Knalleffekt - Sandra Diepenbrock - E-Book

Knalleffekt E-Book

Sandra Diepenbrock

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Beschreibung

Auf geht´s nach New York... "Wir sind aber nicht wie Alle, wir sind die Wagenfelds." Das Familienunternehmen, der Status und der Storchenclub – das war Laras Welt, durch die sie top-gestylt stolzierte. Bis zu diesem einen Tag, dem Tag des großen Knalls: New York – echt jetzt? Wild und groß und mittendrin Lara aus Borghorst, die zu Hause alles verlor und sich nun ausgerechnet in dieser Millionenmetropole auf die Suche nach einem neuen Heim und einem neuen ´Ich` begibt. Während zu Hause alles neu sortiert wurde, das Äußere zerfiel und das Innere aufblühte, wurde Lara zwischen "Sex and the city" erwachsen und begann zu ahnen, worum es bei der Sache mit dem Glück eigentlich wirklich ging. Reisen sie mit Lara nach New York und erleben sie Sightseeing einmal ganz neu - sex and the city trifft Arme Millionäre :)... KNALLEFFEKT - ein wundervoller Wellness-Roman mit einer herrlichen "feel-wieder-good-message" für all die Leser, deren Ampel im Leben auch nicht immer nur auf Grün zeigte.

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Seitenzahl: 212

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Sandra Diepenbrock

Knalleffekt

Imprint

Knalleffekt Sandra Diepenbrock Copyright: © 2015 Sandra Diepenbrock Konvertierung: Sabine Abels /

Kapitel 1 – Sake-Bomb

„Sake-Bomb!“, brüllte Mel in die Runde. Alle nahmen ihre heißen Reiswein-Gläser und versenkten sie in den dafür vorgesehenen halbvollen Biergläsern. So machte man das nämlich hier und das hieß dann Sake-Bomb. Das war aber auch so New York, so cool, so USA, so ganz was Besonderes und so gar nicht wie zu Hause. „Sake-Bomb“, brüllte ich zurück und alle Kollegen aus dem Büro stimmten fröhlich ein. Wir kippten das Bier mit dem Sake-Schnapsglas darin in einem Zug in unsere eigentlich gar nicht mehr so trockenen Hälse. Wir schüttelten uns, knallten die leeren Doppelgläser auf den Tisch und lachten. Meine Güte, Amerika war doch echt cool! Endlich…..

Es war nämlich nicht immer so cool gewesen, hier in NY, für mich, Lara Wagenfeld aus Borghorst , Germany („close to Osnabrück, yes, no? Ok, close to Hamburg, in the north, yes, ach egal“), die ich nun schon seit einigen Monaten hier lebte. Heute war mein Geburtstag und ich hatte wirklich einen guten Grund, diesen ausgiebig zu feiern. Der Grund meiner überschwänglichen Fröhlichkeit war natürlich männlich, zum Niederknien attraktiv und hieß Randolph Grant der Dritte. Echt wahr, auf „der Dritte“ war er besonders stolz.

Naja egal, auch in der dritten Generation ging man mal feiern und ließ das Büro hinter sich, vor allem wenn die kleine Lady aus Germany ihn – nur um sicherzugehen – bestimmt acht bis neun Mal in den letzten Tagen darauf hingewiesen hatte, das ALLE kämen und ich mich EXTREMELY freuen würde, wenn auch er meinen Geburtstag mit mir feiern würde.

Es war mein Neunzehnter Geburtstag und ich hatte mir gewünscht, dass wir in dieser gemütlichen Sushi-Bar in Soho feierten. Wir alle, die Stammclique aus dem Büro und damit natürlich auch Randolph Grant III. – Randolph, mein Schwarm, der nahezu täglich im Büro an mir vorbeischwebte und mittlerweile so oft nächtlich meine Träume begleitete, sanft, süß und 1a Liebesroman-like. Ich nahm mir heraus, ihn heimlich Randy zu nennen. Er mochte das nicht so gern, aber ich tat es voller Liebe, zärtlich und freundschaftlich, naja und eben heimlich, also war es ja sowieso egal.

An manchen Abenden setzte sich sein Mund auf meinen Schreibtisch und bewegte sich verführerisch hin und her, immer wieder und wieder. Das gefiel mir, immer mehr und mehr. Andere würden es einen belanglosen Feierabend-Small-Talk nennen, für mich war es viel mehr, es war mein Highlight des Tages! Zwar nicht jeden Tages, aber immerhin oft genug, um mir den Büroalltag allgemein und ungemein zu versüßen.

An den gemeinsamen Wochenenden jedoch, die wir mit anderen Kollegen in den wundervollen Restaurants dieser Stadt verbrachten, verabschiedete er sich früh und höflich, niemals jedoch, ohne beim Abschiedskuss etwas länger als nötig an meiner Wange zu verweilen. Er ging früh, ja gut, aber diese Momente, in denen seine Hand sanft meinen Arm berührte, er sich mit leiser und rauer Stimme von mir verabschiedete, die hatten doch etwas zu bedeuten, oder nicht?

Ich als Frau und somit angeborene Hobbypsychologin kam glücklicherweise auch bald hinter das Geheimnis seiner Disziplin. Ich erinnere mich noch genau an diesen Abend in meinem Büro, an dem mir sein Mund von dem „Über“-Vater erzählt hatte, der wohl immer noch auf seiner Schulter saß, ihn antrieb und anscheinend sehr hohe Ansprüche an die berufliche Laufbahn seines ältesten Sprosses hegte.

Meiner Analyse zufolge musste das der Grund sein, warum er zwar mit mir flirtete, sich aber nie lange genug Zeit nahm, um diese Flirts in die nächste Stufe hineinzuführen. Das musste der Grund sein, warum er seine Wochenenden fleißig und asketisch seiner Zusatzausbildung widmete. Dank der gut informierten Kollegin aus dem Büro wusste ich aber, dass dieser Kurs nun bald enden würde. Ich hoffte natürlich, dass er damit dann endlich gut genug sein würde für seinen Vater und ihn mit Hilfe des Zertifikates von seiner Schulter wedeln könnte. Und dann, ja dann käme natürlich „unsere“ Zeit…

Bis dahin allerdings wartete ich brav und flirtete heftig. Heute aber war mein Geburtstag und mein größter Wunsch bestand darin, einen Vorgeschmack auf künftige Ereignisse zu erhalten. So wie man einem Marathonläufer einen Schluck Wasser reicht, während er zwar bereits das Ziel sehen kann, aber noch einige Meter bis dahin zu bewältigen hat. Eine Art Wildcard für einen Abend, eine Pre-View, ein Trailer des Liebesfilmes, in welchem Randy und Lara hoffentlich schon bald die Hauptrolle spielen sollten.

Es sah gut aus für meine Pre-View-Karten, und die Chancen schienen mit jedem weiteren Sake-Bomb zu steigen. Randy saß neben mir und lächelte mich oft an. Ich lächelte dankbar und so sexy wie irgend möglich zurück, auch sehr oft. Heute wollte ich ihm endlich näher kommen, heute wollte ich ihm endlich sagen, wie sehr, wie lange und wie hoffnungslos ich schon in ihn verknallt war. Heute waren mir die Strategie und die damenhafte Zurückhaltung, die mir meine Eltern jahrelang eingeimpft hatten, egal. Heute hatte ich Geburtstag und ich wollte endlich diesen wunderschönen jungen Mann küssen dürfen!

Danach konnte ich ja dann weiter warten, bis seine Prüfungen vorbei sein würden. Aber heute nicht, heute war mein Abend, heute wollte ich wieder Kind sein und einfach schon mal ein Löffelchen vom Kuchenteig naschen.

„OK, this is it now, THE BILL, PLEASE [1]!“, brüllte Mel wieder herum. Wie jetzt, the bill? Jetzt schon, warum das denn? Ich geriet in Panik. Wenn wir jetzt nach Hause gingen, dann war der Abend ja vorbei.

„Äh, let´s go somewhere else [2]!?“, fragte ich – möglichst cool wirken wollend – in die Runde.

„It´s late“ und „hey Lara, almost 4 o´clock in the morning, enough now [3]“, waren so einige der einstimmig gen heimischem Bett wollenden Bande.

„Shit“, dachte ich. Panik fühlte ich. Was tun?

Ich konnte nicht mehr denken, ich war betrunken und willig, so ein Mist. Oh Randy, mein toller, hübscher Schwarm, was mach´ ich nur?

Er gab mir die Vorlage indem er mir vorschlug, dass wir uns ja ein Taxi teilen könnten, wäre ja die gleiche Richtung, oder? Ich antwortete nicht, meine Güte, wenn der wüsste, wie egal mir die Richtung von irgendwas jetzt gerade war, Hauptsache der Abend mit ihm war noch nicht vorbei und ging noch weiter. Wenn auch nur für eine Taxifahrtlänge, das gab mir Zeit, und dann konnte man ja weiter sehen.

Wir stiegen in das Taxi und ich versuchte wirklich, nachzudenken. „Lass´ Dir etwas einfallen, tu was!“, brüllte ich mich innerlich in Sake-Bomb-Lautstärke an.

Ich wollte diesen Abend noch nicht beenden, ich wollte ihm doch unbedingt und endlich noch sagen, was ich für ihn empfand. Und noch viel mehr wollte ich, dass er auch etwas für mich empfand. Jetzt war die Gelegenheit da, jetzt war der Moment, JETZT. Ich versuchte erneut zu denken. Aber wegen diesen ganzen verdammten Sake-Bombs wollte mir immer noch nichts Sinnvolles einfallen.

Außerdem konnte ich mich nicht entscheiden, ob ich nun in Englisch oder in Deutsch denken sollte, das war doch echt zum verrückt werden.

So fuhren wir dahin in „unserem“ Taxi, meinetwegen hätte die Fahrt ewig dauern können. Ich schloss die Augen und wünschte mir ganz, ganz doll, er würde mich nun endlich küssen. Ganz spontan und einfach mal so, ohne großes Gerede. Wir hatten so viele Monate über so viel geredet, jetzt war es mal gut, fand ich. Jetzt war es spät bzw. früh und Zeit für eine neue Stufe der Beziehung, nämlich fürs leidenschaftliche und filmreife Küssen in einem New Yorker Taxi – so ganz „Sex-and-the-city“-like!

Randy aber schüttelte mich nur dauernd und wollte wissen, wo ich denn nun wohnte. Apropos filmreif, ein Geistesblitz drang tatsächlich völlig unerwartet und segensreich durch den Nebel des Alkoholdunstes zu mir durch.

Mir fiel nämlich ein Film mit Melanie Griffith ein – Halleluja! In diesem Film gab es eine Szene, in der sie abends nach einem Cocktailempfang mit Harrison Ford im Taxi nach Hause fuhr. Sie war so betrunken, dass sie den Straßennamen nicht mehr aussprechen konnte, also nahm Harrison Ford sie mit zu sich nach Hause. Er brachte sie in sein Bett, ließ sie – ganz Gentlemen – schlafen und war verliebt!

Vorher schon – oder erst ab dem Moment, wo er sie so süß und unschuldig in seinem Bett schlummern sah – schwer zu sagen und irgendwie auch egal. Er war verliebt und das zählte! Ab da wurde ihre Liebe immer intensiver und natürlich – am Ende des Filmes – waren und blieben sie für immer und ewig ein glückliches Paar.

Ich fand, das war genau MEINE Szene und genau MEIN Film, Melanie und ich, wir waren ja quasi genau in der gleichen Situation, New-York-Schwestern auf Eroberungszug. Ich fand, das war genau das, was ich auch tun sollte und ich fand, mir stünde ein ähnliches Happy End zu. Ich fand das kurzum eine super Idee und setzte diese sofort in die Tat um.

Ich tat also so, als habe mich das letzte Bier völlig aus der Bahn geworfen. Ich antwortete auf seine verzweifelten Fragen mit Dingen wie „Es gibt einen wunderschönen Baum mit Blättern dran, die sind ganz dunkelgrün und genau daneben wohne ich.“ Ich zitierte fast wörtlich aus dem Film und hoffte dabei, dass er den Streifen nicht kannte. Nach ein paar weiteren Versuchen gab er die Fragerei nach meinem Wohnort endlich auf und nahm mich mit zu sich – Bingo!

Ich schloss die Augen und genoss die Fahrt. Jetzt würde alles gut werden, jetzt war ja schon alles gut. Ich lag schon fast in Randys Arm und vor mir lag eine wunderschöne, erste Nacht mit meiner großen USA-Liebe. Was waren das für wundervolle Aussichten! Vielleicht würde ja nun doch alles gut werden, endlich.

Ich hatte mir das aber auch sowas von verdient, die letzten Monate waren alles andere als ein Zuckerschlecken für mich gewesen. Was hatte ich mir auch nur dabei gedacht, ich hier in New York. Dachte ich wirklich, das würde leicht werden? Ja, irgendwie dachte ich das wohl. Damals, als ich herkam, damals, auf der Flucht vor meinem Leben.

Wie ich so da saß, auf dem Rücksitz des Taxis auf der Fahrt hin zu einer glücklichen Nacht mit meinem wundervollen adeligen Amerikaner, da dachte ich zurück an Borghorst, dieses kleine Kaff in dem wir mal so groß gewesen waren – meine Familie und ich.

Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich alles änderte und ich plötzlich erwachsen sein musste. Damals, als ich jäh aus dem Nest der Sicherheit und Geborgenheit geschubst wurde und urplötzlich ganz alleine fliegen sollte. Niemand hatte damals Zeit gehabt, mir das genau zu erklären oder mir zu helfen. Ob ich damals wollte oder nicht, ob ich schon so weit war, geschweige denn ob ich wusste, wie das ging oder nicht, ich musste fliegen, jetzt und hier, ganz allein.

Kapitel 2 – Die Firma

Es gibt eben einfach Tage, die vergisst man nicht. Von diesen Tagen gibt es keine Fotos, Videos oder Souvenirs, und das ist vielleicht auch besser so. Eines gibt es aber von diesen Tagen, nämlich dieses Bild in dem eigenen inneren Kopf, diese Momentaufnahme des ganz persönlichen, scheinbar fest eingebrannten Bildes, welches ungebeten und flegelhaft viel länger in unserem Inneren verweilt, als wir uns das wünschen.

Dieses Bild entstand damals, kurz nachdem ich aus dem Auto meines Vaters ausgestiegen war.

Damals saß ich auch auf dem Rücksitz eines Autos, damals war ich genauso entspannt wie später mit Randy auf dem Rücksitz dieses Taxis. Damals war ich allerdings nicht betrunken oder verliebt, aber doch fühlte ich mich sicher und zufrieden, wohlig und beschützt, dort, direkt hinter meinem Vater in seinem schicken Mercedes SUV.

Er fuhr mit mir nach Hause, wir waren zusammen im Storchenclub gewesen und hatten mit ein paar Freunden meines Vaters dort zu Abend gegessen. Man hatte sich schick angezogen, hatte lecker und extrem teuer gespeist und hatte leichte Konversation über Tennis oder die aktuellen politischen Entwicklungen geführt – wie immer.

Aber an diesem Abend war es eben irgendwie nicht so wie immer gewesen, das konnte man deutlich spüren. Irgendetwas lag in der Luft. Die Gespräche schienen ernster als sonst und die Gesichter der Freunde meines Vaters lächelten nicht, sondern drückten Sorge und Mitgefühl aus. Ich saß am Nachbartisch mit der Tochter eines anderen Clubmitgliedes und konnte die Unterhaltung nicht richtig mitbekommen, jedoch die Sprache der Gesichter verstand ich sehr gut. Diesmal ging es nicht um Tennis – so viel war klar.

Ich war in den letzten Jahren in diesem Club ein- und ausgegangen und fühlte mich dort wohl. Mein Vater war unendlich stolz, dass er es zu einer Mitgliedschaft gebracht hatte.

Es war ein wenig so wie in den amerikanischen Filmen, in denen die Kinder reicher Eltern in deren Golfclubs ihre „angemessenen“ Bekanntschaften pflegen sollten. Im Storchenklub wurde man nur Mitglied, wenn man extrem erfolgreich selbständig war, einen Managerposten bekleidete oder zum Vorstand eines bedeutenden Unternehmens zählte. Dies auch nur nach ausgiebiger Überprüfung und nach Ablauf einer bestimmten Probezeit. Zusätzlich benötigte man noch zwei weitere Mitglieder, die einen kannten und dafür bürgten, dass man auch würdig sei, diesem elitären Kreis beizutreten.

Mein Vater war all dies, wir hatten es geschafft und gingen nun bereits seit einigen Jahren im Storchenclub ein- und aus.

Das schöne Storchenklubgebäude, welches neben einem kleinen Teich lag, die großen Altbauräume mit ihren riesigen Fenstern, durch die man auf die Tennisplätze hinter dem Gebäude sehen konnte, das alles durften wir nun nutzen und genießen.

Auf den vierteljährlich stattfindenden Bällen gaben die Väter ihren Kindern immer großzügig zahlreiche Flaschen Sekt und Champagner aus, denn keiner wollte dem anderen in irgendetwas nachstehen.

So hatten wir Jugendlichen viel Spaß und auch viel Alkohol bei diesen rauschenden Festen zur Verfügung. Wir bekamen für jeden Ball ein neues, super schickes Abendkleid und ich kann gar nicht beschreiben, wie stolz und dankbar mein Vater mit seinem Leben, seiner wunderschönen Frau und den hübschen Töchtern war!

Er hatte es für sich endlich geschafft, endlich, nach so vielen Jahren harter Arbeit war er angekommen bei den Reichen und Schönen der Stadt.

Wir kannten sie alle, die wohlhabenden und einflussreichen Menschen der Umgebung, alle waren sie dort versammelt, mit allen war man per „Du“. Man war so schön unter sich und wir mitten drin.

In meinem Dorf war ich längst „etwas Besseres“ als die anderen, denn wir orientierten uns Richtung Stadt, so, wie es sich mein Vater immer für uns gewünscht hatte.

Er arbeitete wie wild dafür und ich fragte mich damals oft, wo er diesen Ehrgeiz und diese Energie hernahm.

Ich wusste nicht viel über seine Vergangenheit, nur, dass es seine Mutter sehr schwer gehabt hatte mit ihm und seinen beiden Brüdern.

Mein Opa war im Krieg gefallen und sie musste die drei Jungs alleine großziehen – ich als verwöhntes Clubmädchen konnte mir in keinster Weise vorstellen, was das wohl für meine Oma bedeutet haben musste. Vielleicht kam daher dieser Ehrgeiz meines Vaters – er hatte es nicht leicht gehabt damals und wollte seinen Kindern etwas Besseres bieten.

Er hatte nie viel über diese Zeit gesprochen, aber es waren irgendwelche Dinge vorgefallen, die er nie erzählte, das wusste ich.

So wie heute, als er mit seinen Freunden am runden, schweren Eichenholztisch saß und sie über Dinge sprachen, die ich nicht verstand.

Ich bewunderte meinen Vater immer sehr, denn ich hatte miterlebt, wie er sich Stückchen für Stückchen diese Firma, die heute sein ganzer Stolz war, aufgebaut hatte. Zusammen mit seinem Freund Walter gründeten sie vor vielen Jahren „Spices“, eine sehr hochwertige Dessous-Firma für „die Dame von Welt“ – wie er es immer ausdrückte. Der Gedanke, der dahintersteckte, war einfach zu süß gewesen.

Mein Vater hatte immer mit ansehen müssen, wie seine Mutter auf alles verzichtet hatte, damit es den drei Jungs gut ging, sie genug zu essen hatten, eine gute Ausbildung bekamen und einigermaßen passabel eingekleidet herumliefen. Sie besaß auch irgendwann gute Kleidung, aber an der Unterwäsche sparte sie nach wie vor – auch noch, als der Krieg und all das Elend längst vergessen waren.

„Sieht doch keiner, ist doch nicht so wichtig, kann man einsparen, das Geld“, hatte sie damals immer zu meinem Vater gesagt.

Er aber wollte ihr etwas zurück geben, er wollte, dass sie von Kopf bis Fuß, von außen bis innen, schick und zugleich wohlig gekleidet war.

Und so entsprang die Idee des Dessous-Unternehmens seinem leicht angesäuselten Kopf, damals, an einem lauen Abend in Bayern, wo er mit Walter ein paar Tage wandern gegangen war.

Mein Vater war zu dieser Zeit ein erfolgreicher Verkäufer gewesen, sein Freund arbeitete bei einer Bank. Man war sich schnell einig und den Kredit gab der Freund sich quasi selber. Walter allerdings gab dann auch nicht viel mehr, er erschien spät und ging dafür früh und alle wussten, dass mein Vater den Löwenanteil der Arbeit verrichtete. Warum mein Vater nicht einfach die Sache alleine hochgezogen hatte, wo doch niemand Walter so richtig mochte und dieser meinen Vater auch nie wirklich nett behandelte, war uns allen schleierhaft gewesen.

Ich war noch klein, als alles begann, verfolgte aber über die Jahre hinweg das Wachstum der Firma und die Umzüge in immer größere Räume. Ich war begeistert über die steigende Zahl der Mitarbeiter und den wachsenden Erfolg von „Spices“.

Der letzte Umzug lag nun ungefähr ein Jahr zurück, da die alten Räume wieder einmal zu eng geworden waren. In dem neuen, sehr schicken Gebäude gab es eine große Empfangshalle, großzügige Fabrikhallen und eine richtige Empfangsdame. Alles war irgendwie riesig und das Büro meines Vaters ließ mich unendlich stolz auf ihn sein. Er hatte einen großen Mahagonischreibtisch und einen Konferenztisch ganz für sich alleine, und im Vergleich zu seinem neuen Büro war unser Wohnzimmer zu Hause ein kleiner Hühnerstall.

Irgendwie war das heute egal, denn irgendetwas beunruhigte mich sehr an diesem doch eigentlich so gewöhnlichen Tag. Wir fuhren nach Hause und auf der Fahrt ließ mich das beruhigende Ruckeln des fahrenden Autos meine Befürchtungen vergessen. Es war doch alles gut, alles war doch wie immer, dachte ich zumindest.

Als ich zu Hause aus dem Wagen stieg, sah ich es dann zum ersten Mal – wieso hatte ich das nur zuvor noch nicht bemerkt? Das Nummernschild, das neue Nummernschild, das merkwürdige Nummernschild. „A“ wie Augsburg stand dort – und nicht mehr „ST“ für Steinfurt, für Borghorst, für meine Heimat. Das „A“ für Augsburg stach mir wie ein Dorn ins Auge, als wir im Halbdunkel ins Haus gehen wollten und ich mich zu meinem Vater umdrehte. Ich blieb stehen und starrte auf das Auto, auf das „A“, auf meinen Vater.

„Was ist das denn für ein Kennzeichen, macht ihr eine Filiale in Augsburg auf?“, fragte ich ihn und meiner Stimme war die Verunsicherung deutlich anzuhören gewesen.

Kapitel 3 – Der Knall

Mein Vater nahm mich schweigend in den Arm und wir gingen ins Haus. Er rief auch meine Schwester Lilith dazu, die an diesem Wochenende zu Besuch war – wie eigentlich jedes Wochenende seit ihrem Auszug vor ein paar Monaten. Sie hatte in Bielefeld eine Ausbildung begonnen und fehlte mir schrecklich.

Angespannt setzten wir uns alle in die große, gelbe Küche, selbst der Hund kam dazu und legte seinen Kopf tröstend auf meine Knie. Meine Eltern hatten die Küche ganz in die Farben der siebziger Jahre getaucht, gelb, etwas orange und ein paar Blümchen hier und da an den Wänden – der letzte Schrei damals.

In diesem Hippie-Ambiente bekleideten sich an diesem Abend die Vermutungen und Spekulationen der letzten Wochen mit dem Umhang der traurigen Gewissheit. Ich hatte mitbekommen, dass es beruflich Probleme gab, meine Mutter war immer nervöser geworden in den letzten Wochen und man telefonierte erhitzt, brach das Gespräch jedoch immer sofort ab, sobald meine Schwester oder ich den Raum betraten.

„Wir wollten euch noch nichts sagen, da alles so lange so unklar war“, begann meine Mutter die Rede, die sie lange vorbereitet zu haben schien.

„Walter hat das Konto leergeräumt und ist mit dem ganzen Firmenvermögen abgehauen, wir wissen nicht, wo er sich zur Zeit aufhält“, verkündet sie mit ernster Miene.

„Wir haben die Polizei eingeschaltet und ihn gesucht, aber er ist nicht auffindbar, ebenso wie das Geld“, ergänzte mein Vater die Ausführungen.

Walter, der Freund und Mitinhaber von „Spices“, hatte also die ganzen Heimlichkeiten und besorgten Gesichter vorhin im Storchenclub zu verantworten. Aha.

Ich schaute zu meiner Schwester, aber ihr Gesicht spiegelte auch nur mein eigenes großes Erstaunen – sie hatte es also tatsächlich auch nicht gewusst.

„Wir haben lange nach einer Lösung gesucht und wollten Euch nicht beunruhigen, Lara, wo du doch bald Prüfungen hast und dafür lernen musst. Aber es gibt leider keine andere Möglichkeit, als die Firma aufzulösen und Konkurs anzumelden, das mussten wir nun endgültig feststellen“, monologisierte mein Vater ruhig weiter, so als spräche er über das letzte Golfturnier, welches er leider verloren hatte.

Ja, ich stand kurz vor den Abschlussprüfungen meiner langweiligen Ausbildung. In der Schule war ich noch nie eine große Leuchte gewesen, ich hatte mich bemüht und teilweise auch wirklich viel gelernt, aber ich brachte einfach keine guten Noten zustande. Ich träumte immer von der großen weiten Welt, von Jungs, die mich liebten oder dachte mir irgendwelche wildromantischen Liebesgeschichten aus, während meine Mitschüler brav dem Unterricht folgten. Ich konnte einfach nicht still sitzen und zuhören, so wie die anderen, die damit nie ein großes Problem zu haben schienen, das funktionierte bei mir irgendwie nie. Ich verstand nicht, wie die das schafften, Tag für Tag, und dann auch noch immer für so viele Stunden lang.

Also war ich froh, nach einer „Ehrenrunde“ überhaupt den Realschulabschluss gepackt zu haben und begann eine Ausbildung in der Verwaltung der Universität – zur Bürokauffrau. Die Ausbildung war sehr langweilig, in der Abteilung von Prof. Schlau klebte ich gerade seit drei Wochen bestimmte Zeitungsartikel in ein Buch, welches sowieso nie Jemanden interessieren würde.

Da ich aber diese schönen Wochenenden im Storchenclub oder auch zeitweise mit meinem Franzosen-Freund in Paris verbrachte, war das alles ja auch nicht so wichtig. Ich war eben nicht der Lern-Typ, so beruhigte ich mich, ich konnte ja später bei meinem Vater im Büro arbeiten, so wie meine Mutter es auch tat – es würde schon alles gut werden!

Ich beruhigte mich zwar immer wieder, jedoch tief in mir brodelte meine schlechte Meinung über mich. Wer war ich denn schon, ohne meinen Vater? Ich sah nett aus, war immer sehr gut gekleidet und ging im Storchenclub ein und aus. Und sonst? Ich verließ mit dem Realschulabschluss die Schule und begann die Ausbildung, die mein Vater mir besorgt hatte.

Die Lehrer hatten mich damals vor die Wahl gestellt: Entweder abgehen oder wiederholen – schon wieder. Sie meinten allerdings, das würde auch nicht viel bringen, da die letzte Wiederholung meine Noten auch nicht signifikant verändert hatten. Mein Vater ließ also seine Beziehungen spielen und ich bekam diesen Ausbildungsplatz an der Universität von Osnabrück.

Meine schlechte Meinung von mir war es wohl auch, die die erste offizielle Angst -und Zitterattacke aktivierte, die leider nicht die letzte bleiben sollte. Es würde noch sehr viel schlimmer werden, aber davon ahnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts. Damals jedenfalls saßen wir im Storchenclub, und Daniel, ein cooler Typ, stellte mir Fragen über meinen schulischen Status. Als bestünde die Antwort aus einer Goldader, ließ er einfach nicht locker. Ich wand mich und musste schließlich davon erzählen, dass ich die Realschule besuchte. Dabei verschwieg ich sogar noch, dass ich trotz der leichten Schule nur mittelmäßige Noten ablieferte und bereits einmal sitzen geblieben war.

Da geschah es dann -mir war das alles so peinlich-, dass ich starkes Herzrasen bekam und meine Hand extrem stark zitterte, als ich einen Beruhigungsschluck aus meinem Sektglas nehmen wollte. Erschrocken stellte ich das Glas zurück und verschwand auf der Toilette.

Das war´s, es war nur ein Moment gewesen, aber er spiegelte so ziemlich deutlich alles wieder, was in meinem Innersten so ablief – an diesem Abend und eigentlich auch sonst immer.

Ich wusste auch nicht, warum ich keine besseren Noten erreichen konnte. Es auf meine Eltern zu schieben, die quasi nur arbeiteten, war zu einfach, fand ich. Auch es darauf zu schieben, dass meine Schwester als Punk-Rebell das letzte Stückchen Zeit meiner Eltern für sich beanspruchte, wäre zu einfach gewesen. Aber was war es dann? Es musste etwas mit mir und einem niedrigen IQ zu tun haben, das war meine einzig plausible Erklärung für diese Misere.

Vielleicht war das auch der Grund, warum ich mich mit keinem Jungen wirklich einließ. Ich knutschte oft, viel und wild, achtete aber immer darauf, dass niemand mich näher kennenlernte – und Fragen stellte. Nur Jean-Charles, der Franzose, den ich im Urlaub mit meiner Freundin kennen gelernt hatte, den ließ ich etwas mehr in mein Leben. Der wohnte ja auch weit weg und sprach schlecht Deutsch – perfekt für mich, wie ich fand. Er wusste nichts von unserem Status und meinen Schulproblemen – und außerdem konnte er küssen wie Casanova, wenn nicht sogar besser.

Ach und dann diese Briefe, Wahnsinn! „Je t´adore“ bedeutet „Ich begehre dich“ und „tu m´ enchanté“, „du verzauberst mich“. Wie schön war das denn? Mama hatte mir immer geholfen, diese Briefe zu übersetzen. Das war natürlich etwas peinlich, aber die Schönheit seiner romantischen Briefe ließ mich dies nicht weiter beachten. Was hatte dieser hübsche Franzose mit den unfassbar glanzvollen, schwarzen Haaren mir den letzten Sommer versüßt – ja das war wirklich schön gewesen.

Irgendwie ging es dann auseinander. Die Entfernung war zu groß und alles war zu kompliziert (wegen der doch zu großen Sprachbarriere), aber immerhin, ich hatte immernoch wirklich schöne Erinnerungen an diesen einen „Freund“.