Koalamond - Sabine Korsukéwitz - E-Book

Koalamond E-Book

Sabine Korsukéwitz

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Beschreibung

Der Student Gabriel erfüllt sich mit einer kleinen Erbschaft seinen Traum: Mit seiner Harley Australien zu durchqueren. Bei einem Stop auf einer Farm im Outback, im Hinterland von Brisbane, verliebt er sich in die Farmerstochter Rhonda, die einen Weg sucht, die verschuldete Farm ihrer Eltern zu retten. Gabriel und Rhonda folgen der Legende von einem vergessenen Claim. Doch ihre Goldsuche bringt nicht nur sie selbst, sondern auch die Aborigines in Gefahr…

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Ähnliche


Imprint


Koalamond

Roman

Sabine Korsukéwitz

Printausgabe „Traumspuren“ Aufbau 1996

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de


eBook Konvertierung: Marte Kiessling, www.martemarte.de

Copyright: © 2014 Sabine Korsukéwitz


ISBN 978-3-8442-8408-9

1.

Als ich aufwachte, hörte ich das unendlich weite, grasig gefleckte Land und einen Himmel so hoch, dass er Geräusche zu verschlucken schien.

Ich hörte keinen Wind, kein Auto, keine Tiere, bis auf das metallische Anschlagen der schwarzweißen Vögel, von denen man mir gesagt hatte, dass sie “magpies” hießen. Sie sitzen gern auf den Zäunen der Viehweiden, etwas weniger als elsterngroß, und tun so, als hätten sie kaputte Uhrfedern im Hals statt Stimmbänder oder was immer Vögel da haben.

Welch ultimativer Luxus: Stille .

Nicht die Abwesenheit von Geräuschen im physikalischen Sinn, eher ein gleichmäßig strömender großer Fluss, eine Summe von Dämpfungen, nicht “wall of sound” sondern “wall of quiet”, kompakt, fast bedrückend.

Und dabei gibt es so verschiedene “walls of quiet” wie es Tapeten gibt (ich stelle mir Stille gern vor als eine Art Seelentapete):

- die relative Stille der Großstadt, aus der ich komme, sagen wir morgens zwischen 3 und 4 Uhr, ein fernes Brausen, gelegentlich eine einzelne klappende Autotür,

-Stille auf einem großen See, wo Geräusche über die spiegelnde ölige Fläche gleiten wie Vögel; segeln, schnell und weit,

-Stille in der Aschenebene unterhalb eines Vulkans; wie ein erstickender Sack über dem Kopf, stumpf, taub, in die Ohren dringend wie das schwefelgelbe und fleischfarbene Pulver, auf dem man sich lautlos und ameisenhaft voran quält.

Die Luft , die durch die weit geöffnete Verandatür übers Bett strich, war weich und roch nach Sonne auf Eukalyptusblättern. Ein Quietschen und Schnarren unterbrach meine Träumereien. Ich öffnete die Augen, um einem rainbow-lorakeet zuzuschauen, einem herrlich bunten kleinen Papagei, grün, blau und rot hauptsächlich, ganz versessen auf jede Art von süßen Früchten.

Er hockte auf der Veranda, sein Schnabel und die Federn drumherum mit dem Fleisch einer überreifen rockmelon bematscht. Bald kam ein zweiter, ein dritter hängte sich kopfunter in den nächsten Baum und krakeelte und schimpfte, wie es alle Feiglinge tun. Er wollte gern, aber traute sich nicht, und darüber ärgerte er sich. Jemand hatte eine Scheibe Melone mit einem Draht an die Brüstung geklemmt, um die Vögel zu locken.

Ich war in Australien. Schon drei Monate. Mein Name ist Gabriel Bernardi, “Gaby” für Freunde. Nein, das macht mir nichts: mit einssechsundneunzig und 85 gut trainierten Kilos kann mann ruhig “Gaby” heißen. Mann kann sogar Literatur studieren, Spezialgebiet: frühmittelalterliche Minnedichtung. Allenfalls, allenfalls mag ich noch Schwarze Romantik. Existenzialismus und alles Verwandte geht mir aufs Gemüt. Über die neue deutsche Literatur wollen wir am besten überhaupt nicht reden.

Was ich in Australien suchte? Ganz klar: Aventüre - Abenteuer. Und das auf einem zeitgemäßen Streitross: einer Harley Davidson, chromblitzend und majestätisch; mit schwarzem Ledersattel und ausladendem Dreitaler-Arsch, überhaupt ziemlich ausladend und respektgebietend in jeder Hinsicht, nicht so wie der kleine Heißbrenner, den ich zu Hause gefahren habe. Diese Maschine verwandelte mich gewissermaßen in einen Galahad der Neuzeit. Oder so.

Lange bevor ich den Führerschein hatte, habe ich schon auf ein Motorrad gespart, hatte dann auch schließlich eine Honda, bin gebraten wie ein Irrer, habe Geschwindigkeit gesoffen wie der Bayer ‘s Bier auf dem Oktoberfest.

Und dann war da diese Erbschaft. Als sie es mir gesagt haben, hatte ich plötzlich so ein schwebendes Gefühl im Kopf - so was gibt’s doch nur im Film, in den schwachsinnigsten 50er-Jahre-Schnulzen, die, wo’s die Autoren dem lieben Gott aber mal richtig zeigen: so wird Schicksal gemacht, siehste, ratsch-patsch eine Erbschaft von der reichen Tante aus Amerika, die genau dann stirbt, wenn das Geld am dringendsten gebraucht wird. Nett von ihr.

Vorher sieht man 2 Stunden lang irgendeinen Biedermann maßlos schuftend und leidend seine moralische Wertigkeit beweisen, bevor er eine ebenso biedere Schönheit dank Tantes Geld zum Altar führen darf, weil er ihr ja nun was bieten kann.

In dem Fall hat ein fauler Kerl ganz unverdientermaßen seine Harley gekriegt, und es reichte noch für circa ein Vierteljahr Australien, vielleicht ein halbes, wenn das verwöhnte Gör seinen Appetit auf Hummer, Champagner und weniger harmlose Genüsse beherrschen würde. Mal sehen.

Warum gerade Australien kann ich nicht sagen, aber es war eine fixe Idee; es musste sein. Für die Vereinigten Staaten bietet Harley-Davidson einen Rundreise-Deal an: man ordert die Maschine hier und holt sie in den Staaten in einer x-beliebigen Stadt ab, je nachdem, von wo aus man starten möchte, Versicherung für drei Wochen inklusive, und los geht‘s. Anschließend gibt man die Maschine wieder da ab, wo man sie geholt hat, und die kümmern sich um die Einschiffung nach Europa.

Mit Australien war das etwas komplizierter, weil ich ja auch mit dem Dreiwochen-Turn nicht zufrieden war, aber nach einigem Hin und Her per Fax vom Büro meines Vaters, nicht zu vergessen einem heftigen Aufpreis, war dann alles klar. Mein Baby stand bei einem Händler in Sydney für mich bereit.

Als ich nach 20 Stunden Flug mit Jetlag-wackligen Beinen wieder auf die Erde dippte, konnte ich es nicht abwarten. Statt mich erst mal auszuschlafen, nahm ich ein Taxi und fuhr direkt bei der australischen Harley-Vertretung vor, und da stand sie im Fenster in vollster klassischer Schönheit: herrlich geschwungene Formen, es gibt keine Maschine, die ihr da gleich kommt (annäherungsweise Moto Guzzi in der unteren Preisklasse), cremeweiß und schwarz lackiert war sie und mit weinroten Streifen zu den Chromteilen hin abgesetzt. Am liebsten hätte ich ihr einen Strauß Rosen überreicht.

Stattdessen kaufte ich ihr einige zusätzliche Ersatzteile und Werkzeuge zu dem, was serienmäßig mit dabei ist, Ersatzkette, Bowdenzüge, Ersatzgenerator für die Lichtmaschine Unterbrecherkontakte, Sicherungen und einigen Kleinkram, mit dem man sich unterwegs behelfen kann. Ich hatte mir im Flieger die Zeit damit vertrieben, eine Liste zusammenzustellen. Ein Reparaturhandbuch hatte ich von zu Hause mitgebracht und gründlich studiert.

Der Verkäufer strahlte mich an mit seinem schönsten Crocodile-Dundee-Gesicht, warnte mich vor Zusammenstößen mit Kängurus, Riesenschlangen und Termitenhügeln und überredete mich, mir ein Paar Handschuhe gegen Sonnenbrand zuzulegen, wofür ich ihm später sehr dankbar war.

In Sydney bin ich nicht lange geblieben - die Bars und die Kneipen, die Rock-Konzerte und die Galerien, das habe ich auch zu Hause, dafür hatte ich den weiten Weg nicht gemacht. Mein Baby wollte Asphalt unter die Räder und Luft in den Vergaser und den weiten blauen Himmel als Garagendach.

Wir haben uns viel Zeit gelassen. Auf einer Harley rast man nicht, man reist, man sieht jeden Stein am Wegesrand, man genießt das Draußen sein, mitten in der Natur, mitten drin, ein Teil von ihr; nicht bloß den rechteckigen Ausschnitt durch ein Wagenfenster. Ich hätte es nie für möglich gehalten, wie schnell mich dieses Harley-Gefühl erwischte, sie ist ja gar nicht auf Rasen eingestellt, schon wie man sitzt: nicht gehetzt und auf Stromlinie getrimmt mit der Nase nach unten. Eher wie in einem Kinosessel, in dem man sich zurücklehnt und den Film passieren lässt, und der Film ist rund um dich herum. Das ist nicht Fortbewegung - das ist Philosophie.

Die Maschine erregte Aufsehen. Wo immer und je weiter weg von den größeren Städten ich war, desto häufiger wurde ich auf einen Drink eingeladen und manchmal auch über Nacht. Wo es mir gefiel, da blieb ich ein paar Tage, und wenn ich kribbelig wurde, ging es weiter.

Von Sydney nach Adelaide, dann weg von der Küste, durchs Weinland Barossa-Valley, wo deutsche Siedler in den 1830ern südafrikanische Reben angepflanzt haben. Weinfelder, Palmen und am Straßenrand kleine, weiße Lilien. Es gab auch blau blühende Bäume und solche mit faustgroßen lachsfarbenen Blütentrauben.

Am Tag scheuchten wir Galahs aus dem Schatten der Blätterkronen, einen ganzen Schwarm grauer und rosa schwirrender Federn auf einmal, Graupapageien; und am Abend habe ich dann meine ersten wildlebenden Kängurus gesehen.

Ich stand am Straßenrand und rauchte und war schon etwas fassungslos über einen Sonnenuntergangshimmel, den ich mich zu fotografieren und zu Hause vorzuzeigen nicht getraut hätte (ich fotografiere aber sowieso nie unterwegs, weil es mich vom Sehen ablenkt und die Perspektive allzu schnell gewohnheitsgemäß auf dieses kleine Rechteck eingrenzt, das nachher das Foto sein wird), und dann hörte ich ein Geräusch, ein Geräusch wie einen gigantischen Fußball, der aufgetippt wird, bopp, bopp, bopp, bopp - aber ganz langsam, ein schwerer, satter Aufprall. Ich drehte mich um und sah drei brusthohe graubraune Kängurus weghüpfen, gar nicht leicht, wie ich es mir immer vorgestellt hatte, sondern ein bisschen plump und voller roher Kraft, weniger Akrobaten als hüpfende Sumo-Ringer.

Übernachtet habe ich da auf einem alten, ehemals deutschen Weingut bei Mr. Gottlieb, der gern die Gelegenheit nutzte, sein rollendes, knarrendes, altmodisches bisschen Deutsch anzubringen und mir einen Vortrag über Unwesen und Ende der Reblaus zu halten. Er war so fett und jovial wie Birne, aber doch ein typischer australischer Kumpel-Pionier; er würde nie auf die Idee gekommen sein, sich in einem Benz mit Fahrer durch die Gegend schaukeln zu lassen, und wenn er sich’s dreimal leisten konnte.

Und er konnte! Er war Herr über die besten Weinberge von OZ, schätzungsweise mehrfacher Millionär, und der hatte nichts Besseres vor als sich in Filzpantoffeln und Flanellhemd mit einem Kerl wie mir vor den Kamin zu hocken und zu schwatzen wie mit Kalle über’n Gartenzaun.

Danach fuhr ich geruhsam weiter Richtung Red Center; red gleich rot gleich red hot; glühend heiß und schön auf eine höllische Weise. Und nachts sind da am Ayers Rock immer Massen von diesen kleinen schwarzen Rennmäusen im Scheinwerferlicht über die Straße geflitzt, völlig absurd sahen die aus; wie Zeichentrickfiguren, wenn man sie so schnell laufen lässt, dass ihre Beine sich wie Räder drehen; zum Brüllen.

Bei stundenlangen Fahrten auf einsamen endlosen Straßen verfiel ich oft in einen Zustand, der Meditation gleich kommt: mir war gar nicht mehr bewusst, dass ich fuhr, ich glitt einfach nur noch über den Boden, wie ein großer Vogel, die starken Flügel weit ausgebreitet.

Auf dem Weg nach Darwin wurde aus der schönen breiten Straße streckenweise ein Pfad aus gestampftem Dreck mit dicken Kieseln, die nur so hochfliegen, wenn ein Road Train vorbeidonnert. Da ist es am Besten: runter von der Straße und warten bis er vorbei ist, bis die Staubfahne sich gesetzt hat und man wieder sehen kann.

Im Norden war allerdings noch Regenzeit; Schlamm, Dreck, Straßen unter Wasser, die Cutta-Cutta-Caves in den Fluten versunken, ich nun also wieder zur Küste, zur Ostküste, und immer vor dem Regen her: Townsville - Brisbane. Da wurde das Wetter langsam besser.

Brisbane hat mir von allen australischen Städten, die ich gesehen habe, am besten gefallen. Darwin fand ich tropisch-entspannt aber kleinstädtisch, trotz Busbahnhof mit einem herrlichen kleinen Platz davor, auf dem an einer langen Reihe von Marktbuden Gerichte aus allen Gegenden der Welt angeboten wurden: Eis und Obstsalate, Health food, bretonische Crepes, chinesischer fried rice, Saté - malaysische Fleischspießchen mit scharfer Erdnuss Sauce - englische Früchtekuchen, italienische Spaghetti, und es gab sogar Würstchen und Sauerkraut. Ein kulinarisches Babylon, an dem Rucksackreisende in allen Sprachen durcheinander schnattern, sich mit in braunen Packpapiertüten mitgebrachtem Barossawein besaufen, und in der warmen tropischen Nacht noch lange sitzen bleiben, nachdem die Buden zugemacht haben und man ihnen die Beleuchtung abgedreht hat.

Brisbane ist die perfekte Mischung zwischen tropischem laisser faire und europäischer Geschäftigkeit. Es ist für eine Kleinstadt viel zu groß, für eine Großstadt zu überschaubar. Das gesellschaftliche Leben spielt sich ab zwischen Malls und Clubs, man entdeckt versteckte Perlen in Straßen, wo man so was nie vermuten würde: Kunstbuchantiquariate, kleine Galerien und staubige Läden voller Ethnokitsch aus Indien neben hellen Auslagen mit australischem Aboriginal-Kunsthandwerk auf der glitzernden Mall abgewandten Seite , gegenüber einer Hertz-Agentur. Was die Architektur betrifft: jeder auf Konsequenz und innere Überzeugung pochende europäische Baumeister wäre empört angesichts dieser unbekümmert aneinandergeklebten Variationen aus viktorianischer Zuckerbäckerei, Wildem Westen, Glas und Chrom. Und aus allem und über allem röhrten und röchelten altersschwache Klimaanlagen und mischten Büromief mit der Brise vom Meer.

Ein kleines Stück nur den schlammigen Brisbane River aufwärts beginnt der Dschungel, und man sieht die fruitbats, früchtestehlende Flughunde, schläfrig in den Baumkronen hängen.

Ich hatte langsam meine innere Unruhe überwunden und wollte australischen Alltag kennenlernen. Im Vorbeifahren geht das nicht. Also ging ich ins staatliche Fremdenverkehrsbüro und ließ mich auf einer Farm einquartieren: “Cedar Glen”, da wo es Stille en gros gibt, und morgens Regenbogen Loris statt Wecker und Straßenlärm.

Alles schön und gut. Zu essen gibt es hoffentlich auch bald was, fiel mir ein.

Ich sprang aus dem Bett und machte mich Farm-fein, oder was ich dafür hielt: kurze Hosen sowieso, aber dann: kariertes Flanellhemd, Stiefel, Akubra-Hut, nagelneu; hatte ich in Brisbane in der Mall erstanden. Akubras - das sind diese braunen Filzhüte, ohne die man in Australien keinen anständigen drover, keinen Viehtreiber, keinen Ranger, keinen Farmer sieht; nur dass die ihre Hüte offensichtlich gebraucht kaufen oder besser noch: erben.

Ich habe nie einen neuen oder auch nur halbwegs ansehnlichen Hut gesehen, außer auf einem Touristen. Wie mir.

Ich stapfte ein bisschen um das Haus im Garten herum. Es lag auf einer kleinen Anhöhe und bot eine Traumaussicht auf eine weiter entfernte Bergkette, die im blauen Dunst lag . Ich staunte über die zierlichen weißlackierten Gartenmöbel in der sonst doch recht rustikalen Umgebung, dachte mir ganz richtig, dass hier die Hausfrau einen vergeblichen Versuch der Kultivierung städtischen Geschmacks unternommen haben mochte, und begann mich langsam aber sicher sehr allein zu fühlen.

Mein Magen knurrte und ich fand die Küche - immer dem Geruch nach, obwohl dieser Geruch nicht unbedingt appetitlich war. Auch da kein Mensch, aber jede Menge Flora und Fauna. Ich bin keineswegs ordentlich, zum Hausmann völlig ungeeignet, aber so was wie das hier schockierte selbst mich: drei von diesen Herd-Ersatz-Pfannen mit Elektrokabel waren um die Spüle herum arrangiert oder vielleicht derangiert. Die Spüle randvoll mit dreckigem Geschirr und Speiseresten, in den Pfannen dicke Fettschichten, sie rochen ranzig.

Auf einem rundum laufenden Bord stapelten sich Nahrungsmittel in verschiedenen Stadien der Verderbnis: Obst und Gemüse, teilweise angefault und schimmelig, dazwischen Käfer und Fliegen. Auf einem runden Tisch in der Mitte des Raums war in aller Eile gefrühstückt worden; aber nicht nur heute, sondern seit etwa 100 Jahren, ohne dass man je zwischendurch gewischt hätte. Da lagen und standen angerissene Toasttüten, Kekse, ein offenes Butterpaket, verschmierte Messer, Gläser mit Marmelade und Erdnussbutter (offen), Zuckerstücke (lose), Mehl (im Glas); eine Dose klumpiger Instantkaffee war auch da.

Mein Magen machte eine heftige Fahrstuhlbewegung in Richtung Zäpfchen.

Ich stürzte zum Fenster und ließ frische Gartenluft herein, blieb einen Moment lang hyperventilierend am Fenster stehen und drehte mich dann entschlossen wieder um. Sei ein Mann! Schließlich hast du Vollpension bezahlt.

Ich fand eine Blechkanne und einen Tauchsieder, machte mir Kaffee, ließ einige Scheiben vom Toaster schwarz desinfizieren, entschied mich für die relativ vertrauenerweckend wirkende Erdnussbutter und bedauerte, in Brisbane keine Vitamintabletten gekauft zu haben.

“Frühstückst du immer mit Hut?” fragte eine Stimme hinter mir. Ich Riss mir den Akubra vom Kopf - was, äh, nein, äh - und drehte mich um. Ich schwör’s: es traf mich wie ein Hammer; ein Blick und ich war hinüber: die dreckige Küche, das Geräusch des bubbelnden Tauchsieders, der faulig-süßliche Gestank von verdorbenem Obst, ”Cedar Glen” und die ganze Welt drumherum wurden von der großen Blue box im Himmel ausgeblendet. Nichts existierte außer der Frau, die da vor mir stand.

Wenn ich sage, sie war wunderschön oder sexy, umwerfend, traumhaft, atemberaubend, sagenhaft - was heißt das schon. Es sind nicht die Maße, der Abstand zwischen den Augen oder deren Neigungswinkel im Verhältnis zu den Backenknochen, die Länge der Beine (obwohl die durchaus beträchtlich war), nicht der feste runde Hintern oder steile Titten, was einen so trifft.

Wenn ich sage: einsfünfundsiebzig, honigblonde lange Haare, schlank, drahtig, dann klingt das wie die Beschreibung eines gesuchten Verbrechers im Polizeibericht.

Asiaten glauben an persönliche Ausstrahlung, eine Aura - manche haben eine stärkere, manche eine schwache, und nicht alle Kombinationen zünden oder passen zusammen.

Aber das hier, das hatte mich gezündet wie ein verirrter Funken einen ganzen Karton Raketen am chinesischen Neujahrstag. In mir feuerwerkte es ganz fürchterlich - sie sprach von Rührei und Speck.

Ihre Augen waren türkisblau, hell und strahlend wie Aquamarin, mit einem dunkel-grauen Rand, ihre Augenlider leicht hängend; und darunter sandten diese unglaublichen Augen wahre Laserstrahlen aus. Ihr Gesicht würden viele wahrscheinlich als ein wenig kantig bezeichnen; ich sage: eigensinnig. Der Mund war nicht allzu voll, aber die Mundwinkel gingen in einem wundervoll optimistischen Schmetterlingsschwung nach oben.

Das alles klingt sicher ekelhaft kitschig, aber ich war nun mal verliebt und ich sah sie so und nicht anders.

Letzte Nacht war ich ziemlich spät angekommen, von der Familie war nichts mehr zu sehen, alles dunkel, alles dicht, bis auf eine Funzel auf der Veranda, wo Mutter Janet Stephens im Schaukelstuhl saß und mich erwartete, in Empfang nahm und mit einem Teller Sandwiches und einem Korb Obst versorgt in meinem Gästezimmer ablieferte.

Allmählich lichtete sich der zeitweise Nebel in meinem Kopf - zeitweise wolkig - ich muss mich vorgestellt haben; sie sagte: “Ich bin Rhonda, hi “, und dass sie die ältere von zwei Töchtern im Haus sei, die kleinere sei acht, hieße Cindy und sei jetzt in der Schule, ich würde sie am Mittag kennenlernen; und dass sie verbrannten Toast mit Erdnussbutter für ein sehr unzureichendes Frühstück hielt, sie hätte auch Hunger und würde uns jetzt was Richtiges machen.

Okay, Baby; alles was du willst.

Sie setzte eine von den Pfannen mit dem ranzigen Fett in Gang, fügte noch ein oder zwei Esslöffel Butter hinzu - es war mir egal, sie war Chef im Ritz was mich anging - brutzelte Eier und grünlichen Speck, begoss alles mit reichlich Ketchup und riss eine neue Plastiktüte mit lappenartigen Toastscheiben. Serviert wurde auf dem riesigen, klebrigen Teakholztisch in der guten Stube, einem düsteren Raum voller Nippes, mit einem Ölschinken an der Wand, auf dem vor einer Hund-von-Baskerville-Kulisse eine gespensterhaft weiße und durchscheinende Gestalt sich auf einem Pferd mit mindestens drei falschherum angeschraubten Beinen dahinschleppte, Unterschrift: drover’s deathdream (“Viehtreibers Todestraum”).

Ich hatte wenigstens meine Fassung soweit wiedergefunden, dass ich in der Lage war, Konversation zu machen. Sie redete von den Pferden, die sie zu züchten hoffte, ich über die Harley. Das Gespenst des toten Treibers an der Wand zwinkerte mir zu.

Ihre kräftigen Finger mit den schmutzigen, abgebrochenen Fingernägeln spielten an den Fransen der Tischdecke herum und ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn sie woanders herumspielen würden. Chauvi!

Plötzlich sprang sie auf, fuchtelte wild mit den Armen, schrie: ”Raus, raus, raus!”; was denn - konnte sie Gedanken lesen? Aber sie rannte um den Tisch herum an mir vorbei in die Küche. Mittendrin standen zwei pummelige schwarzbraune Schafe und bedienten sich von dem, was da reichlich herumlag. Rhonda schwenkte ein Handtuch, brüllte und trat die Biester abwechselnd in die breiten Hinterteile, während die Schafe empört blökend und ohne Eile den Rückzug antraten. Unwillig trabten sie durchs Wohnzimmer und klippedi-klapp die Holzstufen der Veranda zum Garten hinunter.

“Du warst im Garten und hast die Tür nicht zugemacht”, beschuldigte mich Rhonda, “das nutzen sie natürlich gleich aus. Na ja, das sind unsere beiden Ausstellungsschafe. Sie kommen gerade von der Landwirtschaftsausstellung in Brisbane. Da werden sie von den Kindern den ganzen Tag gestreichelt und gefüttert, und dann glauben sie immer, dass sie jetzt was Besseres sind als die anderen Schafe. Die Weide ist nicht mehr gut genug für sie. Du müsstest sie mal sehen da draußen, sie benehmen sich wie zwei versnobte alte Damen in einer Herde von Proleten.” Sie lachte und zog mich an der Hand nach draußen.

“Komm, ich zeig dir unser Haus.”

Es war über 150 Jahre alt, erklärte sie stolz, im traditionellen Queensland-Stil erbaut, also ganz aus Holz (Zedernholz - damit hatten sie den Zedern in Cedar Glen den Garaus gemacht; heute gab es keine einzige mehr; auf dem Klo hingen alte Schwarzweiß-Fotos, auf denen die ganze Gegend noch dicht bewaldet war), mit rundumlaufenden, breiten Veranden und zwei T-förmig aufeinandertreffenden offenen Gängen mitten hindurch, die das Haus praktisch in drei Teile teilten. Die Räume waren hoch. Unter den weißgestrichenen Decken und durch die offenen Flure wehte ein kühlender Luftzug.

“Wir brauchen keine Klimaanlage. Das Haus ist so angelegt, dass es drinnen auch im Sommer schön kühl ist”, erklärte Rhonda.

Die Planken, dort wo wir gerade standen, waren ausgetreten, von Sonne und Alter gebleicht und von Stiefeln abgeschliffen; ein paar Korbstühle standen herum und ein kleiner Teetisch, darauf eine Schale mit bunt geäderten Steinen und Fossilien. Ich entdeckte das massive Blatt einer Steinaxt und nahm es in die Hand. Es war glatt und perfekt ausgewogen .

“Aboriginal”, sagte Rhonda, “hat mein Urgroßvater geschenkt bekommen oder eingetauscht, das weiß ich nicht.”

“Ist das nicht sehr alt, Steinzeit oder so?”, fragte ich.

“Nein, vielleicht zwei-dreihundert Jahre alt. Sie haben gelebt wie in der Steinzeit, als wir kamen. Es gab viele Aboriginals hier in der Gegend. Jetzt nicht mehr.”

Sie nahm die Axt aus meiner Hand und ließ sie achtlos zurück in die Schale fallen. “Okay, Gaby, du hast Ferien; ich muss an die Arbeit. Ich seh’ dich heute Abend.”

Sie stapfte von der Veranda zur Auffahrt, schwang sich in einen zerbeulten alten Kleinlaster und ließ ihn an, lehnte sich noch einmal aus dem Wagenfenster und überbrüllte den Motor:

”Wenn du willst, machen wir heute Abend coala spotting .”

Den Rest des Tages bin ich durch die Umgebung gekurvt, hab mal hier und da angehalten, bin abgestiegen und habe mich in den Schatten an irgendeinem ausgetrockneten Creek, einem kleinen Bach, gesetzt; wollte lesen - ich hatte mir in Sydney ein paar Taschenbücher australischer Autoren gekauft; Peter Carey, Mrs. Aeneas Gunns Klassiker “We of the Never Never”, einige Inspektor-Boney-Krimis - konnte mich aber nicht konzentrieren. Meine Augen folgten den Wellenbewegungen der grünen Hügel und den Wolken, und in Gedanken entwarf ich die raffiniertesten Strategien, ein gewisses Mädchen mit Laseraugen und honigfarbenen Haaren flachzulegen.

Später fuhr ich nach Birds Nest, eine Auto-Viertelstunde von der Farm entfernt.

Queensland ist für australische Verhältnisse fast überbevölkert - der nächste Nachbar wohnt immerhin nur 16 km entfernt. In Birds Nest gab es eine Schule, ein modernes Schwimmbad, Tankstelle, Post Office (in dem eine alte Dame saß, die alle Postkarten sorgfältig durchlas, bevor sie sie in die Fächer der jeweiligen Adressaten sortierte), es gab eine Teestube für die ladies, eine sehr zivilisierte Angelegenheit mit den farbenfrohen Aquarellen lokaler Künstler an den Wänden, und eine Kneipe für die Jungs (von der ich noch erzählen werde), einen Trödelladen und einen sehr kleinen Supermarkt.

Eine weitere Autostunde entfernt Richtung Küste liegt so was wie eine Kreisstadt. Dort hält sogar der Greyhound Bus, und damit ist es eine Stadt von Bedeutung.

Nach ein paar Wochen im Out back kommt einem Queensland vor wie die Schweiz, mit dem saftigen Grün und den Kühen auf den Wiesen. Was es von der Schweiz unterscheidet, sind die duftenden Eukalyptuswälder, die Wärme und die Tatsache, dass Ananas, Bananen, rockmelons und Kiwis am Straßenrand verkauft werden zu Preisen, die in mir eine fast triumphale Gier erweckten.

Ich kaufte mir eine Ananas, verzehrte sie unter einem riesigen alten ghostgum, dem Eukalyptus mit dem weißen Stamm. In seiner Krone kakelten ein paar schläfrige Wellensittiche, ich leckte mir den klebrigen Ananassaft von den Fingern und war so glücklich, dass es mich erwischt hätte, wäre ich Doktor Faust gewesen.

Am Abend lernte ich den Rest der Familie Stephens kennen. Mutter Janet stand in der Küche als ich kam, pfiff und sang und war ziemlich gesprächig; eine charmante Schlampe, klein und auseinandergegangen, trocken-kräuselige Hausfrauendauerwelle, der verblühte Mund schrill bemalt, das Frotteekleid über dem Busen bekleckert.

Sie war die Seele der Familie, soviel wurde mir nach den ersten zehn Minuten klar.

Stolz erzählte sie, wie sie einmal zur “Miss Frühling“ gewählt worden war, und dann war sie mit Greg tanzen, und dann und dann...

Sie glühte dabei vor wiedererlebter Liebe und Begeisterung, wie es alle Leute tun, die von der Gegenwart nichts mehr erwarten als vielleicht ein gutes Essen oder einen Urlaub am Meer. Aber sie machte keinen unzufriedenen Eindruck. Sie war nicht der Typ der jammert, und sie hatte keine Zeit zum Jammern.

Dann kam Greg. Großer Auftritt. Er schimpfte und fluchte schon, als er die Treppe hochgepoltert kam. In der Küche riss er sich seinen speckigen Hut - gut durchtränkt mit Sonne, Schweiß und Känguruschmalz oder was sie sonst verwenden, damit diese Dinger aussehen wie sie aussehen - fetzte sich den Hut vom Kopf - er hatte sogar vorn am Kniff, wo er immer angefasst wird zum Zurechtrücken oder Abnehmen, ein Loch, wo der Filz mürbe geworden war - rupfte ihn sich mit Leidenschaft vom Schädel und schmiss ihn auf den Fußboden.

“Egal was du sagst, Janet: Jetzt fliegen sie raus! Und vorher dreh’ ich dem verdammten Hippie den Hals um. Ich hatte meine Schrotflinte dabei, aber sie hatten Glück. Ausgeflogen!”

“Ah - Greg!” murmelte Janet. Sie hob den Hut auf und legte ihn irgendwo ab.

Jetzt nahm er mich wahr.

“Sorry, hatte ein bisschen Ärger unten bei der Molkerei. Du bist ... ?”

“Gabriel”, sagte ich und hielt ihm die Hand entgegen. Er schüttelte sie, gab ein kurzes meckerndes Gelächter von sich:

”Wie der Racheengel mit dem Schwert. Könnte einen von der Sorte gebrauchen hier unten; bleedin ‘suckers !”

Die “suckers”, das war ein junges Pärchen aus der Stadt - d i e Stadt, Brisbane. Ein Stück weit hügelabwärts hatten sich die Stephens‘ eine kleine Molkerei gebaut, ein Flachbau mit ein paar automatischen Melkmaschinen und einem Kühlbehälter, wo sie aufbewahrt wurde, bis die Kooperative sie einsammeln kam. Nahe dieser Molkerei stand das erste kleine Haus seiner Großeltern, wie er sagte, nicht komfortabel, aber eben ein typisches Pionierhaus, und das hatten sie an ein Hippiepärchen aus der City vermietet.

“Am Anfang waren sie ganz nett”, sagte Janet, ”und sie haben ihre Miete pünktlich bezahlt.”

Gregory brummte.

“Na komm schon Greg, du weißt, wir brauchen jeden Dollar.” Zu mir:” Aber jetzt haben sie schon über drei Monate nichts mehr gezahlt.”

“Du lässt dich jedes Mal erweichen von seinem Hundeblick, Janet, und sie lacht über dich, das weißt du genau!”

“Er hat gesagt, sie sind in Schwierigkeiten. Und sie zahlen, sobald er einen Job hat.”

“Arbeiten - der! Wenn’s in der Hölle friert!” schnaubte Greg. ”Und Schwierigkeiten kriegt er jetzt allerdings! Weißt du überhaupt, was sie gemacht haben, die dreckigen Schweine? Sie haben Schulkindern in Birds Nest Rauschgift angeboten! Sie haben unserer Cindy Rauschgift angeboten, Janet!”

Cindy nickte bestätigend und wichtig vom Fernseher her.

“Ja! Sie haben an der Haltestelle vom Schulbus rumgehangen, und sie haben gesagt, sie wollen uns was schenken. Joints und Pillen .”

“Ach Cindy! Du weißt doch gar nicht wie so was aussieht.”

“Ich weiß sehr wohl wie J o i n t s aussehen R h o n d a”, sagte Cindy laut und warf einen vielsagenden Blick auf ihre große Schwester, die in der Tür stand; die Haare verschwitzt und verfilzt, Pferdemist an den Stiefeln. Die Laseraugen blitzten kurz auf und Cindy verstummte.

“Pa! Hör auf mit der Flinte rumzufuchteln! Überlass das der Polizei. Dafür sind die da!”

“Und denk dran”, erinnerte ihn seine Frau, “wie du ausgesehen hast, als du dich das letzte mal geprügelt hast, Greg!”

Der Alte grinste zufrieden: “Yeah! Aber ich habe gewonnen!”

2.

Am nächsten Morgen hatte ich lange vom Bett aus in den Himmel gestarrt, durch den schmalen Ausschnitt der hohen, offenen Tür zur Veranda, auf dem ersten Drittel horizontal zur unteren Begrenzung des Bildausschnitts - muss man sich vorstellen - die Verandabrüstung und vertikal die Gitterstäbe, abgegriffenes silbriges Holz, durch das hindurch rankende Pflanzen ihre Finger ins Haus schoben - im Zimmer herrschte kühles Halbdunkel, draußen begann schon die Sonne die Luft aufzuheizen und zum Flimmern zu bringen. Da hörte ich Janet und Greg von ihrer morgendlichen Arbeit in der Molkerei zurückkommen.

Aus irgendeinem Grund hatten sie beide Wagen genommen. Erst röhrte Janets klappriger Toyota die Einfahrt hoch - außen sah dieses Auto aus wie die Sorte, die verarmte amerikanische Privatdetektive fahren: verrostet, zerbeult, hängende Türen; der Lack bis auf eine dünne, raue, matte Schicht von Wetter und schlechter Behandlung abgetragen; innen war es in ähnlichem Zustand wie die Küche - dann hörte ich den etwas tieferen und gesünderen Ton des Kleinlasters, von dessen Ladefläche ein Hund herunter kläffte.

Während Greg und Janet ins Haus gingen und in der Küche rumorten, schwang ich mich, in der Hoffnung auf ein Frühstück, in aller Eile in meine Kleidung.

Als ich in das düstere Speisezimmer kam, war mein Platz schon gedeckt. Ich setzte mich gegenüber von Greg, der nach einem gebrummten “g’day son” schweigend sein Porridge löffelte, eine graue, schleimige Pampe mit Rosinen und einem Haufen Zucker drauf. Porridge lehnte ich dankend ab und stieg erst beim zweiten Gang ein: Spiegeleier mit Speck. Dazu gab es die üblichen lappigen Toastscheiben, allerdings mit einigen dunkleren Körnchen durchsetzt; Vollkorntoast, wie mir Janet erklärte, die mitbekommen hatte, dass ich mich nach Vollwertnahrung sehnte. Das sei doch sicher das richtige. Ja, sicher, danke, natürlich - (kotz!).

Wo die girls seien? Wo die kleine Cindy war, konnte mir herzlich egal sein, aber Rhonda hatte ich weder gestern Abend noch heute morgen gesehen. Cindy sei in der Schule und Rhonda schon vor Stunden abgeholt worden. (Abgeholt? Von wem?)

Wir Männer schwiegen und widmeten uns der Nahrungsaufnahme, während Janet in der Küche greensleeves trällerte und anschließend ein Elton-John-Medley.

Schließlich schob Greg seinen Teller mit einem zufriedenen Seufzer von sich.

“Findest du, dass ich viel esse?” fragte er mich grinsend. Gregory Stephens war ein kleiner Mann, sie waren beide viel kleiner als Rhonda; sie klein und rund, er so etwa Eins siebzig, aber zäh und drahtig. Er konnte nicht älter als Mitte oder Ende Vierzig gewesen sein, sein Alter war schwer zu schätzen. Die Arbeit auf dem Land, körperliche Arbeit und das ständige Draußensein, ich nehme auch an, der tägliche Kampf um essentielle Dinge, die gesamte Lebensorganisation, zehrt nicht nur an den Muskeln, sie verändert auch die Gesichter.

Schon immer fand ich die Gesichter von Menschen auf dem Land ausgeprägter, interessanter als Gesichter in der Stadt, von Ausnahmen abgesehen.

Gregs Gesicht war ledrig, ein bisschen eingefallen. Gemessen an dem Hochzeitsfoto, das auf der Anrichte stand, waren nur seine Ohren gewachsen und hatten sich nach vorn aufgestellt, wie von ständigem, konzentriertem Lauschen, während der Rest seines Gesichtsfleisches verdampft zu sein schien, die Haut zusammengezogen und irgendwie an der spitzen Nase fixiert.

Von der Linie an aufwärts, wo er draußen den ganzen Tag seinen Hut in die Stirn gedrückt trug, war die Kopfhaut weiß, darunter sonnenverbrannt.

Ein gutaussehender Mann war er niemals gewesen, aber jetzt musste ich an einen Gnom aus einem meiner alten Märchenbücher denken. Trotzdem war es ein gutes Gesicht; ein Gesicht, dem man instinktiv vertraute.

“Ich Muss nach Birds Nest”, sagte er, ”you comin’? Kommst Du mit? Ich Muss mit dem Sergeant reden. Auf dem Rückweg kann ich dir vielleicht ein paar Tiere zeigen.”

“Gern, danke.”

Außer meinen ersten drei Kängurus im Barossa Valley hatte ich hauptsächlich überfahrene Tiere am Rand der Highways gesehen und ein paar Raubvögel, die sich von dort ihre Mahlzeiten aufklaubten.

Greg ging sich von Miss Frühling verabschieden. Und da wurde mir bewusst, dass Liebe keine Sache von Jungsein oder gutem Aussehen ist, so wie es einem im Fernsehen immer suggeriert wird. Ich meine, ich hatte gesehen wie meine Eltern sich küssten, aber die sind außer Konkurrenz. Nein, die Art, wie Gregory Stephens seine dicke, kleine Frau mit der teigigen Haut und dem spärlichen, dauergewellten, rötlichen Haar in den Arm nahm, das bewirkte, dass ich mich wegdrehte. Das war nicht die gut eingespielte Zweckgemeinschaft, ein staatlich sanktioniertes Häuslebau- und Rentenbeschaffungsunternehmen, das war weder Gewohnheit noch Romantik; das war etwas, von dem ich nicht sicher sein konnte, dass ich es je erreichen würde oder wollte oder konnte.

“Lets go!”

Wir gingen durch die Fliegengittertür und durch den offenen langen Gang nach draußen. Mein Motorrad stand unter dem Vordach, und Greg strich bewundernd mit den Händen über den schwarzen Sattel.

“Tolle Maschine,” sagte er, ”hab’ noch nie in meinem Leben eine echte Harley gesehen, nur im Film! - Muss ein Vermögen gekostet haben...”

“Ja”, sagte ich, und es war mir ein wenig unangenehm, so viel Geld gehabt zu haben: ”Ich habe unerwartet was geerbt und beschlossen, es nicht auf die Kante zu legen, sondern mir diesen Wunsch zu erfüllen ...”

Aber er grinste ohne eine Spur von Neid:

”Der Teufel soll morgen holen? Na ja - solange du keine Kinder hast...”

Er machte nicht den Eindruck, als würde er mit mir tauschen wollen, selbst wenn er die Wahl gehabt hätte. Wäre ihm eine gute Fee erschienen und hätte ihm diese drei Wünsche freigestellt - so, wie ich ihn jetzt kenne, ich weiß, er hätte gesagt: ”Einen erstklassigen Droughtmaster-Zuchtbullen, einen neuen Pickup, und hex‘ mal schnell das Finanzamt auf den Mond!”

Wir stiegen in den alten klapprigen Kleinlaster; ich verbrannte mir fast den Hintern auf den von der Sonne durchgeglühten Polstern. Greg zuckte nicht einmal, als er sich niederließ; sein Hintern war vermutlich bis zur totalen Empfindungslosigkeit hartgeritten.

Auf der kurzen Fahrt nach Birds Nest wurde nicht geredet, dafür war der Motor zu laut. Nur einmal erschreckte mich der Alte, als er urplötzlich einen mörderisch schrillen, langgezogenen Schrei ausstieß, abgehackt, ein irres Gelächter. Ich dachte einen Moment: Jetzt dreht er durch. Dann zeigte er aus dem Fenster. ”Hörst du? Kookaburra!”

Jetzt hörte ich ihn auch, den Kookaburra, einen Vogel; die australische Entsprechung zu unserem Kuckuck - die sogenannte Spottdrossel. Wenn man ihn das erste Mal hört, glaubt man, da sitzt einer im Baum und macht sich ‘n Spaß. Das Geräusch ähnelt mehr einem Affen-Kriegsgeheul oder menschlichem Gelächter als einem Vogelschrei.

Greg freute sich über den Schrecken, den er mir eingejagt hatte. Kichernd brachte er den Laster am Straßenrand zum Halten.

“Da drüben sitzt er, siehst du? Auf dem einzelnen Baum dort, zweiter Ast von unten!”

Ein unscheinbarer Bursche; weißer Bauch, gräulich-bräunlicher Rücken mit schwarz, nicht viel größer als ein Specht, aber mit einer weit schallenden Stimme. Sie nennen ihn auch Froschmaul, und das stimmt: der breite, unverhältnismäßig große Schnabel sieht beinahe unecht aus, eine Faschingsmaske. Das gibt dem Vogelgesicht etwas Froschartiges.

Birds Nest, wie gesagt, ist ein winziges Kaff, die wenigen Häuser und Lagerhäuser um einen parkartigen Platz angeordnet; eine Reißbrettstadt, wie viele in Australien. In der Mitte stand ein uralter, riesiger Baum, ein Zwischending zwischen einer Korkeiche und einem gestrandeten Wal, das Maul weit aufgerissen und mit Hilfe einer Eisenstange offen gehalten.

“Da hat Jimmy Bird drin gewohnt, als er zuerst hier ankam”, erzählte Greg.

“1838 bis 44. Sechs Jahre hat er in dem Baum gelebt. Drei davon sogar mit Frau und Kind. Zum Hausbau hatten sie einfach keine Zeit. Erst musste Essen rangeschafft werden, gerodet, der Boden bestellt werden, und danach erst kam das Haus. Viele Pioniere haben das so gemacht. Jimmy Bird war hier der Erste - darum Birds Nest.”

“He, Ben! Wo ist der Sergeant?” brüllte er über die Straße einem Mann zu.

“Wo er immer ist um die Zeit!” war die Antwort.

Greg parkte den Wagen im Schatten einer Casuarina. Wir stiegen aus, und ich setzte meinen lächerlich makellos aussehenden Akubra auf. Mein Begleiter grinste spöttisch, sagt aber nichts.

Er zog mich in die einzige Kneipe am Ort, wo Frauen zwar seit ein paar Jahren zugelassen sind, aber außer Touristinnen trifft man hier v o r der Theke so gut wie nie welche.

Buschkneipen sind dunkel, aber nicht verräuchert, weil sie nach dem alten System gebaut werden, das eine ständige Durchlüftung ermöglicht. Sie riechen sogar meist recht angenehm .

Meist sind sie voller mehr oder weniger patriotischer Andenken.

Es gibt ein paar Standards, wie die flachen braunen Haufen, die an die Wand genagelt sind mit einem Zettel darunter - “genuine Northern Territory bullshit”, Staatsnamen austauschbar; entlang der großen Verbindungsadern hängen auch zerdonnerte Autofelgen an den Kneipenwänden, dazu die mit dem Platten gefahrene Kilometerzahl und die Kommentare der ehemaligen Besitzer, wenn sie endlich gemerkt hatten, was los war:

“Ich hatte das Radio so laut ”, oder: “Ich dachte, die Straße sei ziemlich holprig”.

Und dann sammeln die meisten Barbesitzer auch noch irgendwas Spezielles, das gelangweilte Reisende sich anschauen können, das Gespräche in Gang bringt und Geschmack und Interessen des Besitzers zur Schau stellt: Flugzeugpropeller, Motoren, verrostete Maschinenteile; die eisernen Skelette des Fortschritts, der das Innere des australischen Kontinents niemals hat erobern können; einer hatte vorm Eingang Hunderte von alten Medizin-, Schnaps- und Sodaflaschen aufgehängt, dicke, schlanke, runde und rechteckige, alle mit der Seifenblasenpatina der vielen Jahre, die sie irgendwo im Sand gelegen hatten. Der Barkeeper erzählte mir, dass er sie alle aus einem trockenen Bachbett ausgegraben hatte; in der Nähe musste einmal eine Glasfabrik gewesen sein. Vielleicht hatte man hier aber auch nur den Wagen eines Quacksalbers angehalten, den Mann aufgehängt für irgendeine vermeintliche oder tatsächliche Schandtat, und die Ladung von seinem Wagen in den Fluss gekippt, all die Mittel gegen Husten, für Haarwuchs und leichte Geburten.

Dieser Pub hier war mit Geldscheinen tapeziert, mit Geldscheinen aus England, Frankreich, Schweden, Holland, vielen aus Japan, amerikanischen Dollars und Deutschen Mark (Ost und West, wobei das Ostgeld als interessanter empfunden wurde)),außerdem hübsch buntes Papiergeld von den Philippinen, aus dem Königreich Tonga und von einigen Orten, von denen ich noch nie was gehört hatte.

“Hallo Jungs! Das ist Gabriel. Er kommt aus Deutschland und studiert Literatur!” rief Greg beim Eintreten.

“No problem - macht nichts”, war die prompte Antwort.

“Ah! Das da, son, ist unser Polizeichef. Wie ich sehe, hat er schon ein paar Drinks verhaftet. Mike Stark - das ist Gabriel aus Deutschland, wohnt bei uns; Gabriel - das ist Mike, und das hier ist sein Assistent, heißt Snakes. Den kannst du alles über Reptilien fragen, stimmt’s Snakes?!”

Sergeant “Snakes” bestellte mir ein Bier und begann sofort freundlich Konversation zu machen; mein Kindermädchen, während die Männer ernste Sachen zu besprechen hatten.

Er war ein komischer Kauz, Anfang Zwanzig, schlaksig, und sein Gesicht war ständig in Bewegung, alles darin war ständig in Bewegung: Ohren, Nase, Mund und Augen und auch alles dazwischen. Er gestikulierte beim Sprechen mit dem Gesicht, so wie es andere Leute mit Händen und Füßen tun. Ich war fasziniert.

Er nahm das als Interesse für sein besonderes Fachgebiet und stürzte sich nun ernstlich in den Vortrag:

“Du kommst doch gerade aus dem Norden, stimmt’s? Da ist doch gerade Regenzeit, stimmt’s? Jede Menge Wasser, oben, unten, überall, stimmt’s? Und hast du diese Frösche gesehen, die großen, giftgrünen? Ja? Weißt du, die tauchen gern in Klos auf, in den Häusern. Wirklich wahr, ich bin da oben aufgewachsen, in den Kimberleys. Und eine Regenzeit lang hatten wir mal viel Spaß mit den Fröschen.

Wir haben sie rausgeangelt und markiert - so, weißt du, das geht ohne sie zu verletzen. Wir haben ihnen Buchstaben auf die Rücken gemalt um zu sehen wo sie wieder auftauchen, und sie dann runtergespült.

Hey, zwei Monate lang wenn sich die Leute auf der Straße getroffen haben, hieß es nur: Wen hast du heute gesehen? A? Ich hatte D oder F und K. Oder: tut mir leid, meine Katze hat heute B gefressen.”

In der Zwischenzeit hatten Greg und Sergeant Stark ihre geschäftliche Besprechung beendet und gesellten sich zu uns. Greg zwinkerte mir zu und sagte:

”Wisst ihr Jungs eigentlich, dass Gabriel hier ein Goldgräber ist?”

So war Greg, redete nicht viel, sah aber eine ganze Menge. Er hatte bei meinem Gepäck wohl auch die Pfanne zum Goldwaschen entdeckt. Ich dachte eben, ich versuche es mal.

Man kann immer noch Gold finden in Australien, nicht viel, nicht wie beim großen Goldrausch; aber man hört immer wieder, dass einer Glück gehabt und für ein paar tausend Dollar Nuggets gefunden hat.

Die Geschichte vom Goldrausch in Australien ist auch eine Geschichte von technischem Fortschritt und Umweltzerstörung.

Anfangs hat man mit einfachsten mechanischen Hilfsmitteln, mit Picke, Schaufel und Sieb oder Pfanne die gröberen Stücke aus der Erde geklaubt. Wenn man keine Nuggets mehr fand, wurden die Minen und Schächte aufgegeben, und die Natur hatte Zeit, sich zu regenerieren.

Aber dann kamen die großen Minengesellschaften, die rechnen in Gramm per Tonne Erde, durchwühlen ganze Berge mit ihren Bulldozern und filtern noch das kleinste Stäubchen chemisch heraus.

Was sie hinterlassen sind Mondlandschaften, in denen für 10 oder vielleicht sogar hundert Jahre nichts mehr wächst. Ich habe Bilder von Boulder und Calgoorlie gesehen, im Gold-Tagebauzentrum von Australien, da habe ich mich wirklich gefragt - eine naive Frage, aber naive Fragen sind manchmal die einzigen die zu stellen sich lohnt - ist es das wert? So viele Arbeitsplätze bringt das nicht. Und soviel zerstörtes, verletztes, zerrissenes Land, nur damit ein paar Barren Metall in irgendeinem Banksafe lagern und einen Fettsack im Armani-Anzug ruhig schlafen lassen?