Killerschiff - Martin Barkawitz - E-Book

Killerschiff E-Book

Martin Barkawitz

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Beschreibung

Das Grauen lauert unter Deck! Auf dem luxuriösen Kreuzfahrtschiff geht die nackte Angst um. Was geschah mit der jungen Animateurin Ann? Als ihre Nachfolgerin Jade ein Videotagebuch findet, kommt sie einem fürchterlichen Verbrechen auf die Spur. Ist der Mörder immer noch an Bord? Killerschiff ist eine überarbeitete Version des bereits 2011 veröffentlichten Romans Rau ist die See. Der Autor Martin Barkawitz schreibt seit 1997 unter verschiedenen Pseudonymen überwiegend in den Genres Krimi, Thriller, Romantik, Horror, Western und Steam Punk. Er gehört u.a. zum Jerry Cotton Team. Von ihm sind über dreihundert Heftromane, Taschenbücher und E-Books erschienen.   Aktuelle Informationen, ein Gratis-E-Book und einen Newsletter gibt es auf der Homepage: Autor-Martin-Barkawitz.de     SoKo Hamburg - Ein Fall für Heike Stein   - Tote Unschuld - Musical Mord - Fleetenfahrt ins Jenseits - Reeperbahn Blues - Frauenmord im Freihafen - Blankeneser Mordkomplott - Hotel Oceana, Mord inklusive - Mord maritim - Das Geheimnis des Professors - Hamburger Rache - Eppendorf Mord - Satansmaske - Fleetenkiller - Sperrbezirk - Pik As Mord - Leichenkoje - Brechmann - Hafengesindel - Frauentöter - Killer Hotel - Alster Clown - Inkasso Geier - Mörder Mama - Hafensklavin - Teufelsbrück Tod  Ein Fall für Jack Reilly   - Das Tangoluder - Der gekreuzigte Russe - Der Hindenburg Passagier - Die Brooklyn Bleinacht - Die Blutstraße - Der Strumpfmörder - Die Blutmoneten Undercover Unit One - Todesschwadron von Lissabon - Die Bastarde von Belgien - Die Sklavenhalter von Malta - Todesroulette in Monte Carlo - Der Karpaten-Job - Die Organdealer von London

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Martin Barkawitz

Killerschiff

Thriller

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

1

 

Ann Brockwell wurde verfolgt.

Die junge Frau verbarg sich zitternd hinter einem Bootskran auf dem Promenadendeck der MS Kyrene. Es war wie verhext. Viele Menschen liebten Kreuzfahrten, weil sie sich an Bord eines Luxusliners absolut sicher und geborgen fühlten. Ann hatte auch einmal so gedacht. Aber das war, bevor sie in diese dunkle Geschichte hineingezogen wurde.

Der Angstschweiß stand Ann auf der Stirn, obwohl es nachts auf offener See im Vorfrühling alles andere als heiß war. Aber sie spürte, dass ihr finsterer Verfolger sich ihr näherte. Der Wind heulte um den stählernen Leib des Schiffs, ließ die englische Fahne am Flaggenstock des Hecks laut knattern. Ann lauschte. Ihr Handy hatte sie verloren, damit konnte sie sich nicht bemerkbar machen.

Sie dachte daran, einfach um Hilfe zu rufen.

Ann füllte bereits ihre Lungen mit Luft, um einen gellenden Schrei auszustoßen. Doch im letzten Moment stoppte sie sich selbst. Ann versteckte sich momentan im hinteren Bereich des majestätischen Kreuzfahrtschiffs. Hier befanden sich neben dem Maschinenraum unter Deck zahlreiche Lagerräume und Tanks. Ob der Rudergänger auf der Kommandobrücke sie hören würde, war fraglich. Und die Passagiere in ihren Kabinen? Die MS Kyrene war sehr gut schallisoliert, damit weder Maschinenlärm noch andere störende Geräusche den gut zahlenden Kreuzfahrtreisenden ihren Urlaub verdarben. Das wusste Ann, sie war schließlich Animateurin auf diesem Schiff.

Ann atmete langsam wieder aus, ohne sich lautstark bemerkbar gemacht zu haben. Das war die bessere Entscheidung, hoffte sie. Noch hatte die dunkle Gestalt sie nämlich nicht entdeckt. Aber wenn sie schrie, wurde der Unheimliche garantiert auf sie aufmerksam. Doch ewig konnte Ann nicht in dieser finsteren Ecke beim Bootskran kauern. Es war kein wirklich gutes Versteck. Wenn ihr Verfolger näher kam, musste er sie zwangsläufig bemerken. Und sie fürchtete sich sehr vor dem, was dann geschehen würde. Sie wusste einfach zu viel. Und das konnte sehr gefährlich werden.

Ihre Gedanken waren ein einziges Durcheinander. Sie versuchte, sich halbwegs zu beruhigen und nach einem Ausweg zu suchen. Was für Möglichkeiten hatte sie? Wenn Ann in Panik von Bord sprang, würde das ihren sicheren Tod bedeuten. Die MS Kyrene war viele Seemeilen von der schottischen und der norwegischen Küste entfernt. Falls Ann nicht ertrank, würde sie in dem kalten Atlantikwasser im Handumdrehen vor Kälte erstarren. Das kam nicht in Frage.

Sie musste es irgendwie schaffen, die Kommandobrücke zu erreichen. Diese befand sich in der Mitte des Schiffes. Nachts war sie stets mit dem Rudergänger, einem Funker und dem diensthabenden Offizier besetzt, wie Ann wusste. Diese Männer konnten Ann vor ihrem unheimlichen Verfolger schützen.

Aber wenn ihr Widersacher nicht dumm war, musste ihm das ebenfalls klar sein. Momentan war er nirgendwo zu sehen. Anns Blick glitt über die schwarzen Rümpfe der Rettungsboote, die an den Bootskränen befestigt waren und durch die Schiffsbewegungen sanft hin und her schwangen. Für einen Moment dachte sie daran, unter eine der Abdeckungen zu kriechen und die Nacht in einem der Boote zu verbringen. Aber das war keine gute Idee, wie sie im nächsten Augenblick erkannte. Wenn ihr Verfolger sie unter der grauen Plane entdeckte, hatte sie keine Ausweichmöglichkeit mehr. Dann saß sie endgültig in der Falle.

Nein, Ann musste zu den Wache stehenden Seeleuten gelangen. Sie konnte deutlich den Lichtschein sehen, der aus der hell beleuchteten Kommandobrücke fiel. Doch momentan erschien dieses Ziel ihr fast so unerreichbar wie der Mond, der tief und bleich und schwer über der schwarzen Unendlichkeit der Wellen hing.

Ann kam aus ihrer kauernden Position hoch. Ihre Knie waren weich wie Pudding. Sie hatte gesehen, wozu die dunkle Gestalt fähig war. Und Ann konnte nicht auf Gnade hoffen. Warum hätte er sie verschonen sollen? Weil sie eine Frau war? Ann presste die Lippen aufeinander. Sie durfte sich nicht von ihrer eigenen Panik lähmen lassen. Noch war ihr nichts geschehen, ihr war noch nicht ein einziges Haar gekrümmt worden.

Sie rief sich ins Gedächtnis zurück, was für ein großes Schiff die MS Kyrene war. 920 Passagierkabinen, vier Bistros, zwei Discos und drei Restaurants befanden sich auf dem 260 Meter langen und 31 Meter breiten hochmodernen Wasserfahrzeug. Wieso sollte sie in dem Gewirr von Gängen und Kabinenfluren keine Chance haben, ihrem Widersacher aus dem Weg zu gehen? Es gab nicht nur eine Möglichkeit, zur Kommandobrücke zu gelangen, sondern mehrere. Sie durfte nur nicht den Fehler machen, ihrem unheimlichen Gegner direkt in die Arme zu laufen.

Ann hastete leise zu einer stählernen Luke hinüber und öffnete sie. Ann schlüpfte hinein und verschloss den Zugang leise wieder hinter sich. Es roch schwach nach Dieselöl. Der saubere aber schmucklose Gang vor ihr führte zu den Vorratsbunkern, wie Ann wusste. Als Animateurin kannte sie nicht nur die luxuriöse Welt der Passagierkabinen und Wellnessoasen an Bord, sondern auch die öden Betriebsräume, in denen diese perfekte Urlaubsmaschinerie namens Kreuzfahrtschiff in Gang gehalten wurde.

Sie schlich weiter Richtung Bug. Wie lange sie wohl brauchen würde, um zur Kommandobrücke zu gelangen? Wenn Ann weiter so langsam war, konnten locker zehn Minuten vergehen.

Da ertönte ein schabendes Geräusch hinter ihr.

Mit Anns Selbstbeherrschung war es im Handumdrehen vorbei. Sie stieß einen gequälten Aufschrei aus. Ihr Verfolger hatte sie entdeckt. Ann rannte los. Geschwindigkeit war ihre einzige Chance, um dem Unheimlichen zu entkommen. Ann hatte Angst davor, hinter sich zu schauen. Jetzt kam es nur noch darauf an, so viel Vorsprung wie möglich zu gewinnen.

Im Laufen begriff sie, dass sie ihren Gegner unterschätzt hatte. Er hatte mit ihr gespielt wie ein Kater mit einer Maus – bevor er das Beutetier erlegte. Wahrscheinlich hatte der Unheimliche die ganze Zeit gewusst, wo sie sich vergeblich vor seinen Blicken verborgen hatte.

Ann fragte sich, warum ihr kein einziges Besatzungsmitglied entgegen kam. Die Antwort lag eigentlich auf der Hand. Es war Nacht, da hatten die Bordrestaurants geschlossen, und auch die Bistros und Discos hatten das Partyvolk längst verabschiedet und auf den nächsten Abend vertröstet. Daher verirrten sich selbst die Küchenhilfen nicht in diesen Gang mit den Vorratsbunkern.

Ann erreichte eine Treppe. Keuchend raste sie die schmalen stählernen Stufen hinauf. Da wurde ihr linkes Fußgelenk hart gepackt. Ann stürzte, trat mit dem rechten Fuß wild um sich. Aber es war sinnlos. Der Verfolger war ihr überlegen. Und er wusste, wie er sie zum Schweigen bringen konnte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2

 

Jade Walker stand vor der Gangway und blickte an der schneeweißen Bordwand der MS Kyrene hoch.

Es kam ihr immer noch seltsam unwirklich vor, dass sie jetzt hier im Hafen von Oslo war und an Bord des Kreuzfahrtschiffes gehen sollte. Noch am Morgen hatte sie im heimatlichen London vor ihrem Tee gegähnt und ernsthaft überlegt, einen mies bezahlten Kellnerinnen-Job anzunehmen. Doch dann war der Anruf gekommen, und nun befand sie sich plötzlich in der norwegischen Hauptstadt. Ein Taxi hatte sie vom Airport zum Hafen gebracht.

Jade blickte auf ihre Uhr. Wenn sie nicht zu spät kommen wollte, musste sie jetzt an Bord gehen. Sie hatte schließlich einen Termin mit dem Kapitän. Aber irgendwie fühlte sie eine innere Scheu vor diesem Schiff. Dabei war Jade eigentlich nicht gerade schüchtern. Sonst wäre sie wohl in ihrem Tourismus-Studium und ihren Jobs als Animateurin eine totale Fehlbesetzung gewesen. Doch die MS Kyrene strahlte eine unbestimmte Bedrohung aus, wie Jade fand. Oder lag diese Stimmung nur an den düsteren Wolken, die sich über den Bergen am Oslo-Fjord ballten?

Jade ärgerte sich über sich selbst. Anstatt sich über diese Riesenchance ein Loch in den Bauch zu freuen, zögerte und zauderte sie wie eine Nichtschwimmerin, die vom Zehn-Meter-Brett springen soll. Sie biss die Zähne zusammen und nahm ihre Reisetasche. Dann stapfte sie entschlossen die Gangway hinauf.

Ein Matrose in blauer Uniform sowie ein Steward in weißer gebügelter Jacke erwarteten sie.

„Guten Tag, Miss.“

Der junge schlanke Seemann schaute sie freundlich an.

„Hallo. -- Ich bin keine Passagierin“, sagte Jade, bevor sie nach einem Ticket oder einer Buchung gefragt werden konnte. „Mein Name ist Jade Walker, ich soll hier als Animateurin anheuern. Kapitän Granger erwartet mich.“

Der Matrose nickte nur und hakte auf einer Clipboard-Liste etwas ab. Doch der Steward starrte in ihr Gesicht, als ob er einen Geist gesehen hätte. Unwillkürlich fragte Jade sich, ob mit ihrem Make-up etwas nicht stimmte. Oder war der Typ von ihrer Schönheit so geblendet? Das konnte eigentlich nicht sein. Jade fand sich selbst zwar nicht gerade hässlich, aber sie gehörte eher zu den sportlich-natürlichen Frauen. Bisher hatte sie die Erfahrung gemacht, dass Männer meistens stark geschminkten Tussis hinterher glotzten. Aber vielleicht stand dieser Steward ja gerade auf Frauen, die nicht in den Farbtopf gefallen zu sein schienen. Andererseits – er schaute sie nicht wie jemand an, der einen Aufriss plant. Jedenfalls war Jade irritiert, und sie ging in die Offensive.

„Kennen wir uns?“

Jade sprach den Steward direkt an und schaute ihm in die Augen. Seine Ohren wurden sofort rot wie ein Londoner Linienbus.

„Nein, äh, ich bin Henry. Henry Glover. Ich arbeite hier an Bord als Kabinensteward. Und ich bringe dich gern zum Kapitän.“

„Das ist wirklich besser“, gab der Matrose seinen Senf dazu. „Allein findet Miss Walker bestimmt nicht zum Captains Office.“

Jade runzelte die Stirn. Hielt dieser Seemann sie für blöd? Aber sie wollte nicht auf der Sache herumreiten, sonst kam sie wirklich noch zu spät. Jade folgte dem Steward. Doch nachdem sie durch einige Salons geeilt waren und etliche Kabinengänge hinter sich gelassen hatten, musste Jade dem Matrosen recht geben. Die MS Kyrene glich wirklich einem luxuriösen Labyrinth. Auf diesem Dampfer konnte man sich hoffnungslos verlaufen. So viel stand fest.

Der Steward war auffallend schweigsam. Er wirkte eigentlich nicht wie ein verschlossener Typ. Da Jade viel mit Leuten zu tun hatte, konnte sie Menschen meist ganz gut einschätzen. Irgendwie schien dieser Henry durch Jades Anblick völlig von der Rolle zu sein. Sie nahm sich vor, ihn später darauf anzusprechen. Momentan versuchte Jade, sich ganz auf das bevorstehende Vorstellungsgespräch mit dem Kapitän zu konzentrieren. Eigentlich hatte sie den Job ja schon in der Tasche, wie ihr am Telefon zugesichert worden war. Aber trotzdem – sie wollte ihre Chance nutzen und auf keinen Fall einen schlechten Eindruck hinterlassen. Jade war nämlich auf das Geld dringend angewiesen.

Sie musste ihr Touristik-Studium durch Arbeit finanzieren, denn ihre Eltern hielten ihre beruflichen Träume nur für eine dumme unreife Idee. Von Mom und Dad konnte sie erst dann Unterstützung erwarten, wenn sie sich für ein so sterbenslangweiliges Fach wie Jura entscheiden sollte. Das war in den Augen ihres Vaters, der selbst ein kleiner Beamter bei der Justizbehörde war, nämlich etwas „Solides“. Aber Tourismus – damit verbanden John und Ellen Walker nur Sonne, Strand und ewige Party.

Diese Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf, während Henry plötzlich anhielt und an eine Tür klopfte.

„Herein.“

Der Steward öffnete, um Jade hineinzulassen. Sie hatte plötzlich starkes Herzklopfen, als sie das Captains Office betrat. Auf den ersten Blick unterschied es sich nicht von einem modernen Büroraum an Land. Allerdings gab es an den Wänden keine Fenster, sondern Bullaugen. Der Kapitän trug eine dunkelblaue Uniform, in der er sehr elegant wirkte. Samuel Granger war ein hagerer Mann mit Adlernase und stahlblauen Augen. Sein Gesicht war tief gebräunt und wettergegerbt. Er stand auf und begrüßte Jade mit einem kräftigen Händedruck.

„Sie müssen Miss Walker sein. Ich bin Kapitän Granger – und ich danke Ihnen im Namen der gesamten Besatzung der MS Kyrene dafür, dass Sie so schnell kommen konnten. – Nehmen Sie doch bitte Platz.“

Der Offizier deutete auf einen Lehnstuhl vor seinem Schreibtisch. Dann bat er Henry, einstweilen vor der Tür zu warten. Nachdem der Steward gegangen war, öffnete Jade wieder den Mund. Granger sollte sie schließlich nicht für schüchtern halten.

„Ich freue mich darauf, hier tätig zu werden, Sir. Die Semesterferien haben gerade begonnen, und ich muss wieder einige Monate arbeiten, um mir das nächste Studienjahr leisten zu können. Da kam mir der Anruf von der Arbeitsvermittlung gerade recht.“

Der Kapitän blätterte in seinen Unterlagen.

„Ich sehe, dass Sie trotz ihrer jungen Jahre viel Erfahrung als Animateurin haben, Miss Walker.“

„Ja, ich beherrsche verschiedene Sportarten von Tennis bis Judo. Meine Spezialität ist das Organisieren von Wettkämpfen und das Veranstalten von Kostümpartys, sowohl für Erwachsene als auch für Kinder. Für Frauen biete ich eine spezielle Power Fitness Gruppe an, ich kann aber auch Malkurse geben.“

Granger stoppte lächelnd mit einer Handbewegung Jades Redefluss.

„Das klingt alles sehr vielversprechend. Ich hoffe, Sie passen gut zu uns. Wir sind hier an Bord ein internationales Team, obwohl die MS Kyrene unter britischer Flagge fährt. Unsere momentane Reise führt uns hinauf zum Nordkap, wo die Walpurgisnacht am Polarkreis den Höhepunkt der Kreuzfahrt darstellen wird. Wie gesagt, Ihre Referenzen sind wirklich gut. Aber Sie haben noch nie an Bord eines Schiffes gearbeitet, nicht wahr?“

„Nein, Sir. Bisher war ich nur in Ferienclubs in Cornwall und auf Teneriffa als Animateurin tätig. Ist das ein Problem?“

Jade war nicht entgangen, dass sich die Miene des Kapitäns verdüstert hatte.

„Eigentlich nicht, Miss Walker. Sie machen einen guten Eindruck auf mich. Aber ich habe schon schlechte Erfahrungen gemacht. Es ist nämlich so, dass die Unzuverlässigkeit Ihrer Vorgängerin uns in Schwierigkeiten gebracht hat.“

„Wieso, Sir?“

„Ann Brockwell hat es nicht für nötig befunden, zu kündigen. Sie ist einfach hier in Oslo an Land gegangen, ohne sich um ihre Aufgaben zu kümmern. Zum Glück hat die Stadt genug Unterhaltung zu bieten, damit bei unseren Passagieren keine Langeweile aufkommt. Aber es wäre beispielsweise Miss Brockwells Job gewesen, einen geführten Landgang für unsere Reisenden in die Wege zu leiten.“

„Aber – kann ihr nicht auch etwas zugestoßen sein? Ich meine, Oslo ist keine besonders kriminelle Stadt, soweit ich weiß. Aber trotzdem wäre es doch möglich.“

„Sicher, daran haben wir auch gedacht, Miss Walker. Doch es deutet nichts auf ein Verbrechen hin. Ann Brockwell hat ihre Kabine ordentlich verlassen und ihre sämtlichen Kleider und sonstigen persönlichen Gegenstände mitgenommen. Trotzdem – wir haben sämtliche Krankenhäuser Oslos abtelefoniert. Doch dort wurde niemand eingeliefert, auf den Ann Brockwells Beschreibung passt. Für mich steht fest, dass diese junge Lady plötzlich die Lust an ihrem Job verloren hat. Sie werden ja wissen, dass manche Leute sehr sonderbare Vorstellungen von dieser Arbeit haben. Ein Animateur ist in ihren Augen jemand, der ständig Urlaub macht.“

Der Kapitän schnaubte abfällig. Jade wusste, was er meinte. In Wirklichkeit war das, was Jade und ihre Kollegen auf die Beine stellten, reinste Knochenarbeit. Man musste nicht nur ständig gut drauf und freundlich sein, sondern die Feriengäste mit Sport und Spiel aller Art beinahe rund um die Uhr auf Trab bringen. Wer diese Tätigkeit mit Faulenzen am Pool verwechselte, hatte wirklich keine Ahnung, was Sache war.

Dennoch fand Jade Kapitän Grangers Urteil über Ann Brockwell ziemlich hart. Gewiss, Jade kannte ihre Vorgängerin überhaupt nicht. Aber gab es nicht noch andere Möglichkeiten, die Anns abruptes Verschwinden erklären konnten? Wenn sie nun beispielsweise einfach über Bord gefallen wäre? Obwohl – bei einem solchen Unfall hätte sie wohl nicht ihre gesamten Habseligkeiten aus der Kabine bei sich gehabt. Jade hielt es für cleverer, ihre Vorgängerin nicht weiter zu verteidigen. Im Grunde konnte Jade dieser Ann Brockwell sogar dankbar sein. Wäre sie nicht kommentarlos abgetaucht, dann hätte Jade wohl nicht diesen gutbezahlten Job ergattern können.

„Ich nehme jedenfalls meine Verpflichtungen ernst, Sir. Da können Sie fragen, wen sie wollen.“

„Das ist gut, Miss Walker. Ich habe bei der Arbeitsvermittlung um eine besonders zuverlässige Animateurin gebeten. Daraufhin wurden Sie mir empfohlen. – Ja, was soll ich noch sagen? Nochmals willkommen an Bord. Der Steward wird Sie gleich zu Ihrer Kabine führen, in der zuvor Ann Brockwell gelebt hat. Bei der Gestaltung Ihres Unterhaltungsprogramms haben Sie freie Hand. Allerdings sollten Sie berücksichtigen, dass unsere Kreuzfahrtgäste auch bei den Landausflügen Betreuung und Unterhaltung erwarten.“

„Das ist mir bewusst, Sir. – Ich werde mich gleich in meine Aufgaben stürzen, sobald ich ausgepackt habe.“

Nun lächelte der Kapitän wieder.

„Das ist die Einstellung, die ich mir bei meiner Crew wünsche. Wenn Sie Ihre Aufgaben so beherzt anpacken, wird diese Kreuzfahrt für Sie und uns ein großer Erfolg werden.“

Jade nickte. Ihr war nun endgültig klar, dass sie unter großem Druck stand. Granger war offenbar immer noch sauer auf ihre Vorgängerin. Wenn Jade sich auch nur den kleinsten Fehler erlaubte, würde sie den Ärger des Jahrhunderts bekommen. Daran hatte sie nicht den geringsten Zweifel.

Aber sie setzte sich auch selbst unter Erfolgszwang. Wenn sie den Job auf der MS Kyrene gut erledigte, würde sie genug Geld für das nächste Semester verdienen. Jade wollte ihren Eltern unbedingt beweisen, dass sie auf eigenen Füßen stehen und ihre Pläne aus eigener Kraft verwirklichen konnte.

Sie versuchte, sich dem Kapitän gegenüber ihren Stress nicht anmerken zu lassen. Trotzdem war sie froh, als er sie verabschiedet hatte und sie in Begleitung des Stewards das Captains Office verließ. Henry hatte inzwischen seine Sprache wiedergefunden. Er zwinkerte Jade vertraulich zu.

„Na, wie war es bei unserem Eisenknochen? Der Alte ist eigentlich ganz umgänglich. Das Kielholen wird nur noch in Ausnahmefällen durchgeführt, wenn ihm nämlich jemand richtig auf die Nerven geht.“

Henry bemerkte ihren verständnislosen Blick und ergänzte: „Das sollte ein Witz sein, kapierst du? Kielholen, damit haben in früheren Jahrhunderten grausame Schiffsführer aufrührerische Matrosen bestraft. Die armen Kerle wurden an Seilen festgebunden und unter dem Schiffsrumpf durch das Wasser gezogen. Meistens haben sie sich an herausstehenden Nägeln und Muschelbewuchs schlimm verletzt. – Aber so arg ist der Alte gar nicht. Du kennst ja das Sprichwort: Hunde, die bellen, beißen nicht.“

„Du hast ja schnell einen flotten Spruch auf Lager“, gab Jade cool zurück. „Aber vorhin hast du mich angeglotzt wie eine Kuh, wenn es donnert.“

Ein Schatten legte sich auf Henrys grinsendes Gesicht. Jade hatte scheinbar einen wunden Punkt bei ihm berührt. Das tat ihr leid, obwohl sie sich keiner Schuld bewusst war. Henry war eigentlich ganz nett, obwohl er als Mann überhaupt nicht ihr Typ war. Vielleicht lag das auch daran, dass er ihr äußerlich sogar etwas ähnelte. Sowohl Jade als auch Henry hatten eine brünette Haarfarbe und einen zierlichen Körperbau. Henry war nur unwesentlich größer als Jade. Er wirkte klein und schwächlich. Jade hätte ihm nicht zugetraut, zwei schwere Koffer zu tragen, ohne unter der Last zusammenzubrechen.

Henry hatte sich schnell wieder im Griff.

„Geglotzt, ich? Dabei musst du dir nichts denken, beim Anblick schöner Frauen entgleisen meine Gesichtszüge. – So, hier über uns ist das Promenadendeck. Dort lassen sich die Passagiere in ihren Liegestühlen die Sonne auf den Bauch scheinen, wenn es nicht so kalt und bewölkt ist wie im Moment.“

Jade runzelte die Stirn. Henry hatte wieder mit einer witzigen Bemerkung schnell vom Thema abgelenkt. Sie war sicher, dass es einen anderen Grund für seine seltsame Reaktion auf ihr Erscheinen gab. Aber sie wollte die Sache einstweilen nicht weiter breittreten.

„So, dann willst du mir jetzt also erst das Schiff zeigen, ja?“

„Das bietet sich an, denn wir müssen sowieso die MS Kyrene fast vom Bug bis zum Heck durchqueren, bevor wir deine Kabine erreichen. – Was Bug und Heck bedeutet, weißt du aber, oder?“

„Bug ist vorne, Heck ist hinten.“

„Klingt nicht gerade seemännisch, ist aber richtig“, feixte Henry. „Ansonsten sagen wir nicht links, sondern Backbord. Und Steuerbord ist die rechte Seite. Und das da vor uns ist keine Treppe.“

„Sieht aber aus wie eine Treppe.“

„Okay, aber an Bord eines Schiffes nennt man eine Treppe Aufgang. Oder Niedergang, je nachdem, ob man nach oben oder unten will.“

„Die spinnen, die Seeleute“, murmelte Jade halblaut vor sich hin. Während sie mit Henry ihr neues Umfeld erkundete, begrüßte der Steward die Passagiere, die ihnen begegneten. Die meisten von ihnen schien er mit Namen zu kennen, was Jade verblüffte.

„Wie machst du das?“, raunte sie Henry zu. „Dieses Schiff hat doch 900 Kabinen, oder? Wie kannst du dir die ganzen Namen merken?“

„920 Kabinen, um genau zu sein. Ich habe ein gutes Gedächtnis, Jade. Darauf bilde ich mir nichts ein, das ist angeboren. Die Passagiere fahren darauf ab, wenn sie persönlich angesprochen werden. Je besser sie sich fühlen, desto höher ist das Trinkgeld.“