4,99 €
Der Wilde Westen wartet nicht – und Kit Carson auch nicht. Tauchen Sie ein in ein Abenteuer voller Mut, Gerechtigkeit und tödlicher Duelle – mit einem Mann, der zur Legende wurde.
Klappentext: Im Taos Pueblo brodelt es: Der Schamane Tengri beschwört den Zorn des uralten Rachegottes To-Kei-Whan, ein Schäfer wird mit klaffender Halswunde tot aufgefunden – und in den Bergen kursiert die Legende vom „Geisterreiter“. Kit Carson wittert Intrigen hinter dem Aberglauben und gerät mit seinen Gefährten zwischen aufgestachelte Stämme, dubiose Händler und skrupellose Banditen. Als weitere Spuren und Schüsse fallen, wird klar: Jemand nutzt die Angst vor dem schwarzen Gott, um Krieg zu entfachen – und nur Carson kann den wahren Drahtziehern zuvorkommen.
Was dieses Buch besonders macht: Sprachlich präzise, atmosphärisch dicht und voll handfester Action. Autor Leslie West (bürgerlich Ludwig Webel) bringt nicht nur jahrzehntelange Erfahrung als Übersetzer und Texter mit, sondern auch ein sicheres Gespür für Spannung, Figuren und Dramaturgie. Der gebürtige Münchner übertrug bereits über drei Dutzend Comic-Alben sowie das Ehapa Comic-Lexikon ins Deutsche und arbeitet seit vielen Jahren bei München Tourismus. Sein erzählerisches Talent bringt die glühende Hitze, die raue Landschaft und den Pulverdampf des Wilden Westens direkt zu Ihnen nach Hause.
Greifen Sie jetzt zu und erleben Sie eine epische Westernreihe, die den Staub aufwirbelt – und im Gedächtnis bleibt. Warten Sie nicht – steigen Sie in den Sattel. Kit Carson reitet schon los.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Leslie West
Kit Carson jagt den Geisterreiter
Kit Carson – Legende des Westens
Band 2
EK-2 Publishing
Liebe Leser, liebe Leserinnen,
zunächst möchten wir uns herzlich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie dieses Buch erworben haben. Wir sind ein Familienunternehmen aus Duisburg und jeder einzelne unserer Leser liegt uns am Herzen!
Mit unserem Verlag EK-2 Publishing möchten wir militärgeschichtliche und historische Themen sichtbarer machen und Leserinnen und Leser begeistern.
Vor allem aber möchten wir, dass jedes unserer Bücher Ihnen ein einzigartiges und erfreuliches Leseerlebnis bietet. Haben Sie Anmerkungen oder Kritik? Lassen Sie uns gerne wissen, was Ihnen besonders gefallen hat oder wo Sie sich Verbesserungen wünschen. Welche Bücher würden Sie gerne in unserem Katalog entdecken? Ihre Rückmeldung ist wertvoll für uns und unsere Autoren.
Schreiben Sie uns: [email protected]
Nun wünschen wir Ihnen ein angenehmes Leseerlebnis!
Ihr Team von EK-2 Publishing,
Ihr Verlag zum Anfassen
Die Höhle inmitten des uralten Gebirges lediglich als groß zu bezeichnen wäre weit untertrieben gewesen. Ihre Ausmaße waren geradezu gigantisch. Hätten nicht überall Fackeln geleuchtet, wäre es darin völlig finster gewesen, denn sie lag tief unter der Erde.
Eine schwarzgekleidete Gestalt huschte zwischen den Felssäulen hindurch, die unheimliche Schatten warfen. Es schien, als herrschte in der Höhle gespenstisches Leben.
Der Vermummte warf die langen, mit Pech überzogenen Holzstücke in eine Nische. Er hatte gerade diejenigen Fackeln ausgewechselt, die bereits ziemlich weit heruntergebrannt gewesen waren.
„Heute Nacht“, raunte er. „Heute Nacht wird zum ersten Mal die Rache des schwarzen Gottes über die Abtrünnigen kommen.“
Es gab keine Zuhörer. Der Schwarzgekleidete war allein in seinem düsteren Reich.
„Heute Nacht“, wiederholte er und betrachtete seine Hände. Die Klauen, die er trug, verdoppelten die Länge seiner Finger.
Immer wieder sah es so aus, als bewegte sich etwas in der Grotte. Die schwarze Gestalt war daran gewöhnt. Hier war sie zuhause, im düsteren Schein des Fackellichts, das überall zurückgeworfen wurde, denn die Wände und auch der Boden dieses unterirdischen Reiches waren mit einer dünnen Wasserschicht überzogen. Ein dunkler Glanz lag auf dem Gestein.
Der Schwarzgekleidete griff tastend nach oben. Auf seinen Schultern saß ein kunstvolles Gebilde, das Kopf und Hals umschloss. Er prüfte den Sitz und war zufrieden.
„Mitternacht“, murmelte er. „Es ist soweit … “
Lautlos schlich er in die Dunkelheit.
***
Es war eine Mainacht, und der Mond stand in seiner vollen Größe über den Sangre-de-Cristo-Mountains in New Mexico.
Die Sterne strahlten von einem fast unbedeckten Himmel. Nur einige weiße Schleierwolken schwebten bewegungslos wie kleine Wattebäuschchen vor der funkelnden Pracht.
Das Tal, in dem Gelbe Feder seine Schafe am Abend zusammengetrieben hatte, lag hell und klar zwischen den hohen Bergen.
In dieser Vollmondnacht fanden viele Menschen keinen Schlaf, und ihm ging es genauso. Er saß an einen Felsen gelehnt und ließ seinen Blick über die ruhige Herde schweifen.
Gelbe Feder zog den Poncho enger zusammen. Er fröstelte. Und dies lag nicht nur an der nächtlichen Gebirgskälte, sondern auch an seinem inneren Unbehagen.
Er war oft wochenlang mit seinen Schafen unterwegs und kam nur selten ins Taos Pueblo, wo er zuhause war. Es lag einige Meilen südwestlich dieses kleinen Tales.
Heute Nachmittag war er wieder einmal dort gewesen. Als er im Begriff gewesen war aufzubrechen, hatten ihn die anderen aufgehalten.
„Die Schamanen haben uns verboten, das Pueblo zu verlassen“, hatten sie gesagt, „denn dies ist die Nacht, in der To-Kei-Whan, der schwarze Rachegott, zur Erde herabsteigen wird.“
Gelbe Feder erinnerte sich nun. Als er vor einigen Wochen das letzte Mal hier gewesen war, hatten alle davon gesprochen.
Im Pueblo lebten sieben Stämme, und jeder hatte einen eigenen Medizinmann. Tengri, der Medizinmann der Feather People, hatte eine Erscheinung gehabt.
To-Kei-Whan, der Gott der Rache und des Todes, dessen Symbol der schwarze Falke war, hatte den Schamanen in seinen Träumen heimgesucht. Er war eine uralte Gottheit, dessen Legende bei den meisten schon längst in Vergessenheit geraten war.
Tengri hatte die anderen sechs Medizinmänner um sich versammelt und ihnen alles berichtet. To-Kei-Whan war in Zorn geraten, weil die Indianer des Taos Pueblo in Eintracht mit den Weißen lebten, die das Land erobert hatten. Er hatte einen Aufstand gefordert und gedroht, sich so lange Opfer zu holen, bis sich die Indianer gegen die weißen Eindringlinge erheben würden.
„Deshalb versammeln sich heute Nacht alle Schamanen bei Tengri“, hatte man Gelbe Feder vor seinem Aufbruch erzählt. „Sie wollen versuchen, den Zorn des Gottes zu besänftigen, damit er keine Opfer holt. Wer aber in dieser Nacht nicht im Pueblo bleibt, fordert To- Kei-Whan heraus. Wenn der Gott heute Nacht zur Erde herabsteigt, wird er die Frevler töten, die ihn nicht im Pueblo erwarten.“
Gelbe Feder aber hatte nur den Kopf geschüttelt.
Was war nur in seine Stammesgenossen gefahren? Sie hatten ja regelrecht Angst. Es musste schon eine halbe Ewigkeit her sein, seit den Indianern zum letzten Mai eine Gottheit erschienen war. Nicht einmal von seinen Großeltern hatte Gelbe Feder jemals etwas Ähnliches gehört.
Tengri aber war es gelungen, nicht nur die anderen Schamanen, sondern, allmählich auch das ganze Pueblo zu überzeugen. Er hatte eine uralte geschnitzte Figur vorgezeigt, so groß wie eine Hand und völlig schwarz. Sie trug ein Federkleid, und vorne im Kopfschmuck das Symbol des Falken. Nicht nur aufgrund ihres Alters machte sie einen ziemlich abstoßenden Eindruck.
Gelbe Feder hatte sich nicht von seinen Freunden überzeugen lassen und war in der Dämmerung zu seinen Schafen zurückgekehrt. Die ganze Geschichte kam ihm doch ein wenig an den Haaren herbeigezogen vor. Waren die Medizinmänner so verwirrt im Kopf, dass sie jetzt schon Märchen erzählten wie alte Squaws?
Wie Tengri gehörte auch Gelbe Feder zum Stamm der Feather People, aber er hatte nicht mehr Kontakt zu dem älteren Schamanen und dessen Tochter gehabt als jedes andere Stammesmitglied. Der Medizinmann lebte mit seiner einzigen Angehörigen sehr zurückgezogen.
Es mochte nach Mitternacht sein, als Gelbe Feder bewusst wurde, dass er längere Zeit nur den Mond angestarrt hatte. Sein Herz hatte angefangen, schneller zu schlagen, er spürte den Pulsschlag bis in die Schläfen. Es schien, als würde ihn der Mond bannen. Ihm war, als hätte er Peyotlkakteen gekaut, die seltsame Träume hervorriefen. Er stellte fest, dass er schwitzte.
Auf einmal durchfuhr ihn die instinktive Ahnung einer nahen Gefahr. Schon hörte er eine scharrende Bewegung hinter sich. Er sprang in die Höhe und fuhr herum.
Als er die fürchterliche schwarze Gestalt vor sich erblickte, packte ihn ein Entsetzen, wie er es noch nie gekannt hatte. In seinen schlimmsten Alpträumen hatte er nichts gesehen, was mit dieser Erscheinung auch nur zu vergleichen war.
Er begann vor Schreck zu taumeln, warf sich endlich herum und floh wie von Furien gehetzt in die Nacht. Er achtete nicht darauf, wohin er lief.
Zu spät sah er die Baumwurzel. Gelbe Feder rannte im vollem Lauf in das Hindernis und krachte auf den Felsboden. Er versuchte, wieder hochzukommen, hatte aber fürchterliche Schmerzen im rechten Bein.
Als wäre sie lautlos aus dem Nichts gekommen, stand die fürchterliche Gestalt plötzlich wieder neben ihm.
Das Grauen schnürte ihm die Kehle zu, als er an ihr hochsah. Der Schrei, den er ausstoßen wollte, blieb ihm im Hals stecken.
Und dann sprach der Schwarzgekleidete. Seine Stimme klang so hohl, als käme sie aus einem Grab.
„Du hast es gewagt, den Befehl der Schamanen zu missachten und damit den Tod verdient. Du sollst das erste abschreckende Beispiel für alle Ungläubigen und Abtrünnigen sein.“
Das Entsetzen, das mit eisigen Fingern nach Gelbe Feder gegriffen hatte, klammerte sich nun um sein Herz und ließ ihn erstarren.
Das letzte, was er in seinem Leben wahrnahm, war eine furchtbare Klaue, die urplötzlich nach vorn zuckte und nach seinem Hals schlug.
***
Tengri, der Schamane der Feather People, hatte die Medizinmänner der anderen sechs Stämme in seiner Behausung versammelt. An den vier Wänden des geräumigen Zimmers hingen seltsame Trophäen, Masken, Zauberutensilien aller Art und bunte Decken.
Sie hatten alle einen Kreis um eine große Schüssel gebildet, in der eine seltsam aussehende Flüssigkeit schwamm, die von einem kleinen Feuer erhitzt wurde. Die Augen der neugierigen Schamanen glitten zwischen Terigri und der Schüssel in der Mitte des Kreises hin und her.
„Länger als ein ganzes Menschenleben hat To-Kei-Whan geschwiegen“, begann Tengri „Vieles ist in diesen Jahren geschehen, aber nichts erschien dem Rachegott wichtig genug, um sich: zu zeigen. Nun aber hat er für heute Nacht sein Kommen angekündigt. Fürchterlich ist sein Zorn, weil wir den weißen Mann dulden, der das Land unserer Väter an sich gerissen hat.“
Chaku, der Medizinmann der Big Earring People, war der Älteste in der Runde.
„Seit vielen Jahren treffe ich mich mit den Schamanen der nördlichen Stämme“ erzählte er, „aber keinem anderen Volk ist der Gott der Rache und des Todes jemals erschienen. Hat das einen Grund?“
Tengri musterte den Alten aufmerksam.
„Wer kennt den Willen eines Gottes“, antwortete er. „Vielleicht liegt es daran, dass unsere Brüder im Norden immer schon von sich aus gegen die Weißen gekämpft haben und wir nicht. Warten wir ab, bis To-Kei-Whan kommt. Er wird uns seine Entschlüsse verkünden.“
Beluga, der Schamane der Day People, war der Jüngste in der Runde. Er war noch etwas aufgeregter als die anderen.
„Das ist das erste Mal, dass ich bei einer so großen Beschwörung dabei bin“, gab er zu. „Besteht nicht die Gefahr, dass To-Kei-Whan seinen Zorn an uns auslässt?“
Tengri schüttelte langsam den Kopf.
„Der Gott ist verstimmt“, erwiderte er, „aber sein Zorn würde noch weit schlimmer sein, wenn er sähe, dass wir uns wie feige Hasen vor ihm verkriechen. Deshalb wollen wir ihm mutig begegnen, wenn er vor uns steht.“
Auch die übrigen Medizinmänner verrieten durch ihre Bewegungen, dass sie nervös waren. Kleinere Geisterbeschwörungen gehörten zu ihrem Alltag, aber richtig erschienen war ihnen noch keiner.
„Es ist an der Zeit“, murmelte Tengri, als es noch etwa eine Stunde bis Mitternacht war.
Sie rückten näher an die Schüssel in ihrer Mitte heran, deren Flüssigkeit heiß war, aber noch nicht dampfte. Sie hatte eine unbestimmbare Farbe, und manchmal schien es, als würde sie ihren Helligkeitsgrad ändern.
Der Schamane der Feather People stimmte einen Singsang an, in den die anderen nach einiger Zeit einfielen. Während er dann wieder allein sang, warf Tengri einige Kräuter in den Kessel. Manchmal hörte er auf zu singen und murmelte dann Beschwörungen. Dabei goss er Essenzen aus seltsam geformten Flaschen in die heiße Flüssigkeit
In ihrer Konzentration merkten die Schamanen nicht, wie die Zeit verging. Schließlich setzte sich der hagere Vorbeter, dessen starres Gesicht im Feuerschein besonders stark hervortrat, wieder in den Kreis der anderen zurück.
„Ich spüre seine Nähe“, kam es leise von seinen Lippen.
Die übrigen Schamanen sahen ihn an und bemerkten, dass seine Augen trüber wurden. Er schien in eine Art Trance zu versinken und wandte seinen Blick nicht mehr von der Schüssel.
Dann nahmen es auch die anderen wahr. In der Flüssigkeit begannen plötzlich goldene Fünkchen zu tanzen, dann zog ein leichter, feiner Nebel über den Behälter.
„Jetzt.“ Die Stimme Tengris zitterte. Der Nebel wurde dichter und dichter und bildete schließlich mit angsterregender Geschwindigkeit eine schwarze Säule, die fast körperlich zu sein schien.
„Steig zu uns herab, mächtiger Gott der Rache“, flehte der Medizinmann der Feather People. „Sage uns, was wir zu tun haben!“
Plötzlich krümmte er sich zusammen und stieß einen keuchenden Laut aus, den niemand verstand. Dann wollte er aufspringen, aber auf halber Höhe schien es, als hätte ihn eine Lähmung befallen. Er sank zu Boden und regte sich nicht mehr.
Die anderen saßen wie erstarrt. Auf einmal wurde die schwarze Säule über der Schüssel durchsichtig und verschwand beinahe übergangslos.
Es dauerte noch einige Zeit, bis die Schamanen wieder wagten, sich zu bewegen. Sie umringten den liegenden Tengri, doch keiner fasste ihn an.
Der hagere Stammeszauberer gab die ersten Anzeichen des Wiedererwachens von sich. Schließlich wurde sein Blick wieder klar.
„Ich habe ihn gespürt“, flüsterte er. „Er war ganz nahe und dann plötzlich wieder weg.“
Erschöpft richtete Tengri sich auf.
„To-Kei-Whan ist zu uns herabgestiegen“, verkündete der Medizinmann, „aber leider nicht hier, wie wir gehofft haben, sondern irgendwo da draußen. Er muss in der Nähe des Pueblos sein.“
Tiwah vom Stamm der Water People wandte sich zum Eingang. Er sprach aus, was sie alle dachten.
„Wenn To-Kei-Whan Gestalt angenommen hat“, raunte er, „werden wir bald von ihm hören.“
Die anderen nickten. Ehrfurcht und Angst hatten sich in ihren Herzen breitgemacht. Dies war keine gewöhnliche Beschwörung gewesen.
***
Auch in Taos selbst, der Stadt aus Adobehäusern, die einige Meilen südwestlich des Taos Pueblo lag, gab es einige Leute, die nicht schlafen konnten. Viele von ihnen waren ins Zentrum der kleinen Stadt gegangen, wo der alte Sancho Pertinez seit vielen Jahren seinen Saloon hatte.
In dieser Nacht drang der sonst übliche Lärm nicht auf die Plaza heraus. Die Männer saßen meist still vor ihren Getränken und wechselten nur hin und wieder einige Worte. Die Stimmung war gedrückt.
Die aus fünf Männern bestehende Tischrunde in der Nähe des Tresens hatte sich bestimmt nicht aus Gründen der Schlaflosigkeit zusammengefunden. Vier von ihnen waren Stammgäste, der fünfte traf sich erst seit einiger Zeit mit ihnen.
Auf dem Tisch standen drei Biergläser und zwei gefüllt mit Whiskey. Hermosino und Old Ezekiel Calhoun hielten sich lieber an das hochprozentige Getränk. Der alte Pertinez hatte eine eigene Destillationsanlage und verstand sein Handwerk nicht nur hinter dem Tresen. Sein Whiskey schmeckte ausgezeichnet und war weit im Umkreis bekannt.
Die anderen drei hatten sich schon einige Glas Bier zu Gemüte geführt, ohne dass es ihnen anzumerken war. Nur Schneller Falke war etwas vorsichtiger gewesen. Er saß gern bei seinen neuen Freunden am „Stammtisch“, hatte sich jedoch noch nicht ganz an das alkoholische Getränk gewöhnt, obwohl es ihm ausgezeichnet schmeckte. Ein Indianer vertrug in der Regel weniger Alkohol als ein Weißer, aber alles war eine Sache der Gewöhnung. Schneller Falke war vom Stamm der Day People, deren Schamane Beluga sich wie die anderen Schamanen gerade bei Tengri befand.
Bestimmt wurde die Runde zweifellos von dem hochgewachsenen blonden Mann neben ihm, der sich gerade den Schaum aus dem sorgfältig gestutzten Schnurrbart wischte. An seinem Kinn wuchs zusätzlich noch ein kaum daumenbreiter Spitzbart. Seine dichten, widerspenstigen Haare hingen bis auf den Kragen der Wapitilederjacke herunter, die sich eng an die breiten Schultern und die schlanken Hüften anschmiegte. Sie war mit langen Fransen verziert.
Der Name dieses Mannes war Legende. Kit Carson war im ganzen Westen als ausgezeichneter Scout bekannt, der viele Trailwege erschlossen und später im Mexikanischen Krieg gekämpft hatte. Vor einigen Jahren hatte er sich in Taos als Indianeragent der Regierung niedergelassen. Er kannte viele Indianersprachen, und er liebte diese Stadt, in der ein buntes Völkergemisch herrschte.
Sie hatten gerade wieder über ihr gemeinsames Abenteuer am Rio Concho gesprochen, bei dem nur Schneller Falke noch nicht dabei gewesen war. Damals hatte Amos Calhoun Kit und seine Freunde um Hilfe gebeten, als die Ranch seines jüngeren Bruders Tom von Comanchen unter der Führung Quanah Parkers angegriffen worden war. Selbst der steinalte Ezekiel Calhoun, der jetzt mit ihnen am Tisch saß, hatte keine Sekunde gezögert, seinen „missratenen Großneffen“ - so pflegte er Brett Justin, Amos und Tom Calhoun zu nennen - gegen die Comanchen zu Hilfe zu eilen. Im Moment sah es allerdings so aus, als würde vor der eigenen Haustür ein Indianeraufstand bevorstehen. Und Tengri aus dem Taos Pueblo war bei Quanah Parkers Angriff auf Rancho Bravo dabei gewesen.
„Wir sind stolz auf dich, Schneller Falke“, sagte Kit. „Obwohl euch die Medizinmänner eingeschärft haben, heute Nacht unbedingt im Pueblo zu bleiben, hast du es dir nicht nehmen lassen, zu unserer wöchentlichen Tischrunde zu kommen. Auf dein Wohl!“
Die fünf tranken erneut. Schneller Falke winkte ab.
„Unser Schamane Beluga ist nicht besonders streng und nicht so schlimm wie die anderen. Er ist noch jung an Jahren, und anstatt böse Magie zu nutzen, versucht er lieber, mit seiner Kunst den Schwachen und Kranken zu helfen. Er hat uns geraten, daheim zu bleiben, aber er hat es nicht ausdrücklich befohlen.“
Der schwarze Hüne rechts neben Kit beugte sich vor. Obwohl der herkulisch gebaute Schmied von Taos seinen Lederschurz in der Werkstatt gelassen hatte, sah man ihm seinen Beruf auch so an. Seine mächtige Gestalt ließ wenig Zweifel daran,
„Verdammt, was ist eigentlich an der ganzen Geschichte dran?“, wollte Moses Rennington wissen. „Seit Wochen sind die Pueblo-Indianer unruhig. Man kann zwar noch mit ihnen reden, aber sie scheinen irgendwas zu verbergen. Was ist eigentlich los, Schneller Falke?“
Die beiden Männer zu seiner Rechten nickten beifällig. Auch sie konnten sich die Unruhe der Indianer nicht erklären.
Der etwas beleibte Hermosino arbeitete als Kit Carsons Gehilfe im Indianerbüro. Er war der Sohn eines Mexikaners und einer Pueblo-Indianerin.
Der letzte in der Runde war Old Ezekiel Calhoun. Nach zahllosen Abenteuern in seinem unglaublich langen Leben, die er zum großen Teil noch im Jahrhundert zuvor erlebt hatte, verdiente er sich inzwischen seinen Lebensabend als Saloonreiniger bei Sancho Pertinez. Er durfte im Saloon so viel Whiskey trinken, wie er wollte.
Kit Carson kannte er seit über dreißig Jahren. Zusammen hatten sie vor einem Vierteljahrhundert eine Verschwörung zu Fall gebracht, die, wenn ihr Erfolg beschieden gewesen wäre, den nordamerikanischen Kontinent in drei politische Teile gespalten hätte.
Schneller Falke dachte über die Frage des Schmieds nach.
„Ich kann euch nicht mehr darüber sagen, als ihr wohl selbst schon wisst, Freunde. Tengri, dem Medizinmann der Feather People, ist im Traum ein uralter Rachegott erschienen, von dem unsere Legenden kaum noch etwas berichten. Er erzählte den anderen Schamanen von der Botschaft des Gottes. Die Schamanen gaben es an ihre Stämme weiter. Angeblich zürnt der Rachegott über unser friedliches Zusammenleben mit den Weißen.“
„Und wie haben es die anderen Pueblo-Bewohner aufgenommen?“, fragte Kit.
„Zuerst hielten sie eigentlich recht wenig davon. Unser gutes Verhältnis zu den Weißen hat uns keinen Schaden gebracht, wenigstens bisher nicht. Die Schamanen haben aber solange gepredigt, bis schließlich alle daran glaubten.“
„So ein Unsinn“, knurrte der Schmied. „Wahrscheinlich will sich Tengri, dieser alte Narr, wieder einmal wichtigmachen. Wäre ja nicht das erste Mal.“
Moses Rennington hielt von dem abergläubischen Verhalten der Indianer herzlich wenig. Hermosino gab ebenfalls seine Meinung ab.
„Du solltest das Ganze nicht unterschätzen. Wir alle haben gemerkt, dass die Indianer viel zurückhaltender geworden sind.“
Im Hintergrund des Saloons wurde es plötzlich laut. Einige Männer sprangen auf, und Sekunden später flogen Stühle.
„Was ist denn los, in Dreiteufelsnamen?“, brüllte der alte Sancho Pertinez hinter dem Tresen hervor. „Wollt ihr den Saloon demolieren, verfluchte Bande?“
Keiner der vier Männer, die Streit bekommen hatten, reagierte. Ein Glas zischte nur knapp an der Fünferrunde neben dem Tresen vorbei. Der grauhaarige alte Ezekiel hatte instinktiv den Kopf eingezogen.
„Darf ich?“, fragte Moses.
„Niemand hält dich davon ab“, gab Kit zurück.
Der Schmied stand auf und ging langsam auf die vier Raufbolde zu.
„Hört her, ihr Schwachköpfe! Wir sind heute alle ein bisschen nervös wegen der Indianer. Das ist noch lange kein Grund, hier herumzurandalieren.
Die Vier hielten wie auf ein Kommando inne.
„Natürlich“, feixte Kelly, der vorderste der Männer, dessen Muskeln sich deutlich unter dem Hemd abzeichneten. „Unser neunmalkluger Schmied muss wie immer seinen Senf dazu abgeben. Ist ja klar.“
Plötzlich schienen sie ihren Streit vergessen zu haben. Gemeinsam machten sie gegen Moses Front.
„Wollt ihr Dresche?“, fragte der Schmied kurz angebunden. Er war kein Freund langer Diskussionen.
„Du gegen uns alle?“, höhnte der vierschrötige Wortführer. „Und wer soll in den nächsten Wochen hier die Pferde beschlagen?“
Seine Kumpane lachten lauthals.
„Was ist jetzt?“, knurrte der Schmied.
„Na schön. Du wirst dein Fett wegbekommen, Dicker!“
Zugleich stürmten sie auf Moses los.
Hermosino war aufgesprungen und wollte seinem Freund zu Hilfe eilen. Kit packte ihn von hinten am Gürtel. Hermosinos Bauch wurde dabei stark eingeschnitten, wodurch er erheblich weniger Luft bekam.
„Wir können ihn doch nicht allein lassen“, protestierte der Dicke. „Die machen ihn fertig!“
„Abwarten“, meinte Kit nur.
Die Arme des Schmieds fuhren herum wie Dreschflegel und zwei der Raufbolde krachten zwischen die Tische, bevor sie überhaupt mitbekamen, was los war.
Kelly sprang den Schmied von hinten an. Moses schüttelte unwillig den Kopf. Als der letzte von vorne heranstürmte, drehte er sich blitzschnell herum.
Die beiden Radaubrüder krachten gegeneinander, aber Kelly, der sich von hinten festgeklammert hatte, ließ nicht los. Der andere stürzte auf den Boden. Er rappelte sich wieder hoch, packte die Beine des Schmieds und zog sie weg. Hermosino wollte erneut losstürmen, aber Kit hatte ihn immer noch fest im Griff. Der Schmied hatte sich geistesgegenwärtig so gedreht, dass er voll auf Kelly krachte, der noch immer an seinem Rücken hing.
Das Triumphgeschrei des vierten Kerls, der gerade heranstürmte, brach jäh ab, als der vor ihm liegende Schmied seine angezogenen Beine plötzlich nach vorne stieß. Mit voller Wucht krachte der Bursche gegen den Tresen und rührte sich nicht mehr.
Kelly, den der Schmied mit seinem ganzen Körpergewicht unter sich begraben hatte, war genug mit sich selbst beschäftigt. Er musste das Gefühl haben, von einem Pferd niedergewalzt worden zu sein.
Moses ging zum Tresen.
„Soll ich noch kurz ausfegen, oder bringst du den Schutt selbst weg?“, fragte er den alten Salooner. Sancho Pertinez winkte ab.
„Die werden schon von selbst verschwinden, wenn sie wieder wach sind. Das ist für dich - und vielen Dank!"
Moses nahm das volle Bierglas und kehrte an den Tisch zurück, an dem seine Freunde saßen.
„Großartig“, beglückwünschte ihn Hermosino. „Diesen Radaubrüdern hast du ‘s richtig gegeben.“
Moses grinste.
„Wo waren wir stehengeblieben?“, fragte er, als er wieder saß.
„Ich bin der Meinung, dass du das unterschätzt, was sich gerade bei den Indianern abspielt“, nahm Hermosino den Faden wieder auf. „Für mich sieht es aus, als stünde zurzeit das ganze Pueblo Kopf.“
„Kann schon sein“, brummte der Schmied, nachdem er einen tiefen Zug genommen hatte. „Aber sobald sich die Prophezeiungen Tengris als Gesabber eines wichtigtuerischen Salbentopf-Rührers herausgestellt haben, wird sich das Ganze wieder in Wohlgefallen auflösen. Spätestens morgen früh ist es soweit.“
„Und wenn nicht?“, fragte Kit.
Die anderen sahen ihn erstaunt an.
„Was heißt, wenn nicht?“, gab der Schmied die Frage zurück. „Wie könnte denn an dem ganzen Gewäsch was wahr sein?“
Kit wiegte bedächtig den Kopf.
„Offen gestanden, mir kommt das Ganze ziemlich seltsam vor. Tengri hat schon öfter etwas Wind gemacht, ohne dass etwas dahinter war. Wenn aber jetzt eine derartig groß angekündigte Sache ins Wasser fallen würde, wäre er ganz sicher für die längste Zeit Schamane der Feather People gewesen. So weit danebenzuliegen kann er sich gar nicht leisten. Und deshalb bin ich fast sicher, dass diesmal mehr dahintersteckt.“
„Unmöglich, Señor Carson“, ließ sich Hermosino vernehmen. „Die Indianer haben schon viel zu lange mit uns Kontakt, um noch auf einen solchen Hokuspokus hereinzufallen. Außerdem hätten sie dann nicht nur mit den Weißen, sondern auch mit den Mexikanern Krach, die schon viel länger hier leben, und das wollen sie bestimmt nicht. Wir haben immer in Frieden gelebt. Meine Mutter ist eine Red-Eye-Indianerin aus dem Pueblo, mein Vater war Mexikaner. Ich hatte nie Schwierigkeiten. Ich nehme an, dass es sich um einen letzten verzweifelten Versuch Tengris handelt, sein Ansehen wieder aufzupolieren.“
„Und was meint unser Saloonreiniger dazu?“, fragte Kit.
„Der Saloonreiniger hat mal wieder keine Meinung“, verkündete Moses. „Der hat abends nur Whisky im Kopf und morgens nur Scheuerwasser.“
„Du hammerschwingendes Stück Dummheit“, fauchte Old Ezekiel zurück. „Du hast es gerade nötig, mit deinen Geistesgaben zu protzen. Über die Indianer weißt du bestimmt nicht halb soviel wie ich, denn ich könnte ja dein Vater sein, und zum Saloonreiniger würde es bei dir hinten und vom nicht reichen. Hast du überhaupt eine Ahnung, was womit saubergemacht wird? Glaubst du vielleicht, ich kann Tische, Boden und Tresen mit einem einzigen Reinigungsmittel behandeln? Für Holz, Metall oder Glas muss das Putzwasser jeweils unterschiedlich, doch stets gleich sorgfältig zusammengemischt werden. Vor allem die empfindlichen Kartentische … “
„Schon gut, schon gut!“ Moses winkte ab. „Bevor du noch aus Versehen die hohen Geheimnisse der Saloonreinigung preisgibst, zahle ich lieber die nächste Runde. Einverstanden?“
Der alte Ezekiel sah ihn noch einen Moment lang grimmig an, dann nickte er.
Minuten später kam Sancho Pertinez mit fünf vollen Gläsern zu den Freunden.
„Die Indianer lassen euch keine Ruhe, was?“, fragte der Wirt. „Ganz Taos ist gespannt, was bei ihnen morgen früh los sein wird.“
„Morgen früh werden wir schlauer sein“, bestätigte Kit Carson. „Wie gesagt, irgendwie habe ich kein gutes Gefühl. Schneller Falke, du wirst heute Nacht nicht mehr ins Pueblo zurückkehren, sondern bei uns übernachten. Ich habe gesprochen. Prost.“
***
Am nächsten Morgen fanden zwei Krieger der Old Axe People die Leiche des Schäfers. Der Anblick jagte ihnen kalte Schauer über den Rücken.
Die gebrochenen Augen von Gelbe Feder waren weit aufgerissen, das Gesicht ein einziger Ausdruck erstarrten Entsetzens. Und der Hals …
Es sah aus, als wäre der Bereich seiner Kehle vom Hieb einer gewaltigen Kralle gestreift worden.
Die Schafe waren im Tal geblieben. Demnach war nicht anzunehmen, dass die Wunde von einem Raubtier aus den Sangre-de-Cristo-Mountains geschlagen worden war.
In stummem Bangen sahen sich die beiden Krieger um. Sie konnten nichts entdecken.
„Woran ist er gestorben?“, fragte der eine. „Die Halswunde ist schlimm, aber nicht so tief, dass sie zum Tod geführt haben kann. Und wenn ein Raubtier seine Beute schlägt, zerreißt es sie gleich oder zerrt sie in ein Versteck. Sonst aber sind keine Kratzspuren zu sehen.“
Der andere schüttelte den Kopf.
„Es war nicht die Wunde, an der er gestorben ist. Es war das Entsetzen, das sein Herz zum Stillstand brachte. Und es war kein Tier, das ihn getötet hat.“
Sie schauten sich an, und zunächst wagte keiner auszusprechen, was sie beide dachten.
Schließlich räusperte sich der erste Krieger. Zuvor sah er sich um, als befürchte er, dass ein unsichtbarer Dritter seine Worte mithören könnte.
„Die Medizinmänner haben wahr gesprochen“, sagte er. „To-Kei- Whan, der Gott der Rache, ist zurückgekehrt. Und Gelbe Feder war der erste, der seinen Zorn zu spüren bekam.“
Stunden später herrschte im Pueblo heller Aufruhr.
Die Rückkehr der beiden Jäger hatte bestätigt, was die Schamanen ihren Stämmen am Morgen berichtet hatten.
Alle waren um die Leiche von Gelbe Feder zusammengelaufen. Wataki, der Schamane der Old Axe People, dem die beiden Krieger zuerst Bericht erstattet hatten, war persönlich zu Tengri gerannt, um ihm den grauenvollen Fund mitzuteilen.
Der Schamane der Feather People hatte sich daraufhin unverzüglich zur Pueblomitte begeben, wo der Taos Pueblo River die Indianersiedlung teilte. Die beiden Teilsiedlungen wurden einfacherweise Northern Pueblo und Southern Pueblo genannt.
Tengri kniete neben dem Leichnam nieder, untersuchte ihn eingehend und erhob sich schließlich.
„Es ist das Zeichen To-Kei- Whans“, sagte er.
Niemand sprach ein Wort. Es schien, als habe sich ein Netz des Schweigens über das Pueblo gelegt.
„So hat der Gott der Rache begonnen, uns zu strafen?“, fragte Kaluwah mit verhaltener Stimme. Er war der Medizinmann der Red Eye People.
„So ist es“, bestätigte Tengri mit einem grimmigen Nicken. „Wir müssen nun unbedingt versuchen, ihn milde zu stimmen. Und dafür gibt es nur eine Möglichkeit.“
Die Augen der Umstehenden waren starr auf ihn gerichtet.
„Tod den weißen Eindringlingen!“
Nun drängten sie sich auch weiter hinten vor, um die Worte des Schamanen der Feather People zu verstehen.
„Der Gott der Rache hat das Volk des Taos Pueblo dazu auserwählt, den anderen roten Brüdern als Beispiel zu dienen. Er straft uns, weil wir das Joch der Weißen erdulden, aber er wird uns belohnen, sobald wir zeigen, dass wir bereit sind, uns gegen die weißen Unterdrücker aufzulehnen. Und deshalb müssen wir kämpfen!“
Der Schamane der Feather People hielt nun eine längere Rede, die von den Indianern mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wurde. Als er geendet hatte, kehrten sie in ihre Wohnstätten zurück.
***
Beluga, der Schamane der Day People, war tief in Gedanken versunken, als er vor seiner Behausung ankam. Erst jetzt bemerkte er den jungen Mann aus seinem Stamm, der ihm gefolgt war.
„Willst du zu mir?“, fragte er.
Der junge Krieger nickte.
„Dann komm herein.“
Sie betraten die Unterkunft des Medizinmanns.
„Nun, was hast du mir mitzuteilen, Schneller Falke?“
Der Stammesgenosse schien nicht recht zu wissen, wo er beginnen sollte. Schließlich gab er sich einen Ruck und sagte:
„Auch ich war in der vergangenen Nacht nicht im Pueblo, Medizinmann.“
Beluga sah erstaunt auf.
„Ich weiß, du wirst mich tadeln, Schamane. Aber ich hatte eine Verabredung mit einigen Freunden in der Stadt der Weißen. Und wie du siehst, bin ich gesund und wohlbehalten zurückgekehrt. Mich hat der Gott der Rache nicht gestraft. Warum nicht?“
Beluga hatte die Stirn gerunzelt.
„Zweifelst du an den Worten Tengris? Oder willst du gar den Rachegott herausfordern, weil er dich aus einer unbegreiflichen Laune heraus am Leben gelassen hat?“
Schneller Falke spürte, dass er nun sehr behutsam antworten musste.
„Wir haben lange Zeit mit den Weißen in Frieden gelebt. Warum soll das jetzt auf einmal vorbei sein?“
Der junge Medizinmann antwortete nicht gleich. Er ging unruhig auf und ab, trat schließlich ans Fenster und sah hinaus. Niemand war zu sehen.
„Du hast einige gute Freunde unter den Männern der Stadt?“, fragte er schließlich.
Schneller Falke nickte.
„Du bist doch auch oft mit dem großen blonden Bleichgesicht zusammen, das von den Weißen eingesetzt worden ist, um uns zu helfen.“
„Kit Carson ist mein Freund“, bejahte Schneller Falke. „Wir gehen oft zusammen auf die Jagd.“
Der Medizinmann sah ihm in die Augen.
„Ich will offen mit dir sprechen, Schneller Falke, ich glaube nicht, dass du mein Vertrauen missbrauchen wirst. Von den Schamanen im Pueblo bin ich der jüngste, und mit Göttern und Geistern habe ich wenig Erfahrung. Das allein ist aber gewiss nicht der Grund, warum mir Tengris Botschaft nicht gefällt. Was aber soll ich tun? Wir sind beide Medizinmänner, also vom selben Stand. Ich kann nicht anders reden als er. Dass Gelbe Feder gestorben ist, ist ein sehr schlechtes Zeichen, aber muss es deshalb Krieg geben? Ich fürchte, Tengri will das Pueblo in etwas hineinhetzen, das uns später noch leidtun oder großen Schaden bringen wird. Wir sollten mit jenen Weißen reden, die unsere Freunde sind. Aber Tengri darf von der ganzen Sache nichts erfahren.“
Schneller Falke war von der Offenheit des Medizinmanns seines Stammes überrascht, hatte aber noch nicht verstanden, worauf dieser hinauswollte.
„Reite zurück in die Stadt der Weißen“, fuhr Beluga fort. „Es ist gut, dass du dort Freunde hast. Dem Bleichgesicht, das Kit Carson genannt wird, können wir sicher vertrauen. Erzähle ihm, was hier vorgefallen ist. Obwohl ich weiß, dass auch ich damit den Zorn des Rachegottes herausfordere, will ich dieses Risiko eingehen. Frieden ist immer besser als Krieg. Er ist seinen Preis wert.“
Schneller Falke hatte sich erhoben. In seinen Augen leuchtete es.
„Ich danke dir für dein Vertrauen und deinen Auftrag, Medizinmann. Du hast weise entschieden. Ich werde dich nicht enttäuschen. Auch ich glaube, dass Kit Carson uns helfen kann.“
Der Schamane lächelte.
„Dann reite, Schneller Falke, doch lass dich dabei nicht beobachten.“
Der junge Krieger ging hinaus. Er ließ einen nachdenklichen Medizinmann zurück, dem nicht besonders wohl war. Hatte er sich gegen einen Gott aufgelehnt?
***
Das Büro seiner Indianeragentur war spärlich möbliert. Kit Carson legte keinen Wert auf Luxus und war ohnehin die meiste Zeit unterwegs.
Hermosino hatte gerade im Lager zu tun. Die beiden Männer, die sich im Büro befanden, schwiegen eine Zeitlang.
Schneller Falke hatte Kit Carson alles berichtet, und dieser musste die ganze Geschichte erst einmal verdauen.
„Es ist besser, wir behalten das Ganze zunächst für uns“, meinte Kit schließlich. „Ich möchte nicht, dass die Stadt noch unruhiger wird als sie ohnehin schon ist. Wie ist die Stimmung im Pueblo?“
„Tengris Worte haben tiefen Eindruck hinterlassen. Die sieben Stämme beginnen sich vor dem Zorn To-Kei-Whans zu fürchten und wollen den Weißen den Zutritt zum Pueblo verweigern.“
„Schöne Aussichten“, knurrte Kit. „Ich frage mich nur, was dieser angebliche Rachegott damit bezweckt. Die Indianer sind doch nie und nimmer in der Lage, einen Krieg gegen uns zu führen. Zuallererst fehlt es schließlich an Waffen und Munition. Ich sehe keinen Sinn hinter dem Ganzen.“
Schneller Falke zuckte nur mit den Schultern.
„Danke für deinen Bericht“, schloss der Scout die Unterhaltung. „Ich schätze, ich sollte mich so bald wie möglich um die Sache kümmern.“
***
Nachdem Schneller Falke gegangen war, um wieder unauffällig ins Pueblo zurückzukehren, holte Kit Carson sein Pferd aus dem Stall und verließ Taos in Richtung Südwesten.
Er war sich über sein weiteres Vorgehen noch nicht im Klaren und unternahm den Ausritt, um sich eine Vorgehensweise zurechtzulegen. Bevor er zu den Indianern ins Pueblo ritt, musste er sich sorgfältig überlegen, was er sagen würde. Dazu brauchte er aber zunächst selbst mehr Klarheit. Sollte er versuchen, die Stelle zu finden, an der Gelbe Feder umgebracht worden war? Es war nicht ausgeschlossen, dass die beiden Krieger, die den Leichnam gefunden hatten, in ihrer Angst und ihrem Aberglauben eine wichtige Spur übersehen hatten.
Er war inzwischen schon in die Nähe des Rio Grande gekommen. In Jahrmillionen hatte der Fluss eine breite Rinne in die Gesteinslandschaft gegraben. Die Ufer waren so steil, dass man schräg hinabreiten musste, um an den Fluss zu gelangen. Sie trugen spärlichen Gras- und Buschbestand.
Kit hatte nicht die Absicht, hinabzureiten. Er zügelte plötzlich sein Pferd und lauschte angestrengt.
Kein Zweifel. Ganz schwach drangen aus Richtung Süden Schüsse herüber.
„Vorwärts!“, befahl er seinem Indianerpferd und drückte ihm leicht die Fersen in die Flanken. Das Tier schoss davon.
Einige Minuten später hatte er die Stelle erreicht, an der die Schüsse gefallen waren. Ein Planwagen versuchte verzweifelt, fünf berittenen Verfolgern zu entkommen. Aus der Rückseite des Wagens drangen vereinzelt Gewehrschüsse, während die fünf Reiter allmählich aufholten.
Einer war besonders nahegekommen, als ihn ein Schuss aus dem rollenden Gefährt aus dem Sattel holte. Die übrigen vier stießen Schreie der Wut aus und ritten sofort weiter auseinander.
Zwei von ihnen scherten nach rechts, zwei nach links aus. Sie wollten den Planwagen offensichtlich in die Zange nehmen. Nur einer von ihnen schoss mit der Pistole, die anderen feuerten mit Gewehren.
„Dreimal verfluchte Kojoten“, brummte der Scout, als er an die Kämpfenden heran ritt, Er zog seine Winchester aus dem Futteral und jagte zunächst einige Warnschüsse über die Köpfe der Reiter hinweg.
Erst jetzt bemerkten die Verfolger den neuen Gegner. Die beiden hinteren rissen die Pferde herum und näherten sich Kit von verschiedenen Seiten.
Der Indianeragent ließ sich erst gar nicht darauf ein. Er zog sein Tier schräg weg, und als die Kerle näher heran preschten, war er ihnen längst ausgewichen.
Einige knapp vorbei zischende Kugeln machten ihm klar, dass er sich nun wieder mit der Waffe zur Wehr setzen musste. Zumindest aber hatte sein Manöver schon den Erfolg gehabt, einige Verfolger vom Planwagen abzulenken.
Kit ließ sein Pferd einen leichten Bogen schlagen. Dann drehte er sich im Sattel um, legte sein Gewehr an und feuerte. Einer der Verfolger warf die Arme hoch und rutschte aus dem Sattel.
Sofort lenkte Kit sein Pferd schräg zu dem anderen Reiter, um ihm ein schlechteres Ziel zu bieten. Dennoch zupfte eines der Geschosse an der Krempe seines Stetsons.
Kits nächster Schuss saß ebenso. Der Gegner presste seine Hände an den Oberkörper. Sein Pferd wurde langsamer, aber noch bevor es zum Stehen kam, lag sein Reiter bewegungslos im Staub.
Der Scout verlor keine Zeit. Er jagte sofort hinter dem Planwagen und seinen restlichen zwei Verfolgern her.
Sein Indianerpferd war aus einer guten Zucht. Schon nach wenigen Minuten befand er sich wieder hinter den Männern.
Er war noch einige Schusslängen entfernt, als der Planwagen mit dem linken Hinterrad gegen einen Felsen prallte und mit lautem Gepolter umkrachte.
Mit Triumphgeschrei zügelten die beiden Verfolger ihre Pferde und umritten den Wagen. Der Fahrer und der Mann, der von hinten herausgeschossen hatte, waren aus dem Wagen geschleudert worden, hatten aber geistesgegenwärtig ihre Waffen festgehalten und eröffneten sofort wieder das Gegenfeuer.
Dennoch hatte Kit keine Zeit mehr zu verlieren. Noch einmal trieb er sein Pferd an, und während er näherkam, schoss er, ohne das Paterson-Gewehr abzusetzen. Er musste die Reiter unter allen Umständen beschäftigen, wenn er sie davon abhalten wollte, die Wagenfahrer niederzumachen, die kaum Deckung hatten.
„Kümmere dich um diesen verdammten Idioten!“, brüllte einer der beiden Verfolger.
Der andere ritt ein Stück zurück. Er sprang ab, warf sich auf den Boden und jagte einige Schüsse in Kits Richtung.
Der Scout war sofort vom Pferd gehechtet und ließ das Tier weiter galoppieren. Er wusste, dass es auf seinen Pfiff sofort zurückkommen würde.
Im Zickzackkurs spurtete er näher an den Gegner heran und ließ sich jedes Mal fallen, bevor der andere sich einschießen konnte. Inzwischen hatte der Kerl sein Gewehr leer gefeuert und zum Colt gegriffen. Kit hatte noch einige Patronen im Gewehr und wollte diesen Vorteil der höheren Schussgenauigkeit unbedingt ausnutzen. Es ging schließlich, um das Leben der beiden Planwagenfahrer.
Er zielte sorgfältig. Als er durchzog, wusste er, dass er treffen würde.
Mit einem Schmerzensschrei ließ der Bursche seinen Colt fallen und presste die andere Hand auf den rechten Oberarm.
Kit rannte heran und schnappte sich die Waffen des anderen, ohne sich um dessen Verwünschungen zu kümmern. Der Kerl hatte sich das Halstuch heruntergerissen und versuchte damit, die Blutung am Oberarm zu stillen.
Der letzte Verfolger war inzwischen ebenfalls vom Pferd gesprungen und hielt die Planwagenfahrer unter Beschuss. Jetzt, da er allein war, musste er sich allmählich selbst seiner Haut wehren.
Der Indianeragent war in der Zwischenzeit schon ziemlich nahe an ihn herangekommen.
„He!“, rief Kit, während er noch weiter eilte. „An deiner Stelle würde ich allmählich einsehen, dass es hier nichts mehr zu holen gibt. Mach ‘s kurz und wirf deine Artillerie weg!“
Einen Moment lang war der Mann abgelenkt. Im selben Augenblick feuerte einer der Belagerten. Der letzte Verfolger bekam den Schuss in die Brust und sackte zusammen.
Kit ging auf ihn zu und stellte fest, dass dem Burschen nicht mehr zu helfen war. Er näherte sich dem umgestürzten Planwagen, hinter dem sich nun zwei Gestalten aufrichteten.
„Verbindlichsten Dank, Mister“, krächzte der ältere und beleibtere der beiden Männer. „Ohne Sie hätte die Sache verdammt schlecht ausgesehen.“
Kit musterte die beiden Typen genauer.
Der ältere Dicke, der soeben gesprochen hatte, mochte etwas über die Fünfzig sein und hatte ein volles Gesicht, das sicher einen gutmütigen Eindruck gemacht hätte, wenn nicht in den Augen eine gewisse Verschlagenheit gelegen hätte. Auch dar jüngere Mann sah nicht gerade vertrauenerweckend aus. Er hatte strähnige, verfilzte Haare und einen unsteten Blick. Diesem Gespann würde man nicht gern im Dunkeln begegnen wollen.
„Habt ihr eine Ahnung, warum ihr verfolgt worden seid?“, fragte Kit.
„Wir sind reisende Händler“, gab der Dicke zur Antwort. „Phil Desanex ist mein Name, und mein Partner hier heißt Wilbur Perkins. Ich bin sicher, dass die Kerle es auf unsere Waren oder auf unser Geld abgesehen hatten. In Española und Ojo Caliente haben wir ziemlich viel verkauft.“
Kit ging um den Planwagen herum und musterte das Durcheinander.
„Ist das der gesamte Warenbestand?“, fragte er dann. „Damit dürfte nicht mehr allzu viel zu verdienen sein.“
Dem Indianeragenten entging das kurze Zögern des Händlers nicht, bevor dieser auf die Frage einging.
„Wir haben etliche Sachen in Ojo Caliente zurückgelassen“, gab der Dicke zur Antwort. „Wir wollen erst einmal auskundschaften, wie weit wir mit den Indianern des Taos Pueblo ins Geschäft kommen können.“
