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Ist es Ihnen schon einmal schwer gefallen, ein Lehrbuch aus der Hand zu legen? Bei diesem Titel könnte das durchaus passieren. Günter Esser schafft es, das Thema psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen äußerst anschaulich und verständlich zu vermitteln. Entsprechend der DSM-5 Richtlinien werden neben den Möglichkeiten der Diagnostik alle klinisch relevanten Störungsbilder systematisch und mit Fokus auf die verhaltenstherapeutischen Behandlungsansätze beschrieben - ideal, um während des Studiums effektiv zu lernen und im klinischen Alltag gezielt nachzuschlagen.
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Seitenzahl: 1545
Klinische Psychologie und Verhaltenstherapie bei Kindern und Jugendlichen
Herausgegeben von
Günter Esser
Mit Beiträgen von
Katja Ballaschk, Tobias Banaschewski, Nikolaus Barth, Stefanie Besson, Sarah Blank, Sabine Bojanowski, Michael Borg-Laufs, Katja Bödeker, Manfred Döpfner, Sylvia Eimecke, Günter Esser, Jörg M. Fegert, Christian Fleischhaker, Reiner Frank, Tom Frenzel, Stephanie Göggerle, Alexander von Gontard, Dörte Grasmann, Johannes Hebebrand, Beate Herpertz-Dahlmann, Ingrid Hösch, Wolfgang Ihle, Inge Kamp-Becker, Eva Maria Krentz, Alexander Marcus, Matthias Martin, Fritz Mattejat, Yvonne Mühlig, Mechthild Papoušek, Jan Pauschardt, Georgia Pelz, Martina Pitzer, Miriam Rassenhofer, Helmut Remschmidt, Peter Rossmann, Aribert Rothenberger, Veit Roessner, Sylvia Schaller, Martin H. Schmidt, Armin Schmidtke, Eberhard Schulz, Nina Wagener, Petra Warschburger, Kirsten Wittig, Anne Wyschkon
5., vollständig überarbeitete Auflage
40 Abbildungen
Im Vorwort zur 3. Auflage hatte ich den Wunsch geäußert, dass sich die Kinderpsychotherapie weiter verbreiten möge und die gravierenden Versorgungsengpässe in den nächsten 10 Jahren abgebaut werden könnten. Dieser Wunsch ist bereits nach nur 7 Jahren in Erfüllung gegangen. Die Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher hat sich deutlich verbessert, die geforderte 20%-Quote der Zulassungen wurde realisiert, viele weitere Professuren für klinische Psychologie und Psychotherapie für Kinder und Jugendliche wurden in der Zwischenzeit geschaffen. Seit 2008 sind insgesamt 3000 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten neu approbiert worden. Unsere neuen Kolleginnen und Kollegen verfügen über eine europa- und weltweit außergewöhnlich gute Ausbildung. Die Entwicklung des Fachgebiets bereitet somit viel Freude.
Als Wermutstropfen ist zu verzeichnen, dass noch immer nur 26% der niedergelassenen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten die Fachkunde in der Verhaltenstherapie besitzen – dem mit Abstand am besten evaluierten Therapieverfahren. 87% aller kontrollierten Therapiestudien im Kindes- und Jugendalter werden in Verhaltenstherapie durchgeführt, die restlichen 13% verteilen sich auf alle anderen Verfahren.
Dies ist der Grund, warum Titel und Schwerpunkt (aus Psychotherapie wurde Verhaltenstherapie) des Lehrbuchs geändert wurden. So wurde speziell der 5. Abschnitt „Verhaltenstherapie“ völlig neu gestaltet und ergänzt und umfasst nun 5 Kapitel, von klassischen Techniken der Verhaltenstherapie über kognitive, erlebnisorientierte bis hin zu systemischen Ansätzen.
Die Kapitel zu Grundlagen, Diagnostik und Störungsbildern wurden vollständig aktualisiert und auf die neue Schwerpunktsetzung des Lehrbuchs hin überarbeitet. Viele Autoren waren bereit, sich erneut an unserem Lehrbuch zu beteiligen, darüber hinaus konnten namhafte junge Kolleginnen und Kollegen neu gewonnen werden.
Ich danke allen Autoren der 5. Auflage für ihre hervorragende Arbeit und die jederzeit problemlose Kooperation. Mein besonderer Dank gilt Frau Gartenschläger, Frau Pelz und Frau Wagener für ihre Unterstützung bei der Überarbeitung sowie Frau Addicks vom Georg Thieme Verlag, die immer alles im Auge behalten hat, für ihre Anregungen und letztendlich meiner Frau Barbara für ihr Verständnis.
Potsdam, im Frühjahr 2015
Günter Esser
Vorwort zur 5. Auflage
Teil I Grundlagen
1 Entwicklungspsychologische Grundlagen
1.1 Einleitung
1.2 Entwicklung ausgewählter Funktionsbereiche
1.2.1 Motorische Entwicklung
1.2.2 Sprachentwicklung
1.2.3 Kognitive Entwicklung
1.2.4 Theory of Mind: intuitive Psychologie
1.2.5 Bindung
1.3 Entwicklung im Altersverlauf
1.3.1 Säuglings- und Kleinkindalter (0–2 Jahre)
1.3.2 Frühe Kindheit (3–6 Jahre)
1.3.3 Mittlere Kindheit (7–11 Jahre)
1.3.4 Jugendalter (ab 12 Jahren)
2 Entwicklungspsychopathologie und Entwicklungsepidemiologie
2.1 Einleitung
2.2 Grundmechanismen und Modelle psychopathologischer Entwicklung
2.2.1 Organisation und Reorganisation
2.2.2 Modell der Entwicklungspfade
2.2.3 Entwicklungsmodelle
2.2.4 Praktischer Bezug
2.3 Risiko- und Schutzfaktoren psychopathologischer Entwicklung
2.3.1 Risikofaktorenforschung
2.3.2 Schutzfaktorenforschung
2.3.3 Vulnerabilität und Resilienz
2.3.4 Verlaufsmodelle psychischer Störungen
2.4 Entwicklungsepidemiologie psychischer Störungen
2.4.1 Grundbegriffe der Epidemiologie psychischer Störungen
2.5 Ergebnisse der Entwicklungsepidemiologie
2.5.1 Prävalenz psychischer Störungen
2.5.2 Die häufigsten Störungen
2.5.3 Komorbidität der Störungen
2.5.4 Entwicklungsabhängige und geschlechtsspezifische Gesamtprävalenz
2.5.5 Persistenzrate der Störungen
3 Probleme der diagnostischen Klassifikation im Kindes- und Jugendalter
3.1 Zur derzeitigen Situation
3.2 Ziele von Klassifikation und ihre Konsequenzen
3.2.1 Konsequenzen für Klassifikationssysteme
3.3 Multiaxiale kategoriale Klassifikationssysteme
3.3.1 Achsen des multiaxialen Klassifikationsschemas
3.3.2 Achsen der Zero-to-Three-Klassifikation
3.4 Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-5
3.4.1 Störungsgruppen
3.4.2 Vergleich der Störungsgruppen (DSM-5 / ICD-11-Draft)
3.5 Komorbidität und dimensionale Diagnostik
3.5.1 Kombinierte Diagnose
3.5.2 Dimensionale Beschreibung von Krankheitsbildern
3.6 Klassifikation und Falldefinition
3.6.1 Beurteilung von Symptomausprägungen
3.7 Stadienspezifische Klassifikation
3.7.1 Berücksichtigung von Krankheitsstadien
3.8 Analyse der Klassifikationssysteme und Weiterentwicklung
3.8.1 Erwartungen nur teilweise umgesetzt
3.8.2 Weiterentwicklung der Klassifikationssysteme
Teil II Diagnostik
4 Das Erstgespräch
4.1 Einleitung
4.2 Das Setting
4.2.1 Räumliches Setting
4.2.2 Befragungsmodus
4.2.3 Zuverlässigkeit kindlicher Informationen
4.3 Ablauf und Struktur des Erstgesprächs
4.3.1 Begrüßung
4.3.2 Vorstellungsanlass
4.3.3 Störungsanalyse und Störungsmodelle
4.3.4 Biografie und Anamnese
4.3.5 Abschluss des Erstgesprächs
5 Leistungsdiagnostik auf verschiedenen Altersstufen
5.1 Allgemeine Leitlinien
5.1.1 Normierungsstichprobe
5.1.2 Ökonomie
5.2 Leistungsdiagnostik im Säuglings- und Kleinkindalter
5.2.1 Bayley Scales
5.2.2 Entwicklungstest für Kinder von 6 Monaten bis 6 Jahren – Revision
5.2.3 Münchener Funktionelle Entwicklungsdiagnostik
5.3 Leistungsdiagnostik im Kindergarten- und Vorschulalter
5.3.1 Kaufman Assessment Battery for Children II
5.3.2 Bewertung
5.4 Basisdiagnostik für umschriebene Entwicklungsstörungen im Vorschulalter-III
5.4.1 Bewertung
5.5 Potsdamer Intelligenztest für das Vorschulalter
5.6 Potsdam-Illinois-Test für psycholinguistische Fähigkeiten
5.6.1 Konzept der „phonologischen Bewusstheit“
5.6.2 Lexikon, Morphologie und Syntax
5.7 Mathematik- und Rechenkonzepte im Vorschulalter – Diagnose
5.8 Potsdamer Motoriktest
5.9 Aufmerksamkeitstests
5.9.1 Test of Everyday Attention for Children
5.9.2 Konzentrations- und Handlungsverfahren für Vorschulkinder
5.10 Leistungsdiagnostik im Grundschulalter
5.10.1 Wechsler Intelligence Scale for Children
5.10.2 Basisdiagnostik umschriebener Entwicklungsstörungen im Grundschulalter
5.10.3 Lese- und Rechtschreibtests
5.10.4 Rechentests
5.11 Leistungsdiagnostik im späteren Kindes- und Jugendalter
5.11.1 Prüfsystem für Schul- und Bildungsberatung
5.11.2 Grundintelligenztest Skala 2-R
6 Projektive Testverfahren
6.1 Problemdarstellung
6.2 Darstellung der Testverfahren
6.2.1 Scenotest
6.2.2 Der Familie-in-Tieren-Test (FIT)
6.2.3 Familiensystemtest (FAST)
6.2.4 Sorge- und umgangsrechtliche Testbatterie (SURT)
6.2.5 Thematischer Apperzeptionstest
6.2.6 Rosenzweig-Picture-Frustration-Test (R-PFT) für Kinder
7 Interviews und Fragebögen zur Erfassung psychischer Auffälligkeiten
7.1 Strukturierte klinische Interviews
7.1.1 Störungsübergreifende Interviews
7.1.2 Störungsspezifische Interviews
7.2 Fragebogenverfahren
7.2.1 Mehrdimensionale Fragebogenverfahren
7.2.2 Eindimensionale Fragebogenverfahren
8 Verhaltensdiagnostik
8.1 Grundlagen der Verhaltensdiagnostik
8.1.1 Definition
8.1.2 Horizontale Verhaltensanalyse
8.1.3 Vertikale Verhaltensanalyse (Plananalyse)
8.1.4 Systemanalyse
8.2 Methoden der Verhaltensdiagnostik
8.2.1 Exploration
8.2.2 Verhaltensbeobachtung
Teil III Klinisch relevante Störungsbilder
9 Autistische Störungen
9.1 Der Begriff Autismus
9.2 Epidemiologie autistischer Störungen
9.2.1 Prävalenz
9.2.2 Definition und Klassifikation
9.2.3 Beispiele für die Varianten autistischer Störungen
9.3 Diagnose und Differenzialdiagnosen
9.3.1 Diagnostische Einschätzung
9.3.2 Differenzialdiagnose
9.4 Ätiologie und Genese
9.4.1 Genetische Faktoren
9.4.2 Körperliche Erkrankungen
9.4.3 Hirnfunktionen
9.5 Therapie
9.5.1 Leitlinien
9.5.2 Verhaltenstherapeutische Ansätze
9.5.3 Intensive verhaltenstherapeutische Programme
9.5.4 Elterntraining, Training sozialer Kompetenzen
9.5.5 Medikamentöse Maßnahmen
9.6 Verlauf und Prognose
9.6.1 Sichere Diagnose erst ab 2 Jahren
9.6.2 Frühkindlicher Autismus
9.6.3 Asperger-Syndrom
10 Hyperkinetische Störungen
10.1 Erscheinungsbild der Störung
10.1.1 Diagnose nach ICD-10 und DSM-5
10.1.2 Differenzialdiagnose
10.2 Komorbidität
10.3 Prävalenz
10.4 Genese und Verlauf der Störung
10.4.1 Genese
10.4.2 Verlauf
10.5 Therapieansätze und Prognose
10.5.1 Übersicht über Therapieansätze und ihre Indikation
10.5.2 Pharmakotherapie
10.5.3 Verhaltenstherapie
10.5.4 Wirksamkeit verhaltenstherapeutischer und multimodaler Interventionen
11 Störungen des Sozialverhaltens und Jugenddelinquenz
11.1 Definition
11.2 Symptomatik
11.2.1 Komorbiditäten
11.3 Subtypen
11.3.1 Gemäß ICD-10
11.3.2 Subtypen gemäß DSM-5
11.4 Differenzialdiagnosen
11.5 Epidemiologie
11.6 Genese
11.6.1 Risikofaktoren
11.6.2 Ätiologische Modelle aggressiven Verhaltens
11.7 Verlauf und Prognose
11.8 Diagnostik
11.9 Therapie
11.9.1 Behandlungsziele
11.9.2 Maßnahmen
11.9.3 Probleme bei der Behandlung
11.9.4 Behandlungskonzepte
12 Ängste, Phobien und Kontaktstörungen
12.1 Einführung
12.1.1 Begriffsbestimmung
12.1.2 Unterscheidung zwischen normaler und pathologischer Angst
12.1.3 Entwicklungsmuster von Angstinhalten im Kindes- und Jugendalter
12.2 Diagnostische Klassifikation
12.2.1 Angststörungen in ICD und DSM
12.2.2 Spezifische Phobien
12.2.3 Panikstörung und Agoraphobie
12.2.4 Generalisierte Angststörungen
12.2.5 Emotionale Störung mit Trennungsangst
12.2.6 Soziale Ängste
12.3 Epidemiologie und Verlauf
12.3.1 Prävalenz
12.3.2 Komorbididtät
12.3.3 Verlauf
12.4 Genese: Bedingungsfaktoren und theoretische Modelle
12.4.1 Psychodynamische Modelle
12.4.2 Lerntheoretische Modelle
12.4.3 Kognitive Modelle
12.4.4 Biologische Modelle
12.4.5 Integrierte Modelle und die Bedeutung verschiedener Risikofaktoren
12.4.6 Integratives Bedingungsmodell
12.5 Diagnostische Methoden
12.5.1 Anamnese, Exploration
12.5.2 Körperliche und psychologische Standarduntersuchung
12.5.3 Fragebögen für das Selbst- und Fremdurteil
12.5.4 Familien- und umfelddiagnostische Prüfung
12.5.5 Verhaltensdiagnostische Methoden
12.6 Therapie
12.6.1 Die wichtigsten Therapiemethoden und ihre Wirksamkeit
12.6.2 Konfrontationsmethoden
12.6.3 Modelllernen
12.6.4 Kognitive Methoden
12.6.5 Operante Methoden
12.6.6 Eltern- und familienorientierte Ansätze
12.6.7 Nicht behaviorale Therapieformen: Spiel- oder Gesprächstherapie
12.6.8 Pharmakotherapeutische Methoden
12.6.9 Kombinierte Programme
13 Mutismus
13.1 Einleitung
13.2 Erscheinungsbild und Diagnosestellung
13.3 Epidemiologie
13.4 Genese
13.5 Komorbidität und Verlauf
13.6 Therapie
13.6.1 Verhaltenstherapie
13.6.2 Psychosoziale Interventionen
13.6.3 Psychopharmaka
14 Tic-Störungen
14.1 Definition
14.2 Klinisches Bild
14.2.1 Einteilung
14.2.2 Symptomatik
14.2.3 Verlauf und Prognose
14.3 Prävalenz
14.4 Pathogenese
14.4.1 Vielfältige Wechselwirkungen
14.5 Komorbidität
14.5.1 Hyperkinetische Störung
14.5.2 Zwangsstörungen
14.5.3 Andere Störungen
14.6 Therapie
14.6.1 Medikation
14.6.2 Verhaltenstherapie
15 Enuresis
15.1 Erscheinungsbild der Störung
15.1.1 Klassifikation der Störung
15.1.2 Primäre und sekundäre Enuresis
15.1.3 Enuresis nocturna und Enuresis diurna
15.2 Komorbidität und differenzialdiagnostische Überlegungen
15.2.1 Komorbiditäten
15.2.2 Differenzialdiagnose
15.3 Prävalenz
15.4 Genese der Störung
15.4.1 Genetische Faktoren
15.4.2 Veränderungen der zirkadianen Rhythmik der ADH-Sekretion
15.4.3 Polyurie
15.4.4 Geringes Blasenvolumen
15.4.5 Schlaf
15.4.6 Psychosoziale Faktoren
15.4.7 Enuresis als „Hilferuf“
15.5 Therapieansätze und Prognose
15.5.1 Therapieempfehlungen bei Enuresis nocturna
15.5.2 Therapieempfehlungen bei funktioneller Harninkontinenz
15.5.3 Nicht effektive bzw. kontraindizierte Behandlungen
15.5.4 Prognose
16 Enkopresis
16.1 Definition und Klassifikation
16.2 Klinische Zeichen
16.3 Prävalenz
16.4 Komorbide Störungen
16.5 Genese
16.6 Differenzialdiagnosen
16.7 Diagnostik
16.8 Therapie
16.8.1 Therapie bei Enkopresis mit Obstipation
16.8.2 Enkopresis ohne Obstipation
16.8.3 Weitere Therapieverfahren
16.9 Ausblick
17 Störungen des Säuglingsalters
17.1 Einführung
17.1.1 Diagnostisches Manual (DC:0–3R)
17.1.2 Übergreifendes diagnostisches Konzept
17.2 Regulationsstörungen der frühen Kindheit
17.2.1 Erscheinungsbild
17.2.2 Genese
17.2.3 Prävalenz, Verlauf und Prognose
17.2.4 Eltern-Säuglings-Therapie
17.3 Exzessives Schreien der ersten Lebensmonate
17.3.1 Erscheinungsbild im 1. Trimenon: Symptomtrias
17.3.2 Diagnostische Abgrenzung
17.3.3 Prävalenz, Verlauf und Prognose
17.3.4 Genese
17.3.5 Syndromspezifische Beratung und Behandlung
17.4 Ein- und Durchschlafstörungen des Säuglingsalters
17.4.1 Symptomtrias der frühkindlichen Ein- und Durchschlafstörungen
17.4.2 Diagnostische Abgrenzung
17.4.3 Prävalenz, Koinzidenz und Verlauf
17.4.4 Genese
17.4.5 Beratung und Therapie
17.5 Fütter- und Gedeihstörungen
17.5.1 Erscheinungsbild: Symptomtrias
17.5.2 Diagnostische Abgrenzung
17.5.3 Prävalenz, Verlauf und Prognose
17.5.4 Genese
17.5.5 Syndromspezifische Beratung und Behandlung
18 Stereotypien
18.1 Definition und Klassifikation
18.2 Erscheinungsbild
18.3 Prävalenz und Verlauf
18.4 Differenzialdiagnostik und Komorbidität
18.4.1 Abgrenzung Tic-Störungen
18.4.2 Andere Störungen
18.5 Genese
18.5.1 Verhaltensanalyse
18.6 Therapieansätze
18.6.1 Multimodales Therapieprogramm
19 Substanzgebrauchsstörungen
19.1 Einleitung
19.1.1 Prävalenz von Substanzgebrauch in Deutschland
19.2 Klassifikation und Diagnostik
19.2.1 Klassifikation
19.2.2 Diagnostik
19.3 Prävalenz, Komorbidität und Störungsverlauf
19.3.1 Prävalenz
19.3.2 Einstiegsalter, Komorbidität und Verlauf
19.4 Risiko- und Schutzfaktoren
19.4.1 Soziale und umweltbezogene Risikofaktoren
19.4.2 Personenbezogene Risikofaktoren
19.4.3 Schutzfaktoren
19.5 Prävention von Substanzgebrauchsstörungen
19.5.1 Konzepte der Suchtprävention
19.5.2 Universelle Suchtprävention
19.5.3 Selektive und indizierte Suchtprävention
19.6 Behandlung von Substanzgebrauchsstörungen
19.6.1 Allgemeine Behandlungsprinzipien
19.6.2 Behandlungsphasen
19.6.3 Medikamentöse und soziotherapeutische Ansätze
19.6.4 Empfehlungen
19.6.5 Psychotherapeutische Komponenten wirksamer Behandlungsansätze
20 Depressive Störungen
20.1 Erscheinungsbild und Diagnostik
20.1.1 Erscheinungsbild
20.1.2 Klassifikation
20.1.3 Diagnosehilfen
20.2 Prävalenz und Verlauf
20.3 Komorbidität
20.4 Genese
20.4.1 Genetische Prädispositionen
20.4.2 Neurobiologische Dysfunktionen
20.4.3 Kognitive Dysfunktionen
20.4.4 Defizite in Bezug auf Verhalten und Selbstkontrollprozesse
20.4.5 Persönlichkeitsmerkmale
20.4.6 Psychische Störungen der Eltern
20.4.7 Beeinträchtigte familiäre Beziehungen und elterliche Zurückweisung
20.4.8 Kritische Lebensereignisse und Stressoren
20.4.9 Strategien zur Problembewältigung
20.5 Therapieansätze und Prognose
20.5.1 Medikamentöse Interventionen
20.5.2 Psychologische Therapieansätze
20.6 Prävention
21 Zwangsstörungen
21.1 Erscheinungsbild der Störung
21.1.1 Klassifikation
21.1.2 Ausprägung
21.2 Differenzialdiagnostische Abgrenzung
21.3 Genese und Verlauf der Störung
21.3.1 Biologische Einflüsse
21.3.2 Verlauf
21.4 Komorbidität
21.5 Prävalenz
21.6 Therapieansätze und Prognose
21.6.1 Übersicht über Therapieansätze und ihre Indikation
21.6.2 Familienzentrierte Interventionen
21.6.3 Expositionsbehandlung und Reaktionsverhinderung
21.6.4 Kognitive Interventionen
21.6.5 Stabilisierung des Behandlungserfolgs und Behandlung komorbider Störungen
21.6.6 Wirksamkeit verhaltenstherapeutischer Interventionen
22 Posttraumatische Belastungsstörungen
22.1 Einleitung
22.2 Störungsbild
22.2.1 Trauma
22.2.2 Klassifikation nach ICD-10 und DSM-5
22.2.3 Symptomatik bei Kindern
22.3 Komorbidität und Differenzialdiagnostik
22.3.1 Komorbide Störungen
22.3.2 Abgrenzung
22.4 Epidemiologie
22.5 Störungsmodelle
22.5.1 Kognitives Modell der posttraumatischen Belastungsstörung
22.5.2 Transaktionales Traumabewältigungsmodell
22.6 Verlauf
22.6.1 Schutz- und Risikofaktoren
22.7 Diagnostik
22.8 Therapie
22.8.1 Traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie
22.8.2 Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR)
22.8.3 Debriefing
22.8.4 Pharmakotherapie
23 Anorexia und Bulimia nervosa
23.1 Einleitung
23.2 Erscheinungsbild der Störung und Diagnosestellung
23.2.1 Anorexia nervosa
23.2.2 Bulimia nervosa
23.3 Komorbidität
23.3.1 Psychiatrische Komorbidität
23.4 Epidemiologie
23.5 Genese der Störung
23.5.1 Biologische Faktoren
23.5.2 Soziokulturelle Einflüsse
23.5.3 Familiäre Faktoren
23.5.4 Individuelle prädisponierende Faktoren
23.6 Therapie
23.6.1 Stationäre Behandlung
23.6.2 Psychotherapeutische Maßnahmen
23.6.3 Medikamentöse Behandlung
23.6.4 Prognose
24 Borderline-Persönlichkeitsstörung
24.1 Diagnosestellung im Jugendalter
24.2 Erscheinungsbild der Störung
24.2.1 Beziehungen
24.2.2 Selbstbild
24.2.3 Affekte
24.2.4 Impulsivität
24.3 Diagnostik
24.3.1 Klassifikation
24.3.2 Diagnosestellung
24.4 Prävalenz, Verlauf und Stabilität
24.5 Komorbidität
24.6 Genese
24.6.1 Biologische Faktoren
24.6.2 Psychosoziale Faktoren
24.6.3 Risikofaktoren der eigenen Persönlichkeitsentwicklung
24.6.4 Biopsychosoziale Theorie von Marsha Linehan
24.7 Therapieansätze
24.7.1 Dialektisch-behaviorale Therapie für Adoleszente (DBT-A)
24.7.2 Pharmakotherapie
24.7.3 Wirksamkeit
25 Adipositas
25.1 Definition und Diagnosestellung
25.1.1 Übergewicht im Kindes- und Jugendalter
25.2 Prävalenz
25.2.1 Soziale Veränderungen
25.3 Entwicklungsaspekte
25.4 Komorbidität und Folgeerkrankungen
25.4.1 Adipositas als Risikofaktor
25.4.2 Psychosoziale Beeinträchtigung
25.4.3 Psychische Begleiterkrankungen
25.5 Ursachen der Adipositas
25.5.1 Umweltfaktoren
25.5.2 Prädisposition
25.6 Therapie der Adipositas
25.6.1 Therapieprogramme
25.6.2 Andere Maßnahmen
26 Schlafstörungen
26.1 Physiologie und Rhythmik des normalen Schlafs
26.1.1 REM- und NREM-Schlaf
26.1.2 Entwicklung der Schlafarchitektur
26.2 Klassifikation und Epidemiologie
26.3 Diagnostik
26.3.1 Schlafanamnese
26.3.2 Zusatzuntersuchungen
26.4 Dyssomnien
26.4.1 Insomnien
26.4.2 Hypersomnien
26.4.3 Störungen des Schlaf-wach-Rhythmus
26.5 Parasomnien
26.5.1 Pavor nocturnus
26.5.2 Schlafwandeln
26.5.3 Albträume
26.5.4 Restless-Legs-Syndrom
26.5.5 Andere Parasomnien
26.6 Schlafstörungen bei psychiatrischen Erkrankungen
27 Umschriebene Entwicklungsstörungen
27.1 Einleitung
27.1.1 Klassifikation und Prävalenz
27.2 Umschriebene Entwicklungsstörung des Lesens und Rechtschreibens
27.2.1 Erscheinungsbild und Diagnosestellung
27.2.2 Komorbidität und Verlauf
27.2.3 Genese
27.2.4 Therapie
27.3 Umschriebene Rechenstörung
27.3.1 Erscheinungsbild und Diagnosestellung
27.3.2 Prävalenz
27.3.3 Genese, Langzeitverlauf und Komorbidität
27.3.4 Therapie
27.4 Expressive und rezeptive Sprachstörungen
27.4.1 Erscheinungsbild
27.4.2 Diagnosestellung und Abgrenzung
27.4.3 Komorbidität und Verlauf
27.4.4 Genese
27.4.5 Therapie
27.5 Artikulationsstörung
27.5.1 Erscheinungsbild und Diagnosestellung
27.5.2 Komorbidität und Verlauf
27.5.3 Genese
27.5.4 Therapie
27.6 Umschriebene Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen
27.6.1 Erscheinungsbild und Diagnosestellung
27.6.2 Komorbidität und Verlauf
27.6.3 Genese
27.6.4 Therapie
28 Störungen der Intelligenzentwicklung
28.1 Einleitung
28.2 Definition
28.2.1 Begriff Intelligenz
28.3 Prävalenzraten für mentale Retardierungen
28.4 Diagnostik
28.4.1 Kognitive und sozialemotionale Entwicklung
28.4.2 Klinisch-medizinische Diagnostik
28.5 Ursachen von Störungen der Intelligenzentwicklung
28.5.1 Schädigungen des Zentralnervensystems
28.5.2 Genetik
28.5.3 Angeborene Stoffwechselstörungen
28.5.4 Fehlbildungen des Zentralnervensystems
28.5.5 Spaltbildungen der Mittellinie
28.5.6 Pränatale Ursachen
28.5.7 Traumata in peri- und postnataler Zeit
28.5.8 Mentale Beeinträchtigung aufgrund psychiatrischer Störungen
28.5.9 Exogene Einflüsse
28.5.10 Zerebrale Anfälle
28.5.11 Mentale Retardierung durch Lennox-Gastaut-Syndrom
28.5.12 Infektionen prä-, perinatal, in früher Kindheit
28.6 Therapie
28.6.1 Genetisch bedingte Stoffwechselstörungen
28.6.2 Begleitende Verhaltensauffälligkeiten
Teil IV Spezielle Probleme
29 Suizidalität
29.1 Phänomenologie
29.2 Prävalenz
29.3 Ursachen
29.4 Therapie und Prognose
29.4.1 Therapeutischer Aktivismus
29.4.2 Effektivität
29.5 Prävention
30 Misshandlung, Ablehnung und Vernachlässigung
30.1 Definitionen
30.2 Klassifikation
30.2.1 Kategorie 1: Abnorme intrafamiliäre Beziehungen
30.2.2 Kategorie 4: Abnorme Erziehungsbedingungen
30.2.3 Kategorie 7: Ablehnung außerhalb der Familie
30.3 Erscheinungsbild und Diagnostik
30.3.1 Körperliche Symptome
30.3.2 Psychischer Befund
30.3.3 Beobachtung von Beziehungen
30.4 Genese und Häufigkeit
30.4.1 Misshandlung und gesellschaftliche Schicht
30.4.2 Familiensituation
30.4.3 Häufigkeitsangaben
30.5 Therapieansätze und Prognose
30.5.1 Gesprächsführung
30.5.2 Therapieziele
30.5.3 Rechtliche Schritte
30.5.4 Langfristige Therapieplanung und Behandlungsaufwand
31 Sexueller Missbrauch
31.1 Einleitung und Definition
31.1.1 Definition
31.1.2 Rechtliche Bestimmungen
31.2 Häufigkeit
31.3 Psychische Folgen des sexuellen Missbrauchs
31.3.1 Es gibt kein typisches Missbrauchssyndrom
31.3.2 Kurzfristige Folgen und Langzeitfolgen sowie Moderatorvariablen
31.4 Behandlung und institutioneller Umgang mit der Problematik
31.4.1 Psychotherapie
31.4.2 Institutioneller Umgang
32 Psychische Probleme chronisch kranker Kinder und Jugendlicher
32.1 Definition chronischer Erkrankungen
32.1.1 Asthma
32.1.2 Atopische Dermatitis (Neurodermitis)
32.2 Verbreitung chronischer Erkrankungen
32.3 Relevanz psychischer Faktoren
32.4 Psychische Erkrankungen
32.5 Gesundheitsbezogene Lebensqualität
32.6 Psychische Probleme und Belastungen von Eltern und Geschwisterkindern
32.6.1 Belastungen der Eltern
32.6.2 Belastungen der Geschwister
32.7 Psychotherapeutische Interventionen
32.8 Patientenschulung und -beratung
32.9 Beratungsangebote für Eltern
32.9.1 Erziehungsfragen
Teil V Verhaltenstherapie
33 Klassische Verfahren in der Verhaltenstherapie
33.1 Einleitung
33.2 Prinzipien der Verhaltenstherapie im Kindes- und Jugendalter
33.3 Die Anwendung lerntheoretischer Grundlagen in der Kinderverhaltenstherapie
33.3.1 Das Paradigma des klassischen Konditionierens bei Angst-, Zwang- und Tic-Störungen
33.3.2 Das Paradigma des operanten Konditionierens bei Störungen des Sozialverhaltens
33.3.3 Das Paradigma des Modelllernens bei Angststörungen
33.3.4 Das Paradigma des kognitiven und sozialen Lernens bei externalisierenden Störungen
33.4 Verhaltenstherapeutische Techniken bei spezifischen psychischen Störungen
34 Kognitive Verfahren im Kindes- und Jugendalter
34.1 Einleitung
34.2 Geschichte und Grundbegriffe der kognitiven Verfahren
34.2.1 Rational-Emotive Therapie: Irrationale Überzeugungen
34.2.2 Kognitive Therapie: automatische Gedanken
34.3 Kognitive Umstrukturierung mit Jugendlichen und Bezugspersonen
34.3.1 Identifikation dysfunktionaler Kognitionen
34.3.2 Disputation von dysfunktionalen Kognitionen im Sokratischen Dialog
34.3.3 Erarbeiten und Verfestigen alternativer Kognitionen
34.4 Kognitive Therapie mit Kindern
34.4.1 Entwicklungspsychologische und familiendynamische Aspekte
34.4.2 Kognitive Verfahren für Kinder
35 Beziehungs- und emotionsorientierte Techniken
35.1 Einleitung
35.2 Innovative Techniken zur Gestaltung der therapeutischen Beziehung
35.2.1 Limited Reparenting: begrenzte elterliche Fürsorge
35.2.2 Diszipliniertes persönliches Einlassen
35.2.3 Motivorientierte Beziehungsgestaltung
35.3 Imaginative Techniken
35.3.1 Direkte Imaginationstechniken
35.3.2 Indirekte imaginative Strategien: achtsamkeitsbasierte Techniken und Programme
36 Systemische Ansätze in der Verhaltenstherapie
36.1 Entwicklung und aktueller Stand der systemischen Therapie
36.1.1 Verschiedene Ansätze
36.1.2 Differenziertes Methodenspektrum
36.1.3 Indikation
36.2 Systemische Therapie und Verhaltenstherapie – Unterschiede und Gemeinsamkeiten
36.2.1 Gemeinsamkeiten der systemischen Therapie und der Verhaltenstherapie
36.3 Systemische Haltung in der Verhaltenstherapie
36.3.1 Grundhaltung des Therapeuten
36.4 Systemische Methoden in der Verhaltenstherapie
36.4.1 Genogramm
36.4.2 Zirkuläre Fragetechniken
36.4.3 Positives Reframing
36.4.4 Verflüssigung von Eigenschaften
36.4.5 Symptomverschreibung bzw. paradoxe Intervention
36.4.6 Veränderung von Grenzen und Koalitionen
36.4.7 Familienskulpturen
36.5 Systemisch-verhaltenstherapeutisch orientierte Therapiekonzepte
36.5.1 Funktionale Familientherapie
36.5.2 Mutisystemische Therapie
36.6 Ausblick
37 Entspannungsverfahren
37.1 Einleitung
37.2 Autogenes Training
37.3 Imaginative Verfahren
37.4 Progressive Muskelrelaxation
37.4.1 Muskelgruppen
37.4.2 PMR-Training für Kinder
37.5 Andere Verfahren
37.6 Körperhaltung und Übungsbedingungen
37.7 Wirkungen
37.7.1 Psychophysiologische Veränderungen
37.7.2 Paradoxe Empfindungen
37.8 Indikation und Wirksamkeit
37.8.1 Klinischer Bereich
37.8.2 Pädagogischer Bereich
Teil VI Sonstiges
38 Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
38.1 Einleitung
38.2 Kassenzulassung
38.3 Ausbildungsordnung (orientiert am Psychotherapeutengesetz)
38.3.1 Ziele der Ausbildung und staatliche Prüfung
38.3.2 Zulassungsvoraussetzungen zur Ausbildung
38.3.3 Ausbildungsorganisation
38.4 Prüfungsordnung
38.4.1 Zulassung zur Abschlussprüfung
38.4.2 Staatliche Prüfung
38.5 Ausbildungskosten und Finanzierung der Ausbildung
38.5.1 Gesamtkosten
38.5.2 Refinanzierung
38.6 Ausblick
38.7 Ausbildungsinstitute für Psychotherapie
Teil VII Anhang
39 Literatur
Anschriften
Sachverzeichnis
Impressum
1 Entwicklungspsychologische Grundlagen
2 Entwicklungspsychopathologie und Entwicklungsepidemiologie
3 Probleme der diagnostischen Klassifikation im Kindes- und Jugendalter
Eva Maria Krentz
Das Gebiet der Entwicklungspsychologie befasst sich mit der
Beschreibung, Erklärung, Vorhersage und Beeinflussung
von menschlichem Erleben und Verhalten
unter dem Aspekt der Veränderung über die gesamte Lebensspanne.
Während die Beschreibung, Erklärung, Vorhersage und Beeinflussung von Sachverhalten ganz allgemein Wissenschaft und Forschung ausmachen und das menschliche Erleben und Verhalten Themen der Psychologie sind, bezieht sich der Aspekt der Veränderung über die gesamte Lebensspanne spezifisch auf die Entwicklungspsychologie. Die fundierte Kenntnis über normgerechte Entwicklungsabläufe bei Kindern und Jugendlichen ist eine wichtige Grundlage, um Störungen und Abweichungen erkennen und behandeln zu können.
Es existieren verschiedene Annahmen über den Ablauf von Entwicklungsprozessen. Klassische Modelle sind häufig Phasen- oder Stufenmodelle. Phasenmodelle postulieren ein bestimmtes, in diesem Lebensabschnitt vorherrschendes Thema. Ein typisches Phasenmodell ist das Modell der psychosozialen Entwicklung von Erik Erikson ▶ [493], das in ▶ Tab. 1.1 dargestellt wird. In Stufenmodellen gibt es aufeinander aufbauende Entwicklungsschritte, die auf einen Endzustand hinauslaufen. Auf jeder Stufe wird ein qualitativ neuer Schritt erlernt, es findet also nicht nur kontinuierliches Wachstum statt. Ein typisches Stufenmodell stammt von Piaget ▶ [1439], auf das im Kapitel zur kognitiven Entwicklung näher eingegangen wird.
Tab. 1.1
Die 8 Phasen der Entwicklung des Menschen nach Erik Erikson
▶ [493]
.
Altersbereich
Krise
Bedeutung
1. Lebensjahr
Vertrauen vs. Misstrauen
Vertrauen durch verlässliche Bezugspersonen
2. und 3. Lebensjahr
Autonomie vs. Scham und Zweifel
Ein gewisses Maß an Autonomie erlangen (auch in Bezug auf die Kontrolle der Ausscheidungen); Scham und Zweifel bei überkontrollierenden Bezugspersonen
4. und 5. Lebensjahr
Initiative vs. Schuldgefühl
Identifikation mit Bezugspersonen; Herausbildung von Gewissen
mittlere Kindheit
Leistung vs. Minderwertigkeitsgefühl
Erfolge erzielen (auch schulisch); Minderwertigkeitsgefühle durch Über- oder Unterschätzung
Jugendalter
Identität vs. Rollenkonfusion
pubertäre Veränderungen; Frage nach dem „Wer bin ich“; Selbstkonzept mit verschiedenen Facetten
Beginn des Erwachsenenalters
Intimität vs. Isolierung
Eingehen von Liebesbeziehungen; Vertiefung von Freundschafen
mittleres Erwachsenenalter
Generativität vs. Stagnation
produktive Wirkung für andere Menschen oder die Gemeinschaft; Interesse an der Erzeugung und Erziehung der nächsten Generation
spätes Erwachsenenalter
Ich-Integrität vs. Verzweiflung
Reflexion über das eigene Leben; Gefühl, Teil einer umfassenden Geschichte zu sein; Akzeptieren der Begrenztheit des menschlichen Lebens
Klassische Phasen- und Stufenmodelle werden der Komplexität der menschlichen Entwicklung nicht gerecht. Moderne interaktive multifaktorielle Ansätze verwenden daher oft einen weiteren Entwicklungsbegriff, der auch Verluste in der Entwicklung berücksichtigt und eine lebenslange Entwicklung postuliert. Zudem werden differenzierte Entwicklungsverläufe betrachtet, die in unterschiedlichen Bereichen stattfinden. Es wird somit Abstand genommen von einem universell gültigen, übergreifenden Entwicklungsmodell.
Bei der Betrachtung von Entwicklungsverläufen ist von besonderem Interesse, wo die Entwicklung kontinuierlich verläuft und wann sprunghafte Veränderungen zu verzeichnen sind. Beim Kontinuitätsbegriff kann zwischen absoluter und relativer Stabilität unterschieden werden. Absolute Stabilität bedeutet Stillstand, beispielsweise wenn kein Körperwachstum stattfindet. Bei relativer Stabilität hingegen behält ein Individuum seine Stellung in der Gruppe in Bezug auf ein bestimmtes Merkmal. So wächst z.B. ein Kind in dem Ausmaß, in dem andere gleichaltrige Kinder in dem Zeitraum durchschnittlich ebenfalls wachsen.
Eine Gliederung der Inhalte der Entwicklungspsychologie kann nach Lebensalter oder nach Funktionsbereichen erfolgen. Die Einteilung in Altersbereiche ist hilfreich, wenn bei einem Kind oder Jugendlichen der Entwicklungsstand zu einem bestimmten Zeitpunkt beurteilt werden soll. Allerdings ist Lebensalter für sich genommen kein Hauptfaktor der Entwicklung, wie diese Einteilung suggerieren könnte. Forschungsansätze konzentrieren sich häufig auf ausgewählte Funktionsbereiche (z.B. Kognition oder Motorik), wobei jedoch nicht vernachlässigt werden sollte, dass die verschiedenen Bereiche gerade im Kindesalter zusammenhängen. Im Folgenden werden daher zunächst ausgewählte Funktionsbereiche vertieft. Zur Übersicht wird abschließend für jedes Lebensalter zusammenfassend dargelegt, welche Meilensteine der Entwicklung zu verzeichnen sind.
Die Entwicklungspsychologie ist ein weites Forschungsgebiet, aus dem einzelne Bereiche hier herausgegriffen und im Überblick dargestellt werden. Eine ausführliche Darstellung findet sich z.B. bei Schneider und Lindenberger ▶ [1662] oder Hasselhorn und Schneider ▶ [790].
Die Entwicklung der Grobmotorik verläuft in den ersten beiden Lebensjahren – vereinfacht ausgedrückt – vom Kopf (Kopfkontrolle) zu den Füßen (Laufenlernen). Das Kind ist durch die zunehmenden motorischen Fähigkeiten immer besser in der Lage, seine Umwelt zu explorieren und sich in ihr fortzubewegen. In den ersten Lebensmonaten lernt ein Säugling, seinen Kopf zu heben und ihn frei zu bewegen. So kann er sich Objekten zu- oder von ihnen abwenden. Das freie Sitzen ist ein weiterer bedeutender Schritt, der im Durchschnitt mit 6 Monaten erreicht wird ▶ [1974]. Der Säugling kann im Sitzen seine Umgebung überblicken und hat – anders als in der aufgestützten Bauchlage – gleichzeitig seine Hände zum Explorieren frei. Nach dem Robben und Krabbeln als erste Fortbewegungsmöglichkeiten erlernen Kinder im Durchschnitt im Alter von 12 Monaten das Laufen▶ [1974].
Die motorische Entwicklung ist nicht abgeschlossen, wenn Kinder laufen können. Die Bewegungsabläufe werden in den folgenden Jahren zunehmend koordinierter und ermöglichen weitere Fortbewegungsmöglichkeiten, wie z.B. auf einem Bein hüpfen, klettern oder Fahrrad fahren. Auch die Feinmotorik, die eine Koordination von Händen und Fingern in Abstimmung mit den Augen erfordert, entwickelt sich weiter. Kindergarten- und Vorschulkinder verzeichnen Fortschritte beim Ausschneiden mit der Schere, beim Zeichnen von Formen und Linien oder beim Auf- und Zuknöpfen ihrer Kleidung.
Beim Erreichen der motorischen Meilensteine gibt es eine zum Teil erhebliche Altersvarianz. Einige Kinder machen ihre ersten Schritte bereits mit 9 Monaten, andere mit 16 Monaten oder später ▶ [1974]. Die Entwicklungsspannen sind dementsprechend groß. Zur Klärung der Frage nach einer umschrieben motorischen oder globalen Entwicklungsverzögerung sollten der Gesamtentwicklungsstand berücksichtigt und eine ausführliche Diagnostik durchgeführt werden.
Sprache ermöglicht es uns, Gedanken, Gefühle und Wissen auszudrücken und zu kommunizieren. In der Sprachentwicklung geht die rezeptive Fähigkeit, also das Sprachverständnis, der produktiven Fähigkeit voraus. Bereits Neugeborene bevorzugen menschliche Stimmen und die eigene Muttersprache. Sehr früh schon können Säuglinge auch Laute und Lautsequenzen unterscheiden ▶ [1804]. Methoden der Säuglingsforschung, die zu diesem Befund geführt haben, verwenden beispielsweise Messungen der Saugfrequenz. Bei dieser Methode steigt parallel zur Präsentation eines neuen (auditiven) Reizes die Saugrate zunächst sprunghaft an. Bei wiederholter Präsentation desselben Reizes sinkt die Saugrate dann langsam wieder ab. Wird die Silbe „ba“ so lange präsentiert, bis ein Nachlassen der Saugrate erfolgt, dann zeigt ein Wiederanstieg in der Saugrate bei Erklingen der Silbe „pa“, dass der Säugling zwischen den Silben unterscheiden kann ▶ [1804].
Im ersten Lebensjahr ist die Sprachproduktion noch relativ begrenzt. Mit ½ bis ¾ Jahr beginnen Säuglinge zunehmend Konsonant-Vokal-Verbindungen zu produzieren. Im Alter von ungefähr 1 Jahr verwenden Kinder dann erste Wörter gezielt. Der rezeptive Wortschatz wird zu diesem Zeitpunkt auf 60 Wörter geschätzt ▶ [1909]. Verwenden Kinder um die 50 Wörter produktiv, was im Alter von durchschnittlich 1½ Jahren der Fall ist, setzt eine Benennungsexplosion ein (auch Wortschatzspurt genannt). Das Kind lernt dann durchschnittlich 9 neue Wörter pro Tag ▶ [1909]. In etwa zum selben Zeitpunkt werden auch erste Wortkombinationen gebildet, womit die Entwicklung einer Grammatik beginnt. Zunächst finden sich noch typische Fehler, wie das Auslassen von Funktionswörtern, sodass die Sprache telegrafisch wirkt. Im 3. Lebensjahr lernen Kinder v.a. grundlegende Satzbaupläne und morphologische Paradigmen. Mit 4 Jahren haben die meisten Kinder die wichtigsten Satzkonstruktionen gelernt ▶ [1909]. In den folgenden Jahren werden dann immer komplexere Satzgefüge beherrscht.
Wie bei der motorischen Entwicklung gibt es auch bei der Sprachentwicklung eine hohe Altersvarianz. Eine Sprachproduktion von weniger als 50 Wörtern im Alter von 24 Monaten gilt als Risikofaktor für den weiteren Spracherwerb (magische 50-Wort-Grenze; ▶ [740]). Allerdings holt ungefähr die Hälfte dieser Kinder den Rückstand teilweise oder ganz wieder auf ▶ [1909].
Neben der klassischen Theorie von Piaget zur Entwicklung des Denkens wird auf 2 aktuellere Ansätze eingegangen. Eine ausführliche Darstellung der Entwicklung des Denkens findet sich beispielsweise bei Schneider und Sodian ▶ [1660].
Von Jean Piaget wurde eine umfassende Theorie zur Entwicklung des Denkens entwickelt, welche die weitere Forschung zur kognitiven Entwicklung maßgeblich beeinflusst hat. Seine bekannte Stadientheorie geistiger Entwicklung beinhaltet eine unveränderliche Sequenz von Entwicklungsschritten, bei der das Denken auf jeder Stufe eine geordnete Gesamtstruktur hat und jeder weitere Schritt auf dem vorangegangenen aufbaut ▶ [1439]. Die Entwicklung wird dabei vorangetrieben vom Zusammenspiel zweier Prozesse: Assimilation und Akkomodation. Assimilation bedeutet die Integration von Neuem in bestehende Schemata, also Verhaltens- und Denkmuster. Ein Säugling assimiliert beispielsweise sein Saugschema von der Brust an den Daumen ▶ [1439]. Bei der Akkomodation werden mentale Strukturen an neue Umweltanforderungen angepasst. Akkomodation findet statt, wenn der Säugling sein Saugverhalten so ändert, dass es für den Daumen besser passt. Die Stadien der Entwicklung des Denkens nach Piaget sind in ▶ Tab. 1.2 dargestellt.
Tab. 1.2
Stadienmodellgeistiger Entwicklung nach Jean Piaget.
Alter
Stadium
Inhalt
0–2 Jahre
sensumotorisch
handlungsgebunden, nicht symbolisch, sensumotorische Schemata (z.B. Saugschema)
2–7 Jahre
präoperational
Symbolgebrauch, noch an unmittelbare konkrete Reize gebunden, Repräsentation von Zuständen und nicht von Operationen
7–11 Jahre
konkret-operational
Operation mit konkreten Objekten in der Vorstellung, jedoch noch keine Abstraktion, Denken noch stark von der direkten Wahrnehmung beeinflusst
>11 Jahre
formal-operational
abstraktes und hypothetisches Denken
Im Stadium der sensumotorischen Intelligenz, das die ersten beiden Lebensjahre umfasst, spielen Erfahrungen mit den Sinnesorganen und der Motorik eine Rolle. Im Unterschied zu den nachfolgenden Stadien ist das Denken ausschließlich handlungsgebunden. Schon im 1. Lebensmonat modifiziert ein Neugeborenes angeborene Reflexe. Es passt beispielsweise sein Saugverhalten an, je nachdem, woran es saugt. In den nächsten Lebensmonaten beginnt ein Säugling, Handlungen zu wiederholen (primäre Zirkulär- oder Kreisreaktion) und einfache Handlungen zu kombinieren, wie beispielsweise Schauen und Kopf drehen.
Im Alter von etwa 4 Monaten findet ein wichtiger Entwicklungsschritt statt. Der Säugling entdeckt, dass er Effekte in der Umwelt hervorrufen kann, beispielsweise durch das Schütteln einer Rassel ein Geräusch(sekundäre Zirkulär- oder Kreisreaktion). Ein weiterer wichtiger Entwicklungsschritt ist das Erlangen der Objektpermanenz im Alter von etwa 8 Monaten. Verschwindet ein Objekt aus dem Sichtfeld, beginnt ein Kind, es zu suchen. Daraus folgerte Piaget, dass der Säugling nun weiß, dass Gegenstände weiterexistieren, wenn sie aus dem Blickfeld verschwinden. Mit etwa 1 Jahr fangen Kinder an, aktiv zu experimentieren. Sie werfen beispielsweise auf unterschiedliche Art und Weise einen Ball und beobachten den Effekt(tertiäre Zirkulär- oder Kreisreaktion). Auch verwenden sie neue Mittel, um an ihr Ziel zu kommen.
Mit 1½ Jahren beginnt der Übergang zur 2. Stufe mit dem Beginn symbolisch-repräsentationalen Denkens. Beobachtbar ist dies daran, dass Kinder mit zeitlicher Verzögerung Handlungsweisen imitieren, die sie mental repräsentiert haben. Ebenfalls beginnen Symbolspiele (indem etwa ein Bauklotz als Auto benutzt wird) und die Verwendung von Sprache.
Das präoperationale Stadium umfasst den Altersbereich von 2–7 Jahren. Eine Operation ist nach Piaget eine Handlung, die in der mentalen Repräsentation durchgeführt und verändert werden kann. Zwar sind Kinder im 2. Stadium bereits dazu fähig, sich eine Handlung gedanklich vorzustellen. Jedoch können sie nur sehr eingeschränkt mit ihr operieren, was zu typischen Fehlern führt. Das lässt sich an folgendem Experiment erläutern: Werden 2 gleich große Becher Wasser mit exakt derselben Wassermenge in jeweils ein breites und ein schmales Glas umgeschüttet, antworten Kinder im präoperationalen Stadium häufig, dass die Wassermenge nach dem Umschütten in einem Glas mehr sei als in dem anderen. Sie zentrieren auf einen augenfälligen Aspekt, z.B. Höhe des Wasserstands(mangelnde Fähigkeit zur Dezentrierung). Im präoperationalen Stadium sind Kinder noch nicht dazu in der Lage, in der Vorstellung zurückzugehen und zu bedenken, dass in der Ausgangssituation die Wassermenge gleich war(mangelnde Fähigkeit zur Reversibilität). Auch wissen sie noch nicht, dass Masse bei Formveränderung erhalten bleibt (fehlendes Erhaltungs- oder Invarianzkonzept).
Die Denkfehler, die für das präoperationale Stadium so bezeichnend sind, werden im konkret-operationalen Stadium überwunden. Kinder in diesem Stadium, das den Altersbereich von 7–11 Jahren umfasst, sind zu Reversibilität und Dezentrierung in der Lage und verfügen über ein Erhaltungs- bzw. Invarianzkonzept. Darüber hinaus wird der Egozentrismus überwunden, sodass sich Kinder nun in andere Personen hineinversetzen können. Sie gehen nicht mehr davon aus, dass alle denken und fühlen wie sie selbst oder dass Gegenstände wie sie selbst belebt sind (Animismus).
Eine weitere Fähigkeit dieses Stadiums ist es, Objekte nach einem Merkmal in eine aufsteigende Reihenfolge zu bringen (Seriation) oder entsprechend eines Merkmals zu sortieren (Klassifikation). Auch wissen Kinder im konkret-operationalen Stadium, dass eine Klasse andere Klassen beinhalten kann – wie z.B. die Oberkategorie Lebensmittel die Klassen Obst und Milchprodukte umfasst (Klasseninklusion).
Das formal-operationale Stadium beginnt mit etwa 11 Jahren und ist durch die Fähigkeit zu abstraktem und hypothetischem Denken gekennzeichnet. Jugendliche in diesem Stadium sind beispielsweise zu hypothetisch-deduktivem Denken in der Lage. Um herauszufinden, welche Variable einen Effekt bedingt, variieren sie eine Variable und halten die anderen Variablen konstant. Denkoperationen erweitern sich auf abstrakte, nicht mehr konkret beobachtbare Inhalte. Eine weitere Kompetenz des formal-operationalen Stadiums ist die Fähigkeit, eine Metaebene einzunehmen.
Mittlerweile ist durch zahlreiche Studien belegt, dass Kinder und Jugendliche über viele Kompetenzen schon früher verfügen, als von Piaget postuliert wurde. Die Verhaltensbeobachtungen und Experimente, die von Piaget und Kollegen zur Entwicklung und Überprüfung durchgeführt wurden, sind relativ anspruchsvoll. Sie setzen voraus, dass Wissen bereits in Handlung umgesetzt wird und die dafür erforderlichen motorischen, verbalen und kognitiven Fähigkeiten vorhanden sind.
Säuglinge verfügen nur über begrenzte Mittel, um sich mitzuteilen und wurden daher lange Zeit unterschätzt. Moderne Methoden der Säuglingsforschung haben zu einem Bild des kompetenten Säuglings beigetragen. In Kap. (Sprachentwicklung) wurde bereits auf die Erfassung von Saugfrequenzen eingegangen. Darüber hinaus kommen auch Blickzeitmessungen in der Säuglingsforschung zum Einsatz. Ist ein Reiz für einen Säugling neu oder unerwartet, blickt er ihn länger an. Nach wiederholter Präsentation sinkt die Fixationsdauer ab, d.h. der Säugling habituiert. So lässt sich nicht nur prüfen, ob ein Säugling zwischen 2 Reizen unterscheiden kann, sondern auch, ob ein Ereignis für ihn erwartungswidrig ist.
Studien mit diesen Methoden zeigen erstaunlich frühe Kompetenzen v.a. in 4 Bereichen ▶ [1734]:
Wissen über grundlegende physikalische Eigenschaften von Objekten,
Wissen über Lebewesen und zielgerichtete Verhaltensweisen,
numerisches Wissen,
räumliches Wissen.
Kenntnisse in diesen Bereichen helfen bei der Orientierung in der Welt und im Umgang mit den zum Überleben wichtigen Bezugspersonen. Aufgrund des frühen und schnellen Erwerbs gehen Vertreter der Kernwissensthese davon aus, dass Neugeborene bereits die Veranlagung haben, in ausgewählten Bereichen sehr schnell Kompetenzen zu erwerben, weil es evolutionär von Vorteil war und unser Überleben sicherte ▶ [1734].
Ein wichtiger Befund aus dem Bereich physikalischen Verständnisses betrifft die Objektpermanenz. Eine Reihe von Studien zeigt, dass Säuglinge schon ab einem Alter von 2½ Monaten davon ausgehen, dass Objekte weiterexistieren, wenn sie aus dem Sichtfeld verschwinden ▶ [90]. Das ist früher als von Piaget angenommen. Auch haben Säuglinge mental repräsentiert, dass Objekte sich als zusammenhängende Einheiten kontinuierlich durch den Raum bewegen und andere Objekte nur durch einen Kontakt beeinflussen ▶ [1734]. Studien zum numerischen Wissen zeigen, dass Kinder schon im 1. Lebensjahr Mengen bis zu 3 oder 4 Elementen nach ihrer Anzahl unterscheiden und bei dieser kleinen Menge addieren und subtrahieren können. Größere Mengen erfassen sie näherungsweise, d.h. Mengenverhältnisse von zunächst 1 : 2 und später auch von 2 : 3 ▶ [1725].
Während die Theorien domänenspezifischen Wissens auf bestimmte Bereiche fokussieren, beschäftigen sich Informationsverarbeitungsansätze mit allgemeinen Mechanismen menschlichen Denkens. Studien aus diesem breiten Forschungsfeld zu kognitiven Strukturen und Prozessen deuten auf eine stetige Steigerung der Effizienz der Informationsverarbeitung im Verlauf der Kindheit hin, sodass immer mehr Informationen in immer kürzerer Zeit verarbeitet werden können ▶ [1725].
Nach Case besteht die mentale Gesamtkapazität aus Speicherkapazität (also der Speicherung von Informationen) und operationaler Kapazität, also der Ausführung mentaler Operationen ▶ [303]. Bei jüngeren Kindern werden mehr Ressourcen für die Ausführung mentaler Operationen benötigt, wodurch weniger Speicherkapazität zur Verfügung steht. Mit zunehmender Übung verringern sich die für mentale Operationen benötigten Ressourcen, wodurch die Speicherkapazität steigt.
Nicht nur die Informationsverarbeitungskapazität und -geschwindigkeit nimmt im Verlauf der Kindheit zu, auch die Anwendung von immer effektiveren Strategien trägt zu einer besseren Performanz in Denkaufgaben bei. Nach dem Modell sich überlappender Wellen von Siegler ▶ [1705] verfügen Kinder über ein Repertoire an verschiedenen Strategien zur Lösung von Aufgaben. Wird eine bessere Strategie gelernt, löst diese nicht sofort die bisherigen Strategien ab, sondern wird zunächst parallel angewandt. Erst mit der Zeit werden die besseren Strategien häufiger eingesetzt und setzen sich schließlich durch.
Nach der Theorie von Piaget wird Egozentrismus im konkret-operationalen Stadium überwunden. Mittlerweile ist jedoch bekannt, dass Kinder bei vereinfachten Aufgabenbedingungen schon früher zu visueller Perspektivübernahme in der Lage sind. Bereits 2-jährige Kinder verstehen, dass andere Personen etwas sehen können, was sie selbst nicht sehen und vice versa. Mit 4–5 Jahren begreifen Kinder, dass Gegenstände aus unterschiedlichen Blickrichtungen anders aussehen ▶ [600].
Über diese Form der visuellen Perspektivübernahme hinaus geht das Konzept der „Theory of Mind“, d.h. der intuitiven Psychologie. Hierunter wird die Fähigkeit verstanden, psychische Zustände bei sich selbst und anderen zu verstehen und basierend auf diesem Wissen zukünftige Handlungsweisen voraussagen zu können. Dabei entwickelt sich das Verständnis von Gefühlen, Absichten und Wünschen früher als das Verständnis von Wissen und Überzeugungen ▶ [1724].
Das Verständnis von Gefühlen anderer Personen und damit empathisches Verhalten hängt mit der Fähigkeit zur Selbstreferenz zusammen, die sich im Alter von ungefähr 18 Monaten entwickelt ▶ [185]. Beim sog. Rouge-Test erkennen Kinder ab diesem Alter im Spiegel, wenn ihnen unbemerkt ein Farbfleck auf das Gesicht gemacht wurde und fassen sich an ihr eigenes Gesicht. Interpretiert wird dieses Verhalten dahingehend, dass Kinder zwischen sich selbst und ihrer Repräsentation unterscheiden können, was wichtig für die Selbstkonzeptentwicklung ist. Zeitgleich entwickeln Kinder die Fähigkeit, zwischen eigenen Wünschen, Absichten und Gefühlen und denen anderer Personen zu unterscheiden ▶ [1725].
Unter einer Theory of Mind im engeren Sinne wird jedoch die Fähigkeit verstanden, Annahmen über Wissen und Überzeugungen anderer Personen zu machen. Dabei ist v.a. das Verständnis falscher Überzeugungen (False Belief) von Relevanz. Ein klassisches Experiment hierzu stammt von Wimmer und Perner ▶ [1946] und verwendet folgende Geschichte (hier gekürzt):
Maxi legt eine Tafel Schokolade in den blauen Schrank. Während er draußen auf dem Spielplatz ist, holt die Mutter die Schokolade aus dem blauen Schrank und legt sie in den grünen Schrank. Wo sucht Maxi die Schokolade, wenn er vom Spielplatz kommt?
3-jährige Kinder antworten zumeist, dass Maxi im grünen Schrank suchen wird. Sie gehen davon aus, dass Maxi weiß, was sie selbst wissen. Viele 4-jährige Kinder verstehen bereits, dass Maxi einen anderen Wissensstand hat als sie selbst und antworten richtig.
Dauerhafte Defizite in der Theory of Mind finden sich bei Personen mit Autismus▶ [1995].
Gemäß der Bindungstheorie, die von John Bowlby begründet wurde, hat jeder Mensch das Bedürfnis nach einer engen, von intensiven Gefühlen geprägten Beziehung zu anderen Menschen. Bindung ist von evolutionärer Bedeutung, weil sie unser Überleben sichert. Dabei wird von 2 komplementären Verhaltenssystemen ausgegangen: In Sicherheit überwiegt Erkundungsverhalten, droht jedoch Gefahr, wird das Bindungssystem aktiviert und Schutz bei Bezugspersonen gesucht ▶ [233].
Das Bindungsverhalten kann im Alter von 12–18 Monaten mit dem Fremde-Situations-Test erfasst werden, der von Mary Ainsworth entwickelt wurde ▶ [5]. Dabei werden Trennungs- und Wiedervereinigungssituationen inszeniert. Das Verhalten des Kindes bei An- und Abwesenheit der Bezugsperson wird beobachtet und in Bindungskategorien eingeordnet, die in ▶ Tab. 1.3 dargestellt sind.
Tab. 1.3
Muster der Bindungsorganisation.
Typ
Bindungskategorie
Verhaltensmuster
B
sicher
Nähe und Distanz werden angemessen reguliert; kurze Irritation bei Trennung, schnelle Beruhigung bei Wiedervereinigung
A
unsicher-vermeidend
Pseudounauffälligkeit; kaum Irritation bei Trennung, wenig Reaktion bei Wiedervereinigung; jedoch Hinweis auf Stress durch hohen Kortisolspiegel
C
unsicher-ambivalent
widersprüchlich; starke Reaktion bei Trennung, ambivalentes Verhalten bei Wiedervereinigung: anklammernd und abweisend
D
desorganisiert
bizarre Verhaltensweisen wie stereotype Bewegungen oder Erstarren; Mischformen der anderen Kategorien
Merke
Bedeutung von Feinfühligkeit
Die Feinfühligkeit der Bezugsperson hängt mit einer sicheren Bindung des Kindes zusammen. Feinfühligkeit bedeutet, dass die Bezugsperson Bedürfnisse des Säuglings wahrnimmt und richtig interpretiert sowie angemessen und prompt darauf reagiert. Kinder mit sicherer Bindung weisen im Vergleich zu Kindern mit unsicherer oder desorganisierter Bindung im weiteren Lebensverlauf eine geringere Psychopathologie auf. Sie zeigen eine höhere Sozialkompetenz und eine bessere Emotionsregulation▶ [1732].
Die Entwicklung von Bindung erfolgt in 4 Phasen ▶ [5]:
ab Geburt für einige Wochen „Initial Preattachment Phase“: noch keine Bindung an eine spezifische Person;
ab ca. 6 Wochen „Phase of Attachment-in-the-Making“: eine immer engere personenbezogene Bindung beginnend mit dem 1. personenbezogenen Lächeln;
ab der 2. Hälfte des 1. Lebensjahrs „Phase of Clear-cut Attachment“: beginnend mit der Möglichkeit zur Fortbewegung (z.B. durch Robben oder Krabbeln) sowie der Objektpermanenz im Sinne von Piaget: Regulation von Nähe und Entfernung;
ab dem Ende des 3. Lebensjahrs „Goal-corrected Partnership“: Verhandeln von emotionalen Erwartungen und Wünschen.
Auch wenn die größten Entwicklungen in den ersten Lebensjahren stattfinden, so sind später immer noch Veränderungen möglich, v.a. durch neue Erfahrungen. Im Erwachsenenalter ist der Bindungstyp jedoch relativ konstant. Kinder haben oft dieselbe Bindungskategorie wie ihre Eltern ▶ [1732].
Bei dieser Übersicht werden die wichtigsten Punkte aus den Funktionsbereichen wiederholt und um neue Inhalte ergänzt.
In den ersten 2 Lebensjahren finden wichtige Entwicklungsschritte statt. Schon Neugeborene sind nicht ausschließlich von Reflexen gesteuerte, hilflose Wesen. Sie weisen eine Reihe von Kompetenzen auf oder erwerben diese schnell. So betrachten Neugeborene schon kurz nach der Geburt bevorzugt gesichterartige Stimuli (Gesichterpräferenz).
Merke
Entwicklung in den ersten 2 Lebensjahren
Die wichtigsten Meilensteine der Entwicklung (alle Altersangaben weisen eine hohe Varianz auf):
motorische Entwicklung: freies Sitzen mit durchschnittlich 6 Monaten, Laufen mit durchschnittlich 12 Monaten;
Sprachentwicklung: erste Wörter mit ca. 1 Jahr, Einsetzen des Wortschatzspurtes bei 50 Wörtern mit ca. 18 Monaten;
kognitive Entwicklung: sensumotorische Intelligenz nach Piaget; Objektpermanenz (aktives Suchen nach einem verdeckten Objekt) mit ca. 8 Monaten, beginnendes Symbolspiel mit ca. 18 Monaten;
wichtige Phase der Bindungsentwicklung;
Fähigkeit zur Selbstreferenz mit ca. 18 Monaten (Rouge-Test).
Etwa mit 8 Monaten beginnen Kinder, sich am emotionalen Gesichtsausdruck der Bezugsperson zu orientieren, wenn sie mit neuen Objekten oder Situationen konfrontiert werden (Social Referencing). Auch sind Kinder ab 8 Monaten zu geteilter Aufmerksamkeit in der Lage (Joint Attention), was bedeutet, dass sie sich mit einer anderen Person auf einen Gegenstand in der Umwelt beziehen.
Die meisten Kinder in diesem Altersabschnitt besuchen einen Kindergarten und machen vielfältige soziale Erfahrungen auch außerhalb des Familienkreises. Kooperative Spielformen werden häufiger und haben einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung von sozial kompetentem Verhalten.
Merke
Entwicklung in der frühen Kindheit (3–6 Jahre)
Entwicklung in den verschiedenen Funktionsbereichen:
motorische Entwicklung: hohes motorisches Aktivitätsniveau, Bewegungsabläufe immer komplexer und koordinierter (z.B. Schuhe binden, Fahrrad fahren);
Sprachentwicklung: mit 3 Jahren zunehmender Gebrauch von Funktionswörtern wie Artikeln und Präpositionen, mit 4 Jahren oftmals bereits Beherrschung der wichtigsten Satzkonstruktionen;
kognitive Entwicklung: präoperationales Denken nach Piaget; Handlungen können mental repräsentiert werden, sind aber noch unflexibel;
Bindung: zielkorrigierte Partnerschaft, Abstimmen von Bedürfnissen; internes Arbeitsmodell mit überdauernden Erwartungen, basierend auf früheren Bindungserfahrungen;
Theory of Mind: Verständnis von Wissen und Überzeugungen beginnend im Altersbereich von 3–4 Jahren.
Um das 7. Lebensjahr wird ein Großteil der Kinder eingeschult. Die Einschulung kann als Entwicklungsaufgabe betrachtet werden, sie ist vorhersehbar und normativ. Nicht normative Ereignisse wie der Tod eines Elternteils werden hingegen als kritische Lebensereignisse bezeichnet.
Mit dem Schuleintritt sind vielfältige Veränderungen verbunden. Kinder lernen nun gezielt die Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Die Leistungsbewertungen beeinflussen das Selbstkonzept, wobei sich Kinder nach Schuleintritt zunächst noch häufig überschätzen. Erst im 2. bis 3. Schuljahr passt sich die Selbsteinschätzung der Leistungsbewertung der Lehrer an ▶ [778]. Im Grundschulalter wird das Selbstkonzept zudem differenzierter und umfassender, es beinhaltet Facetten wie schulische Kompetenzen, soziale Kompetenzen, sportliche Kompetenzen und äußerliches Erscheinungsbild ▶ [785]. Darüber hinaus erwerben Kinder die Fähigkeit, sich selbst aus dem Blick anderer Personen zu reflektieren (Fähigkeit zur reziproken Perspektivübernahme).
Merke
Kompetenzen im Alter von 7–11 Jahren
Nach Piaget sind Kinder im Schulalter zu konkret-operationalem Denken in der Lage. Wichtige Kompetenzen sind:
Fähigkeit zur Dezentrierung: nicht mehr den augenfälligsten Aspekt am stärksten bewerten, Irrtümer der Wahrnehmung korrigieren, mehrere Aspekte einer Situation einbeziehen;
Fähigkeit zur Reversibilität: eine Handlung oder einen Vorgang in Gedanken zurückgehen;
Erhaltungs- bzw. Invarianzkonzept: erkennen, dass die Masse bzw. Anzahl konstant bleibt, wenn nur die Form verändert und nichts hinzugefügt oder weggenommen wird;
Seriation und Klassifikation: Objekte nach Merkmalen sortieren.
Die verbesserte Leistung in Denkaufgaben führen Vertreter des Informationsverarbeitungsansatzes auf die Erhöhung der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit und die Verbesserung der Gedächtnisleistung zurück. Weil weniger Ressourcen für die Ausführung mentaler Operationen benötigt wird, steigt die Speicherkapazität ▶ [303]. Kinder wenden im Verlauf des Schulalters zudem effizientere Strategien an, wie beispielsweise den Einsatz externer Gedächtnishilfen (Liste schreiben) oder das Herstellen einer Assoziation zwischen Objekten, die sich das Kind merken soll („Eselsbrücke“).
In der Jugend vollzieht sich der Übergang vom Kind zum Erwachsenen. Dieser Lebensabschnitt ist somit geprägt von vielfältigen Entwicklungen, von denen hier 3 Bereiche aufgegriffen werden: geistige, körperliche und soziale Veränderungen. Für eine ausführlichere Darstellung sei beispielsweise auf Silbereisen und Hasselhorn ▶ [1706] verwiesen.
Bei der geistigen Entwicklung beginnt nach Piaget die Periode aussagenlogischer oder formaler Operationen, die auf den konkreten Operationen aufbaut und die höchste Stufe menschlichen Denkens darstellt. Nicht alle Jugendlichen erreichen diese Stufe. Wer sie erreicht, ist dazu in der Lage, Hypothesen aufzustellen, diese systematisch zu überprüfen und die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.
Eine weitere Kompetenz dieser Stufe ist es, eine Metaebene einzunehmen und beispielsweise Erkenntnisprozesse kritisch zu hinterfragen. Neuere Befunde stützen die Annahme solcher Fortschritte in der geistigen Entwicklung von Jugendlichen, indem sie eine Verbesserung des metakognitiven und abstrakten Denkens sowie eine Zunahme deduktiven Denkens zeigen ▶ [1707]. Im scheinbaren Widerspruch zur wachsenden Fähigkeit zum logischen Denken steht das oft unbedacht wirkende Risikoverhalten vieler Jugendlicher. Möglicherweise gibt es dabei einen Zusammenhang mit einer Verringerung der Reizzufuhr in den mesokortikalen Gehirnstrukturen ▶ [1707]. Jugendliche suchen daher nach neuen Erlebnissen mit starken Reizen, die sie als belohnend erleben.
Bei den körperlichen Entwicklungen sind v.a. das Längenwachstum und die Reifung der Geschlechtsorgane zu nennen. Beides setzt bei Mädchen etwa 2 Jahre früher ein als bei Jungen. Ein Wachstumsschub ist bei Mädchen um das 12. Lebensjahr und bei Jungen um das 14. Lebensjahr zu verzeichnen. Die endgültige Körpergröße haben Mädchen mit ca. 16 und Jungen mit ca. 18 Jahren erreicht ▶ [1707]. Bei Mädchen beginnt die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale mit dem Brustwachstum und der Schamhaarbildung. Die erste Regelblutung (Menarche) findet im Mittel mit knapp 13 Jahren statt ▶ [966]. Bei Jungen setzt die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale mit dem Wachsen von Hoden, Penis und Schambehaarung ein. Später folgen der Stimmbruch und der erste Samenerguss (Spermarche).
Bei der sozialen Entwicklung zeigt sich eine Zunahme an Zeit, die mit der Peergroup, den gleichaltrigen Jugendlichen, verbracht wird. Die Eltern bleiben bedeutsam, auch wenn es bedingt durch die wachsende Autonomie vermehrt zu Konflikten – teilweise mit hoher emotionaler Intensität – kommt. Bei den engen Freundschaften steigen Offenheit und wechselseitige Unterstützung ▶ [1707]. Es beginnen erste romantische Beziehungen, wobei es in Bezug auf den Zeitpunkt und die Gestaltung hohe interindividuelle Unterschiede gibt. Die meisten Jugendlichen entwickeln erste sexuelle Kontakte im Alter zwischen 14 und 17 Jahren ▶ [281].
Prüfungsfragen
Welche psychosozialen Krisen treten nach Erik Erikson in welchem Altersbereich auf?
Erläutern Sie den Unterschied zwischen absoluter und relativer Stabilität.
Was wird in der Sprachentwicklung unter einer Benennungsexplosion bzw. einem Wortschatzspurt verstanden und wann setzt dieser Entwicklungsschritt ein?
Nennen Sie die Stufen der kognitiven Entwicklung nach Piaget und erläutern Sie diese.
Welche Methoden werden in der modernen Säuglingsforschung verwendet und welche frühen Kompetenzen konnten mit diesen Methoden aufgezeigt werden?
Was wird unter einer Theory of Mind verstanden und in welchen Altersbereichen vollziehen sich diesbezüglich wichtige Entwicklungsschritte?
Welche Bindungstypen werden anhand welcher Verhaltensbeobachtungen unterschieden?
Wie entwickelt sich Bindung im Verlauf der Kindheit?
Welche Entwicklungsschritte sind im Säuglings- und Kleinkindalter, in der frühen und mittleren Kindheit und im Jugendalter zu verzeichnen?
Wolfgang Ihle, Tom Frenzel und Günter Esser
In den 1980er-Jahren forderten Sroufe und Rutter ▶ [1740] die Einführung der neuen Wissenschaftsdisziplin Entwicklungspsychopathologie.
Definition
Entwicklungspsychopathologie
Sroufe und Rutter [67] definierten Entwicklungspsychopathologie als
„die Untersuchung der Ursachen und des Verlaufs individueller Muster fehlangepassten Verhaltens, unabhängig vom Alter bei Störungsbeginn, von den Ursachen, den Erscheinungsformen und der Komplexität der Entstehungsgeschichte“.
Für ein tieferes Verständnis pathologischer Entwicklung sind eingehende Kenntnisse der normalen Entwicklung unabdingbar (▶ [325], ▶ [328]). Gleichzeitig können Erkenntnisse der Psychopathologie zu einem besseren Verständnis der normalen Entwicklung beitragen ▶ [1740]. Wir vertreten außerdem die Auffassung, dass eine Synthese relevanter Bereiche psychologischer und medizinischer Forschung am ehesten zu einem besseren Verständnis normaler und gestörter Entwicklung beitragen kann und aus diesem Grund unerlässlich ist. Hierzu können v.a. Erkenntnisse aus den Bereichen der klinischen Psychologie, der Entwicklungspsychologie und der Kinder- und Jugendpsychiatrie herangezogen werden. Verbindet man diese mit epidemiologischen Methoden, werden effiziente Strategien der Diagnostik und v.a. der Vorhersage devianten Erlebens und Verhaltens möglich.
In der folgenden Aufzählung sind die wesentlichen Ziele der Entwicklungspsychopathologie zusammengefasst:
Untersuchung des normalen und abweichenden Entwicklungsverlaufs,
Suche nach biologischen, psychologischen und sozialen Ursachen von Störungen,
Identifikation von Risiko- und Schutzfaktoren, Vulnerabilität und Resilienz,
prospektive Betrachtung abweichenden Verhaltens (Kontinuität, Diskontinuität, Entwicklungspfade).
Hierauf aufbauend befasst sich eine zeitgemäße klinische Psychologie/Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters mit der Entwicklung und Erprobung evidenzbasierter Präventions- und Interventionsansätze, die die negativen Folgen einer frühen Benachteiligung gefährdeter Kinder und Jugendlicher im besten Falle rechtzeitig abfangen können. Gelingt keine Prävention, kann auf der Grundlage des tiefen Verständnisses psychopathologischer Entwicklungsprozesse zielgerichtet und wirksam eingegriffen werden, um zumindest die Rückkehr zu einer potenziell normalen Entwicklung zu ermöglichen. Dahinter steht die idealtypische Auffassung, dass eine Hauptaufgabe der klinischen Kinderpsychologie darin bestehen muss, schädliche Entwicklungen bei Kindern zu verhindern und damit dem Einzelnen die Möglichkeit zu eröffnen, sich relativ unabhängig von genetischen und psychosozialen Nachteilen entfalten zu können.
Einen bedeutenden theoretischen Ansatz zur Erklärung psychopathologischer Entwicklungsprozesse liefert die sog. Organisationsperspektive, die auf Werner ▶ [1923] und Gottlieb (▶ [715], ▶ [716]) zurückgeht. Ihre Grundaussage besteht darin, dass die biologischen Systeme und Verhaltenssysteme des Einzelnen in einer charakteristischen Weise organisiert sind. Im Zuge der Entwicklung des Individuums kommt es über Lernprozesse und genetisch determinierte Reifungsprozesse fortwährend zu Differenzierungen des biologischen, sozialen, kognitiven, repräsentationalen und linguistischen Systems. Diese Bereiche sind der Modellannahme zufolge derart miteinander verbunden, dass sie ein organisiertes Ganzes ergeben. Die Gesamtheit folgt dabei dem Mechanismus der hierarchischen Organisation, welcher im Wesentlichen auf der Gesetzmäßigkeit beruht, dass sich die unterschiedlichen Teilsysteme vom Zustand der relativen Diffusion und Instabilität hin zu einer größeren Komplexität und Differenzierung entwickeln.
Damit steht uns ein theoretisches Erklärungsmodell des Zustandekommens von Vulnerabilität und Widerstandskraft sowie deren Auswirkungen auf die Entwicklung zur Verfügung. Folgt man den Modellannahmen, kann man davon ausgehen, dass frühere Bereiche von Verwundbarkeit oder Stärke innerhalb der Organisationsstruktur erhalten bleiben können, auch wenn sie in der aktuellen Umweltauseinandersetzung das Verhalten nicht beobachtbar leiten. Die Autoren, die diese Auffassung vertreten, meinen, dass insbesondere in Zeiten, in denen erhöhte Bewältigungsanstrengungen aufgrund stressreicher Bedingungen erforderlich sind, eine regressive Aktivierung von Bereichen früherer Organisationsstrukturen stattfinden kann (z.B. ▶ [325], ▶ [327], ▶ [328], ▶ [1741]).
Merke
Frühere Verwundbarkeit reaktivierbar
Wurde in der Vergangenheit eine Verletzlichkeit erworben, die ihren Ausdruck in einer instabilen Organisationsform der Teilsysteme gefunden hatte, können sich beim Individuum später auch dann Symptome gestörter Entwicklung zeigen, wenn die instabilen und fehlangepassten Strukturen im Laufe der Zeit hierarchisch integriert wurden und in der näheren Vergangenheit nicht zu einer offensichtlichen Beeinträchtigung geführt haben.
So könnte z.B. ein Jugendlicher in der Berufsausbildung plötzlich schwere Angstsymptome (etwa in Prüfungssituationen) zeigen, obwohl er seit seiner mittleren Kindheit, in der er unter Symptomen sozialer Ängstlichkeit gelitten hatte und diese überwinden konnte, eine unauffällige Entwicklung nahm. Oben genannte Autoren würden hieraus schließen, dass es in der stressreichen Prüfungszeit zu einer regressiven Aktivierung früherer fehlangepasster Strukturen im vorrangig sozialen und kognitiven System gekommen ist.
Auf dem Ansatz der Organisationsperspektive basiert auch das Modell der Entwicklungspfade. Wenn das Fortschreiten der Entwicklung genetisch determiniert ist und spätere Entwicklungsstufen relativ unabhängig davon erreicht werden, ob auf den vorhergehenden Stufen optimale Ressourcen in der Auseinandersetzung mit den jeweiligen Herausforderungen entwickelt wurden, dann können frühere Inkompetenzen der Bewältigung eine spätere mangelnde Funktionsfähigkeit begünstigen. Ein negativer Entwicklungsverlauf wird in diesem Falle wahrscheinlich, ist aber nicht zwingend die Folge. Vielmehr gehen Vertreter des Entwicklungspfadmodells davon aus, dass Verbesserungen der inneren und äußeren Umwelt jederzeit zu einer Erweiterung der Fähigkeiten führen können und hierdurch das Einschlagen einer neuen und positiven Entwicklungsrichtung grundsätzlich möglich bleibt (▶ [326], ▶ [1740],▶ [1743]).
Vor allem Sroufe ▶ [1742] hat das Modell der Entwicklungspfade weiterentwickelt. Es ermöglicht im Wesentlichen eine Beschreibung potenziell möglicher Entwicklungsrichtungen, die zu jedem Zeitpunkt von biologischen, genetischen, sozialen und selbst herbeigeführten Lernerfahrungen gelenkt werden. Der Autor leitet hierzu 5 Hauptannahmen ab:
Psychopathologie resultiert aus Fehlanpassungen, die das Individuum auf einen Entwicklungspfad lenken, der potenziell zu einer Störung führt.
Das Prinzip der Äquifinalität besagt, dass ein und derselbe, normale oder deviante Entwicklungsausgang über völlig verschiedene Verläufe erreicht werden kann.
Multifinalität beschreibt das Phänomen, nach dem dieselben Entwicklungswege zu unterschiedlichen Ausgängen führen können.
Eine Veränderung der eingeschlagenen Entwicklungsrichtung ist zu jedem Zeitpunkt möglich, weshalb eine Störung keinen unveränderbaren Zustand darstellt und positive Verläufe weiterhin möglich bleiben.
Langfristig verfolgte fehlangepasste Entwicklungspfade verringern die Wahrscheinlichkeit eines positiven Ausgangs.
Mit zunehmender Entfernung vom Entwicklungsbeginn erweitert sich folglich das Spektrum potenziell möglicher Pfade. Gleichzeitig wird durch das Einschlagen bestimmter Richtungen eine Auswahl getroffen, die zu einer Einschränkung konkreter zukünftiger Möglichkeiten führt. Die Entwicklung von Psychopathologie kann somit als fortschreitende Verzweigung angesehen werden, die das Kind von Pfaden abbringt, die zu kompetentem Verhalten führen. Eine Fehlanpassung wird demnach eher als Entwicklungsprozess denn als Krankheit aufgefasst. Sie tritt innerhalb einer ansonsten gelungenen Anpassungsgeschichte auf – als ein Resultat des komplexen Zusammenspiels von schützenden Faktoren und Risikofaktoren.
Eine weitere Herangehensweise bieten sog. Entwicklungsmodelle. Mit ihrer Hilfe wird versucht, auf einer abstrakteren Ebene die Wechselwirkungsprozesse zwischen Individuum und Umwelt über die Zeit darzustellen. Die einzelnen Modellvorstellungen weichen hauptsächlich in der unterschiedlichen Gewichtung der angenommenen Einflüsse voneinander ab (für eine ausführliche Darstellung sei auf ▶ [1415] verwiesen).
In Dispositionsmodellen spielt die genetische Disposition die Hauptrolle bei der Entwicklung von Psychopathologie. Durch eine spezifische Wechselwirkung mit Umwelteinflüssen können Konstellationen entstehen, die dazu führen, dass die Disposition ihren Ausdruck in einem Störungsausbruch findet. Im Extremfall gehen Dispositionsmodelle bis zur Annahme der relativen Bedeutungslosigkeit der Umwelt im Entwicklungsprozess, wenn sie die genetische Veranlagung als zwingend sich im Phänotyp ausdrückende Größe ansehen.
Umweltmodelle betonen hingegen vordergründig die Einflüsse auslösender und hemmender Faktoren im Entwicklungskontext des Individuums, wobei das Verhalten v.a. eine Funktion ihrer Einwirkungen darstellt. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den Lernprozessen zu, da erwartet wird, dass eine Veränderung von Umweltbedingungen die Entwicklung des Individuums relativ sicher beeinflussen wird.
Ökologische Modelle schließlich gehen davon aus, dass verschiedene und untereinander in Wechselwirkung stehende Systeme mehr oder weniger direkt auf das Individuum und seine Entwicklung einwirken. Darunter fällt in erster Linie die unmittelbare Umgebung des Menschen, die sich über verschiedene Abstraktionsebenen hinweg letztlich in einen komplexen übergeordneten Rahmen von kulturellen, ökonomischen, sozialen und politischen Kontexten einordnen lässt.
Einen Sonderfall ökologischer Entwicklungsmodelle stellt das Modell von Bronfenbrenner▶ [247] dar. Er geht davon aus, dass verschiedene Umgebungsvariablen zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich starke Auswirkungen auf die Entwicklung des Individuums haben. Die Sensibilität für die Einflussvariablen wird durch den jeweiligen Entwicklungsstand und damit auch durch genetisch determinierte kritische Phasen moderiert.
Der Autor unterscheidet das Mikrosystem als unmittelbare Umgebung des Kindes, die von sämtlichen Gruppen (etwa der Mutter-Kind-Dyade oder der Familie) gebildet wird, vom Meso-, Exo- und Makrosystem. Das Mesosystem umfasst im Wesentlichen die Beziehungen, die sich aus den Gruppenzugehörigkeiten des Mikrosystems sowie deren Wechselwirkungen ergeben. Im Exosystem sind Bereiche zusammengefasst, die indirekt auf die Entwicklung des Kindes einwirken. Hierzu zählen das Gefüge der sozialen Unterstützung der Eltern ebenso wie die Peergroup-Zugehörigkeit von Geschwistern.
Schließlich werden die genannten Systeme gleichsam eingefasst in das übergeordnete Makrosystem, das die Bereiche Kultur, Ökonomie, Sozial- und Politsystem umfasst. Das Makrosystem konstituiert gleichsam das Normensystem, in dem das Kind aufwächst und das seine Entwicklung entscheidend prägt. Wichtig scheint dieser Punkt v.a. deshalb, weil insbesondere über einen Vergleich mit dem Normensystem, in dem ein Kind aufwächst, festgestellt wird, ob eine individuelle Abweichung überhaupt als deviant oder psychopathologisch klassifiziert wird. Ergänzend sei angemerkt, dass es sich bei der Interaktion von Individuum und Umwelt im Verständnis neuerer Modelle um Wechselwirkungsprozesse handelt, bei denen sich, im Sinne von Goodness-of-fit-Modellen,Gegebenheiten der Umwelt aus der Einwirkung des Kindes ebenso ergeben, wie sich Entwicklungen des Kindes aus den Umwelteinflüssen ableiten lassen.
Um einen praktischen Bezug zur hier ausgeführten theoretischen Grundlage herzustellen, bietet sich ein Rückgriff auf unsere eingangs formulierten Forderungen an. Wir hatten festgestellt, dass ein vorrangiges Ziel der klinischen Kinderpsychologie sein soll, die frühen genetischen und sozialen Benachteiligungen des Kindes aufzufangen, um ihm eine freie Entfaltung auf positiven Entwicklungspfaden oder eine Rückkehr zu diesen zu ermöglichen. Um dem näher zu kommen, muss es uns gelingen, die theoretischen und empirischen Ergebnisse der Forschung zu bündeln, um zuverlässige Vorhersagen gestörten und normalen Verhaltens machen zu können, wirkungsvolle Interventionen entwerfen und effektive Präventionsansätze anbieten zu können.
Merke
Disposition zu psychischer Störung schon vor dem Erwachsenenalter
Wenn wir den theoretischen Grundannahmen der Entwicklungspsychopathologie folgen, dann können wir davon ausgehen, dass im Hinblick auf das Risiko, an einer psychischen Störung zu erkranken, bereits vor dem Eintritt in das Erwachsenenalter die vollständige Disposition existiert sowie der weitaus überwiegende Teil an Verletzlichkeit entstanden ist. Das hat zur Folge, dass auch die meisten psychischen Störungen, die sich im Erwachsenenalter manifestieren, ihren Ursprung in der Kindheit und Jugend der Betroffenen haben.
Augenmerk verstärkt auf das Kindes- und Jugendalter richten
Eine logische und konsequente Forderung daraus wäre, die Anstrengungen der Forschung über allgemeine Psychopathologie verstärkt auf das Kindes- und Jugendalter zu richten. Anders ausgedrückt sollte die Frage nach der wirksamen Behandlung und Prävention der Gesamtheit psychischer Störungen vorrangig – und v.a. stärker als zum jetzigen Zeitpunkt – zu einer Frage nach den Risikofaktoren für eine psychopathologische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen werden.
Will man untersuchen, ob ein potenzieller Einflussfaktor als kausaler Risikofaktor für das Entstehen einer psychopathologischen Auffälligkeit gelten kann, dann muss eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein. Deshalb bedarf es einer klaren Begriffsdefinition, die im Folgenden vorgenommen werden soll.
Zunächst muss geklärt werden, ob ein statistisch bedeutsamer Zusammenhang zwischen dem möglichen Risikofaktor und dem interessierenden Entwicklungsergebnis (in unserem Falle eine psychische Störung) vorliegt (▶ Abb. 2.1). Ist die Korrelation signifikant, kann zumindest davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem Faktor um ein Korrelat handelt. Damit ist entsprechend der Definition einer Korrelation allerdings nicht geklärt, ob es sich um eine Konsequenz, eine Begleiterscheinung oder eine aufrechterhaltende Bedingung handelt. Außerdem kann es sein, dass sowohl der interessierende Faktor als auch die Störung auf einen weiteren, latenten Faktor zurückgehen oder mit diesem im Zusammenhang stehen. Deshalb muss in einem weiteren Schritt überprüft werden, ob eine causa efficiens vorliegt, es sich also um eine Wirkursache handelt. Dazu muss zunächst geklärt werden, ob ein zeitlich vorhergehender 3. Faktor existiert, der sich auf unseren potenziellen Risikofaktor und den Störungsbeginn auswirkt.
Abb. 2.1 Schematische Darstellung zum Vorgehen bei der Identifikation eines Risikofaktors.
So könnte beispielsweise der Verlust einer wichtigen Bezugsperson in einem direkten Zusammenhang mit dem sozialen Rückzug eines Jugendlichen und seinen depressiven Symptomen stehen. In diesem Falle wäre die Frage danach, ob die Depression den sozialen Rückzug verursacht hat oder der Rückzug das depressive Syndrom, nicht zielführend, da beide eine ursächliche Beziehung zum vorhergehenden Verlustereignis aufweisen.
Anschließend muss geklärt werden, ob der vermeintliche Risikofaktor zeitlich vor der Störung aufgetreten ist. Schließlich fordert eine klare Begriffsabgrenzung, dass die Störungshäufigkeit mit der Veränderung der Exposition variiert. Das heißt, dass eine systematische Variation des Risikofaktoreneinflusses zu einer systematischen Veränderung der Störungshäufigkeit führen müsste. Kraemer et al. ▶ [1046] fassen diese Eigenschaft wie folgt zusammen: Ein Risikofaktor teilt die Population in eine Hoch- und eine Niedrigrisikogruppe. Für die Mitglieder der Hochrisikogruppe gilt, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der sie eine psychische Störung entwickeln werden, größer ist als für Mitglieder der Gruppe mit niedrigem Risiko.
In unserem Beispiel könnte das Lebensereignis „Verlust einer wichtigen Bezugsperson“ in der Vergangenheit (z.B. innerhalb der letzten 5 Jahre) die Unterteilung in 2 Gruppen zulassen. Personen, die einen solchen Verlust erlebt hätten, würden der Hochrisikogruppe im Hinblick auf die mögliche Entstehung einer depressiven Episode zugeordnet werden
Handelt es sich bei unserem vermuteten Risikofaktor hingegen um eine unveränderliche Größe oder Eigenschaft, wie etwa das Geschlecht, das Geburtsjahr oder den Genotyp, kann man nicht auf einen kausalen Risikofaktor schließen. In diesem Fall spricht man von einem festen Marker. Auch Marker müssen zeitlich vorausgehen und einen bedeutsamen Zusammenhang mit der interessierenden Störung aufweisen. Da ihre systematische Variation nicht möglich ist, stehen sie begrifflich neben den kausalen Risikofaktoren. Bisher sind wir davon ausgegangen, dass nach einem Risikofaktor gesucht wird, der die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer interessierenden Störung oder psychischen Devianz bzw. Normabweichung erhöht. In der klinisch-psychologischen und verhaltenstheoretischen Risikoforschung werden indes nicht nur störungsauslösende bzw. -begünstigende Faktoren gesucht. Jacobi und Esser ▶ [913] schlagen hierzu vor, die Risikofaktoren zusätzlich danach zu unterteilen, für welches Ereignis (Outcome) sie die Wahrscheinlichkeit erhöhen. Sie unterscheiden in
Risikofaktoren für den Beginn/das Erstauftreten einer Störung in der gesamten Population,
Risikofaktoren für die Persistenz oder Aufrechterhaltung der Störung und
Risikofaktoren für den Rückfall bei bereits remittierten Störungen.
Die Forschung hat mithilfe zahlreicher Studien eine Reihe von unspezifischen Risikofaktoren der Entwicklung identifizieren können. Die in ▶ Tab. 2.1 zusammengefasste Darstellung ist eine Synopse verschiedener Übersichten (▶ [893], ▶ [1350], ▶ [1415], ▶ [1530], ▶ [1974]).
Tab. 2.1
Unspezifische Risikofaktoren der Entwicklung nach Resch
▶ [1530]
, Petermann et al.
▶ [1415]
, Oerter et al.
▶ [1350]
und Ihle et al.
▶ [893]
.
Bereiche
Risikofaktor
biologisch
genetische Disposition
Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen
Hirnschädigung
chronische Erkrankungen
psychosozial
familiär
frühe Elternschaft
Psychopathologie der Eltern
chronische Disharmonie
Verlust wichtiger Bezugspersonen
interaktionsbezogen
chronischer Streit zwischen den Eltern
verzerrte Kommunikationsmuster
gestörte Bindungsmuster
problematisches Temperament des Kindes
rigides und autoritäres Erziehungsverhalten
Vernachlässigung, Misshandlung, Missbrauch
konflikthafte Freundschaftsbeziehungen
sozial
niedriger sozioökonomischer Status
widrige Lebensumstände
Erste Untersuchungen hierzu rückten prä- und perinatale Komplikationen in das Zentrum der Risikofaktorenforschung ▶ [1393]. Dabei wurde herausgearbeitet, dass häufig eine Konfundierung organischer mit anderen Risiken (wie z.B. sozioökonomischen oder psychosozialen Faktoren) vorliegt ▶ [1394], was Zweifel an der kausalen Wirkung der Geburtsrisiken aufkommen ließ. Viele Längsschnittstudien können heute nur noch schwache Auswirkungen der prä- und perinatalen Komplikationen nachweisen, was sich teilweise auch auf die fortschrittlichere medizinische Versorgung Neugeborener zurückführen lässt.
Die Erforschung psychosozialer Risikoeinflüsse konzentrierte