Kleiner Anton ganz groß - Silke Müller - E-Book

Kleiner Anton ganz groß E-Book

Silke Müller

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Beschreibung

Antons Eltern sind wohlhabende Leute und eigentlich fehlt es dem kleinen Anton an nichts - außer dass seine Eltern kaum Zeit für ihn haben. Sein Vater möchte, dass er einmal in seine Fußstapfen tritt und Rechtsanwalt wird, aber Antons große Leidenschaft ist das Zeichnen und Malen! Die Eltern tun das jedoch als Kinderkram ab, und so wird Anton immer unglücklicher. Er möchte so gerne ein kreatives Handwerk lernen und sein Hobby zum Beruf machen! Da tritt Martha, sein Kindermädchen, auf den Plan und wird zur starken Verbündeten für die Verwirklichung seines großen Traums ... »In uns allen ist ein kleiner Anton verborgen. Irgendwo haben wir ihn versteckt oder sind ihm schon einmal begegnet - wir haben es nur vergessen oder trauen uns nicht, diesen Teil in uns zu leben, da wir verlernt haben, wie es ist zu träumen. Es liegt an uns selbst, ihn wieder in unser Leben zu holen und damit so viele schöne, lebenswerte Momente.« (Silke Müller)

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Vorwort

Dieses Buch ist für alle Menschen geschrieben, die in ihrem Leben auf eine Reise gehen wollen. Auf eine Reise zu sich selbst und mit den anderen, um besser zu verstehen, einander näher zu kommen und den Sinn des Lebens zu erkennen.

In uns allen ist ein kleiner Anton verborgen. Irgendwo haben wir ihn versteckt oder sind ihm schon einmal begegnet – wir haben es nur vergessen oder trauen uns nicht, diesen Teil in uns zu leben, da wir verlernt haben, wie es ist zu träumen. Es liegt an uns selbst, ihn wieder in unser Leben zu holen und damit so viele schöne, lebenswerte Momente.

Anton wurde jeden Morgen um die gleiche Uhrzeit von seiner Mutter geweckt. Es war halb sechs und Barbara drückte die Türschnalle seiner Kinderzimmertür nach unten. Langsam betrat sie den Raum. Ihr Kopf war voll von tausend Dingen, die sie heute noch zu tun hatte. Sie war eine sehr liebevolle Mutter, Ende dreißig, die ihr Leben voll unter Kontrolle hatte – dachte sie zumindest. Sie war sehr ordnungsliebend, weshalb sie und ihr Mann Uwe auch eine Haushälterin eingestellt hatten, denn beide hatten viel zu tun und mussten lange arbeiten. Außerdem war es praktisch, eine Haushälterin zu haben, da Martha, so hieß die junge Dame, neben den häuslichen Aufgaben wie Putzen und Kochen auch gleich ein wenig in der Kindererziehung mithelfen konnte. Sie waren der Meinung, dass es nie früh genug sein konnte, dass ihr Sohn neben ihnen auch andere Erwachsene in seinem Leben hatte, um verschiedene Sichtweisen zu erlangen, damit er sich später in seinem Berufsleben leichter tun würde in der Welt der Erwachsenen.

Anton öffnete die Augen und sah, noch leicht verschwommen, weil er noch nicht ganz wach war, das liebevolle Gesicht seiner Mutter. Sie lächelte ihn an und wischte ihm den Schlaf aus dem Gesicht. Ihre Worte waren fast jeden Morgen die gleichen, doch für Anton waren sie sehr kostbar, da es nur die paar Minuten am Morgen waren, an dem seine Mutter und er ein wenig Zeit miteinander hatten.

»Hallo, mein Schatz, es ist Zeit aufzustehen, die Sonne lacht schon und freut sich, dich zu sehen!« Bei Regen waren es eben die Regentropfen und im Winter meistens die Frau Holle. Aber das war nebensächlich, da es Anton nur wichtig war, seine Mutter ganz nah bei sich zu haben. Sie duftete immer so gut nach ihrem Rosenschaumbad, das sie sich jeden Abend gönnte und dessen Duft noch morgens bis ins oberste Stockwerk ihres Einfamilienhauses zu riechen war. Oft hatte Anton schon an dem Flacon gerochen, in dem sich dieser Duft befand, immer dann, wenn seine Mutter erst spät abends nach Hause kam und er schon Stunden zuvor von Martha zu Bett gebracht worden war und bereits fest schlief, wenn seine Mutter noch mal zu ihm ins Zimmer kam, um ihn zu küssen und ihm zu sagen, dass sie ihn sehr lieb habe, obwohl sie es schon wieder nicht geschafft hatte, ihn selbst ins Bett zu bringen, wie sie morgens fast immer versprach.

Anton war ein glückliches Kind, obwohl er sich natürlich mehr Zeit mit seinen Eltern gewünscht hätte. Sie wiederum beteuerten immer wieder, wie wichtig es sei, viel zu arbeiten und Geld zu verdienen, damit man später einmal mehr Zeit hätte und sich vieles leisten könnte. Auch für ihn würden sie es tun, da es wichtig sei, seinem Kind eine gute Ausbildung und ein Studium zu ermöglichen. Damit gab sich Anton lange Zeit zufrieden und dachte auch, das sei ganz normal und in allen Familien so.

Anton war fünf Jahre alt und ging in den Kindergarten gleich zwei Straßen weiter. Das war sehr praktisch, denn so konnte er auch einmal alleine nach Hause gehen, wenn Martha frei hatte und die Eltern von der Arbeit nicht weg konnten, und das war eigentlich fast immer der Fall. Bis auf ein einziges Mal, da hatte Anton beim Spielen vergessen, dass er auf die Toilette musste, und als es nass um ihn herum wurde und die anderen Kinder ihn auslachten, fuhr Barbara von der Arbeit weg, um ihrem Sohn frische Kleidung zu bringen nach dem Anruf der überforderten Kindergartentante, die ihr einen Vortrag über »psychische Probleme« hielt. Danach nahm sich Antons Mutter vor, mehr Zeit mit ihrem Sohn zu verbringen – aber das scheiterte schon nach wenigen Tagen.

Anton passierte dieses Missgeschick nie mehr, aber nicht, weil irgendwelche Probleme gelöst worden wären, die ihm unterstellt wurden, sondern weil er von diesem Zeitpunkt an auch dann die Toilette aufsuchte, wenn er keinen Drang verspürte. Sicher ist sicher, dachte er sich, und merken tat es sowieso keiner, da er kein Kind war, das viele Freunde hatte, sondern meistens allein war. Es störte ihn nicht, alleine zu sein, er war es ja von zu Hause gewöhnt, sich mit sich selbst zu beschäftigen und leise zu sein, weil sein Vater wichtige Telefonate führte und dann keine Störung duldete. Ein einziger Blick seines Vaters genügte und Anton wusste: Jetzt ist Ruhe angesagt. Uwe wurde nie böse oder schimpfte mit Anton, doch er drückte sein Missfallen an Antons Verhalten durch eisiges Schweigen aus. Das war schlimm. Denn weil Antons Vater genau wie seine Mutter fast nie Zeit für ihn hatte, war alles, was Anton kriegen konnte, umso wertvoller für ihn und er wollte nichts davon aus Unachtsamkeit riskieren.

Anton war ein sehr braves Kind, das immer darauf achtete, nichts kaputt zu machen oder zu laut zu werden. Er versuchte ständig, seinen Eltern im Haushalt zu helfen, was aber gar nicht auffiel, da Martha ja da war, und so schenkte ihm keiner Beachtung deswegen. Das wusste Anton jedoch nicht. Er dachte, er müsse sich einfach mehr bemühen und noch braver werden, damit er mehr Aufmerksamkeit bekäme. Zwar sagten ihm seine Eltern, wie stolz sie auf ihn waren, aber im Grunde hatten sie wenig Ahnung, wer er wirklich war, was in ihm vorging und wo er Hilfe brauchte. Sie bemühten sich beide auf ihre Art, das Beste zu tun, jedoch reichte es nicht, ihrem Sohn das Gefühl von Geborgenheit zu schenken. Anton selbst wusste zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht, was das war, er versuchte es seinen Eltern nur recht zu machen.

Wie gesagt war Anton erst fünf Jahre alt und versuchte mit den Erwachsenen Schritt zu halten. Die wenigen Momente, in denen er es sich erlaubte, Kind zu sein, waren die am Morgen, wenn ihn seine Mutter weckte, anschließend mit ihm ins Bad ging und ihn für den Tag zurechtmachte. Oft gab es ein paar Wasserspielchen, bei denen sie ausgelassen quietschten, wenn sie die laufende Wasserleitung zuhielten und das Wasser durch ihre Finger spritzte und alles dabei nass machte. Einmal kam sein Vater herein. Von den fröhlichen Stimmen und dem Lachen angelockt, wollte er sehen, was da wohl los war so früh am Morgen. Er fand es dann nicht mehr so interessant, da er schon fertig angezogen war und eine Ladung kaltes Wasser auf seinen Tipptopp-Schneideranzug abbekam, den er erst am Vortag abgeholt hatte. Der musste dann natürlich gewechselt werden und dem entsprechend war dann auch seine Laune, als er das Haus verließ. Er hatte schließlich einen wichtigen Termin und wollte seine Klientin nicht warten lassen!

Antons Vater war Anwalt und auf Wirtschaftsrecht spezialisiert. Seine Mutter arbeitete in derselben Kanzlei, sie hatte Uwe dort auch kennengelernt und versuchte nach wie vor, seinen hohen Anforderungen gerecht zu werden. Eigentlich hatte sie das nie gewollt. Sie hatte ganz andere Träume gehabt, aber ihr Vater hatte ihr damals ermöglicht, ein Praktikum beim besten Anwalt der Stadt zu machen, dessen Familie er von früher her gut kannte. Barbaras Vater war Zimmermann, also Tischler, und hatte der Familie des Anwalts damals, als wegen der Osterfeiertage kein anderer Tischler kommen wollte, den Dachstuhl repariert. Der Dachstuhl war ein bisschen in die Jahre gekommen und ein starkes Gewitter hatte sein Übriges getan, sodass seitlich am Mauerwerk Wasser eintrat. Da die Anwaltsfamilie recht wohlhabend war, war es ihr egal, was es kosten würde, sie wollten es nur gleich erledigt haben. Und weil niemand anderes zu dieser Zeit zu erreichen war als Barbaras Vater, bekam er den Auftrag und danach viele weitere und es entwickelte sich so etwas wie eine Freundschaft zwischen den beiden Familien.

Barbaras Mutter war schon sehr früh verstorben. Die kleine Barbara war damals nicht viel älter gewesen als ihr Anton heute, und deshalb bestand die Fürsorge ihres Vaters auch darin, für seine Tochter alle Möglichkeiten, die er nur für sie bekommen konnte, wahrzunehmen. Es erschien ihm sinnvoll, denn Barbara war sehr klug und hatte auch eine gute Schule besucht, die es ihr mit ein bisschen Glück und Fürsprache ermöglichte, einen guten Job in einer Anwaltskanzlei zu bekommen. Und genau so eine Situation bot sich ihm, als er von dieser Familie ein Angebot bekam, das er nicht abschlagen konnte. Genau wie Anton jetzt wollte sie es ihrem Vater damals recht machen und ihm auch ihre Dankbarkeit zeigen für sein Bemühen, das aber streng genommen nur seiner Sicht der Dinge entsprach, von denen er glaubte, dass sie gut für seine Tochter seien. Ihr wäre es auch recht gewesen, als normale Sekretärin in einem Büro zu arbeiten und keine großartige Karriere zu machen, dafür aber eine Familie und viel Zeit für diese zu haben, denn das erschien ihr immer wichtig.

Nun, die Dinge kamen ein bisschen anders: Barbara wurde zu einem Vorstellungsgespräch in dieser besagten Kanzlei eingeladen. Ganz aufgeregt kam ihr Vater eines Abends nach der Arbeit nach Hause und wedelte mit der Einladung vor ihrem Gesicht herum. Sie versuchte sich zu freuen, um ihren Vater nicht zu kränken, wo er sich doch all die Jahre nach dem Tod ihrer Mutter um sie gekümmert und auf so vieles verzichtet hatte, nur um ihre Ausbildung zu ermöglichen. Na ja, dachte sie, anschauen kann ich es mir ja einmal, mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass ihre Vorkenntnisse sowieso nicht reichen würden für diese Kanzlei, von der man wusste, dass es sich nur die bessere Gesellschaft leisten konnte, von ihr vertreten zu werden. Nein, sie glaubte nicht, dass es gut gehen würde.

Sie irrte sich. Beim Vorstellungsgespräch saß sie einem Mann gegenüber, der gut zwanzig Jahre älter war als sie, sich jedoch sehr freundlich und ungezwungen mit ihr unterhielt. Sie waren sich auf Anhieb sympathisch und eine gewisse Vertrautheit war gleich zu spüren, obwohl man sich das erste Mal im Leben sah. Er war ein Mann um die vierzig, hatte gepflegtes, dichtes Haar, einen starken Bartwuchs, den er durch einen gepflegten Dreitagebart ein wenig zu kaschieren versuchte, und eine ungemein sympathische Ausstrahlung, die ihr sofort Vertrauen einflößte. Dieser Mann war Uwe und Barbara war hin und weg von diesem charismatischen Mann. Uwe war ebenso begeistert von dieser so liebreizenden jungen Frau, die aber genau zu wissen schien, was sie wollte. Dass Letzteres nur aufgesetzt war, um ein gutes Bild abzugeben und um ein wenig darüber hinwegzutäuschen, dass es an Fachkenntnissen mangelte, war ihm in diesem Moment egal. Er hatte einen guten Namen, war der Top-Anwalt der Stadt, er hatte es weit gebracht in kurzer Zeit und er war gewohnt zu bekommen, was er wollte, und er wollte sie. Er dachte: Irgendwie kriege ich das schon geregelt und sie wird sich ja wohl bemühen, um diesen Job zu bekommen.

Und so war es auch, Barbara arbeitete außerordentlich viel, machte Überstunden und versuchte damit auch ihr fehlendes Können auszugleichen. Uwe und sie verstanden sich recht gut und sie kamen sich auch privat immer näher, da sie oft länger blieb, um noch etwas nachzuarbeiten, und er sowieso oft bis Mitternacht über den Unterlagen brütete, wenn er wieder einen seiner sehr speziellen Fälle hatte. Beide hatten keine Familie, die zu Hause auf sie wartete, und so ergab es sich, dass sie immer mehr Zeit miteinander verbrachten. Beruflich nahm er sie oft zu Geschäftsessen am Abend mit, um sie ein wenig einzuführen in die hohe Kunst des Verhandelns, wie er es nannte, und Barbara genoss die Aufmerksamkeit, die ihr damit zuteil wurde. Sie machte sich dann immer besonders hübsch, trug ihr blondes, naturgelocktes Haar offen, das sie tagsüber im Büro immer ordentlich zu einem Pferdeschwanz zusammenband, betonte ihre großen Mandelaugen mit ordentlich Eyeliner und Wimperntusche und zog sich immer ein hübsches Kleid an, das ihrer Figur schmeichelte. Am Tag war dies ja alles Nebensache und sie war bemüht, mit ihrer Leistung zu punkten, doch der Abend gehörte ihr, da brachte sie ihre Weiblichkeit zur Geltung. Und es zeigte Wirkung, Uwe hatte sichtlich Probleme, sich zu konzentrieren und sie als Angestellte zu behandeln und sie so auch bei seinen Klienten und Geschäftspartnern vorzustellen.

Es blieb nicht lange unbemerkt, dass sich Chef und Angestellte sehr gut verstanden, mehr als üblich in dieser Konstellation, deshalb ging bald das Getuschel unter den Kollegen los. Neidische Blicke und dementsprechende Aussagen musste sich Barbara gefallen lassen. Da ihre drei Kollegen alle weiblich waren, war dies kein leichtes Unterfangen, aber sie hielt durch, lernte Anfeindungen und stumpfsinnige Aussagen zu ignorieren und setzte ihre Arbeit fort. Sie machte alles sehr gewissenhaft und so war es kein Wunder, dass sie beruflich bald die rechte Hand von Uwe wurde, um die er privat ein halbes Jahr später anhielt. Sie heirateten, wenn auch nicht so romantisch, wie sie es sich immer vorgestellt hatte. Es gab auch keine Flitterwochen, denn da wartete schon wieder ein großer Fall, eine ganze Firmengruppe, die verklagt werden sollte, und das konnte Uwe sich nicht entgehen lassen, schließlich war das ein Baustein für seine Karriere. Die Flitterwochen gab es dann ein Jahr später im Sommer, als sie mit Anton schwanger wurde und ihr Mann wenig Begeisterung zeigte, da er es anders geplant hatte und auch nicht mehr verzichten wollte auf Barbara in seiner Kanzlei. Nicht, dass er kein Kind wollte, aber er wollte bestimmen und nicht bestimmt werden, denn er war es gewohnt, den Ton anzugeben, und Barbara hatte gelernt, sich dem zu fügen und das Beste daraus zu machen. Nur bei ihrer Schwangerschaft ließ sie nicht zu, dass Uwe den Ton angab, sie wollte das Kind. Nun stand sie vor der Herausforderung, ihrem Mann zu sagen, dass sie sich seinem Willen widersetzen und dieses Kind, koste es, was es wolle, zur Welt bringen würde. Es schauderte ihr bei dem Gedanken, wie er reagieren würde. Nicht vor dem, was er sagen würde, sondern vor seinem Blick und der Nichtachtung, mit der er sie strafen würde …

So wie der kleine Anton jetzt, der mit seinem kindlichen Gemüt natürlich nicht einschätzen konnte, dass sein Vater jetzt Ruhe brauchte, um sich um Wichtigeres zu kümmern, um Geschäftliches. Uwe hatte bis heute der Familie nicht den Platz gegeben, den sie brauchte, und das machte sich in den vielen kleinen Alltagssituationen bemerkbar, so wie frühmorgens im Bad, wenn er beide mit einem abfälligen Blick strafte, nur weil sie Spaß hatten und er versehentlich in ihr Schussfeld geraten war und nun seinen Markenanzug tauschen musste. Er war sehr stur und tat sich dann auch immer sehr schwer, einfach mitzulachen oder den anderen ihren Spaß zu gönnen. Er kam sich ausgeschlossen vor und vergrub sich dann hinter seinen Regeln, die er für sich alleine aufgestellt hatte, sodass die anderen in diesem Moment unweigerlich die volle Gefühlshärte abbekamen. Es tat ihm dann zwar oft leid, doch es war ihm nicht möglich, in der Situation einfach umzukehren und sich zu entschuldigen. Es kam oft erst Tage später, sodass man den Zusammenhang mit der Situation meist nur noch erahnen konnte.

So auch damals, als er erfuhr, dass er Vater wurde. Barbara hatte ihn angerufen, um sich den restlichen Nachmittag frei zu nehmen, was schon anstrengend genug war, da er nicht gerade sehr erfreut darüber war, denn es gab jede Menge zu tun und er war es gewohnt, dass sie ihm den Rücken freihielt und sie gemeinsam am Abend die Kanzlei verließen und noch auf ein Glas Bier oder Prosecco gingen, um weitere Kontakte zu knüpfen oder alte wieder aufzuwärmen. Dazu brauchte er sie, da sie wie selbstverständlich fröhlich und immer heiter war und dies ein wahrer Eisbrecher war in ihrem Beruf. Uwe war wie überall auch da ein wenig forsch und hatte so schon manchen potenziellen Kunden vergrault. So machte er es sich zur Angewohnheit, Barbara vorauszuschicken, um erst mal das Feld aufzulockern, damit er sich dann nur noch mit seinen Fachkenntnissen und seiner überzeugenden Durchsetzungskraft in Szene setzen musste. Nach außen hin waren sie ein perfektes Team. Doch Barbara graute nun vor diesem nächsten Teameinsatz, da es um sie selbst ging und sie wusste, dass er alles daransetzen würde, sie davon zu überzeugen, dass es jetzt kein guter Zeitpunkt für ein Kind wäre. Doch sie war fest entschlossen, dem standzuhalten, egal welche Argumente er einsetzen würde, um sie davon abzubringen.