf dem Rasen, die andern lachten immer noch und blickten erschrocken zugleich.

Endlich rief jemand: »Geht doch zurück!«

Auch Goster erhob sich, um zu helfen, die ersten Schritte Richtung Feuer waren vorsichtig langsam, in das Geheul der Feuerwehr hinein, die roten Wagen bremsten scharf und maskierte Männer mit zwei Feuerlöschern vertrieben die Lachenden. Gegenüber war der berühmte Grieche der Hasenheide, und zwischen den Stühlen unter der Markise der Gaststätte fanden sich die Rauchvertriebenen, auch Goster, zwangsweise ein.

Fünfzig Meter vor ihnen erstickte der Mülleimer in einem Löschsack aus Schaum. Die Feuerwehr zog ein Paket hervor, das nur halb Feuer gefangen hatte, weil es unter dem Mülleimer angebracht war, von außen auf der Unterseite mit Tesakrepp fixiert.

Das Paket war mit Zeitungspapier eingeschlagen, und was nicht verkohlt war, rieselte als weißblaues Pulver heraus. Ein Amphetamingemisch, wie sich später ergab, von einem Drogendesigner mit Glutamat versetzt, gab dem Rauch die Farbe.

Die Luft rasselte. Goster hustete leicht auf, die Lungen, trotz des Abstands, sogen einen Rest dieser Luft aus dem Park tiefer in sich ein und er fühlte die Gewichte des Tages schwinden. Alles fiel ab. Als ein Feuerwehrmann fragte, »Geht’s?«, konnte er nur antworten, »Gestern ging’s auch nicht besser.«

Er lachte nicht wie die andern. Ein Arzt kam angerannt und schaute Goster in die Augen. Gosters Pupillen waren geweitet und die Zunge blass, er hatte dem senkrechten Arztfinger nach links und rechts mit Blicken zu folgen, sieben Krankenwagen brachte die Meute um den brennenden Parkeimer und Goster ins Krankenhaus. Er, im Gegensatz zu den andern, machte auf dem Absatz kehrt, las aber am nächsten Tag in der Zeitung, ein Drogenversteck habe in der Berliner Hasenheide Feuer gefangen und die blauen Rauchgase hätten die Passanten kontaminiert, so dass diese vorsorglich unter ärztliche Beobachtung gestellt, aber bald entlassen wurden. Eine Ursache des Brandes konnte nicht gefunden werden, man nahm an, der Eimer entflammte sich selbst.

Am Abend ging er ins Theater. Die Polizeipsychologin hatte ihm geraten, unter Menschen zu gehen, aufgrund eines Missverständnisses hatte er sich für das Theater entschieden. Die Schaubühne. Das Stück begann draußen. Hohe Leitern waren gegen die Fassade bis ans Dach gelehnt, und an Bergsteigerstricken hing oben ein Schauspieler und sagte: »Die Struktur des Bildes nach Wittgenstein lässt uns außen die Bühne bauen und nach innen wirken.«

»Herr Seidiger«, rief er hinauf, »wenn Sie der größte Schauspieler sind, warum brauchen Sie eine Leiter?« Er war selbst überrascht über das, was er rief. Die blaue Wolke in seinem Kopf tat Dinge, die er nicht wollte. Und weil Goster die Eintrittskarte wie eine Rose aufrecht vor sich hertrug, wurde sie ihm aus der Hand gezupft.

Auf dem Heimweg hörte er das Gespräch von zwei Frauen, die vor ihm liefen, die eine bestellte Bücher bei Amazon. Goster, ganz ungefragt, mischte sich ein und sagte: »Damit machen Sie den Inhaber unglücklich, denn er muss noch mehr an seine Ehefrau zahlen, mit der er in Scheidung lebt.« Die Frau mit dem Kinderwagen rannte davon.

ZWEI

H. holte ihn morgens mit dem roten, kleinen Wagen von seiner Wohnung ab, er wartete schon unten, mit glänzenden Schuhen, das Gesicht war spitz, denn er pfiff eine leise Melodie, so einen Beatlessong.

»Na«, sagte H..

Und er sagte: »Ja.«

Das Auto fuhr. Die Straße fuhr mit, schob Autos an ihnen vorbei, hielt manche an, manche drückten auf die Hupe und erschreckten Fahrradfahrer, die mit sich selber schimpften.

Goster sagte nichts. H. ließ das Radio laufen, und sie fuhren zu einem toten Flussarm der Spree, der in ein Industriegelände führte, ein Binnenschiff rostete halb ans Ufer gezogen, halb im Wasser liegend. Wegen der Dürre floss die Spree rückwärts, wie ein Fluss, der keine Mündung besitzt und in sich selbst verendet.

»Was machen wir hier?«

Der Tote lag auf einem blauen Plastikviereck. Er war verbrannt bis zur Unkenntlichkeit.

»In dem Schiff haben sie Meth gekocht, mit Bakterien-Säure, und dann ist es explodiert.«

»Und was soll ich…« Goster blickte das Schiff an, dann den Himmel.

»Warum ist es explodiert?«

»Sagen Sie es mir.«

Der Brandermittler, ein kleiner Mann in Turnschuhen, bog um die Ecke.

»Ist kein Mord, ist ein Scheiß-Unfall.«

»Unfall? Sicher?«

»Fast.«

»Na, dann.«

Gosters Hand berührte H. leicht, sie fuhren zurück.

Goster öffnete sein Büro, schloss die Türe, so leise, wie man einen Schluck Gin trinkt, und hing mit seinen Gedanken an den Flüssen, die rückwärts flossen. Draußen lag der Herbst. Nach dem heißen Sommer wollte der Regen nicht fallen, das Laub, nur so aus Gewohnheit, wurde braun. Er hätte sich gern betrunken, aus einem unbestimmten Gefühl. Goster dachte, ich bin in diese H. verliebt, ich Idiot. Verliebtsein ist der ernste Hinweis, dass man zu lange allein ist.

Mittags rief Oberstaatsanwalt Kovac, ein sehr kleiner, noch junger Staatsanwalt mit einer steilen Karriere vor Augen, die Dezernatsleiter in sein Büro, was nichts Gutes verhieß, denn sie gründeten in diesem Jahr jetzt die 14. Sonderkommission.

»Meth würgt diese Stadt«, sagte Kovac.

Er sprach bei solchen Anlässen langsamer als sonst, mit Weste, aber in Jeans, sah er aus wie ein Popstar, der es zu etwas gebracht hat, und um den Bauch schmiegte sich so etwas wie eine Uhrkette, die in eine Seitentasche fiel.

»Ist das eine Uhrkette?«, fragte Goster.

»Seien Sie still.«

Lempke kicherte. H. grinste, und auch die übrigen schauten zu Boden.

Kovac’ Plan, die Welt zu erklären, scheiterte an diesem Nachmittag, denn die Frage nach der Uhrkette hatte ihn aus dem Konzept gebracht. Er stotterte sogar.

Nach der Sitzung wartete Lempke am längsten.

»Goster ist ein komischer Kerl.«

»Sie auch«, sagte Kovac und schritt wütend davon.

Schlimmer als die Niederlage war es, auf sie angesprochen zu werden, dabei sagte Goster zu H. »Habe doch nur nach der Uhrkette gefragt.«

In derselben Nacht explodierte im Hochhaus am Potsdamer Platz ein Methlabor. Die Explosion war so gewaltig, dass eine giftige Wolke über zwei Stadtviertel zog, das Internet noch vor dem Radio die Einwohner warnte, die Fenster geschlossen zu halten.

Diesmal, weil es offensichtlich keine Toten gab, wurden H. und Goster nicht gerufen.

Am Morgen sagte Goster zu H., wenn jetzt alle Methküchen in die Luft gehen, geh ich nur noch wie die Japaner mit Mundschutz, mit der Hand vor Augen.

Sie lachte nicht. Überhaupt lachte nie jemand über ihn.

In der Kantine zu Mittag setzte Goster sich neben Schnitzewo, der einen dunklen Anzug trug und aussah, als käme er von einer Beerdigung. Schnitzewo war zwei Meter groß, in letzter Zeit stark abgemagert und seine Jeans hingen wie schlaffes Segeltuch um die Beine. Aus dem Pullover fielen die Arme beinahe heraus, man hätte in die Ärmel hineinfilmen können. Das Gerücht flüsterte, von seiner Frau verlassen, habe er mit den Automaten begonnen. Schnitzewo war früher ein respektabler Volleyballspieler gewesen, zehn Jahre Betäubungsmittel ruinierten sein Selbstvertrauen. Verhaftete er einen, verkaufte an selber Stelle ein anderer. Die Wiederholung macht den Dienst zur Hölle.

»Ist jemand gestorben?«

»Nein.«

»Sie sehen aber so aus, Schnitzewo.«

»Der Rest ist in der Reinigung.«

»Versteh.«

»Können Sie mir 100 leihen, Goster.«

»Warum?«

»Ich muß die Wäsche bezahlen.«

Dabei machte er ein Gesicht, als würde er unter Wasser sprechen. Goster grinste, griff in die Tasche und gab ihm das Geld.

So aßen beide Sellerieschnitzel, bis Goster fragte: »Wieviele von den verdammten Drogenlabors sind schon in die Luft gegangen?«

»Fünfzehn.«

»Grund?«

»Überhitzung.«

Das verstand Goster. Wenn die Dinge zu sich selbst finden, waren diese Entwicklungen nicht vermeidbar.

»Hören Sie Goster, hätten Sie 30 Minuten?«

Goster nickte, und sie fuhren, halbe Schnitzel zurücklassend, in Richtung Spandau, dorthin, wo die Leute immer behaupten, es begänne das Grün der Stadt.

»Etwas zu schwarz für die Reise«, Goster zeigte auf einen abgebrannten Lastwagen.

»Darinnen ein Tönnchen Koks.«

»Und?«

»Keine Ahnung, aber der Mist ist entflammt, und der Fahrer hat einen Hintern wie ein Pavian und singt jetzt wie ein Vögelchen, weil er sich von seinen Hintermännern buchstäblich angeschwärzt fühlt.«

»Gratuliere.«

»Wenn es so weiter geht, ist die Stadt bald drogenfrei.«

Goster grinste wieder mit halbrundem Mund und fragte, warum er dem zusehen müsse.

»Ich hab genug Menschen gesehen, die an Drogen verbrennen, im Moment ist es umgekehrt.«

Sie fuhren zurück, und auf Goster lastete eine dunkle Stille. Er dachte an H., an Ayse, an seine leere Wohnung, sah aus dem Fenster des Wagens das Gesicht einer Stadt und sah überall Drogen in Flammen aufgehen. Vielleicht, dachte er, haben tatsächlich die explodierenden Drogen die Luft mit den Wirkstoffen der Droge durchsetzt, mit homöopathischen Dosen wirken Drogen jetzt auf das ganze Weltall.

Im Kommissariat stand H. vor ihrer Tür.

Sie sagte: »Heute Morgen hat der Husten begonnen, wie sonst nur in der Stauluft.«

Kurz vor Dienstschluss wurde Goster ins Regierungsviertel gerufen, kein Todesfall, aber die Dinge standen schlecht. Er winkte ein Taxi und gab im Handumdrehen einem Staatssekretär die Hand.

»Ich habe Ihre Nummer bekommen.«

»Warum?«

Ein Abgeordneter wurde mit einem dicken Kopfverband zu einem Krankenwagen gebracht.

»Er hat im Kanzleramt auf der Toilette auf dem Klodeckel Koks gezogen und wurde von der Toilettenbrille verprügelt.«

»Oh.«

»Das Ding ist ihm wie eine umgekehrte Mausefalle ins Gesicht gesprungen.«

»Und?«

»Alle Zähne.«

»Welche Partei?«

»Was tut das zur Sache?«

»Die Rechten haben die besseren Zahnärzte.«

»Oh.«

»Sehen Sie«, sagte Goster und weihte den Sekretär in die Theorie ein, dass Dinge zu dem werden, was sie dem Menschen sind. Koks macht verrückt und aggressiv, das gilt auch für Klobrillen.

»War wohl ein Fehler«, sagte der Sekretär, »Sie zu rufen.«

DREI

Goster ging nochmal ins Büro, wenigstens die Drogen entflammten nicht mehr von selbst. Das hatte aufgehört. Er schritt, wie im Regen, mit gesenktem Kopf.

Aus dem geschlossenen Fenster des Büros sah er die Laubblätter im Wind über die Bordsteinkanten springen. Das Laub war schön, spröd und tot. Vielleicht nicht tot, sondern auf der Flucht. Ohne Regen würde in diesem dösenden Herbst ewig das Laub wehen.

Als er endlich sein Büro verlassen wollte, rief der Leiter der Polizeihochschule bei Goster an und bat ihn, einen Praktikervortrag vor der Absolventenklasse zu halten, und zwar zum Thema: »Der Zeuge – das schlechteste Beweismittel, auch bei klarer Sachlage«.

Goster antwortete: »Nicht mal klares Wasser ist klar, man sieht nur den Schmutz nicht.«

Er sagte zu. In drei Wochen würde er im Hörsaal vor Absolventen zum Höheren Dienst sprechen.

Sein Büro schloss er nie ab, er ging bis zum Flurende, warf einen Blick in H.s Büro. Ihr Schreibtisch war leer und wie immer aufgeräumt. Das Zimmer, das sie mit fünf Kollegen teilte, dunkel.

Das Telefon klingelte. Obwohl in Eile, nahm er den Hörer ab, hörte dann H.s Verlobten sich mit Namen melden und fragen, wo sie sei.

Goster antwortete: »Ich habe es eilig, ich muss meine Putzfrau treffen.« Ayse zu treffen, war tatsächlich jetzt das Wichtige. Dienstags putzte sie und wartete oft bis spät auf ihn auf der Treppe, nur um ein paar Sätze zu sprechen. Er nahm den Bus, um Ayse nicht zu lange warten zu lassen. Ihm gegenüber saß ein offensichtlich Verwirrter und starrte ihn an mit diesem saugenden Blick der Selbstgespräche. Die Augen pendelten hin und her wie in einer Hängematte, und der Oberkörper des Mannes nahm diese Bewegung auf. Der Mund war trocken und rissig, das fettige Haar glatt zurückgekämmt, wodurch das Grau noch verstärkt wurde, dabei war er nicht älter als Goster selbst. Er trug einen Mantel mit doppelter Knopfreihe, sicher einmal sehr teuer, grau, aber schmutziger lag nur das Grau auf der Straße.

»Aus dem Labyrinth finden nur die heraus, die es gebaut haben.«

Goster schaute weit weg, aus dem Fenster, in das Labyrinth der Stadt, als der Mann ihn plötzlich ansprach.

»Sehen Sie die Häuser? Früher wurden die Häuser gesegnet, den Menschen Glück zu bringen und Sicherheit. Und heute? Drogengeschäfte, Mafia, Schwarzgeld, Korruption geben den Segen.«

»Und?«, fragte Goster und sah ihm in die Augen.

»Nur so.«

Goster spürte beim Anblick des Mannes so etwas wie Unbehagen. Der Mann redete weiter, jetzt wieder nur mit sich selbst, und wurde dabei immer lauter, bis alle sich von ihm wegdrehten. Er wippte mit den Füßen, der Zwang zu reden schnürte ihn ein, wie die Schnürsenkel seine dicken Winterschuhe, mit einem doppelten Knoten aus Einsamkeit und Angst.

Er fahre Bus, den ganzen Tag, im Herbst und Winter auch die Nacht, so weit, wie eben Busse fahren. Die Jahreskarte für alle Strecken sei sein Dach über dem Kopf, eine andere Wohnung bekomme er nicht, die Stadt sei dicht.

»Die meisten Labyrinthe haben keinen Ausgang mehr.« Goster sprach so leise, dass sein Gegenüber es gerade noch verstand, »Sie haben Glück, Sie fahren Bus im Labyrinth«, und stieg dann aus.

»Auf Wiedersehen, Herr Goster«, rief der andere ihm nach.

Goster drehte sich um, aber da schnalzten schon die Türen, und der Bus fuhr langsam an. Das Gesicht sah lange aus dem Fenster. Goster erkannte ihn noch immer nicht.