Küss mich noch mal, Teufel! - Eva Herzsprung - E-Book

Küss mich noch mal, Teufel! E-Book

Eva Herzsprung

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Beschreibung

Luzia befindet sich auf dem besten Weg zur spirituellen Erleuchtung. Sie ernährt sich vegan, trinkt weder Kaffee noch Alkohol und verbannt jeden negativen Gedanken aus ihrem Kopf. Dann trifft sie auf Ian – einstigen Schulkollegen und Erzfeind Nummer 1. Von nun an gerät ihr Seelenfrieden ins Wanken. Als Ian ihr sogar den Traumjob vor der Nase wegschnappt, ist sich Luzia sicher: Er ist der personifizierte Teufel, gegen den nicht einmal Räucherstäbchen und Heilsteine etwas ausrichten können. Leider ist der Teufel verdammt attraktiv. So muss Luzia nicht nur das Böse, sondern auch ihre aufkeimenden Gefühle bekämpfen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Küss mich noch mal, Teufel!

 

Von der Autorin ist ebenfalls erschienen:

 

Schlaf weiter, Liebling!

Kipp das Skript – Mit einem Gentest ins Liebesglück

 

 

 

DIE AUTORIN

 

Eva Herzsprung wurde als drittes von sechs Kindern in Wien geboren. Nach mehreren Jahren im Ausland lebt sie heute gemeinsam mit ihrer Familie und ihrem Hund in der Nähe von München. Wenn sie nicht schreibt, dann guckt sie gerne Serien, trinkt Espresso und liest Liebesromane.

 

Eva Herzsprung

Küss mich noch mal, Teufel!

 

 

 

IMPRESSUM:

 

Eva Herzsprung

c/o Autorenservice Gorischek

Am Rinnergrund 14/5

8101 Gratkorn

Österreich

 

[email protected]

 

Covergestaltung: Casandra Krammer – www.casandrakrammer.de

Covermotiv: © JoyCrew, Shutterstock.com, Marisa_ – depositphotos.com

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

 

© 2021 Eva Herzsprung

2. Auflage 2023

 

 

 

Liebe Freundin des Herziversums,

 

ich freue mich, dass du dich für meine romantische Komödie entschieden hast und bin schon gespannt, wie sie dir gefällt.

 

Am Ende des Buches findest du übrigens einen Link zum Bonuskapitel von „Küss mich noch mal, Teufel!“

 

Und weißt du, dass du bei einer Newsletter-Anmeldung Zugriff auf die Bonuskapitel zu einigen meiner Bücher hast?

Schau gern mal nach:

 

www.eva-herzsprung.de/herzpost

 

Wenn dir das Buch gefallen hat, würde ich mich sehr über eine Rezension auf einer Plattform deiner Wahl freuen.

 

Und nun wünsche ich dir ganz viel Spaß mit Luzias Geschichte!

 

Mach’s gut, wir lesen uns ;)

 

Deine Eva

 

 

 

 

 

Küss mich noch mal, Teufel!

Teil 1

Zehn Jahre später

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

Teil 2

 

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

Teil 3

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

Epilog

Danksagung

 

Für alle Veras dieser Welt …

13. Mai 2011

 

Liebes Tagebuch,

ich hätte niemals gedacht, dass ich diese Worte niederschreiben könnte, aber es ist so: Ich hasse ihn. Ich hasse ihn wahrhaftig. Gestern habe ich mir überlegt, was ich ihm alles antun könnte. Wie ich ihm wehtun könnte. So wie er mir wehgetan hat.

Jeden Morgen nehme ich einen anderen Weg zur Schule, nur um ihm nicht zu begegnen. Ich denke, er macht es auch so. Denn er verabscheut mich genauso wie ich ihn. Wenigstens das verbindet uns noch.

Teil 1Zehn Jahre später

 

1.

 

Ich, Luzia, danke dem Universum für mein wundervolles Leben.

Ich danke dem Universum für die Sonnenstrahlen, die mich jeden Morgen bei meiner Meditation wärmen.

Ich danke dem Universum für die Früchte und Samen, die ich zu mir nehme, um mich völlig vegan zu ernähren.

Ich danke dem Universum für meine Familie, meine wundervolle Mutter und meine Schwester Fiona.

Ich danke dem Universum für meine beste Freundin Kim und meinen guten Freund Bert. Und natürlich auch für Sienna.

Ich bin dankbar, dass es in meinem Leben Emilio gibt, denn er ist nicht nur ein begnadeter Frisör, sondern auch ein besonderer Freund.

Ich bin dankbar für mein wunderschönes Haar, das in der Nachmittagssonne wie gesponnenes Gold glitzert, weshalb Sienna meint, ich müsse Emilio jeden Tag in meinen Gebeten huldigen. (Denn nach sechs Monaten glaubt sie mir noch immer nicht, dass es naturblond ist.)

Ich bin aus tiefstem Herzen dankbar für meinen wundervollen Job, der mich täglich mit Glück und Zufriedenheit erfüllt. Und dass mir die Beförderung so gut wie sicher ist.

Ich bin dankbar, dass ich in einer entzückenden kleinen Dachterrassenwohnung in einem der gefragtesten Viertel der Stadt wohnen darf und nur drei U-Bahn-Stationen zu meiner Arbeit habe.

Aber am allermeisten bin ich dafür dankbar, dass ich endlich die Ruhe und Gelassenheit gefunden habe, nach der ich all mein Leben gesucht habe. Danke!

 

Ja, so war es – mein Leben. Ich hatte allen Grund, dem Universum dankbar zu sein, ich war quasi die Dankbarkeit in Person! Das änderte sich jedoch an dem Tag, als meine harmonische Gemütsruhe jäh gestört wurde …

 

2.

 

Alles fing damit an, dass meine Mutter mit verquollenen Augen und einer Menge Gepäck vor meiner Tür stand. Mir schwante, dass die fünf Gucci-Köfferchen, die sie umringten, kein verfrühtes Weihnachtsgeschenk waren.

Zuerst fragte ich mich, ob sie bei mir ihre Wäsche waschen wollte. Doch dann besann ich mich eines Besseren: Meine Mutter war die letzte Person auf Erden, die Wäsche waschen würde. Nicht mal ihre eigene. Dafür gab es Personal.

Mit dieser weltfremden Einstellung wurde sie natürlich nicht geboren. Als sie in Ronald ihre zweite große Liebe fand, gewöhnte sie sich schnell an den Luxus, den ihr das Leben an der Seite eines erfolgreichen Zahnarztes bot. Ronald war, als er Ma kennenlernte, bereits Witwer. So wie sie, hatte er den Verlust eines geliebten Menschen erlitten. Vor acht Jahren taten sich die beiden zusammen und schlenderten seitdem gemeinsam durch ihren Rentneralltag. Und so kam es, dass Mutter in ihrer zweiten Ehe nicht nur eine Villa mitsamt vierköpfigem Personal erhielt, sondern auch eine Menge weltfremder Ansichten obendrauf bekam.

Ma war immer schon eine schöne Frau gewesen – schlank, zierlich, blond. Wenn es eine sechzigjährige Barbie gegeben hätte, wäre sie dafür locker als Model tauglich gewesen. Ich hatte das blonde Haar von ihr geerbt, doch ihr Gesicht war ebenmäßiger als meines und ihre gesamte Erscheinung deutlich graziöser. Sie rief in Männern stets eine verschrobene Art von Burgfräulein-Beschützerinstinkt hervor. Das hatte für sie den Vorteil, dass sie vor den Gefahren des alltäglichen Lebens (wie Haushalt und Acht-Stunden-Arbeitstag) bewahrt blieb.

Meine Mutter, die Grazie in Person, blickte mich mit einem Gesichtsausdruck an, als hätte sie gerade zehn Beerdigungen hinter sich. Jetzt sah ich, dass sie natürlich nicht allein gekommen war. Wie gewohnt, lugte unter ihrem Ärmel ein helles Fellknäuel hervor. Flashi!

Flashi war ihr kleiner Mini-Chihuahua, nur etwas größer als ein Hamster. Er hätte auch gut als mutierte Ratte durchgehen können. Nicht, dass man mich falsch versteht: Ich bin eine Freundin aller Lebewesen, die auf dieser Erde wandeln – egal ob Zweibeiner oder Vierbeiner. Nur mit Flashi war das so eine Sache …

Sagen wir mal, wir hatten keinen guten Start. Das lag einzig und allein daran, dass der »Hund« (obwohl ich die Rechtmäßigkeit dieser Bezeichnung in diesem Falle anzweifle) so verdammt klein war! Es war also hauptsächlich seiner Kleinheit geschuldet, dass ich bei unserem ersten Kennenlernen aus Versehen auf ihn draufgetreten war. Er erlitt eine Hüftfraktur und musste notoperiert werden. Ma verzieh mir den schrecklichen Unfall sofort – nicht aber Flashi. Er hatte beschlossen, dass wir seitdem Feinde waren. Obwohl ich mein Herz ihm gegenüber stets aufs Neue öffnete und ihn (fast immer) in meine Dankgebete einschloss, erntete ich von ihm nur vernichtende Blicke, gepaart mit einem Knurren der Marke »Das wirst du mir eines Tages büßen«. Und immer, wenn ich meine Mutter zur Begrüßung küsste, knurrte mich Flashi todesmutig an (ich vergaß zu erwähnen, dass er praktisch auf dem Arm meiner Mutter lebte), woraufhin Mutter ihm einen liebevollen Klaps auf den kleinen Stecknadelkopf verpasste und flötete: »Flashi, lass das!«

So war es auch dieses Mal. Flashi reckte knurrend den Hals, als ich den Arm um meine Mutter legte. In dem Moment, als unser Begrüßungsküsschen endete, verstummte Flashi und meine Mutter fing hemmungslos zu schluchzen an.

Nun, auch das war an und für sich keine große Sache, denn Mutter war nah am Wasser gebaut. Unter Tränen würgte sie einige Wörter hervor, die ich nur schwer deuten konnte.

»Schätz…chen … du … wirst … es (schluchz) … nicht … glau…ben. Ich … (schnief) … kann es selbst … kaum glauben.«

»Nun komm erst mal rein!« Mitsamt ihren Koffern zog ich sie in die Diele. Dort setzte sie ihr Klagelied fort.

»Ich fass … es … einfach … nicht.« Umständlich kramte sie mit ihrer freien Hand ein Taschentuch aus ihrer Hosentasche hervor. Dann verkündete sie mit erhobener Stimme, so als würde sie einen Krieg einleiten: »Ich bin ausgezogen!«

»Was?!«, entfuhr es mir, lauter als beabsichtigt.

Ihr resolutes Nicken sagte mir, dass es tatsächlich so war.

Was war passiert? Hatte Ronald eine jüngere Barbie gefunden? Hatte sie einen attraktiveren Ken gefunden? (Zweiteres schien mir realistischer, denn Ronald war nicht mit Schönheit gesegnet. Aber dafür hatte er ein Herz aus Gold, eine Villa am See und eine zwanzig Meter lange Yacht.)

Sofort verwarf ich diese schlechten Gedanken wieder. Nein, Ronald und meine Mutter liebten einander. Es musste einen anderen Grund für ihren Auszug geben. Hatte er etwa, mit seinen fast siebzig Jahren, doch noch eine Late-Life-Crisis bekommen? Oder hatte sie einfach endgültig die Nase voll von seinen Zahnarztgeschichten?

»Aber ich verstehe nicht …«, stammelte ich.

»Es ist auch kaum zu glauben«, sagte sie resolut, »aber nichtsdestotrotz bedeutet das: Ein neues Leben wartet auf mich. Und mein Engel, es beginnt, so leid es mir tut: hier.«

Äh? Entschuldigung, hier? Bei mir? Ich starrte die Koffer an, als wären darin Überreste von Atommüll versteckt.

»Freust du dich denn nicht ein klein wenig?«

»Natürlich! Und wie ich mich freue!« Das tat ich auch, selbstverständlich. Dennoch war da eine ganz leise Stimme in mir, die flüsterte: Wie lange?

Das fragte ich sie natürlich nicht. Schließlich war sie meine Mutter.

»Keine Sorge, ich bleibe nicht lange.«

Was bedeutete »nicht lange«? Und wie lange würde ihr kleiner behaarter Liebling bleiben? Obwohl, diese Frage konnte ich mir sparen. Er war sozusagen ihre zweite Identität, wie ein eingewachsener Zwilling oder ein Geschwür am Arm, das nur schwer zu entfernen war. Ich vermutete, sie liebte ihn inniger als Ronald. Er war sozusagen ihr drittes Kind. Flashi schien meine bösen Gedanken zu erschnuppern und knurrte (wie immer) in meine Richtung.

Meine Mutter stolzierte in mein Wohnzimmer, so als würde sie durch die Räume von Versailles schreiten. Ich hechtete ihr leicht panisch nach.

»Und mach dir bitte keine Umstände!«, erklärte sie unnötigerweise. »Ich kann auch auf der Couch schlafen.« Ein angewiderter Blick ihrerseits zeigte mir, dass sie niemals mit meiner Couch vorliebnehmen würde. Höchstens als Leiche. Eventuell. Aber eher unwahrscheinlich.

Dann ließ sie sich erschöpft aufs Sofa sinken, als hätte sie persönlich beide Weltkriege überstanden, und seufzte: »Ich glaube, ich könnte jetzt gut einen von deinen Zaubertees vertragen … oder einen Gin Tonic.«

 

Ich hatte beschlossen, mich nicht so schnell aus der Ruhe bringen zu lassen. Es würde alles gut werden. Zuversichtlich machte ich mich auf den Weg zu Emilio, um Ma und Flashi mit einem Schlüssel zu versorgen.

Dass Emilio als mein Seelenfreund einen Ersatzschlüssel von mir besaß, war einem seiner kindlichen Einfälle geschuldet. Er weilte oft in Italien, und da ich meinerseits einen Schlüssel von ihm hatte (zum Blumengießen, wenn er im Urlaub war), meinte er, er solle nun auch einen Schlüssel von meiner Wohnung haben, als Ausgleich sozusagen. Mir konnte das nur recht sein, denn ich gehörte zu den Personen, die gar nicht genug Ersatzschlüssel auswärts deponieren konnten. Einer fehlte immer, wenn man ihn dringend brauchte.

Als ich vor Emilios Wohnung stand, fiel mir ein, dass ich ohnehin noch die Blumen gießen musste. In den letzten Tagen hatte ich mich voll in die Arbeit reingehängt, um Marie-Claire einen zusätzlichen Grund für meine bevorstehende Beförderung zu geben. Hoffentlich hatten Emilios Blumen die Auswirkungen meiner Karriereambitionen gut überstanden.

Ich zog den Schlüssel aus der Tasche und sperrte die Tür auf. In dem Moment, als ich meinen Fuß in den dunklen Flur setzte, wusste ich, dass ich hätte klingeln sollen. In meinem Bauch meldete sich eine fürchterliche Vorahnung. So ähnlich wie zu Weihnachten, nur umgedreht. Die Geräusche, die aus dem Schlafzimmer drangen, bestätigten mein Unwohlsein.

Nun, es waren sehr sportliche Geräusche, und das Merkwürdige daran war, dass das laute Stöhnen, das sie begleitete, eindeutig von einer Frau stammte. Anstatt mich einfach umzudrehen und wieder zu gehen, wie es jeder Mensch in einer solchen Situation wahrscheinlich getan hätte, fand ich mich plötzlich mitten in Emilios Schlafzimmer wieder. Für Sekunden stieg ein vertrautes, vergangenes Gefühl in mir hoch und die Erinnerung an eine Szene, die Ewigkeiten her schien, schob sich vor mein geistiges Auge. Ich schmeckte bittere Galle auf meiner Zunge. Wie gebannt beobachtete ich dieses Schauspiel, in das ich so schamlos hineingeplatzt war. Es war viel schrecklicher, als ich es mir hätte ausdenken können. Ich sah nur ihren Rücken, sie sprang auf und ab und keuchte.

Ich stand noch immer wie versteinert, bis ich meinen Namen hörte.

»Luzia?!«, durchkreuzte eine hohe Stimme meine Gedanken.

Es war Emilio und das Bild in meinem Kopf verschwand. Auch das Keuchen hatte aufgehört. Beide blickten mich entsetzt an.

»Was machst du hier?«, rief Emilio unüberhörbar hysterisch. Die Frau neben ihm guckte dumm aus der Wäsche. Sie hatte genauso schönes Heidi-Klum-Haar wie ich.

»Warum hast du nicht vorher angerufen?«, fragte er nun eindringlicher, so als handelte es sich nur um ein dummes Missverständnis. »Du weißt doch, ich hasse unangemeldete Besuche.«

»Ich wollte meinen Schlüssel holen … und … die Blumen gießen«, meine Stimme klang entschuldigend. Dann dämmerte mir, was ich da eigentlich tat: Ich rechtfertigte mich für etwas, worum er mich doch gebeten hatte! »Warum bist du denn nicht in Italien?«, schob ich schnell hinterher.

Dann fiel mein Blick wieder auf die Frau in seinem Bett, und nun schien auch Emilio sich an sie zu erinnern.

»Scheiße, scheiße, scheiße … Ich weiß, wie das für dich aussieht, aber es ist ganz anders! Glaube mir!«

Er stolperte irgendwie in seine Hose, die er sich von einem Stuhl geschnappt hatte. Ich war noch immer wie vor den Kopf gestoßen. Dennoch war ich mir nicht sicher, was ich eigentlich fühlte. Ich meine, ich weiß, was ich hätte fühlen sollen. Aber …

Indessen jammerte Emilio weiter: »Luzia, das … ich meine, es ist ganz anders, als es aussieht … ach, Mist!« Seine Worte gingen in einer Reihe italienischer Flüche unter.

Was meinte er damit? Anders, als es aussah? Es war doch eindeutig.

»Das ist … eine Frau«, stammelte ich, »… eine Frau … ich meine, eine Frau, Emilio!«

»Ich verstehe es ja selbst nicht. Ich weiß nicht, was über mich kam! Es ist so … passiert.«

Ach, so war das! Nun schien auch Emilios Flamme den Ernst der Situation zu durchschauen, denn sie sprang auf wie ein junges Reh (sie machte sicherlich Yoga), klaubte in drei Sekunden ihre Habseligkeiten zusammen und verschwand in rekordverdächtiger Zeit durch die nächste Tür.

Emilio hingegen wurde nun von dem Leiden aller jemals lügenden Männer erfasst. Er wimmerte, er weinte fast, er flehte und warf sich theatralisch auf die Knie.

»Es wird nie wieder passieren!«, rief er mit seinem italienischen Akzent und viel zu hoher Stimme. »Ich schwöre es! Ich verstehe es ja selbst nicht. Sie hat … mich sicherlich irgendwie … verhext?«

Doch plötzlich, leise und unaufhaltsam passierte etwas in seinem Gesicht. Es veränderte sich. All die emotionalen Hürden wichen daraus, und was blieb, war pure Resignation. »Ach, was soll’s. Du kannst es dir wahrscheinlich schon denken.« Dabei sah er mich eindringlich an.

»Was?« Ich verstand noch immer nicht.

»Ich bin nicht schwul.«

Aha. Hieß das jetzt, er war nicht schwul, seit – sagen wir – vierundzwanzig Stunden? Oder etwa: Er war nie schwul? Denn das bedeutete, dass er mich die ganze Zeit angelogen hatte!

Kurzfristig kam ein sonderbares Gefühl über mich. Eines, welches ich gar nicht mehr zu kennen glaubte, so lange war es her, als ich es das letzte Mal empfunden hatte. Doch dann besann ich mich eines Besseren. Ich atmete ruhig ein und aus. Drei Mal. Das half immer. In Gedanken sprach ich ein kleines Gebet.

Wahrscheinlich hatte er gute Gründe für diese Lüge gehabt. Mir fielen zwar auf Anhieb keine ein, aber so musste es sein, denn Emilio war ein guter Mensch. Das wusste ich. Ich war enttäuscht, natürlich. Das wäre jeder gewesen. Aber im Grunde war es doch … schön.

»Eigentlich ist es doch eine schöne Sache«, murmelte ich, »also, abgesehen von deiner Lüge.«

»Wie bitte?«, fragte er unnötigerweise nach, denn ich war mir sicher, er hatte mich ganz gut verstanden. Dabei hielt er den Kopf ein wenig schief, so ähnlich wie Flashi, wenn Ma ihm eine rhetorische Frage stellte und meinte, der Hund verstehe jedes Wort.

»Ich meine«, bemühte ich mich, es heiter und fröhlich klingen zu lassen, »es ist doch eine schöne Sache, dass du jemanden gefunden hast.« Ich schluckte.

»Eine schöne Sache?« Emilios Stimme klang nun ein wenig schrill.

Über sein leidvolles Gesicht huschte ein Hauch unübersehbarer Verwirrung. Und dann erstarrte es in einem völlig überraschten und unfassbaren Ausdruck. Sekunden des Schweigens verstrichen. Irgendwann fiel ihm ein, dass es an ihm war, den Mund zu öffnen.

»Hast du gerade schöne Sache gesagt?«, wiederholte er wie ein Automat. Mir fiel auf, dass er plötzlich keinen italienischen Akzent mehr hatte.

Ich nickte großzügig. So war ich eben. Das war meine Natur. Ich war die personifizierte Großmut.

»Aber …«, begann er zu stammeln, »bist du gar nicht wütend … oder böse? Gar nicht mordlustig? Oder zumindest enttäuscht?«

Tatsächlich, der italienische Akzent war futsch. Genauso wie meine anfängliche Verwirrung. Irgendwie wunderte mich Ersteres mehr. Emilio schien es anders zu ergehen als mir.

»Du willst … mir keine Bratpfanne überziehen?«

»Ehrlich gesagt«, überlegte ich kurz, »nein.«

»Also dann«, er schnappte hörbar nach Luft, »stört es dich gar nicht?«

»Ich glaube, das ist die falsche Frage.« Das war eindeutig die falsche Frage. »Schließlich liegst du hier mit einer … einer Frau im Bett!!«

»Ich weiß ja«, seufzte er.

»Aber, Emilio, eine Frau?« Ich hätte das Unfassbare nicht oft genug wiederholen können.

»Das tut jetzt nichts zur Sache!«, winkte er energisch ab und unterstrich seine Worte mit einer harschen Handbewegung.

»Wie?« Ich verstand gar nichts mehr.

»Ich meine, du musst doch rasend vor Wut sein«, sprach er einfach weiter und klang dabei sehr verständnislos.

»Es tut mir wirklich leid, wenn ich … nicht rasend bin. Ich bin … überrascht. Und enttäuscht. Natürlich … ich bin traurig.« Schließlich hatte er mich ein halbes Jahr lang angelogen.

»Das war ich auch, als …«, stammelte er, »als … mein Wellensittich gestorben ist. Aber du musst wie eine … wie eine … Furie sein! Wie eine, eine …« Ihm fehlten sichtlich die Worte. »Wo ist die Leidenschaft einer betrogenen Frau?!« Dabei fuchtelte er wild mit seinen Händen in der Luft.

»Welche betrogene Frau?«, beeilte ich mich schnell. »Erwartest du etwa, dass ich Mordgedanken hege? Ich? Da stimmt doch was nicht!« Und ganz ehrlich, da stimmte was nicht. Wie kam er darauf?

Und wie kam es überhaupt, dass ich mich rechtfertigte, weshalb ich nicht ausflippte und ihm einen Arsencocktail mixte? Na ja, es war völlig glasklar: Ich hatte eben etwas, was Emilio gänzlich fehlte. Ich hatte Gleichmut. Ich hatte Besonnenheit. Solch Trivialitäten konnten mein spirituelles Ich nicht ins Wanken bringen. Ich stand über diesen negativen Gefühlen. In mir regierte nur reine Liebe. Verzeihen und Vergeben. Om.

»Hast du denn gar keine … Gefühle?«, brabbelte er indessen weiter.

Ich?! Ich hatte viele Gefühle, verdammt viele Gefühle. Und sie waren alle positiv! Obwohl ich gestehen musste, dass da noch immer ein minimales schlechtes Gefühl in mir war. Ein klitzekleines. Irgendwo ganz hinten, in einer hintersten Ecke meines Gehirns leuchtete es auf. Aber das war doch nur allzu verständlich. Ich meine, schließlich und endlich hatte er mich angelogen. Doch Emilio war mit seiner Laudatio noch nicht fertig.

»Wo ist denn deine passionata?«

»Ich …«, stammelte ich, »ich …«

»Luzia«, begann er umständlich, »verstehst du nicht?«

Ich verstand tatsächlich nicht.

»Wovon sprichst du?«

»Ich … ich will eine Frau, die … die mir die Bratpfanne überzieht, wenn ich eine andere Frau auch nur ansehe.«

»Aha.« Mehr brachte ich nicht hervor. Ich hatte immer noch daran zu kauen, dass er überhaupt eine Frau wollte. Denn bis vor Kurzem lebte ich in der Annahme, Emilio sei schwul, wir seien Seelenfreunde und ich seine BFF. In diesem, meinem Szenario war kein Platz für eine andere Frau – noch dazu eine, die mir so ähnlich sah. Und jetzt wollte er, dass ich ihm eine Bratpfanne überzog?

Danach stand mir nicht der Sinn. Trotzdem musste ich zugeben, dass mein Weltbild in diesem Moment ein wenig zu verrutschen begann, dorthin, wo Wut und Hass, Magenschmerzen und ein schlechter Teint vom Ärgern wohnten.

Aber so leicht gab ich nicht auf – alles würde gut werden. Sicherlich gab es einen tieferen Sinn, der diesem Erlebnis innewohnte – und seiner Lüge. Ich musste nur ein wenig Zeit und Gelegenheit haben, mich zu regenerieren, meine Gedanken zu ordnen. Zuerst aber musste ich dieses Bild aus meinem Kopf bekommen, das sich ständig vor mein inneres Auge schieben wollte, und ein paar meditative Übungen durchführen. Zu dumm, dass ich meine Klangschale nicht dabeihatte. Aber wie hätte ich das auch ahnen können?

So blieb mir nichts anderes übrig, als dazustehen wie ein begossener Pudel, erstarrt in einer Mischung aus Erstaunen und Unglaube.

Emilio hingegen blickte mich an, als wäre ich ein fremdes Wesen von einem fernen Planeten, bei dem er nicht recht wisse, wie mit ihm zu verfahren sei. Er starrte geradezu – und in seinem Gesicht spiegelten sich all die Emotionen wider, die er mir so großzügig absprach. Dann holte er meinen Schlüssel, überreichte ihn mir und ging. Also nicht aus seiner Wohnung, sondern ins Bad.

Nun hätte ich wahrscheinlich auch gehen sollen, aber irgendwie schaffte ich es nicht. Ebenso wie ich es nicht schaffte, dieses Bild in mir wegzuschieben. Ständig poppte es auf und versetzte mir einen kleinen Schlag.

Minuten später stand ich noch immer wie angewurzelt da. Aber ich fühlte mich durch und durch gleichmütig. Ja, ich war beinahe wie gelähmt vor Gleichmut. Schließlich gab ich mir einen Ruck. Gleichmütig wandte ich mein Haupt und schritt ebenso gleichmütig zur Tür, fast so, als würde ich zum Altar schreiten. Es fehlten nur die Blumen in der Hand und das Lächeln im Gesicht.

Nun, mein Glaube an die Vollkommenheit aller Dinge schwankte ein wenig, damit musste ich wahrscheinlich von heute an leben. Womit ich definitiv nicht leben musste, war mangelnde Zuversicht. Sie begleitete mich wie ein Schatten, sie war sozusagen meine zweite Haut.

Ich ging aus der Tür, durch die ich vor fünf Minuten gekommen war, als meine Welt noch in Ordnung war. Als ich bloß vergessen hatte, vorher anzurufen. Oder einfach zu klingeln.

Aber warum war er denn nicht in Italien?

Gedankenverloren schritten ich und meine Zuversicht in Richtung Straße. Ich wusste, dass ich in solchen Situationen auf meinen Atem achten musste. Langsam atmete ich ein und aus und setzte einen Schritt vor den anderen. Aber es half nichts. Das eklige Bild von früher, das ich längst vergessen zu haben glaubte, schob sich abermals vor mein inneres Auge und ihr lustvolles Stöhnen dröhnte in meinem Kopf.Aus den Augenwinkeln nahm ich den blauen Volvo, der um die Ecke bog, noch wahr, doch als ich ihn tatsächlich realisierte, war es bereits zu spät. Im nächsten Augenblick jagte ein unsagbarer Schmerz durch meinen Körper und etwas riss mir den Boden unter den Füßen weg.

Als ich wieder aufwachte, hörte ich die Sirenen eines Krankenwagens. Mein Kopf hämmerte, als wäre dort ein Presslufthammer zugange. Ein schier unerträglicher Schmerz brannte in meinem Bein und ließ mich um Luft schnappen.

Nach gefühlten Stunden begann ich mich wieder wahrzunehmen. Der Schmerz brannte unsäglich in meinem Körper und meine eben noch empfundene Zuversicht lag höchstwahrscheinlich totgefahren unter dem Wagen. Dumpf hörte ich Worte an mein Ohr dringen. Worte, die ich kaum verstand. Meine Gedanken hingen zwischen Emilios Anblick, welchem ich eben entflohen war, und einem Bild, das ewig her schien. Mein Innerstes verkrampfte sich synchron zu der Schmerzattacke, die mich in diesem Moment heimsuchte.

Damals ahnte ich noch nicht, dass das erst der Anfang des Unglücks sein sollte …

 

3.

 

Vier Wochen später …

»Oh, mein Kind! Da bist du ja!«, rief meine Mutter aufgeregt und riss mich sofort in ihre Arme.

Flashi klebte ausnahmsweise nicht auf ihrem Arm, sondern kläffte mich vom Boden aus an, als wäre ich ein Einbrecher, der schnellstens verjagt werden müsste. Sein Protest-Bellen hielt mich nicht davon ab, meine Mutter an mich zu drücken. Erst in ihren Armen spürte ich, dass ich sie vermisst hatte. Auch meine Wohnung hatte ich vermisst. Mein Leben.

Während ich mich selig an sie schmiegte, schweifte mein wachsames Auge durch das Wohnzimmer. Ich erlitt einen minimalen Schock, als ich die Unordnung sah, die in meiner Abwesenheit entstanden war. Doch ich verbarg mein Entsetzen souverän hinter meinem nettesten Lächeln. Unterdessen flitzte der argwöhnische Gedanke durch mein Hirn, dass sie es sich in den letzten vier Wochen sehr gemütlich gemacht hatte in meinem Heim.

Wir lösten uns langsam aus unserer Umarmung. Ma hob Flashi hoch, als wäre er eine Handtasche oder ein Schminktäschchen, und setzte ihn auf seinen persönlichen Thron. Endlich hatte das Gebelle ein Ende.

Mein entsetzter Blick wanderte langsam durch den Raum. Ich hatte von klein auf einen ausgeprägten Hang zu Sauberkeit und Ordnung. Niemand musste mir jemals sagen, dass ich mein Zimmer aufräumen oder mein Bett machen sollte, denn es war niemals unordentlich. Sogar während ich schlief, achtete ich darauf, nicht zu viele Falten ins Betttuch zu werfen. Für mich war es eines der vollkommensten Gefühle, mich in ein frisch bezogenes Bett zu legen. Die ersten Sekunden darin waren wie der Biss in einen frischen Erdbeerkuchen mit Soja-Sahne.

Okay, ich gestehe, ich bin ein Sauberkeitsfreak, aber nur ein kleines bisschen. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass ich meinen Ordnungssinn nicht von meiner Mutter geerbt hatte. Meine Ma war sozusagen die leibhaftige Verkörperung des Chaos. Sie war geradezu eine Meisterin darin, in kürzester Zeit das höchste Maß an Unordnung zu erschaffen. Wie sie das vollbrachte, war mir schleierhaft. Dass es in ihrer Villa stets aufgeräumt aussah, lag einzig und allein an Ilse.

Ilse war die Hausdame meiner Mutter, und ihre einzige Aufgabe bestand darin, hinter ihr herzuräumen. Damit hatte sie gut zu tun. Denn irgendwie, auf geradezu magische Art und Weise, gelang es Ma, überall, wo sie ging und stand, etwas fallenzulassen, umzuwerfen oder die Dinge aus ihrer ursprünglichen Form zu bringen.

Mit Schrecken erkannte ich, dass es in meinen vier Wänden noch nie so unordentlich gewesen war wie in diesem Moment.

»Ich habe aufgeräumt!«, verkündete Ma stolz.

Ach wirklich? Ich mochte mir gar nicht vorstellen, wie es vorher hier ausgesehen hatte.

»Und ich habe uns eine Kleinigkeit gekocht.«

»Wunderbar!« Ich war wieder versöhnt, denn Ma war eine vorzügliche Köchin.

Während ich meinen Koffer auspackte, deckte Ma den Tisch und holte das Essen aus dem Ofen. Unter Gestöhne und völlig erschöpft ließ ich mich in meinen großen Ohrensessel plumpsen.

»Dafür, dass du drei Wochen im Urlaub warst, siehst du ein bisschen erschöpft aus«, meinte Ma.

»Das war kein Urlaub!«, belehrte ich meine Mutter, und ein Stich in meinem Knie erinnerte mich daran, dass ich ruckartige Bewegungen noch unterlassen sollte. Und dennoch, trotz der Schmerzen war das Leben in der Reha einfach gewesen. Frühstück – Ruhen – Physio – Ruhen – Meditation – Mittagessen – Ruhen – gemütliches Beisammensitzen – Ruhen – Spaziergänge im Wald – Abendessen – Ruhen – Schlafen. Besonders das Ruhen genoss ich. Diese überschaubare tägliche Gleichmäßigkeit der Dinge war wunderbar. Das Leben war vorhersehbar und entspannt. Ich musste mich nicht mit Emilio, mit Ma oder irgendwelchen Dingen befassen, die negative Schwingungen erzeugten.

Natürlich hatte ich anfangs starke Schmerzen verspürt, schließlich hatte der blaue Volvo meine linke Kniescheibe zertrümmert. Doch nach zwei Wochen legten sich die Schmerzen und ich konnte mich auf meine vollkommene Genesung konzentrieren. Ich lebte in dieser kleinen rosa Wolke namens Reha.

Ich gestehe, ich erlitt einen kleinen emotionalen Rückschlag, als Marie-Claire mich nach meiner ersten Woche anrief, um mir mitzuteilen, dass nichts aus der Beförderung werden würde. Die genaueren Umstände würde sie mir persönlich sagen. An diesem Dämpfer hatte ich zugegebenermaßen einige Tage zu kauen. Andererseits konnte ich sie auch verstehen. Ich meine, der Unfall hatte einfach ein zu großes Loch in meinem Weg nach oben gerissen. Wahrscheinlich war die Zeit für eine neue Aufgabe noch nicht reif und ich musste mich noch etwas in Geduld üben. Nun, damit konnte ich leben. Trotz dieser kleinen Enttäuschung war die Reha eine wunderbare Zeit und ich hätte ewig so weitermachen können.

Nun war ich definitiv aus der Wolke gefallen und wieder in meinem Leben angekommen. Aber ich wusste, dass ich dankbar sein sollte für alles, was ich hatte. Und das war ich.

Mein Blick schweifte durch das Zimmer und blieb an Flashis Wassernapf hängen. Da sah ich auch schon das nächste Desaster. Was trank Flashi denn da? Ich traute meinen Augen kaum. Durch das Wasser am Boden seines Napfes glitzerte etwas – es war meine Rosenquarzkette! Da Mutter, was Flashi betraf, Argusaugen besaß, bemerkte sie sofort meinen alarmierten Blick.

»Oh, Flashi liebt dein Rosenquarzwasser!«, rief sie entzückt.

Das konnte ich deutlich sehen.

»Und er ist schon viel ausgeglichener als sonst. Richtig besonnen.«

Ein Blick auf seine gefletschten Zähne versicherte mir, dass das Gegenteil der Fall war.

»Vielleicht hilft das Zeug ja wirklich?«, flötete Ma vor sich hin.

Statt zu antworten, übte ich mich in Zurückhaltung. Meiner Mutter schien meine irritierte Miene nicht entgangen zu sein.

»Wie rosig deine Wangen sind. Gibt es dafür wohl einen Grund?«, wechselte sie schnell das Thema.

»Ja, den gibt es. Tägliche Meditation, vegane Ernährung und kräftespendendes Wasser«, erklärte ich. »Und der Glaube. Die Zuversicht auf das Gute.«

»Ach so«, meinte sie fast enttäuscht. »Ein zweibeiniger, vorzugsweise männlicher Grund wäre mir lieber gewesen. Kann das denn keiner deiner Steine vollbringen?«

»Was genau?«, fragte ich, obwohl ich wusste, worauf sie hinauswollte. Diesbezüglich war meine Mutter allen anderen Müttern dieser Erde gleich. Sie dachte, das Glück des Lebens beginne mit einem Mann. Daher war es auch unvorstellbar für sie, dass ich noch keinen hatte. Manchmal dachte sie wahrscheinlich, ich hätte schon längst einen und verheimlichte ihn ihr bloß. Als würde ich ihn in einer Schublade oder im Schrank verstecken! Noch unverständlicher für sie war, dass ich tatsächlich den Anschein machte, gar keinen Partner zu wollen. Mein Glück bestand in der Zufriedenheit mit mir selbst. Das Glück, das ich in mir fand.

»Na, gibt es keinen Stein, mit dessen Hilfe man einen Partner finden kann?«, kam meine Mutter auf ihre Frage zurück. »Am besten einen männlichen«, fügte sie hinzu.

Ich verstand, worauf sie anspielte. Sie hatte es noch immer nicht verwunden.

»Versteh mich bitte nicht falsch: Ich liebe Sophia, wirklich, ich liiieeebe sie«, säuselte Ma zuckersüß, sodass ich es ihr fast geglaubt hätte.

»Tatsächlich?«, dachte ich laut.

»Ach, was soll ich denn sagen?«, seufzte sie. »Natürlich wäre es mir lieber gewesen, wenn Fiona einen Mann geheiratet hätte. Aber ich sage nichts. Ich schweige.« Was sie auch tat. Für etwa drei Sekunden.

»Denke nicht, dass ich mich nicht mit meinem Schicksal abgefunden hätte, niemals Großmutter zu werden«, sagte sie theatralisch, als wäre Fiona die Einzige gewesen, die dazu imstande war, Kinder zu gebären. Bei mir schien sie alle Hoffnungen bereits begraben zu haben.

»Aber du hast doch Flashi«, meinte ich aufmunternd.

»Flashi ist ein Hund!«, klärte mich meine Mutter energisch auf.

Ach, war ihr das auch schon aufgefallen?

»Ich will ja nicht jammern, und vielleicht passiert auch noch ein Wunder und du findest den Mann deiner Träume.« Dabei bemühte sie sich um einen zuversichtlichen Gesichtsausdruck. »Trotz deiner Ansprüche.«

»Wie meinst du das?«

»Tja, ich will dich ja nicht kränken, aber du bist eben etwas … wählerisch.«

»Ich bin überhaupt nicht wählerisch!«, schoss es direkt aus mir heraus. »Er müsste nur ehrlich und ansprechend sein.« Ich überlegte kurz. »Und er sollte einen Job haben. Und eine eigene Wohnung. Und er sollte humorvoll sein. Blond wäre auch nicht schlecht. Und natürlich dem Alkohol entsagen. Und nicht rauchen. Sich vegan ernähren, oder zumindest vegetarisch.« Das war klar. »Ah ja, und er sollte noch sportlich sein. Yoga wäre mir am liebsten. Außerdem wäre es wunderbar, wenn er spirituell erleuchtet wäre oder bereits auf dem Weg dorthin. Gemeinsam könnten wir zum Beispiel nach Indien reisen.«

Meine Mutter sah mich mit einem Lächeln an, wie damals, als ich ihr mit fünf Jahren meinen Weihnachtswunschbrief vorgelesen hatte, in dem stand, dass ich mir ein Brüderchen wünschte. Natürlich, mein Schatz! Mal sehen, was dir das Christkind bringt …

Auch Flashi starrte mich mit großen Hundeaugen an, während ich in Gedanken ergänzte: Es wäre vorzuziehen, wenn er keinen Hund besäße.

»Denkst du, ich bin wählerisch?«

»Ach … vielleicht … ein wenig?«

»Mhm. Dann möchte ich eigentlich lieber alleine bleiben.«

»Oh nein, Schatz! So habe ich das nicht gemeint!«, beeilte sich meine Mutter. Ich sah sie schon in Gedanken um ihre zukünftigen Enkelkinder fürchten. »Ich meine, du gibst zu wenigen Männern die Chance, dein Prinz zu sein.«

Plötzlich schien sie sich an etwas zu erinnern. »Dieser Gigolo war es wohl nicht«, bemerkte sie kurz.

»Äh«, begann ich stotternd und überlegte fieberhaft, wen sie wohl meinte, denn von Emilio hatte ich ihr nie etwas erzählt. Was hätte ich auch erzählen sollen? Sicher nicht das, was sie hören wollte. Er war mein besonderer Freund, bis vor Kurzem jedenfalls – als er noch schwul war.

Da huschte plötzlich ein Gedanke durch mein Hirn. Jakob! Sie sprach von Jakob! Er war meine einzige wirkliche Beziehung gewesen. Wir hatten sogar für zwei Monate zusammengewohnt, bis Jakob zum Mini-Professor mutierte und mich auf Schritt und Tritt belehrte.

Während ich noch überlegte, warum sie ihn einen Gigolo nannte, unterbrach Mutter meine Gedanken.

»Ich weiß, du wirst ihn gleich in Schutz nehmen, bei deinem gutmütigen Wesen, aber Schatz, du solltest dein Verständnis für die richtigen Leute aufbewahren!«

Okay, sie sprach nicht von Jakob.

»Von wem sprichst du?«

»Na, von dem italienischen Frisör.«

Also doch Emilio!

»Woher weißt du das?«, fragte ich entsetzt.

»Merk dir das: Eine Mutter weiß alles.«

Dann stand sie auf und schaltete den Fernseher ein. Sofort flimmerten Bilder einer dieser Katastrophendokus, die sie so liebte, über den Bildschirm. Schlagartig hellte sich ihre Miene auf. Doch so leicht ließ ich nicht locker.

»Hat Kim dir das erzählt?«

»Das würde Kim nie tun!«, empörte sich Mutter. Die Augen auf den Fernseher gerichtet, erklärte sie scheinbar nebensächlich: »Ich habe einen Frisör gesucht, und da hab ich die Karte gefunden, die hier herumlag. Und du kennst ja Frisöre, die reinsten Plaudertaschen. Um Himmels willen!«, rief sie aus. Die Bilder einer abstürzenden Boeing nahmen sie für einen Moment gefangen. »Das überleben die nie!«

»Ich glaub dir kein Wort!«, übertönte ich die Schreie der Insassen, die mein Wohnzimmer beschallten.

»Ob du es glaubst oder nicht, es war so«, blieb sie standhaft und blickte mich an.

Also startete ich den Versuch einer Erklärung: »Im Grunde war es ganz anders …«

Aber was sollte ich denn jetzt sagen? Ich wusste ja selbst nicht, wie es war. Emilio war mein Frisör und schwul, irgendwann wurde er zu meinem besonderen Freund, meinem Vertrauten. Als ich ihn das letzte Mal sah, lag er mit einer Frau im Bett. Ende der Geschichte. Das war der Stand der Dinge. Keine Ahnung, was meine Mutter also zu wissen glaubte.

»Ach, du brauchst ihn nicht in Schutz zu nehmen!« Sie drehte den Ton des Fernsehers ab und kam zu mir. »Er ist einfach ein Schwein.«

»Oh, Emilio ist kein Schwein«, verteidigte ich ihn schnell, »er ist Italiener.«

»Mhm.« Ma nahm gleich zwei Schluck ihres Gin Tonics.

In mir wuchs der Wunsch, ihr meine Sicht der Dinge näherzubringen. »Ich weiß, du verstehst das nicht …«

Ma bestätigte meine Vermutung und schüttelte ihren Kopf.

»Aber ich denke, wir alle haben im Leben Prüfungen zu bestehen. Vielleicht war ich seine Prüfung. Oder er meine. Und nun ist ihm klar geworden, dass wir nicht zusammengehören.«

»Oder, er ist einfach ein Schwein.«

»Ich denke wirklich, dass jeder Rückschlag und jede Hürde eine Prüfung ist auf dem Weg zum wahren Glück. Ich werde mich durch diese Angelegenheit nicht von Ärger zerfressen lassen. Nein, ich entscheide mich für den Glauben an das Gute. So einfach ist das.«

»Amen«, beendete meine Mutter in trockenem Ton meine Ausführungen und legte ein Stück Quiche auf meinen Teller.

»Du warst immer schon so eine Seele«, begann sie von Neuem, »ich weiß noch ganz genau, als du diesen Käfer …«

»Mutter, ich kenne die Käfergeschichte. Ich war schließlich dabei.«

Damals, ich war höchstens neun, hatte ich diesen verletzten Käfer auf meinem Bücherregal entdeckt. Ich hatte ihn daraufhin tagelang gepflegt, nur um zu sehen, wie er, wieder gesundet, drei Regale weiter verendete.

»Ich sag es nur. Keine, ich betone, keine Menschenseele hätte das getan.«

Nun, mir fielen auf Anhieb gleich ein Dutzend ein, die dasselbe sehr wohl getan hätten. Aber ich wusste, es war vergeudete Müh, Ma eines Besseren zu belehren. Für sie war meine Sicht der Dinge vollkommen unverständlich.

Dennoch war ich stolz auf mich. Ich hatte es geschafft, in den vergangenen Wochen ein paar Prüfungen zu meistern. Emilio, der Unfall … Vor allem der Unfall! Okay, es war kein Weltuntergang gewesen, auch wenn es sich anfangs so angefühlt hatte.

Es gab eine Zeit, kurz nach dem Unfall, in der ich stark an mir zweifelte. Mein Bein funktionierte nicht so, wie es sollte, und ich hatte meinen besten Freund verloren. Wobei, das war ein wenig übertrieben, er war ja nicht tot. Genau genommen hatte er mir sogar Briefe geschickt, wie ich vorhin, als ich heimkam, gesehen hatte.

Nach einer Woche Klinikaufenthalt kam ich in die Reha und fühlte mich dort anfangs grauenvoll. Es bedurfte mehrerer körperlicher und geistiger Reinigungsprozeduren, bis ich meinen Glauben an das Leben wiedererlangte. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass das ansässige Personal nicht gerade erfreut war von meinen Entgiftungsvorschlägen, besonders von den körperlichen.

Alles in allem stellte sich schnell heraus, dass diese Prüfungen tatsächlich nur Hürden und keine Schicksalsschläge waren. Sicherlich lag es daran, weil ich an dem verhängnisvollen Tag meinen Onyx-Anhänger getragen hatte. Er hatte mich vor dem Schlimmsten bewahrt.

Ma blickte mich noch immer ungläubig an, wie mein gekränktes Auge sehr wohl bemerkte.

»Übrigens, was hast du da wieder für ein schönes Schmuckstück, mein Schatz?«

Instinktiv ergriff ich den Stein meiner Kette und drehte ihn zwischen meinen Fingern.

»Oh, das ist einer meiner schönsten Anhänger. Es ist ein Rubin. Er bringt Aktivität, Mut und steigert die Lebensenergie«, sagte ich wahrheitsgemäß.

Ma schien plötzlich sehr interessiert.

»Ah! So einen könnte ich auch gut gebrauchen. Gibt’s den denn auch als Liebeskugel?«

Unter Stöhnen verdrehte ich die Augen gen Himmel, bis es an der Tür läutete.

»Das wird Kim sein.«

»Ich lass euch natürlich allein!«, Ma zwinkerte mir keck zu. Bevor sie das Wohnzimmer verließ, warf sie einen letzten Blick auf den Fernseher und schüttelte den Kopf. Die Boeing war mittlerweile in einer riesigen Rauchwolke verschwunden.

 

4.

 

»Ich finde das unmöglich von Marie-Claire, dich einfach zu übergehen«, sagte Kim und holte damit jene Erinnerung zurück, welche ich dachte, bereits in der hintersten Ecke meines Gedächtnisses weggesperrt zu haben. Sie blickte irritiert zu dem noch immer laufenden Fernseher. Wie Ma es vermutet hatte, war die Notlandung außer Kontrolle geraten. Bilder von Flammen und Verzweiflung hetzten über den Bildschirm.

Ich stand auf und drehte das Ding ab. Erleichtert atmete ich aus. Dann setzte ich mich zu ihr aufs Sofa. Kim nahm indessen einen Schluck von dem Cappuccino, den ich ihr bereitet hatte. Warum hatte mich Marie-Claire übergangen? Tja, das hatte ich mich seit dem Telefonat mit ihr auch schon gefragt. Mehr als einmal. Tief in mir wusste ich, es war wegen des Unfalls. Weshalb auch sonst? Dennoch, vielleicht hatte diese Entwicklung ja auch etwas Gutes? Nun, das schien Kim nicht ganz so zu sehen. Sie blickte noch immer sauer drein. Aber so gehörte es sich wahrscheinlich auch für eine beste Freundin. Und beste Freundinnen waren wir. Seit dem Tag, als wir uns das erste Mal an der Uni getroffen hatten.

Kim war ganz anders als ich, extrovertiert, kontaktfreudig, geradeheraus. Auch äußerlich schien sie das Gegenteil von mir zu sein: rötliches, kurzes Haar, sportliche Figur und eine süße Stupsnase, auf der sich kleine Sommersprossen sammelten.

»Ich denke, jede Niederlage hat auch etwas Gutes«, philosophierte ich, trotz meiner Enttäuschung.

»Das ist klar, dass du das so siehst, Lu. Ich finde es trotzdem unmöglich. Sie hätte es dir wenigstens persönlich sagen können.«

»Sie hatte bisher eben keine Gelegenheit dazu«, sagte ich gutwillig. »Ich war ja seit vier Wochen nicht mehr im Büro.«

Ich war entschlossen, das Positive in diesem Rückschlag zu sehen: »Kannst du dich erinnern, als du diesen Job vor drei Jahren nicht bekommen hast? Stattdessen hast du dich in meiner Wohnung kreativ ausgelebt. Und das war mein großes Glück! Sonst würde meine Bude immer noch aussehen wie eine zusammengeflickte Socke und nicht wie ein Designerapartment. Und dir hat es auch nur Gutes gebracht. Wer weiß, ob du dich sonst überhaupt als Innenarchitektin selbstständig gemacht hättest?«

Kim nickte. »Trotzdem, es war nicht okay von ihr. Obwohl …«, sie hielt erneut inne.

Ich blickte sie fragend an.

»Obwohl ich gar nicht sicher bin, ob der Job überhaupt das ist, was du wirklich willst.«

»Und ob ich das will!«, widersprach ich sofort.

Natürlich wollte ich Junior-Redakteurin sein! Bei M.C. Photo handelte es sich um eine Bildagentur, die Stock-, also Fotos auf Vorrat, als auch Auftragsfotos anbot. Marie-Claire war die Gründerin und Senior-Redakteurin. Und somit diejenige, die das letzte Wort hatte und alle Entscheidungen absegnete. Daneben gab es eine Junior-Redakteurin, die aus allen Bildern, die eingesendet wurden, jene auswählte und bestimmte, welche veröffentlicht und zum Verkauf angeboten wurden. Darüber hinaus organisierte eine Junior-Redakteurin die gesamte Abteilung der Auftragsfotografie. Das war bis vor zwei Monaten Lavina gewesen. Doch sie wurde, zu ihrem Unglück, schwanger – und ich hätte an ihre Stelle rücken können. Denn meine Aufgabe bestand bis jetzt lediglich darin, alle eingereichten Stock-Bilder zu katalogisieren und zu systematisieren. Das bedeutete, ich saß den ganzen Tag vor dem Bildschirm und betrachtete Fotos und ordnete sie den einzelnen Kategorien zu. Neben alledem bewertete ich auch die Bilder und warf offensichtlich miserable Fotos raus. Aber wichtige Entscheidungen hatte ich keine zu treffen. Doch Marie-Claire hatte mir mit ihrem Entschluss einen Strich durch die Rechnung gemacht. Warum auch immer, sie hatte sich für jemand anderen entschieden.

»Ich meine ja nur«, sagte Kim vorsichtig, »vielleicht solltest du zu deinen Wurzeln zurückkehren und wieder Portraits machen?«

»Wie bitte?«

»Du hast schon richtig gehört«, sagte sie sanft.

»Warum sagst du das?«

»Ich meine, willst du nicht lieber selbst fotografieren, anstatt die Bilder anderer Leute einzuordnen?«

»Ach«, tat ich ihren Vorschlag ab.

»Lu, du warst die jüngste Gewinnerin eines Fotowettbewerbs!«

Das stimmte. Ich hatte im Alter von sechzehn Jahren an einem Portrait-Foto-Wettbewerb teilgenommen. Und gewonnen.

»Das war vor zehn Jahren«, erinnerte ich Kim.

»Und? So was verlernt man doch nicht«, meinte Kim.

»Nein, diese Zeit ist endgültig vorbei!«, sagte ich schroffer als beabsichtigt.

Denn das war sie. Ich erinnerte mich, dass ich damals immer meine kleine Pentax bei mir hatte. Sie war ein Geschenk von Ma zu meinem dreizehnten Geburtstag gewesen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Von da an fotografierte ich alles, was mir unter die Augen kam. Noch jetzt spürte ich das Kribbeln in den Fingern, wenn ich daran zurückdachte. Mit fünfzehn wählte ich in der Schule das Hauptfach Kunst. Im darauf folgenden Schuljahr lag der Unterrichtsschwerpunkt in der Erstellung von Portraits. Unsere Aufgabe war es, Gesichter mithilfe unterschiedlicher Methoden abzubilden. Ob mit Bleistift, Kohle, Aquarellfarben oder einer Kamera. Und so wurde die Portraitfotografie zu meiner größten Leidenschaft. Doch diese Zeit war vorbei. Ein für alle Mal.

»Okay, dann keine Portraits.« So leicht gab Kim nicht auf.

»Vielleicht einfach ganz gewöhnliche Fotos? Ich meine, auch darin warst du ziemlich erfolgreich.«

»Du meinst wohl die Toilettenfotos?« Ich musste ein Lachen unterdrücken.Kim nickte.

Mit neunzehn Jahren begann ich mich auf den Bereich Stilfotografie zu spezialisieren. Ich war sogar ziemlich gut darin. Aber die Arbeit erreichte mein Herz nicht annähernd, wie es die Portraits vermocht hatten. Und so nahm ich die Kamera immer seltener in die Hand. Bis ich sie irgendwann gar nicht mehr benutzte. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal eine in Händen gehalten hatte.

»Nein, meine Zukunft liegt eindeutig in der Verwaltung und Organisation«, sagte ich entschlossen. Und genau deshalb wollte ich diesen Job.

»Wie dem auch sei«, wechselte ich das Thema, »jetzt habe ich ohnehin ein dringlicheres Problem. Genauer gesagt: zwei.«

»Lass mich raten: Eines heißt Ma und das andere Emilio. Obwohl …«, sie hielt kurz inne, »was es bei Emilio noch zu überlegen gibt, verstehe ich nicht ganz.«

Ich hatte Kim natürlich über die neusten Entwicklungen in Emilios Liebesleben unterrichtet. Und wenn es nach ihr ginge, sollte ich ihn einfach in den Wind schießen.

»Nun mal ehrlich«, sagte sie, »wie kann es sein, dass du Emilio bereits verziehen hast? Ich meine …« Jetzt schien sie sich plötzlich an etwas zu erinnern. »Sag mal, war das nicht so eine ähnliche Geschichte mit deiner ersten Liebe? Den hast du doch auch in flagranti erwischt?«

Sofort hatte ich die Szene wieder im Kopf und mein Magen zog sich zusammen. Und wie damals verschlug es mir die Sprache.

»Der kam aber nicht so gut dabei weg. Soweit ich mich erinnern kann, hast du den zum Teufel geschickt. Das hast du zumindest erzählt.«

»Das war etwas ganz anderes …«, ich stockte kurz, »den habe ich geliebt. Emilio liebe ich nicht. Es ist mir völlig gleichgültig, mit wem er schläft. Wir waren sowieso nie ein Paar, sondern Freunde.«

»Und was ist mit seiner Lüge? Kannst du die auch so einfach verzeihen? Also ich könnte es nicht.«

»Eine Freundschaft muss über solchen Dingen stehen«, sagte ich vehement. Genau! So sollte es sein.

»Und wie läuft es mit den Hochzeitsvorbereitungen?«, fragte ich schnell, um das Thema zu wechseln. Kim würde in zweieinhalb Monaten ihre große Liebe Oskar heiraten.

»Du willst nur ablenken, vergiss es!«, schimpfte sie. »Und was ist mit deiner Ma?«

»Oh, Ma wohnt jetzt hier, was wirklich eine feine Sache ist.«

»Ist es das?« Sie blickte argwöhnisch von ihrem Kaffee auf.

»Natürlich! Wer hat schon eine Chance, mit sechsundzwanzig noch mal mit seiner Mutter so viel Zeit zu verbringen?«

»Die Frage ist: Wer möchte mit sechsundzwanzig so viel Zeit mit seiner Mutter verbringen?«

»Das ist aber gemein. Ich liebe meine Mutter.«

»Natürlich, ich liebe dich auch. Und dennoch will ich nicht mit dir zusammenleben.«

»Warum nicht?«

»Ach Lu, jeder Mensch hat seine speziellen Eigenheiten. Und wo schläft sie überhaupt?«

»Wir teilen uns das Bett.«

»Oh Gott!«

»Es gibt Schlimmeres.« Obwohl Ma schnarchte. »Ach, ich habe hier doch auch viele Jahre mit Fiona zusammengewohnt. Platz ist genug, wir werden uns schon nicht auf die Füße treten«, sagte ich optimistisch, obwohl ich schon jetzt ein Unbehagen spürte.

»Und wie lange bleibt sie?«

Ich zog ahnungslos die Schultern in die Höhe.

»Du hast sie nicht gefragt?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Lass mich raten: Weil du Angst vor der Antwort hast. Hab ich recht?«

Mein Nicken bestätigte ihre Vermutung.

»Das heißt, sie bleibt wahrscheinlich länger.«

Wieder ein gequältes Nicken meinerseits.

»Und jetzt fühlst du dich schlecht, weil du sie nicht hierhaben willst?«

»Das stimmt so nicht!«, protestierte ich sofort. Doch während ich die Worte aussprach, wusste ich, dass Kim recht hatte. Ich war erst vor ein paar Stunden aus der Reha zurückgekehrt und es reichte mir, ehrlich gesagt, jetzt schon.

»Was soll ich nur machen?«, seufzte ich laut. »Ich will sie nicht verletzen. Aber ich denke wirklich, dass es ungemütlich werden könnte.«

»Nun, entweder du leidest oder sie leidet. Einer leidet immer.«

»Gibt es keine andere Lösung?« Verzweifelt schaute ich zu meiner Amethystdruse, in der Hoffnung, sie würde mir eine Eingebung bescheren.

»Obwohl!«, rief Kim plötzlich, und ich konnte deutlich sehen, wie ein Geistesblitz durch ihr Hirn zuckte. »Was ist denn mit Sonjas Wohnung?«

Sofort drehte ich meinen Kopf zum Fenster und sah hinüber. Stimmt, Sonjas Bude stand noch immer leer. Nach geschätzten hundert Studiensemestern hatten ihre Eltern ihr den Geldhahn zugedreht, weshalb sie gezwungen war, sich eine billigere Bleibe zu suchen.

Sonja war ziemlich schräg. Sie studierte Kunst und gabelte ihre komplette Garderobe auf dem Flohmarkt auf, was an und für sich sehr lobenswert war. Aber sie schaffte es irgendwie, die Teile so zu kombinieren, dass es immer ganz unmöglich aussah. Und nicht nur ihre Erscheinung war sonderbar. Sie sprach auch sonderbar und schien überhaupt irgendwie von einem fernen Planeten abzustammen. Dennoch mochte ich sie. Besonders während der Sommermonate, die sie stets im Sommerhaus ihrer Eltern auf Mallorca verbrachte. Dann goss ich ihre Blumen, entleerte ihren Briefkasten und legte mich auf ihre westseitige Terrasse, die meiner schräg gegenüberlag.

Ihre Wohnung stand nun schon seit drei Monaten leer, was auch verständlich war, da die Mietzeit begrenzt war. Die Besitzer, ein älteres Ehepaar, lebten in Miami. Doch sie hatten beschlossen, dass ihr Sohn im nächsten Jahr zum Studieren nach Wien kommen sollte. Dann musste die Wohnung geräumt sein.

»Dort könnte deine Ma doch einziehen!«

»Kimi! Das ist eine fantastische Idee!« Ich wollte Mutter ja nicht loswerden, aber mir war klar, dass das mit uns auf Dauer nicht klappen würde. Und so wäre sie in meiner Nähe, aber nicht ganz so nah. Eben nah mit Abstand. Das klang gut. Vor allen Dingen nah auf begrenzte Zeit! Das war noch besser.

Trotzdem kam ich ins Grübeln. Sollte ich mich nicht mehr in Zurückhaltung und Nächstenliebe üben? Es waren schlechte Gedanken, denen ich nicht nachgeben sollte. Stattdessen sollte ich meine Mutter einfach in meinem Leben willkommen heißen. Und das wollte ich auch. Aber irgendwie war ich momentan überfordert. Ich brauchte Zeit für mich, für meine Gedanken und meinen Seelenfrieden. Und ich ahnte bereits, dass das mit Ma schlecht möglich sein würde, zumal sie ein großer Fan von permanenter Fernsehberieselung war. So ließ ich mich dazu hinreißen, dem Plan eine Chance zu geben.

»Dass ich nicht selbst darauf gekommen bin! Ich werde gleich morgen früh bei der Hausverwaltung anrufen und nachfragen.«

Mutter würde sich eine kleine Studentenwohnung sicherlich leisten können. Da sie nur für sechs Monate angeboten wurde, gab es sicherlich nicht so viele Bewerber. Und wenn schon, wer könnte mit meiner Mutter konkurrieren? Eine elegante Dame in den sechzigern, gutsituiert, charmant, gepflegt. Ihr Äußeres erweckte zudem den Anschein, sie sei die ordnungsliebendste Person der Welt. Genau! Das könnte glatt funktionieren!

Mit der Zuversicht, dass alles gut werden würde, machten wir uns auf den Weg ins Café.

 

5.

 

Als ich die bekannten Gesichter vereint vor mir sah, war ich richtig froh, wieder daheim zu sein. Da saßen sie, Kim und Bert, meine kleine Freundes-Familie – und Sienna, wie immer in Berts Schlepptau.

Bert war der einzige Mann, den wir in unserer kleinen, ausgewählten Runde duldeten. Er verfügte über ein geringeres Körpergewicht als ich, was ihn schon mal als potenziellen Partner disqualifizierte. Darüber hinaus hatte er einen Teddybärenkopf, mit wuscheligen blonden Locken und großen Knopfaugen. Sein Haupt passte so gar nicht zu seinem übrigen Körper, der ziemlich lang und ziemlich dünn war. Er wirkte ein bisschen so, als wäre er falsch zusammengesteckt worden, wie bei einem dieser Kinderspiele, bei denen man die einzelnen Körperteile durch Karten beliebig kombinieren konnte.

Zudem besaß er eine Lebenseinstellung, die eher gewöhnungsbedürftig war, denn er war ein gänzlich überzeugter Anhänger Jean-Paul Sartres. Das existenzphilosophische Denken brachte ihn dazu, bei Kummer und Sorgen einen kleinen Kieselstein in sein Schuhwerk zu legen, um fortan mit diesem Störfaktor seinen Lebensalltag zu meistern. In der »Unannehmlichkeit dieses Daseins« erkannte er »die wahre Beschaffenheit des Glücks und der Zufriedenheit«. (Das waren Berts Worte.)

Diese Dankbarkeit für die kleinen Dinge, die Achtsamkeit gegenüber jedem Lebewesen, das war etwas, das Bert und mich verband. Aber es gab etwas, das uns Meilen voneinander entfernte. Und dieses Etwas saß tief in seinem Herzen. Bert war, aus welchen Gründen auch immer, unglücklich in seine (und leider auch meine) Kollegin Chloe verliebt. Auch wenn Kimi und ich ahnten, dass das nie etwas werden konnte, vertrat Bert die felsenfeste Überzeugung, dass seine innige Zuneigung jegliche Hürden irgendwann überwinden würde.

Kims Architekturbüro lag nur eine Straße weiter. Daher verbrachten wir die Mittagspausen meist gemeinsam oder trafen uns nach der Arbeit gelegentlich auf ein Bier. Also die anderen tranken Bier. Ich bevorzugte Soda-Zitron. Alkohol machte nur unreine Haut und vergiftete die Gedanken.

So kam es, dass wir die meiste Zeit gemeinsam abhingen. Wir waren schon lange ein zusammengeschweißtes Trio: Kim, Bert und ich. Doch vor einigen Monaten hatte sich, leise und heimlich, ein neues Mitglied eingeschlichen und aus unserem Trio war schleichend ein Quartett geworden. Obwohl – leise war das falsche Wort, um Sienna zu beschreiben. An ihr war nichts leise. Zudem klebte sie ständig an Bert. Okay, sie waren seit einem Jahr Kollegen, denn sie arbeiteten beide einen Stock höher in der Finanzabteilung, aber dennoch. Und das Komische war: Sie stand nicht mal auf ihn. Frauen wie Sienna interessierten sich nicht für Typen wie Bert, darüber waren Kim und ich uns einig. Umso schleierhafter war es uns, warum Sienna so einen Narren an ihm gefressen hatte. Kim und ich hatten des Öfteren darüber gerätselt, was die beiden miteinander verband. Doch wir kamen nicht darauf.

Das mit Sienna war so eine Sache. Eigentlich war sie überhaupt nicht mein Typ, freundschaftlich gesehen. Sie war egozentrisch, aufgetakelt und hechtete jeder Modeerscheinung hinterher, die gerade hip war. Es kam vor, dass sie jeden Monat ihre Haarfarbe änderte oder auch ihr komplettes Styling. Sie schien total oberflächlich und launenhaft. Außerdem konnte sie hinterlistig sein, wenn es um Geschäftliches ging. Dem Himmel sei Dank, dass sie nicht in meiner Abteilung tätig war.

Und dennoch besaß sie einen Charakterzug, den ich an ihr schätzte: Sie war direkt.

---ENDE DER LESEPROBE---