Kinderbanden in der Kinder- und Jugendliteratur des Exils - Tina Martin - E-Book

Kinderbanden in der Kinder- und Jugendliteratur des Exils E-Book

Tina Martin

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Beschreibung

Examensarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Didaktik für das Fach Deutsch - Pädagogik, Sprachwissenschaft, Note: 1,7, Universität Siegen, Sprache: Deutsch, Abstract: Mit Absicht wurden fünf unterschiedliche Kinder- und Jugendromane gewählt, die thematisch und im Hinblick auf die Autoren, außer den beiden schon genannten verbindenden Elementen keine offensichtlichen Gemeinsamkeiten haben. So treffen wir hier auf Autoren mit unterschiedlichen politischen Hintergründen, die, abgesehen vom Ehepaar Tetzner/ Kläber, in keinem näheren Zusammenhang stehen. Auch die Handlungen der jeweiligen Romane sind unterschiedlich. Die Schauplätze reichen von der dalmatinischen Küste über die Schweiz und Prag bis hin zum Mailand des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Es sollen vorab drei Thesen aufgestellt werden. So nehme ich erstens an, dass allen fünf Kinderbanden gewisse Merkmale gemeinsam sind – auch trotz der Tatsache, dass es sich um recht unterschiedliche Kinderbücher handelt. Diese Gemeinsamkeiten suche ich in der inneren Struktur der jeweiligen Bande. Weiterhin ist zu vermuten, dass der Autor/ die Autorin durch das Motiv der Kinderbande eine gewisse erzieherische Absicht ausdrücken und bei den jungen Lesern etwas bewirken will. Diese erzieherischen Absichten vermute ich, als dritte These, in Zusammenhang stehend mit der Exilsituation der Autoren selber aber auch der Kinder, sowie mit der politischen Situation im Dritten Reich, mit der sowohl Autoren als auch kindliche Leser Erfahrungen gesammelt haben.

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Inhalt

 

1. Einleitung

2. Exilsituation der Kinder

2.1 Schulen in den Asylländern

2.2  Psychologische Aspekte der Emigration von Kindern

3. Kinder- und Jugendliteratur im Exil und ihre Funktion

4. Erzählanalysen der untersuchten Bücher

4.1 Kurt Held - Die rote Zora und ihre Bande

4.1.1 Paratexte

4.1.2 Erzähltempus und Sprache

4.1.3 Erzählsituation, Erzählerbericht/ Personenrede

4.1.4 Erzähleingang

4.1.5 Zeitstruktur

4.2 Lisa Tetzner – die Schwarzen Brüder

4.2.1 Paratexte

4.2.2 Erzähltempus und Sprache

4.2.3 Erzählsituation, Erzählerbericht/ Personenrede

4.2.4 Erzähleingang

4.2.5 Zeitstruktur

4. 3 Max Zimmering – Die Jagd nach dem Stiefel

4.3.1 Paratexte

4.3.2 Erzähltempus und Sprache

4.3.3 Erzählsituation, Erzählerbericht/ Personenrede

4.3.4 Erzähleingang

4.3.5 Zeitstruktur

4. 4 Alex Wedding – Das Eismeer ruft

4.4.1 Paratexte

4.4.2 Erzähltempus und Sprache

4.4.3 Erzählsituation, Erzählerbericht/ Personenrede

4.4.4 Erzähleingang

4.4.5 Zeitstruktur

4.5 Oskar Seidlin und Richard Plaut – S.O.S. Genf

4.5.1 Paratexte

4.5.2 Erzähltempus und Sprache

4.5.3 Erzählsituation, Erzählerbericht/ Personenrede

4.5.4 Erzähleingang

4.5.5 Zeitstruktur

5. Analyse der Kinderbanden

5.1 Zum Begriff Kinderbande

5.2.1 Zusammensetzung der Banden

5.2.3 Gender–Frage innerhalb der Banden

5.2.4 Grund des Zusammenschlusses

5.2.5 Abgrenzungsmerkmale

5.2.6 Führungsstil

5.2.7 Gegenspieler/ Gegnerische Kinderbanden

5.2.8 Werden politische Themen behandelt?

5.2.9 Wird das Thema ‚Exil‘ behandelt?

5.3 Motiv der Solidarität

6. Erzieherischer Auftrag/ Intention der Autoren

6.1 Die rote Zora

6.2 Die schwarzen Brüder

6.3 Die Jagd nach dem Stiefel

6.4 Das Eismeer ruft

6.5 S.O.S. Genf.

6.6 Gemeinsamkeiten in den erzieherischen Absichten

7. Fazit

Bibliographie

 

1. Einleitung

 

Das Thema dieser Arbeit lautet „Kinderbanden in der Kinder- und Jugendliteratur des Exils“. Die Analyse der Kinderbanden bezieht sich auf die folgenden fünf Bücher: „Die rote Zora und ihre Bande“ von Kurt Held (1941), „Die schwarzen Brüder“ von Lisa Tetzner (1940/41), „Das Eismeer ruft“ von Alex Wedding (1936), „Die Jagd nach dem Stiefel“ von Max Zimmering (1932) sowie „S.O.S. Genf.“ von Oskar Seidlin und Richard Plaut (1937).

 

Der Roman von Zimmering ist als einziger dieser fünf Romane noch vor der Machtergreifung Hitlers geschrieben, konnte allerdings erst später, im Exil, veröffentlicht werden. Die übrigen vier Bücher wurden allesamt im Exil verfasst und auch im Exil erstveröffentlicht. „Die rote Zora und ihre Bande“, „Die schwarzen Brüder“ sowie „S.O.S. Genf.“ wurden jeweils zuerst in der Schweiz (das Exilland der Autoren) veröffentlicht. „Das Eismeer ruft“ erschien erstmals in London und „Die Jagd nach dem Stiefel“ wurde zuerst in Tschechien (in der tschechischen Übersetzung) verlegt.

 

Neben der Tatsache, dass alle fünf Romane der Exilliteratur zuzuordnen sind, haben sie auch ein gemeinsames thematisches Moment. Dieses gemeinsame Motiv ist die Kinderbande, die in variierenden Formen in allen fünf Romanen begegnet.

 

Dieses gemeinsame Motiv soll dann, neben einer jeweils kurzen Erzählanalyse auch der werkimmanente Zugang zu den Romanen sein. Das heißt, nach einer kurzen, allgemeinen Erzählanalyse sollen die in den fünf Romanen auftauchenden Kinderbanden analysiert werden.

 

Mit Absicht wurden fünf unterschiedliche Kinder- und Jugendromane gewählt, die thematisch und im Hinblick auf die Autoren, außer den beiden schon genannten verbindenden Elementen keine offensichtlichen Gemeinsamkeiten haben. So treffen wir hier auf Autoren mit unterschiedlichen politischen Hintergründen, die, abgesehen vom Ehepaar Tetzner/ Kläber, in keinem näheren Zusammenhang stehen. Auch die Handlungen der jeweiligen Romane sind unterschiedlich. Die Schauplätze reichen von der dalmatinischen Küste über die Schweiz und Prag bis hin zum Mailand des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

 

Es sollen vorab drei Thesen aufgestellt werden. So nehme ich erstens an, dass allen fünf Kinderbanden gewisse Merkmale gemeinsam sind – auch trotz der Tatsache, dass es sich um recht unterschiedliche Kinderbücher handelt. Diese Gemeinsamkeiten suche ich in der inneren Struktur der jeweiligen Bande.

 

Weiterhin ist zu vermuten, dass der Autor/ die Autorin durch das Motiv der Kinderbande eine gewisse erzieherische Absicht ausdrücken und bei den jungen Lesern etwas bewirken will. Diese erzieherischen Absichten vermute ich, als dritte These, in Zusammenhang stehend mit der Exilsituation der Autoren selber aber auch der Kinder, sowie mit der politischen Situation im Dritten Reich, mit der sowohl Autoren als auch kindliche Leser Erfahrungen gesammelt haben.

 

Zum Forschungsüberblick: die Forschung hat sich bereits intensiv mit der Literatur des Exils auseinandergesetzt, und auch zu dem geschichtlichen Thema „Exil“ findet sich einige Literatur. Die Kinder- und Jugendliteratur des Exils wurde allerdings von der Forschung lange Zeit vernachlässigt. Zwar widmete F.C. Weiskopf schon 1948 der Kinder- und Jugendliteratur im Exil ein Kapitel in seinem Werk „Unter fremden Himmeln“, in dem er einige der wichtigsten Kinder- und Jugendbücher des Exils und ihre Autoren auflistete („Fürs Kind und für die reife Jugend“). Dann allerdings brachte die Forschung zu diesem Thema lange Zeit nichts hervor. Erst 1985 erschien mit Thomas Hansens Werk „Emil and the Emigrés: German Children´s Literature in Exile, 1933-1950“ ein umfassendes Werk zu diesem Thema, in dem er unter anderem die Kinder- und Jugendliteratur in drei Kategorien einteilte, die noch heute in der Forschung immer wieder zitiert werden (siehe Kapitel 3). 1989 folgte die Doktorarbeit von Dirk Krüger, der sich neben der Kinder- und Jugendliteratur im Exil allgemein, besonders mit der Autorin Ruth Rewald beschäftigte.

 

In dem Werk „Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur“ beschäftigte sich 1990 auch Kaminski mit dem Thema „Exil und Innere Emigration“. Krüger und Kaminski gaben den Anstoß dafür, dass die Kinder- und Jugendliteratur des Exils in der Forschung Beachtung fand.[1]

 

So gab es im Jahr 1995 eine von Andrea Huwyler-Thomalla und Jörg Räuber erstellte Ausstellung in der Deutschen Bücherei Leipzig zum Thema Exilliteratur mit einer eigenen Rubrik zur Kinder- und Jugendliteratur. Aus dieser Ausstellung ging das Buch „Kinder- und Jugendliteratur im Exil 1933-1950. Mit einem Anhang Jüdischer Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland 1933-1938“ hervor in dem auch Kaminski schrieb. Zum Thema der österreichischen Kinder- und Jugendliteratur im Exil ist besonders das Werk „Little Allies Kleine Verbündete“ von Ursula Seeber, Alisa Douer und Edith Blaschitz aus dem Jahr 1998 zu nennen. Die bis heute wohl vollständigste Bibliographie zur Kinder- und Jugendliteratur im Exil liegt aber von einer amerikanischen Autorin vor. Es handelt sich um das 2001 erschienene Werk von Zlata Fuss Phillips, „German Children´s and Youth Literature in Exile 1933-1955 Biographies and Bibliographies“.

 

Speziell zum Thema der Kinderbanden in der Kinder- und Jugendliteratur des Exils findet sich keine Literatur. Diese Thematik wurde meines Wissens noch nicht näher untersucht.

 

2. Exilsituation der Kinder

 

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten gerieten nicht nur Erwachsene, sondern auf barbarische Weise auch, meist jüdische, Kinder ins Visier der neuen Regierung. Zögerlich setzte ab 1933 „(...) ein organisiertes Bemühen, Kinder und Jugendliche zu retten (...)“[2] ein.

 

Tausende Kinder konnten gerettet werden, indem man ihnen zur Flucht verhalf und ein Leben im Exil ermöglichte. Hauptsächlich durch die Kindertransporte nach Großbritannien und die Jugend–Alijah nach Palästina konnten wohl weit über 10.000 Kinder und Jugendliche Hitler-Deutschland verlassen.[3] Mit der Jugend-Alijah wurden ab 1932 Jugendliche zur Landarbeit nach Palästina gebracht.[4] Zwischen 1932 und 1941 konnten mit Hilfe dieser Organisation „(...) insgesamt über 7.000 Jugendliche im Alter zwischen 15 bis 17 Jahren aus Deutschland, Österreich und den deutschbesetzten Gebieten nach Palästina gebracht werden.“[5]

 

In Großbritannien trafen bereits Anfang Dezember 1938 die ersten Kindertransporte mit 200 deutschen Kindern ein, zehn Tage später folgte ein Transport mit 500 Kindern[6]. Es folgten noch viele weitere.

 

Auch in fast allen weiteren europäischen Staaten hatten deutsche Kinder Zuflucht gefunden. „Im besetzten Frankreich lebten mit Hilfe vor allem privater Hilfsorganisationen ca. 8.000 Kinder im Verborgenen.“[7] Auch die nunmehr im Untergrund operierende französische Gesundheitsfürsorgeorganisation OSE setzte sich für den Schutz jüdische Kinder ein.[8]

 

In der Schweiz war es das SHEK (Schweizer Hilfswerk für Emigrantenkinder), durch das etwa 10.000 Kindern ein Aufent- halt in der Schweiz ermöglicht wurde.[9] Auch in den Niederlanden hielten sich ca. 4.500 deutsche Kinder auf[10], sowie in Dänemark, Schweden, der Sowjetunion und weiteren europäischen Ländern.

 

Die Exilstationen der verfolgten Kinder beschränkten sich jedoch nicht nur auf Europa, in alle Erdteile waren sie zerstreut. So handelt der bekannte Film „Nirgendwo in Afrika“ von dem Schicksal eines jüdischen Mädchens mit ihren Eltern im afrikanischen Exil. Bekannt ist auch die Geschichte der deutschen Trapp-Familie in Amerika. Sie wurde in den USA als erfolgreiches Musical (The Sound of Music) verfilmt.

 

In Argentinien gab es so viele emigrierte Kinder, dass man in Buenos Aires eigens für diese Gruppe eine Pestalozzischule gründete.

 

In dem Buch „Kleine Verbündete – Little Allies“ findet sich ein Hinweis auf die „(...) wichtigsten europäischen Exilländer[n](...), in denen Jugendgruppen der Exilorganisation ´Free Austrian Movement` bestanden.“[11] Genannt werden hier Palästina, Mauritius, Australien, Kanada, USA, Indien und die lateinamerikanischen Staaten.[12]

 

Einige konnten mit ihren Eltern oder zumindest einem Elternteil Deutschland verlassen. So konnten ca. 1.000 Kinder „(...) mit ihren Müttern, die als Kindermädchen arbeiteten, in Groß- britannien eine neue Heimat finden.“[13]

 

Die meisten jüdischen Kinder wurden von den Exilländern jedoch per Sammelvisum aufgenommen. So wurden, meist durch die jüdischen Gemeinden, Kinder bis zum Alter von 16 Jahren für die Transporte ausgewählt und von Berlin oder Wien aus in Gruppen von bis zu 500 ins Ausland gebracht.[14] Hierzu schreibt Rebekka Göpfert in „Die Kindertransporte 1938/39“:

 

„Die Erfahrungen der Kindertransport-Teilnehmer unterscheiden sich erheblich von denen der Erwachsenen, die geflohen sind: Ein Kind konnte in der Regel nicht selbst über seine Emigration entscheiden, oftmals wurde den Kindern erst am Bahnhof bekannt, dass sie ihre Eltern verlassen mussten; die Emigration fand in der längst noch nicht abgeschlossenen Phase der Kindheit statt, in der eine vertraute Umgebung mit bekannten Menschen eine notwendige Entwicklungsvoraussetzung ist. Zudem sind Kinder immer angewiesen auf Hilfe und Unterstützung von anderen; ganz besonders gilt dies in der Fremde.“[15]

 

Im Falle der Kindertransporte nach England brachte man die Kinder nach ihrer Ankunft zunächst in Aufnahmelager unter, bevor sie in Gastfamilien oder Heime verteilt wurden.[16] Ähnlich wird in anderen Exilländern verfahren worden sein, zumindest in den noch nicht von Deutschland besetzten Staaten. In diesen nämlich mussten die Kinder versteckt leben.

 

So lebten die emigrierten Kinder also in den meisten Fällen ohne ihre Familie in Gastfamilien oder in Heimen für exilierte Kinder.

 

Man ging im Grunde davon aus, dass der Aufenthalt im Gastland nur vorübergehend war und die Kinder spätestens nach einigen Jahren wieder ihren Eltern zugeführt werden konnten. Dass die meisten der Kinder ihre Eltern wohl nie wieder sehen würden und sehr viele ihr Leben lang im Exilland bleiben würden, damit rechnete man damals nicht.[17]

 

2.1 Schulen in den Asylländern

 

In vielen Ländern wurden Schulen für die Kinder eingerichtet, um ihnen zu einer gewissen Normalität im Gastgeberland zu verhelfen. Wie wichtig diese schulische Normalität für die Kinder war, belegt Anna Seghers mit einem Zitat eines russischen Lehrers in ihrem Aufsatz „Frauen und Kinder in der Emigration“:

 

„´Manche dieser kleinen Burschen und Mädchen haben mehr Abenteuer bestanden als sonst eine ganze Generation. [...] Manches dieser Kinder hat selbst in entscheidenden Augenblicken ganz erstaunliche Umsicht und Tapferkeit bewiesen. Da meinen viele von ihnen, man könnte ihnen doch wirklich das Einmaleins erlassen. Von diesem Trugschluß müssen wir die Kinder heilen. Wir müssen sie zunächst wieder zu gewöhnlichen Schulkindern machen, wir müssen sozusagen das Umgekehrte tun, was man sonst in Schulen tut. Während es sonst für einen Lehrer die schwierigste Aufgabe sein mag, Kraft und Selbstbewußtsein des jungen Kindes auch für eine harteSituation zu stärken, müssen wir alles tun, um diese Kinderandas gewöhnliche alltägliche Kinderleben, an die Wichtigkeit der Schulaufgaben zu gewöhnen.`“[18]

 

Schulen, die im Exilland für die emigrierten Kinder gegründet wurden, folgten oftmals „(...) dem Vorbild reformpädagogischer Erkenntnisse (...) und [vermittelten] eine mehrsprachige humanistische Bildung.“[19]

 

So gab es in der Schweiz seit 1934 die Ecole d´Humanité , seit 1933 die Bunce Court School in Großbritannien, die Walkemühle-Schule in Dänemark und Großbritannien, ab 1937 die ´Schule am Mittelmeer` in Italien, die Pestalozzi-Schule in Buenos Aires und das zionistische Internat Kristinehov in Schweden.[20]

 

Wie wichtig die „Alltagserfahrung Schule“ für die Kinder war, belegt auch, dass selbst im südfranzösischen Lager Gurs unter schweren Bedingungen eine Schule und ein Kindergarten eingerichtet wurden.[21]

 

2.2  Psychologische Aspekte der Emigration von Kindern

 

Wie konnten Kinder nun die Situation des Exils verkraften? Wie

 

nahmen sie diesen Einschnitt in ihr junges Leben auf, die Trennung von Heimat und Eltern?

 

Bis heute „(...) hat die Exilforschung (...) keine komplexe Darstellung über Kindheit im Exil vorgelegt.“[22] In der Literatur gibt es jedoch einige Hinweise zu diesem Thema. So schreibt Marianne Kröger in ihrem Forschungsdesiderat „Kindheit im Exil“ sehr differenziert.

 

Als Charakteristika von kindlichen Exilerfahrungen nennt sie den Biographiebruch durch das Herausreißen aus der gewohnten Lebensumwelt, der zu einem Gefühl von Entwurzelung führen kann[23], außerdem frühzeitiges Erwachsenwerden mit gleich- zeitiger frühen „(...) Selbständigkeit, Umsicht und Verantwortungsübernahme“[24], sowie eine veränderte Zeiterfahrung.[25]

 

Belastende Gefühlefür die emigrierten Kinder waren vielfältiger Weise. So mussten viele von ihnen Angst- und Terrorerfahrungen verarbeiten und oftmals die Sehnsucht und Angst um noch in Deutschland gebliebene Angehörige und Freunde bewältigen.[26]

 

Für Kinder die noch kein sicheres Identitätsgefühl entwickelt haben ist der Verlust des Platzes innerhalb der Gesellschaft besonders schwerwiegend.[27] Sie sahen sich konfrontiert mit der „(...) Auflösung des Familien- und Freundesverbandes durch Emigration oder Verhaftung, (...) Wechsel der Schule, (...) Ausbleiben des bisherigen ´arischen` Freundeskreises (und) erzwungenem örtlichen Rückzug.“[28]

 

Marianne Kröger nennt fünf Faktoren, die bei der Bewältigung der Exilerfahrungen der Kinder eine Rollen spielten (und natürlich auch bei heutigen Flüchtlingskindern noch spielen).

 

So kommt es darauf an, wie die Familie es in der frühen Kindheit schaffte, das Kind auf seine Außenseiterposition in der Gesellschaft vorzubereiten. Wenn die Kinder schon an eine gewisse Außenseiterposition gewöhnt waren, einen nachvollziehbaren Grund für ihre Verfolgung sehen konnten und durch großes Vertrauen in ihre Eltern ein große innere Standfestigkeit hatten, konnten sie das Exil leichter ertragen.

 

Ein weiterer Faktor war die konkrete Erfahrung von Terror und Unterdrückung nicht nur in Deutschland, sondern auch im Exilland.

 

Außerdem kommt es natürlich auf das Alter der Kinder an. So war es für jüngere Kinder schwerer das Exil zu ertragen, weil sie die Hintergründe und die Notwendigkeit für ihre Trennung von den Eltern noch nicht verstanden (die Folge waren Angst und Schuldgefühle). Für Jugendliche war die Situation durch ihre fortgeschrittenere kognitive und psychische Entwicklung leichter.[29] Hier gibt es jedoch auch andere Beobachtungen aus jener Zeit. Oft wird berichtet, dass es den jüngeren Kindern leichter fiel, sich an das jeweilige Asylland anzupassen. Sie übernahmen Sitten, Mentalität und vor allem die Sprache leichter und bereitwilliger als ihr älteren Leidensgenossen, die sich oft gegen das Neue sträubten.[30] Dies sagt natürlich nichts über die psychische Verfassung der Kinder aus, ist doch Überangepasstheit in der Psychologie ein Zeichen von Angst und Schuldgefühlen (siehe oben).

 

Als weiteren Faktor für die Verarbeitung der Exilsituation nennt Kröger die Umstände des Entkommens. So ist natürlich für die psychische Verfassung des Kindes von Bedeutung, ob es Deutschland mit Familienangehörigen oder allein verließ, ob es auf die Abreise vorbereitet war und ob es unter Gefahren oder aber unbehelligt und unspektakulär das Land verlassen konnte.[31]

 

Weiterhin war es für die Kinder von Bedeutung, unter welchen Umständen sie im Asylland lebten. Wie wurden sie dort aufgenommen, wie war ihr Status, wie sah es mit ihren Aufenthaltsrechten, ihrer sozialen und finanziellen Lage und vor allem mit ihren Beziehungen zu Lehrern und neuen Freunden aus?[32]

 

Kinder reagierten also ganz unterschiedlich auf die Exilerfahrungen, so dass man den Begriff „Die Exilkindheit“ keinesfalls als homogen betrachten darf. Man darf allerdings festhalten, dass es einerseits zu erheblichen psychischen und psychosomatischen Problemen der Kinder kam, auf der anderen Seite sich jedoch viele (manche wohl auch nur oberflächlich) schnell an das Zufluchtsland anpassten. Diese Adaption kam häufig im schnellen Erlernen der neuen Sprache zum Ausdruck.[33]