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Malik ist neun Jahre alt und hat einen kenianischen Vater. Es passiert ihm immer wieder, dass wildfremde Menschen in seine lockigen Haare fassen. Manchmal ist Maliks Mama schneller und hält die neugierigen Hände fest. Oder Malik duckt sich und die Leute greifen ins Leere. Ziemlich oft wird Malik gefragt, woher er denn wirklich kommt. "Aus der Schützestraße" lautet seine Antwort, doch das scheint vielen Menschen nicht zu genügen. Auch für sein gutes Deutsch wird er öfter mal gelobt. Das wundert Malik. Was soll er denn sonst sprechen? Klingonisch vielleicht? Nur gut, dass er seine Freunde hat. Und einen Lehrer in der Schule, der immer zu ihm hält. Ein Kinder- und Jugendbuch zu den Themen Alltagsrassismus, Diskriminierung und Diversität. Mit Unterrichtsideen für den Einsatz als Klassenlektüre sowie zwei leckeren kenianischen Rezepten. Ab 8 Jahren. In leicht lesbarer Druckschrift.
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Seitenzahl: 77
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Für meinen Sohn, ohne den es dieses Buch nicht gäbe.
Vorwort
Kapitel 1: Das ist Malik
Kapitel 2: Maliks Schule und der Schulweg
Kapitel 3: Kater Kosmo kommt
Kapitel 4: Bitte nicht in die Haare fassen!
Kapitel 5: Ausflug aufs Land
Kapitel 6: Was ist mutig?
Kapitel 7: Sehnsucht nach Kenia
Kapitel 8: Maliks Freunde – wen er retten würde
Kapitel 9: Endlich zurück in Kenia
Kapitel 10: Wieder zuhause
Anhang
Achtsam gegen Alltagsrassismus - Unterrichtsideen mit „Klar bin ich von hier!“
Rezepte aus Kenia
Autorin und Illustratorin
Mein Name ist Shary Reeves. Geboren wurde ich als Shary Niatichi Nyasani in Köln. Für die vielen anderen hier bin ich farbig, schwarz, braun, bunt, dunkelhäutig - das Gegenteil von einem hautfarbenen Stift, maximal pigmentiert, afro-deutsch. Oder, falls die Fantasie mal gänzlich ausbleibt, schlicht eine Negerin.
Dabei schaue ich regelmäßig in den Spiegel - und alles, was ich da sehe, ist ein Mensch mit Haut und Haaren. Und doch bin ich als Moderatorin oder Schauspielerin niemals Serien-Mutter deutscher Kinder, moderiere keine Samstagabend-Sendung, nichts dergleichen. Warum? Weil ich für die runde Schublade am Ende doch zu eckig bin.
Mein Wunsch wird dahingehend immer der gleiche sein: Ich wünsche mir im Umgang mit uns schwarzen Menschen mehr Gespür, mehr Berührung, mehr Gefühl, mehr Respekt und mehr Aufmerksamkeit. Ich möchte nicht in einem Deutschland leben, in dem Menschen wie ich ausgegrenzt werden. Kein Mensch, kein Kind will das. Aber als Kind habe ich immer gedacht, wenn ich einmal älter bin, hört das alles auf. Die Beleidigungen und das von außen bestimmte Anderssein.
Heute weiß man längst, die ältesten Funde des Homo sapiens stammen aus Afrika. Wenn wir es eines Tages schaffen könnten, uns darauf zu besinnen, dass wir alle von dort stammen, schaffen wir es vielleicht, ein wenig näher zusammenzurücken. Denn am Ende des Tages sind wir weder weiß noch rot, gelb, schwarz oder farbig: Am Ende sind wir alle nur Menschen, so wie uns die Natur geschaffen hat.
Shary Reeves
Januar 2020
Moderatorin, Schauspielerin und
Autorin des Buches „Ich bin nicht farbig“
Obwohl es Hochsommer ist, sitzt Malik an seinem Wunschzettel für Weihnachten. Er schwitzt und stellt sich vor, wie es dann zu Weihnachten sein wird. Wenn es klirrend kalt ist, draußen Schnee liegt und unter dem Baum bergeweise Geschenke auf ihn war ten. Was er sich am meisten wünscht, hat er ganz oben hingeschrieben. Nach unten hin wird es immer unwichtiger. Deshalb steht auf Platz 9 seiner Liste auch nur: Neue Flügel für das Lego-Flugzeug. Als sein Freund Matti es kürzlich von Maliks Hochbett aus landen wollte, machte es – so eine Überraschung – eine Bruchlandung, zerschellte in tausend Teile und beide Tragflächen zerbrachen. Weil Malik es Matti vorher ausdrücklich erlaubt hatte, musste der auch keine neuen Flügel kaufen. Da Malik aber ohnehin nicht mehr oft damit spielt, war es nicht ganz so schlimm und ist daher kein wichtiger Wunsch.
Maliks sehnlichster Wunsch sieht ganz anders aus. Er würde lebendig sein, seidiges Fell haben, begeistert aus dem Geschenkkarton hüpfen und sich auf Maliks Arm kuscheln. Malik, der keine Geschwister hat, wünscht sich nämlich ein Haustier. Deshalb steht Folgendes auf dem Wunschzettel:
Hund
Katze
Hamster oder Kaninchen
Schildkröte
Wenigstens Fische?
Ferngesteuerter Hubschrauber
Reise nach Kenia
Weiß nicht
Tragflächen für mein Lego-Flugzeug
Weil es bis Weihnachten noch so lange hin ist, kann Malik jetzt erst einmal nur von seinen Geschenken träumen. Die gibt’s leider nicht einfach so. Oder doch. Aber nur selten. Nämlich dann, wenn Oma ihm ein Päckchen schickt. Das macht sie manchmal. Drin sind dann neben einem Brief für ihn meistens noch Süßigkeiten und manchmal auch Sammelkarten. Vielleicht sollte er einfach mal nachschauen, ob heute ein Tag mit Post von Oma ist. Schnell springt Malik in den Hausflur und dann im Treppenhaus nach unten.
„MLK“ steht in großen, schwarzen Buchstaben auf dem heute leider gähnend leeren weißen Briefkasten. „Hier wohnen Sarah, Tim und MLK Mertens“. Das MLK hat Malik sich so gewünscht. Mama und Papa finden das ein wenig albern. Aber da Malik ohnehin selten Post bekommt und in ihrem Haus sonst niemand Mertens heißt, durfte er es schließlich doch so hinschreiben. Malik gefällt es gut. Irgendwie lesen kann man seinen Namen nämlich doch. Er klingt aber wie ein Geheimwort. Nur wer ihn kennt, weiß dann hundertprozentig, wer gemeint ist.
Der Briefträger jedenfalls hat darüber gelacht. Der ist sowieso ziemlich nett. Er heißt Marco und kommt immer so gegen Nachmittag – genau dann, wenn Malik aus der Schule nach Hause kommt. Marco hat einen riesigen Schlüsselbund an seinem Gürtel hängen, der bei jedem Schritt laut klirrt und klingelt. Da sind bestimmt 100 Schlüssel dran. Für alle Häuser der Schützestraße hat Marco einen, sagt er. Denn er muss ja die Briefe auch dann zum Briefkasten im Hausflur bringen können, wenn keiner der Bewohner zuhause ist.
Obwohl in so einem großen Haus wie in dem, in dem Malik wohnt, eigentlich meistens einer da ist. Im Hinterhaus die Mama von Lara und Ada zum Beispiel. Sie arbeitet von zuhause aus. Als Mama und Malik neulich versehentlich ohne Wohnungsschlüssel einkaufen gegangen sind und Papa in der Zwischenzeit zum Sport gefahren war und sie somit aus ihrer Wohnung ausgesperrt waren, hat Laras Mama ihnen unten die Haustür geöffnet. Sie hat sie auch eingeladen, in ihrer Wohnung auf Papa zu war ten, aber das wollte Malik nicht. „Auf keinen Fall machen wir das“, hat er Mama zugeflüstert.
Denn da sie schon während des Einkaufens gemerkt hatten, dass sie den Schlüsselbund nicht dabeihaben, haben sie alles für ein Treppenhaus-Picknick besorgt. Neben den normalen Sachen wie Waschpulver, Milch und Olivenöl – die sie sowieso einkaufen wollten – hat Mama Sushi spendiert, Kekse und Kirschen zum Nachtisch und eine Apfelsaftschorle aus der Flasche. Erst fand Malik es richtig blöd, dass sie nicht in die Wohnung konnten, obwohl sie ja reinwollten. Aber dann war es doch ein witziges Abenteuer.
Auf ihrem Treppenabsatz im dritten Stock haben sie es sich auf dem kratzigen Sisalteppich, mit dem das ganze Treppenhaus ausgelegt ist, bequem gemacht. Damit der Teppich Malik nicht so an den nackten Beinen kratzt, hat ihm Mama ihre Strickjacke auf dem Boden ausgebreitet. Als Malik später etwas ängstlich schaute, sagte Mama, was sie immer sagt, wenn etwas anders läuft als geplant: „Im Leben geht andauernd was schief, Malik. Wir müssen nur das Beste draus machen. Und darin sind wir ziemlich gut.“
Dann haben sie mit Karacho die hölzernen Sushi-Stäbchen auseinandergebrochen, kurz damit gefochten und sich hungrig über das Essen hergemacht. Die Sojasoße mussten sie drübertröpfeln. Malik mag nur eine Sorte Sushi. Mama sagt, das macht nichts, besser eine Sorte, als gar kein Sushi. Zwei Portionen Avocado-Rollen hat sie ihm gegönnt und sich selbst hat sie außerdem welche mit Lachs und Gurke gekauft. Da saßen sie also auf dem Treppenabsatz, gaben sich die Apfelschorle hin und her, und versuchten immer wieder, Papa auf seinem Telefon zu erreichen. Irgendwann, als sie das ganze Sushi und die Kekse aufgegessen hatten und auch nicht mehr viele Kirschen da waren, wurde es Malik dann doch ein bisschen komisch. Außerdem musste er mal. Ausnahmsweise durfte er da im Hof zwischen Vorder - und Hinterhaus hinter die große Hecke machen. Als er klein war, hat er das öfter gemacht. Inzwischen ist er zu groß, um einfach irgendwohin zu pinkeln. Aber „im Ausnahmefall“, sagt Mama an diesem Abend, sei das natürlich was anderes. Zu Lara zu gehen wäre ihm viel zu peinlich gewesen. Sie ist ein Jahr älter als Malik, hat lange lockige Haare und sagt nur manchmal „Hallo“ – schaut aber meist in die andere Richtung dabei. Malik murmelt dann ebenfalls sowas ähnliches wie einen Gruß. Manchmal fragt er sich, ob Lara seinen Namen überhaupt noch weiß. Müsste sie aber eigentlich. Denn als sie kleiner waren, haben sie öfter mal miteinander gespielt. Sogar gemeinsam im Planschbecken gehockt. Davon gibt’s sogar noch peinliche Fotos in Maliks Album.
Aber jetzt, im Treppenhaus, ist ihm das eigentlich alles ganz egal. Peinlich hin oder her: Malik will, dass sich Papa meldet. Denn er wird langsam müde und er merkt, wie abgekämpft er von seinem langen Tag ist. Er lehnt sich an die Wand, während Mama erneut auf ihrem Telefon herumtippt.
„Was machen wir denn, wenn Papa die Nachrichten gar nicht liest?“, fragt er mit etwas dünner Stimme. Ihre Anrufe hat er ja schließlich auch nicht gehört.
Mama lächelt ihr beruhigendes Lächeln, klopft auf ihren Schoß und sagt: „Dann kuschelst du dich hier ein und schlummerst schon mal.“
„Wie spät ist es“, fragt Malik.
„Kurz vor acht“, sagt Mama. „Spätestens gegen zehn wollte Papa sowieso zuhause sein.“
So lange noch! Da Mamas Telefon nicht nur in, sondern auch vor der Wohnung ins Internet kommt, darf er unverhofft – obwohl gar nicht sein Fernsehtag ist – eine Wissens-Sendung auf dem Handy schauen. Ihm fallen allerdings schon fast die Augen zu. Mitten in der Folge, gerade wird ausführlich gezeigt und erklärt, wie aus Kartoffeln Kartoffelchips gemacht werden, klingelt das Telefon. Malik erschrickt und lässt es fast fallen. Papa ist dran! Na endlich. Papa lacht, als er hört, was passiert ist und wie sie sich die Zeit vertreiben.