Kibaru - Tanja Koller - E-Book

Kibaru E-Book

Tanja Koller

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Beschreibung

Kira ist elf Jahre alt, mag es bunt und erfindet gerne Wörter. Jedes Jahr fahren ihr Vater und sie zum Campen an die Ostsee. Doch diesmal ist dort alles anders als erwartet: Sie lernt Ruben kennen, einen Jungen, der mindestens ebenso außergewöhnlich ist wie sie selbst. Mit ihm erlebt sie die verrücktesten Abenteuer. Aber warum beginnt Ruben zu stottern, sobald es um sein Leben geht? Gibt es einen Grund dafür, dass er Kiras neue Freundin Sarah nicht leiden kann? Und was hat es mit seinem merkwürdigen Gepäck auf sich? Kira ist fest entschlossen, Antworten auf diese Fragen zu finden.

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Seitenzahl: 75

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Kapitel

Nibbs

Kapitel

Der 10mBFs

Kapitel

Chiras

Kapitel

Mirsch

Kapitel

Fleberin

?

Kapitel

Klabey

Kapitel

Autsch

Kapitel

Paniner

Epilog

Kibaru

Kleines Kirisch-Wörterbuch

Danksagungen

Über die Illustratorin

Über die Autorin

Für Mama.

Weil ich dir versprochen habe, dir mein erstes Buch zu widmen, aber auch, weil ein Roman das Mindeste ist, was du verdient hast.

1. Kapitel

Nibbs

Gemächlich zockelte unser Wohnwagen die Landstraße entlang. Hinter uns hatte sich ein kleiner Stau gebildet, ungeduldig hupten die anderen Fahrer. Ich hielt meinen Kopf aus dem Fenster gestreckt und ließ den Fahrtwind mit meinen Locken spielen.

Obwohl Autoabgase in der Luft lagen, konnte ich den Sommer riechen: Das Heu auf den Feldern, die Blüten in der Wiese und sogar schon ein wenig das Salz des Meeres.

Mein Vater drehte die Rockmusik, die zuvor aus dem Autoradio gedröhnt hatte, leiser.

„In ungefähr einer Viertelstunde sind wir da“, verkündete er.

Ich grinste.

Wie jedes Jahr fuhren Papa und ich zum Campen an die Ostsee, während Mama ihre Familie in Frankreich besuchte. Diesmal begleitete uns auch Papas ältere Schwester Lieselotte.

Kurz darauf machte der Weg eine Kurve – und dahinter lag das Meer.

Vor uns erstreckte sich Wasser bis zum Horizont, Leben, Unendlichkeit. Sanfte Wellen kräuselten sich auf seiner Oberfläche, darüber kreisten Möwen. Ich wusste: Jetzt war Sommer.

Wenig später kamen wir auf dem Campingplatz an.

Auf der von einigen Steinwegen durchzogenen Wiese parkten Wohnwagen und -mobile. Zelte waren aufgeschlagen, Gartenmöbel standen im Gras. Weiter vorne gab es eine leichte Böschung und dahinter einen Sandstrand, an dem das türkisblau schimmernde Wasser leise gluckernd ans Ufer schwappte.

„Ich geh mal einchecken“, informierte mich Papa.

Ich nickte, und kaum hatte er sich umgedreht, da schleuderte ich meine Sandalen in hohem Bogen von mir und rannte ins Wasser.

Schüchtern umspülten die Wellen meine Füße, und immer, wenn eine besonders große kam, wurde der Saum meines weißen Sommerkleides nass. Meine Mundwinkel zogen sich noch weiter nach oben, ich streckte die Arme von mir und drehte mich im Kreis.

„Kind, willst du dich nicht wenigstens zuerst umziehen?“, fragte Lieselotte.

Ich machte mir nicht einmal die Mühe, ihr zu antworten.

Wenig später lag ich im Wohnwagen und betrachtete mein Zimmer. Es war ein merkwürdiges Gefühl, sich nach einem Jahr wieder darin zu befinden, aber alles sah exakt so aus, wie ich es in Erinnerung hatte: An den Wänden aus Sperrholz, die den kleinen, aber gemütlichen Raum vom Rest des Wohnwagens trennten, klebten Streifen unterschiedlicher Tapeten. Als Boden diente eine Patchwork-Decke. Sämtliche Möbel waren von Papa zusammengezimmert, und ich hatte sie bunt besprüht. An der Tür hing ein pink bemalter Fahrradreifen.

Ein einziger Blick auf all das genügte, um zu sehen, wie nibbs ich war.

Nibbs bedeutete etwas wie „verrückt“, allerdings im positiven Sinne. Es war eines meiner selbsterfundenen Wörter. Davon hatte ich viele. Immer, wenn mir der Begriff fehlte, um etwas auszudrücken, dachte ich ihn mir aus.

Papa trommelte mit den Fingerknöcheln einen schnellen Rhythmus an meiner Tür.

„Herein!“, rief ich fröhlich, und er betrat das Zimmer.

„Kommst du mit, Eis essen?“, fragte er.

Ich nickte eifrig und sprang auf.

Das Gasthaus hatte einen kleinen Garten, in dem man unter jungen Birken seine Speisen genießen konnte.

Ich bestellte einen Eisbecher mit drei Sorten und einem Löffel aus Schilf.

Papa probierte die Geschmacksrichtung Soja-Tomate. (Wahrscheinlich tat er das bloß, damit Mama nicht wieder einmal behaupten konnte, er sei zu heikel beim Essen.)

Auch Lieselotte, die eigentlich gerade Diät hielt, konnte beim Anblick der kalten, süßen Masse nicht widerstehen und murmelte: „Ach, der Mensch braucht doch auch dann und wann Zucker.“

Am frühen Nachmittag zog ich meinen Bikini an und ging zum ersten Mal in diesem Jahr schwimmen.

Papa bastelte gerade an einer Musikbox herum, und Lieselotte war damit beschäftigt, den gutaussehenden Bademeister zu beobachten. Auf mich achteten die beiden nicht, was mich jedoch nicht störte.

Das Wasser war kühl und erfrischend. Es tat gut, darin zu baden. Ich spürte, wie ich mich von Sekunde zu Sekunde wohler fühlte. Mit weit ausholenden Armbewegungen schwamm ich immer weiter hinaus.

Irgendwann legte ich mich auf dem Rücken, sodass ich an der Oberfläche ausharren konnte, ohne etwas dafür tun zu müssen. Meine Ohren waren unter Wasser; die ganze Welt wurde leiser, ich hörte nur noch die Wellen.

Die Zeit blieb stehen.

Im Meer hätte ich Stunden allein verbringen können, ich bekam nie genug davon.

Lächelnd schloss ich die Augen und genoss den Moment – bis plötzlich ein Kopf neben mir auftauchte. Ich erschrak so sehr, dass ich zusammenzuckte, umkippte und einen Schwall Salzwasser inhalierte.

„Entschuldigung!“, rief der Schwimmer neben mir.

Es handelte sich um einen Jungen, der etwa so alt zu sein schien wie ich. Er hatte sturmgraue Augen und schwarze, strubbelige Haare. Auf dem Gesicht trug er ein breites Grinsen.

„Nicht so schlimm“, beeilte ich mich zu sagen.

Der Junge musterte mich mit einem Blick, den ich nicht genau deuten konnte. Fand er es seltsam, dass ich so ruhig im Wasser gelegen hatte?

„Ich heiße Kira“, stellte ich mich vor.

Bereits im nächsten Moment kam mir der Satz unpassend vor.

Doch mein Gegenüber schien das nicht zu stören.

„Ruben.“

Mit diesem Wort tauchte der Junge wieder unter. Ich wartete, bis er davongeschwommen war, dann machte ich mich auf den Weg zurück an den Strand.

Nachdem ich mich abgetrocknet hatte, setzte ich mich in die Sonne und schaute auf die Wellen hinaus. Sie waren etwas größer als zuvor, denn ein leichter Wind hatte begonnen zu wehen.

Auf einmal ließ sich jemand neben mich plumpsen: Ruben. Er war noch nass, hatte aber zu seiner Badehose ein ausgeleiertes T-Shirt angezogen.

„Hi“, grüßte er.

„Hi“, antwortete ich.

„Sorry nochmal wegen vorhin“, meinte Ruben und klang dabei so reumütig, als hätte ich mir seinetwegen den Arm gebrochen.

„Ach, schon vergessen“, erwiderte ich.

Eine Weile schwiegen wir, dann fragte Ruben: „Bist du mit deiner Familie hier?“

Ich nickte. „Ja, mit meinem Papa und meiner Tante.“

Kaum hatte ich das gesagt, überlegte ich, ob es uncool war, Papa zu sagen. Aber was sonst? Dad? Paps? Vater?

Ruben hingegen schien auf diesen Gedanken gar nicht zu kommen.

Er zauberte zwei Tüten Eis hinter seinem Rücken hervor. Eine davon drückte er mir in die Hand.

„Hab´ ich dir gekauft“, erklärte er. „Als Entschädigung.“

Ich sah ihn schief an.

„Du schenkst mir ein Eis, weil du mich erschreckt hast?“

„Nicht nur“, gab Ruben zu. „Ich habe schon ewig nichts mehr mit irgendjemandem Gleichaltrigen zusammen gegessen und dachte mir, ich muss die Gelegenheit nutzen.“

Verständnisvoll nickte ich und schleckte über die Kugeln. Gut, ich hatte einige Stunden zuvor schon drei gehabt, aber gerade im Sommer konnte mehr Eis nicht schaden.

„Erzähl mir was von dir!“, bat Ruben.

„Äääh“, machte ich gedehnt.

Ruben schmunzelte. „Mit mir kannst du über alles reden. Wenn ich dich hinterher doof finde, sage ich dir das einfach, und wir würdigen einander nie wieder auch nur eines Blickes. Wenn ich dich nicht doof finde, ist deine Angst sowieso unbegründet.“

Ich musste diese Aussage erst einmal verarbeiten, stellte aber fest, dass Rubens Logik für sich sprach. Bestimmt war er ein absoluter Numer – jemand, der sich nicht um die Meinung der anderen kümmerte und einfach er selbst war. Und, noch besser: Ruben schien mindestens ebenso nibbs zu sein wie ich!

„Und?“ Er stupste mich an. „Erzählst du mir jetzt was über dich oder bin ich dir zu doof?“

„Nein, bist du auf keinen Fall!“, rief ich schnell. „Ich liebe nibbse Leute!“

Ruben zog eine Augenbraue hoch.

„Nibbs?“

„Ja“, plapperte ich eifrig drauflos. „Das bedeutet sowas wie ‚verrückt‘. Aber weil ‚verrückt‘ in den Augen der meisten eher eine negative Eigenschaft ist, habe ich das Wort nibbs erfunden. Es bezeichnet etwas Gutes. Leider werden nibbse Leute oft gemieden und für Spinner gehalten. Fast alle, die sich trauen, nibbs zu sein, sind daher auch Numer. Das heißt, sie – pfeifen auf die Meinung der anderen. Ein bisschen wie du.“

Ich biss mir auf die Lippen. Beinahe hätte ich noch dazugesagt, was ich dachte: dass ich mich auch für eine Numerin hielt, aber manchmal unbedingt von bestimmten Leuten gemocht werden wollte – zum Beispiel von Ruben.

Ich hatte öfters Phasen, in denen ich plötzlich viel schneller redete und Dinge aussprach, die ich lieber für mich behalten hätte – als wäre ein Schalter umgelegt worden. Ich nannte sie Kemminis.

Ruben schwieg nachdenklich.

„Und? Findest du mich doof?“, erkundigte ich mich, wobei ich beinahe ängstlich klang.

Ruben lachte: „Nein. Nur absolut nibbs. Dank dir habe ich zwei Wörter gefunden, die meinen Charakter beschreiben. Und endlich einen anderen nibbsen Numer kennengelernt.“

2. Kapitel

Der 10mBFs

Den Rest des Tages verbrachten Ruben und ich zusammen. Es fühlte sich an, als wären wir seit Jahren beste Freunde.