Kleopatra - Henry Rider Haggard - E-Book

Kleopatra E-Book

Henry Rider Haggard

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Beschreibung

Die Geschichte des Untergangs von Antonius und Kleopatra, geschildert aus der Sicht des Magiers Harmachis, einem der letzten Ägypter von pharaonischem Geblüt. Als ausersehener Nachfolger auf dem Pharaonenthron und Anführer einer Revolte gegen die griechische Fremdherrschaft soll Harmachis die im Volk verhasste Königin Kleopatra töten. Doch das Komplott wird durch Verrat vereitelt. Harmachis erliegt der Verführungskraft der schönen Ägypterin und wird ihr Geliebter, mit der Folge, dass schließlich auch ihn der Fluch der alten Pharaonen ereilt.

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Das Buch

Die Geschichte des Untergangs von Antonius und Kleopatra, geschildert aus der Sicht des Magiers Harmachis, einem der letzten Ägypter von pharaonischem Geblüt. Als ausersehener Nachfolger auf dem Pharaonenthron und Anführer einer Revolte gegen die griechische Fremdherrschaft soll Harmachis die im Volk verhasste Königin Kleopatra töten. Doch das Komplott wird durch Verrat vereitelt. Harmachis erliegt der Verführungskraft der schönen Ägypterin und wird ihr Geliebter, mit der Folge, dass auch ihn der Fluch der alten Pharaonen ereilt.

Der Autor

Henry Rider Haggard (1856 – 1925) trat 1875 in den britischen Kolonialdienst in Südafrika. Dort machte er sich mit der Zulu-Kultur vertraut und hatte eine Affäre mit einer afrikanischen Frau, – eine tiefe Beziehung, die seine Darstellung von Frauen beeinflusste und später psychoanalytische Interpretationen seiner Romane nach sich zog. 1881 kehrte Haggard nach England zurück, wo er seine juristischen Examina ablegte und weiter für die Regierung tätig war. Seinen Lebensunterhalt aber verdiente er vor allem als produktiver und erfolgreicher Schriftsteller, dessen Abenteuerromane durch seinen Aufenthalt in Afrika sowie sein Interesse an antiken Kulturen und an allem Okkulten nachhaltig geprägt worden sind.

INHALT

Einleitung

Erstes Buch Die Vorbereitung des Harmachis

Die Prophezeiung der Hathoren

Die Tötung des Löwen

Der Tadel des Amenemhat

Sepa, der Hohepriester von An

Die Feier der Mysterien

Die Stadt des Todes

Die Krönung zum Pharao

Zweites Buch Der Fall des Harmachis

Kleopatras Triumphzug

Charmions Besuch

Die schlafende Kleopatra

Der König der Liebe

Kleopatra in Harmachis' Gemach

Die Vorbereitung zu der Bluttat

Charmions geheiminisvolle Worte

Das Antlitz des Todes

Der Hohn der Charmion

Das Geheimnis des Pyramidenschatzes

Das Grab des göttlichen Menkau-ra

Kleopatras Antwort

Die geheime Rede

Die Fahrt nach Cilicien

Kleopatras Liebesschwur

Charmions Plan

Drittes Buch Die Rache des Harmachis

Eine Opfergabe an die Götter

Letztes Elend

Im Grab der Harfenspieler

Kleopatras Befehl

Die Auszeichnung des Antonius

Vergiftungen

Der Tod des Antonius

Kleopatras letztes Mahl

Die Verkündigung des Schicksals

Die letzte Schrift

EINLEITUNG

In einem abgelegenen Tal der trostlosen libyschen Berge, die hinter dem Tempel und der Stadt Abydus, der angeblichen Begräbnisstätte des heiligen Osiris, liegen, wurde kürzlich ein Grab entdeckt, zu dessen Inhalt die Papyrusrollen gehörten, auf denen diese Geschichte geschrieben stand. Das Grab selbst ist geräumig, aber ansonsten nur durch die Tiefe des Schachtes bemerkenswert, der von der in den Fels gehauenen Höhle, die einst als Totenkapelle für die Freunde und Verwandten des Verstorbenen diente, senkrecht in die darunter liegende Sargkammer hinabführt. Dieser Schacht ist nicht weniger als neunundachtzig Fuß tief. In der Kammer wurden an ihrem unteren Ende nur drei Särge gefunden, obwohl sie groß genug für viele weitere war. Zwei davon, die aller Wahrscheinlichkeit nach die Körper des Hohepriesters Amenemhat und seiner Frau, Vater und Mutter von Harmachis, dem Helden dieser Geschichte bargen, wurden von den Arabern, die sie dort entdeckten, rücksichtslos aufgebrochen.

Die Araber zerstörten die Leichen, um zwischen ihren Knochen nach Schätzen zu suchen, und dann die sterblichen Überreste für ein paar Piaster an den letzten unwissenden Reisenden, der ihnen über den Weg lief, zu verkaufen. In Ägypten finden die Lebenden ihr Brot in den Gräbern der großen Männer, die vor ihnen da waren.

Einige Zeit nach dem Fund fuhr ein Arzt, der dem Verfasser dieser Zeilen bekannt ist, den Nil hinauf nach Abydus und wurde mit den Männern, die jenes Grab beraubt hatten, bekannt. Sie enthüllten ihm das Geheimnis des Ortes und sagten ihm, dass einer der Särge noch immer unzerstört sei. Es müsse der Sarg einer armen Person sein, meinten sie, und da sie unter Zeitdruck standen, hatten sie ihn unangetastet gelassen. Von der Neugierde getrieben, die Geheimnisse eines noch unentdeckten Grabes zu erforschen, bestach mein Freund die Araber, es ihm zu zeigen. Was dann geschah, werde ich in seinen eigenen Worten wiedergeben, genau so, wie er es mir geschrieben hat:

»Ich schlief in dieser Nacht in der Nähe des Sethi-Tempels und brach am nächsten Morgen vor Tagesanbruch auf. Bei mir waren ein schielender Schurke namens Ali und eine kleine, aber erlesene Auswahl seiner Helfershelfer. Innerhalb einer Stunde nach Sonnenaufgang erreichten wir das Tal, in dem sich das Grab befand. Es war ein trostloser Ort, in den die Sonne den ganzen langen Tag ihre sengende Hitze goss, bis die riesigen braunen Felsen, die dort verstreut lagen, so heiß wurden, dass man es kaum ertragen konnte, sie zu berühren, und der Sand die Füße versengte. Es war bereits zu heiß, um zu Fuß zu gehen, also ritten wir auf Eseln ein Stück das Tal hinauf – wo ein Geier, der weit in der blauen Luft schwebte, der einzige andere Besucher war – bis wir zu einem riesigen Felsblock kamen, der durch die jahrhundertelange Einwirkung von Sonne und Sand poliert worden war. Hier hielt Ali an und sagte, dass sich das Grab unter dem Stein befände. Wir stiegen ab und ließen die Esel in der Obhut eines Fellachenjungen zurück, um zu dem Felsen hinaufzugehen. Unten an seinem Fuß erblickte ich ein kleines Loch, kaum groß genug für einen Mann, um hindurchzukriechen. Es war von Schakalen gegraben worden, denn der Eingang und ein Teil der Höhle waren völlig verschlammt, und durch dieses Schakalloch war das Grab entdeckt worden. Ali kroch auf Händen und Knien hinein, und ich folgte ihm, um mich an einem Ort wiederzufinden, der nach der heißen Außenluft kalt und, im Gegensatz zum hellen Tageslicht, von einer erschreckenden Dunkelheit erfüllt war.

Wir zündeten unsere Kerzen an, und nachdem die erlesene Schar der Diebe eingetroffen war, nahm ich eine Untersuchung vor. Wir befanden uns in einer recht großen Höhle, die von Hand ausgegraben worden war, wobei der weitere Teil der Höhle fast frei von Sand war. An den Wänden befanden sich religiöse Malereien der üblichen ptolemäischen Art, darunter die eines majestätischen alten Mannes mit langem weißen Bart, der auf einem geschnitzten Stuhl saß und einen Stab in der Hand hielt1. Vor ihm ging eine Prozession von Priestern, die heilige Bilder trugen. In der rechten Ecke des Grabes befand sich der Schacht der Mumiengrube, ein in den schwarzen Fels gehauener Brunnen mit quadratischer Öffnung.

Wir hatten einen Balken aus Dornenholz mitgebracht, der nun über die Grube gelegt und an dem ein Seil befestigt wurde. Dann ergriff Ali – der, um ihm gerecht zu werden, ein mutiger Dieb ist – das Seil, steckte einige Kerzen in die Brust seines Gewandes, stellte seine nackten Füße gegen die glatten Seiten des Brunnens und begann mit großer Geschwindigkeit hinabzusteigen. Sehr bald war er in der Schwärze verschwunden, und allein die Bewegung des Seils verriet uns, dass unten etwas vor sich ging. Endlich hörte das Seil auf zu zittern, und ein leiser Schrei dröhnte den Brunnen herauf und verkündete Alis sichere Ankunft. Dann erschien weit unten ein winziger Lichtstern. Er hatte die Kerze angezündet und damit Hunderte von Fledermäusen aufgeschreckt, die in einem endlosen Strom und so leise wie Geister nach oben huschten. Das Seil wurde wieder hochgezogen, und nun war ich an der Reihe; aber da ich es ablehnte, meinen Hals der Hand-über-Hand-Methode des Abstiegs anzuvertrauen, wurde das Ende des Seils um meine Mitte befestigt und ich wurde körperlich in diese heiligen Tiefen hinabgelassen. Es war keine angenehme Reise, denn wenn die Herren der Lage oben einen Fehler gemacht hätten, wäre ich in Stücke gerissen worden. Außerdem flogen mir die Fledermäuse ständig ins Gesicht und klammerten sich an mein Haar, und ich habe eine große Abneigung gegen Fledermäuse.

Endlich, nach einigen Minuten des Ruckelns und Baumelns, fand ich mich in einem engen Durchgang an der Seite Alis stehend, bedeckt mit Fledermäusen und Schweiß und mit Hautabschürfungen an Knien und Knöcheln. Dann kam ein anderer Mann herunter, Hand über Hand wie ein Seemann, und nachdem die anderen aufgefordert wurden, oben zu bleiben, waren wir bereit, weiterzugehen. Ali ging mit seiner Kerze voran – natürlich hatte jeder von uns eine Kerze – und führte uns einen langen Gang hinunter, der etwa fünf Fuß hoch war. Schließlich verbreiterte sich der Gang und wir kamen in die Grabkammer: Ich glaube, es war der heißeste und stillste Ort, den ich je betreten habe. Es war einfach zum Ersticken. Ich hielt die Kerzen hoch und schaute mich um. Die Kammer war ein quadratischer, in den Felsen gehauener Raum ohne Gemälde oder Skulpturen. Überall lagen Trümmer der Sarkophage und die mumifizierten Überreste der beiden Körper verstreut, die die Araber zuvor geschändet hatten. Die Malereien auf den ersteren waren von außerordentlicher Schönheit, obwohl ich sie nicht entziffern konnte, da ich keine Ahnung von Hieroglyphen habe. Perlen und würzige Umhüllungen lagen um die Überreste, die, wie ich sah, die eines Mannes und einer Frau waren2. Der Kopf war vom Körper des Mannes abgebrochen worden. Ich hob ihn auf und betrachtete ihn. Er war glatt rasiert worden – nach dem Tod, würde ich sagen, nach den allgemeinen Anzeichen – und die Gesichtszüge waren mit Blattgold bedeckt. Aber ungeachtet dessen und der Schrumpfung des Fleisches, denke ich, dass das Gesicht eines der imposantesten und schönsten war, das ich je gesehen habe. Es war das eines sehr alten Mannes, und sein totes Antlitz trug noch immer einen so ruhigen und feierlichen, ja, einen so schrecklichen Ausdruck, dass ich ganz abergläubisch wurde (obwohl ich, wie Sie wissen, ziemlich gut an tote Menschen gewöhnt bin) und den Kopf eilig niederlegte. Auf dem Gesicht der zweiten Leiche waren noch einige Umhüllungen, die ich nicht entfernte; aber sie musste zu ihrer Zeit eine schöne große Frau gewesen sein.

›Dort ist die andere Mumie‹, sagte Ali und zeigte auf einen großen und massiven Kasten, der achtlos in eine Ecke geworfen war und auf der Seite lag.

Ich untersuchte ihn sorgfältig. Er war aus ganz einfachem Zedernholz – keine Inschrift, kein einziges Bild darauf.

›So einen wie den hab ich noch nie gesehen‹, sagte Ali. ›Das Begräbnis musste wohl schnell gehen, deshalb wurde die Inschrift nicht vollendet. Der Sarg gibt nichts her. Ich habe ihn als wertlos beiseite geschoben.‹

Ich betrachtete den schlichten Kasten und mein Interesse wurde gründlich geweckt. Der Anblick des verstreuten Überreste der Verstorbenen hatte mich so erschreckt, dass ich mir vorgenommen hatte, den verbliebenen Sarg nicht zu berühren – doch nun überkam mich die Neugier, und wir machten uns an die Arbeit.

Ali hatte einen Hammer und Meißel mitgebracht, und nachdem er den Sarg aufgerichtet hatte, begann er ihn mit dem ganzen Eifer eines erfahrenen Grabräubers zu bearbeiten. Und dann wies er auf eine weitere Sache hin. Die meisten Mumienkästen sind mit vier kleinen Holzzungen befestigt, zwei auf jeder Seite, die in der oberen Hälfte fixiert sind, dieser Mumienkasten hatte aber acht solcher Zungen. Offensichtlich war man daran bedacht gewesen, den Sarg fest zu sichern. Mit großen Anstrengungen hoben wir den massiven Deckel an, der fast drei Zoll dick war; und darin lag mit einer dicken Schicht von losen Gewürzen bedeckt (was sehr ungewöhnlich ist) der Körper.

Ali schaute ihn mit offenen Augen an, – kein Wunder, denn diese Mumie war anders als andere. Mumien liegen im Allgemeinen auf dem Rücken, so steif und ruhig, als wären sie aus Holz geschnitten; aber diese Mumie lag auf der Seite, und trotz der Umhüllung waren ihre Knie leicht gebeugt. Mehr als das; die Goldmaske, die nach der Mode der ptolemäischen Zeit das Gesicht bedeckte, war unter den Kopf gerutscht.

Es war unmöglich, beim Anblick dieser Dinge den Gedanken zu vermeiden, dass die Mumie sich mit Gewalt bewegt hatte, nachdem sie in den Sarg gelegt worden war.

›Merkwürdige Mumie‹, sagte Ali. ›Der war noch nicht tot, als man den Sarg verschloss.‹

›Unsinn!‹, erwiderte ich. ›Wer hat je von einer lebenden Mumie gehört?‹

Wir hoben den Körper aus dem Sarg und erstickten uns dabei fast mit Mumienstaub, und dort unter ihm, halb versteckt zwischen den Gewürzen, machten wir unseren ersten Fund. Es war eine Papyrusrolle, nachlässig befestigt und eingewickelt in ein Stück Mumientuch, das allem Anschein nach im Moment des Schließens in den Sarg geworfen worden war3.

Ali beäugte den Papyrus neugierig, aber ich ergriff ihn und steckte ihn in meine Tasche, denn es war vereinbart, dass ich alles haben sollte, was wir fänden. Dann begannen wir, die Leiche auszupacken. Sie war mit sehr breiten, kräftigen Binden bedeckt, die dick gewickelt und grob gebunden waren, manchmal mit einfachen Knoten, und das Ganze machte den Eindruck, als sei es in großer Eile und mit Mühe ausgeführt worden. Direkt über dem Kopf befand sich ein großer Klumpen. Bald waren die Verbände, die ihn bedeckten, abgenommen, und auf dem Gesicht lag ein zweiter Papyrus. Ich streckte meine Hand aus, um ihn wegzuziehen, aber er ließ sich nicht entfernen. Er schien an dem dicken, nahtlosen Leichentuch befestigt zu sein, das über den ganzen Körper gezogen und unter den Füßen zusammengebunden war – wie ein Bauer Säcke bindet. Dieses Leichentuch, das ebenfalls dick gewachst war, bestand aus einem Stück und war wie ein Kleidungsstück an den Körper angepasst. Ich nahm eine Kerze und untersuchte den Papyrus, und dann sah ich, warum er fest war. Die Gewürze waren erstarrt und hatten ihn mit dem sackartigen Leichentuch verklebt. Es war fast unmöglich, ihn loszubekommen, ohne die äußeren Papyrusblätter zu zerreißen4.

Schließlich gelang es mir doch, ihn abzulösen, und ich steckte ihn mit den anderen in meine Tasche.

Dann fuhren wir schweigend mit unserer furchtbaren Aufgabe fort. Mit viel Sorgfalt rissen wir das sackartige Gewand los, und endlich lag der Körper eines Mannes vor uns. Zwischen seinen Knien lag eine dritte Papyrusrolle. Ich brachte sie in Sicherheit, hielt dann das Licht herunter und sah den Toten an. Ein Blick auf sein Gesicht reichte aus, um einem Arzt zu sagen, wie er gestorben war.

Dieser Körper war nicht ganz ausgetrocknet. Offensichtlich hatte er nicht die ihm zustehenden siebzig Tage in Natron verbracht, und deshalb waren der Ausdruck und das Aussehen besser erhalten, als es üblich ist. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, will ich nur sagen, dass ich hoffe, nie wieder einen solchen Blick zu sehen, wie der, der auf dem Gesicht dieses toten Mannes eingefroren war. Selbst die Araber schreckten davor zurück und begannen, Gebete zu murmeln.

Im Übrigen fehlte die übliche Öffnung auf der linken Seite, durch die die Einbalsamierer ihre Arbeit verrichteten; die fein geschnittenen Gesichtszüge waren die eines Menschen mittleren Alters, obwohl das Haar bereits grau war, und der Körperbau war der eines sehr kräftigen Mannes, die Schultern waren von einer außergewöhnlichen Breite. Ich hatte jedoch keine Zeit, ihn genau zu untersuchen, denn innerhalb weniger Sekunden nach seiner Enthüllung begann der nicht einbalsamierte Körper zu zerbröckeln, da er nun der Einwirkung der Luft ausgesetzt war. Nach fünf oder sechs Minuten war buchstäblich nichts mehr von ihm übrig, außer einer Haarsträhne, dem Schädel und ein paar der größeren Knochen. Ich bemerkte, dass eines der Schienbeine – ich habe vergessen, ob es das rechte oder das linke war – gebrochen und sehr schlecht zusammengesetzt war. Es musste einen ganzen Zoll kürzer gewesen sein als das andere.

Nun gab es nichts mehr zu finden, und jetzt, wo die Aufregung vorüber war, fühlte ich mich aufgrund der Hitze, der Anstrengung und des Geruchs von Mumienstaub und Gewürzen mehr tot als lebendig. –

Ich bin des Schreibens müde, und das Schiff rollt stark. Dieser Brief geht natürlich über den Landweg zu Ihnen und ich komme auf dem ›langen Seeweg‹, hoffe aber, innerhalb von zehn Tagen, nachdem Sie ihn erhalten haben, in London zu sein. Dann werde ich Ihnen von meinen Erlebnissen während des Aufstiegs aus der Grabkammer berichten und davon, wie dieser Schurkenfürst Ali und seine Diebe versuchten, mir Angst einzujagen, damit ich die Papyri aushändige, und wie ich sie besiegte. Dann werden wir auch die Rollen entziffern lassen. Ich erwarte, dass sie nur das Übliche enthalten, nämlich Kopien des ›Totenbuchs‹, aber vielleicht steht auch noch etwas anderes darin. Unnötig zu sagen, dass ich von meinem kleinen Abenteuer in Ägypten nichts erzählt habe, sonst hätte ich die Leute vom Boulac-Museum auf meiner Spur gehabt.«

Zu gegebener Zeit kam mein Freund, der Schreiber des Briefes, aus dem ich zitiert habe, in London an, und gleich am nächsten Tag besuchten wir einen gelehrten Bekannten, der sich gut mit Hieroglyphen und demotischer Schrift auskannte. Die Besorgnis, mit der wir ihn beobachteten, wie er geschickt eine der Rollen auseinanderfaltete und durch seine goldumrandete Brille auf die geheimnisvollen Zeichen blickte, kann man sich gut vorstellen.

»Hm«, sagte er, »was immer es ist, es ist keine Kopie des ›Totenbuchs‹. Bei Gott, was ist das? Kle – Kleo – Kleopatra! So wahr ich lebe, meine Herren! Dies die Geschichte von jemandem, der in den Tagen der Kleopatra lebte, der Kleopatra, denn hier steht Antonius' Name zusammen mit ihrem! Nun, es liegt hier ein halbes Jahr Arbeit vor mir – sechs Monate, mindestens!« Und bei dieser freudigen Aussicht verlor er geradezu die Beherrschung, hüpfte im Zimmer herum, schüttelte uns in Abständen die Hände und sagte: »Ich werde es übersetzen – ich werde es übersetzen, und wenn es mich umbringt, und wir werden es veröffentlichen; und, beim lebenden Osiris, es wird jeden Ägyptologen in Europa vor Neid verrückt machen! Oh, was für ein Fund! Was für ein glorreicher Fund!«

Und du, Leser, dessen Augen auf diese Seiten fallen, siehe, – sie wurden übersetzt, und sie wurden gedruckt, und hier liegen sie vor dir – ein unentdecktes Land, in dem du frei reisen kannst!

Harmachis spricht zu dir aus seinem vergessenen Grab. Die Mauern der Zeit fallen, und wie durch einen Blitzstrahl erleuchtet, beginnt ein Bild aus der Vergangenheit vor deinen Augen zu entstehen, eingerahmt in die Dunkelheit eines vergangenen Zeitalters.

Er zeigt dir die beiden Ägypter, auf die die stummen Pyramiden vor langen Jahrhunderten herabblickten – das Ägypten der Griechen, Römer und Ptolemäer, und das andere, verblichene Ägypten des Hierophanten5, uralt an Jahren, schwer von den Legenden des Altertums und der Erinnerung an längst vergessene Ehren.

Er erzählt dir, wie die schwelende Loyalität des Landes Khem aufflammte, bevor sie starb, und wie heftig der alte, der Zeit geweihte Glaube gegen die erobernde Flut des Wandels kämpfte, die sich wie der Nil bei der Flut erhob und die alten Götter Ägyptens ertränkte.

Hier, auf seinen Seiten, wirst du die Herrlichkeit von Isis, der Vielgestaltigen, der Vollstreckerin der Dekrete, kennenlernen. Hier wirst du die Bekanntschaft mit dem Schatten Kleopatras machen, jenem »Feuergeist«, dessen leidenschaftlich reizende Schönheit das Schicksal von Imperien prägte. Hier wirst du lesen, wie die schöne Charmion von dem Schwert erschlagen wurde, das sie selbst aus Rache schmiedete.

Hier bittet dich Harmachis, der todgeweihte Ägypter, der im Begriff steht, diese Welt zu verlassen, dem Weg zu folgen, den er gegangen ist. In der Geschichte seiner verlorenen Jahre zeigt er dir, was in mancher Hinsicht die Geschichte deines eigenen Lebens sein kann. Laut klagend aus dem düsteren Amenti6, wo er heute seine lange Sühnezeit ableistet, erzählt er in der Geschichte seines Sturzes das Schicksal desjenigen, der in schwere Versuchung gerät und seinen Gott, seine Ehre und sein Land vergisst.

1 Das ist wohl ein Porträt von Amenemhat selbst.

2 Zweifellos Amenemhat und seine Frau.

3 Diese Rolle enthält das dritte, unvollendete Buch unserer Erzählung. Die anderen beiden Rollen befanden sich in der gewöhnlichen Form. Alle drei waren von derselben Hand in demotischer Schrift verfasst.

4 Dies erklärt die Lücken auf den letzten Seiten der zweiten Rolle.

5 Enthüller der Geheimnisse

6 Ägyptischer Hades oder Fegefeuer

ERSTES BUCH DIE VORBEREITUNG DES HARMACHIS

1. Die Prophezeiung der Hathoren

Bei Osiris, der in Abouthis ruht, ich schreibe die Wahrheit.

Ich, Harmachis, Erbpriester des Tempels, errichtet von dem göttlichen Sethi, einst Pharao von Ägypten, und nun gerechtfertigt in Osiris und regierend in Amenti. Ich, Harmachis, durch göttliches Recht und durch wahre Abstammung des Blutes König der Doppelkrone und Pharao des Oberen und Unteren Landes. Ich, Harmachis, der die sich öffnende Blume unserer Hoffnung wegwarf, der sich vom glorreichen Pfad abwandte, der die Stimme Gottes vergaß, als er auf die Stimme einer Frau hörte. Ich, Harmachis, der Gefallene, in dem sich alles Leid sammelt wie das Wasser in einem Wüstenbrunnen; ich, der ich jede Schande gekostet habe, ich, der ich durch Betrug verraten wurde und der ich durch den Verlust der zeitlichen Herrlichkeit auch der ewigen verlustig gegangen bin; ich, Harmachis, der ich der ewigen Verdammnis anheim gefallen bin – ich schreibe bei dem, der da ruht in Abouthis, die Wahrheit.

O Ägypten, teures Land von Khem, dessen schwarze Erde meinen sterblichen Teil genährt hat, Land, das ich verraten habe, o Osiris, Isis, Horus, ihr Götter Ägyptens, die ich verraten habe, o ihr Tempel, deren Tore den Himmel berühren, deren Glauben ich verraten habe. O königliches Blut der alten Pharaonen, das noch in diesen verdorrten Adern fließt, deren Tugend ich verraten habe! O unsichtbare Essenz alles Guten! Und – o Schicksal, dessen Gleichlauf in meiner Hand ruhte – hört mich an und bezeugt mir bis zum Tag des endgültigen Untergangs, dass ich die Wahrheit schreibe.

Noch während ich schreibe, fließt jenseits der fruchtbaren Felder der Nil rot, wie mit Blut. Vor mir schlägt das Sonnenlicht auf die fernen arabischen Hügel, und fällt auf die Häuser von Abouthis. Noch immer beten Priester in den Tempeln von Abouthis, die mich nicht mehr kennen, noch immer werden die Opfer dargebracht, und die steinernen Dächer lassen die Gebete des Volkes widerhallen. Noch immer beobachte ich von dieser einsamen Zelle in meinem Gefängnisturm aus deine flatternden Banner, Abouthis, die von deinen Pylonwänden herabhängen, und höre die Gesänge, wenn sich die lange Prozession von Heiligtum zu Heiligtum windet.

Abouthis, verlorenes Abouthis! Mein Herz geht zu dir hinaus! Denn es kommt der Tag, an dem der Wüstensand deine geheimen Stätten füllen wird! Deine Götter sind dem Untergang geweiht, o Abouthis! Ein neuer Glaube wird all deine Heiligtümer verhöhnen, und ein Zenturio wird über deine Festungsmauern hinweg einen Zenturio anrufen. Ich weine – ich weine Tränen aus Blut; denn mein ist die Sünde, die dieses Übel herbeigeführt hat, und mein ist für immer die Schmach.

Siehe, so steht es geschrieben.

Hier in Abouthis wurde ich geboren, ich, Harmachis, und mein Vater, der Gerechte in Osiris, war der Hohepriester des Tempels von Sethi. An demselben Tag meiner Geburt wurde auch Kleopatra, die Königin von Ägypten, geboren. Meine Jugend verbrachte ich in jenen Gefilden, sah den niederen Leuten bei ihrer Arbeit zu und ging nach Belieben in den großen Höfen der Tempel ein und aus. Von meiner Mutter wusste ich nichts, denn sie starb, als ich noch an ihrer Brust hing. Aber bevor sie starb, in der Regierungszeit des Ptolemäus Aulêtes, der der Pfeifer genannt wird, so erzählte mir die alte Frau Atoua, nahm meine Mutter einen goldenen Uräus, das Schlangensymbol unseres ägyptischen Königtums, aus einer Schatulle aus Elfenbein und legte ihn auf meine Stirn. Und diejenigen, die sie dies tun sahen, glaubten, dass sie von der Gottheit verstört war und in ihrem Wahnsinn voraussah, dass der Tag der makedonischen Lagiden7 beendet war und dass Ägyptens Zepter wieder in die Hand des wahren und königlichen Geschlechts Ägyptens übergehen sollte. Aber als mein Vater, der alte Hohepriester Amenemhat, dessen einziges Kind ich war, sah, was die sterbende Frau tat, hob er seine Hände zum Himmelsgewölbe empor und betete den Unsichtbaren an, wegen des Zeichens, das gesandt worden war.

Und während er anbetete, erfüllten die Hathoren meine sterbende Mutter mit dem Geist der Prophezeiung, und sie erhob sich von ihrem Lager und warf sich dreimal vor der Wiege nieder, in der ich schlafend lag, die königliche Schlange auf meiner Stirn, und rief laut: »Heil dir, du Frucht meines Leibes! Gegrüßt seist du, Königskind! Gegrüßt seist du, Pharao, der du sein wirst! Gegrüßt seist du, Gott, der du das Land reinigen sollst, göttlicher Same von Nekt-nebf, der von Isis abstammt. Halte dich rein, und du sollst Ägypten regieren und befreien und nicht vernichtet werden. Doch wenn du in der Stunde der Prüfung versagst, dann möge der Fluch aller Götter Ägyptens auf dir ruhen und der Fluch deiner königlichen Vorfahren, der Rechtschaffenen, die das Land vor dir regierten. Dann magst du im Leben elend sein, und nach dem Tod mag Osiris dich ablehnen, und die Richter von Amenti mögen über dich urteilen, und Set und Sekhet mögen dich quälen, bis deine Sünde getilgt ist, und die Götter Ägyptens, die mit fremden Namen genannt werden, wieder in den Tempeln angebetet werden, und der Stab des Unterdrückers zerbrochen wird und die Spuren des Fremden weggefegt werden, und alles so vollendet wird, wie du es in deiner Schwachheit bewirken solltest.«

Als sie so gesprochen hatte, fuhr der Geist der Weissagung aus ihr heraus, und sie fiel tot über die Wiege, in der ich schlief, so dass ich mit einem Schrei erwachte.

Aber mein Vater, Amenemhat, der Hohepriester, zitterte und fürchtete sich sehr wegen der Worte, die der Geist der Hathoren durch den Mund meiner Mutter gesagt hatte, und auch, weil das, was gesagt worden war, Verrat an Ptolemäus war. Denn er wusste, dass der Pharao, wenn Ptolemaios die Sache zu Ohren käme, seine Wachen aussenden würde, um das Leben des Kindes zu vernichten, über das solche Dinge geweissagt worden waren. Deshalb schloss mein Vater die Türen und ließ alle, die dabeistanden, auf das heilige Zeichen seines Amtes und auf den Namen der göttlichen Drei und auf die Seele derjenigen, die tot auf den Steinen neben ihnen lag, schwören, dass nichts von dem, was sie gesehen und gehört hatten, über ihre Lippen kommen sollte.

Nun war unter den Anwesenden die alte Atoua, die die Amme meiner Mutter gewesen war und sie sehr liebte; und in diesen Tagen, obwohl ich nicht weiß, wie es in der Vergangenheit gewesen war und wie es in der Zukunft sein wird, gab es keinen Eid, der die Zunge einer Frau binden konnte. Und so geschah es, dass sie nach und nach, als die Sache in ihrem Geist heimisch geworden war und ihre Angst von ihr abgefallen war, ihrer Tochter, die mich an der Brust stillte, nachdem meine Mutter tot war, von der Prophezeiung erzählte. Sie tat dies, während sie zusammen durch die Wüste gingen und dem Mann der Tochter, der Bildhauer war und Abbilder der heiligen Götter in den Gräbern formte, Essen brachten – und sie sagte der Tochter, meiner Amme, wie groß ihre Sorge und Liebe zu dem Kind sein müsse, das eines Tages Pharao sein und die Ptolemäer aus Ägypten vertreiben sollte. Aber die Tochter, meine Amme, war so verwundert über das, was sie hörte, dass sie die Geschichte nicht in ihrer Brust verschlossen halten konnte, und in der Nacht weckte sie ihren Mann und flüsterte sie ihm zu, und führte dadurch ihr eigenes Verderben und das Verderben ihres Kindes, meines Ziehbruders, herbei. Denn der Mann erzählte es seinem Freund, und der Freund war ein Spion des Ptolemaios, und so kam die Geschichte zu den Ohren des Pharaos.

Nun, der Pharao war sehr beunruhigt darüber, denn obwohl er, wenn er voll von Wein war, den Gott der Ägypter verhöhnte, und schwor, dass der römische Senat der einzige Gott war, vor dem er das Knie beugte, war in seinem Herzen eine schreckliche Angst, wie ich von einem, der sein Arzt war, erfuhr. Wenn er nachts allein war, schrie und weinte er laut zu dem großen Serapis, der in der Tat kein wahrer Gott ist, und zu anderen Göttern, weil er fürchtete, ermordet zu werden und seine Seele den Peinigern übergeben würde. Und wenn er fühlte, dass sein Thron unter ihm zitterte, schickte er große Geschenke zu den Tempeln und bat um eine Botschaft von den Orakeln, besonders von dem Orakel in Philae. Als ihm zu Ohren kam, dass die Frau des Hohepriesters des großen und alten Tempels von Abouthis vor ihrem Tod mit dem Geist der Prophezeiung erfüllt worden war und vorausgesagt hatte, dass ihr Sohn Pharao werden würde, fürchtete er sich sehr und rief einige treue Wachen zusammen – die, da sie Griechen waren, keine Angst hatten, ein Sakrileg zu begehen – und schickte sie mit einem Boot den Nil hinauf, mit dem Befehl, nach Abouthis zu kommen, dem Kind des Hohepriesters den Kopf abzuschlagen und ihn ihm in einem Korb zu bringen.

Aber das Boot, in dem die Wachen kamen, hatte einen großen Tiefgang, und da ihre Ankunft bei der niedrigsten Ebbe des Flusses geschah, stieß es an eine Schlammbank gegenüber der Mündung der Straße, die über die Ebene nach Abouthis führt, und blieb dort stecken, und da der Nordwind sehr heftig wehte, drohte es zu sinken. Da riefen die Wachen des Pharao dem gemeinen Volk, das sich am Ufer des Flusses mit dem Schöpfen von Wasser abmühte, zu, mit Booten zu kommen und sie herauszuholen; aber da sie sahen, dass es Griechen aus Alexandria waren, wollte niemand helfen, denn die Ägypter liebten die Griechen nicht. Da schrien die Wächter, sie seien im Auftrag des Pharao gekommen, doch das Volk wollte immer noch nicht und fragte, was denn ihr Auftrag sei. Da sagte ihnen ein Kämmerer unter ihnen, der sich in seiner Angst betrunken hatte, dass sie gekommen seien, das Kind des Hohenpriesters Amenemhat zu töten, von dem geweissagt war, dass es Pharao werden und die Griechen aus Ägypten vertreiben sollte. Da fürchteten sich die Leute und brachten Boote, da sie nicht wussten, was mit den Worten des Mannes gemeint sein könnte. Es war aber einer unter ihnen, ein Bauer und Kanalaufseher, der ein Verwandter meiner Mutter und dabei gewesen war, als sie weissagte; und er wandte sich um und lief schnell drei Viertelstunden lang, bis er zu der Stelle kam, wo ich in dem Haus lag, das sich außerhalb der Nordmauer des großen Tempels befand. Nun war mein Vater zufällig abwesend und die Wachen des Pharao, die auf Eseln ritten, waren nicht mehr fern. Da erzählte der Bote der alten Atoua, deren Zunge das Unglück herbeigeführt hatte, dass die Soldaten heranrückten, um mich zu töten. Und sie sahen einander an und wussten nicht, was sie tun sollten; denn hätten sie mich versteckt, so hätten die Wachen nicht aufgehört zu suchen, bis sie mich gefunden hätten. Der Mann aber schaute durch die Tür und sah ein kleines Kind beim Spielen: »Frau«, sagte er, »wem gehört das Kind?«

»Es ist mein Enkel«, antwortete sie, »der Pflegebruder des Fürsten Harmachis, dem Kind, dessen Mutter wir diesen bösen Fall verdanken.«

»Frau«, sagte er, »du kennst deine Pflicht, erfülle sie!«, und er zeigte wieder auf das Kind. »Ich befehle es dir, bei dem heiligen Namen!«

Atoua zitterte sehr, denn das Kind war von ihrem eigenen Blut; aber dennoch nahm sie den Jungen und wusch ihn und legte ihm ein seidenes Gewand an und legte ihn in meine Wiege. Und mich nahm sie und beschmierte mich mit Schlamm, um meine helle Haut dunkler zu machen, und zog mir mein Gewand aus und ließ mich im Dreck des Hofes spielen, was ich recht gerne tat.

Da verbarg sich der Mann, und alsbald ritten die Soldaten heran und fragten die alte Frau, ob dies die Wohnung des Hohenpriesters Amenemhat sei? Sie bejahte es und hieß sie eintreten und bot ihnen Honig und Milch an, denn sie waren durstig.

Als sie getrunken hatten, fragte der Kämmerer, der bei ihnen war, ob das der Sohn Amenemhats sei, der in der Wiege lag; und sie sagte: »Ja, ja«, und fing an, den Wächtern zu erzählen, wie groß er sein würde, denn es war von ihm geweissagt worden, dass er eines Tages über alle herrschen würde.

Aber die griechischen Wachen lachten, und einer von ihnen ergriff das Kind und schlug ihm mit dem Schwert den Kopf ab; und der Eunuch zog das Siegel des Pharao als Rechtfertigung für die Tat hervor und zeigte es der alten Atoua und befahl ihr, dem Hohepriester zu sagen, dass sein Sohn König ohne Kopf werden sollte.

Als sie gingen, sah einer von ihnen mich im Dreck spielen und rief, dass in dem Balg mehr Zucht sei als in dem Prinzen Harmachis; und einen Augenblick schwankten sie und dachten daran, auch mich zu erschlagen, aber schließlich zogen sie weiter und trugen den Kopf meines Ziehbruders, denn sie liebten es nicht, kleine Kinder zu töten.

Nach einer Weile kam die Mutter des toten Kindes vom Marktplatz zurück, und als sie erfuhr, was geschehen war, hätten sie und ihr Mann die alte Atoua, ihre Mutter, beinahe erschlagen und mich den Soldaten des Pharao ausgeliefert. Aber mein Vater kam auch gerade zurück und ließ, nachdem er die Wahrheit erfahren hatte, den Mann und seine Frau ergreifen und bei Nacht in ein dunklen Verließ des Tempels bringen, und niemand hat jemals wieder etwas von ihnen gesehen.

Aber ich wünschte heute, es wäre der Wille der Götter gewesen, dass ich von den Soldaten erschlagen worden wäre und nicht das unschuldige Kind.

Danach wurde verkündet, dass der Hohepriester Amenemhat mich als Sohn zu sich genommen hatte anstelle des Harmachis, der vom Pharao erschlagen worden war.

2. Die Tötung des Löwen

Nach diesen Geschehnissen beunruhigte uns Ptolemaios, der Pfeifer, nicht mehr, er sandte keine Soldaten aus, um den zu suchen, von dem geweissagt worden war, dass er Pharao werden sollte. Der Kopf des Kindes, meines Ziehbruders, wurde ihm von dem Eunuchen gebracht, als er in seinem Marmorpalast in Alexandria, berauscht von zypriotischem Wein, vor seinen Frauen auf der Flöte spielte. Auf sein Geheiß hin hob der Eunuch den Kopf an den Haaren hoch, damit er ihn betrachten konnte. Dann lachte er und schlug ihn mit seiner Sandale auf die Wange und befahl einem der Mädchen, den Pharao mit Blumen zu krönen. Und er beugte das Knie und verspottete das Haupt des unschuldigen Kindes. Aber das Mädchen, das eine scharfe Zunge hatte – all dies hörte ich in späteren Jahren –, sagte zu ihm, dass er gut daran täte, das Knie zu beugen, denn das Kind sei in der Tat Pharao, der größte aller Pharaonen, und sein Name sei Osiris und sein Thron sei der Tod.

Ptolemaios war sehr beunruhigt über diese Worte und zitterte, denn da er ein böser Mann war, fürchtete er sich sehr, in Amenti einzutreten. Er befahl die Hinrichtung des Mädchens wegen des bösen Vorzeichens ihrer Worte und rief ihr nach, er schicke sie dorthin, wo sie den Pharao anbeten könne, den sie genannt hatte. Auch die anderen Frauen schickte er fort und spielte nicht mehr auf der Flöte, bis er wieder betrunken war.

Die Jahre gingen dahin, und ich, der ich noch sehr klein war, wusste nichts von den großen Dingen, die sich in Ägypten ereigneten; und es ist nicht meine Absicht, sie hier darzulegen. Denn ich, Harmachis, habe nur wenig Zeit, die mir noch bleibt, und will nur von den Dingen sprechen, mit denen ich zu tun hatte.

Mein Vater und die Lehrer unterrichteten mich in den alten Lehren unseres Volkes und in solchen Dingen, die die Götter betreffen, wie es sich gehört, dass Kinder sie kennen. Mit der Zeit wurde ich stark und schön, denn mein Haar war schwarz wie das Haar des göttlichen Nout, und meine Augen waren blau wie der blaue Lotus, und meine Haut war wie der Alabaster in den Heiligtümern. Denn nun, da diese Herrlichkeiten von mir vergangen sind, kann ich ohne Scham von ihnen sprechen. Es gab keinen Jüngling meines Alters in Abouthis, der gegen mich bestehen konnte, um mit mir zu ringen, auch konnte keiner so weit mit der Schleuder oder dem Speer werfen wie ich. Und ich sehnte mich sehr danach, den Löwen zu jagen; aber der, den ich meinen Vater nannte, verbot es mir und sagte mir, dass mein Leben zu wertvoll sei, um es so leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Als ich mich vor ihm verbeugte und fragte, er möge mir klar machen, was er meinte, runzelte der alte Mann die Stirn und antwortete, dass die Götter alle Dinge zu ihrer Zeit klar machen würden. Ich aber ging zornig weg, denn in Abouthis gab es einen Jüngling, der mit anderen einen Löwen erlegt hatte, der über die Herden seines Vaters herfiel, und da er auf meine Kraft und Schönheit neidisch war, behauptete er, ich sei im Herzen feige, denn wenn ich auf die Jagd ginge, tötete ich nur Schakale und Gazellen. Das war, als ich mein siebzehntes Jahr erreicht hatte und ein erwachsener Mann geworden war.

Es begab sich also, dass ich, als ich mich schweren Herzens von dem Hohenpriester entfernte, diesem Jüngling begegnete, der mir zurief und mich verspottete, indem er mich wissen ließ, Landleute hätten ihm erzählt, dass ein großer Löwe sich unten in den Binsen am Ufer des Kanals, der am Tempel vorüberfließt und dreißig Stadien von Abouthis entfernt liegt, aufhalte. Noch immer spottend fragte er mich, ob ich mitkommen und ihm helfen würde, diesen Löwen zu erschlagen, oder ob ich mich zu den alten Frauen setzen und sie bitten würde, mir die Haare zu kämmen? Diese bitteren Worte erzürnten mich so sehr, dass ich nahe daran war, mich auf ihn zu stürzen; aber stattdessen vergaß ich den Spruch meines Vaters und antwortete, dass, wenn er allein käme, ich mit ihm gehen und diesen Löwen suchen würde, und er solle erfahren, ob ich wirklich ein Feigling sei. Zuerst wollte er nicht, denn, wie die Menschen wissen, ist es bei uns Brauch, den Löwen in Gesellschaften zu jagen; und so war es meine Stunde, zu spotten. Da ging er hin und holte seinen Bogen und Pfeile und ein scharfes Messer. Ich aber holte meinen schweren Speer, der einen Schaft aus Dornenholz hatte und an seinem Ende einen silbernen Granatapfel, um die Hand vor dem Abrutschen zu bewahren, und schweigend gingen wir Seite an Seite zu der Stelle, wo der Löwe lag. Als wir an die Stelle kamen, war es fast Sonnenuntergang; und dort, auf dem Schlamm des Kanalufers, fanden wir die Spur des Löwen, die in ein dichtes Schilffeld führte.

»Nun, du Prahler«, sagte ich, »willst du uns den Weg ins Schilf führen, oder soll ich es tun?« Und ich tat, als ob ich vorangehen wollte.

»Nein, nein«, antwortete er, »sei nicht so verrückt! Die Bestie wird sich auf dich stürzen und dich zerreißen. Sieh! Ich werde zwischen das Schilf schießen. Wenn er schläft, wird ihn das vielleicht wecken.« Und er spannte seinen Bogen, um es zu wagen.

Wie es geschah, weiß ich nicht, aber der Pfeil traf den schlafenden Löwen, und wie ein Lichtblitz aus dem Bauch einer Wolke sprang er aus dem Schutz des Schilfs und stand mit struppiger Mähne und gelben Augen vor uns, der Pfeil zitterte in seiner Flanke. Er brüllte laut vor Wut, und die Erde bebte.

»Schieß mit dem Bogen«, rief ich, »schieß schnell, bevor er springt!«

Aber der Mut hatte die Brust des Prahlers verlassen, seine Kinnlade fiel herunter und seine Finger lösten sich aus ihrem Griff, so dass der Bogen von ihnen fiel; dann drehte er sich mit einem lauten Schrei um und floh hinter mich, wobei er den Löwen auf meinem Weg zurückließ. Aber während ich auf mein Verhängnis wartete, obwohl ich große Angst hatte, nicht zu fliehen, kauerte sich der Löwe zusammen, drehte sich nicht zur Seite und fegte mit einem großen Sprung über mich hinweg, ohne mich zu berühren. Er sprang auf den Rücken des Prahlers und versetzte ihm mit seiner großen Pranke einen solchen Schlag, dass sein Kopf zerschmettert wurde wie ein Ei, das gegen einen Stein geworfen wird. Er fiel tot um, und der Löwe stand über ihm und brüllte. Da wurde ich wahnsinnig vor Entsetzen, und kaum wissend, was ich tat, ergriff ich meinen Speer und griff ihn mit einem Schrei an. Da richtete sich der Löwe über mir auf. Er schlug mit seiner Pranke nach mir; aber mit all meiner Kraft trieb ich den breiten Speer in seine Kehle, und da er vor der Qual des Stahls zurückschreckte, ging sein Schlag daneben und riss mir nur die Haut auf. Er fiel auf den Rücken mit dem Speer in seiner Kehle; dann erhob er sich, brüllte vor Schmerz und sprang doppelt so hoch wie ein Mann direkt in die Luft und schlug mit seinen Vorderpfoten nach dem Speer. Zweimal sprang er so, es war furchtbar anzusehen, und zweimal fiel er zurück. Dann erschöpfte sich seine Kraft mit dem strömenden Blut, und stöhnend wie ein Stier starb er, während ich, der ich nur ein Knabe war, dastand und vor Angst zitterte, jetzt, da alle Ursache der Angst vergangen war.

Als ich aber dastand und auf den leichnam desjenigen starrte, der mich verspottet hatte, und auf den Kadaver des Löwen, kam eine Frau auf mich zugelaufen, eben dieselbe alte Frau Atoua, die, obwohl ich es damals noch nicht wusste, ihr eigenes Kind geopfert hatte, damit ich gerettet würde. Sie war dabei, am Wasser Kräuter zu sammeln, ohne zu wissen, dass ein Löwe in der Nähe war (und in der Tat sind die Löwen zumeist nicht im Ackerland, sondern in der Wüste und in den libyschen Bergen zu finden), und hatte von weitem gesehen, was ich getan hatte. Als sie nun kam, erkannte sie mich als Harmachis, verbeugte sich vor mir, grüßte mich und nannte mich königlich und aller Ehre würdig, geliebt und auserwählt von den Heiligen Drei, und gab mir den Namen Pharao, der Befreier.

Ich aber, der ich dachte, dass der Schrecken sie irre gemacht hatte, fragte sie, wovon sie sprechen würde.

»Ist es eine große Sache«, fragte ich, »dass ich einen Löwen erschlagen habe? Ist es eine Sache, die einer solchen Rede wie der deinigen würdig ist? Es leben und lebten Männer, die viele Löwen erschlagen haben. Hat nicht der göttliche Amen-hetep, der Osirianer, mit seiner eigenen Hand mehr als hundert Löwen erschlagen? Steht nicht auf dem Skarabäus, der in der Kammer meines Vaters hängt, geschrieben, dass er einst Löwen erschlug? Und haben nicht andere dasselbe getan? Warum sprichst du dann so, törichtes Weib?«

Dies alles sagte ich, weil ich, nachdem ich nun den Löwen getötet hatte, es nach der Art der Jugend für eine Sache von keiner Bedeutung hielt. Aber sie hörte nicht auf, mir zu huldigen und mich mit Namen zu nennen, die zu hoch sind, um niedergeschrieben zu werden.

»O Königlicher«, rief sie, »weise hat deine Mutter prophezeit. Sicherlich war der Heilige Geist, der Knepth, in ihr, o du von einem Gott Gezeugter! Sieh das Omen! Der Löwe dort – er brüllt im Kapitol zu Rom – und der Tote, das ist Ptolemäus – die mazedonische Brut, die wie ein fremdes Unkraut das Land am Nil überwuchert hat; mit dem mazedonischen Lagiden sollst du gehen, den Löwen von Rom zu erschlagen. Aber der makedonische Hund wird fliehen, und der römische Löwe wird ihn erschlagen, und du wirst den Löwen erlegen, und das Land von Khem wird wieder frei sein! Frei! Halte dich nur rein, gemäß dem Gebot der Götter, o Sohn des königlichen Hauses; o Hoffnung von Khem! Sei nur auf der Hut vor der Frau, der Zerstörerin, und wie ich gesagt habe, so soll es sein. Ich bin arm und unglücklich, ja, von Kummer geplagt. Ich habe gesündigt, als ich von dem sprach, was verborgen sein sollte, und für meine Sünde habe ich mit der Münze dessen bezahlt, der aus meinem Schoß geboren wurde; gerne habe ich für dich bezahlt. Doch in mir trage ich die Weisheit unseres Volkes, auch wenden die Götter, in deren Augen alle gleich sind, ihren Blick nicht von den Armen ab; die göttliche Mutter Isis hat zu mir gesprochen – auch letzte Nacht hat sie gesprochen – und mir befohlen, hierher zu kommen, um Kräuter zu sammeln, und dir die Zeichen zu lesen, die ich sehen sollte. Und wie ich gesagt habe, so wird es geschehen, wenn du nur die Last der großen Versuchung ertragen kannst. Komm hierher, Königlicher!«, und sie führte mich an den Rand des Kanals, wo das Wasser tief und still und blau war. »Nun betrachte dieses Gesicht, wie das Wasser es zurückwirft. Ist diese Stirn nicht geeignet, die doppelte Krone zu tragen? Spiegeln diese sanften Augen nicht die Majestät der Könige wider? Hat nicht Ptah, der Schöpfer, deinen Körper so geformt, dass er zum kaiserlichen Gewand passt und den Blick der Scharen, die durch dich zu Gott schauen, in Ehrfurcht versetzt? – Nein, nein«, fuhr sie mit einer anderen Stimme fort, einer schrillen, alten Frauenstimme, »ich will nicht so töricht sein, Junge – der Kratzer eines Löwen ist ein giftiges Ding, ein schreckliches Ding, ja, so schlimm wie der Biss eines Aspis – er muss behandelt werden, sonst wird er eitern, und dein ganzes Leben lang wirst du von Löwen träumen, ja, und von Schlangen, und außerdem wird er in Wunden ausbrechen. Aber ich weiß es, ich weiß es. Ich bin nicht umsonst verrückt. Denn merke! Alles hat sein Gleichgewicht – im Wahnsinn ist viel Weisheit, und in der Weisheit viel Wahnsinn. La, la! Der Pharao selbst kann nicht sagen, wo das eine anfängt und das andere aufhört. Steh nicht so dumm da und guck wie eine Katze im Krokusgewand, wie man in Alexandria sagt, sondern lass mich nur diese grünen Kräuter auf die Stelle legen, und in sechs Tagen ist die Haut so weiß wie ein dreijähriges Kind. Mach dir nichts daraus, Junge. Bei dem, der in Osiris ruht, sage ich, du wirst leben, um so sauber von Narben zu sein wie ein Opfer an Isis bei Neumond, wenn du dich von mir mit meiner Medizin behandeln lässt. – Ist es nicht so, gute Leute?«, und sie wandte sich an einige Menschen, die sich, während sie prophezeite, unbemerkt von mir um uns versammelt hatten. »Ich habe einen Zauber über ihn gesprochen, nur um der Tugend meiner Medizin einen Weg zu bahnen. La, la! Es geht nichts über einen Zauber. Wenn ihr es nicht glaubt, kommt einfach zu mir, wenn eure Frauen das nächste Mal unfruchtbar sind; es ist besser, als jede Säule im Tempel des Osiris zu berühren, das versichere ich euch. Ich mache sie gebärend wie eine zwanzigjährige Palme. Aber dann, seht ihr, müsst ihr wissen, was ihr sagen sollt – das ist der Punkt – alles kommt schließlich auf einen Punkt. La, la!«

Als ich nun dies alles hörte, schlug ich, Harmachis, die Hand an den Kopf und wusste nicht, ob ich träumte. Aber als ich aufblickte, sah ich einen grauhaarigen Mann unter denen, die sich versammelt hatten, der uns scharf beobachtete, und später erfuhr ich, dass dieser Mann der Spion des Ptolemäus war, genau der Mann, der mich beinahe vom Pharao hätte erschlagen lassen, als ich in meiner Wiege lag. Da verstand ich, warum Atoua so töricht sprach.

»Deine Sprüche sind seltsam, alte Frau«, sagte der Spion. »Du sprachst vom Pharao und der Doppelkrone und von der Gestalt, die Ptah schuf, um sie zu tragen; ist es nicht so?«

»Ja, ja – das war nur ein Teil des Zaubers, du Narr; und auf was kann man heutzutage besser schwören als auf den göttlichen Pharao, den Pfeifer, den und dessen Musik die Götter bewahren mögen, um dieses glückliche Land zu verzaubern? Auf was besser als auf die doppelte Krone, die er dank des großen Alexander von Makedonien trägt? Und wo wir gerade von Tugend sprechen – seht, was dieser Junge getan hat – er hat einen Löwen mit seinem eigenen Speer erschlagen; und ihr Dorfbewohner solltet froh sein, das zu sehen, denn es war ein sehr wilder Löwe – seht euch nur seine Zähne und seine Klauen an – seine Klauen – sie reichen, um eine arme, dumme alte Frau wie mich zum Schreien zu bringen, wenn sie sie sieht! Und der Körper dort, der tote Körper, den der Löwe getötet hat. Ach, er ist jetzt ein Osiris8, – vor einer Stunde war er noch ein gewöhnlicher Sterblicher wie du oder ich! Nun, fort mit ihm zu den Einbalsamierern. Er wird bald in der Sonne anschwellen und platzen, und das wird ihnen die Mühe ersparen, ihn aufzuschneiden. Nicht, dass sie auch nur ein Talent Silber für ihn ausgeben würden. Siebzig Tage in Natron – das ist alles, was er bekommen wird. La, la! Wie mir die Zunge läuft, und es wird schon dunkel. Wollt ihr nicht endlich die Leiche des armen Jungen wegbringen und den Löwen auch? So, mein Junge, behalte die Kräuter auf der Haut, dann spürst du die Wunden nicht. Ich weiß ein paar Dinge, so verrückt ich auch bin, und du bist mein eigener Enkel! Ich bin froh, dass der Hohepriester dich adoptiert hat, als der Pharao – Osiris segne seinen heiligen Namen – seinen Sohn umbringen ließ. Du siehst so schön aus! Ich garantiere dir, der echte Harmachis hätte so einen Löwen nicht töten können. Gib mir das gemeine Blut, sage ich – es ist so wundervoll.«

»Du weißt zu viel und redet zu schnell«, brummte der Spion, der nun beruhigt war. »Nun, er ist ein tapferer Jüngling. Hier, ihr Männer, tragt diesen Körper zurück nach Abouthis, und einige von euch bleiben hier und helfen mir, den Löwen zu häuten. – Wir werden dir das Fell schicken, junger Mann«, fuhr er fort, »nicht dass du es verdient hättest: einen Löwen so anzugreifen war die Tat eines Narren, und ein Narr verdient, was er bekommt – Zerstörung. Greife nie den Starken an, bis du selbst stärker bist.«

Ich aber ging nach Hause und wunderte mich.

3. Der Tadel des Amenemhat

Für eine Weile verursachte der Saft der grünen Kräuter, die die alte Frau Atoua auf meine Wunden gelegt hatte, ein scharfes Brennen, aber bald hörte der Schmerz auf. Innerhalb von zwei Tagen waren meine Wunden geheilt, und bald darauf war keine Spur von ihnen mehr zu sehen. Aber ich dachte daran, dass ich dem Wort des alten Hohenpriesters Amenemhat, der mein Vater genannt wurde, nicht gehorcht hatte. Denn bis zu diesem Tag hatte ich nicht gewusst, dass er in Wahrheit mein richtiger Vater war, da ich gelehrt worden war, sein eigener Sohn sei getötet worden, und dass es ihm gefallen habe, mich mit göttlicher Zustimmung als Adoptivsohn anzunehmen und mich aufzuziehen, damit ich zu gegebener Zeit ein Amt am Tempel übernehmen würde. Deshalb war ich sehr beunruhigt, denn ich fürchtete den alten Mann, der sehr schrecklich in seinem Zorn war und immer mit der kalten Stimme der Weisheit sprach. Dennoch beschloss ich, zu ihm hineinzugehen und meine Schuld zu bekennen und die Strafe zu ertragen, die er mir auferlegen würde. So ging ich mit dem roten Speer in der Hand und den roten Wunden auf meiner Brust durch den äußeren Vorhof des großen Tempels und kam zur Tür des Hauses, in dem der Hohepriester wohnte.

Es war eine große Kammer, rundherum mit den Bildern der feierlichen Götter geschmückt. Das Sonnenlicht kam am Tag durch eine Öffnung herein, die durch die Steine des massigen Daches geschnitten war. Aber in der Nacht wurde sie von einer schwingenden Lampe aus Bronze beleuchtet. Ich ging geräuschlos hinein, denn die Tür war nicht ganz geschlossen, und als ich mich durch die schweren Vorhänge schob, die dahinter lagen, stand ich mit klopfendem Herzen in der Kammer.

Die Lampe war schon angezündet, denn es war dunkel geworden, und bei ihrem Licht sah ich den Alten in einem Stuhl aus Elfenbein und Ebenholz an einem steinernen Tisch sitzen, auf dem mystische Schriften mit den Worten über Leben und Tod ausgebreitet waren. Aber er las nicht mehr, denn er schlief, und sein langer weißer Bart ruhte auf dem Tisch. Das sanfte Licht der Lampe fiel auf ihn, auf die Papyri und den goldenen Ring an seiner Hand, in den die Symbole des Unsichtbaren eingraviert waren, aber sonst lag alles im Schatten. Das Licht fiel auf das kahlgeschorene Haupt, auf das weiße Gewand, auf den Zedernstab der Priesterschaft an seiner Seite und auf das Elfenbein des löwenfüßigen Stuhles; es zeigte die mächtige Stirn, die in königlicher Form geschnittenen Züge, die weißen Augenbrauen und die dunklen Höhlen der tiefliegenden Augen. Ich schaute ihn an und zitterte, denn da war etwas an ihm, das mehr war als die Würde eines Menschen. Er hatte so lange mit den Göttern gelebt und so lange mit ihnen in Verkehr gestanden, er war so tief in überirdischen Geheimnisse eingeweiht, dass er sogar jetzt, vor seiner Zeit, an der Natur des Osiris teil hatte und ein Wesen war, das gewöhnlichen Menschen Furcht einflößte.

Ich stand da und starrte ihn an; schließlich öffnete er seine dunklen Augen, schaute aber weder auf mich, noch wandte er den Kopf; und doch sah er mich, als er sprach.

»Warum bist du mir ungehorsam gewesen, mein Sohn?«, fragte er. »Wie kam es, dass du gegen den Löwen hinausgingst, obwohl ich es dir verboten hatte?«

»Woher weißt du, mein Vater, dass ich fortgegangen bin?«, fragte ich ängstlich.

»Wie ich es wissen kann? Gibt es denn keine anderen Wege der Erkenntnis als durch die Sinne? Ach, unwissendes Kind, war mein Geist nicht bei dir, als der Löwe sich auf deinen Gefährten stürzte? Habe ich nicht gebeten, dich zu beschützen, um deinen Stoß zu sichern, als du den Speer in den Rachen des Löwen triebst? Wie kam es, dass du hinausgingst, mein Sohn?«

»Der Prahler verspottete mich«, antwortete ich, »und ich ging.«

»Ja, ich weiß es; und wegen des heißen Blutes der Jugend vergebe ich dir, Harmachis. Aber nun höre mir zu und lass meine Worte in dein Herz sinken wie die Wasser des Nils in den durstigen Sand beim Aufgang des Sirius. Höre mir zu! Der Prahler wurde dir zur Versuchung gesandt, er wurde dir zur Prüfung deiner Kraft gesandt, und siehe! – sie ist der Last nicht gewachsen gewesen. Darum ist deine Stunde hinausgeschoben. Wärst du in dieser Sache stark gewesen, so wäre dir der Weg schon jetzt deutlich gemacht worden. Aber du hast versagt, und darum ist deine Stunde zurückgestellt.«

»Ich verstehe dich nicht, mein Vater«, antwortete ich.

»Was war es denn, mein Sohn, was die alte Atoua unten am Ufer des Kanals zu dir sagte?«

Ich erzählte ihm alles, was die alte Frau gesagt hatte.

»Und du glaubst es, Harmachis, mein Sohn?«

»Nein«, antwortete ich; »wie sollte ich solche Geschichten glauben? Sicherlich ist sie verrückt. Das ganze Volk kennt sie als verrückt.«

Jetzt schaute er zum ersten Mal zu mir her, der ich im Schatten stand.

»Mein Sohn! Mein Sohn!«, rief er; »du irrst dich. Sie ist nicht verrückt. Die Frau sprach die Wahrheit; sie sprach nicht von sich selbst, sondern von der Stimme in ihr, die nicht lügen kann. Denn diese Atoua ist eine Prophetin und heilig. Nun lerne das Schicksal kennen, das dir die Götter Ägyptens zur Erfüllung gegeben haben, und wehe dir, wenn du durch irgendeine Schwäche darin versagst! Höre: Du bist kein Fremder, der in mein Haus und in die Verehrung des Tempels aufgenommen wurde; du bist mein eigener Sohn, der mir von eben dieser Frau gerettet wurde. Aber, Harmachis, du bist mehr als das, denn in dir und mir allein fließt noch das kaiserliche Blut Ägyptens. Du und ich allein unter den lebenden Menschen stammen ohne Bruch oder Makel von jenem Pharao Nekt-nebf ab, den Ochus, der Perser, aus Ägypten vertrieb. Der Perser kam und der Perser ging, und nach dem Perser kam der Makedonier, und nun seit fast dreihundert Jahren haben die Lagiden die Doppelkrone usurpiert, das Land Khem beschmutzt und die Anbetung seiner Götter verdorben. Und nun merke dir dies: Seit zwei Wochen, ist Ptolemaios Aulêtes, der Pfeifer, der dich hatte töten wollen, tot; und nun hat der Eunuch Pothinus, eben jener Eunuch, der vor Jahren hierher kam, um dich zu beseitigen, den Willen seines Herrn, des toten Aulêtes, zunichte gemacht und den Knaben Ptolemaios auf den Thron gesetzt. Und deshalb ist seine Schwester Kleopatra, das wilde und schöne Mädchen, nach Syrien geflohen. Dort wird sie, wenn ich mich nicht irre, ihre Armeen sammeln und ihren Bruder Ptolemäus bekriegen; denn nach dem Willen ihres Vaters wurde sie mit ihm als Mitregentin belassen. Und in der Zwischenzeit, merke dir das, mein Sohn: Der römische Adler hängt hoch oben und wartet mit bereitstehenden Krallen, sich auf den fetten Ägypter zu stürzen und ihn zu zerreißen. Und merke dir noch eines: Das ägyptische Volk ist des fremden Jochs überdrüssig, es hasst die Erinnerung an die Perser und ist es leid, auf den Märkten von Alexandria als ›Männer Makedoniens‹ bezeichnet zu werden. Das ganze Land murrt und ächzt unter dem Joch der Griechen und dem Schatten der Römer.

Sind wir nicht unterdrückt worden? Wurden nicht unsere Kinder abgeschlachtet und unsere Gewinne uns abgerungen, um die bodenlose Gier und Lust der Lagiden zu befrieden? Sind nicht die Tempel verlassen worden, ja, sind nicht die Majestäten der ewigen Götter durch diese griechischen Schwätzer, die es gewagt haben, sich in die unsterblichen Wahrheiten einzumischen und den Allerhöchsten mit einem anderen Namen zu benennen, nämlich mit dem Namen Serapis, der die Substanz des Unsichtbaren verdrängt, zunichte gemacht worden? Schreit Ägypten nicht laut nach Freiheit – und soll es etwa vergeblich schreien? Nein, nein, denn du, mein Sohn, bist ausersehen, Ägypten zu befreien. Dir habe ich mein Recht übertragen. Schon wird dein Name in vielen Heiligtümern geflüstert, von Abu bis Athu; schon schwören Priester und Volk dem, der ihnen verkündet werden soll, Treue, sogar durch die heiligen Symbole. Doch die Zeit ist noch nicht gekommen; du bist ein zu grünes Pflänzchen, um die Wucht eines solchen Sturms zu ertragen. Heute wurdest du geprüft und für mangelhaft befunden.

Wer den Göttern dienen will, Harmachis, muss die Schwächen des Fleisches ablegen. Spott darf ihn nicht reizen, ebenso wenig wie menschliche Begierden. Du hast eine hohe Aufgabe, aber das musst du lernen. Wenn du es nicht lernst, wirst du darin scheitern; und dann sei mein Fluch auf dir und der Fluch Ägyptens und der Fluch der gebrochenen Götter Ägyptens! Denn wisse dies, dass selbst die Götter, die unsterblich sind, sich in der verwobenen Ordnung der Dinge auf den Menschen stützen können, der ihr Werkzeug ist, wie ein Krieger auf sein Schwert. Und wehe dem Schwert, das in der Stunde des Kampfes versagt, denn es wird weggeworfen werden, um zu rosten oder vielleicht mit Feuer zu schmelzen! Darum mache dein Herz rein und hoch und stark; denn deiner harrt kein gewöhnliches Los, und keine irdische Belohnung erwartet dich. Triumphiere, Harmachis, und du sollst in Herrlichkeit erblühen – in Herrlichkeit hier und im Jenseits! Versage, – und wehe dir!«

Er hielt inne, neigte den Kopf und fuhr dann fort: »Von diesen Dingen sollst du später mehr hören. Bis dahin hast du viel zu lernen. Morgen werde ich dir Briefe geben, und du sollst den Nil hinunterreisen, vorbei am weiß gemauerten Memphis nach An. Dort sollst du einige Jahre verweilen und im Schatten der geheimen Pyramiden mehr von unserer alten Weisheit lernen, deren erblicher Hohepriester auch du sein wirst. In der Zwischenzeit werde ich hier sitzen und warten, denn meine Stunde ist noch nicht gekommen, und mit Hilfe der Götter das Netz des Todes spinnen, in dem du die Wespe von Makedonien fangen sollst.