Kipp das Skript! - Eva Herzsprung - E-Book

Kipp das Skript! E-Book

Eva Herzsprung

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Beschreibung

Drehbuchautorin Zoe liebt es perfekte Liebesgeschichten zu schreiben. Doch die will kein Produzent haben. Aber es kommt noch schlimmer: Sie erfährt auch noch, dass sie einst ein Findelkind war. Prompt stürzt sich Zoe in die Suche nach ihren Wurzeln. Dank eines DNA-Tests erhält sie eine heiße Spur. Sie ist eine verschollene Erbin und hat einen wohlhabenden Bruder! Sogleich begibt sich Zoe auf den Weg zu ihrer leiblichen Familie. Anstelle dieser empfängt sie jedoch der unfreundlichste Mensch, dem Zoe jemals begegnet ist: Caleb Ross. Um an ihren Bruder zu gelangen, muss sich Zoe fortan mit diesem Nervtöter abgeben. Unverständlicherweise bringt gerade er ihre Ansichten über die perfekte Liebe ins Wanken und bald auch ihr Herz ins Stolpern und Zoe muss sich fragen: Gibt es die unperfekte Liebe vielleicht doch? Eine Enemies to Lovers-Komödie

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Kipp das Skript!

 

Mit einem Gentest ins Liebesglück

 

Von der Autorin ist ebenfalls erschienen:

 

Schlaf weiter, Liebling!

Küss mich noch mal, Teufel!

 

DIE AUTORIN

 

Eva Herzsprung wurde 1974 in Wien geboren. Nach mehreren Jahren im Ausland lebt sie heute gemeinsam mit ihrer Familie und ihrem Pudel in der Nähe von Eisenstadt.

Prolog

Kap. 1

Kap. 2

Kap. 3

Kap. 4

Kap. 5

Kap. 6

Kap. 7

Kap. 8

Kap. 9

Kap. 10

Kap. 11

Kap. 12

Kap. 13

Kap. 14

Kap. 15

Kap. 16

Kap. 17

Kap. 18

Kap. 19

Kap. 20

Kap. 21

Kap. 22

Kap. 23

Kap. 24

Kap. 25

Kap. 26

Kap. 27

Kap. 28

Kap. 29

Kap. 30

Kap. 31

Kap. 32

Kap. 33

Kap. 34

Kap. 35

Epilog

Danksagung

 

EVA HERZSPRUNG

 

 

Kipp das Skript!

 

Mit einem Gentest ins Liebesglück

 

© 2023 Eva Herzsprung

 

Eva Herzsprung

c/o Autorenservice Gorischek

Am Rinnergrund 14/5

8101 Gratkorn

Österreich

 

 

Lektorat: Luise Deckert

Korrektorat: Alexandra Garelli-Leo

Coverdesign: Franzi Bucher unter Verwendung von Motiven von Shutterstock/Mary Long

Buchsatz: Evelyn Zimmermann, Grafik: shutterstock

Da die Darstellung von Drehbuchszenen in eBooks aufgrund der manuellen Einstellungen variieren kann, wurden für die bessere Erkennbarkeit Filmklappen zur Einleitung der Szenen platziert.

 

Personen und Handlung sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten zu real existierenden Personen sind zufällig.

Liebe Freundin des Herziversums,

ich freue mich, dass du dich für meine romantische Komödie entschieden hast und bin schon gespannt, wie sie dir gefällt.

 

Am Ende des Buches findest du übrigens einen Link zu der Bonusgeschichte von »Kipp das Skript!«

 

Und weißt du, dass du bei einer Newsletter-Anmeldung Zugriff auf die Bonuskapitel zu einigen meiner Bücher hast?

Schau gern mal nach:

 

www.eva-herzsprung.de/herzpost

 

Wenn dir das Buch gefallen hat, würde ich mich sehr über eine Rezension auf einer Plattform deiner Wahl freuen.

 

Und nun wünsche ich dir ganz viel Spaß mit Zoes Geschichte!

 

Mach’s gut, wir lesen uns ;)

 

Deine Eva

 

 

 

 

 

 

Für meine Geschwister. Alle.

 

Prolog

 

»Ist es meine Schuld?«

»Natürlich nicht, Kind. Niemand ist schuld. Das Leben ist manchmal einfach unfair.« Die Frau mit den dunklen Haaren rückte ihre Brille zurecht. »Es gibt leider nicht immer ein Happy End.«

»Häppi end? Was ist das?«

Sie schüttelte den Kopf, sodass ihre großen Locken auf und ab wippten. »Es bedeutet, dass am Ende alles gut wird.« Sie lächelte.

Ich mochte ihr Gesicht.

»Setz dich ruhig. Ich muss noch ein paar Telefonate führen. Dann gehen wir Eis essen.«

»Au ja! Erdbeere und Vanille?«, fragte ich und sie nickte.

Ich kletterte umständlich auf den hohen Stuhl. »Und danach?«

»Dann«, sie hielt kurz inne, »bringe ich dich in dein neues Zuhause.«

»Dort, wo ich letztes Mal war?« Zu den Leuten will ich nicht mehr. Die streiten sich dauernd.

Sie blickte mich überrascht an. »Kannst du dich daran erinnern?«

Ich zuckte mit den Schultern. Natürlich kann ich mich erinnern.

Eine Träne tropfte auf Bruno und versickerte augenblicklich in dem dunklen braunen Stoff.

Sie drehte ihren Stuhl mir zu, ich spürte den Druck ihrer Hand auf meiner Schulter und ihren Blick auf mir.

»Deine Pflegeeltern wandern aus. Das konnte keiner ahnen.« Die nette Dame strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und hinter mein Ohr. »Wie heißt denn dein Bär?«

»Bruno.«

»Das ist ein schöner Name. Meinst du, Bruno mag auch Eis?«

Ich schluckte. »Bruno kann nicht essen. Er ist ein Teddy.«

»Aber ein ziemlich hübscher.« Sie wandte ihren Oberkörper in Richtung Schreibtisch und tippte etwas ein. Es dauerte sicher vier Stunden und drei Tage.

Mein Hintern tat schon weh vom Sitzen und ich musste aufs Klo. Aber ich wollte nicht aufstehen und weggehen, denn wenn ich wiederkäme, wäre die Frau mit dem langen Namen und dem freundlichen Gesicht vielleicht weg. Ich blickte auf die Uhrzeiger, aber sie bewegten sich überhaupt nicht. Irgendwann träumte ich, ich sei auf einem Schiff.

Ich schreckte auf und sah auf Bruno hinab.

Er war genauso traurig wie ich.

»Bruno möchte zu seiner Bärenmama.«

Die Dame kramte ein Taschentuch hervor und berührte damit mein Gesicht. Sie trocknete die Tränen, aber es waren zu viele. »Ich werde Bruno eine perfekte Bärenmama organisieren. Ich verspreche es. Und ich finde auch die perfekte Familie für dich.«

AUSSEN – STRAND – ABEND

Es ist ein milder Sommerabend. Die Meeresbrandung rauscht im Hintergrund. Julia und David schlendern Hand in Hand barfuß am Strand entlang.

 

DAVID

(blickt JULIA glückselig an)

Julia, mit dir ist es immer schön.

 

JULIA

Ich finde es auch schön mit dir.

 

DAVID

(leidenschaftlich)

Du bist die Frau meiner Träume. Du bist … perfekt.

 

JULIA

Und du bist perfekt für mich.

 

DAVID

(bleibt stehen und kniet vor Julia nieder)

Julia, ich liebe dich. Und ich werde dich immer lieben.

 

JULIA

(freudig)

O David, ich liebe dich auch. Und ich werde dich auch immer lieben.

 

David erhebt sich und reißt Julia stürmisch in seine Arme.

CLOSE: David küsst Julia.

 

Sie gehen Hand in Hand den Strand entlang, bis sie

langsam am Horizont verschwinden.

 

INSERT: »Ende«

 

Kap. 1

 

»Kipp das Skript, Zoe.« Gretchen tänzelte unruhig von einem Fuß auf den anderen und mied meinen Blick. Oje, das war ein schlechtes Zeichen! »Sei mir nicht böse, aber ich bin auf Seite drei eingeschlafen.«

Oh. Ich schluckte. »Ich war mir nicht sicher, doch du hast natürlich recht, die Eröffnungsszene sollte romantischer sein. David könnte auf einem Pferd angetrabt kommen und Julia zu sich hochziehen. Gemeinsam reiten sie als Sinnbild für die Unendlichkeit ihrer Liebe der untergehenden Sonne entgegen.«

»Das meinte ich nicht«, widersprach Gretchen und strich ihren Faltenrock glatt. »Ich will sagen, da passiert nichts.«

»Oh, ich finde, es passieren etliche wundervolle Dinge.« Und sie alle hatten nichts mit Lügen und Betrug zu tun. Das war der Sinn der Sache. Die Chronik einer glücklichen Beziehung. Einfach perfekt. Deshalb war es auch kein Mainstream-Film.

Gretchen drehte sich um und räumte fadenscheinig ihren Schreibtisch auf, doch mein wachsames Auge bemerkte sofort, dass sie einfach wahllos Sachen von links nach rechts schob.

Es war zum Verzweifeln. Gretchen war der Vorzimmerdrache von Dana. Dana war die Göttin des Films, mit anderen Worten, die Chefin der Produktionsfirma. Gretchen war ganz okay, aber sie hatte keine Ahnung von Drehbüchern, sie kannte sich nur mit Mode, Make-up und Styling aus. Obwohl, wenn ich an den Nagellack letztens dachte, bezweifelte ich auch das. Gretchen bestimmte, wer in den Olymp und überhaupt in das Blickfeld der Göttin ziehen durfte und wer nicht. Es war zum Ausflippen, aber so war es nun mal.

Ich musste sie auf meine Seite bekommen, um David und Julia ihren Moment im Rampenlicht zu verschaffen. Da fiel mir was ein. »Wir hatten doch unlängst auch so einen Film im Programm.«

»Leben eines Schäfers?«

Ich nickte. Bilder des Kunstfilms, in dem das idyllische Dasein eines Schäfers in Irland beschrieben wurde, schwirrten in meinem Kopf herum.

»Und? Läuft er noch?« Sie hob provokant eine Augenbraue, dass ich meinte, sie würde ihr gleich am Haaransatz kleben bleiben. »Eben. Das war ein Ausrutscher, der uns 150.000 Euro gekostet hat. Diesen Fehler macht Dana sicher nicht noch mal.«

»Die Leute wollen keinem alten Mann neunzig Minuten lang dabei zusehen, wie er in die Ferne guckt. Aber mein Film ist eine Hommage an die Liebe. Nach so etwas lechzen die Menschen.«

Gretchen stöhnte und verdrehte zeitgleich die Augen. »Vergiss den Kunstfilm, bring mir Unterhaltung und wir reden weiter. Oder du lässt das mit dem Liebesfilm und bleibst bei den Ufos.« Sie schnappte sich einen Pseudostapel von ihrem Tisch und starrte mich herausfordernd an. »Ich muss los.« Schnell drückte sie sich an mir vorbei und ließ mich einfach stehen.

Das war nicht gerade optimal gelaufen, hätte allerdings definitiv noch schlimmer ausgehen können.

Ich plumpste auf den Drehstuhl und vergrub das Gesicht in den Händen. Gewiss würde ich nicht den Rest meines Lebens Skripted Reality machen. Weder über Ufos noch sonst irgendwas in der Art. Meine Pseudo-Doku Achtung Ufo! lief bereits im dritten Jahr, was eine super Sache war, schließlich bezahlte sie meine Miete, aber ich hatte genug von grünen Männchen und Entführungen durch Marsmenschen.

Ich schnaufte. Ich musste mein Drehbuch also überarbeiten. Aber wie? Davids und Julias Geschichte war meine absolute Herzensangelegenheit und perfekt, so wie sie war.

Julia war eine junge, nach Liebe suchende Frau und David war der Mann ihrer Träume. Er stammte aus einer reichen Familie, war der nächste CEO, hatte immer die schicksten Klamotten, die coolste Frisur der Stadt und das verführerischste Lächeln im Gesicht. Mit anderen Worten: Er war unwiderstehlich. Doch unter seiner harten Schale trug er einen weichen Kern, in dem sich die Liebe zur Natur und die Verachtung für alles Materielle verbarg.

Julia und er trafen sich an einem lauschigen Sonntagmorgen zwischen einer Parkbank und einem Springbrunnen. Die Sonne schien hell am Himmel und die Vögel zwitscherten. Es kam, wie es kommen musste. Ihre rehbraunen Augen verzauberten ihn und seine Leidenschaft für die einfachen Dinge des Lebens raubte ihr den Atem. Sie spürten die Macht der Liebe auf den ersten Blick und waren ihrer völlig erlegen.

Von da an konnte sie nichts mehr trennen. Sie gingen Eis essen und Billard spielen, einmal machten sie einen Spaziergang durch das hohe Gras. Auf Seite drei war klar: Sie waren unzertrennlich. Alles war immer wunderschön und zauberhaft. Sie waren füreinander geschaffen. Nicht einmal Streit trübte ihre Beziehung. Alles war perfekt. Ich hatte sogar schon einen Titel. My Perfect Love. Ich musste diesen Film einfach machen.

Ich war sozusagen die Expertin für Liebe und Happy Ends, schließlich kannte ich alle Jane-Austen-Verfilmungen und jeden Liebesfilm, der in den vergangenen fünfzig Jahren gedreht worden war. Wer, wenn nicht ich?

Mein Film bräuchte auch keine Action und überraschende Twists.

Aber wenn ich Dana nicht ein wenig Drama vorlegte, könnte ich die Miete nicht mehr bezahlen und dann müsste wieder Bea einspringen oder, noch schlimmer, ich müsste Sven fragen. Und das wäre wirklich eine Totalkatastrophe, denn mein einziger Bruder Sven hatte in Krisensituationen die Angewohnheit, mich zuzutexten und einen auf Vaterfigur zu machen. Das hasste ich noch mehr, als Skripted-Reality-Drehbücher über die angebliche Sichtung von Ufos zu schreiben.

Ich richtete mich auf und atmete tief durch. Natürlich wusste ich, wie ich meinen perfekten Liebesfilm zu einem Mainstreamschinken umkrempeln konnte. Schließlich kannte ich die Booth und Brennans dieser Welt. Mein Blick fiel auf die Wanduhr. Es war zehn vor eins!

Du meine Güte, ich musste aufbrechen, sonst würde ich zu spät zu meinem Montags-Mittagessen mit Sven kommen. Ich schnappte mir meine Handtasche und lief los.

 

Kap. 2

 

Sven saß bereits an unserem kleinen Stammtisch in der Ecke. Jedes Mal, wenn ich meinen Bruder sah, war da dieses warme, fluffige Gefühl in meinem Herzen. Er hatte das Aussehen eines skandinavischen Models und besaß die Aura eines Sonnyboys, der wirkte, als hätte er eben sein Surfbrett beiseitegestellt.

Der größte Unterschied zwischen ihm und mir war aber eindeutig die Haarfarbe. Und die Augenfarbe. Und der Teint. Na ja, im Grunde alles. Auch auf den fünfzehnten Blick sahen wir nicht aus wie Geschwister. Wie auch? Mit einer genetischen Übereinstimmung von 0,00 % war das schwer machbar. So wie auch bei dem Rest meiner Familie.

Ich war adoptiert und seit meinem sechsten Lebensjahr bei meiner Ma, Pa und meinem Bruder Sven aufgewachsen. Meine richtige Mutter hieß Evelyn Korn und war kurz nach meiner Geburt verstorben. Mein Vater war unbekannt. Meine einzige Familie waren meine Adoptiveltern und mein Bruder Sven.

Sven war mit seinen zwanzig Jahren fünf Jahre jünger als ich und mein absoluter Sonnenschein. Das Licht meines Lebens, mein Ein und Alles.

Er blickte auf und ein Strahlen überzog sein Gesicht.

»Hey, Nervensäge, wie geht’s?«

Er lächelte. »Wunderbar. Und dir, Satansbraten?«, fragte er in alter Gewohnheit. Eine Tradition, die unsere Mutter zuweilen an den Rand eines Nervenzusammenbruchs brachte.

»Jetzt wieder gut«, antwortete ich.

»Das klingt schlecht.«

Ich setzte mich ihm gegenüber.

»Der Kellner weiß schon Bescheid«, sagte er.

Es war üblich zwischen uns, dass der, der zuerst kam, bestellte, was einfach war, denn wir aßen immer dasselbe: Sven Spaghetti mit Meeresfrüchten und ich Tagliatelle mit frischem Pesto.

»Nun erzähl«, forderte er mich auf. »Wie ist es bei Gretchen mit dem schrecklichen Nagellack gelaufen?«

Ich musste lachen, obwohl ich so deprimiert war. »Lass uns bitte das Thema wechseln.«

»Also kein Romeo und Julia, sondern wieder E.T. und Alf?«

»Du sagst es.«

»Aber wie ich dich kenne, wird dich das nicht aufhalten. Was ist schon ein Nein für meine große Schwester?« Er lächelte.

In dem Moment wurde unser Essen serviert.

»Übrigens, später wird Bea dazukommen«, erwähnte ich beiläufig.

Meine Freundin hatte mich so lange bekniet, dabei sein zu dürfen, dass ich schließlich nachgegeben hatte. Die fünf Minuten kosteten sie zwei Wochen staubsaugen.

Wenn Sven wüsste, dass er in Haushaltserledigungen gehandelt wurde, wäre er sicherlich nicht erfreut. Aber mein Bruder war, was seine Wirkung auf Frauen betraf, völlig ahnungslos. Oder tat zumindest so.

»Das trifft sich ja gut«, antwortete er.

Wieso? Was meint er denn damit?

Ich schob mir eine Ladung Tagliatelle in den Mund, als ich Bea am Eingang erblickte.

Sie kam in ihrem typischen Matrix-Look hereingeflattert. Viel zu früh! Zielstrebig und sichtlich fröhlich steuerte sie auf uns zu. Schon aus fünf Metern Entfernung konnte ich ihren verliebten Blick ausmachen.

»Hallo Bea«, begrüßte mein Bruder sie lächelnd.

Sie himmelte ihn an, als hätte er ihr einen Heiratsantrag gemacht.

Gott, wie peinlich!

Musste ausgerechnet mein Bruder ihr Crush sein? In den nächsten Tagen würde sie mir davon vorschwärmen, wie er sie angeblickt (nicht, dass er das täte), sein Messer gehalten (wenn er eines hätte) und welches Getränk er getrunken hatte. Ich hätte mehr als den Staubsauger-Deal rausholen sollen!

»Ich habe dir was mitgebracht«, sagte Sven freundlich und zog ein handgroßes Etwas aus seiner Jackentasche.

Leichte Übelkeit stieg in mir hoch, denn mein Bruder war gerade dabei den roten Teppich in meine persönliche Hölle auszulegen.

»Warum bringst du mir nichts mit?«, fragte ich in scharfem Ton.

»Aber du hast doch schon etliche Seifen«, antwortete er tonlos.

O nein! Eine Seife! Das bedeutete, sie würde die nächsten Tage mit ihrer Nase an dem Ding kleben und ich würde mir tausendundeine Interpretationen zu diesem Geschenk anhören müssen. Was noch entsetzlicher war. Und in diversen Internetforen gab es mit Sicherheit eine Verrückte, die Bea darin bestärkte, dass in dem Präsent eine versteckte Liebesbotschaft lag.

Wie konnte Sven ihr so etwas Intimes schenken? Wieso schenkte er ihr überhaupt etwas?

Ach Sven! Tu mir das nicht an!

»Das ist aber aufmerksam von dir!« Bea strahlte ihn an wie eine Sechsjährige eine M&M’s Packung.

Er überreichte ihr das kleine in lila Seidenpapier eingewickelte Ding.

Sie nahm es selig entgegen und blickte ihm dabei fünf Sekunden zu lange in die Augen.

Sven verschluckte sich fast an einem Shrimp. »Ich muss zurück ins Büro«, verkündete er und sprang unvermutet auf.

»Und dein Essen?«, fragte ich.

»Ich bin satt. Wir sehen uns am Wochenende.« Er drückte mir zur Verabschiedung einen Kuss auf die Wange.

Bea hielt ihm prompt ihre hin.

Sven blickte sie etwas perplex an, räusperte sich und murmelte: »Bis bald, Bea!«

Sie lächelte seinem Rücken hinterher.

»Wie praktisch, dass du eine Seife bekommen hast, da kannst du gleich den Boden von deinem Sabber säubern«, kommentierte ich.

»Du bist doch nur eifersüchtig, weil er dir keine mitgebracht hat.«

»Bea, ich habe dreiundsiebzig Seifen in sechsundzwanzig Duftrichtungen daheim. Damit kann ich eine ganze Armee von Stinkstiefeln versorgen.«

Mein Bruder war Angestellter in einer Seifenmanufaktur und überreichte mir zu jedem erdenklichen Anlass ein Stück.

»Aber keine duftet wie meine!«, schwärmte sie verliebt und schnüffelte erneut daran. Wahrscheinlich würde sie das Teil mit in ihr Bett nehmen.

»Ich verstehe dich ja und wenn ich wüsste, dass ihr auch nur den Hauch einer Chance hättet, würde ich dich unterstützen. Doch ich weiß, dass du … wie soll ich es sagen, ohne dich zu verletzen …« Am besten gar nicht. Ich holte tief Luft. »Du bist nicht ganz sein Typ.« Nun waren die Worte heraus, die ich immer vermeiden wollte. Beas Blick verfinsterte sich schlagartig.

»Und wer ist sein Typ?«, fragte sie mit dem Anflug von Verzweiflung in der Stimme.

»Eher so eine Art Jessica Pearson.«

»Du meinst, er steht auf afroamerikanische Anwältinnen in den Wechseljahren?«

»Ich meine«, sagte ich leicht frustriert, »er steht auf adrette Zweiteiler auf Kleiderbügeln. Wenn noch ’ne Frau drinnen steckt, ist es auch gut. Ehrlich, er steht nicht auf dich. Und erst recht nicht auf deinen Black-Pyjama-Look.«

»Nun, ich bin flexibel. Dann hol ich mir eben einen langweiligen Zweiteiler in Schwarz.«

»Bea, vergiss ihn einfach.« Ich wusste, dass Sven eine Schwäche für Bohnenstangen hatte, die aussahen, als stünden sie kurz vor einer Ohnmacht. Und Bea gehörte eher zur Kategorie vollschlank und auf Dauerdiät, kurz vor einem massiven Diätfail.

Bea schien mir gar nicht zuzuhören, denn sie leckte gerade genüsslich Svens Gabel ab.

»Das ist fast wie ein Zungenkuss«, schwärmte sie.

»Das ist eklig!«

»Sagt die Frau, die gerne Erdnussbutter mit Marmelade isst und immer schwarzen Nagellack und pinke Fellpantöffelchen trägt.«

Erwischt! Dennoch musste ich ihr diese fixe Idee austreiben.

»Ach, Bea, wahre Liebe kennt keine Versteckspiele. Sie offenbart sich stets als das, was sie ist. Ich bin davon überzeugt, dass irgendwo da draußen der perfekte Mann für dich ist.« Ich atmete tief durch. »Zum Beispiel Floppi.«

Sie verzog angewidert das Gesicht. »Floppi ist eine aufdringliche Nervensäge.«

»Du magst ihn doch. Und er mag dich. Und schwarz.«

»Du würdest auch hervorragend mit rosa Streichelpulli zusammenpassen«, sagte sie spitz. »Dann könntet ihr Pulli-Pantoffel-Sharing machen.« Sie lächelte breit.

Rosa Streichelpulli war unser Nachbar. Wir hatten ihm den Namen gegeben, weil er äußerst gern Nickipullover trug. Am liebsten in so dezenten Babyfarben wie rosa und hellblau.

»Was soll ich mit dem? Der ist ein Nörgler und Stänkerer!«

»Er hatte es eben nicht leicht in seinem Leben.«

Keine Ahnung, woher Bea das zu wissen glaubte, wahrscheinlich hatte er sie irgendwann im Treppenhaus abgepasst, um ihr seine Leidensgeschichte aufzutischen.

»Ich hatte es auch nicht leicht«, erinnerte ich sie. »Wie dem auch sei. Ich habe Erik!«

»Ach ja«, sagte sie scharf. »Du hast recht, die großen Liebesgeschichten beginnen immer mit einer Kindergartenromanze.« Sie blickte mich böse an. »Und vor allem sind Beziehungen von Anfang an perfekt. Der Mann ist perfekt, er sagt die perfekten Worte, ist perfekt gekleidet und schenkt die perfekten Geschenke. Das ganze Leben ist perfekt geplant und am besten weiß er auch schon die Namen der zwei perfekten Kinder. Nämlich Perfektnatius und Langweilina. Tja, wenn du das willst, dann bist du ja genau richtig bei Erik.«

Ich verstand ihren Unmut nur zu gut, aber das mit Sven und ihr wäre die aussichtsloseste Liebe in der Geschichte aller Liebespaare. Das wäre, als würde man Harvey Spencer mit Abby Sciuto zusammentun. Oder Lachsschinken mit Nutella.

Bei Erik und mir lag die Sache ganz anders, denn Erik und ich waren beide Nutella.

»Lass uns nicht wegen eines Typen streiten, auch wenn es mein Bruder ist«, erwiderte ich und versuchte somit, einen ernsthaften Krach abzuwenden. Ich hasste Auseinandersetzungen, egal mit wem. Aber Streit mit Bea war das Allerschlimmste, denn Bea konnte richtig nachtragend sein und jemanden mit eisernem Schweigen foltern, und das bedeutete tagelange miese Stimmung im Haus und Magenschmerzen meinerseits.

Sie wandte sich mir zu und schloss mich fest in die Arme. »Wir zanken sicher nicht wegen eines Mannes!«

Ich spürte die Wärme ihres Körpers und ein Stein fiel mir vom Herzen.

»Erzähl, was hat Gretchen gesagt?«

Kurz überlegte ich, ob ich lügen sollte, entschied mich jedoch für die Wahrheit. »Sie sagte, ich soll den Kunstfilm vergessen. Die Leute wollen Unterhaltung.« Die Erinnerung an ihre Worte ließen meine Schultern gegen Erde sinken.

»So schlimm?«

»Noch schlimmer.«

»Aber du sagst doch immer, dass Gretchen keine Ahnung von Drehbüchern hat.«

»Das stimmt, aber sie hat recht, dass er nicht ins Programm passt.« Ich schnaufte. »Dabei denke ich, dass die Leute ihn mögen könnten.«

»Glaubst du? Die Menschen wollen doch Drama, Drama, Drama. Am besten in Kombi mit hübschen Titten und scharfen Ärschen.«

Das klang ja ganz nach Gretchen.

»Natürlich will das eine breite Masse«, sagte ich. »Aber es gibt auch noch andere Menschen, die einfach einen schönen Film sehen wollen und nicht immer diese Star-crossed-Lovers-Story, die völlig an den Haaren herbeigezogen ist.« Ich zum Beispiel. Gut, ich guckte auch gerne Hollywood-Dramen. Doch mir war klar, dass sie keine echte Beziehung widerspiegelten. Denn wahre Liebe brauchte keine Tricks und Hindernisse. Und das war es, was ich schreiben wollte. Die Chronik einer perfekten Liebe.

»Bei Bridgerton funktioniert es aber ziemlich gut«, murmelte Bea.

»Du meinst, ich sollte David und Julia ein paar schicke Kostüme verpassen?«

Bea zuckte mit den Schultern. Ihre roten Locken wippten auf und ab.

Das ließe sich durchaus bewerkstelligen. Dafür müsste ich jedoch das komplette Drehbuch in eine andere Zeit versetzen. Da fiel mir ein, dass David und Julia auf einen Maskenball gehen könnten. Obwohl … die meisten Filme, in denen Masken im Spiel waren, endeten auf einer Fetischbank mit Nadeln im Hintern. Und das war sicher keine Option für meine Lovestory. Ich stöhnte.

»Ach, Zoe, dir wird schon das Richtige einfallen. Vielleicht beobachten die beide ein Ufo.«

Ich sog die Luft ein. Meine Figuren hatten genug Ufos gesehen! Bea musste meine Reaktion bemerkt haben, denn sie tätschelte schnell meine Hand.

»Setz dich nicht so unter Druck.«

Sie hatte recht. Dennoch. Mir musste etwas einfallen, das Davids und Julias Geschichte aufpeppen und Gretchen zufriedenstellen würde. Und vor allem etwas, womit ich leben konnte.

Da vibrierte mein Telefon in der Hosentasche.

Ich zog es heraus und blickte auf das Display.

Es war ein Anruf meiner Adoptivmutter.

Gedankenverloren drückte ich auf Annehmen. »Ma.«

»Häschen …«, rief sie aufgeregt. Ihre Stimme war anders. Sie weinte. Und das hieß schon was. Denn das letzte Mal hatte Ma geweint, als Florian Silbereisen und Helene Fischer ihre Verlobung bekannt gegeben hatten. Aber ein dumpfes Gefühl sagte mir, dass es diesmal keine Freudentränen waren.

»Häschen«, wiederholte sie mit tränenerstickter Stimme. »Ich habe schlechte Nachrichten.«

Das konnte alles oder nichts bedeuten. Bei Mas Sinn für Theatralik tippte ich eher auf Letzteres. Da überkam mich auch schon eine Ahnung …

»Wurde euer Flug für den USA-Trip abgesagt?«

»Aber nein«, murmelte Ma, »noch viel schlimmer.«

Kap. 3

 

Ich hätte weinen müssen. Letztendlich war sie meine Mutter gewesen. Und doch wollte keine einzige Träne kommen. Wie konnte ich auch um eine Person trauern, die ich nie kennengelernt hatte? Von der mir nur ein Grab geblieben war? An die ich keinerlei Erinnerungen hatte, weder gute noch schlechte? Wie auch? Schließlich war sie bei meiner Geburt verstorben.

Ich blickte wieder zu Ma, die nervös an ihrer Bluse zupfte, was mich irritierte, denn das Einzige, was Ma für gewöhnlich aus der Ruhe brachte, war, wenn der Bachelor ’ne Neue hatte.

»Ich verstehe das nicht, wie kann man einfach ein Grab auflösen?«

»Nun, wenn es keine Nachfahren gibt, und niemanden, der die Rechnungen bezahlt, ist das leider so«, klärte mich Ma unter Schluchzattacken auf.

»Aber ich bin doch ein Nachfahre«, warf ich ein.

»Häschen, du weißt ja, wie das bei Adoptionen ist. Du bist kein offizieller Nachfahre mehr.«

Ja, das wusste ich nur zu gut. Mit einer Adoption wurde die bisherige Lebensgeschichte amtlich ausgelöscht. Aber hätte ich überhaupt die Instandhaltung eines Grabes für eine Frau bezahlen wollen, die mir fremd war? Ich wusste es nicht. Und doch war sie meine Mutter gewesen. Und man hatte doch nur eine Mutter.

Ich dachte an all die Jahre, in denen wir regelmäßig ihr Grab besucht hatten. Ma hatte jedes Mal eine Zeremonie daraus gemacht. Wir hatten Blumen, Geschenke, Zeichnungen mitgebracht. Ich erinnerte mich, einmal meinen Schokopudding für sie aufgehoben und ihr dann aufs Grab gestellt zu haben. Sie hatte sogar Bruno bekommen! Allein der Gedanke an meinen Teddy schnürte mir das Herz zu.

Ma räusperte sich und durchbrach damit mein Gedankenkarussell. »Ich verstehe, dass du nicht besonders traurig bist. Du kanntest sie ja nicht. Aber davon wollen wir jetzt nicht sprechen.«

Ich hätte sehr wohl darüber sprechen wollen.

Ma schluckte den letzten Bissen ihres Essens hinunter und tupfte theatralisch ihre Mundwinkel ab. Dann legte sie die Serviette auf den Tisch, strich sie glatt und ordnete das danebenliegende Besteck. Das war sehr ungewöhnlich, denn Ma war es prinzipiell egal, ob irgendetwas aus der Reihe tanzte. Schließlich sah sie mich mit ernstem Blick an. »Tja, also, Häschen, das war nicht der Grund, warum wir uns hier getroffen haben.«

Ach, war es nicht?In meinem Magen breitete sich eine minimale Welle des Unwohlseins aus. So ähnlich, als säße ich in einer Achterbahn und langsam tuckelte der Wagen den Hügel hinauf.

»Nun, irgendwann kommt die Wahrheit wohl immer ans Licht.« Sie atmete hörbar ein. »Wahrscheinlich ist jetzt der Moment.«

»Welcher Moment?« Das flaue Gefühl im Magen nahm Fahrt auf.

Ma blickte zu Boden, dann sah sie mir direkt in die Augen. »Zuerst musst du wissen, dass wir dich über alles lieben. Du bist unser Kind. Genau wie Sven.«

»So ist es!«, bekräftigte Pa von der Seite.

»Ich verstehe nicht«, murmelte ich. Aber ich ahnte, dass es nichts Gutes sein würde. Mein Magen zog sich krampfhaft zusammen und mein Herz stolperte. Und nicht auf die romantische Art, sondern auf diese, die einen dazu brachte, schnellstmöglich einen Arzt aufzusuchen. Bumm, bumm.

»Nun, Frau Korn, der Himmel hab sie selig«, sagte sie, als würde sie sich des Gebots, die Toten zu ehren, erinnern.

»Ja?« Bumm, bumm, bu… bumm.

»Also Frau Korn war … sicherlich ein sehr netter Mensch.« Nun, das war zu hoffen …

»Komm doch zum Punkt, Thea!«, warf Pa ein und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

Ich zuckte zusammen. So energisch hatte ich meinen Vater noch nie erlebt. Andererseits konnte ich ihm nur zustimmen. Bumm, bumm, bumm, bumm … Mein Waggon befand sich mittlerweile auf der höchsten Spitze der Achterbahn …

»Sie war … sie war …«, würgte Ma hervor, »nicht … deine … Mu…t…t…er.«

… und raste mit Höchstgeschwindigkeit in die Tiefe.

Ich musste mich gerade verhört haben oder sonst irgendwelchen Halluzinationen unterliegen. »Wie war das?«

»Du hast schon richtig verstanden, Häschen.«

Ich blickte nervös zu Pa. In seinen Augen standen Tränen und ich fühlte mich mit einem Schlag tausendmal schlechter.

»Die Frau, deren Grab heute aufgelöst wurde, war nicht deine Mutter«, erklärte Ma und wurde immer leiser, bis ihre Stimme kaum noch zu hören war. »Im Grunde war sie eine völlig unbeteiligte … Person. Eine … Fremde.«

Was? »Das kann nicht sein!«, rief ich gegen das Brennen in meiner Brust.

Ma verschränkte ihre Finger ineinander und ihr Blick huschte über die Hirschgeweihe an den Wänden. »Es ist so. Sie war nicht deine Mutter.«

Ihre Worte schlugen wie Blitze in mein Gehirn ein. Das war unmöglich! Ich griff mir an den Kopf. Ein zarter Schweißfilm hatte sich auf meiner Stirn gebildet. »Du meinst, dass diese Geschichte, die ihr mir jahrelang erzählt habt … eine Lüge war?«

»Du musst verstehen«, erklärte Ma, »wir kamen nur den Empfehlungen des Arztes nach. Er meinte, Kinder brauchen eine Herkunft. Ein Leben ohne Wurzeln sei schlecht für die emotionale Entwicklung. Und da wir so gut wie nichts über dein Elternhaus wussten, haben wir einfach etwas … nachgeholfen.« Sie blickte betreten zur Seite. »War es nicht viel besser, eine Mutter zu haben als … nichts?«

Das ließ sich schwer beantworten. »Das bedeutet, ich habe jahrelang um eine völlig fremde Frau getrauert?« Verdammt noch mal, hieß das etwa, ich hatte Bruno umsonst geopfert? Ich stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch.

»Nun ja, also im Grunde … ja. Aber der Psychologe … er hat doch gesag…«

»Hat er dir etwa empfohlen, mir eine Familie zu erfinden, die mich nicht will?«

»N… Nicht ganz. Ach, Häschen, was sollte ich denn tun?« Sie zog die Schultern hoch. »Eines Tages sind wir zu Opa auf den Friedhof gegangen, plötzlich bist du bei Frau Korns Grab stehen geblieben und hast gemeint, hier läge deine Mutter. Du warst so davon überzeugt. Schließlich fragte ich bei der Friedhofsverwaltung nach. Frau Korn war eine alleinstehende Dame ohne Angehörige in einem Armengrab. Sie war perfekt. Und es tat dir so gut, eine Mutter zu haben.« Ma blickte mich mit schuldbewusster Miene an. Wahrscheinlich erwartete sie, dass ich irgendetwas dazu sagte, aber mir hatte es die Sprache verschlagen. »Es tut mir leid, mein Häschen.«

Ich erhob mich. Ich musste augenblicklich an die frische Luft.

»Da wäre noch eine Kleinigkeit«, nuschelte sie.

Ich starrte sie an. Soll es etwa noch dicker kommen? Ich meine, was gibt es denn noch?

»Besser du setzt dich.«

Ich ließ mich wieder auf der Bank nieder.

»Ehrlich gesagt, ist deine Mutter auch nicht nach der Geburt gestorben.«

Ähm? Entschuldigung? Ich starrte Ma in der Hoffnung an, sie würde jeden Moment »Reingelegt!« rufen. Doch alles, was ich in ihren Augen sah, waren Verzweiflung und Scham.

»Du warst … Na, wie heißt dieses Wort? Nun sag schon, Jörg!« Sie gab Pa einen Stups mit dem Ellenbogen, als würde dadurch das Gesuchte herauskatapultiert werden.

Doch sein Gesichtsausdruck war ratlos.

Während Ma nach Worten suchte, beschleunigte sich mein Herzschlag auf das Hundertfache.

»Ein Findelkind! Ja, das ist das richtige Wort.« Sie lächelte vorsichtig. »Wie Moses.«

Ich krallte meine Hände an der Tischkante fest.»Du meinst, man hat mich gefunden? So, wie man es immer in den Zeitungen liest?

»Sozusagen«, erklärte Ma und zupfte abermals an ihrer Serviette herum. »Du wurdest vor einer Kirche in Rust abgelegt.«

»In Rust? Diesem 3000-Seelen-Kaff?«

Ma nickte. »Mit einem Zettelchen daneben. Darauf stand dein Name. Zoe.«

Moment! Kirche, Findelkind … »Wollt ihr mir damit etwa sagen, dass ich ein kleiner Dornenvogel bin?«

Auf Mas Gesicht zeichnete sich der Ausdruck reinen Entzückens ab. »O Häschen, das ist durchaus möglich!« Nun strahlte sie über beide Ohren.

Mir war überhaupt nicht nach Strahlen zumute, auch wenn der Gedanke, dass ein gut aussehender Richard Chamberlain mein Vater sein könnte, mich etwas milder stimmte. Dennoch hatte ich mehr denn je das Gefühl, dassMa ebenso wenig Ahnung hatte wie ich.

Ein Blick auf Pas skeptische Miene bestätigte meine Vermutung.

»Wie dem auch sei. Du kamst in ein Waisenhaus. Und den Rest der Geschichte kennst du ja.« Sie sah wieder wie zehn Tage Regenwetter drein. »Es tut mir leid, mein Häschen. Aber ich dachte, es wäre an der Zeit, die Wahrheit zu erzählen.«

Pa nickte und reichte mir ein Taschentuch.Ersah mich mit leidvollem Blick an und drückte meine Hand.

Mir schwirrte der Kopf. Mein Leben war auch so kompliziert genug. Ich konnte keine falsche Mutter gebrauchen. Schon gar nicht eine doppelt falsche. Meine leibliche Mutter war also kein Engel, der vom Himmel auf mich hinab blickte. Wunderbar. Aber Moment, bedeutet das etwa, dass sie noch am Leben sein könnte? Womöglich waren diese Neuigkeiten gar nicht so schlecht.

»Dass du ein Findelkind bist, ändert gar nichts«, sagte Ma und fiel damit in meine Gedankenschlösser.

Ich blinzelte hinter meinem Schnäuztuch hervor.

Ma schielte zu meinem Adoptivvater, als hätte er die Gabe, all die Antworten, die wir jetzt so dringend benötigten, aus seinem Hut zu zaubern.

Aber ich wusste, keine seiner Worte würden irgendetwas ändern. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, streckte den Rücken durch und sog die Luft ein. Gut, ich war ein Findelkind. Das war zukünftig meine Realität. Dennoch war ich noch immer Zoe Winter. Vierundzwanzig Jahre alt. Angehende Liebesfilm-Drehbuchautorin. Meine Haare waren schwarz und meine Augen dunkelbraun. Ich hatte einen südländischen Teint und ich liebte Sissifilme, Happy Ends und Donuts mit Schokoglasur. Und ich hatte eine leibliche Mutter. Eine, die vielleicht noch lebte …

Kap. 4

 

»Überraschung!«

Was verdammt …? Während der Gedanke durch mein Hirn schwirrte, flogen mir auch schon die ersten Töne um die Ohren.

»Happy Birthday to you … happy Birthday to you …«

So eine … wundervolle … Überraschung. Über die ich mich sicherlich riesig gefreut hätte. In einem anderen Leben. Wie hatte ich meinen eigenen Geburtstag vergessen können? Das war mir noch nie passiert. Das zeigte, wie sehr sich mein Fokus geändert hatte. Es war, als würde ich durch eine Lupe gucken. Alles, was sich unmittelbar hinter der Linse befand, nämlich die ganze leidige Findelkindsache, war riesengroß und alles andere, außerhalb der Linse, unsichtbar. Nun, meine Freunde hatten ihn definitiv nicht vergessen.

Da standen sie artig aufgereiht wie ein Knabenchor und trällerten mir ein Ständchen.

Auf wessen Eingebung das wohl zurückzuführen war? Wahrscheinlich Eriks. Aber nein, diese Aktion war sicherlich nicht auf seinem Mist gewachsen, denn er wusste, dass ich derzeit gar keinen Nerv für ausschweifende Partys und dergleichen hatte. Die jüngsten Ereignisse hatten meine Lust auf feuchtfröhliche Zusammenkünfte ins Nirwana gefegt. Ein Blick auf Erik und sein verschämtes Lächeln bestätigte meine Vermutung. Er war unschuldig wie ein Lamm.

Eine Party also. Hmpf. Zoe, das ist doch süß!Schließlich sind sie deine Familie, deine Freunde. Sie lieben dich. Doch gerade als sich mein Puls wieder normalisierte, trat Rosa-Streichelpulli, an diesem Tag zur Abwechslung mal in Hellblau, aus der Küchentür, und meine Laune flutschte ruckartig in Richtung Keller. Ganz selbstverständlich, so als würde er immer schon dazugehören, gesellte er sich zu den anderen, die hinter dem kleinen Esstisch mit der Torte darauf standen.

»Du darfst die Kerzen jetzt ausblasen«, posaunte Sven, dass ich meinte, er sei neuerdings Zirkusdirektor. Er rieb sich eifrig die Hände. »Es sind übrigens fünfundzwanzig.« Er beugte sich zu mir und lächelte stolz. Wenn Sven lachte, konnte ich gar nicht böse sein.

Irgendwo in mir existierte mit Sicherheit eine eingebaute Blockade, die verhinderte, dass ich sauer auf ihn wurde. Wir hatten auch nie ernsthaft gestritten, zumindest konnte ich mich an kein einziges Mal erinnern. Schnell richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf die Kalorienbombe vor mir und holte tief Luft. Dann blies ich mit all der Kraft meiner fünfundzwanzigjährigen Lungen.

Geschafft! Alle Kerzen erloschen.

Meine Freunde klatschten eifrig. Alle, bis auf Erik.

Der hastete in die Küche, und ich hatte auch schon eine Vermutung, weshalb. Ein Blick auf den Tisch bestätigte sie.

Meiner Pusteattacke waren winzige Sahneteile der Torte zum Opfer gefallen und die klebten nun an der Tischoberfläche.

»Alles Gute, Schwesterherz.« Svens Sonnyboylächeln strahlte mir entgegen, während er auf mich zuschritt und mich auch sogleich in die Arme schloss.

Ich atmete seinen typischen Sven-Geruch ein, der Geborgenheit und Liebe in mir auslöste, und meine bis eben noch in mir auf und ab hüpfenden Zweifel gaben endgültig Ruhe.

Als er von mir abließ, stand Bea vor mir. Wahrscheinlich hatte sie schnell noch ein paar olfaktorische Sven-Reste inhalieren wollen. Sie drückte mich fest.

»Die Überraschung ist uns gelungen, oder?«, fragte sie, den Kopf leicht seitlich geneigt.

»Das ist sie.« Ich umarmte sie abermals.

Da stand Erik wie aus dem Nichts neben mir.

In Erwartung eines Kusses streckte ich ihm meinen Kopf entgegen.

Doch er wischte schnell den Tisch sauber. Anschließend schloss er mich in die Arme, den Lappen hielt er weit von sich gestreckt. Typisch Erik. Mein Freund war wirklich ein Herzstück, aber es gab ein paar Eigenschaften, die ich ihm vielleicht noch abgewöhnen sollte.

Aus den Augenwinkeln registrierte ich, wie Bea die Augen verdrehte. Sie konnte ihn einfach nicht leiden, laut ihr war er ein Neurotiker mit einem zwanghaften Sauberkeitsfimmel, was sie ziemlich unattraktiv fand.

Ich hatte mich nie an Eriks Liebe zur Reinheit gestört, sie war sogar recht praktisch, so war die Arbeitsteilung immer klar geregelt. Nur in Augenblicken wie diesen stach sie mir ins Auge.

Ich lächelte Erik freundlich an, doch der hatte einen letzten Sahnerest im Visier. Sogleich machte er sich ans Werk, diesen Störenfried zu entfernen.

Nun war Rosa-Streichelpulli an der Reihe.

Der bekommt sicherlich keine Umarmung von mir. »Hallo Felix«, murmelte ich deshalb nur.

Er lächelte schüchtern, sah ein bisschen drein, als hätte er Blähungen, was durchaus möglich war, schließlich hatte er stets irgendwelche Leiden, ob körperlicher oder seelischer Natur. »Hi Zoe«, nuschelte er im Bass. Wie konnte ein so peinlicher Typ solch eine sexy Stimme haben? Das nannte man wohl ausgleichende Gerechtigkeit.Überhaupt, sah Felix gar nicht schlecht aus. Mit seiner großen Statur und seinen dunklen Haaren ein bisschen wie Kit Harington. Wie gesagt, der Pulli war das Problem. Und seine melancholische Art. Er war nämlich, ganz anders als sein Name vermuten ließ, ein Stimmungsdrücker par excellence. Darüber hinaus neigte er zum Schnorren. Alles Eigenschaften, die ihn nicht unbedingt zum Mitmenschen des Monats machten.

Ich hatte auch schon so eine Vermutung, wie die Einladung von ihm zustande gekommen war. Wahrscheinlich hatte er Bea abgepasst und ganz unschuldig gefragt, was sie so mache. Und sie, in ihrer unbekümmerten Art, hatte ihm erzählt, dass es eine Party gäbe. Und weil Felix nie sonderlich viel zu essen daheim hatte, hatte er beschlossen, dass es heute Abend Kuchen zum Abendessen geben würde.

Ich blickte ihn abwartend an.

Er streckte mir seine Hand entgegen. »Gratuliere dir.«

Glück gehabt! Ich ergriff und schüttelte sie, als wäre er ein Bankier und ich seine neueste Kundin. Schnell wandte ich mich von ihm ab und Sven zu.

»Du musst die Torte anschneiden«, forderte er mich auf.

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich sah mich gerade nach einem passenden Messer um, als mir Erik lächelnd eines hinhielt. Und im nächsten Moment auch schon den Teller. Ich schnitt die Torte an und verteilte die Kuchenstücke.

Felix legte sofort los und schaufelte es in sich hinein.

Ich führte meine beladene Gabel zu Eriks Mund, um ihm liebevoll zu füttern.

Das machten wir immer so, dennoch schien ich ihn überrascht zu haben, denn sein Mund schloss sich perplex um die Gabel. Im nächsten Augenblick krächzte er lautstark drauflos und rauschte wieder in die Küche zurück. Wunderbar!

»Zeit für den Sekt!«, rief Bea aufgeregt und entkorkte umständlich die Flasche.

Ich schnappte mir eines der bereitgestellten Gläser und hielt es ihr brav entgegen, woraufhin Bea großzügig eingoss.

»Du musst eine Rede halten«, eiferte Felix, der Idiot.

Das fehlte mir gerade noch. Na gut, ich atmete tief ein. Nachdem alle Gläser gefüllt waren, hielt ich meins in die Höhe. »Danke, dass ihr hier seid.« Und danke, wenn ihr bald wieder verschwindet, ergänzte ich in Gedanken.

Eine gute Stunde später sah die Sache schon viel netter aus, mit einem ordentlichen Schwips wurde es noch ein richtig entspanntes Beisammensein.

Bea ließ sich die Chance auf geballtes Sventum natürlich nicht entgehen und schwänzelte permanent um ihn herum, während Rosa-Pulli Erik in Beschlag genommen hatte und ihm irgendeine traurige Geschichte kredenzte.

Irgendwann nach meinem dritten Glas und einem schlechten Scherz von Erik verkündete Sven plötzlich lautstark: »Zeit für die Geschenke!«

Auch wenn ich mich bisher nicht richtig gefreut hatte, so tat ich es spätestens in diesem Moment. Wer freute sich nicht über Geschenke?

Ich nahm an, dass Sven als Einziger ein Präsent hatte, denn Erik würde mir seines sicherlich abends geben, wenn wir allein waren. Und Bea und ich hatten das Übereinkommen, wer Geburtstag hatte, wurde zwei Wochen mit Wäschewaschen verschont. Und Felix? Der hatte gewiss nur die allerbesten Wünsche für mich, wobei ich mir nicht mal dessen sicher war.

Sven kam aus der Diele. In den Händen hielt er ein kleines Päckchen. Es hatte die Größe einer Schmuckschachtel und mein Bruder strahlte wie ein Sechsjähriger unterm Weihnachtsbaum.

»Was ist das?«, fragte ich.

»Etwas, das dir hoffentlich eine Antwort auf deine Fragen gibt«, verkündete er theatralisch. »Keine Sorge, es ist keine Seife.« Er zwinkerte mir zu.

Ich löste die Schleife und riss schließlich das Papier auf.

Zum Vorschein kam eine kleine quaderförmige Verpackung.

Was war das? Bunte Farben zogen sich quer über die Box. Darauf prangten sechs große Buchstaben in grellem Gelb. DNA-Kit.

Mein Herz hüpfte und die Gedanken rasten.

»Weißt du, irgendwo da draußen, in diesem weiten Universum«, sprach Sven mit all dem Pathos, das er mit seinen zwanzig Jahren aufbringen konnte, »ist ein Mensch, der die gleiche DNA hat wie du.«

»Also genau genommen, haben nicht mal zweieiige Zwillinge die gleiche DNA«, korrigierte ich ihn und kicherte.

---ENDE DER LESEPROBE---