Klassenfahrt - Nichts für schwache Nerven - Simone Flachenecker - E-Book

Klassenfahrt - Nichts für schwache Nerven E-Book

Simone Flachenecker

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Beschreibung

Eva und ihr bester Freund Jonas ahnen nicht, dass ihre Klassenfahrt so ein Abenteuer wird. Plötzlich geraten sie auf gefährliche Schatzsuche. Und das alles nur, weil die Zukunft der Jugendherberge auf der Kippe steht und Eva einfach nicht gegen ihren Entdeckergeist ankommt. Zum Glück haben sie Unterstützung von Liese, ihrer Klassenkameradin und ihres Zeichens Leseratte. Und da ist noch dieser Typ aus ihrer Klasse, der sie total verunsichert. Ob das alles gut geht?

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Simone und Rico Flachenecker

Klassenfahrt

Nichts für schwache Nerven

 

 

 

Für unsere Töchter, Eva und Marie.

Auf dass eure Phantasie nie an Grenzen stößt.

 

 

 

 

© Simone und Rico Flachenecker

Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

Klassenfahrt

Nichts

für schwache

Nerven

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eva stopfte noch schnell die Zahnbürste und Zahnpasta in ihre kleine Reisetasche, die hätte sie beinahe vergessen, und schon konnte es losgehen.

»Eva, komm, sonst fährt der Bus ohne dich los«, drängte vom Erdgeschoss Opa Hermann.

Sie sprang die Treppe runter und nahm dabei zwei Stufen auf einmal, knotete schnell ihre blonden langen Haare mit einem roten Haargummi zusammen und gab ihrer kleinen Schwester einen dicken Kuss auf die Wange. »Sei brav Hannah. Mach‘ den Opa keine Sorgen«, flüsterte sie ihr ins Ohr.

»Pass auf dich auf. Ich hab‘ dich lieb!«, erwiderte Hannah.

Eva winkte beim Verlassen des Hauses ihrer kleinen Schwester zu und schickte ihr noch ein Küsschen durch die Luft. Hannah fing es mit ihrer Hand auf. Dann wurde Eva von ihrem Opa zur Schule gefahren, der Reisebus wartete bereits auf die Schüler.

»Viel Spaß im Schullandheim und stell‘ keine dummen Sachen an.«

»Keine Angst, mach ich nicht«, gab Eva augenrollend zur Antwort.

»Komm meine Kleine, lass dich nochmal drücken.« Opa trug ihr die Reisetasche bis zum Bus und Eva umarmte ihn zum Abschied kräftig. »Sind ja nur ein paar Tage. Hab‘ dich lieb, Opa.« Eva verabschiedete sich mit dem Gedanken, dass sie nun eine gewöhnliche Klassenfahrt erleben würde. Aber was tatsächlich auf sie wartete, damit konnte sie zu diesem Zeitpunkt nicht rechnen.

»Hey Eva, na, bereit für das große Abenteuer?«, grüßte Jonas und stieß sie mit den Ellenbogen in die Seite.

Jonas war der beste Freund von Eva und wusste nicht, wie sehr er mit dieser Frage richtiglag.

Im Bus waren die meisten Plätze schon besetzt. Klar, die Zicke Leonie und ihre »Freundin« Laura waren bereits beschäftigt mit der Analyse der neuesten Modetrends mithilfe der aktuellen Promizeitschriften. Tom hatte sich sein Cape tief ins Gesicht gezogen und besetzte den Nachbarsitz mit seinen Füßen. Sven, der eindeutig der Klassenclown war, turnte wie ein Äffchen auf dem Gang des Busses. In der vorletzten Reihe fanden Eva und Jonas einen freien Platz. Jonas kramte sofort sein Tablett aus seiner Tasche und checkte die neuesten Meldungen auf seinem Lieblingscomputerforum. Eva verstaute ihren Rucksack mit dem Reiseproviant in der Ablage über ihr, dabei fiel ihr das Handy aus der Seitentasche, direkt vor die Füße von Liese, die schon neben ihnen saß und mit einer dicken Brille auf der Nase in einem Buch versunken las.

»Oh, hier bitteschön.« Liese hob das Handy auf und reichte es Eva mit einem Lächeln.

»Danke, Liese«, antwortete Eva freundlich. Sie nannte Liese extra bei ihrem Namen, denn die meisten der Mitschüler riefen sie nur Brillenschlange.

»So, alle hingesetzt, keiner steht mehr auf dem Gang! Und Sven, hör auf rumzuzappeln, da wird man ja ganz verrückt«, versuchte der Lehrer Schuhmann die Klasse zu beruhigen. Alle lachten, denn Sven machte beim Hinsetzen mit seinem Mund ein lautes Pupsgeräusch in seinen Ellenbogen. Schuhmann schüttelte den Kopf und fuhr weiter fort: »Auf unserer Klassenfahrt begleitet uns Frau Rübe, unsere Vertrauenslehrerin.«

Frau Rübe stand kurz auf und nickte den Kindern freundlich zu. Ihre dicke Hornbrille rutschte ihr fast von der Nase und ihre roten Haare waren zu einem Dutt geknotet. Die Kombination aus ihrem Nachnamen ‚Rübe‘ und ihren roten Haaren, haben schon so einige Witze aushalten müssen.

»Also wenn ihr irgendwelche Problemchen habt, dann wendet euch bitteschön vertrauensvoll an Frau Rübe.« Dabei seufzte Herr Schuhmann erleichtert. Der einfühlsamste Lehrer war er ja nicht gerade, daher kam ihm die Begleitung von Frau Rübe gerade recht.

Die Fahrt ging holprig los. Der Busfahrer musste nach den ersten Metern bereits eine Vollbremsung hinlegen, denn einer der Schüler hatte seinen Rucksack am Parkplatz vergessen.

Nun konnte die Fahrt wirklich starten.

»Was lest‘n da, Brillenschlange?« Leonie schlug Liese das Buch vor ihrer Nase zu.

»Geht dich nichts an«, murmelte Liese und klappte das Buch wieder auf und suchte die Seite, wo sie zuletzt mit dem Lesen stehen geblieben war.  

 

»Der Nebel ist so dicht, dass man die eigene Hand kaum vor Augen sieht. Sollen wir wirklich unsere Verteidigung auflösen?«, zweifelte Leutnant Simon.

Darauf erwiderte der General energisch: »Wollen Sie noch mehr Männer verlieren? Sofort, habe ich gesagt, Leutnant! Lösen Sie die Linien auf. Uns bleibt keine Zeit mehr, wir können die Schwedische Armee nicht mehr aufhalten.«  Diese war ihnen zahlenmäßig weit überlegen.

»Leutnant, schicken sie unverzüglich Reiter los, die sich auf den Weg zur Burg machen, um die Maßnahmen für eine Verteidigung einzuleiten. Das ist unsere letzte Möglichkeit, die Schweden auf dieser Seite des Flusses aufzuhalten. Sagen sie dem Grafen, dass es sehr schnell gehen muss, da uns nur noch ein bis zwei Tage bleiben, bis die Schwedische Kavallerie mit ihren ausdauernden und sehr schnellen Pferden die Burg erreichen werden.«

Simon sah, wie der General hastig und nervös einen Brief, mit einem dunkelroten Wachssiegel darauf, aus seinem Mantel zog. Das Wappen des Siegels erkannte er sofort. Es war das Wappen des Königs.

»Übergeben sie diesen Brief persönlich dem Grafen. Das ist sehr wichtig.«

»Verstanden, General, ich werde das Anliegen persönlich in die Hände nehmen und mit meinen zwei besten Reitern unverzüglich aufbrechen.« Kaum hatte Simon seinen letzten Satz beendet, schlugen in unmittelbarer Nähe die ersten Kanonenkugeln ein. Beide Männer zuckten zusammen. Man hörte das laute Donnern der Kanonen und das Pfeifen der schweren Eisengeschosse, die an ihnen vorbeiflogen. Die Luft roch nach verbranntem Schießpulver. Die Verteidigungslinien der Infanterie, die noch vor wenigen Augenblicken in Reihe und Glied stand, lösten sich jetzt von alleine auf.

Der General winkte dem Hornbläser, der sofort das große, mit Bändern und einer Fahne verzierte Horn in die Hände nahm und das Zeichen zum Rückzug gab. Als sich der General aus dem Schutz des Grabens begab, der in tagelanger Arbeit eigens dafür angelegt wurde, war Leutnant Simon schon auf dem Weg zu den Pferden, die in einiger Entfernung hinter einem kleinen Hügel standen. Angekommen, sprang er in großer Eile auf sein schwarzes Pferd, ein junger Hengst, Namens Nero, ungestüm, aber dafür sehr ausdauernd. Er hatte keine Zeit mehr sich die Männer mit den schnellsten Pferden auszusuchen, die ihn bei dieser Reise begleiten sollten. Dafür war das, was er bei sich trug, viel zu wertvoll. Er blickte sich um und entdeckte einen Jungen, der gerade eines der anderen Pferde sattelte.

»Hey du... kannst du reiten?«

Karl sah erschrocken auf. Er hatte nicht damit gerechnet, von einem Leutnant angesprochen zu werden. Kopf nickend antwortete Karl eingeschüchtert.

»Dann nimm dieses hier.« Simon deutete auf ein braunes Pferd. Karl stand wie versteinert da und wusste nicht so recht, wie er mit dieser Situation umgehen sollte. Aber er wusste auch, dass es wahrscheinlich das Beste war, sich einem Leutnant nicht zu widersetzen. Karl löste den Strick des Pferdes vom Holzpfosten und sprang auf. Immer mehr Männer rannten an ihnen vorbei, flüchtend vor der herannahenden Schwedischen Armee.

»Los jetzt!«, schrie Simon. »Mir nach…. Los Nero, zeig, was für ein schnelles Pferd du bist«, befahl Simon und lenkte sein Pferd vorbei an einigen Pferdewagen, die gerade mit dem Allernötigsten beladen wurden, was man nicht den Schweden überlassen wollte. Dicht hinter ihm ritt Karl, der Mühe hatte, Simon in dem ganzen Durcheinander zu folgen. Immer wieder hörte er den Kanonendonner hinter sich. Simon musste nicht lange überlegen, welchen Weg er nahm, um zur Burg zu gelangen, da er sich gut in dieser Gegend auskannte.

Er absolvierte vor vielen Jahren, als er noch ein junger Bursche war und bei seinen Eltern lebte, eine Lehre bei einem Schmied hier ganz in der Nähe. Dieser brachte ihm viel bei, nicht nur die Kunst des Eisenschmiedens. Er blickte sich noch einmal um und erkannte Karl einige Meter hinter sich, aber auch das Chaos, das vor wenigen Minuten ausgebrochen war. Einige Augenblicke später erreichten die beiden den Waldrand.

 

Die Bremsen des Busses quietschten. Nach einer kurzen, aber recht beschwerlichen Fahrt, da die Straße zur Burg kurvig war, kam die Klasse endlich an. Zwar mit einer halben Stunde Verspätung, eine Toilettenpause hatte nicht ausgereicht, aber immerhin ohne weiteren Zwischenfall. Das war für diese chaotische Klasse nicht selbstverständlich. Erst beim letzten Wandertag fehlten nach einem zweistündigen Rundgang durch den Wald tatsächlich drei Schüler, die sich auf den letzten Metern verlaufen hatten.

Herr Schuhmann hatte wirklich Schwierigkeiten seine Ansage im Bus zu machen, wie der weitere Tagesplan sein sollte, so laut war das Geschrei der Schüler. Die Mädchen wollten jetzt schon aufgeregt die Zimmerbelegung besprechen und Jonas wollte Eva unbedingt seit einer halben Stunde davon überzeugen, dass Leonie gar nicht so eine Zicke war, wie alle dachten.

»Aufgepasst! Hallo!!« Ein kurzer Pfiff von Herrn Schuhmann durch seine Finger verschaffte ihm endlich Gehör. »Also aufgepasst! Die Zimmer für die Mädchen sind im zweiten Stock und die der Jungen im dritten. Es herrscht absolutes Besuchsverbot!«

»Ohh! Buhh!«, hörte man die Jungs frech jaulen.

»Also wirklich«, erwiderte Herr Schuhmann kopfschüttelnd. »Ihr bezieht eure Zimmer und im Anschluss treffen wir uns zum Mittagessen im Speisesaal. Der befindet sich rechts von der Eingangshalle. Alles klar?«

 

Im Bus fing ein Geschubse an. Als Eva endlich den Bus verlassen konnte, blickte sie auf eine wunderschöne alte Burg.

An den grauen Steinmauern rankten Rosen und es befanden sich viele winzige Fenster auf jeder Etage. Das hölzerne Eingangstor war massiv und man erkannte die Jahrhunderte, welche es bereits gesehen hatte. Inmitten der Burg befand sich ein Brunnen und ein paar Holzbänke luden im sonnigen Innenhof der Burg zum Verweilen ein.

Eva und die anderen Mitschüler gingen über eine alte Zugbrücke in den Burghof. Leonie hatte Probleme, ihren schweren Koffer über das Kopfsteinpflaster zu ziehen. Jonas sprang ihr gleich zu Hilfe und trug den Reisekoffer bis zur Eingangstür. »Oh man, was hast‘n da alles in deinem Koffer? Kann Schminke so schwer sein?« Jonas grinste. Leonie zog eine Augenbraue hoch und warf ihr blondes Haar neckisch zurück. Eva wunderte sich ebenfalls über die Größe des Gepäcks.

»Platz da, Runner«, pöbelte Tom Eva an, die den Innenhof mit ihrem Handy fotografierte und schubste sie ein wenig zur Seite. Er sprach ihren Nachnamen englisch aus, so wie es die meisten in der Klasse taten. Eva erschrak und brachte nur ein lautes »Hey« heraus. Sie hatte sich selber versprochen, immer das Gute im Menschen zu sehen. So oft sie aber auch wollte, Tom zerstörte ihren Glauben daran immer wieder aufs Neue.

Er kam mit keinem aus der Klasse aus und sprach nicht viel und wenn, beleidigte er seine Mitschüler. Er stellte in Evas Augen die typische »Null-Bock-Generation« dar, die sie selber nicht leiden konnte, denn zu dieser Generation wollte sie definitiv nie gehören.

»Einen wunderschönen Guten Tag, Mädchen und Knaben«, begrüßte der Burgherr die Schüler. Er war sehr elegant gekleidet, hatte graue Haare, die zu einem strengen Seitenscheitel gekämmt waren, wahrscheinlich um die leichten Anfänge einer Glatze zu überdecken. Sein Anzug war steif, genauso, wie er selbst auf der Eingangstreppe dastand.

Die Mädchen der Klasse mussten bei dem Wort »Knaben« albern lachen. Recht hatten sie dabei schon etwas, denn die sogenannten Knaben waren wohl eher ungehobelte Burschen. Knaben erinnern doch eher an brave Chorknaben, und das waren sie ganz und gar nicht.

»Mein Name ist Dr. von Bünnel und ich bin der stolze Besitzer dieser schönen Burg Herrenberg. Ich möchte Sie herzlich willkommen heißen.« Dazu machte er eine einladende Handbewegung. Nach einer kurzen Ansprache des Burgherren konnten die Schüler endlich ihre Zimmer beziehen. Wie nun die Zimmerbelegung ausfiel, war ziemlich einfach. Leonie und Laura bezogen ein Zimmer. Mit Liese wollte sowieso keiner das Zimmer teilen, das machte daher Eva. Jonas hatte mehr oder weniger Glück, ein Einzelzimmer ergattert zu haben. Lieber hätte er aberEva als Zimmerkollegin gehabt, mit ihr hatte er schon oft in einem Zimmer geschlafen oder im Zelt, sogar unter einer Decke. Erst letzten Sommer hatten sie ihr neues Zelt im urigen Garten von Opa Hermann getestet.

Da es aber in der Nacht so kalt wurde, mussten sie in Evas Zimmer umziehen und weil sie zu müde waren, schliefen sie einfach zu zweit in ihrem Bett. Aber jeder mit dem Kopf auf einer anderen Seite, verstand sich ja von selbst.

Eva wollte nicht länger im Zimmer warten, bis es Mittagessen gab und schmiss kurzerhand ihre Tasche aufs Bett am Fenster. »Ich schau mich schon mal um, ja?« Liese blickte nur kurz von ihrem Buch auf und nickte. Gerade gesprächig war sie ja nicht, das machte Eva aber nichts aus.

Langsam ging Eva den langen Flur entlang und bestaunte die vielen Bilder an den Wänden. Das mussten die Vorfahren der Grafschaft von Burg Herrenberg sein. Ihre Schritte verschluckte der rote Teppichboden. Am Ende des Korridors angelangt, führte eine große geschwungene Holztreppe zur Eingangshalle hinunter. Von der Decke hing ein imposanter Kronleuchter. Ein paar Spinnweben wehten zwischen den Glaskristallen. Der Handlauf der Treppe war schon abgegriffen. Wie viele Hände schon darüber gestrichen haben, dachte sich Eva, als sie ihre eigene Hand darauflegte. Leicht beschwingt sprang sie die ersten Stufen der Treppe hinauf. Im Stockwerk über ihr hörte man die Jungs grölen. Kopfschüttelnd nahm Eva die nächsten Stufen und blickte nach oben zur Aufhängung des Kronleuchters. Wie lange dieser dort wohl schon hing? Eva wollte wissen, was sich in den oberen Stockwerken befand und sprang die Treppe weiter hinauf, als sie hinter sich eine Stimme hörte: »Na na, Fräulein, wohin des Weges?«

Als sie sich umdrehte, stand Dr. von Bünnel hinter ihr und beäugt sie mit einem fragenden Blick. Eva zog eine Augenbraue hoch und antwortet etwas erschrocken: »Ähm, nirgendwo hin.« Das war natürlich gelogen, sie war neugierig, wollte sich etwas umsehen. Das hatte sie eindeutig von ihrer Mutter geerbt, die Neugierde etwas zu entdecken. Nicht umsonst lebte Eva im Jahr ungefähr 300 Tage bei ihrem Opa, weil ihre Mama wieder mal auf einer Expedition in Ägypten oder sonst wo auf der Welt war. Es war unheimlich aufregend, eine Mutter zu haben, die als Archäologin durch die Welt bummelte. Als Kind war es das Schönste, selbst in fremde Länder zu reisen und ihre Eltern auf den Erkundungstouren zu begleiten. Aber als bei einem schrecklichen Unfall Evas Vater verunglückte und ihre Mutter nicht mehr damit zurechtkam, sie und ihre kleine Schwester bei den Reisen mitzunehmen, lebten sie von da an bei ihrem Opa. Hannah bekam von der ganzen Lebensumstellung nicht so viel mit, sie war noch zu klein. Eva hatte aber schon sehr mit der neuen Situation zu kämpfen. Auch für ihren Opa war es nicht immer leicht. Er konnte es noch nie verstehen, warum seine Tochter so einen Drang hatte von daheim wegzugehen. Er hingegen war immer sehr heimatverbunden. Mit seiner Frau besaß er ein kleines Häuschen am Stadtrand mit einem urigen Garten. Mit der Geburt seiner Tochter Frederike war ihr Glück perfekt. Frederike suchte aber schon früh die Ferne. Sie wollte schon als Kind auf ein Internat und das Studium konnte sie unmöglich in der näher gelegenen Uni absolvieren. Damals half sie schon als Studentin bei Ausgrabungen in Ägypten mit. Dass diesen Lebensstil auch nur ein Gleichgesinnter aushalten würde, war klar. Frederike lernte schnell im Studium ihren Mann Daniel kennen. Gemeinsam waren sie in der ganzen Welt unterwegs. Evas Opa hoffte mit der Geburt von Eva, dass sie endlich in der Heimat Wurzeln schlagen würden.

Aber auch ein Kind konnte ihren Endeckerdrang nicht mindern.

Eva musste kurz an ihre Mutter denken, »Stell dich gerade hin und schau’ deinem Gegenüber in die Augen, wenn du sprichst.« Sie holte tief Luft und setzte neu an: »Herr Dr. von Bünnel, ich wollte mich nur ein bisschen umsehen. Ist das nicht erlaubt?«

»Nein, die oberen Stockwerke sind für unsere werten Besucher gesperrt.« Er räuspert sich, warf Eva einen strengen Blick zu, drehte sich um und ging wieder abwärts.

 

Wieso denn das, dachte sich Eva. Was mag dort oben wohl sein, dass es für die Besucher gesperrt war. Die ersten Schüler kamen aus ihren Zimmern.

»Hey, Eva, da biste ja.«

»Hast du schon Zeitlang, Jonas?«, neckte Eva ihren Freund und hakte sich bei seinem Arm unter.

»Scherzkeks, ich wollt‘ nur sichergehen, dass du mir nicht alles wegfutterst«, scherzte Jonas.

Gemeinsam stapften sie und die anderen Jugendlichen die Treppe hinunter zum großen Speisesaal. Als die große Tür geöffnet wurde, erblickten sie einen langen Saal mit hohen Wänden und geschwungenen Deckenbalken. »Wow!«, hörte man es durch die Gruppe raunen. Gemütlich war die ganze Atmosphäre nicht, und die ersten stolperten über die Schwelle, als sie ihren Blick auf die hohe Decke richteten, anstelle des Bodens.

Laut rückten alle ihre Holzstühle zurecht und es klirrten die ersten Gläser, als sie sich Wasser aus großen Krügen einschenkten, die auf den Tischen platziert waren.

Zum Essen gab es eine Art Eintopf, wenn man das so nennen konnte. Eva ließ ein paar Tropfen der Pampe von ihrem Löffel wieder in den Teller platschen und zog die Nase kraus. Jonas schmeckte es, er schob sich das zweite Brötchen mampfend in den Mund. »Weißt du, es wäre grundsätzlich total einfach, sich in einen Account zu hacken...« Man verstand ihn kaum und es landeten ein paar feuchte Brösel auf dem Tisch. Leonie verzog das Gesicht zu einer Grimasse, als sie dies von zwei Stühlen weiter mitbekam. Jonas bemerkte, dass seine Essmanieren bei Leonie nicht gut ankamen und wischte sich hektisch den Mund ab. Er sah, dass Eva im Teller rührte und kaum einen Löffel runterbekam. »Schmeckt’s dir nicht?«, fragte er wieder mit vollem Mund.

»Mhh, geht so. Ich steh nicht so auf Eintopf. Du, vorhin als ich mich schon mal ein bisschen auf der Burg umsehen wollte, hat mich der Dr. Bünnel aufgehalten. Die oberen Stockwerke sind für Besucher gesperrt, meinte er. Mich würde echt interessieren, was da oben ist.«

»Ach, du wieder, Eva.«

»Nein ehrlich, Jonas, der hat das so streng gesagt, komisch.«

»Hallo, Klasse, aufgepasst!«, plärrte Herr Schuhmann in die Gruppe. Er deutete mit seiner Handbewegung an, dass die Schüler die Lautstärke senken sollen. »Nach dem Mittagessen erhalten wir von Herrn Dr. Bünnel eine Burgführung. Dazu treffen wir uns alle in der Eingangshalle.« Eva konnte ihren Teller beim besten Willen nicht leeren. Sie hoffte, dass das Essen an den folgenden Tagen besser werden würde, ansonsten müsste sie zusehen, dass sie im Dorf im Krämerladen noch etwas Schmackhafteres zwischen die Zähne bekommt.

Dr. Bünnel versammelte die Schüler der Klasse um sich. »Zuerst besichtigen wir die Burgkapelle, die liegt im unteren Teil des Burghofs. Dazu folgen Sie mir bitte, und immer schön zusammenbleiben.« Er ging voraus über den gepflasterten Burghof und der Klassenpulk folgte artig. Malerisch lag das Tal unter ihnen, in dem sich ein kleiner Fluss seinen Weg bahnte. Über ein paar Stufen kam man zu einem Vorplatz der Kapelle. »Man datiert den Bau der Kapelle St. Matthäus auf das Jahr 950. Vom Baustil daher im romanischen Stil. Die Burg ist auf den alten Mauern eines Klosters errichtet. Bis auf die Kapelle, brannte das Kloster des Benediktiner Ordens bis auf die Grundmauern ab. Die Grafschaft Herrenberg errichtete darauf die Gemäuer der Burg, welche immer wieder erweitert wurden.«

Nach den Gemächern der Grafschaft, kam die ernüchternde Zeitgeschichte. Eine Jahreszahl jagte die nächste. Eva schweifte ab. Sie musste immerzu daran denken, was wohl in den oberen Stockwerken zu finden sei. In dem Moment wurde Sie aus ihren Gedanken gerissen.

»Was ist denn das für einer auf dem Bild?«, polterte Sven vorlaut. Der trug heute wieder ein T-Shirts mit dem Spruch: »Du bist nicht dumm, du hast nur Pech beim Denken!« Sven hatte einen Tick für Shirts mit blöden Sprüchen darauf. Seine Sammlung umfasste bestimmt zwanzig T-Shirt, mit teils fragwürdigen Sprüchen. Ein paar der besten hatte er natürlich für die Tage auf Burg Herrenberg eingepackt.

»Diese Familie ist die Grafschaft von Herrenberg, mit den Mitgliedern Graf Wilhelm von Herrenberg, seiner Gattin Gräfin Hermine von Herrenberg, seinem Sohn Heinrich und der Tochter Marie«

»Boah, das ist aber ein Klunker, was der da um den Hals hängen hat«, entglitt es Sven.

»Jaja, mein Herr, sie sprechen hier eine sagenumwobene Kette an. Der große Diamant in der Mitte wäre, nach den Abmessungen, ca. 500 Karat. Wer schon einmal in London die Kronjuwelen bestaunen durfte, hat eventuell solch einen Diamanten im Zepter der Königin gesehen, der Cullinan I.«

Liese rechnete kurz in Gedanken. »Oh wow, der wäre ja dann über 300 Millionen Euro wert!«

Ein Raunen ging durch die Klasse.

»Ja, tatsächlich haben Sie damit recht, mein Fräulein. Aber manchmal hatten die Maler, bei Erstellung von Gemälden, eine Vorliebe zur Übertreibung, oder es wurde ihnen aufgetragen, die Personen prunkvoller dazustellen. Von der Kette fehlt jedenfalls jede Spur«, erklärte Dr. Bünnel. »Seht hier, dies ist ein Gemälde von Burg Herrenberg.« Er deutete hinter sich auf die gegenüberliegende Wand. »Wer genau von Ihnen bei der Anfahrt aufgepasst hat, wird nun bemerken, dass die Gebäude hier auf der rechten Seite der Burg tatsächlich so gar nicht vorhanden sind.« Eva beäugte das Gemälde vom Grafen von Herrenberg und bemerkte gar nicht, dass die Gruppe bereits in den nächsten Raum weitergezogen war. Erst als sie beim Vorbeugen beinahe über das rote Samttau gefallen wäre, das neugierige Besucher abhalten sollte, das Gemälde zu berühren, blickte sie sich peinlich berührt um und huschte weiter in das nächste Burgzimmer.

Die Führung zog sich von einem Zimmer zum nächsten. An den Wänden hingen aufwändige Gemälde von schönen Frauen, kunstvoll gekleidet.

Die Decken waren geziert mit geschwungenen Balken und der schöne Holzboden wurde durch rote Teppiche geschützt. In den Gängen standen hier und dort Ritterrüstungen und bemalte Vasen auf kleinen Tischen mit gedrechselten Beinen.

»So, nun geht es in die Gewölbekeller der Burg. Ich hoffe, Sie haben keine Platzangst.«

Die Schüler mussten sich durch eine schmale Holztür drücken und gelangen zu einer Wendeltreppe, die steil abwärts führte. Es wurde zunehmend dunkler und man hatte ein beengendes Gefühl. Es roch modrig und man konnte sich nirgends festhalten. Die Treppenstufen waren sehr schmal und Eva musste aufpassen, keine zu übersehen, um nicht zu stolpern. Sie berührte die Steinmauer, sie war nass und kalt. Ganz unten angelangt spürte man die Enge der Gemäuer.

»Wir sind jetzt im Verlies der Burg. Hier mussten bei Wasser und Brot Diebe und andere Gefangene Monate lang ausharren.« Man merkte die bedrückende Stimmung. Eva hatte einen Kloß im Hals. Hier Monate lang eingesperrt zu sein, ohne Sonnenlicht, das konnte sie sich nicht vorstellen. Man konnte nur erahnen, welche Ängste diese Menschen aushalten mussten. Welche Qual die Verbrecher hier in diesen Zellen aushielten. Eva fuhr ein Schauer über den Rücken.

»Und hinter Ihnen«, fuhr der Burgherr fort. »sehen Sie die Folterkammer, mit den verschiedenen Foltergerätschaften.«

Die Gruppe drehte sich um, in dem Moment sprang eine Gestalt hinter einer Ecke hervor und erschrak alle mit einem lauten »Buhhh!«.

»Mensch, Sven!«, schimpften die Jungen. Die Mädchen aber kreischten. Eva konnte es sich gerade so verkneifen und sprang reflexartig einen Schritt zur Seite.

Dabei stieg sie jemanden hinter sich auf den Fuß und zuckte erneut zusammen. Zwei Hände fasten sie grob an den Oberarmen und hoben sie kurzerhand zur Seite. Sie drehte sich ruckartig um, und sah, dass sie Tom, der seine Lippen zusammenpresste, auf den Fuß getreten war.

»Runner, pass doch auf!«, zischte Tom, der einen guten Kopf größer war als sie.