Kleopatra - Georg Ebers - E-Book

Kleopatra E-Book

Georg Ebers

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Beschreibung

Kleopatra – das Schicksal einer großen Königin Was Kleopatra angeht, so ist ihr gesamtes Dasein von Romantik umwoben, die an das Märchenhafte grenzt. Auch ihre schlimmsten Feinde bewundern ihre Schönheit. Ihr Charakter dagegen verbleibt ein Mysterium. Wer war die Frau, die Julius Cäsar zu ihren Füßen sah, und Marcus Antonius zu ihrem willfährigen Liebhaber machte? Der Autor entfaltet ein reiches Bild vor der exotischen Kulisse des alten Ägyptens, während er vor dem Leser die letzten Geheimnisse dieser rätselhaftesten Frau der Geschichte offenlegt. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 707

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Georg Ebers

Kleopatra

Ein historischer Roman

Georg Ebers

Kleopatra

Ein historischer Roman

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 2. Auflage, ISBN 978-3-954187-87-4

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Inhaltsverzeichnis

Vor­wort

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Ef­tes Ka­pi­tel

Zwölf­tes Ka­pi­tel

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­zehn­tes Ka­pi­tel

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Vier­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Fün­f­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Dan­ke

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Ihr Jür­gen Schul­ze

Klas­si­ker bei Null Pa­pier

Ali­ce im Wun­der­land

Anna Ka­re­ni­na

Der Graf von Mon­te Chri­sto

Die Schat­zin­sel

Ivan­hoe

Oli­ver Twist oder Der Weg ei­nes Für­sor­ge­zög­lings

Ro­bin­son Cru­soe

Das Got­tes­le­hen

Meis­ter­no­vel­len

Eine Weih­nachts­ge­schich­te

und wei­te­re …

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Wil­helm Jor­dan, dem Freun­de und Dich­ter in herz­li­cher Ver­eh­rung ge­wid­met.

Vorwort

Wenn dem Ver­fas­ser vor­ge­hal­ten wur­de, die sen­ti­men­ta­le Lie­be un­se­rer Zeit sei dem heid­nischen Al­ter­tum fremd ge­we­sen, so wies er nicht am letz­ten auf das Lie­bes­paar An­to­ni­us und Kleo­pa­tra und das Te­sta­ment des der­ben rö­mi­schen Rei­ter­ge­ne­rals. Er hat­te dar­in den Wunsch aus­ge­spro­chen, wo er auch stür­be, ne­ben der ihm bis ans Ende teu­ern Frau be­gra­ben zu wer­den. Sein Ver­lan­gen wur­de er­füllt, und das Lie­bes­le­ben die­ser bei­den her­vor­ra­gen­den Men­schen, das der Ge­schich­te an­ge­hört, bot schon mehr als ein­mal der Kunst und Dich­tung einen will­kom­me­nen Stoff.

Was be­son­ders die Kleo­pa­tra an­geht, so ist ihr ge­sam­tes Da­sein von ei­ner Ro­man­tik um­wo­ben, die an das Mär­chen­haf­te streift. Auch ihre ge­häs­sigs­ten Fein­de be­wun­dern ihre Schön­heit und die sel­te­nen ihr ei­ge­nen Ga­ben des Geis­tes. Ihr Cha­rak­ter da­ge­gen ge­hört zu den schwie­rigs­ten Rät­seln der See­len­kun­de. Der knech­ti­sche Sinn rö­mi­scher Dich­ter und Schrift­stel­ler, de­nen es wi­der­streb­te, das Licht, das von der Fein­din des Staa­tes und Kai­sers so glän­zend aus­ging, frei­mü­tig an­zu­er­ken­nen, lös­te es zu ih­ren Un­guns­ten. Was ägyp­tisch hieß, war dem Rö­mer ver­haßt oder doch ver­däch­tig, und die­ser am Nil hei­mi­schen Frau ließ sich schwer ver­ge­ben, daß sie den Ju­li­us Cäsar zu ih­ren Fü­ßen ge­se­hen und den Mar­cus An­to­ni­us sich dienst­bar ge­macht hat­te. An­de­re Be­richt­er­stat­ter, und an ih­rer Spit­ze Plut­arch, lös­ten das Rät­sel ge­rech­ter und viel­fach zu ih­ren Guns­ten.

Für den Ver­fas­ser war es eine er­freu­li­che Auf­ga­be, der Per­sön­lich­keit der un­glück­li­chen Kö­ni­gin nä­her zu­tre­ten und aus der Fül­le der vor­han­de­nen Nach­rich­ten zu­nächst für sich selbst ein Men­schen­bild zu ge­stal­ten, wor­an er zu glau­ben ver­moch­te. Jah­re ver­gin­gen, be­vor er da­hin ge­lang­te; jetzt aber, da er das fer­ti­ge Ge­mäl­de be­trach­tet, meint er, es könn­te man­cher ge­neigt sein, einen Ein­wand ge­gen die Hel­lig­keit sei­ner Far­ben zu er­he­ben. Den­noch wür­de es dem Dar­stel­ler nicht schwer fal­len, je­den Ton zu recht­fer­ti­gen, des­sen er sich be­dien­te. Wenn er wäh­rend des Schaf­fens sei­ne Hel­din lie­ben lern­te, so ge­sch­ah es, weil er, je deut­li­cher er sich die­se merk­wür­di­ge Frau­en­ge­stalt ver­ge­gen­wär­tig­te, im­mer leb­haf­ter fühl­te und im­mer si­che­rer er­kann­te, wie wert sie nicht nur des Mit­leids und der Be­wun­de­rung sei, son­dern auch, trotz al­ler ihr ei­ge­nen Schwä­chen und Feh­ler, je­ner hin­ge­ben­den Nei­gung, die sie in so vie­len er­weck­te.

Kein Ge­rin­ge­rer als Horaz war es au­ßer­dem, der Kleo­pa­tra »non hu­mi­lis mu­lier« -- ein kei­ner Nied­rig­keit fä­hi­ges Weib nann­te. Dies Wort aber ge­winnt da­durch das schwers­te Ge­wicht, daß es den Hym­nus schmückt, den der Poet dem Oc­ta­vi­an und sei­nem Sie­ge über den An­to­ni­us und die Kleo­pa­tra wid­me­te. Es war kühn von ihm, in sol­chem Ge­san­ge der Fein­din des Tri­um­pha­tors rüh­mend zu ge­den­ken. Er wag­te es den­noch, und sein Wort, das ei­ner Tat gleich­kommt, ge­hört zu den schöns­ten Ruh­mes­ti­teln der viel ver­kann­ten Frau.

Lei­der er­wies es sich we­ni­ger wirk­sam als das Ur­teil des Dio, der, was Plut­arch mit­teil­te, mehr­fach ent­stellt, sich sonst aber wohl am nächs­ten an die Ko­mö­die oder an die volks­tüm­li­chen Er­zäh­lun­gen schließt, die es zu Rom nicht wa­gen durf­ten, die Ägyp­te­rin in güns­ti­gem Lich­te zu zei­gen.

Bil­li­ger den­kend als die meis­ten rö­mi­schen Be­richt­er­stat­ter zeigt sich der Grie­che Plut­arch, der un­se­rer Hel­din auch zeit­lich nä­her stand als Dio. Sein Groß­va­ter hat­te so­gar noch man­cher­lei von sei­nem Lands­man­ne Phi­lo­tas, der wäh­rend der glän­zen­den Tage, die Kleo­pa­tra und An­to­ni­us in Alex­an­dria ver­schwelg­ten, sich als Stu­dent dort auf­hielt, über bei­de ge­hört. Von al­len Schrift­stel­lern, die der Kö­ni­gin ge­den­ken, ist er der zu­ver­läs­sigs­te; doch auch sei­ne Dar­stel­lung will mit Vor­sicht be­nutzt sein. Der an­schau­li­chen und ein­ge­hen­den Schil­de­rung, die Plut­arch den letz­ten Le­bens­ta­gen un­se­rer Hel­din wid­met, sind wir auch im ein­zel­nen ge­folgt. Sie trägt den Stem­pel der Wahr­heit, und weit von ihr ab­zu­wei­chen wäre Will­kür ge­we­sen.

Die ägyp­ti­schen Quel­len ent­hal­ten lei­der nichts, was für die Wür­di­gung des Cha­rak­ters der Kleo­pa­tra ins Ge­wicht fällt, wenn wir auch Bild­nis­se be­sit­zen, die die Kö­ni­gin al­lein oder mit ih­rem Soh­ne Cäsa­ri­on dar­stel­len. Erst in jüngs­ter Zeit (1892) ward das Frag­ment ei­ner ko­los­sa­len Dop­pel­sta­tue zu Alex­an­dria ge­fun­den, die kaum et­was an­de­res zur An­schau­ung brin­gen kann als Kleo­pa­tra Hand in Hand mit An­to­ni­us. Der obe­re Teil der weib­li­chen Ge­stalt blieb ziem­lich gut er­hal­ten und zeigt ein an­mu­tig ge­bil­de­tes, ju­gend­li­ches Frau­en­ge­sicht. Dem Be­feh­le des Oc­ta­vi­an, die Bild­säu­len des An­to­ni­us zu ver­nich­ten, ist die männ­li­che Fi­gur wohl zum Op­fer ge­fal­len. Herrn Dr. Walt­her in Alex­an­dria dan­ken wir eine gute pho­to­gra­phi­sche Wie­der­ga­be die­ser merk­wür­di­gen Bild­säu­le. Au­ßer ihr blie­ben ver­hält­nis­mä­ßig we­ni­ge Wer­ke der bil­den­den Kunst, zu de­nen wir hier auch die Mün­zen zäh­len, er­hal­ten, die uns mit dem Aus­se­hen un­se­rer Hel­din ver­traut ma­chen könn­ten.

Muß es auch dem Dich­ter vor al­lem am Her­zen lie­gen, sei­ne Ar­beit zum Kunst­wer­ke zu ge­stal­ten, ist es ihm da­bei doch ge­bo­ten, nach Treue zu stre­ben. Wie das Bild der Hel­din ih­rer wah­ren Per­sön­lich­keit, so soll das Le­ben, das hier dar­ge­stellt wird, in je­dem Zuge der Kul­tur der ge­schil­der­ten Zeit ent­spre­chen. Zu die­sem Zwe­cke stell­ten wir die Hel­din in die Mit­te ei­nes grö­ße­ren Men­schen­krei­ses, auf den sie ein­wirkt, und der es ge­stat­tet, ihre Per­sön­lich­keit in den ver­schie­dens­ten Le­bens­be­zie­hun­gen dar­zu­stel­len.

Wäre es dem Ver­fas­ser ge­lun­gen, das Bild der merk­wür­di­gen Frau, die so ver­schie­den be­ur­teilt wur­de, nicht we­ni­ger »le­big« und glaub­haft zur An­schau­ung zu brin­gen, als es sich ihm selbst in die Vor­stel­lung präg­te, so dürf­te er zu­frie­den der Stun­den ge­den­ken, die er die­sem Bu­che wid­me­te.

Tut­zing am Starn­ber­ger See, Ok­to­ber 1893

Ge­org Ebers.

Erstes Kapitel

Der Bau­meis­ter Gor­gi­as von Alex­an­dria hat­te den Son­nen­brand des ägyp­ti­schen Mit­tags er­tra­gen ge­lernt. Ob­gleich er die Drei­ßig noch nicht über­schrit­ten, war er erst als Ge­hil­fe des nun­mehr ver­stor­be­nen Va­ters, dann aber als sein Nach­fol­ger der Lei­ter der großen Bau­ten ge­we­sen, die Kleo­pa­tra zu Alex­an­dria er­rich­te­te.

Gera­de jetzt war er mit Auf­trä­gen über­häuft, und doch hat­te er sich schon vor Fei­er­abend hie­her be­ge­ben, um ei­nem dem Kna­ben­al­ter kaum ent­wach­se­nen Jüng­lin­ge ge­fäl­lig zu sein.

Der­je­ni­ge, dem er dies Op­fer brach­te, war frei­lich kein Ge­rin­ge­rer als Cäsa­ri­on, der Sohn, den die Kö­ni­gin Kleo­pa­tra dem Ju­li­us Cäsar ge­schenkt. An­to­ni­us hat­te ihn mit dem stol­zen Na­men ei­nes »Kö­nigs der Kö­ni­ge« ge­ehrt, und doch war es ihm kei­nes­wegs zu be­feh­len oder gar zu herr­schen ge­stat­tet; denn die Mut­ter hielt ihn fern von der Re­gie­rung, und ihn selbst ver­lang­te nicht nach dem Szep­ter.

Gor­gi­as hät­te sei­nen Wunsch um so eher un­be­rück­sich­tigt las­sen kön­nen, je deut­li­cher es auf der Hand lag, daß er ihn über sei­ne Um­ge­bung hin­weg zu spre­chen wün­sche. Es war dem Bau­meis­ter auch nicht im ent­fern­tes­ten be­wußt, was Cäsa­ri­on ihm an­zu­ver­trau­en wün­sche, und lan­ge konn­te er ihm in kei­nem Fal­le das Ohr lei­hen; denn die Flot­te, die die Kö­ni­gin mit Mar­cus An­to­ni­us nach Grie­chen­land ge­führt hat­te, muß­te wohl jetzt schon mit der des Oc­ta­vi­an zu­sam­men­ge­sto­ßen und auch zu Lan­de eine Schlacht ge­schla­gen und das Schick­sal der Welt ent­schie­den wor­den sein.

Er, Gor­gi­as, glaub­te an den Sieg des An­to­ni­us und der Kö­ni­gin und wünsch­te ihn dem ho­hen Paa­re von Her­zen. Er muß­te so­gar han­deln, als sei der Kampf schon zu sei­nen Guns­ten ent­schie­den; denn in sei­ner Hand ruh­ten die bau­li­chen Vor­be­rei­tun­gen für den Empfang der Sie­ger, und heu­te noch galt es zu be­stim­men, wo die Sta­tue auf­ge­stellt wer­den soll­te, die den An­to­ni­us in ko­los­sa­ler Grö­ße Hand in Hand mit der kö­nig­li­chen Ge­lieb­ten dar­stell­te.

Der Epitrop Mar­di­on, ein Eu­nuch, der Kleo­pa­tra als Re­gent ver­trat, und der Sie­gel­be­wah­rer Zeno, der sel­ten Wi­der­spruch ge­gen ihn er­hob, wünsch­ten sie an ei­nem an­dern Plat­ze wie er auf­ge­stellt zu se­hen. Dem Wun­sche der mäch­ti­gen Lei­ter des Staa­tes stell­te sich be­son­ders der Um­stand ent­ge­gen, daß es zu sei­ner Aus­füh­rung nö­tig ge­we­sen wäre, das Grund­stück ei­nes Pri­vat­man­nes in An­spruch zu neh­men. Daraus konn­ten Schwie­rig­kei­ten er­wach­sen, und das wi­der­stand dem Gor­gi­as. Aber auch als Künst­ler pflich­te­te er dem Pla­ne des Mar­di­on nicht bei; denn auf dem Grund­stücke des Di­dy­mus hät­te die Sta­tue wohl am Mee­re ge­stan­den, wor­auf es dem Re­gen­ten und dem Sie­gel­be­wah­rer an­zu­kom­men schi­en, doch es wäre dort kein Hin­ter­grund für sie zu be­schaf­fen ge­we­sen.

Je­den­falls konn­te der Bau­meis­ter jetzt die La­dung des Cäsa­ri­on be­nüt­zen, um von dem Orte des Stell­dich­eins, den ho­hen Stu­fen des Isi­stem­pels aus, das Bru­chi­um zu über­schau­en und nach dem rech­ten Plat­ze für die Bild­säu­le zu su­chen. Es lag ihm am Her­zen, den ge­eig­nets­ten zu fin­den; denn der Meis­ter, der dies Kunst­werk ge­schaf­fen, war sein Freund ge­we­sen und hat­te kurz nach sei­ner Vollen­dung die Au­gen ge­schlos­sen.

Das Hei­lig­tum, von dem aus Gor­gi­as dies Beo­b­ach­tungs­werk be­gann, lag an ei­ner der schöns­ten Stel­len des Bru­chi­um, dem Quar­tier Alex­an­dri­as, aus dem die Kö­nigs­pa­läs­te mit ih­ren aus­ge­dehn­ten An­ne­xen, die präch­tigs­ten Tem­pel, au­ßer dem in ei­nem an­dern Stadt­vier­tel ge­le­ge­nen Se­ra­pe­um, und die größ­ten Thea­ter sich er­ho­ben, das Forum den Rat der ma­ce­do­ni­schen Bür­ger zu Ver­samm­lun­gen ein­lud und das Mu­se­um den Ge­lehr­ten eine Heim­stät­te bot.

Man nann­te den klei­nen Platz, der den Isi­stem­pel im Os­ten be­grenz­te, den »Mu­sen­win­kel«, we­gen der mar­mor­nen Frau­en­sta­tu­en vor dem Tore des Hau­ses, das mit sei­nem großen Gar­ten den Platz nach Nor­den und dem Mee­re hin ab­schloß und dem al­ten, an­ge­se­he­nen Ge­lehr­ten und Mu­se­ums­mit­glie­de Di­dy­mus ge­hör­te.

Der Tag war heiß ge­we­sen, und der Pro­na­os des Isi­stem­pels bot dem Bau­meis­ter will­kom­me­nen Schat­ten. Dies Hei­lig­tum ruh­te auf ei­nem ho­hen Un­ter­bau, und eine viel­stu­fi­ge Trep­pe führ­te zu der Cel­la1 em­por. Es war dem Gor­gi­as von hier aus weit­hin zu schau­en ge­stat­tet.

Die meis­ten Bau­wer­ke, die sein Auge er­reich­te, stamm­ten aus der Zeit des Alex­an­der und sei­ner Nach­fol­ger aus dem Hau­se der Pto­le­mä­er, ei­ni­ge aber, und nicht die schlech­tes­ten, wa­ren sein, des Gor­gi­as, ei­ge­nes Werk oder das sei­nes Va­ters. Das hob ihm das Herz, und die Brust des Künst­lers füll­te sich beim An­blick die­ses Teils sei­ner Va­ter­stadt mit en­thu­sias­ti­scher Freu­de.

Er war in Rom ge­we­sen, hat­te man­che an­de­re Stadt, die man zu den volk­reichs­ten und präch­tigs­ten zähl­te, ge­se­hen; doch in kei­ner dräng­te sich auf en­gem Raum eine glei­che Fül­le von herr­li­chen Kunst­wer­ken zu­sam­men.

»Und näh­me es ei­ner der Himm­li­schen selbst auf sich,« dach­te er, »für die Be­woh­ner des Olymp eine Wohn­stät­te zu er­bau­en, die ih­rer Grö­ße und Schön­heit ent­sprä­che, viel rei­cher und das künst­le­ri­sche Be­dürf­nis, das wir ja als ihr Ge­schenk be­sit­zen, bes­ser und wür­di­ger be­frie­di­gend könn­te er sie auch nicht ge­stal­ten. An dem Strand ei­nes sol­chen Mee­res hät­te er sie si­cher er­rich­tet.«

Da­bei be­schat­te­te er die scharf bli­cken­den Au­gen mit der Hand, und er, der sonst dem ein­zel­nen, das ihn in An­spruch nahm, die gan­ze Auf­merk­sam­keit zu­wand­te, gönn­te sich heu­te den Ge­nuß, das Ge­samt­bild auf sich ein­wir­ken zu las­sen, zu des­sen letz­ter Vollen­dung auch er das Sei­ne ge­tan. Und wie er an je­dem Tem­pel und Säu­len­gan­ge die be­ab­sich­tig­te und schön zur Vollen­dung ge­lang­te Har­mo­nie der For­men und wei­ter die glück­li­che Zu­sam­men­stel­lung der ein­zel­nen Bau­ten und Bild­säu­len mit dem Ken­ne­r­au­ge er­faß­te, sag­te er sich tief at­mend, sei­ne Kunst sei doch die herr­lichs­te und das Bau­en von al­len kö­nig­li­chen Ver­gnü­gen das höchs­te.

Und die Fürs­ten, die hier seit drei­hun­dert Jah­ren für eine Um­ge­bung ih­rer Pa­läs­te Sor­ge ge­tra­gen, die der Grö­ße ih­rer Macht wie der Üb­er­fül­le ih­res Reich­tums ent­spre­chen und ih­rer Ehr­furcht vor den Göt­tern und ih­rer Freu­de am Schö­nen und an der Kunst greif­ba­re Ge­stalt ge­ben soll­te, hat­ten si­cher­lich das Glei­che ge­dacht. Kein Kö­nigs­ge­schlecht auf Er­den durf­te sich ei­ner herr­li­che­ren Wohn­stät­te rüh­men. Das sag­te sich der Bau­meis­ter, wäh­rend das tie­fe Blau des Mee­res und des Him­mels sich mit dem Lich­te der Son­ne ver­band, um, was Kunst und Witz der Men­schen hier mit un­er­schöpf­li­chen Mit­teln ge­schaf­fen, zur vol­len Gel­tung zu brin­gen.

Das War­ten, das der Viel­be­schäf­tig­te sonst schwer er­trug, ward hier und zu die­ser Stun­de zum Ver­gnü­gen; denn die Strah­len, die dem Dia­dem des Kö­nigs Son­ne nach al­len Sei­ten hin ver­schwen­de­risch ent­ström­ten, über­gos­sen die tau­send wei­ßen Mar­mor­säu­len an den Tem­peln und Wan­del­gän­gen im­mer noch mit leuch­ten­dem Glanz­licht und spie­gel­ten sich in den Flä­chen des po­lier­ten Gra­nits der Obe­lis­ken und in den nicht min­der glat­ten Wän­den von weißem, gel­bem und grü­nem Mar­mor, von Sye­nit und brau­nem ge­spren­kel­tem Por­phyr an Hei­lig­tü­mern und Pa­läs­ten. Sie schie­nen die bun­ten Mo­sa­ik­bil­der, die je­den Fuß breit des Bo­dens be­deck­ten, wo kei­ne Fahr­stra­ße ihn durch­schnitt und kein Baum ihn be­schat­te­te, schmel­zen zu wol­len und prall­ten zu­rück von dem flim­mern­den Me­tall oder der glat­ten Gla­sur der bun­ten Zie­gel an den Dä­chern der Tem­pel und Häu­ser. Hier glit­ten sie blitz­schnell an dem me­tal­le­nen Zie­rat hin, dort schie­nen sie mit dem Glan­ze der ver­gol­de­ten Kup­peln zu kämp­fen, der den ih­ren über­bot, dort wie­der ver­lie­hen sie dem ed­len Grün der mit Pa­ti­na über­zo­ge­nen Bron­ze­flä­chen den leuch­ten­den Glanz des Sma­rag­des. In La­sur­stein und Koral­len schie­nen sie die blau und rot ge­färb­ten Glie­der der wei­ßen Mar­mor­tem­pel und in To­pas ih­ren ver­gol­de­ten Schmuck zu ver­wan­deln. Die Ge­mäl­de auf dem mu­si­vi­schen Bo­den der Plät­ze und an den In­nen­wän­den der Säu­len­gän­ge ho­ben sich jetzt dop­pelt wir­kungs­voll ab von den hel­len Mar­mor­mas­sen, die sie um­ga­ben und die es den Ma­le­rei­en zu dan­ken hat­ten, wenn sie dem Auge statt blen­den­der Ein­tö­nig­keit an­zie­hen­den Wech­sel bo­ten.

Und wie stei­ger­te das Licht der Nach­mit­tags­son­ne die Far­ben­pracht der Fah­nen und Wim­pel, die ne­ben den Obe­lis­ken und ägyp­ti­schen Py­lo­nen, über den Tri­umph­bo­gen, den Tem­peln und Palast­pfor­ten weh­ten! Doch auch das köst­li­che Pur­pur­blau der Fah­ne über dem jetzt von den Kin­dern der Kleo­pa­tra be­wohn­ten Palas­te auf der Halb­in­sel Lo­chi­as ward von der Far­be des Mee­res über­bo­ten, das am na­hen Stran­de in dunklem Azur ruh­te, wäh­rend wei­ter­hin ein tie­fes und hel­le­res Blau sich mit leis be­weg­ten Strei­fen von sat­tem und weiß­li­chem Grün misch­te.

Gor­gi­as pfleg­te die Din­ge ganz zu er­fas­sen, de­nen er ge­stat­te­te, auf sich ein­zu­wir­ken, und wenn die Ge­wohn­heit, je­des her­vor­ra­gen­de Werk aus Men­schen- oder Göt­ter­hand in Zu­sam­men­hang mit sei­ner Kunst zu brin­gen, ihm auch dies­mal treu ge­blie­ben war, so hat­te er doch, hin­ge­ge­ben dem An­blick des ihm so wohl be­kann­ten Bil­des, den Zweck sei­nes Hier­seins nicht ver­ges­sen.

Nein, der Gar­ten des Di­dy­mus war nicht der rech­te Platz für das letz­te Werk des Freun­des!

Als er die ho­hen Pla­ta­nen, Sy­ko­mo­ren und Mi­mo­sen, die das alte Ge­lehr­ten­heim um­ga­ben, noch ein­mal prü­fend ins Auge faß­te, ward es auf dem stil­len Plat­ze un­ter ihm laut; denn al­ler­lei Volk ström­te vor dem Han­se des Di­dy­mus zu­sam­men, als gebe es dort et­was Be­son­de­res zu se­hen.

Was moch­ten die Leu­te von dem zu­rück­ge­zo­ge­nen Man­ne be­geh­ren?

Auf­merk­sam späh­te er hin­über, doch bald wand­te er sich wie­der um; denn von un­ten her klang ihm sein Name mun­ter ent­ge­gen.

Ein son­der­ba­rer Auf­zug hat­te sich dem Tem­pel ge­nä­hert. Ei­ner klei­nen Schar von Be­waff­ne­ten vor­an schritt ein kurz ge­wach­se­ner, vier­schrö­ti­ger Mann, des­sen großes, von bu­schi­gem Ge­lock um­wall­tes Haupt ein dop­pel­ter Lor­beer­kranz schmück­te, und der leb­haft in einen jün­ge­ren hin­ein­sprach. Vor den Stu­fen des Hei­lig­tums war er samt dem Ge­fol­ge ste­hen ge­blie­ben, um den Bau­meis­ter gleich­falls zu be­grü­ßen. Die­ser rief ihm ei­ni­ge freund­li­che Wor­te hin­un­ter. Da mach­te der Be­kränz­te Mie­ne, sich zu ihm hin­auf zu be­ge­ben, sein Beglei­ter aber hielt ihn da­von zu­rück, und nach ei­nem kur­z­en Hin­und­her bot der äl­te­re dem jun­gen Man­ne die Hand, warf das schwe­re Haupt zu­rück und zog, ge­spreizt wie ein Pfau, mit dem Ge­fol­ge wei­ter.

Der an­de­re schau­te ihm ach­sel­zu­ckend nach und rief dann dem Gor­gi­as die Fra­ge zu, was er da oben von der Göt­tin be­geh­re.

»Dei­ne An­we­sen­heit,« ver­setz­te der Bau­meis­ter hei­ter.

»So er­weist Isis sich Dir ge­fäl­lig,« lau­te­te die Ant­wort, und gleich dar­auf schüt­tel­ten die jun­gen Män­ner ein­an­der herz­lich die Hän­de.

Sie wa­ren bei­de gleich wohl und gleich hoch ge­wach­sen; bei­der Ge­sicht und Ant­litz zeug­te für ihre rein grie­chi­sche Her­kunft, ja man hät­te sie für Brü­der hal­ten kön­nen, wenn an dem Bau­meis­ter nicht al­les der­ber und schlich­ter er­schie­nen wäre als an dem an­dern, den er »Dion« und sei­nen Freund nann­te.

Als die­ser die Stim­me er­hob, um den Be­kränz­ten, der ihn eben ver­las­sen, Ana­xe­nor, den be­rühm­ten Zither­spie­ler, dem An­to­ni­us die Ein­künf­te von vier Städ­ten ge­schenkt und ge­stat­tet hat­te, sich eine Leib­wa­che zu hal­ten, mit lus­ti­gem Spot­te zu über­schüt­ten, und Gor­gi­as ihm da­bei mit tiefe­rer Stim­me bald beipflich­te­te, bald ihn durch ver­stän­di­ge Ein­wür­fe zu­rück­hielt, zeig­te es sich deut­lich, wie ver­schie­den die gleich großen Al­ters- und Stam­mes­ge­nos­sen wa­ren.

Wohl be­kun­de­ten bei­de eine für ihre Jah­re un­ge­wöhn­li­che Si­cher­heit; die des Bau­meis­ters aber war die, die der Mann durch Ar­beit und ei­ge­nes Ver­dienst er­wirbt, die des Dion jene, die großer Be­sitz und eine be­vor­zug­te Le­bens­stel­lung dem Un­ab­hän­gi­gen schen­ken. Wer nicht wuß­te, daß Dion im Rate der Stadt durch das Schwer­ge­wicht sei­ner sorg­fäl­tig aus­ge­ar­bei­te­ten Re­den mehr als ein­mal, wo es ihm dar­auf an­ge­kom­men war, den Aus­schlag ge­ge­ben hat­te, der wäre wohl ge­neigt ge­we­sen, ihn für einen je­ner sorg­lo­sen Le­be­män­ner zu hal­ten, an de­nen es un­ter der gol­de­nen Ju­gend Alex­an­dri­as nicht fehl­te, wäh­rend an dem Bau­meis­ter vom Bli­cke des Au­ges bis zu dem der­be­ren Le­der der San­da­le al­les für den Ernst der Ge­sin­nung und die an­spruchs­lo­se Tüch­tig­keit des We­sens zeug­te.

Sie wa­ren Freun­de ge­wor­den, als Gor­gi­as für den Dion an Stel­le des al­ten Palas­tes sei­ner Fa­mi­lie einen neu­en er­baut hat­te. In lan­gem ge­schäft­li­chem Ver­keh­re kommt der eine dem an­dern nahe, wenn es sich nicht nur um Vor­schrift und Aus­füh­rung han­delt. Aber der Auf­trag­ge­ber war in die­sem Fal­le nur der Wün­schen­de und zu Be­ra­ten­de, der Künst­ler aber der warm­her­zi­ge Freund ge­we­sen, dem es dar­auf an­kommt, sein Bes­tes dar­an zu set­zen, um zu ver­wirk­li­chen, was dem an­dern als das höchs­te Er­reich­ba­re vor­schwebt. So wa­ren sie ein­an­der wert und end­lich schwer ent­behr­lich ge­wor­den. Wie der Bau­meis­ter in dem rei­chen jun­gen Welt­man­ne vie­les ent­deckt hat­te, was er nicht in ihm ver­mu­tet, so war je­ner freu­dig über­rascht ge­we­sen, in dem Künst­ler mit dem ge­die­ge­nen Ernst einen gu­ten Ge­sel­len zu fin­den, dem es -- das mach­te ihm den Freund erst recht lieb -- kei­nes­wegs an Schwä­chen fehl­te.

Als der Palast zur Zufrie­den­heit des Dion und als viel­ge­prie­se­ne Zier­de der Stadt vollen­det war, ge­wann die Freund­schaft der jun­gen Män­ner eine neue Ge­stalt, und es wäre schwer zu sa­gen ge­we­sen, wem sie mehr ge­bo­ten habe.

Vor­hin war Dion von dem Zither­spie­ler auf­ge­hal­ten wor­den, dem es um die Be­stä­ti­gung der Nach­richt zu tun war, daß die ver­ein­te Streit­macht des An­to­ni­us und der Kleo­pa­tra einen großen Sieg zu Was­ser und zu Lan­de er­foch­ten habe.

In dem Spei­se­hau­se zu Ka­no­pus, wo er ge­früh­stückt, sei al­les voll von der fro­hen Kun­de ge­we­sen, und man habe viel Wein auf das Wohl der Sie­ger und den Un­ter­gang ih­res tücki­schen Fein­des ge­trun­ken.

»Mich,« rief Dion, »hält in die­ser Zeit nicht nur ein Schwach­kopf wie der Zither­spie­ler für all­wis­send, son­dern auch man­cher Ver­stän­di­ge. Und wes­we­gen? Weil ich der Nef­fe des Sie­gel­be­wah­rers Zeno bin, der selbst ver­zwei­feln möch­te, weil er nichts weiß, auch nicht das Ge­rings­te.«

»Doch er steht dem Re­gen­ten am nächs­ten,« be­merk­te Gor­gi­as, »und wenn ei­ner, so muß er doch er­fah­ren, wie es um die Flot­te be­stellt ist.«

»Auch Du!«, seufz­te der an­de­re. »Hät­te ich so viel auf Gerüst und Mau­er hoch über dem Bo­den zu ste­hen wie Du, der Archi­tekt, -- beim Hun­de, es wäre mir nicht ent­gan­gen, wo­her der Wind weht. Von Sü­den bläst er nun schon vol­le vier­zehn Tage und hält die von Nor­den kom­men­den Schif­fe zu­rück. Nichts weiß der Re­gent, gar nichts, und der Oheim na­tür­lich eben­so­we­nig. Wenn sie aber den­noch et­was wis­sen, sind sie klug ge­nug, mei­ne Kennt­nis­se nicht da­mit zu be­rei­chern.«

»Es ge­hen frei­lich auch an­de­re Gerüch­te,« sag­te der Bau­meis­ter be­denk­lich. »Wenn ich an der Stel­le des Mar­di­on wäre ...«

»Dan­ke den Olym­pi­ern, daß Du es nicht bist.« lach­te der an­de­re. »Er steckt in Sor­gen wie der Fisch in den Schup­pen. Und die eine, die größ­te ... Der Grün­schna­bel An­tyl­lus ver­brann­te sich da­mit ges­tern bei der Ba­ri­ne die Lip­pen. Ar­mer Schelm! Da­heim be­kam er es si­cher mit dem Hof­meis­ter zu tun.«

»Du meinst die Be­mer­kung über die An­we­sen­heit der Kö­ni­gin bei der Flot­te?«

»Pst!«, un­ter­brach ihn hier Dion und leg­te den Fin­ger auf den Mund; denn vie­le Män­ner und Wei­ber er­stie­gen die Stu­fen des Tem­pels. Meh­re­re tru­gen Blu­men und Ku­chen in der Hand, und auf den Zü­gen der meis­ten sprach fro­he Her­zens­be­we­gung. Auch ih­nen war eine Sie­ges­nach­richt zu Ohren ge­kom­men, und sie wünsch­ten nun der Göt­tin zu op­fern, die Kleo­pa­tra, »die neue Isis«, al­len an­de­ren vor­zog.

In dem ers­ten Vor­rau­me des Hei­lig­tums ging es le­ben­dig her. Man hör­te das Zu­sam­menklin­gen der Rin­ge am Si­strum und den mur­meln­den Ge­sang pries­ter­li­cher Stim­men. Der stil­le Pro­na­os des klei­nen Hei­lig­tums der Göt­tin, das hier in dem grie­chi­schen Pa­läs­te­vier­tel so we­nig be­sucht wur­de, wie der große Isi­stem­pel in der Rha­ko­tis über­füllt zu sein pfleg­te, war jetzt ein mög­lichst un­güns­ti­ger Platz für ein Stell­dich­ein von Män­nern ge­wor­den, die den Lei­tern des Staa­tes so nahe stan­den. Was An­tyl­lus, der neun­zehn­jäh­ri­ge Sohn des An­to­ni­us, bei der Ba­ri­ne, ei­ner schö­nen jun­gen Frau, de­ren Haus al­les an­zog, was un­ter der Män­ner­welt Alex­an­dri­as et­was galt, ges­tern abend über die Kö­ni­gin ge­sagt, war um so un­vor­sich­ti­ger ge­we­sen, je mehr es der Mei­nung der Ver­stän­di­gen ent­sprach. Der leicht­fer­ti­ge Jüng­ling hing mit schwär­me­ri­scher Ver­eh­rung an dem Va­ter, Kleo­pa­tra aber, die Ge­lieb­te und in den Au­gen der Ägyp­ter die Ge­mah­lin des An­to­ni­us, war nicht sei­ne Mut­ter. Ful­via, die ers­te Gat­tin sei­nes Va­ters, hat­te ihm das Le­ben ge­ge­ben, er fühl­te sich Rö­mer und wäre tau­send­mal lie­ber am Ti­ber ge­we­sen als hier. Dazu stand es fest, und die treues­ten Freun­de sei­nes Va­ters mach­ten dar­aus kein Hehl, daß die An­we­sen­heit der Kö­ni­gin beim Hee­re den An­to­ni­us stö­re und den fri­schen Wa­ge­mut des küh­nen Rei­ter­ge­ne­rals be­ein­träch­ti­gen müs­se. Das hat­te An­tyl­lus mit der ihm ei­ge­nen, vom Va­ter er­erb­ten un­vor­sich­ti­gen Of­fen­heit vor al­len Gäs­ten der Ba­ri­ne aus­ge­spro­chen, und zwar in ei­ner Form, die zu Alex­an­dria, wo man der­glei­chen lieb­te, nur zu schnell Ver­brei­tung fin­den konn­te.

Zu den be­schei­de­nen Leu­ten, die die Sie­ges­bot­schaft in den Tem­pel zog, drang der­glei­chen lang­sam, doch man­cher moch­te den Na­mens­kö­nig Cäsa­ri­on ken­nen, den der Bau­meis­ter hier er­war­te­te. Es schi­en des­we­gen ge­ra­ten, den Sohn der Kö­ni­gin am Fuße der Trep­pe zu emp­fan­gen. Bei­de stie­gen dar­um auf den Platz hin­ab; doch das Au­fund­nie­der­schrei­ten wur­de ih­nen von den Leu­ten, die hier den Tem­pel auf­such­ten, dort vor dem Hau­se des Ge­lehr­ten im­mer zahl­rei­cher zu­sam­men­ström­ten, er­schwert.

Es ver­lang­te bei­de, zu wis­sen, ob sich das Gerücht, man wol­le dem Di­dy­mus den Gar­ten neh­men, um die Sta­tue dort auf­zu­stel­len, schon ver­brei­tet habe, und die ers­ten Fra­gen lehr­ten, daß es sich in der Tat so ver­hal­te. Es hieß so­gar, das Haus des Ge­lehr­ten sol­le ab­ge­ris­sen wer­den, und zwar schon in ei­ni­gen Stun­den. Da­ge­gen er­hob sich hef­ti­ger Wi­der­spruch; doch ein lang auf­ge­schos­se­ner Mann schi­en es auf sich ge­nom­men zu ha­ben, das ge­walt­tä­ti­ge Vor­ge­hen der Macht­ha­ber zu ver­tei­di­gen.

Die Freun­de kann­ten ihn wohl. Es war der Sy­rer Phi­lo­stra­tus, ein ge­schick­ter Steg­rei­fred­ner und Volks­auf­wieg­ler, der die schlech­tes­ten An­sprü­che ver­tei­dig­te und die ge­wand­te Zun­ge demje­ni­gen zur Ver­fü­gung stell­te, der am bes­ten be­zahl­te.

»Jetzt,« sag­te Dion, »steht der Wicht wohl im Diens­te mei­nes Oheims. Der Ge­dan­ke, das Bild­werk da drü­ben auf­zu­stel­len, kommt ja von ihm, und ihn von der­glei­chen ab­zu­brin­gen hält schwer. Hier wird es sich dazu um ver­bor­ge­ne Ne­ben­zwe­cke han­deln. Daß sie ge­ra­de den Phi­lo­stra­tus kauf­ten! Ob der An­schlag nicht gar mit der Ba­ri­ne zu­sam­men­hängt, de­ren Gat­te der Sach­wal­ter doch lei­der war, be­vor er sie vers­tieß.«

»Vers­tieß!«, fiel ihm Gor­gi­as un­ge­hal­ten ins Wort. »Wie das klingt! Er tat es frei­lich; doch um ihn dazu zu be­we­gen, op­fer­te die Be­kla­gens­wer­te die Hälf­te des schö­nen Ver­mö­gens, das ih­rem Va­ter der Pin­sel ein­ge­bracht hat­te und mehr. So gut wie ich weißt Du, daß ihr das Le­ben an der Sei­te die­ses Elen­den un­er­träg­lich wur­de.«

»Ganz recht,« ver­setz­te Dion ge­las­sen. »Da ganz Alex­an­dria bei ih­rem Ge­san­ge des Ja­le­mos am Ado­nis­fes­te in Be­wun­de­rung zer­schmolz, be­durf­te sie des er­bärm­li­chen Ge­fähr­ten nicht län­ger.«

»Wie kann es Dich nur freu­en, auf die Frau, die Du ges­tern noch ta­del­los nann­test, an­mu­tig, ein­zig, wo es nur an­geht, sol­che Schat­ten zu wer­fen?«

»Da­mit das hel­le Licht, das von ihr aus­geht, Dir die Au­gen nicht ganz und gar blen­de. Ich weiß, wie emp­find­lich sie sind.«

»So scho­ne sie, statt sie zu rei­zen. Üb­ri­gens gibt Dei­ne Ver­mu­tung zu den­ken. Ba­ri­ne ist die En­ke­lin des Man­nes, dem sie an den Gar­ten wol­len, und der Sach­wal­ter flickt bei­den wohl gern et­was am Zeu­ge. Aber ich ver­der­be ihm das Spiel. An mir ist es, den Platz für die Sta­tue zu be­stim­men.«

»An Dir?«, un­ter­brach ihn der an­de­re. »Wenn sich kein Mäch­ti­ge­rer vor Dich hin­stellt. Ich woll­te den Oheim schon ge­win­nen, aber auch vor ihm steht noch die­ser und je­ner. Die Kö­ni­gin ist zwar fort; doch Iras, de­ren Be­feh­le auch nicht in der Lust ver­hal­len, sag­te mir noch heu­te mor­gen, sie habe über die Aus­s­tel­lung der Bild­säu­le ei­ge­ne Ge­dan­ken.«

»So bist Du es,« rief der Bau­meis­ter, »der den Phi­lo­stra­tus hie­her führt!«

»Ich?«, frug der an­de­re er­staunt.

»Ja, Du!«, ver­si­cher­te Gor­gi­as. »Sag­test Du mir nicht selbst, daß Iras, mit der Du als Kna­be spiel­test, Dir jetzt un­be­quem wer­de, weil sie je­den Dei­ner Schrit­te be­laue­re? Und dann ... Du bist ein flei­ßi­ger Be­su­cher Ba­ri­nes, und sie zieht Dich uns al­len so sicht­lich vor, daß es Iras leicht zu Ohren ge­kom­men sein könn­te.«

»Wie Ar­gos hun­dert, so hat die Ei­fer­sucht tau­send Au­gen im Kop­fe,« un­ter­brach ihn der Freund, »und doch will ich nichts von Ba­ri­ne, als in die­ser lang­wei­li­gen Zeit des War­tens, wenn der Tag sich neigt, zwei an­ge­neh­me Stun­den. Gleich­viel! Iras -- das ist die Mei­nung -- hör­te, die ge­fei­er­te Frau sei mir ge­wo­gen. -- Iras ist mir selbst ein we­nig gut, und dar­um kauf­te sich die näm­li­che Iras den Phi­lo­stra­tus. Sie ließ es sich et­was kos­ten, um der­je­ni­gen, die sich zwi­schen sie und mich stellt, oder doch um dem al­ten Man­ne, der das Glück oder Un­glück hat, der Groß­va­ter ih­rer Ne­ben­buh­le­rin zu sein, et­was Übles zu­zu­fü­gen? Nein, nein. Das wäre zu nied­rig! Und -- glau­be mir! -- wenn Iras eine Ba­ri­ne zu Grun­de rich­ten woll­te, sie brauch­te da­für kei­nen so lan­gen und häß­li­chen Um­weg. Au­ßer­dem ist sie nicht ge­ra­de bös. Oder ist sie es den­noch? Ich weiß nur, daß sie, wo es et­was für die Kö­ni­gin zu er­rei­chen gilt, auch be­denk­li­che Mit­tel nicht scheut, und fer­ner, daß ei­nem bei ihr die Stun­den be­son­ders schnell ver­flie­gen. Ja, Iras, Iras ... Ich spre­che den Na­men gern aus. Und ich lie­be sie doch nicht, und sie -- sie liebt nur sich selbst, und, das kön­nen we­ni­ge von sich sa­gen, eine zwei­te noch mehr. Was gilt ihr die Welt, was gel­te ich ihr ne­ben der Kö­ni­gin, dem Ab­gott ih­res Her­zens? Seit sie fort ist, kommt sie sich vor wie die ver­las­se­ne Ari­ad­ne, -- wie ein jun­ges Reh, das sich von der Mut­ter ver­irr­te. Aber war­te ein­mal, sie hat da die Hand viel­leicht doch mit im Spie­le; die Kö­ni­gin ver­traut ihr wie ei­ner Schwes­ter, wie der ei­ge­nen Toch­ter. Nie­mand weiß, was sie und die Char­mi­on ihr sind. Kam­mer­frau­en wer­den sie ge­nannt, und Her­zens­freun­din­nen sind sie der Her­rin. Als Kleo­pa­tra Iras beim Auf­bruch der Flot­te hier las­sen muß­te, -- sie lag da­mals im Fie­ber -- be­fahl sie ihr, auf die Kin­der zu ach­ten. Auch auf die mit dem spros­sen­den Bar­te: den ›Kö­nig der Kö­ni­ge‹, Cäsa­ri­on, dem der Hof­meis­ter für je­den Un­ge­hor­sam eins mit dem Szep­ter ver­setzt, und den un­bän­di­gen Bur­schen An­tyl­lus, der sich an den letz­ten Aben­den zu un­se­rer Freun­din dräng­te.«

»An­to­ni­us, der ei­ge­ne Va­ter, führ­te ihn zu ihr.«

»Ganz recht, und An­tyl­lus brach­te ihr den Cäsa­ri­on. Das geht der Iras ge­gen den Strich, wie al­les, was der Kö­ni­gin Ver­druß be­rei­ten könn­te. Ba­ri­ne ist ihr, um Kleo­pa­tras wil­len, der sie ein Är­ger­nis spa­ren will, un­be­quem und viel­leicht um mei­net­we­gen ein we­nig ver­haßt. Nun läßt sie dem Al­ten, den Ba­ri­ne liebt, ih­rem Groß­va­ter, et­was an­tun, das die ver­wöhn­te, un­vor­sich­ti­ge Frau kaum ru­hig hin­neh­men und das sie rei­zen wird, eine Tor­heit zu be­ge­hen, die et­was ge­gen sie zu un­ter­neh­men ge­stat­tet. Ans Le­ben will Iras ihr kaum, doch sie denkt viel­leicht an Ver­ban­nung oder der­glei­chen. Sie kennt die Men­schen so gut wie ich sie, das Nach­bar­kind, ken­ne, das ich man­ches lie­be Mal von dem Bau­me he­ben muß­te, auf den das kat­zen­f­lin­ke Ding sich da­mals ver­klet­tert.«

»Ich brach­te Dich ja selbst auf die­se Ver­mu­tung, doch so un­wür­di­ge Rän­ke trau’ ich ihr den­noch nicht zu,« fiel ihm Gor­gi­as un­gläu­big ins Wort.

»Was ich ihr zu­traue?«, frag­te der an­de­re leb­haft. »Ich ver­set­ze mich nur in Ge­dan­ken an den Hof und in die See­le des Wei­bes, das dort mit­hilft, Re­gen und Son­nen­schein zu ma­chen. Du läßt Säu­len run­den und Bal­ken be­hau­en, da­mit sie spä­ter das Dach tra­gen, auf das Du die Auf­merk­sam­keit rich­ten wirst, wenn die Zeit dazu kommt. Sie und alle, die bei Hofe mit­zu­spre­chen ha­ben, fas­sen das Dach zu­erst ins Auge, und dann su­chen sie gleich­viel was zu­sam­men, um es in die Höhe zu brin­gen und zu stüt­zen. Es kön­nen auch Lei­chen da­bei sein, ver­nich­te­te Exis­ten­zen und ge­bro­che­ne Her­zen. Worauf es an­kommt, ist, daß das Dach so lan­ge ste­hen bleibt, bis es der Bau­herr -- die Kö­ni­gin -- sah und für gut er­klär­te. Das an­de­re ... Aber der Wa­gen dort ... Er bringt wohl ... Du woll­test ...«

Hier stock­te er, leg­te die Hand auf den Arm des Freun­des und raun­te ihm has­tig zu: »Die Iras steckt si­cher da­hin­ter, und es ist nicht der An­tyl­lus, son­dern nur der kopf­hän­ge­ri­sche Kna­be dort, für den sie sich regt. Als sie vor­hin von der Sta­tue sprach, frug sie in glei­chem Atem nach ihm und ob ich ihn vor­ges­tern abend ge­se­hen, und ge­ra­de vor­ges­tern war auch er bei der Ba­ri­ne. Auf sie ist der An­schlag ge­münzt, und Iras macht gan­ze Ar­beit. Die Maus fängt sich nicht, wo die Fal­le ver­schlos­sen ist, und Iras er­hebt schon die klei­ne Hand, um sie zu öff­nen.«

»Wenn sie kei­ne Män­ner­hand aus­hält,« ver­setz­te der Bau­meis­ter un­wil­lig und wand­te sich dann dem Wa­gen und dem äl­te­ren Man­ne zu, der ihm eben ent­stie­gen war und jetzt ge­ra­de­wegs auf die Freun­de zu­schritt.

in an­ti­ken Tem­peln der Haup­traum, in dem das Göt­ter­bild stand  <<<

Zweites Kapitel

Dion woll­te sich be­schei­den ent­fer­nen, als der Beglei­ter des Cäsa­ri­on auf ihn und den Freund zu­trat und sie be­grüß­te. Er war mit bei­den ver­traut und bat auch je­nen, zu blei­ben. Es lag et­was Ge­mes­se­nes und Ab­ge­klär­tes in der Stim­me und den ru­hi­gen Be­we­gun­gen die­ses großen, breit­schul­te­ri­gen Man­nes mit dem star­ken Kör­per und den mäch­tig ent­wi­ckel­ten Glie­dern. Zwar stand er erst in der Mit­te der Vier­zi­ger, doch wies nicht nur sein er­grau­tes großes Haupt, son­dern auch die gan­ze ge­las­se­ne, Ach­tung ge­bie­ten­de Wei­se auf ein hö­he­res Al­ter.

»Der jun­ge Kö­nig dort,« be­gann er mit ei­ner Stim­me von tie­fem, ein­neh­men­dem Klang, in­dem er auf den Wa­gen wies, »wünsch­te Dich, mein Gor­gi­as, hier per­sön­lich zu spre­chen, doch auf mei­nen Rat un­ter­läßt er es, sich un­ter der Men­ge zu zei­gen. Ich füh­re ihn im ge­schlos­se­nen Wa­gen hie­her. -- Ist es Dir ge­nehm, so stei­ge zu ihm ein und höre ihn an, wäh­rend ich mich hier um­schaue. Es schei­nen merk­wür­di­ge Din­ge vor­zu­ge­hen -- und da -- oder täu­sche ich mich? Ist das Un­ge­tüm, das da her­an­ge­schleppt wird, etwa schon die Sta­tue der Kö­ni­gin und ih­res Freun­des? Warst Du es selbst, Gor­gi­as, der die­sen Platz für sie wähl­te?«

»Nein,« ent­geg­ne­te der Bau­meis­ter be­stimmt. »Die­ser Trans­port wur­de so­gar über mich hin und ge­gen mei­nen Wil­len be­foh­len.«

»Das dach­te ich,« er­wi­der­te der an­de­re. »Cäsa­ri­on wünscht Dich ge­ra­de we­gen die­ser Bild­säu­le zu spre­chen. Kannst Du ihre Auf­stel­lung auf dem Grund und Bo­den des Di­dy­mus ver­hin­dern, -- um so bes­ser. Was an mir liegt, tue ich gern, um Dir Bei­stand zu leis­ten; doch in Ab­we­sen­heit der Kö­ni­gin ver­mag ich nur we­nig.«

»Was soll ich dann über mei­nen Ein­fluß sa­gen?«, frug der Bau­meis­ter. »Wer weiß denn in die­ser Zeit auch nur, ob der Him­mel mor­gen blau sein wird oder grau? Nur eins steht bei mir fest: Was an mir liegt, das soll ge­sche­hen, um die­se Schä­di­gung ei­nes acht­ba­ren Bür­gers, die­sen Ein­griff in das Ge­setz un­se­rer Stadt und dazu eine Krän­kung des gu­ten Ge­schmackes zu ver­hin­dern.«

»Sage das dem jun­gen Kö­ni­ge, doch auch das nur mit Vor­sicht,« bat Archi­bi­us, wäh­rend der Bau­meis­ter sich wand­te, um dem Wa­gen ent­ge­gen­zu­schrei­ten.

So­bald Dion und der äl­te­re Mann al­lein wa­ren, such­te sich je­ner über den Grund des wach­sen­den Aufruhrs zu un­ter­rich­ten, und da er wie je­der wohl­ge­sinn­te Alex­an­dri­ner den Archi­bi­us hoch­hielt und es ihm be­kannt war, daß er mit dem Be­sit­zer des ge­fähr­de­ten Gar­tens und dar­um auch mit sei­ner En­ke­lin Ba­ri­ne be­kannt sei, ver­trau­te er ihm rück­halt­los, was er be­sorg­te.

»Iras,« sag­te er in sei­ner of­fe­nen Wei­se, »ist ja Dei­ne Nich­te, doch weiß ich, daß Du sie kennst. Jetzt ge­fällt es ihr, ei­ner, der sie übel ge­sinnt ist und die sie für un­vor­sich­tig hält, einen gol­de­nen Ap­fel in den Weg zu le­gen, da­mit sie ihn auf­le­se und ihr An­laß gebe, sie als Die­bin zu ver­kla­gen.«

Als ihn der fra­gen­de Blick des Archi­bi­us bei die­sem Gleich­nis­se traf, än­der­te er den Ton und fuhr erns­ter fort: »Zeus ist groß, doch über ihm steht das Schick­sal. Mein Oheim Zeno ver­mag viel, wenn aber Iras und Dei­ne Schwes­ter Char­mi­on, die jetzt lei­der bei der Kö­ni­gin weilt, et­was durch­zu­set­zen wün­schen, so streicht er wie der Re­gent Mar­di­on die Se­gel. Je lie­bens­wer­ter Kleo­pa­tra ist, de­sto ge­wis­ser hält je­der den Platz in ih­rer Nähe hö­her als al­les an­de­re, und be­son­ders hö­her als sol­che Klei­nig­kei­ten wie Recht und Ge­setz.«

»Das sind har­te Wor­te,« un­ter­brach ihn der an­de­re, »und sie schei­nen mir um so bit­te­rer, einen je grö­ße­ren Kern von Wahr­heit sie ent­hal­ten. Un­ser Hof teilt das Ge­schick je­des an­dern im Mor­gen­lan­de, und wem Rom frü­her das Bei­spiel gab, Recht und Ge­setz hei­lig zu hal­ten ...«

»Der,« fiel ihm Dion ins Wort, »mag jetzt dort­hin ge­hen, um zu er­fah­ren, wie roh man bei­de mit Fü­ßen tritt. Die Macht­ha­ber hier und dort dür­fen über ein­an­der lä­cheln wie die Au­gu­ren. Es sind glei­che Brü­der ...«

»Doch mit dem Un­ter­schie­de,« be­merk­te Archi­bi­us, »daß an der Spit­ze un­se­res Ge­mein­we­sens die Lie­bens­wür­dig­keit und An­mut in ei­ge­ner Per­son ste­hen, wäh­rend in Rom das Ge­gen­teil da­von: rau­he Här­te und blu­ti­ger Über­mut oder auch wid­ri­ge Krie­che­rei die Zü­gel füh­ren.«

Hier un­ter­brach Archi­bi­us sich selbst und wies auf eine Schar von schrei­en­den Leu­ten, die auf sie zu­kam; Dion aber sag­te: »Du hast recht. Ver­schie­ben wir dies auf ein Ge­spräch im Hau­se der an­mu­ti­gen Ba­ri­ne. Aber ich tref­fe Dich dort nur sel­ten, und doch stan­dest Du ih­rem Va­ter so nahe, und es gibt stets et­was För­der­li­ches bei ihr zu hö­ren. Ich bin ihr Freund. Das könn­te in mei­nem Al­ter leicht so viel hei­ßen wie ihr Ge­lieb­ter. Doch in un­se­rem Fal­le wür­de die Glei­chung nicht stim­men. Vi­el­leicht glaubst Du mir; denn Du hast ja selbst das Recht, Dich den Freund der ver­füh­re­rischs­ten al­ler Frau­en zu nen­nen.«

Da flog ein weh­mü­ti­ges Lä­cheln über das erns­te, derb ge­schnit­te­ne Ant­litz des Vier­zi­gers, und in­dem er die Hand wie zur Ab­wehr be­weg­te, ent­geg­ne­te er leicht­hin:

»Ich wuchs mit Kleo­pa­tra her­an, aber der ge­rin­ge Mann liebt eine Kö­ni­gin nur wie die Gott­heit. An Dei­ne Freund­schaft mit Ba­ri­ne glau­be ich gern, doch hal­te ich sie für ge­fähr­lich.«

»Wenn Du da­mit meinst, sie kön­ne der lie­bens­wer­ten Frau scha­den,« ver­setz­te Dion und er­hob das Haupt hö­her, wie um an­zu­deu­ten, daß er auch von ihm kei­ner War­nung be­dür­fe, »bist Du viel­leicht im Rech­te. Nur bit­te ich Dich, mich nicht miß­zu­ver­ste­hen. Ich bin nicht ei­tel ge­nug, um an­zu­neh­men, ich kön­ne ih­rem Her­zen et­was an­tun; doch lei­der gibt es vie­le, die der jun­gen Frau die An­zie­hungs­kraft nicht ver­zei­hen, die sie auf mich übt wie auf uns alle. So vie­le Män­ner das Haus der Ba­ri­ne gern be­su­chen, so vie­le Wei­ber muß es mit Not­wen­dig­keit ge­ben, de­nen es Freu­de ma­chen wür­de, es zu schlie­ßen. Zu ih­nen ge­hört na­tür­lich auch Iras. Sie grollt mei­ner Freun­din, ja ich fürch­te, was Du dort drü­ben siehst, ist der Ap­fel, den sie hin­warf, um sie da­mit wenn nicht zu ver­der­ben, so doch aus der Stadt zu ent­fer­nen, be­vor die Kö­ni­gin -- mö­gen die Göt­ter ihr Sieg ver­lei­hen! -- be­vor Kleo­pa­tra heim­kehrt. Du kennst Iras, die ja Dei­ne Nich­te. Wie Dei­ne Schwes­ter Char­mi­on scheut sie sich vor nichts, wenn es gilt, der Kö­ni­gin eine Sor­ge oder einen Ver­druß aus dem Wege zu räu­men, und es wird Kleo­pa­tra schwer­lich er­freu­en, wenn sie hört, daß die bei­den Kna­ben, de­ren Wohl ihr am Her­zen liegt, An­tyl­lus wie Cäsa­ri­on, den Weg zu ei­ner Ba­ri­ne -- wie rein ihr Ruf auch sein mag -- fan­den.«

»Ich er­fuhr es vor­hin,« ent­geg­ne­te Archi­bi­us, »und auch mich macht es be­sorgt. Der Sohn des An­to­ni­us hat viel von der un­er­sätt­li­chen Ge­nuß­lust des Va­ters. Aber Cäsa­ri­on! Er wag­te sich noch nicht aus dem Traum­da­sein, das ihn um­fängt, hin­aus in das Le­ben. Was an­de­re kaum wahr­neh­men, schlägt ihm eine Wun­de. Für ihn spitzt Eros, fürcht’ ich, tief ins Herz drin­gen­de Pfei­le. Als er bei mir vor­sprach, fand ich ihn selt­sam ver­än­dert. Wie ei­nem Trun­ke­nen leuch­te­ten ihm die Träu­me­rau­gen, als er von Ba­ri­ne er­zähl­te. Ich fürch­te, ich fürch­te --«

»Das wäre!«, rief Dion über­rascht, ja bei­na­he er­schreckt. »Wenn es so steht, ist Iras nicht völ­lig im Un­recht, und wir ha­ben die Sa­che an­ders zu wen­den. Vor al­len Din­gen muß ver­schwie­gen blei­ben, daß Cäsa­ri­on sich in die An­ge­le­gen­heit des al­ten Haus­be­sit­zers da drü­ben ein­mischt. Daß man dem Grei­se zu er­hal­ten sucht, was sein ist, ver­steht sich von selbst, und ich neh­me es auf mich und will dem Steg­rei­fred­ner -- sieh nur, wie der Prahl­hans im Diens­te der Iras die Arme schwingt! -- heim­zu­leuch­ten ver­su­chen. Was die Ba­ri­ne an­geht, wird es gut tun, sie zu be­we­gen, frei­wil­lig die Stadt zu ver­las­sen, wo man ihr den Bo­den so heiß macht. Du, wür­di­ger Mann, su­che sie da­hin zu brin­gen. Wenn ich ihr mit sol­chem An­sin­nen käme, ich, der ich erst ges­tern ... Nein, nein! Sie hör­te oh­ne­hin, daß Iras und ich ... Sie wür­de al­ler­hand Tor­hei­ten ver­mu­ten. Du kennst die Ei­fer­sucht. Auf Dich, den sie hoch­hält, hört sie ge­wiß, ich weiß es, und sie braucht sich ja nicht weit zu ent­fer­nen. Ist das Herz die­ses schwär­me­ri­schen Kna­ben, dem es doch ein­mal ein­fal­len könn­te, nicht nur ›der Kö­nig der Kö­ni­ge‹ hei­ßen zu wol­len, ernst­lich für die Ba­ri­ne ent­brannt, wie schwe­res Un­heil kann dar­aus ent­ste­hen! Wir müs­sen sie vor ihm in Si­cher­heit brin­gen. Auf mein Land­gut un­ter den Pa­py­rus­pflan­zun­gen bei Se­ben­ny­tus darf sie nicht. Es käme den bö­sen Zun­gen gar zu ge­le­gen. Aber Du ... Dei­ne Vil­la bei Ka­no­pus ist frei­lich zu nahe -- aber Du hast ja, wenn ich nicht irre --«

»Mein Gut im See­land ist weit ge­nug ent­fernt, und es steht ihr zur Ver­fü­gung,« ver­setz­te der an­de­re. »Das Haus ist im­mer zu mei­ner Auf­nah­me be­reit; ich wer­de das Mei­ne tun, um sie zu über­re­den; denn Dein Rat ist ver­stän­dig. Aus den Au­gen muß sie dem Kna­ben!«

»Ich aber,« fuhr Dion eif­rig fort, »wer­de mich mor­gen von dem Er­fol­ge Dei­ner Sen­dung un­ter­rich­ten; -- ja schon heu­te abend. Wil­ligt sie ein, so er­zäh­le ich der Iras wie von un­ge­fähr, daß sie nach Oberägyp­ten gehe, um fri­sche Milch zu trin­ken. Sie ist klug, und es wird ihr lieb sein, wenn sie sich in die­ser Zeit, die über das Ge­schick Kleo­pa­tras und der Welt ent­schei­den soll, der­glei­chen Klei­nig­kei­ten fern hal­ten kann.«

»Auch mei­ne Ge­dan­ken sind bei dem Hee­re im­mer und im­mer,« sag­te Archi­bi­us. »Wie nich­tig ist al­les an­de­re ne­ben der Ent­schei­dung, die uns in die­sen Ta­gen be­vor­steht! Aber das Le­ben setzt sich aus Klei­nem zu­sam­men. Das nährt und tränkt und er­hält uns! Kehrt die Kö­ni­gin auch als Sie­ge­rin heim und fin­det den Cäsa­ri­on auf falschen We­gen ...«

»Man muß sie ihm ver­schlie­ßen!«, rief der an­de­re.

»Da­mit der Kna­be der Ba­ri­ne nicht nach­reist, meinst Du?«, frug Archi­bi­us und schüt­tel­te lei­se das Haupt. »Das, denk’ ich, ha­ben wir nicht zu be­sor­gen. Er wird der­glei­chen wohl leb­haft ge­nug be­geh­ren, doch zwi­schen dem Ver­lan­gen und dem Voll­brin­gen fließt bei ihm ein brei­ter Strom. Der An­tyl­lus ist an­ders ge­ar­tet. -- Er wäre im stan­de, sich das Pferd sat­teln oder an ei­nem Boo­te die Se­gel aus­span­nen zu las­sen, um ihr nach­zu­ei­len, -- tut es not, bis über den Ka­ta­rakt. Da­rum müs­sen wir auch aufs strengs­te ver­schwei­gen, wo­hin Ba­ri­ne sich frei­wil­lig ver­bannt.«

»Ich sehe sie noch nicht un­ter­wegs,« füg­te Dion mit ei­nem lei­sen Seuf­zer hin­zu. »Sie hängt an die­ser Stadt wie mit Ket­ten und Ban­den.«

»Ich weiß es,« be­stä­tig­te der äl­te­re die Be­fürch­tung des jün­ge­ren Man­nes; die­ser aber wies auf den Wa­gen und sag­te schnell und dring­lich:

»Gor­gi­as winkt. Doch be­vor wir schei­den: set­ze al­les dar­an, Ba­ri­ne von hier zu ent­fer­nen. Sie ist ernst­lich be­droht. Ver­schwei­ge ihr nichts und sage ihr, all­zu lan­ge wür­den die Freun­de sie nicht in der Ein­sam­keit las­sen.«

Da droh­te Archi­bi­us dem Jüng­lin­ge mit der Hand und ei­nem viel­sa­gen­den Bli­cke und trat mit ihm dem ver­schlos­se­nen Wa­gen ent­ge­gen.

Das wohl­ge­form­te, doch blas­se Ge­sicht des Cäsa­ri­on, das dem sei­nes Va­ters, des großen Cäsar, Zug für Zug gleich sah, schau­te ih­nen aus der Öff­nung über dem Schla­ge ent­ge­gen, und er be­grüß­te bei­de mit ei­ner ge­mes­se­nen Nei­gung des Haup­tes und ei­nem gön­ner­haf­ten Auf­schlag der Au­gen. Sie hat­ten vor­hin, als er den äl­te­ren Freund nach Wo­chen wie­der sah, in kna­ben­haf­ter Wei­se hell aus­ge­leuch­tet, dem Frem­den aber wünsch­te er sich als Kö­nig zu zei­gen. Er woll­te ihm zu füh­len ge­ben, wie hoch er über ihm ste­he; denn er war ihm übel ge­sinnt. Hat­te er ihn doch von der Frau be­vor­zu­gen se­hen, die er zu lie­ben mein­te und de­ren Be­sitz ihm die ge­hei­me Wis­sen­schaft der Ägyp­ter, an de­ren Macht, die Zu­kunft zu ent­schlei­ern, er glaub­te, mit al­ler Be­stimmt­heit zu­ge­sagt hat­te.

Durch An­tyl­lus, den Sohn des An­to­ni­us, war er bei Ba­ri­ne ein­ge­führt wor­den, und sie hat­te ihn mit der sei­nem Ran­ge ge­büh­ren­den Berück­sich­ti­gung emp­fan­gen. Der von rei­fen und her­vor­ra­gen­den Män­nern um­wor­be­nen jun­gen Frau von sei­ner Lie­be zu re­den, hat­te ihm in­des trotz ih­rer hei­te­ren An­mut kna­ben­haf­te Schüch­tern­heit bis­her ver­bo­ten. Nur sei­ne feucht schim­mern­den, aus­drucks­vol­len Au­gen hat­ten ihr al­les sa­gen sol­len, was er für sie fühl­te. Es war wohl auch nicht un­be­merkt ge­blie­ben; denn vor we­ni­gen Stun­den war er vor dem Tem­pel des Cäsar, sei­nes Va­ters, wo­hin er sich bei der stren­gen, sei­nem Le­ben aus­ge­leg­ten Ord­nung je­den Tag zur näm­li­chen Stun­de be­gab, um zu be­ten, zu op­fern, den Stein des Al­tars zu sal­ben oder die Bild­säu­le des Da­hin­ge­gan­ge­nen zu be­krän­zen, von ei­ner Ägyp­te­rin auf­ge­hal­ten wor­den.

Au­gen­blick­lich hat­te er in ihr die Skla­vin er­kannt, die er im Atri­um Ba­ri­nes ge­se­hen, und dem Ge­fol­ge zu­rück­zu­blei­ben ge­bo­ten.

Zum Glück war sein Hof­meis­ter Rho­don der Pf­licht, ihn zu be­glei­ten, nicht nach­ge­kom­men. Da­rum hat­te er es wa­gen dür­fen, ihr zu fol­gen und im Schat­ten der Mi­mo­sen des klei­nen Hai­nes ne­ben dem Tem­pel die Sänf­te Ba­ri­nes ge­fun­den. Hoch­klop­fen­den Her­zens und voll ban­ger Er­war­tung war er ih­rem Win­ke, nä­her zu tre­ten, ge­folgt. Doch sie hat­te ihm nichts ge­währt als die Gunst, ihr einen Wunsch zu er­fül­len. Aber das Herz war ihm doch voll zum Zer­sprin­gen ge­we­sen, als sie mit dem schö­nen wei­ßen Arm aus der Tür der Sänf­te ihm mit­ge­teilt hat­te, es sei un­ge­rech­ter­wei­se im Wer­ke, ih­rem Groß­va­ter Di­dy­mus den Gar­ten zu neh­men, und sie er­war­te von ihm, daß er, der ja »der Kö­nig der Kö­ni­ge« hei­ße, das Sei­ne tun wer­de, um sol­chem Fre­vel zu weh­ren.

Wäh­rend sie sprach, hat­te es ihn Mühe ge­kos­tet, den Sinn ih­rer Rede zu er­fas­sen; denn es hat­te ihm vor den Ohren ge­braust, als ste­he er statt in dem stills­ten der Tem­pel­hai­ne an ei­nem stür­mi­schen Tage auf der von der Bran­dung um­rausch­ten Spit­ze der Lo­chi­as. Die Au­gen zu ihr aus­zu­schla­gen und ihr ins Ant­litz zu schau­en, hat­te er nicht ge­wagt. Erst als sie mit der Fra­ge, ob sie auf sei­nen Bei­stand hof­fen dür­fe, zu Ende ge­kom­men, hat­te ihr Blick den sei­nen ge­zwun­gen, ihm stand­zu­hal­ten, und was hat­te er da­bei aus ih­ren blau­en, bit­ten­den Au­gen nicht al­les her­aus­zu­le­sen ge­meint, wie un­sag­bar schön war sie ihm er­schie­nen!

Wie von Sin­nen hat­te er ihr ge­gen­über ge­stan­den. Er wuß­te nur noch, daß er ihr mit der Hand auf dem Her­zen ver­spro­chen, al­les ein­zu­set­zen, um zu ver­hin­dern, was ihr Kum­mer zu be­rei­ten dro­he. Dann war ihm die klei­ne Hand mit den blit­zen­den Rin­gen wie­der ent­ge­gen­ge­streckt wor­den, und er war fest ent­schlos­sen ge­we­sen, sie zu küs­sen, doch wäh­rend er sich nach dem Ge­fol­ge um­schau­te, hat­te sie schon den Skla­ven und ihm ge­winkt, und die Sänf­te war fort­ge­tra­gen wor­den.

Da hat­te er denn da­ge­stan­den wie der Mann auf ei­ner al­ten Vase der Mut­ter, der ver­dutzt dem fort­flie­gen­den Glücke nach­schaut, das er so leicht an dem ihm lang nach­we­hen­den Haar hät­te fest­hal­ten kön­nen ... Er groll­te der un­se­li­gen Un­ent­schlos­sen­heit, die ihn schon um so viel Gu­tes be­tro­gen. Doch es war ja noch nichts ver­lo­ren. Wenn es ihm ge­lang, ih­ren Wunsch zu er­fül­len, dann muß­te sie ihm dank­bar sein, und dann ...

Nun dach­te er nach, an wen er sich wen­den könn­te. An Mar­di­on, den Re­gen­ten, oder an den Sie­gel­be­wah­rer? Nein! Sie hat­ten ja die Auf­stel­lung der Sta­tue im Gar­ten des Phi­lo­so­phen an­ge­ord­net. An Iras, die Ver­trau­te der Mut­ter? Das am letz­ten! Die Lis­ti­ge hat­te ihn durch­schaut und dem Re­gen­ten, was sie wahr­ge­nom­men, ver­ra­ten. Ja, wenn Char­mi­on, die an­de­re Kam­mer­frau der Mut­ter, hier ge­we­sen wäre; doch sie be­fand sich ja mit auf der Flot­te, die viel­leicht heu­te schon ge­gen die des Fein­des kämpf­te.

In der Erin­ne­rung dar­an schlug er die Au­gen nie­der; denn es war ihm nicht ge­stat­tet wor­den, den ihm ge­büh­ren­den Platz im Hee­re ein­zu­neh­men, wäh­rend die Mut­ter und Char­mi­on ... Doch er dach­te die­sen pein­li­chen Ge­dan­ken nicht aus; denn ein erns­ter Vor­wurf hat­te sich ihm auf­ge­drängt und ihm das Blut in die Wan­gen ge­trie­ben. Er, er woll­te ein Mann sein, und in die­ser großen Zeit, in die­sen Ta­gen, die das Ge­schick der Mut­ter, sei­ner Va­ter­stadt, Ägyp­tens und je­nes Rom ent­schei­den soll­ten, das man ihn, den ein­zi­gen Sohn des Cäsar, als sein Erbe zu be­trach­ten lehr­te, schlich er sich zu ei­ner schö­nen Frau und dach­te an sie und an nichts wei­ter! Mit halt­lo­sen An­schlä­gen auf ih­ren Be­sitz ver­brach­te er die Tage und hal­b­en Näch­te und ver­gaß dar­über, was ihm al­lein hät­te am Her­zen lie­gen sol­len.

Iras hat­te ihm noch ges­tern mit schar­fen Wor­ten vor­ge­hal­ten, daß es in die­sen Ta­gen für je­den Freund Kleo­pa­tras und je­den Feind ih­rer Fein­de Pf­licht sei, we­nigs­tens in Ge­dan­ken je­der­zeit beim Hee­re zu wei­len.

Da­ran hat­te er sich wie­der er­in­nert; statt aber der Mah­nung des geis­tes­kräf­ti­gen Mäd­chens zu ach­ten, war er durch die Erin­ne­rung an sie nur auf ih­ren Oheim Archi­bi­us ge­führt wor­den, der nicht nur we­gen sei­nes Reich­tums, son­dern auch weil je­der­mann wuß­te, wie viel er bei der Kö­ni­gin gel­te, großen Ein­fluß be­saß. Dazu hat­te der klu­ge, wohl­wol­len­de Mann sich ihm von Kind an be­son­ders freund­lich er­wie­sen, und wie eine Er­leuch­tung war ihm der Ge­dan­ke er­schie­nen, sich an ihn und zu glei­cher Zeit an den Archi­tek­ten Gor­gi­as zu wen­den, der in die­ser An­ge­le­gen­heit mit­zu­spre­chen und ihm, wäh­rend er den ihm ein­ge­räum­ten Palast­flü­gel auf der Lo­chi­as neu aus­ge­baut, be­son­ders wohl ge­fal­len hat­te.

So war denn ein die­nen­der Mann aus dem Ge­fol­ge so­gleich mit dem Tä­fel­chen aus­ge­sandt wor­den, das den Gor­gi­as zum Stell­dich­ein beim Isi­stem­pel lud.

Nach Mit­tag hat­te Cäsa­ri­on sich dann heim­lich in ei­nem Boo­te zu dem bei Ka­no­pus am Mee­res­ufer ge­le­ge­nen klei­nen Palast des Archi­bi­us be­ge­ben, und nun die­ser mit dem Freun­de an sei­nem Wa­gen stand, er­klär­te er ih­nen, daß er sich mit dem Archi­tek­ten zu dem al­ten Di­dy­mus ver­fü­gen wol­le, um ihn sei­nes Bei­stan­des zu ver­si­chern.

Das war in je­der Hin­sicht un­statt­haft, und es be­durf­te des gan­zen Schwer­ge­wichts der Grün­de des äl­te­ren Man­nes, um ihn zum Nach­ge­ben zu be­we­gen. Die Fol­gen, die es hät­te nach sich zie­hen kön­nen, wenn ihn das Volk, wäh­rend er ge­gen den Re­gen­ten der Kö­ni­gin Par­tei nahm, er­kannt hät­te, wä­ren un­ab­seh­bar ge­we­sen. Aber das Sich­fü­gen und Zu­rück­wei­chen fiel dem jun­gen »Kö­nig der Kö­ni­ge« dies­mal be­son­ders schwer. Er hät­te sich dem Dion so gern als Mann ge­zeigt, und nun dies nicht an­ging, such­te er sich das An­se­hen ei­nes sol­chen zu ge­ben, in­dem er ver­si­cher­te, von sei­nem Vor­ha­ben nur ab­zu­las­sen, um den al­ten Ge­lehr­ten und sei­ne En­ke­lin nicht in Scha­den zu brin­gen. Dann bat er den Bau­meis­ter noch ein­mal, dem Di­dy­mus das Sei­ne zu er­hal­ten. Als er end­lich mit dem Archi­bi­us ab­fuhr, däm­mer­te es be­reits, und vor dem Tem­pel und dem klei­nen Mau­so­le­um, das sich an die Cel­la an­schloß, wur­den die Fa­ckeln, auf dem Plat­ze die Pech­pfan­nen ent­zün­det.

Drittes Kapitel

»Es steht schlimm um den Kna­ben,« sag­te der Archi­tekt, wäh­rend das Fuhr­werk über die Stein­flie­sen der Kö­nigs­stra­ße hin­ras­sel­te, und schüt­tel­te be­denk­lich den Kopf.

»Und da drü­ben,« füg­te Dion hin­zu, »sieht es gleich­falls an­ders aus als er­freu­lich. Phi­lo­stra­tus bringt die Leu­te um den Ver­stand. Aber der ge­kauf­te Un­heil­stif­ter soll gleich wün­schen, die Gold­stücke der Iras we­ni­ger wil­lig ein­ge­stri­chen zu ha­ben.«

»Und zu den­ken,« rief der Bau­meis­ter, »daß Ba­ri­ne das Weib, die Haus­frau die­ses Elen­den war! Wie das ge­sche­hen konn­te ...«

»Sie war ein Kind, als man sie ver­mähl­te,« un­ter­brach ihn Dion. »Wer fragt hier die fünf­zehn­jäh­ri­ge Jung­frau, wenn man ihr den Mann wählt? Und Phi­lo­stra­tus -- auf Rho­dus war er mein Stu­dien­ge­nos­se -- ver­sprach da­mals das Bes­te. Sei­nem Bru­der Alexas, dem be­vor­zug­ten Günst­ling des An­to­ni­us, wäre es ein Leich­tes ge­we­sen, ihn vor­wärts zu brin­gen. Ba­ri­nes Va­ter war tot, die Mut­ter, ge­wöhnt, auf den Rat des Groß­va­ters der Toch­ter zu hö­ren, und dem al­ten Di­dy­mus hat­te der ge­wand­te Sy­rer Sand in die Au­gen ge­streut. So über­lang und schmal er auch ist, sieht er doch heu­te noch so übel nicht aus. Wie er als Rhe­tor auf­trat, ge­fiel er. Das stieg ihm zu Kopf, und es steckt in ihm das Blut des Ver­schwen­ders. Um die schö­ne jun­ge Braut in ein statt­li­ches Haus zu füh­ren, über­nahm er die schlech­te Sa­che des räu­be­ri­schen Steuer­ein­neh­mers Pyr­rhus und re­de­te ihn frei.«

»Er hat­te ein Dut­zend falscher Zeu­gen ge­kauft.«

»Es wa­ren so­gar de­ren sech­zehn. Spä­ter ka­men so vie­le dazu, wie ihm dort drü­ben weit ge­öff­ne­te Mäu­ler zu­schrei­en. Es ist Zeit, sie zum Schwei­gen zu brin­gen. Be­gib Du Dich ins Haus und be­ru­hi­ge den Al­ten, und wenn Ba­ri­ne bei ihm ist, auch sie. Fin­dest Du schon Bo­ten des Re­gen­ten, so er­he­be Wi­der­spruch ge­gen den un­er­hör­ten Be­schluß. Du kennst ja die Stel­len des Ge­set­zes, die dem Al­ten zu gute kom­men.«

»Seit dem zwei­ten Eu­er­ge­tes ist der re­gis­trier­te Grund­be­sitz un­an­tast­bar, und der sei­ne wur­de ver­zeich­net.«

»Um so bes­ser. Sage den Be­am­ten auch ver­trau­lich, Du wüß­test, daß den Re­gen­ten viel­leicht neu auf­ge­tauch­te Be­den­ken um­stim­men wür­den.«

»Und al­lem vor­an, be­ste­he ich auf mei­nem Rech­te, den Platz für die Sta­tue zu be­stim­men. Die Kö­ni­gin selbst schrieb den an­de­ren vor, mei­ne Mei­nung zu hö­ren.«

»Das wiegt am schwers­ten. Aus Wie­der­se­hen nach­her! Von der Ba­ri­ne bleibst Du heu­te abend lie­ber fern. Siehst Du sie, so sage ihr, der wa­cke­re Archi­bi­us habe fal­len las­sen, er wer­de sie be­su­chen; wozu -- das er­klär’ ich Dir spä­ter. Ich gehe wohl nach­her zu der Iras, um auch sie zur Ver­nunft zu brin­gen. Der Wunsch des Cäsa­ri­on bleibt bes­ser un­er­wähnt.«

»Ganz ge­wiß, und daß Du dem da drü­ben nichts schenkst!«

»Im Ge­gen­teil. Mir ist sehr frei­ge­big zu Mute. Wenn Peit­ho mir bei­steht, be­kommt der Nim­mer­satt mehr von mir auf­ge­la­den, als ihm lieb sein möch­te.«

Da­mit reich­te Dion dem Bau­meis­ter die Hand und brach sich Bahn durch die Men­ge, die das auf Schlit­ten­ku­fen ru­hen­de hohe Ge­stell um­stand, auf dem man die tief ver­hüll­te Sta­tue hie­her ge­rollt hat­te.

Das Tor des Ge­lehr­ten­hau­ses stand of­fen; denn ein Be­am­ter des Re­gen­ten hat­te es in der Tat vor kur­z­em be­tre­ten, doch hielt die scy­thi­sche Wa­che, die der Ex­eget De­me­tri­us, das Stadt­haupt, ein Freund Ba­ri­nes, hie­her ge­sandt hat­te, die vor­drin­gen­den Neu­gie­ri­gen zu­rück.

Der Bau­meis­ter war ih­rem Füh­rer be­kannt, und bald stand er in dem Implu­vi­um des Ge­lehr­ten­hau­ses, ei­nem läng­li­chen Rau­me mit of­fe­ner De­cke, in des­sen Mit­te ein klei­ner Spring­brun­nen das run­de Blu­men­beet, das ihn um­gab, mit zer­stie­ben­dem Was­ser be­tau­te. Der alte Haus­skla­ve hat­te eben ei­ni­ge drei­ar­mi­ge Lam­pen an ho­hen Stän­dern ent­zün­det.

Die Be­am­ten, die der Re­gent hie­her ge­schickt hat­te, wa­ren vor kur­z­em ge­kom­men, um dem Di­dy­mus mit­zu­tei­len, sein Gar­ten sol­le in einen öf­fent­li­chen Platz um­ge­wan­delt wer­den.

Als der Bau­meis­ter in das Haus trat, hat­ten die Be­am­ten, ihre Schrei­ber und die sie be­glei­ten­den Zeu­gen, eine Schar von zwan­zig Män­nern, an de­ren Spit­ze Apol­lo­ni­us, ein an­ge­se­he­ner In­ten­dant des kö­nig­li­chen Schat­zes, stand, sich schon hin­ein­be­ge­ben.

Der Skla­ve, der den Gor­gi­as führ­te, teil­te es ihm mit.

Im Atri­um wur­de er von ei­ner Jung­frau, die zur Fa­mi­lie des al­ten Ge­lehr­ten ge­hö­ren moch­te, auf­ge­hal­ten. Er irr­te sich nicht, wenn er in ihr He­le­na, die jün­ge­re En­ke­lin des Di­dy­mus, ver­mu­te­te, von der ihm Ba­ri­ne ge­spro­chen. Frei­lich glich sie der Schwes­ter we­der an Ge­stalt noch am An­ge­sicht; denn wäh­rend das Haar der jun­gen Frau blond und wel­lig war, schlang sich um das Haupt des Mäd­chens ein vol­ler, glat­ter, tief­schwar­zer Zopf. Be­son­ders fremd mu­te­te der tie­fe, erns­te Ton ih­rer Stim­me ihn an, aus dem ihm star­ke in­ne­re Be­we­gung ent­ge­gen­klang, als sie ihm mit der kur­z­en Fra­ge, in der sich ein lei­ser Vor­wurf ver­barg, ent­ge­gen­trat: »Noch eine For­de­rung?«

Da ver­ge­wis­ser­te er sich erst, ob er in der Tat mit He­le­na, der Schwes­ter sei­ner Freun­din, re­de­te und er­öff­ne­te ihr dann schnell, wer er sei und daß er im Ge­gen­teil kom­me, um ih­ren Groß­va­ter vor schwe­rem Un­glück zu be­schüt­zen.

Als sein ers­ter Blick sie in dem spär­lich be­leuch­te­ten Rau­me ge­trof­fen, war der Ein­druck, den sie in ihm her­vor­rief, kein güns­ti­ger. Von der rei­nen wei­ßen Stirn, die ihm für ein Frau­en­ant­litz zu hoch er­schie­nen war, hat­te ihm eine leich­te Fal­te un­wil­lig ent­ge­gen ge­schaut, und war ihr Mund auch schön ge­schnit­ten, so ver­zog ihn doch mehr­mals ein lei­den­schaft­li­ches Zu­cken, wo­durch ihr ta­del­los ge­bil­de­tes Ant­litz et­was Her­bes, ja Bit­te­res ge­wann. Kaum aber hat­te sie ge­hört, was ihn hie­her führ­te, als sie die Hand auf die vol­le Brust drück­te, tief aus­at­me­te und ihm dann zu­rief:

»O, tue, was Du kannst, um das Schreck­li­che zu ver­hin­dern! Es weiß ja kei­ner, wie der alte Mann an die­sem Hau­se hängt. Und die Groß­mut­ter! Nimmt man es ih­nen, sie ge­hen dar­an zu Grun­de!«

Da­bei hat­ten ihre großen Au­gen warm und mit rüh­ren­der Bit­te in die sei­nen ge­schaut, und aus der ab­wei­send stren­gen Stim­me war ihm zärt­li­che Lie­be für die Ihren ent­ge­gen­ge­klun­gen.

Er muß­te hier hel­fen, und wie gern woll­te er’s tun. Das gab er ihr auch zu hö­ren, und sie, der er als ein tüch­ti­ger Mann dar­ge­stellt wor­den war, sah in ihm einen Hel­fer in der Not und bat ihn mit rüh­ren­der In­nig­keit, wenn sie den Groß­va­ter zu den Be­am­ten füh­re, die­sem zu zei­gen, daß noch nicht al­les ver­lo­ren.

Da frug der Bau­meis­ter er­staunt, ob Di­dy­mus denn noch nicht wis­se, was ihm be­vor­ste­he, und sie ant­wor­te­te schnell:

»Er ist drü­ben im Gar­ten­haus am Mee­re bei der Ar­beit. Der In­ten­dant Apol­lo­ni­us ist ein wohl­ge­sinn­ter Mann und will war­ten, bis ich den Groß­va­ter vor­be­rei­tet habe. Ich muß mich dar­um be­ei­len. Wohl ein dut­zend­mal schick­te er schon den Phi­lo­tas, sei­nen Schü­ler, der ihm die Bü­cher her­aus­sucht und aus­rollt, um sich zu er­kun­di­gen, was der Lärm drau­ßen be­deu­te; doch ich ließ ihm sa­gen, die Men­ge strö­me we­gen der Kö­ni­gin an den Ha­fen. Es gibt ja oft einen Auf­lauf mit lau­tem Ge­schrei; Groß­va­ter aber läßt sich durch nichts stö­ren, wenn eine Ar­beit ihn fes­selt, und der Schü­ler -- ein jun­ger Stu­dent aus Am­phis­sa -- liebt ihn und tut gern, was ich ihn hei­ße. Die Groß­mut­ter weiß auch noch nichts. Sie ist taub, und die Skla­vin­nen dür­fen ihr nichts sa­gen. Ein plötz­li­cher Schreck, sagt der Arzt, wür­de ihr scha­den, seit der Schwin­del sie neu­lich be­fiel. Wenn ich die rech­ten Wor­te nur fin­de, daß es den Groß­va­ter nicht all­zu schmerz­lich trifft!«

»Soll ich Dich be­glei­ten?«, frug Gor­gi­as freund­lich.

»Nein,« ver­setz­te sie rasch. »Es be­darf bei ihm der Zeit, bis er Frem­den ver­traut. Nur wenn der In­ten­dant ihm das Furcht­ba­re er­öff­net und der Schmerz ihn über­man­nen will, so trös­te Du ihn und zei­ge ihm, daß wir noch Freun­de ha­ben, die be­reit sind, uns vor sol­cher Un­bill zu schüt­zen.«

Da­mit wink­te sie ihm dank­bar zu und eil­te durch ein Sei­ten­p­fört­chen in den Gar­ten.

Der Bau­meis­ter schau­te ihr nach, und er tat es tief at­mend und mit leuch­ten­den Au­gen. Wie gut muß­te dies Mäd­chen sein, wie um­sich­tig sorg­te es für die Ihren! Wie tat­kräf­tig han­del­te dies jun­ge Ge­schöpf! Er hat­te die neue Be­kann­te nur in dürf­ti­ger Be­leuch­tung ge­se­hen, aber schön muß­te sie doch sein. Die Au­gen, der Mund, das Haar wa­ren es ge­wiß. Wie ihm aber das Herz da­bei schnel­ler schlug, und er sich frug, ob die­se Jung­frau, die mit al­len Ga­ben ge­schmückt war, die den wah­ren Wert des Wei­bes be­din­gen, nicht doch ih­rer Schwes­ter Ba­ri­ne, de­ren We­sen frei­lich be­stech­li­cher wirk­te, vor­zu­zie­hen sei, da flog es ihm durch den Sinn, daß er dem Bar­te dank­bar zu sein habe, der ihm Kinn und Wan­gen be­deck­te; denn er fühl­te, daß er, der erns­te, rei­fe Mann, er­rö­tet sein müs­se. Er wuß­te auch warum. Noch vor ei­ner hal­b­en Stun­de hat­te er ge­dacht und dem Dion be­kannt, daß er Ba­ri­ne für das be­geh­rens­wer­tes­te der Wei­ber hal­te, und nun warf das Bild ei­ner an­dern einen tie­fen Schat­ten auf das ihre und er­füll­te ihm das Herz mit neu­en, viel­leicht stär­ke­ren Ge­füh­len.

Es war ihm nur zu oft ähn­lich er­gan­gen, und die Freun­de, und Dion an ih­rer Spit­ze, hat­ten sei­ne Schwä­che be­merkt und ihm mit ne­cken­dem Spott man­che gute Stun­de ver­dor­ben. Die Rei­he der großen und klei­nen, blon­den und brau­nen Schö­nen, für die er er­glüht war, hat­te frei­lich eine statt­li­che Län­ge, und jede, der er die schnell er­wach­te Nei­gung ge­schenkt hat­te, war ihm als die­je­ni­ge er­schie­nen, die er zu der Sei­nen ma­chen müs­se, um ein glück­li­cher Mann zu wer­den. Doch be­vor er zum Wer­ben ge­kom­men war, hat­te sich schon die Fra­ge in ihm er­ho­ben, ob er nicht nach ei­ner an­dern hei­ßer be­geh­re. Er hat­te dar­um sich ein­zu­re­den be­gon­nen, daß sein Herz nach kei­ner ein­zel­nen ver­lan­ge, son­dern für das gan­ze Ge­schlecht, so weit es jung war und schön, Lie­be emp­fin­de, und daß er dar­um kaum gut tun wer­de, sich mit ei­ner fest zu ver­bin­den. Zwar wuß­te er, daß er fä­hig sei, Treue zu hal­ten; denn mit un­wan­del­ba­rer Fes­tig­keit hing er, zu je­dem Op­fer be­reit, an den Freun­den; den Frau­en ge­gen­über ver­hielt es sich in­des an­ders. Soll­te es auch dem Bil­de He­len­as, das ihm jetzt als so lie­bens­wert vor­schweb­te, be­schie­den sein, schnell zu ver­blas­sen? Das Ge­gen­teil wäre wun­der­bar ge­we­sen, und doch glaub­te er fest und si­cher, daß es Eros dies­mal ernst mit ihm mein­te. Die la­chen­den Ero­ten, die ihre Ro­sen­ge­win­de um ihn und ihre Vor­gän­ge­rin­nen ge­wun­den, hat­ten mit die­ser erns­ten Jung­frau nichts zu schaf­fen.

Das al­les kreuz­te ihm blitz­schnell das Hirn und be­weg­te ihm das Herz, wäh­rend man ihn in das Implu­vi­um führ­te, wo die Be­am­ten un­ge­dul­dig auf den Be­sit­zer des Hau­ses war­te­ten. Mit der ihm ei­ge­nen schwung­haf­ten Wär­me leg­te er ih­nen dar, warum er hof­fe, daß ihre Sen­dung ver­ge­bens sein wer­de, und der In­ten­dant ver­si­cher­te, nie­mand kön­ne es mehr freu­en als ihn, wenn der Re­gent ihn mor­gen er­mäch­ti­ge, sei­nen Auf­trag zu wi­der­ru­fen. Er war­te hier gern noch eine Wei­le, wenn es der En­ke­lin des al­ten Ge­lehr­ten ge­lin­ge, die­sem scho­nend bei­zu­brin­gen, was über ihn ver­hängt sei.

In­des wur­de die Ge­duld des wohl­wol­len­den Man­nes nicht zu lang auf die Pro­be ge­stellt; denn als He­le­na das Gar­ten­haus be­tre­ten hat­te, war der Groß­va­ter schon von dem Miß­ge­schick un­ter­rich­tet ge­we­sen, das ihn und das Sei­ne be­droh­te. Der Phi­lo­soph Eu­phra­nor, ein be­tag­tes Mit­glied des Mu­se­ums, war durch die Gar­ten­pfor­te zu ihm ge­drun­gen und hat­te ihm, trotz der ab­win­ken­den Ge­ber­den sei­nes Schü­lers Phi­lo­tas, mit­ge­teilt, was im Wer­ke sei. Aber Di­dy­mus kann­te den an­dern, der, eben­so welt­fremd wie er selbst, die ihm noch blei­ben­de Zeit und Kraft der Wis­sen­schaft weih­te. Er hat­te dar­um nur un­gläu­big den Kopf ge­schüt­telt, nach der Sträh­ne sei­nes stark ge­lich­te­ten grau­en Haa­res ge­grif­fen, die ihm über der Wan­ge her­ab­hing, und, wäh­rend er die kahls­te Stel­le des Schä­dels da­mit be­deck­te, in ver­wei­sen­dem Ton, doch als hand­le es sich um eine An­ge­le­gen­heit von ge­rin­ger Be­deu­tung, ge­ru­fen: »Was Du wie­der ge­hört ha­ben willst! Wir wer­den ja se­hen!«

Da­mit hat­te er sich er­ho­ben, und, doch zu jäh von der Un­ge­heu­er­lich­keit die­ser Nach­richt über­rascht, um an die San­da­len auf der Mat­te und das Ober­ge­wand zu den­ken, das auf ei­ner Bü­cher­kis­te im Hin­ter­grun­de des Zim­mers lag, woll­te er es schon ver­las­sen, als der Freund, der ihn sprach­los hat­te ge­wäh­ren las­sen, ihn zu­rück­hielt und He­le­na das Gar­ten­haus be­trat.

Der grei­se Phi­lo­soph wand­te sich an sie und er­such­te sie, ver­dros­sen über den Zwei­fel des Freun­des, dem Groß­va­ter zu be­wei­sen, daß auch sol­che Din­ge von Ge­wicht sein könn­ten, die un­se­rer Nei­gung wi­der­spre­chen. Sie tat es scho­nend und ge­dach­te da­bei auch des Bau­meis­ters und sei­ner Hoff­nung.