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Beschreibung

What do we want? Climate Justice! Die Forderung nach Klimagerechtigkeit wird im Rahmen der anhaltenden Klimaproteste immer mehr zur grundsätzlichen Forderung einer ganzen Generation. Hier stellen sich komplexe und drängende Fragen: Wie genau hängen die Klimakrise und diverse Strukturen der Marginalisierung zusammen? Wer steht in der Verantwortung, diese Krise zu bewältigen? Was schulden wir zukünftigen Generationen? Die internationale Debatte, inklusive feministischer und indigener Diskurse, bietet hierzu facettenreiche Ansätze, u. a. von Henry Shue, Stephen M. Gardiner, Anil Agarwal und Sunita Narain, Derek Parfit sowie Catriona McKinnon, die dieser Band – größtenteils erstmals in deutscher Sprache – zugänglich macht.

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Seitenzahl: 807

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Cover

Titel

3Klimaethik

Ein Reader

Herausgegeben von Lukas Sparenborg und Darrel Moellendorf

Suhrkamp

Impressum

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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2025

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabedes suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2441.

Originalausgabe© Suhrkamp Verlag GmbH, Berlin, 2025

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umschlag nach Entwürfen von Willy Fleckhaus und Rolf Staudt

eISBN 978-3-518-77922-4

www.suhrkamp.de

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Lukas Sparenborg und Darrel Moellendorf

:

Einleitung

Erster Teil: Der Klimawandel als Gerechtigkeitsproblem

Stephen M. Gardiner

:

Ein perfekter moralischer Sturm. Klimawandel, intergenerationale Ethik und das Problem der moralischen Korruption (2006)

Henry Shue

:

Die Unvermeidbarkeit der Gerechtigkeit (1992)

Anil Agarwal und Sunita Narain

:

Globale Erwärmung in einer ungleichen Welt. Ein Fall von Öko-Kolonialismus (1991)

Greta Gaard und Lori Gruen

:

Ökofeminismus – Für globale Gerechtigkeit und planetarische Gesundheit (1993)

Nancy Tuana

:

Klima-Apartheid. Das Vergessen von

race

im Anthropozän (2019)

Zweiter Teil: Zum Verhältnis zwischen den Generationen

Hans Jonas

:

Das Prinzip Verantwortung (Auszug) (1979)

Derek Parfit

:

Energiepolitik und die ferne Zukunft. Das Identitätsproblem (1983)

Lukas H. Meyer

:

Warum historische Emissionen zählen sollten (2013)

Catriona McKinnon

:

Unkontrollierbarer Klimawandel. Ein gerechtigkeitsbasiertes Argument für Vorsichtsmaßnahmen (2009)

Dritter Teil: Verantwortungen – individuell und kollektiv

Walter Sinnott-Armstrong

:

Es ist nicht

meine

Schuld. Globale Erwärmung und individuelle moralische Verpflichtungen (2005)

Elizabeth Cripps

:

Individuelle Klimagerechtigkeitspflichten. Das Modell kooperativer Förderung und seine Herausforderungen (2020)

Dale Jamieson

:

Wann Utilitarist:innen Tugendtheoretiker:innen sein sollten (2007)

Kyle Powys Whyte

:

Indigene Frauen, Auswirkungen des Klimawandels und kollektives Handeln (2014)

Simon Caney

:

Der Klimawandel und die Pflichten der Begünstigten (2010)

Vierter Teil: Klimagerechtigkeit im Kontext globaler Ungerechtigkeiten

Daniel Edward Callies und Darrel Moellendorf

:

Zur Bewertung klimapolitischer Maßnahmen: Katastrophenvermeidung und das Recht auf nachhaltige Entwicklung (2021)

Holly Jean Buck, Andrea R. Gammon und Christopher J. Preston

:

Gender und Geoengineering (2014)

Matthew Lister

:

Klimawandelflüchtlinge (2014)

Danksagung

Textnachweise

Über die Autor:innen

Fußnoten

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Lukas Sparenborg und Darrel Moellendorf

Einleitung

Wir befinden uns am Rande einer unumkehrbaren Klimakatastrophe. Es handelt sich hierbei zweifellos um einen globalen Notfall. Ein Großteil der Lebensgrundlagen auf der Erde ist gefährdet. Wir treten in eine kritische und unvorhersehbare neue Phase der Klimakrise ein.[1] 

Häufig beginnen Bücher über die Klimakrise mit dramatischen Szenarien von zukünftigen Naturkatastrophen, dem Aussterben ganzer Spezies oder drohenden humanitären Ausnahmezuständen. Doch inzwischen werden die Szenarien nicht nur konkreter, sie rücken auch immer näher – dies zeigt auch das Eingangszitat eines vor kurzem veröffentlichten Berichts zum Stand der Klimakrise. Diese Krise ist allgegenwärtig und für sehr viele bereits deutlich spürbar. Während politische Fortschritte immer noch auf sich warten lassen – und oft auch bewusst blockiert werden –, gehören Nachrichten von Extremwetterereignissen inzwischen zum Alltag. Klar ist also, dass es nicht mehr um ein reines Zukunftsproblem geht – wir leben bereits inmitten der sich entfaltenden Klimakrise.

Der Klimawandel ist ein vielschichtiges Problem, das Fragen für viele akademische Disziplinen aufwirft. Lange Zeit wurde die Klimakrise als naturwissenschaftlich-technisches Problem verstanden, doch sie bedarf auch der Aufmerksamkeit der Philosophie und Politischen Theorie. In diesem Band haben wir einige der bisher wichtigsten Beiträge von Moralphilosoph:innen, politischen Philosoph:innen und politischen Theoretiker:innen zur Klimaethik zusammengestellt. Obwohl es in der Moralphilosophie und der politischen Philosophie eine Tradition gibt, die zwischen Ethik und Gerechtigkeit unterscheidet,[2]  haben wir uns bei der Auswahl der Beiträge nicht von dieser Unterscheidung leiten lassen, sondern uns 8allgemein auf normative Beiträge zur aktuellen Klimakrise konzentriert. Einige der Beiträge, wie Dale Jamiesons klassischer Aufsatz »Wann Utilitarist:innen Tugendtheoretiker:innen sein sollten«, befassen sich mit Fragen individuellen Verhaltens und Verantwortung; andere, wie Anil Agarwals und Sunita Narains »Globale Erwärmung in einer ungleichen Welt. Ein Fall von Öko-Kolonialismus«, mit Gerechtigkeitsfragen hinsichtlich sozialer Prozesse und Strukturen sowie der moralischen Bedeutung von historischem Erbe. Wir verstehen den Titel dieses Bandes weit genug, um Beiträge einzubeziehen, die von individueller Moral und Verantwortung bis hin zur Gerechtigkeit von Institutionen reichen.

Die Beiträge haben einen normativen Schwerpunkt. Es geht um Argumente, Theorien und Schlussfolgerungen darüber, wie wir Sachverhalte und Handlungsbedarfe verstehen sollten, und nicht um empirische Theorien, wie beispielsweise Erklärungen über die Entstehung und Funktionsweise von Institutionen oder welche Rolle Interessen bei deren Gestaltung spielen. Der Fokus auf normative Argumente schließt natürlich vieles aus, das interessant und wichtig ist. Wir sind jedoch der Überzeugung, dass normative Überlegungen zentral sind und in öffentlichen Debatten oft nicht gründlich diskutiert werden. Wir hoffen, dass die in diesem Band enthaltenen Beiträge eine Einführung in die Vielfalt der normativen Analysen bieten, die die Klimakrise in den Mittelpunkt stellen. Die meisten Aufsätze wurden ursprünglich auf Englisch verfasst. Viele von ihnen erscheinen hier zum ersten Mal in deutscher Sprache, was wir den Übersetzer:innen zu verdanken haben, die an diesem Projekt mitgewirkt haben. Unser Anliegen ist es, diese Beiträge einem deutschsprachigen Publikum zugänglich zu machen.

Bei der Auswahl haben wir uns von zwei Gedanken leiten lassen. Zum einen wollten wir eine repräsentative Auswahl einiger der einflussreichsten Arbeiten und Theoretiker:innen auf diesem Gebiet zusammenstellen. Zum anderen wollten wir Beiträge aufnehmen, die unserer Meinung nach wichtige Fragen aufwerfen, die bisher jedoch nicht im Zentrum der Debatten über Klimaethik stehen – beispielweise solche, die Kolonialismus, Rassismus und Sexismus im Zusammenhang mit der Klimakrise diskutieren. Auch nach dieser Schwerpunktsetzung waren natürlich noch schwierige Entscheidungen zu treffen. Es gibt eine Menge hervorragender Beiträge, die diese Kriterien erfüllen. Die Auswahl, die wir getroffen haben, ist 9also nur ein kleiner Teil der vielen ausgezeichneten Arbeiten auf diesem Gebiet, wird aber vielleicht die Neugierde der Leser:innen wecken. Das zumindest hoffen wir.

Während wir dieses Projekt abschließen, sind die Aussichten auf Klimagerechtigkeit ernüchternd. Der Planet brennt. Auf der ganzen Welt werden Temperaturrekorde gebrochen, und von Juni 2023 bis Juni 2024 wurde jeden Monat ein neuer globaler Rekord aufgestellt.[3]  Im Pariser Abkommen von 2015 hat sich die Staatengemeinschaft auf eine Bestandsaufnahme geeinigt, um die Fortschritte bei der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen zu überprüfen. Das Klimasekretariat der Vereinten Nationen hat die erste dieser Bestandsaufnahmen im Jahr 2023 abgeschlossen und festgestellt, dass die Welt hinter dem Zeitplan zurückliegt:

Die globalen Emissionen entsprechen nicht den modellierten globalen Mitigationspfaden, die mit dem Temperaturziel des Pariser Abkommens vereinbar sind, und es gibt ein sich rasch verkleinerndes Zeitfenster, um die Ambitionen zu erhöhen und bestehende Verpflichtungen umzusetzen, um die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.[4] 

Eine renommierte private Forschungsgruppe namens Climate Action Tracker konstatiert, dass kein einziges Land derzeit auf dem Weg ist, seinen vereinbarten Beitrag dazu zu leisten, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.[5] 

Es ist also dringend nötig, die Klimaschutzmaßnahmen zu verstärken. Wir sind davon überzeugt, dass die politische Debatte, der Aktivismus und die Entwicklung von Strategien zur Bewältigung der Klimakrise davon profitieren können, wenn die in diesem Reader vorgestellten normativen Theorien und Diskussionen eingehend berücksichtigt werden. Denn Klimagerechtigkeit lässt sich am besten im Lichte sorgfältiger Überlegungen und intelligenter 10Diskussionen über die auf dem Spiel stehenden Werte verwirklichen. Wir werden im Folgenden das Feld der Klimaethik und -gerechtigkeit anhand der vier Teile dieses Readers kontextualisieren und so in die Thematik einführen.

Erster Teil: Der Klimawandel als Gerechtigkeitsproblem

Der Klimawandel stellt die Menschheit vor eine Vielzahl praktischer und theoretischer Herausforderungen. Im ersten Teil des Bandes soll es zunächst um einige klassische Analysen zu den Dynamiken des Klimawandels als Gerechtigkeitskrise gehen. Als Ausgangspunkt für Fragen internationaler Gerechtigkeit lässt sich die allgemein bekannte Feststellung anführen, dass der sogenannte Globale Norden historisch das Problem des Klimawandels durch das exzessive Ausstoßen von Treibhausgasen verursacht und von dem damit einhergegangenen Wohlstand profitiert hat, während Staaten des sogenannten Globalen Südens kurz- und mittelfristig deutlich stärker den Folgen der Klimakrise ausgesetzt sind. Was genau folgt daraus? Welche Gerechtigkeitsansprüche lassen sich daraus hinsichtlich der Abmilderung (mitigation)[6]  des und der Anpassung (adaptation) an den Klimawandel ableiten? Gleichzeitig sind Klimavulnerabilitäten auch innerhalb nationaler Grenzen oft sehr ungerecht verteilt, sodass bereits benachteiligte soziale Gruppen den Effekten der Klimakrise häufig besonders schutzlos ausgesetzt sind. Es gilt dabei auch zu betonen, dass Fragen der Klimagerechtigkeit nicht auf Verteilungsfragen begrenzt sind. In vielerlei Hinsicht, wie auch einige Texte in diesem ersten Teil betonen, geht es auch um politische Gerechtigkeit, also um Fragen des Empowerments marginalisierter Gruppen im Kontext der Klimakrise.[7] 

11Stephen M. Gardiners Analyse des Klimawandels als »perfekter moralischer Sturm« gehört zu den zentralen Referenzpunkten der analytischen Klimagerechtigkeitsdebatte. Aufgrund seiner Wirkmächtigkeit eröffnet dieser Text den ersten Teil. Gardiner erarbeitet eine Erklärung dafür, warum es so schwerfällt, der Klimakrise adäquat zu begegnen. Grund dafür ist das Zusammenspiel dreier komplexer moralischer Stürme: der globale, der intergenerationale und der theoretische Sturm. Sowohl der globale als auch der intergenerationale Sturm beruhen darauf, dass die Klimakrise durch eine weite Dispersion von Ursache und Wirkung in Zeit und Raum gekennzeichnet ist. Damit ist gemeint, dass Treibhausgase das Klima unabhängig davon beeinflussen, wo sie emittiert werden – exzessives Emittieren in einem Teil der Welt führt zu Dürren und Flutkatastrophen in anderen Teilen. Ferner entstehen die dramatischen Klimawandelfolgen durch das Handeln einer Vielzahl diverser Akteur:innen. Gardiner analysiert die Situation der Entscheidungsträger:innen in diesen Stürmen anhand des Gefangenendilemmas beziehungsweise der Tragik der Allmende. Die Ausgangssituation ist wie folgt: Es ist für die Akteur:innen individuell rational, beispielsweise keinen Vertrag zu unterzeichnen, der zur Reduzierung von Treibhausgasen verpflichtet, um weiterhin vom Wirtschaftswachstum durch Emissionen zu profitieren. Gleichzeitig ist es für alle Akteur:innen kollektiv rational, ein bindendes Klimaschutzabkommen zu verabschieden. Diese Situation wird nun durch die Streuung von Ursache und Wirkung über Zeit und Raum hinweg noch einmal genauso verschlimmert wie durch die mangelnden institutionellen Zwangsmechanismen auf internationaler Ebene. Das Zusammenspiel der ersten beiden Stürme führt zum theoretischen Sturm, der auf die defizitären institutionellen Rahmenbedingungen, aber auch auf einen Mangel an adäquaten theoretischen Werkzeugen hinweist, welche die Klimakrise in der Tiefe fassen können. All dies führt zum Problem moralischer Korruption, die sich in der Auseinandersetzung mit oberflächlichen und scheinheiligen Lösungsansätzen ausdrückt.[8] 

12Dieser allgemeinen und wirkmächtigen Analyse folgt der bereits 1992 erschienene Text »Die Unvermeidbarkeit der Gerechtigkeit« von Henry Shue. Dieser Text ist einer der ersten Auseinandersetzungen mit den praktischen Gerechtigkeitsfragen, die sich im Kontext internationaler Klimaverhandlungen stellen. Shue diskutiert die Möglichkeit, Klimaverhandlungen von Fragen der Gerechtigkeit zu trennen: Sollten Staaten somit erst mal das Klimaproblem lösen, bevor sie sich mit den anderen (globalen) Ungerechtigkeiten der Weltgemeinschaft auseinandersetzen? Er differenziert zwischen den Interessen diverser Staatengruppen, ärmeren und reichen, aber auch bevölkerungsarmen und bevölkerungsreichen Staaten. Demnach haben bevölkerungsreiche, aber wirtschaftlich arme Staaten eine andere Verhandlungsposition als kleine und arme Staaten, wie beispielsweise Haiti oder Mali. Am Beispiel Haitis diskutiert Shue die wichtige kombinierte Ungerechtigkeit (compound injustice), durch die ein Zusammenhang zwischen den mangelnden Anpassungs- und Bewältigungsmöglichkeiten und sogenannten Hintergrundungerechtigkeiten (background injustices) hergestellt wird: Welche Gerechtigkeitsabwägungen sind unvermeidlich, wenn zum Beispiel Haitis schlechte Verhandlungsposition durch die französische Kolonialisierung beeinflusst wird? Shue argumentiert dafür, die Mindestanforderung an Klimaverhandlungen müsse sein, vitale Interessen wie die Armutsbekämpfung nicht zu vernachlässigen.

Shues Frage nach dem Zusammenspiel von Klimaungerechtigkeiten und anderen internationalen Machtasymmetrien sowie historischen Ungerechtigkeiten dient in diesem Reader als Ausgangspunkt, um die Debatte über Klimagerechtigkeit etwas weiter aufzufächern. Die Debatte wurde unter anderem zwischen sogenannten Isolationist:innen und Integrationist:innen geführt, wobei Erstere für eine Abtrennung der Klimagerechtigkeit von Fragen internationaler Gerechtigkeit plädieren, während Letztere dies für eine Fehlinterpretation des Problems halten.[9]  Der Ausgangspunkt 13und Fokus der Debatte bestand dabei vor allem darin, in Anbetracht diverser einschränkender Faktoren Fortschritte bei der Bekämpfung des Klimawandels zu erreichen. Dennoch hat die Frage nach dem Zusammenspiel verschiedener Ungerechtigkeiten mit der Klimakrise natürlich auch eine theoretische Diskussion mit sich gebracht. Wenngleich wir die Debatte zwischen Isolationismus und Integrationismus hier nicht vertieft darstellen können, folgen auf Henry Shues Analyse zunächst Exzerpte aus Anil Agarwals und Sunita Narains »Globale Erwärmung in einer ungleichen Welt. Ein Fall von Öko-Kolonialismus«, einem Text aus dem Jahr 1991, der sich in praktischer Hinsicht mit dem Zusammenspiel von Klima und Kolonialismus auseinandersetzt. Diese Analyse diskutiert einen Bericht des World Research Institute (WRI), eines Think Tanks aus Washington, kritisch und legt dar, inwiefern die Berechnung des CO2-Ausstoßes und somit des Anteils an der globalen Erwärmung die Schuld von Industrienationen wie den USA hin zu Staaten wie Indien und China verschieben soll. Agarwal und Narain zufolge ist dies ein Manöver, das die Machtmechanismen des Kolonialismus auf die globale Erwärmung anwendet und diese so reproduziert – ein Phänomen, das sie »Öko-Kolonialismus« nennen. Die Autor:innen stellen die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit eines CO2-Budgets und fordern, dass der Globale Süden eigene Forschungen voranbringen muss, um nicht auf die tendenziösen Berechnungen westlicher Institutionen angewiesen zu sein.

Die zwei abschließenden Texte in diesem ersten Teil beschäftigen sich eher hinsichtlich der zweiten Diskursentwicklung mit dem Zusammenhang von Klima- und anderen sozialen Ungerechtigkeiten. »Ökofeminismus – Für globale Gerechtigkeit und planetarische Gesundheit« (1993) ist ein exemplarischer früher Überblickstext zu einer bestimmten ökofeministischen Auseinandersetzung mit Klima und Umwelt. Greta Gaard und Lori Gruen diskutieren darin verschiedene Problemfelder, mit denen sich ökofeministische Autor:innen auseinandergesetzt haben. Eines dieser Felder betrifft die ungleiche Verteilung von Umweltrisiken für Frauen durch Umweltverschmutzungen, unhygienische Wasserversorgung oder Mülldeponien – und inwiefern dies mit patriarchalen Dynamiken zu tun 14hat, die mit Klimavulnerabilitäten intersektional verwoben sind. Ein anderes Feld ist die planetarische Gesundheit – also nachhaltige Umweltbedingungen – als notwendige Grundlage für feministische Fragen nach gerechter Entlohnung und sicheren Bedingungen für Lohnarbeit, reproduktive Freiheiten und Rechte sowie nach allgemeiner Gesundheit, die zum Beispiel Luftqualität und Nahrungssicherheit bedarf.

Nancy Tuanas erst 2019 erschienene Analyse »Klima-Apartheid. Das Vergessen von race im Anthropozän« dient in zweierlei Hinsicht als wichtige Akzentverschiebung in diesem ersten Teil. Zum einen wirft Tuana ein wichtiges Schlaglicht auf das Zusammenspiel von Klimaungerechtigkeit und Rassismus, zum anderen plädiert sie dafür, nicht nur auf die ungleichen Vulnerabilitäten hinsichtlich der Klimafolgen zu blicken, sondern die Analyse schon bei weithin akzeptierten Konzepten zu beginnen. Woher kommen die Analysemodelle und -konzepte, mit denen wir der Klimakrise begegnen? Welche rassistischen Exklusionsmechanismen tragen sie in sich? Diese aufzuspüren, ist für Tuana eine Aufgabe der »genealogischen Sensibilität« – ein Abklopfen auf inhärente Vorurteile und rassistische Funktionsweisen. Ihre Analyse bietet aber darüber hinaus auch sehr illustrative Beispiele. So untersucht sie das Vermischen (intermingling) von Rassismus und der Ausbeutung der Umwelt beispielsweise anhand des Klimaanpassungsprojekts Eko Atlantic in Lagos (Nigeria) und zeigt auf, wie klassistisch und rassistisch geprägte Anpassungsmaßnahmen die Vulnerabilitäten besonders marginalisierter Gruppen beeinflussen.

Die beiden letzten Texte dieses ersten Teils – Gaard & Gruen und Tuana – lassen sich in vielerlei Hinsicht kritisch von Shues und Gardiners Analysen abgrenzen. Ein Unterschied, der hier herausgestellt werden soll, ist methodologisch: Sie vertreten die Ansicht, dass Klimaungerechtigkeiten intersektional verstanden werden sollten.[10]  Tuana möchte die intersektionale Analysemethode noch um den Umweltaspekt erweitern und das Zusammenwirken von Unterdrückungserfahrungen in gewissen Umweltkontexten erarbeiten, wes15wegen sie den Begriff der »öko-intersektionalen Analyse« vorschlägt. Zur Abgrenzung lässt sich diesem ein eher additives Verständnis von Ungerechtigkeit entgegenstellen, bei dem verschiedene Unterdrückungserfahrungen nebeneinander existieren und die Situation für die Betroffenen erschweren.[11]  Gardiner und Shue machen keine expliziten Aussagen zu ihrem Verständnis der verschiedenen Unterdrückungserfahrungen, scheinen aber eher einem additiven Verständnis nahezustehen.[12] 

Zweifelsohne kann die Auswahl in diesem ersten Teil weder der Tiefe noch der Mannigfaltigkeit der Diskussion gerecht werden. In diesem Zusammenhang möchten wir nur zwei konkrete Leerstellen nennen. Erstens gibt es einen weiteren Diskursstrang, der kapitalismuskritische Analysen deutlicher mit dem Klimadiskurs ins Gespräch bringen möchte.[13]  Zweitens gibt es Analysen indigener Autor:innen, die die Klimaungerechtigkeiten indigener Gruppen deutlicher in den Mittelpunkt stellen und als eigenständige Unterdrückungserfahrung positionieren. Diese spezielle Leerstelle werden wir im dritten Teil zu Verantwortungsfragen exemplarisch mit Kyle Powys Whytes Analyse zu füllen versuchen.[14] 

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Zweiter Teil: Zum Verhältnis zwischen den Generationen

Ein Großteil der Besorgnis über den Klimawandel betrifft langfristige Veränderungen. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen. Erstens: Ein in die Atmosphäre freigesetztes CO2-Molekül verbleibt dort im Durchschnitt Hunderte, zum Teil sogar Tausende von Jahren.[15]  Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre zu einem bestimmten Zeitpunkt ist also das Ergebnis historischer Emissionen. Die Erderwärmung ist auf den Treibhauseffekt zurückzuführen, das heißt darauf, dass bestimmte Gase, darunter auch CO2, die Sonneneinstrahlung abfangen. Die Temperatur der Erde zu einem bestimmten Zeitpunkt ist also das Ergebnis einer Reihe von Emissionen. Diese Temperatur wird in hundert Jahren höher oder niedriger sein, je nachdem, wie sich die Emissionen fossiler Brennstoffe entwickeln, insbesondere auch durch die Geschwindigkeit des heute eingeleiteten Ausstiegs. Ein zweites Beispiel hat mit der Ökologie der Ozeane zu tun. Wenn Ozeane mehr CO2 aufnehmen, werden diese saurer, was sich auf das Meeresleben auswirkt. Die Kalziumstrukturen, die das Wachstum der Korallen unterstützen, lösen sich auf, wenn der Säuregehalt des Ozeans zunimmt, wodurch das Wachstum der Korallenriffe beeinträchtigt wird. Die Riffe werden außerdem durch die Erwärmung der Meere geschädigt, die die Korallen dazu veranlasst, die in ihrem Gewebe lebenden Algen abzustoßen. Die daraus resultierende Bleiche der Korallen kann sie dramatisch schwächen. Auch die Ökologie des Meereslebens wird also von der Geschichte der CO2-Emissionen beeinflusst.

Die langfristigen Auswirkungen der CO2-Emissionen geben Anlass zur Sorge darüber, was wir künftigen Generationen schulden, und rücken die Forderung nach Generationengerechtigkeit in den Vordergrund. Der zweite Teil des Bandes versammelt einige klassische Beiträge zur Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen, Forderungen der Generationengerechtigkeit sowie den damit zusammenhängenden Problemfeldern, die vielleicht noch nicht als »klassisch« gelten dürfen, aber dennoch wichtige und manchmal unterschätzte Fragen aufwerfen. Der Teil wird von einem Aus17zug aus Das Prinzip Verantwortung von Hans Jonas eröffnet. Jonas schreibt:

Im Zeichen der Technologie aber hat es die Ethik mit Handlungen zu tun (wiewohl nicht mehr des Einzelsubjekts), die eine beispiellose kausale Reichweite in die Zukunft haben, begleitet von einem Vorwissen, das ebenfalls, wie immer unvollständig, über alles ehemalige weit hinausgeht. Dazu die schiere Größenordnung der Fernwirkungen und oft auch ihre Unumkehrbarkeit.[16] 

Dies wirft die Frage nach der Verantwortung für die langfristigen Folgen unseres Handelns auf.

Welche Verantwortung tragen wir für künftige Generationen? Die möglichen Antworten darauf sind sehr unterschiedlich. Utilitarist:innen argumentieren, dass wir so weit wie möglich den optimalen Nutzen sicherstellen sollten. Daher ist das, was jede Generation hat, nur dann gerechtfertigt, wenn es ein notwendiger Teil einer intergenerationellen Verteilung ist, die den gesamten intergenerationellen Nutzen maximiert. Andere Theoretiker:innen plädieren für eine Art intergenerationalen Egalitarismus und argumentieren, dass die Bedingungen der Menschen in der Zukunft mindestens so gut sein sollten wie die Bedingungen der Menschen in der Gegenwart.[17]  Vertreter:innen des sufficientarianism argumentieren, dass diejenigen, die heute leben, sicherstellen müssen, dass künftige Menschen genug von dem haben, was moralisch wichtig ist.[18]  John Rawls argumentiert, dass ein gerechter Spargrundsatz die Möglichkeit zukünftiger gerechter Institutionen sicherstellen sollte.[19] 

Jonas übernimmt zwar nicht das, was Iris Marion Young das »distributive Paradigma« nennt.[20]  Er sieht die Verantwortung nicht darin, ein bestimmtes Maß an Wohlstand oder Gütern zu gewähr18leisten. Nichtsdestotrotz könnte man seine Positionen als nichtdistributive Version des sufficientarianism betrachten. Er konstatiert, dass jede Generation »auch dafür verantwortlich ist, daß über die eigene Erfüllung hinaus die Möglichkeit verantwortlichen Handelns auch künftig bestehen bleibt«.[21]  Ob dies eine hinreichend präzise Forderung ist, um Handeln und Politik zu leiten, muss sorgfältig geprüft werden. Darüber hinaus ist es wichtig zu diskutieren, ob Jonas’ Variante des sufficientarianism der Gegenwart hinsichtlich zukünftiger Generationen genug abverlangt.

Derek Parfit wirft eine Frage auf, die für die Beurteilung der Angemessenheit jeder Theorie der Generationengerechtigkeit von grundlegender Bedeutung zu sein scheint. Viele Gerechtigkeitstheorien fordern zentral, dass Handlungen, politische Maßnahmen oder Institutionen die Menschen nicht schlechter stellen dürfen; es sei denn, sie haben dem zugestimmt oder dies durch ein Verbrechen selbst verschuldet. Eine prominente Ausnahme ist der Utilitarismus, der zulässt, dass einige Menschen schlechter gestellt werden, wenn dies zu ausreichenden Gewinnen für andere führt, so dass der Gesamtnutzen dadurch maximiert wird. Der Utilitarismus steht doch gerade deshalb häufig in der Kritik, eben weil er es erlaubt, Menschen schlechter zu stellen. Dies deutet auf die intuitive Stärke des entsprechenden Verbots hin.

Parfit behauptet jedoch, dass der technologische Fortschritt eine Kategorie von Handlungen ermöglicht, bei denen das Verbot, Menschen schlechter zu stellen, einfach nicht ausreicht, um zu erklären, was falsch ist. Das gemeinsame Merkmal der Handlungen in dieser Kategorie ist, dass sie für die Existenz bestimmter Personen kausal notwendig sind. Wenn eine Person ohne die Handlungen anderer nicht existieren würde und wenn ihr Leben lebenswert ist, dann kann sie nicht plausibel behaupten, durch diese Handlungen schlechter gestellt zu werden. Im vorliegenden Text bezeichnet Parfit dies als »das Identitätsproblem«. In einem wichtigen späteren Buch bezeichnet er es stattdessen als »das Nicht-Identitätsproblem«.[22]  Dieser Begriff sollte sich dann auch durchsetzen.

Das Nicht-Identitätsproblem startet somit von der Prämisse, dass einer Person Schaden zugefügt wird, wenn sie durch diese 19Handlung schlechter gestellt ist; dabei wird ein Vergleich der tatsächlichen Bedingungen einer Person mit der plausiblen kontrafaktischen Bedingung dieser Person ohne jene Handlung vorausgesetzt. In Fällen, in denen die Person ohne die Handlung nicht existieren würde, kann dieser Vergleich nicht angestellt werden.

Die Relevanz von Parfit für den Diskurs zum Klimawandel liegt darin, dass die Energiepolitik Auswirkungen auf das Leben einer großen Zahl von Menschen hat. Sie setzt einige Anreize gegen oder für einige Verkehrsmittel; sie begünstigt einige Forschungsprojekte und andere nicht; sie fördert Ergebnisse in der Stadtplanung und im Bauwesen, die es sonst nicht geben würde. Es erscheint höchst plausibel, dass zwei unterschiedliche Energiepolitiken – eine auf der Grundlage fossiler Brennstoffe und eine auf der Grundlage erneuerbarer Energien – die Zukunft ganz unterschiedlich beeinflussen würden. Auch, wer wem unter welchen Umständen begegnete, wäre je nach Szenario ganz verschieden, und so auch, wer mit wem welche Kinder bekäme. Mit anderen Worten: Die Energiepolitik ist ein Faktor, der mitbestimmt, wer in dreißig Jahren existiert. Angenommen, ein rascher Umstieg auf erneuerbare Energien gelingt nicht, dann würde eine Frau, die in dreißig oder mehr Jahren geboren wird, als Erwachsene unter weitaus schlechteren Bedingungen aufwachsen, als wenn ein rascher Umstieg auf erneuerbare Energien gelänge. Wenn ein solcher Übergang jedoch erfolgreich vollzogen würde, wäre es durchaus plausibel, dass es diese Frau nicht gegeben hätte. Wenn also die Behauptung, durch eine Maßnahme schlechter gestellt zu sein, einen Vergleich der aktuellen Situation einer Person mit der Situation erfordert, in der sie sich ohne die Maßnahme befunden hätte, kann die Person nicht plausibel behaupten, wegen des Klimawandels schlechter gestellt zu sein.

Parfit ist nicht der Meinung, dass an dem Urteil, dass sie aufgrund des Klimawandels eine Ungerechtigkeit erlitten hat, etwas falsch ist. Parfit hat vielmehr ein Problem mit den Theorien, die dieses Urteil nicht erklären können – mit anderen Worten mit jeder Theorie, die sich zentral auf die Intuition stützt, dass es ungerecht ist, wenn bestimmte Menschen schlechter gestellt werden. Die Herausforderung besteht darin, eine Theorie zu formulieren, die das Urteil, dass diese Menschen eine Ungerechtigkeit erlitten haben, erklären kann. (Der Utilitarismus kann dies zwar, aber es gibt – wie oben genannt – andere Probleme mit diesem Ansatz.)

20Wie bereits erwähnt, ist die gegenwärtige, hohe CO2-Konzentration in der Atmosphäre das Ergebnis historischer Emissionen, die bis zu den Anfängen der industriellen Revolution zurückreichen. Sie schränkt die heutige Energie- und Entwicklungspolitik insofern ein, als dass die Begrenzung des Temperaturanstiegs ernst genommen wird; sie zwingt die Länder, für die zu erwartenden Schäden des Klimawandels zu planen, und sie trägt zu verheerenden Stürmen, Überschwemmungen, Dürren und Bränden bei. Aus diesem Grund beschränken sich die generationenübergreifenden Bedenken in Bezug auf den Klimawandel nicht auf die Frage, was die heutigen Generationen der Zukunft schulden, sondern müssen auch die Frage einschließen, ob die Emissionen der Vergangenheit die heute Lebenden in irgendeiner Weise verantwortlich machen.

Niemand, der heute lebt, ist kausal für die CO2-Emissionen zu Beginn der industriellen Revolution verantwortlich. Könnte es dennoch sein, dass Menschen heute moralisch für die Emissionen der Vergangenheit verantwortlich zu machen sind? In welchem Ausmaß bestimmen vergangene Emissionen unsere Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen? (Die Frage der Verantwortung wird in Abschnitt drei noch mal ausführlicher erörtert.) Im Allgemeinen erklären Theorien der moralischen Verantwortung, was eine Person für die berechtigten Ansprüche anderer haftbar macht. Einige Theorien der Verantwortung greifen vergangene Ereignisse auf und begründen, warum Menschen in der Gegenwart dafür haftbar gemacht werden können. Andere Theorien zielen auf ein zu erreichendes Gut oder eine gerechte Regelung ab und begründen, warum Menschen zu deren Erreichung beitragen sollten. Diese Theorien sind rückwärts- beziehungsweise vorwärtsgerichtete Erklärungen der Verantwortung.

Lukas H. Meyer bietet eine rückwärtsgerichtete Darstellung der Verantwortung. Er spricht zwei Fragen an, die für historische Emissionen relevant sind. Die erste betrifft die Relevanz der Vorteile, die heute aufgrund historischer Emissionen entstehen, für die Zuteilung verbleibender Emissionsrechte. Die heute lebenden Menschen haben die Emissionen der Vergangenheit nicht verursacht, aber Meyer argumentiert, dass diejenigen, die von diesen Emissionen profitiert haben, aufgrund dieses Nutzens verantwortlich gemacht werden können. Zweitens geht es um die Frage, ob historische Emissionen für die Bestimmung der Verantwortung für die 21durch den Klimawandel verursachten Schäden relevant sind. Meyer argumentiert, dass dies in erster Linie ein Anliegen der Verteilungsgerechtigkeit ist. Diejenigen, die von den den Klimawandel verursachenden Emissionen profitiert haben, sind seiner Meinung nach im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit verpflichtet, für die Schäden derjenigen aufzukommen, die nicht davon profitiert haben.

Nicht alle Theoretiker:innen sind sich einig, dass rückwärtsgewandte Darstellungen der Verantwortung moralisch zufriedenstellend sind.[23]  Eine weitere berechtigte Frage betrifft die Art und Weise, wie die Diskussion über Gerechtigkeit geführt wird. Viele Philosoph:innen, darunter auch Meyer, sind der Ansicht, dass eine grundlegende Frage der Gerechtigkeit, die für den Klimaschutz relevant ist, darin besteht, wie die Berechtigungen zur Emission der verbleibenden CO2-Menge, die im Einklang mit einer moralisch angemessenen Eindämmung des Klimawandels emittiert werden kann, verteilt werden sollen. Obwohl die meisten dieser Philosoph:innen die Frage der Emissionsberechtigung als eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit betrachten, könnte man, John Rawls folgend, zwischen Verteilungs- und allokativer Gerechtigkeit unterscheiden.[24]  Nach Rawls geht es bei der Verteilungsgerechtigkeit um die Ansprüche auf einen Anteil an einer endlichen Ressource, wie beispielsweise verbleibende Emissionsrechte, während es bei der allokativen Gerechtigkeit um die fairen Bedingungen der Zusammenarbeit geht, aus denen prinzipiell ein Nutzen für alle Beteiligten erwächst. Eine Darstellung des Klimaschutzes als Angelegenheit der allokativen Gerechtigkeit im Rawls’schen Sinne würde sich vermutlich nicht auf die Verteilung der Emissionsrechte konzentrieren.

Obwohl sich die wissenschaftlichen Kenntnisse über das Klimasystem ständig verbessern, ist das Wissen in vielen Bereichen noch sehr begrenzt. Dies gilt auch für die grundlegende Frage nach dem genauen Ausmaß der Erwärmung, die durch eine bestimmte Menge des ausgestoßenen CO2 verursacht wird. Klimaforscher:innen verwenden den Begriff »Klimasensitivität«, der den durchschnittlichen Temperaturanstieg im Vergleich zur vorindustriellen Zeit bezeichnet, der durch eine Verdoppelung der atmosphärischen CO2-Konzentration verursacht wird. Die derzeitige wissenschaft22liche Schätzung der Klimasensitivität liegt bei drei Grad Celsius, aber innerhalb einer Spanne von zwei bis fünf Grad Celsius und einer besten Schätzung von zwischen 2,5 und vier Grad Celsius.[25]  Die Ungewissheit in Bezug auf diese Spanne führt zu Unsicherheiten hinsichtlich des erwarteten Meeresspiegelanstiegs, da dieser zu einem erheblichen Teil auf die Volumenvergrößerung bei Erwärmung des Wassers sowie durch das Abschmelzen der Eisschilde an Land verursacht wird. Die Geschwindigkeit des Abschmelzens ist in demselben Maße ungewiss wie die Erwärmung. Die Dynamik des Zusammenbruchs der Eisschilde ist nicht nur wegen der Ungewissheit über die Erwärmung unklar, sondern auch wegen des Mangels an Beobachtungsdaten über ähnliche Ereignisse. Darüber hinaus besteht Ungewissheit in Bezug auf unser Verständnis potenziell katastrophaler Ereignisse, wie beispielsweise weit verbreitete Ernteausfälle, dem raschen Absterben des Amazonas-Regenwaldes und der Wahrscheinlichkeit einer plötzlichen und massiven Freisetzung von Methan und CO2 durch die Erwärmung der arktischen Tundra und der arktischen Gewässer.

Die Ungewissheit über mögliche Klimakatastrophen ist von enormer Bedeutung für die Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Ein katastrophales Ereignis könnte irgendwann in der Zukunft eintreten, wenn alle gegenwärtig Lebenden tot sind, und das Ausmaß der verursachten Schäden könnte weit über das Leben der dann Lebenden hinausgehen. Die Bewertung politischer Maßnahmen basiert häufig auf einer Risiko-Nutzen-Analyse von Optionen, mit dem Ziel, eine Vorgehensweise zu finden, die das optimale Verhältnis zwischen Risiko und erwartetem Nutzen aufweist. Und natürlich ist die Möglichkeit, dass die Gefahr katastrophale Ausmaße annimmt, alarmierend.

Catriona McKinnon plädiert in diesen Fällen für eine Art vorsichtigen Ansatz. Sie verteidigt das, was sie das »Vorsorgeprinzip« nennt, diskutiert aber auch mehr als nur eine Formulierung eines solchen Prinzips. Ein wichtiger Aspekt der Generationengerechtigkeit ist die Festlegung eines vernünftigen Vorsorgeprinzips angesichts einer ungewissen Katastrophe. Bei der Suche nach der richtigen Formulierung ist es wichtig zu erkennen, dass ein solches 23Prinzip sowohl auf die Unwägbarkeiten des Handelns als auch auf die des Nichthandelns angewendet werden muss. Eine Kritik, die manchmal an der Anwendung des Vorsorgeprinzips geäußert wird, lautet, dass dabei die Gefahren sowohl des Handelns als auch des Nichthandelns außer Acht gelassen werden.[26]  Auf diese Kritik müssen die Befürworter:innen eines Vorsorgeprinzips reagieren können.

Dritter Teil: Verantwortungen – individuell und kollektiv

Fragen der Klimagerechtigkeit sind oft eng mit Verantwortungsfragen verbunden. (Dies wurde auch schon bei der Diskussion der Texte von Lukas H. Meyer und Hans Jonas deutlich.) Wenn unser kollektives Handeln weitreichende Folgen für den Planeten und unsere Mitmenschen über Generationen hinweg hat, welche Verantwortung folgt daraus für Individuen und kollektive Akteure wie Staaten? Und auf welcher Grundlage sollten wir diese Verantwortung in Anbetracht der Komplexität der Klimakrise zuschreiben?

Stephen M. Gardiners Analyse des theoretischen Sturms verweist darauf, dass die globalen und intergenerationalen Dynamiken der Klimakrise unsere konventionellen theoretischen Konzeptionen vor Herausforderungen stellen. Dies betrifft – wie oben angedeutet – auch den Begriff der Verantwortung. Beginnen wir mit dem Wer? der Verantwortung. Sind individuelle Akteur:innen die primären Subjekte? Bereits hier erkennen wir einige Probleme. Gemeinhin schreiben wir kausale Verantwortung zu, wenn eine Person ein Ereignis herbeiführt, das heißt, der ausschlaggebende Grund für das Ereignis gewesen ist. Da die Klimakrise aber nicht von einem oder einer Akteur:in allein verursacht wird, sondern von einer Vielzahl diverser Akteur:innen, ist niemand für sich genommen kausal verantwortlich. Moralische Verantwortung lässt sich zuschreiben, wenn ein:e Akteur:in durch ihre Handlung das Ereignis intendiert hat oder sein Eintreten zumindest vorhersehen konnte. Gleichzeitig gilt die Bedingung, dass die Handlung nicht alternativlos oder erzwungen war. Manche dieser Kriterien können sicherlich in einigen 24konkreten Fällen kollektiven Handelns als erfüllt gelten, dennoch basiert moralische Verantwortung in der Regel auf kausaler Verantwortung. Nicht selten rücken daher kollektive Akteur:innen wie Staaten in den Vordergrund der Diskussion, die aufgrund ihrer Beschaffenheit als kollektive Akteure andere Handlungsspielräume und Aufgabengebiete haben. Dennoch gilt zu bedenken, dass einige konzeptionelle Probleme individueller Verantwortungszuschreibung auch auf Staaten zutreffen – wie zum Beispiel, dass kein Staat alleine die Klimakrise verursacht hat.

Die konzeptionelle Verbindung von kausaler und moralischer Verantwortung wird von einigen Autor:innen in diesem Teil des Readers innovativ und produktiv neugedacht, indem die normative Grundlage der Verantwortungszuschreibung hinterfragt wird: Welche Verantwortungen entstehen durch das Beitragen zu Ungerechtigkeiten? Welche Form von Verantwortung entsteht dadurch, dass einige Staaten und Bürger:innen durch den massiven Ausstoß von Treibhausgasen profitiert haben? Inwiefern – wenn überhaupt – ist unsere Verantwortung politisch und nicht primär moralisch?

Neben dem Subjekt der Verantwortung geht es in diesem Teil des Readers selbstverständlich auch um den Inhalt und das Ziel einer Verantwortungszuschreibung. Hinsichtlich individueller Verantwortung fokussieren sich einige Autor:innen, wie in diesem Band beispielsweise Elizabeth Cripps, nicht ausschließlich auf die Reduzierung des eigenen ökologischen Fußabdrucks, sondern vor allem darauf, dass kollektive Handlungen befördert werden sollten. Bezüglich kollektiver Akteure wie Staaten wird argumentiert, dass diese Verantwortung beispielsweise in der Kostenübernahme für Abschwächungs- und Anpassungsmaßnahmen liegt. Die Autor:innen in diesem Teil erarbeiten die normativen Grundlagen für unterschiedliche Verantwortungssubjekte wie auch für unterschiedliche Inhalte und Stoßrichtungen, dennoch eint sie die Annahme, dass ein adäquates Verständnis von Verantwortung hinsichtlich der Klimakrise ein normatives Desiderat darstellt.

Dieser dritte Teil bewegt sich von der Auseinandersetzung mit individuellen hin zu der mit kollektiven Verantwortungssubjekten. Den Auftakt macht wiederum ein zentraler Referenzpunkt für die Auseinandersetzung mit Verantwortung. Walter Sinnott-Armstrongs Text »Es ist nicht meine Schuld. Globale Erwärmung und individuelle moralische Verpflichtungen« setzt sich dezidiert mit den 25konzeptionellen Herausforderungen individueller Verantwortungszuschreibung in Anbetracht der globalen Dimensionen der Klimakrise auseinander. Denn es ist nicht selbstverständlich, dass sich die Verantwortungen kollektiver Akteure wie Staaten oder Konzerne auf individuelle Verantwortungen reduzieren lassen. Ferner geht es darum, welche moralischen Prinzipien individuelle moralische Verantwortung begründen können. In praktischer Hinsicht illustriert Sinnott-Armstrong seine Analyse fast schon provokativ anhand der Frage, ob es moralisch verwerflich ist, ein spritfressendes Auto nur zum Spaß zu fahren. Kein moralisches Prinzip kann, so Sinnott-Armstrong, individuelle moralische Klimaverantwortungen ausreichend begründen. Gleichzeitig gibt es dennoch Raum sowohl für individuelles tugendhaftes Handeln wie auch für kollektive Verantwortung, die beispielsweise bei Staaten liegt. Individuelle Verantwortung ist dabei für ihn politisch und besteht primär darin, kollektive Handlungen zu befördern und zu unterstützen.

Sinnott-Armstrong hat damit eine Debatte zu Möglichkeit und Grenzen individueller Verantwortung und ihrer Grundlagen eröffnet, die die Klimagerechtigkeitsdebatte geprägt hat. Hier zu erwähnen sind unter anderem Ansätze wie der von Avram Hiller, der die Annahme bestreitet, dass individuelle Handlungen kausal wirkungslos sind. Dies sei, so Hiller, eine metaphysisch seltsame Vorstellung von Handlungen. Gleichzeitig erscheint es Hiller auch wenig überzeugend, dass eine verantwortliche Handlung wie zum Beispiel das Wählen notwendigerweise effektiver ist als das Verhindern eigener Emissionen.[27]  Ferner hat John Nolt versucht darzulegen, inwiefern die von Menschen in Nordamerika während ihres gesamten Lebens verursachten Emissionen tatsächlich das Klima beeinflusst haben.[28] 

In diesem Reader haben wir uns dazu entschlossen, Elizabeth Cripps’ Analyse an Sinnott-Armstrong anzuschließen. Cripps greift die Idee von Sinnott-Armstrong auf, dass individuelle Verantwortung nicht primär darin besteht, keine Treibhausgase zu emittieren, sondern darin, kollektive Handlungen zu befördern. Dabei möchte Cripps aber genauer spezifizieren, was genau Individuen denn tun sollten, um kollektive Handlungen zu befördern. Das 26von ihr vertretene Modell kooperativer Förderungspflichten legt dabei viel Wert auf die Effizienz und Fairness der zu koordinierenden kollektiven Handlungen. Es ist also moralisch geboten, mit anderen Akteur:innen gemeinsam herauszuarbeiten, wie kollektive Akteure am effektivsten und fairsten zum Handeln gebracht werden können – wobei die Ideen der Effizienz und Fairness teilweise in einem interessanten Spannungsverhältnis stehen können. Der Fokus auf die Koordination mit anderen Akteur:innen soll dabei näher bestimmen, welche individuellen Handlungen angemessen sind: das Wählen bestimmter Parteien, Proteste und Kampagnen starten oder sich auf andere Weise zivilgesellschaftlich einbringen. Wichtig ist Cripps, dass die Verpflichtungen, kollektive Handlungen zu befördern, nicht bedeutet, dass individuelle Akteur:innen nicht auch ihre eigenen Emissionen reduzieren sollten – weil dies einen befördernden Charakter haben kann, aber auch, weil Cripps vorschlägt, die normative Grundlage der Verantwortung nicht streng kausal zu verstehen, sondern einen Fokus auf das Beitragen zu und Partizipieren an kollektiven Handlungskontexten zu legen. Wenngleich Cripps ein konsequentialistisches Verständnis von Verantwortung begründet, so versteht sie Verpflichtungen gleichzeitig zum einen als pro tanto, zum anderen diskutiert sie ausführlich die Grenzen dessen, was wir vernünftigerweise von Akteur:innen erwarten können.

Auch »Wann Utiliarist:innen Tugendtheoretiker:innen sein sollten« von Dale Jamieson akzeptiert die grundlegende Annahme, dass das Reduzieren der individuellen Treibhausgasemissionen nicht streng genommen als moralische Verpflichtung verstanden werden kann. Jamieson argumentiert, dass eine Reihe wichtiger Moraltheorien wie der Kontraktualismus oder der Kantianismus, aber vor allem der Utilitarismus, Schwierigkeiten im Umgang mit dem Klimawandel als kollektives Handlungsproblem haben. Die zentrale Anforderung an jede Moraltheorie ist Jamieson zufolge, dass sie frei von Kontingenz sein sollte – begründetes Handeln sollte nicht vom Glauben darüber abhängig sein, was andere tun werden (non-contingency). Diese Anforderung lässt Jamieson analysieren, inwiefern utilitaristische Ansätze den Fokus stärker auf Tugenden anstatt auf konsequentialistische Überlegungen legen sollten. Mehr noch: Jamieson argumentiert, dass insbesondere Utilitarist:innen Tugendtheoretiker:innen sein sollten, um den Herausforderungen der Klimakrise gerecht zu werden. Nur mit einem solchen Ansatz, 27der auf die Herausbildung ökologischer Tugenden fokussiert, die beispielweise beinhalten, unsere Treibhausgasemissionen unabhängig davon zu verringern, was andere tun, lässt sich individuelle Verantwortung in diesem Rahmen fassen. In dieser Hinsicht geht es Jamieson um eine Neubestimmung des Ziels und der normativen Grundlage individuellen Handelns in Anbetracht der Klimakrise.

Während im ersten Teil die Perspektive indigener Autor:innen eine Leerstelle blieb, kontextualisiert Kyle Powys Whyte im diesem Teil die Situation indigener Frauen im Feld der Klimaverantwortungen. Whyte, selbst Mitglied der indigenen Bevölkerungsgruppe Citizen Potawatomi Nation, argumentiert zunächst, dass indigene Gruppen sich aufgrund der Umweltveränderungen wie dem steigenden Meeresspiegel oder schmelzenden Gletschern mit den Herausforderungen der Klimaanpassung und der Abmilderung der Klimakrise konfrontiert sehen. Diesen Herausforderungen zu begegnen und sich an die Veränderungen, wenn nötig, anzupassen, ist für indigene Gruppen auch deshalb von Bedeutung, weil Klimaveränderungen wichtige kulturelle und spirituelle Traditionen gefährden können. Zum Erhalt dieser Traditionen, aber auch zur Entwicklung verschiedener politischer Verbindungen zu anderen Institutionen, gibt es in vielen dieser Gruppen »Verantwortungssysteme« (systems of responsibilities). Darunter versteht Whyte Rollenvorstellungen und Aufgabenbereiche, die für indigene Communities sowohl instrumentellen wie auch intrinsischen Wert haben. Die Verantwortung für den Erhalt eines bestimmten Habitats basiert demnach beispielsweise auf einem tieferliegenden System und vielerlei Verknüpfungen zu praktischen Aufgaben wie aber auch spirituellen und rituellen Bedeutungen. In diesem System spielt das Selbstverständnis einiger indigener Frauen sowohl hinsichtlich ihrer praktischen Verantwortungen als auch ihrer Rolle als Kommunikatorinnen von indigenem Wissen in doppelter Hinsicht eine wichtige Rolle: Sie sind vulnerabler hinsichtlich der Klimafolgen, gleichzeitig aber sehen diese Frauen das als Begründung dafür, eine Führungsrolle bei Klimaabschwächungs- und Anpassungsmaßnahmen einzunehmen. Whyte wendet dieses Rollen- und Verantwortungsverständnis produktiv auf den Diskurs bezüglich politischer Verantwortungen an und erarbeitet eine Erweiterung, indem er eine Konzeption politischer Verantwortung schematisch ausführt, die auf eine Unterstützung und Förderung indigener leadership hi28nausläuft. Der Text gibt dabei implizit Einblicke, wie sehr indigene Perspektiven auf Klimaverantwortungen im Diskurs bisweilen marginalisiert sind, und fragt explizit, was es bedeutet, diese Perspektiven ernst zu nehmen.

Simon Caneys Text »Der Klimawandel und die Pflichten der Begünstigten« beschließt den dritten Teil. Caneys Analyse bezieht die Rolle kollektiver Akteure wie beispielsweise Staaten als zentrale Verantwortungssubjekte stärker ein. Dies umfasst teilweise auch eine Verschiebung des Inhalts und der Zielrichtung der Verantwortungskonzeption. Ein konkreter Fokus liegt für Caney auf den Prinzipien zur Kostenverteilung (cost-sharing principles), also denjenigen normativen Prinzipien, anhand derer Akteure (unter anderem Staaten) die Kosten für die Bewältigung der Klimakrise übernehmen sollten. Den Ausgangspunkt seiner Argumentation bildet das intuitiv einleuchtende Verursacherprinzip (polluter pays principle), nach dem diejenigen die Kosten für die Bekämpfung der Klimakrise übernehmen sollten, die das Problem maßgeblich verursacht haben. Unter Bekämpfung können hier vielerlei Dinge fallen, zu nennen sind beispielweise die Kosten der Treibhausgasreduzierung oder konkreter Anpassungsstrategien, auch für andere Staaten. Das Verursacherprinzip ist ein Prinzip historischer Verantwortung, es geht dabei um eine Evaluation der Verantwortung basierend auf vergangenen Handlungen. Ein Problem hierbei ist laut Caney, dass das Verursacherprinzip verlangt, dass wir eine spezifische Folge auf eine spezifische Handlung zurückführen können müssen. Dies ist aber – wie wir oben bereits gesehen haben – in Anbetracht der Komplexität der Klimakrise nicht einfach möglich. Ein zweites Problem wird ebenfalls häufig angeführt: Staaten wussten nicht immer schon um die fatalen Auswirkungen von Treibhausgasemissionen. Gibt es also einen Anteil der historischen Emissionen, für die niemand verantwortlich gemacht werden kann, da das Unwissen entschuldbar war? Caney wägt drei Einwände gegen das Verursacherprinzip ab und argumentiert schlussendlich, dass das Verursacherprinzip um das Fähigkeitsprinzip (ability to pay principle) erweitert werden muss, dem zufolge die Kosten von reichen Akteur:innen (wie beispielsweise reichen Industrienationen) übernommen werden sollten, vor allem von jenen, deren Reichtum auf ungerechte Art und Weise zustande gekommen ist.

Caneys Text deckt eine Vielzahl von Argumentationen und Einwänden hinsichtlich der Kostenverteilungsprinzipien ab, diskutiert 29aber ein drittes Prinzip nur en passant: das Begünstigtenprinzip (beneficiary pays principle).[29]  Die Idee dieses Prinzips ist, dass Staaten Kosten übernehmen sollten, wenn sie von Treibhausgasemissionen profitiert haben. Auch hier stellen sich natürlich einige Fragen. Eine davon ist, ob passives Profitieren immer verantwortlich macht, also beispielsweise auch dann, wenn die betreffenden Akteur:innen dennoch arm sind. In Anbetracht der Fokussierung auf Kostenverteilungsprinzipien sollten wir hier auch anmerken, dass Verantwortungen für die Abmilderung des Klimawandels und die Anpassung an Umweltveränderungen nicht synonym mit der Frage der Kostenübernahme sind. So kann es durchaus sein, dass ein armer Staat Treibhausgasemissionen reduzieren sollte, die entstandenen Kosten aber von reicheren Staaten übernommen werden sollten.

Der Fokus des dritten Teils liegt auf individueller und kollektiver Verantwortung, wobei letztere in erster Linie auf Staaten bezogen wurde. Dies reflektiert auch einen großen Teil der Literatur. Gleichzeitig gibt es eine wachsende Debatte zur Rolle von großen Firmen und sogenannten corporate responsibilities.[30]  In Teilen ist dies auch verbunden mit der Auseinandersetzung mit Klimaklagen (climate litigation), um Firmen, aber auch Staaten verantwortlich zu machen.[31] 

Der analytische Zuschnitt der Debatte auf individuelle und kollektive Verantwortung bezüglich der Bekämpfung der Klimakrise wird von vielen Autor:innen kritisiert. Wenngleich wir dies hier nicht umfänglich darstellen können, möchten wir kurz ein paar Beispiele anführen. Dan Boscov-Ellen argumentiert beispielsweise, dass die Debatte sich viel zu stark auf Emissionen und Konsum konzentriert und dabei die strukturellen Faktoren der Klimakrise vernachlässigt werden. Daraus folgt für ihn, dass Verantwortung potenziell die radikale Umstrukturierung unserer politischen und 30ökonomischen Institutionen beinhaltet.[32]  Diese Idee wird auch von einigen Vertreter:innen struktureller Ungerechtigkeit – oftmals im Anschluss an die Arbeiten Iris M. Youngs – vertreten, deren Fokus auf der Überwindung ungerechtfertigter Strukturen und Machtverhältnissen liegt. Diese Autor:innen warnen, dass sich Ungleichheiten und Vulnerabilitäten auch in der Transformation zu regenerativen Energiequellen reproduzieren und verfestigen können.[33]  In dieser Hinsicht wird der Debatte eine mangelnde Aufmerksamkeit für die politischen Dynamiken in unserer (kapitalistischen) Welt vorgeworfen.[34] 

Vierter Teil: Klimagerechtigkeit im Kontext globaler Ungerechtigkeiten

In den Beiträgen des vierten Teils dieses Readers werden spezifische politische Fragen erörtert. Obwohl die allgemeinen Argumente und Positionen in den Debatten über Gerechtigkeit und Verantwortung, die in den ersten drei Teilen erörtert wurden, diesen Beiträgen zugrunde liegen, ist ihr Schwerpunkt noch einmal spezifischer und praktischer. Sie befassen sich insbesondere mit zwei Themen. Zum einen geht es um die Frage, wie auf die Unzulänglichkeit von Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels reagiert werden kann. Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels allein nicht ausreichen, um eine gerechte Antwort auf ihn zu finden. Anpassungsmaßnahmen, die Gruppen und Bevölkerungen vor den zu erwartenden Veränderungen schützen, sind ebenso notwendig wie Formen der Entschädigung für Schäden und Verluste, die die Menschen bereits erlei31den. Der Klimawandel droht die menschliche Anpassungsfähigkeit zu überfordern, Teile des Planeten unbewohnbar zu machen, die Entwicklungsperspektiven für viele Länder zu untergraben und noch mehr Menschen zur Binnenmigration oder zur Flucht aus ihren Ländern zu zwingen. Natürlich wandern die Menschen schon jetzt in historisch rekordverdächtigen Zahlen aus und ein. Wirtschaftliche Möglichkeiten, Kriege, politische Verfolgung und umweltbedingte Ursachen spielen alle eine Rolle bei derzeitigen Migrationsbewegungen. Der Klimawandel droht diese Probleme zu verschärfen, indem er zu Ressourcenengpässen und politischer Instabilität führt. Den Ärmsten fehlen jedoch die Mittel, um sich weit weg zu bewegen und den Auswirkungen des Klimawandels zu entkommen. Die Weltbank schätzt, dass ein Unterschied zwischen einer Stabilisierung der Erdtemperatur bei 1,5 Grad Celsius und zwei Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau darin besteht, dass bei der höheren Temperatur Hunderte von Millionen Menschen mehr in der Armut gefangen sein werden.[35]  An der Gefährdung der Armen hat sich nicht viel geändert, seit Theodor W. Adorno bemerkte: »Am ärgsten ergeht es wie überall denen, die nicht zu wählen haben. Sie wohnen wenn nicht in Slums so in Bungalows, die morgen schon Laubenhütten, Trailers, Autos oder Camps, Bleiben unter freiem Himmel sein mögen.«[36] 

Das langsame Tempo bei der Eindämmung der Klimakrise hat die Frage aufgeworfen, ob es noch möglich ist, die Erwärmung unter den beiden im Pariser Klimaabkommen von 2015 genannten Ziele von 1,5 Grad Celsius und zwei Grad Celsius zu halten. Die Erderwärmung ist darauf zurückzuführen, dass die Sonnenstrahlung durch Treibhausgase in der Atmosphäre eingefangen wird. Mit der Eindämmung wird versucht, den Anstieg von CO2 in der Atmosphäre durch die Beseitigung von Emissionen zu stoppen. Alternativ kann die CO2-Konzentration in der Atmosphäre vielleicht auf andere Weise verringert werden. Ein zuverlässiges Mittel dazu ist die Anpflanzung von mehr Bäumen und anderen Pflanzen, die durch Photosynthese CO2 aufnehmen. Der Land- und Wasserbedarf für 32eine ausreichende Anzahl von Bäumen und anderen Nutzpflanzen würde jedoch unter Umständen mit den Flächen für die Nahrungsmittelproduktion konkurrieren. Dies hat zu einer Diskussion über technische Mittel zur Entfernung und Speicherung von CO2 geführt. Die Erwärmung kann nicht angemessen begrenzt werden, indem die Konzentrationen der Sonnenstrahlung einfangenden Gase in der Atmosphäre stabilisiert werden; vielleicht könnte es helfen, einen Teil der Sonnenstrahlung umzulenken, bevor sie überhaupt in die Atmosphäre gelangt. Dies würde jedoch nur den Temperaturanstieg bekämpfen, nicht aber andere durch CO2 verursachte Schäden, wie beispielsweise den Anstieg des Säuregehalts der Ozeane. Die verschiedenen Möglichkeiten, die Sonnenstrahlung zu reflektieren, werfen wichtige Fragen zu unbeabsichtigten Wirkungen und zur globalen Steuerung auf.

Die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre wird häufig als Carbon Dioxide Removal (CDR) bezeichnet. Sie wird durch sogenannte negative Emissionstechnologien (NET) durchgeführt. Die Reflexion der Sonneneinstrahlung wird als Solar Radiation Management (SRM) bezeichnet. Zusammen werden diese Maßnahmen oft als »Geoengineering« bezeichnet. Da dieser Begriff Vorschläge umfasst, die nur wenig gemeinsam haben, trägt die Verwendung des Begriffs nicht unbedingt zum Verständnis der zur Diskussion stehenden Technologien bei. Daher sollte bei der Verwendung des Begriffs »Geoengineering« darauf geachtet werden, den unterschiedlichen Charakter dieser beiden technologischen Antworten auf den Klimawandel zu erkennen.

Daniel Edward Callies und Darrel Moellendorf argumentieren, dass die beste Antwort auf die langsamen Fortschritte bei der Bekämpfung des Klimawandels eine drastische Reduktion der Emissionen sein muss, um so schnell wie möglich Netto-Null-Emissionen zu erreichen, dass aber die Rate, um die die Emissionen dazu bis Mitte des Jahrhunderts sinken müssten, sehr hoch ist. Und das Problem, den Kurs beizubehalten, ist nicht nur auf den fehlenden Willen zurückzuführen. Es gibt strukturelle Merkmale, die zu einer langsamen Entscheidungsfindung und Umsetzung führen, die nicht einfach »weggewollt« werden können. Außerdem könnte die CO2-Konzentration in der Atmosphäre bereits zu hoch sein, um die Erwärmung auf die in Paris 2015 gesetzten Ziele zu begrenzen. Die Autoren stützen sich auf zwei moralische Erwägungen, die für 33eine solche Begrenzung sprechen: die Vermeidung einer Klimakatastrophe und das Recht von Staaten, eine nachhaltige Entwicklung zu fördern.

Insbesondere SRM ist in der philosophischen Literatur scharf kritisiert worden.[37]  Callies und Moellendorf erörtern eine Reihe von Kritikpunkten, die sowohl gegen die Erforschung von SRM als auch gegen den Einsatz von NET sprechen, und kommen zu dem Schluss, dass das Gewicht moralischer Erwägungen für eine rasche Verringerung der Treibhausgasemissionen mit dem Ziel eines Ausstiegs bis Mitte des Jahrhunderts spricht – zusammen mit Bemühungen, NET einzusetzen, um die Emissionsminderung ausreichend zu ergänzen, damit die Temperaturziele von Paris eingehalten werden können. Da jedoch Unsicherheiten hinsichtlich der Kapazität zur Ausweitung von CDR bestehen, argumentieren Callies und Moellendorf dafür, dass die Forschung zu SRM fortgesetzt werden sollte. SRM sollte aber nur eingesetzt werden, wenn die schlechten Auswirkungen der Erwärmung ohne ihren Einsatz ihre Nebenwirkungen überwiegen.

In ihrem Beitrag versuchen Holly Jean Buck, Andrea R. Gammon und Christopher J. Preston, die Rolle von Gender in Diskussionen über das Geoengineering herauszuarbeiten. Sie erkennen zwar an, dass es wichtig ist, zwischen CDR und SRM im Allgemeinen zu unterscheiden, aber ein Großteil ihrer Diskussion verzichtet auf diese Unterscheidung, da sie sich hauptsächlich mit der Tatsache befassen, dass es sich bei beiden um neuartige Technologien handelt, die sich aus technischen Projekten in einem Forschungs- und Politikkontext entwickeln, in dem Frauen nicht angemessen vertreten sind. Sie vertreten die Ansicht, dass sowohl die Forschung als auch die politischen Diskussionen über Geoengineering problematisch geschlechtsspezifisch sind.

Dies ist ihnen zufolge in vier verschiedenen Bereichen der Fall. Erstens sind Frauen in den Diskussionen über Geoengineering in der Minderheit. Dies gilt sowohl für akademische Fachzeitschrif34ten als auch für öffentliche und politische Diskussionen. Dies sei relevant, weil es für die Diskussion wichtig sei, wer den Rahmen der Debatten bestimme. Wenn Frauen in den Diskussionen nicht ausreichend vertreten sind, gibt es viel weniger Grund zu der Annahme, dass die Belange und Interessen von Frauen berücksichtigt werden. Zweitens argumentieren sie, dass Wissenschaftler:innen in der Vergangenheit und oft auch heute noch die Einstellung haben, dass die Natur etwas ist, das es zu verstehen gilt, um in sie einzugreifen, sie zu kontrollieren und sogar zu beherrschen. Es besteht die Gefahr, dass diese geschlechtsspezifische Sichtweise der Natur in Geoengineering-Projekte einfließt und die Aufmerksamkeit für unsichere und nichtlineare Aspekte des Klimasystems, die für den Einsatz von Geoengineering relevant sind, beeinträchtigt. Drittens haben sie eine gewisse Sympathie für die Behauptung, dass das Ingenieurwesen an sich mit einem kulturell bedingten männlichen Temperament zusammenhängt, das Objektivität und technisches Fachwissen schätzt. Dies könne von der offensichtlichen Notwendigkeit, den Ausstoß von Treibhausgasen massiv zu reduzieren und zu beenden sowie von der gelebten Erfahrung der Klimaschäden ablenken und zu unnötiger Modellbildung und Bastelei führen. Schließlich berufen sie sich viertens auf die Geschichte der Schädigung natürlicher Systeme, die mit Ungerechtigkeit gegenüber marginalisierten Gruppen einherging, und äußern die Befürchtung, dass der Einsatz von Geoengineering in dieser Tradition stehen könnte.

Buck, Gammon und Preston äußern diese Bedenken nicht, um das Geoengineering per se abzulehnen, sondern um Wege aufzuzeigen, wie diesen Tendenzen entgegengewirkt werden könnte. Sie machen mehrere Vorschläge, darunter das Wecken von mehr Aufmerksamkeit für bestimmte Regionen, Gemeinschaften und Gruppen, die vom Klimawandel betroffen sind. Anstatt nur Statistiken zu betrachten und sich ausschließlich auf Kosten-Nutzen-Analysen zu stützen, plädieren sie dafür, zu überlegen, wie Geoengineering-Technologien zur menschlichen Entwicklung beitragen könnten, und sie machen auf die Werte aufmerksam, die der Planungspraxis zugrunde liegen. Sie behaupten, dass das Geoengineering bei richtiger Anwendung zu einer gerechteren und mitfühlenderen Gesellschaft beitragen kann.

Abschließend möchten wir in diesem Band das Thema Migration und Klimakrise ansprechen. Klimastörungen führen entwe35der direkt oder indirekt (durch Gewalt und Unruhen) dazu, dass Menschen ihre Heimat verlassen müssen, sei es durch Binnenmigration oder durch Flucht in ein anderes Land. Nach Untersuchungen des Europäischen Parlaments wurden seit 2008 »weltweit mehr als 376 Millionen Menschen durch Überschwemmungen, Stürme, Erdbeben oder Dürren vertrieben, und allein im Jahr 2022 werden es 32,6 Millionen sein«.[38]  Im Vergleich dazu berichtet der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, dass »Ende 2022 weltweit 108,4 Millionen Menschen aufgrund von Verfolgung, Konflikten, Gewalt, Menschenrechtsverletzungen und Ereignissen, die die öffentliche Ordnung ernsthaft stören, zwangsumgesiedelt wurden«.[39] 

Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 sieht das Recht auf Asyl für Menschen vor, die »wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung« aus ihrem Heimatland geflohen sind.[40]  Umweltzerstörung im Allgemeinen oder Klimaauswirkungen im Besonderen sind in dieser Liste nicht enthalten. Obwohl die Zahl der Menschen, die aufgrund von Umweltkatastrophen aus ihren Heimatländern fliehen, außerordentlich hoch ist, bietet das Völkerrecht ihnen nicht denselben Schutz wie denjenigen, die aufgrund von Diskriminierung oder politischer Verfolgung fliehen.

Matthew Lister argumentiert im letzten Aufsatz dieses Bandes allerdings dafür, dass die moralischen Gründe, die Asyl für Menschen rechtfertigen, die ihr Land aus den in der Flüchtlingskonvention aufgeführten Gründen verlassen haben, auch für einige derjenigen Menschen gelten, die ihr Land aufgrund der Beeinflussung durch den Klimawandel verlassen haben. Die moralische Rechtfertigung für Asyl, so Lister, besteht darin, dass es eine Gruppe von Menschen 36gibt, für die Asyl und Nichtzurückweisung (ein Verbot der Rückführung) der einzige oder bei weitem beste Schutz ist, der ihnen unter den gegebenen Umständen gewährt werden kann. Jahrzehntelang ging man davon aus, dass diese Gruppe auf Personen beschränkt ist, die im Falle einer Rückkehr aus den in der Flüchtlingskonvention aufgeführten Gründen verfolgt würden. Die Staaten sind verpflichtet, Menschen dabei zu helfen, eine solche Verfolgung zu vermeiden, und das Mittel dazu ist das Asyl. Lister behauptet, dass dieselbe Art von Argumentation auch für einige Klimageflüchtete gilt. Diejenigen, die durch den Klimawandel dauerhaft vertrieben werden, paradigmatisch die Bewohner:innen jener Inseln, die vom steigenden Meeresspiegel betroffen sind, befinden sich in einer ähnlichen Situation und haben nur dann die Sicherheit, ein menschenwürdiges Leben zu führen, wenn ihnen Asyl gewährt und Nichtzurückweisung zugesichert wird.

Andere plädieren für neue Rechtsinstrumente oder die Anerkennung verschiedener moralischer Gründe für die Gewährung des Flüchtlingsstatus für Menschen, die aufgrund des Klimawandels fliehen. Zu den Ideen gehören die Anerkennung des gemeinsamen Eigentums an der Erde[41]  und die Anerkennung von Gruppenrechten.[42]  Lister sieht einen großen Vorteil seines Ansatzes darin, dass er keine moralischen Argumente benötigt, die kontroverser sind als die, die bereits im Rahmen der Flüchtlingskonvention akzeptiert wurden. Er fordert auch kein neues internationales Rechtsinstrument und umgeht das ganze damit verbundene diplomatische Gerangel. Sein Argument erfordert allerdings eine breitere Auslegung der bestehenden Konvention auf der Grundlage der ihr zugrunde liegenden moralischen Verpflichtungen.

Dieser Band bietet – so hoffen wir – eine breite und umfassende Darstellung des Themas Klimaethik und Gerechtigkeit von Moralphilosoph:innen, politischen Philosoph:innen und politischen 37Theoretiker:innen. Wir haben Beiträge ausgewählt, die eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der Debatten gespielt haben, sowie solche, die etwas weniger bekannt sind, aber unserer Meinung nach wichtige Akzentverschiebungen vollziehen, die im akademischen Diskurs noch nicht ausreichend gewürdigt wurden. Einige der (älteren) Texte verwenden Begriffe und greifen auf Beispiele zurück, die heute zu Recht kritischer diskutiert werden. Es wird beispielsweise in vielen Texten die Terminologie der »Entwicklungsländer« genutzt, wie sie auch in internationalen Dokumenten verwendet wird. Wir möchten damit nicht die Idee reproduzieren, dass es eine richtige Form der Entwicklung gibt, die sich an westlichen Industrienationen orientiert. Wir haben uns dennoch entschlossen, die Termini so zu übersetzen, um die historische Verwendung widerzuspiegeln. Darüber hinaus haben wir einige Beispiele, die uns besonders problematisch erscheinen, gemeinsam mit den Übersetzer:innen in einer Fußnote eingeordnet.

Die Klimaethik ist ein bemerkenswert reiches Feld, und es gab viele Aufsätze zu denselben Problemfeldern, die wir leider nicht aufnehmen konnten, um den Umfang des Bandes überschaubar zu halten. Manche Beiträge, die es nicht in den Band geschafft haben, haben wir in dieser Einleitung erwähnt, um ihre Rolle im Diskurs hervorzuheben. Jeder dieser Beiträge eröffnet eine Diskussion in der Literatur. Keiner von ihnen ist das letzte Wort zu diesem Thema. Wir ermutigen Leser:innen, die sich für einen bestimmten Aufsatz besonders interessieren, Nachforschungen anzustellen, um sowohl die Hintergrunddebatte, die den Artikel ausgelöst hat, als auch die Entwicklung der Diskussion im weiteren Verlauf zu berücksichtigen.

Abschließend möchten wir noch auf drei Entwicklungen hinweisen, die in jüngerer Vergangenheit den Diskurs geprägt haben und unserer Meinung nach eine zentrale Rolle in den nächsten Jahren spielen werden. Wir gehen davon aus, dass zukünftig Diskussionen über die Anpassung an den Klimawandel sowie über Gerechtigkeit bei der Finanzierung von Verlusten und Schäden (loss and damages