Stein - Sabine Korsukéwitz - E-Book

Stein E-Book

Sabine Korsukéwitz

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Medizin und Waffe, Symbol für das Göttliche und Unvergängliche, Schmuck und Fokus der Besinnung - Stein und Mensch sind verbunden durch die Jahrtausende. Sabine Korsukéwitz zeigt in einem Querschnitt durch Zeiten und Wissenschaftsbereiche, warum Menschen von Steinen immer schon fasziniert waren. Von den gigantischen Gräbern der Vorzeit über die Edelsteinmedizin Hildegards von Bingen bis zur japanischen Kunst, Steine zu bewundern.

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Seitenzahl: 410

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Imprint


Stein

Begleiter des Menschen durch die Kulturgeschichte

Erzählendes Sachbuch

Sabine Korsukéwitz

Stein, Printausgabe „Die Weisheit der Steine“ Kaiilash 2003

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de


eBook Konvertierung: Marte Kiessling, www.martemarte.de

Copyright: © 2014 Sabine Korsukéwitz


ISBN 978-3-8442-8411-9

0. Ein Stein ist ein Stein ist ein Stein ...

Denken Sie sich einen Stein. Einen, der Ihnen angenehm ist, den Sie gern in der Hand halten möchten. Einen, der Ihnen Ruhe, Wohlgefühl vermittelt.

Es wird ein glatter Stein sein, ein rundlich geschliffener Kiesel vielleicht, etwas abgeflacht, oval. Langsam erwärmt er sich in Ihrer Hand, seine Farbe intensiviert sich.

Ich bin sicher, die meisten von Ihnen haben nicht an einen eckigen Stein gedacht, einen Würfel oder an einen rauen Stein, frisch gebrochen mit kantiger Oberfläche.

Es sind immer wieder die bereits geglätteten, rundlichen Steine, die uns unwillkürlich anziehen, nach denen wir uns bücken, mit denen wir uns am Strand die Taschen füllen. Diese und dann die mit den schönen Farben. Durchscheinende Steine, Kristalle. Sie sind greifbar gewordenes Licht und Menschen haben sie begehrt, solange es Menschen gibt.

Vor mir auf meinem Schreibtisch steht eine kleine, sechskantige Amethystsäule, natürlich gewachsen, sieben Zentimeter hoch, etwa drei Zentimeter im Durchmesser. Sie hat eine Farbe, die mich berührt, ohne, dass ich sagen könnte warum. Nicht glasklar und rein – Amethyste sind selten klar, nicht so große Stücke. Mein Kristall ist wolkig, hat Risse und Einschlüsse, die das Licht brechen und ihn flüssig und irgendwie lebendig wirken lässt. Auf mich wirkt so ein Kristall, als wäre es ein flirrendes, lebendiges Wesen, dass durch einen Zauber in der Bewegung eingefroren, aus dem Lauf der Zeit genommen wäre.

Manche glauben, dass Steine leben, ebenso wie Pflanzen und Tiere und Menschen, nur sehr viel langsamer. So langsam, dass wir ihre Bewegungen nicht wahrnehmen können und sie wahrscheinlich nicht die unseren. Ist es das, was uns am Stein so anzieht? Seine Ruhe, sein außer-der-Zeit-stehen?

Stein hat viele Aspekte und Bedeutungen in der Kultur der Menschheit. Es ist das faszinierendste Material, das uns zur Verfügung steht, das vielfältigste und haltbarste, das erste Material, das vom Menschen bearbeitet wurde. An ihm versuchte sich der Mensch als Schöpfer. Und an dieser Arbeit schulte er viele Fähigkeiten: Beobachtung, kreative Veränderung seiner Umwelt, Logik, abstraktes Denken, Zusammenarbeit in der Gruppe, Kommunikation. Er erfand die ersten mechanischen Werkzeuge.

Ich kenne kaum jemanden, der vom Stein ganz ungerührt bleibt, der niemals einen schönen Kiesel aus dem Bach oder vom Strand mit nach Hause genommen hat. Damit fängt es an.

Lassen Sie uns zusammen einen Spaziergang machen durch die Kulturgeschichte der Menschheit und ein paar Steine aufheben, sie näher anschauen: eine Feuersteinknolle, wie sich aus ihr und um sie herum eine Industrie entwickelt hat und Handel. Ein schwärzliches Stück Himmelsmetall in Babylon zu einem magischen Schwert verschmolzen; ein anderes ruht wahrscheinlich in Mekka in einem Kubus aus Stein, von schwarzem Tuch verhüllt. Kein Christ wird es je anschauen oder untersuchen dürfen.

Ein Findling – er erinnert an die sogenannten Hünengräber, an Kelten, an Stonehenge: Welche ungeheuren Mühen und welchen Erfindungsgeist hat man da entwickelt . Warum, wozu?

Ein Türkis führt uns zu den Indianern von Arizona und New-Mexico, zu den alten Pueblo-Kulturen, Marmor zu den Bildhauern der griechischen Klassik. Die Steinbildhauer der Moderne bevorzugen Granit und sind zu den Ursprüngen lange vor dieser Klassik zurückgekehrt. Ich traf eine ostdeutsche Bildhauerin, die jetzt nur noch Landschaften mit Findlingen garniert. Sie bearbeitet sie gar nicht mehr.

Bildhauer und Architekten von Babylon bis zum Dritten Reich haben sich vom Stein zur Hybris verführen lassen, haben ihn dazu missbraucht, sich eine Unsterblichkeit anzueignen, die ihnen nicht zustand. Die Ideen von Völkern und Epochen sind in Stein festgehalten. Auch die Erbauer der christlichen Kathedralen wussten sehr wohl um die einschüchternde Wirkung von Stein. Und dann sieht man, wie die uralten Stufen ausgetreten sind, als wären sie aus Ton, die Monumente bröckeln, und die Schrift der Grabsteine ist fast ausgelöscht. Das macht demütig – eine andere Wirkung von Stein.

Edelsteine – viel mehr als Schmuck, mystifiziert in den Schriften der altägyptischen Magier so wie in der Bibel. Hartnäckig hält sich das Gerücht, die Atlanter hätten bereits Datenkristalle besessen – leider eine Fantasterei: Bei ihrem Erfinder, Platon, ist keine Rede davon. Hildegard von Bingen, eine gelehrte Klosterfrau des Mittelalters, entwickelte aufgrund von biblischen – heute einigermaßen fantastisch anmutenden – Vorstellungen ihre Edelsteinmedizin. Und der Mensch des 21. Jahrhunderts, inmitten seiner Hi-Tech-Welt, wendet sich ihr wieder zu, dieser Stein-Medizin, dem Schamanentum. Die Vertrauenskrise der Medizin und der Wissenschaft, der Verlust der Kontrolle treibt ihn zurück zu Dingen, die er fühlen, sehen und im wahrsten Sinne des Wortes be-greifen kann. Ich gebe zu, auf meinem i-Mac ruht ein Stück Rosenquarz – gegen den Elektrosmog, und weil es mir gefällt. Moderne Technik und Schamanentum widersprechen sich weniger, als man meinen sollte, im Gegenteil. Sie ergänzen sich und fügen zu einem Ganzen, was bisher unvollständig war. Wie so oft, ist der Mittelweg der richtige.

Was war Stein nicht alles und ist er noch: Waffe ebenso wie Medizin, Symbol für das Göttliche und Unerreichbare, Bild für das Leben als auch für den Tod, Kälte und Wärme, Schutz und Bedrohung, Objekt der Kunst, Objekt der Gier und Spekulation, Fokus der Besinnung, der Meditation ...

Je mehr ich darüber gelesen habe und mit je mehr Leuten ich mich über mein Thema unterhalten habe, desto umfangreicher wurde es. Jeder hatte etwas beizutragen: “Darüber musst du unbedingt schreiben: Die Kelten! Japanische Steingärten! Die Osterinsel! Die irischen fairies, die unter Steinen wohnen! Meteore, Steine aus dem All! Die Steinwesen bei Ann McCaffrey! Der Stein der Weisen! Plinius! Theophrast! Agricola!” Es nahm kein Ende. Ganz plötzlich schien es, als sei der Stein, unser sichtbar-unsichtbarer, geduldiger Diener, ganz unersetzlich und zentral im menschlichen Leben.

Also lassen Sie uns ein wenig näher hinschauen, ein paar Steine umwenden...

1. Die Steinzeitrevolution

“Der Menschenaffe ist im Prinzip lernfähig, aber nicht immer lernwillig” – mit diesem Satz möchte die Wissenschaft die Affenfamilie von den Hominiden unterscheiden. Wir werden sehen, wie es mit der Lernwilligkeit der Hominiden steht...

Vor zwei, manche sagen: drei Millionen Jahren – auf eine Million mehr oder weniger kam es damals noch nicht an – nahm ein Affe einen Stein zu Hilfe, um eine Nuss zu knacken, eine besonders harte. Damit war der erste Schritt in ein neues Zeitalter getan. Dieses erste Steinwerkzeug zog alle anderen nach sich und sollte unseren behaarten Vorfahren schließlich seines Fells berauben, ihm eine verkrümmte Wirbelsäule, degenerierte Muskeln und die Raumfahrt bescheren.

Wie das? Dieser Hominide, Adam, lebte aller Wahrscheinlichkeit nach an einem See oder Fluss in Ostafrika. Bislang hatte er sich, wie alle anderen Affen auch, damit zufrieden gegeben, Pflanzliche Nahrung zu sammeln, allenfalls zu fressen, was schwächer und langsamer war als er. Vor allem was stärker war, rannte er davon.

So wie man den alten Adam kennt, entdeckte er nun bald, dass sich mit so einem handlichen Stein nicht nur Nüsse, sondern auch die Schädel von Rivalen einschlagen ließen. Und schon war das Gesetz der größeren Muskelkraft unterminiert. Geschicklichkeit und Heimtücke konnten den Nachteil wett machen.

Den nächste Schritt könnte man sich so vorstellen: Der Affe Adam schlug eine Nuss oder einen leckeren Markknochen auf zwischen zwei Steinen und – pling! – einer der Klumpen bricht auseinander. Da liegen hauchdünne, halbdurchsichtige Splitter herum und glänzen in der Sonne. So etwas hat Adam noch nie gesehen. Er hebt einen davon auf, fährt mit dem Daumen an der feinen Bruchkante entlang. Autsch! Etwas hat ihn gebissen! Ein böser Blick: Wer war das?! Nochmalige Probe aufs Exempel. Und, schau, schau, wie er da so sitzt und an seinem blutenden Daumen lutscht, wird eine Idee geboren. Und so kann Adam beim nächsten gemeinsamen Mahl, anstatt sich an der Wuke die Zähne abzukauen, Schlund gerechte Stücke heruntersäbeln. Elegant! Und wie die anderen schauen, vor allem die Weibchen!

Das Ganze ist passiert vor, bei konservativer Schätzung, sagen wir: 70 000 Generationen, vor ca. 2 Millionen Jahren. Das wiederum weiß man erst seit vergleichsweise kurzer Zeit. Obwohl man überall auf Spuren der Urmenschen stieß, ja ihre Techniken durchaus noch in Gebrauch waren, hatte man über all dem Fortschritt den Ursprung ganz vergessen.

Griechische und chinesische Kosmologen erfanden das Wort von der ‘Steinzeit’ (lithos, griechisch: Stein). Für sie bedeutete es eine mythische Zeit der Götter und Heroen, wiedergegeben in fantasievoll ausgeschmückten Schöpfungsgeschichten. Für uns ist der Begriff negativ besetzt, die Zeit der Helden ist jetzt nach vorn gerückt und etwa im Mittelalter angesiedelt.

Bei den Griechen war es Prometheus, ein Sohn des erdgeborenen Uranussohns Iapetos, der aus Ton die ersten Menschen formte nach seinem Bild. Die liefen zunächst ziemlich ratlos herum, ohne sich ihrer Umgebung und ihrer selbst bewusst zu werden. Es genügte aber schon zur Fortpflanzung und Vermehrung – dazu reicht es immer.

“Unbekannt war ihnen die Kunst, Steine auszugraben”, heißt es in einem alten Text. Das deutet auf eine zentrale Bedeutung von Stein in der menschlichen Entwicklungsgeschichte.

Bekanntlich nahm sich Prometheus seiner noch etwas tapsigen Geschöpfe an, lehrte sie alle möglichen Fertigkeiten und stahl für sie sogar das Feuer vom Sonnenwagen. Dafür musste er schauerlich büßen: Auf Ewigkeit an einen Felsen gekettet, von Adlern gequält, die an seiner Leber fraßen, bis der Held Herakles des Weges kam und den Lehrer der Menschheit befreite. Zeus war wohl inzwischen älter und milder geworden. Er tolerierte die Freilassung unter der Bedingung, dass Prometheus ein Bröckchen jenes Felsens an einem eisernen Ring tragen musste, damit seinem Wort vom ewigen Angekettetsein Genüge getan war. Et voilà der erste Fingerring.

Eine weitere griechische Schöpfungsgeschichte, in der Steine eine wesentliche und bezeichnende Rolle spielen ist die von Deukalion und Pyrrha. Darauf komme ich noch zurück.

Schöpfungsmythen, Erklärversuche für erlebte Wirklichkeit, sind ja oft dieser Wirklichkeit erstaunlich nah. Man muss nur die Bilder am Wissensstand der Zeit messen und sie sich dann übersetzen.

Der Begriff ‘Steinzeit’ und der von der darauffolgenden ‘ehernen Zeit’ wurde geprägt am Beginn der Eisenzeit, ca. 1000 bis 700 v.Chr., zu Beginn von Philosophie und Wissenschaft. Da war die ‘eherne’, die Bronzezeit gerade vorbei. Aber die Vorstellungen von Vergangenheit und Entwicklung der Zivilisation waren nebelhaft. Der griechische Kosmologe Hesiod (700 v.Chr.) sah in der Steinzeit eine verlorene, glorreiche Vergangenheit, eine bessere Zeit als seine eigene, in der er nur Niedergang und Verfall zu erblicken glaubte. Der Römer Lukrez vermutete im letzten Jh. v.Chr. immerhin schon, die Kultivierung des Menschen müsse mit der Bearbeitung von Stein ihren Anfang genommen haben.

Erst in der Neuzeit kam man auf die Spur der tatsächlichen und nachweisbaren Entwicklung der Menschheit. Die rationale Erkundung der Vergangenheit anstelle der bisherigen Mystifizierung zeigt eine bedeutende Wende im menschlichen Selbstbewusstsein. Nicht nur absolutistische Tyrannen, auch einengende Weltbilder fielen. Einzelne Vordenker wagten sogar, in den biblischen Schöpfungsmythen das zu sehen, was sie waren – mündliche Überlieferungen mit entsprechender Fehlerquote. Das ermöglichte Abweichungen vom Dogma, öffnete neue Wege für den Geist. Es war eine Zeit aufblühender Neugier und der Entdeckungen auf neuen Handelsrouten, der Beginn der Kolonisation. Immer neue Berichte über noch existierende ‘Steinzeitmenschen’ gelangten ins kultivierte Europa. Eine realistische Vorstellung von Zeitraum und Abläufen hatte man aber noch nicht. Herder prägte im 18 Jh. den Begriff der Urgeschichte. Hegel dagegen wollte die Geschichte der Menschheit gern auf die Epoche begrenzen, aus der schriftliche Quellen vorhanden waren. Ohne solche schriftlichen Quellen sei es schließlich unmöglich, sich ein verlässliches Bild zu schaffen. Alles bliebe intelligente Spekulation.

1797 fand ein gewisser John Frere in Südengland einen Faustkeil, offensichtlich Menschenwerk, planvoll und geschickt bearbeitet. Es waren schon vorher Waffen und Werkzeuge aus Feuerstein gefunden worden, aber dieser John Frere kam auf die Idee, das Objekt in zeitlichen Zusammenhang zu anderen Dingen an derselben Fundstelle zu setzen: Muscheln und Knochen von riesigen Tieren, die nicht mehr vorhanden waren. Da zu dieser Zeit Antiquitäten sehr in Mode waren, traf Frere auf einiges Publikumsinteresse, als er schrieb: “Diese Feuersteinwaffen sind von Menschen hergestellt und benutzt worden, die noch kein Metall verwendet haben, und die Lage in der diese Waffen gefunden worden sind, lässt uns vermuten, dass sie in weit zurückliegender Zeit entstanden sein dürften.”

Ah, das war interessant: Vor der Metallzeit, vor der ‘ehernen Zeit’! Noch vor den Römern, vor den alten Griechen. Etwa vor dem biblischen Babylon? Vor den Pharaonen.....das wäre ungeheuerlich...wann also, wann?! Wie lange konnte das her sein? Wie lange hatte es Menschen gegeben? Das früheste westeuropäische Volk, von dem schriftliche Quellen berichteten, waren die Kelten. Bis dahin hatte man sich in den Schätzungen rückwärts gewagt. Aber die Kelten kannten bereits Eisen, sogar Stahl, waren geschickte Schmiede. Sie waren keineswegs auf primitives Steinwerkzeug beschränkt. Noch weiter zurück? Wie weit?!

Zur Hilfe kamen den rätselnden Paläohistorikern (wenn sie sich auch noch nicht so nannten) andere Disziplinen: Die Beobachtung von fossilen Meerestieren, Muscheln und Seeigeln auf hohen Bergen, die Katalogisierung von ausgestorbenen Tieren und Pflanzen durch Karl von Linné (1707 – 1778) und der Versuch, die offensichtlichen Veränderungen der Spezies nicht durch die Bibel, sondern durch die Wechselbeziehung zwischen Klimabedingungen und Daseinskampf zu erklären. Die vorstellbaren Zeiträume wurden immer länger. Man begann zu unterscheiden in eine ältere Steinzeit, die Epoche des roh geschlagenen Steins und eine jüngere Steinzeit, die des verfeinerten, geschliffenen Steins, Paläo- und Neolithikum.

Zur Datierungshilfe kam die Erfindung der Dendrochronologie, der Bestimmung eines Zeitraumes durch Zählung von Jahresringen von Hölzern am Fundort; auch einige brauchbar erhaltene Holzstücke wurden in den untersuchten Schichten gefunden. Und dann endlich der Durchbruch: Die C14-Methode, die zeitliche Einordnung eines Fundes auf der Grundlage der Zerfallszeit von radioaktivem Kohlenstoff. Erst an der Schwelle zum 21Jh. ist es uns gelungen, dem Alter unserer Vorfahren, dem Ablauf ihrer und damit unserer eigenen Geschichte auf den Grund zu kommen.

Vor fünf bis acht Millionen Jahren trennten sich die Wege der Schimpansen und der Menschen. Der Hominide wurde immer menschlicher und der Schimpanse immer schimpansiger.(Die Verwandtschaft ist dennoch nicht abzustreiten, wenn man beispielsweise im Zoo einem Affen beim Essen zusieht, oder wie er trübe dösend ins Nichts stiert und sich dabei, Sie wissen schon wo, kratzt. Gehen Sie dann einfach ins nächste Hamburger-Restaurant, da kann man Ähnliches beobachten.)

Steinbearbeitung und die Beherrschung des Feuers waren die ersten Bedingungen für die Weiterentwicklung des Hominiden. Der ostafrikanische Adam, heute Oldowan-Mensch genannt, hatte also gelernt, dass gewisse Steine in sehr nützlicher Form splittern. Vielleicht kam er auch an einem Hangabbruch vorbei oder lief über die Geröllhalde eines Bergrutsches und trat auf einen scharfen Splitter, mit dem gleichen Ergebnis.

Zuerst mag er einfach die gefundenen Splitter verwendet haben. Aber schnell ging er dazu über, zu untersuchen, welche Steine genau das waren: Heute wissen wir, dass alle diese Werkzeug-Steine der Gruppe der Kieselgesteine angehören. Sie bestehen hauptsächlich aus Siliziumdioxid, ein wenig Wasser und verschiedenen mineralischen Beimischungen, die Farbe, Härtegrad und Materialeigenschaften beeinflussen. Außen ist eine Feuersteinknolle oft mit einer weißlichen Kalkschicht überzogen.

Silex hat einen Härtegrad von 6,5 bis 7 Mohs auf einer Skala von 1 (Talk) bis 10 (Diamant). Aufgrund seiner feinen Kristallstruktur ist es fast beliebig und großflächig spaltbar, ein wenig elastisch; durch gezielte Schläge kann eine beabsichtigte Form gewonnen werden. Es bricht muschelig, scharfkantig und an den Bruchflächen zeigt sich ein auffallend glasiger, fettiger Glanz. Es sind eigentlich sehr hübsche Steine, wenn man sie aufmerksam betrachtet. Zu den sogenannten Feuersteinen zählt man auch weißen, grün-grauen und roten Bohnerz-Jaspis sowie Hornstein, der von stumpf-gelblich bis bräunlich-schwarz vorkommt. Seltener wurde auch Chalcedon verwendet. Amethyst, Achat, Rosenquarz und sogar der schillernde Opal gehören übrigens zur selben Steinfamilie.

Es gibt Archäologen und Amateurmineralogen, die die alte Kunst des Steinschlagens wiedererlernt haben. Stundenlang können sie über die Eigenschaften der verschiedenen Feuersteine dozieren, wenn man sie lässt. Der rote Bohnerzjaspis mit seiner Eisenbeimischung zum Beispiel sei schön aber von geringer Qualität. Hervorragend dagegen sei der honigfarbene ‘Grand Pressigny’ aus Mittelfrankreich; “außergewöhnlich homogen”, so dass man aus einer entsprechend großen Knolle Klingen bis zu 30 Zentimeter Länge gewinnen könne.

Entstanden ist der Feuerstein vor etwa 120 Millionen Jahren im Kreidemeer des Erdmittelalters. Schwämme und Algen bildeten die Kieselsäure, die sich, meist um ein abgestorbenes Kleinstlebewesen als Kern, zu Knollen angelagert haben.

Eine Ausnahme in der Materialauswahl der Steinzeit-Ingenieure bildet das Obsidian, Vulkanglas, das ähnliche Eigenschaften hat wie Feuerstein. Dort, wo es keinen Feuerstein gab, wurde ersatzweise auch Hornblendeschiefer verwendet, Basalt oder Grauwacke, letztere genauso so unattraktiv wie sie klingt.

Der Titel Steinzeit-Ingenieur ist durchaus angemessen. Man macht sich kaum ein Bild von der Geschicklichkeit, dem Grad der Spezialisierung und dem Einfallsreichtum, der in der Vielfalt von Steinwerkzeugen und -Waffen zu erkennen. Die Entdeckung des Feuersteins scheint für unsere Vorfahren eine ähnliche Urknall-Wirkung gehabt zu haben, wie im 20.Jh. die Erfindung des Computers. Das war eine bewundernswerte Leistung des armen kleinen Neanderthalerhirns, sich so was auszudenken: Wie schaffe ich es, diesen Brocken so aufzuschlagen, dass daraus wird, was ich brauche? Ich stelle mir vor, wie er da hockte und über einem Silexknollen brütete wie Hamlet über dem Totenschädel. Und schlug, wieder hockte, schlug,, prüfte, beobachtete wie die Splitter flogen, die dicken Brauen auf der massiven Stirn zusammengezogen.

Silexbrocken ließen sich schließlich nicht einfach untereinander bearbeiten, sondern man benötigte einen Schlagstein und eine Art steinernen Amboss, weitere Werkzeuge. Und das mussten Gesteine mit ganz anderen Materialeigenschaften sein, als die zu bearbeitenden Feuersteinknollen. Das muss einem erst mal einfallen! ‘Hammer’ und ‘Amboss’ hatten von einer Art zu sein, die sich langsam und in ganz kleinen Körnern abschlug und abnutzte, im Effekt weicher, nicht härter sein, als der Silex. Grobkörnige Gesteine waren die besten Werkzeuge, Granit und Diorit. Schlagsteine kann man überall finden, wo der homohabilis, der Werkzeugmacher, seine Steinbrüche und Schlagplätze hatte. Man erkennt sie immer noch sehr gut an den Narben und der gleichmäßigen Form: teils eiförmig, teils zu kleinen Kugeln abgearbeitet.

Das erste paläolithische Design war der mandelförmige, grob zugerichtete Faustkeil: Nicht besonders schön – erst kam die Funktion, dann die Optik. Die scharfen kleinen Abfallsplitter wurden zum Schaben von Häuten verwendet. Wie geduldig hat man wohl experimentiert, um das Verhalten des Steins herauszufinden und das sinnvollste Verfahren; dass man zunächst grobe Stücke von einem Kern abschlägt, dass man, um eine möglichst gleichmäßige, gerade Klinge zu erhalten, die Kanten abwechselnd von der einen und dann von der gegengesetzten Kante behauen muss...der alternierende Schlag, der das typische Zickzackmuster hervorruft. Schlug man zu stark, dann zersprang der Stein in viele kleine Stücke. Mit einem einzigen unbedachten Hieb kann man das innere Gefüge eines ganzen Knollens zerstören. Der richtige Schlagwinkel will gelernt sein. Wo musste man ansetzen, um eine geplante Rohform zu erhalten? Im Zentrum des Steins, oben oder seitlich?

Es heißt, dass der Mensch nicht der einzige sei, der Werkzeuge benutzt. Affen verwenden Stöcke und Steine. Und es gibt Vögel, die mit Hilfe langer Dornen Zahnstocher artig fette Maden aus der Rinde von Bäumen polken. Sie verändern sogar Vorgefundenes. Aber das Kürzen oder Anspitzen eines Astes kann wohl kaum mit der komplexen Feuersteintechnik verglichen werden, bei der geplant, erinnert, weiterentwickelt und das erworbene Wissen an Artgenossen weitergegeben wurde.

Es wird die Vegetarier von heute nicht freuen, zu erfahren, dass ihr Modell von vorvorgestern ist. Wissenschaftler fanden nämlich in Afrika die Überreste zweier verschiedener Stämme von Oldowan-Menschen: Die Vegetarier und die Fleischfresser. Die Vegetarier zeichneten sich durch einen knorrigen Körperbau und einen ebenso gedrungen-knorrigen Schädel aus, mit stark ausgebildeten Kieferknochen und winzigem Gehirn. Die Fleischfresser dagegen waren schlanker, (vermutlich schneller), hatten deutlich rückgebildete Kiefer und mehr Platz für den Denkapparat. Der Vergleich dieser Funde und Datierungen brachte die Forscher zu folgendem Schluss: Die Oldowan-Vegetarier konnten sich mit hochwertigem Eiweiß nur unzulänglich versorgen; sie mampften den ganzen Tag und die halbe Nacht Rüben. Für sie war es ein Festessen, wenn sie einmal ein reifes Stück Aas fanden. Die Oldowan-Tartarier – das waren die, die lernten, geschickt mit Steinwaffen umzugehen – erhielten ausreichend hochwertiges und leicht verwertbares Protein und konnten sich weiterentwickeln. Die Vegetarier waren nicht geschickt genug, mit dem neuen Steinwerkzeug umzugehen und verpassten den Anschluss an die Evolution. Sie starben aus.

Arme Vegetarier. Aber die Fleischfresser hatten es auch nicht leicht. Wie wir selbst leidvoll erfahren haben, sorgt ja nicht jeder Fortschritt ausschließlich für eine Erleichterung des Lebens. Im Gegenteil: Es wird ständig komplizierter.

Der erfolgreiche Teil der Oldowaner begann, seine Werkzeuge wechselnden Aufgaben und Umweltbedingungen anzupassen. Mit Hilfe seiner wunderbaren neuen Waffen und Werkzeuge lernte er, das ihn umgebende Ökosystem besser zu nutzen. Er kombinierte, verfeinerte, differenzierte. Eine immer größere Hirnkapazität war notwendig. Und die entwickelte er mit der Zeit. Das hochwertige Eiweiß, das dazu gebraucht wird, bekam er ja jetzt.

Adam und Co. begannen, weil die zu erzielende Beute es jetzt hergab, in größeren Gruppen zu leben. Jagd und Sammelei wurde in Teams effektiv organisiert. Es entstand eine – zunächst sinnvolle – Hierarchie (was man heute gelegentlich vermisst). Die sozialen Strukturen veränderten sich. Sprache war nötig, um das alles zu bewältigen. Der Evolutionszug rollte. Das Hirn wurde größer, der Darm kürzer, und der Knochenbau musste Volumen abgeben. Da haben wir den Salat: Aufrechter Gang, schlechte Zähne, viel Hirn aber dünner Schädel. Und alles wegen dieses unscheinbaren kleinen Steins, gräulich-bräunlich, mit dem mattierten look. Wer hätte das gedacht?

Notwendigkeit, also Druck von außen, führt zu Fortschritt. Fortschritt führt zu neuem Druck. Unsere Ahnen hatten weitaus mehr Zeit als wir, den Fortschritt zu bewältigen. Wir Bedauernswerten sind an einem Punkt der Fortschritts-Spirale angelangt, an dem einem der Kopf platzen möchte. Aber das Gehirn hat sich schon mehrmals angepasst. Es wird das wieder tun. Angeblich sind da ja ungenutzte Kapazitäten. Wir schaffen das schon.

Zurück zur Steinzeit und zu den Feuerstein-Ingenieuren: 20 000 Generationen später ist der Acheulmensch die überlegene Spezies der westlichen Alten Welt. Sein Hauptwerkzeug neben Grabstock und Speer, der Faustkeil, hat sich deutlich verändert. Er ist jetzt ein raffiniertes Universalgerät, insgesamt feiner und flacher, an einer Schmalseite rund und massiv, an der anderen spitz zulaufend, an beiden Breitseiten scharfkantig. Mit so einem Stück kann man sowohl hart zuschlagen, brechen, als auch fein und punktgenau, außerdem kann man tiefe Schnitte führen. Das Werkzeug liegt optimal in der Hand. Funktionales, kombinatorisches Denken hat zu dieser verbesserten Form geführt.

Längst hatte der wunderbare Silex noch eine andere Seite seiner Nützlichkeit offenbart: Die Funkenbildung beim Gegeneinanderschlagen von Feuerstein und Schwefelkies. Fängt man die Funken auf mit Zunderschwamm oder trockenem Gras, ist man Herr des Feuers geworden: Prometheus lässt grüßen.

Vieles lässt sich aus der sorgfältigen Untersuchung von Fundstellen ableiten: Zum Beispiel, wann ungefähr man begann, Flammen nicht nur zum Rösten und Wärmen, sondern auch zur Beleuchtung zu nutzen, weil man nämlich ab einem bestimmten datierbaren Zeitraum feine Flintwerkzeuge im Inneren einer Höhle, weit vom lichtspendenden Eingang fand. Da saßen wahrscheinlich die Frauen am Feuer, tratschten und stichelten Lederhosen zusammen, während die Männer am Höhleneingang mit größeren Werkzeugen gröbere Arbeiten durchführten. Fürs Grobe sind sie gut.

Da der Protomensch nun in die kälteren Zonen vorgedrungen war, musste er Techniken erdenken, die dem neuen Lebensraum angepasst waren. Er brauchte Kleidung. Der Anteil an sorgfältig geformten Schnittkanten nahm zu. In Thüringen sind aus der Zeit des späten Pleistozän eine größere Zahl gekerbter Artefakte gefunden worden, die auf Faserverarbeitung hinweisen, steinerne Kämme für die Herstellung von Taschen und Matten.

Zur Zeit des späten Pleistozän existierten viele verschiedene Arten und Größen von Messern, Dolchen, Schabern, Keilen, Pfeil- und Lanzenspitzen; steinerne Kämme für Faserverarbeitung, feine Stichel zum Nähen der Tierfellkleidung; Waffenspitzen für die Jagd auf große, dickhäutige und auf kleinere Tiere, Lanzenspitzen mit Widerhaken und solche, die sich leicht vom Schaft lösen, damit der Lanzenschaft die Wunde nicht solange versiegelt, dass die Beute verwundet entkommen konnte. Sie sollte schnell ausbluten und umfallen. Schließlich mochte man ihr nicht ewig hinterherrennen.

Archäologen kommen ins Schwärmen, wenn von Solutréen-Klingen die Rede ist, ich zitiere: “Das Phänomen Solutréen mit seinen herrlichen Lorbeerblattspitzen...” . Gemeint ist eine Klinge in Lorbeerblattform von bemerkenswerter Schönheit und Präzision.

Man lernte Axtblätter, statt sie mit weichgekauten Lederriemen im gespaltenen Ende eines Astes zu befestigen, im Schaft zu durchbohren, so dass der Stiel einfach durchgesteckt werden konnte, nicht anders als heute – eine bahnbrechende Erfindung! Mit solchen Beilen kann man sogar Bäume fällen. Ein weiterer Fortschritt war das Schleifen der Äxte in Sandsteinwannen mit Hilfe von losem Sand und/oder Wasser, wobei ausgesprochen schöne Stücke entstanden. Die feinsten und farbig außergewöhnlichsten bekamen die Anführer und die besten Jäger. Die frühen Menschen konnten sich nun den Luxus von Ästhetik leisten. Schönes bekam Wert. All diese Werkzeuge wurden noch lange in die Eisenzeit hinein genutzt. Metall war viel zu selten, die Herstellung von Metallgegenständen zu aufwendig, um für Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs verwendet zu werden.

Erste Formen von Bergbau entstanden. Zunächst merkte man sich ergiebige Fundstellen. Die Jäger und Sammlergruppen kehrten in gewissen Zeitabständen zu diesen Fundstellen zurück und errichteten dort ihr Lager, das sie solange bewohnten, bis ihr Vorrat an Feuerstein aufgefüllt war. Dann zogen sie weiter. Eichhörnchen hafte Depots wurden angelegt – und vergessen, zum Glück der Forscher von heute.

Später begann man, den kostbaren Silex systematisch abzubauen, mit Grabstöcken und Hirschgeweihen, mit Winkelhölzern, Hacken. Holzkohlereste an Steilwänden weisen daraufhin, wie der erfindungsreiche Ahne lernte, Werkstoffe miteinander zu verbinden, die Reaktionen von Stein auf Temperaturunterschiede für sich zu nutzen. Feuer wurde an Silex haltigen Hängen angelegt und das umgebende Gestein dann mit Wasser abgeschreckt, um es zu zermürben und so leichter an die begehrten Knollen zu gelangen.

Ganze Familienindustrien wurden organisiert. Wahrscheinlich ging die ganze Gruppe zu eine Fundstelle. Die stärksten Männer hackten und gruben die Feuersteine frei, Frauen und Kinder sammelten sie auf und brachten sie zu den Steinschlägern, die an Ort und Stelle Rohlinge herstellten. Diese Rohlinge wurden dann zur Weiterverarbeitung ins Basislager oder die gemeinsame Höhle gebracht. Ebenso wie bei den effektiveren Jagdmethoden war hier Teamwork gefragt, unmöglich ohne Sprache und vorausplanendes Denken..

‘Spezialisierung’ heißt der Weg zur Hölle. Der homo habilis hatte auf diesem Weg den ersten Schritt getan. Bei Eygaliers, Südfrankreich, gibt es einen riesigen vorgeschichtlichen Feuersteinbruch. Aus den Überresten haben Archäologen geschlossen, dass hier ausschließlich Waffen, kaum Werkzeug hergestellt wurde – eine vorsintflutliche Waffenfabrik. Manchem Griechen in Massilia und manchem Römer wurde wohl mit Qualitätsklingen aus Eygaliers die Kehle aufgeschlitzt.

Man kann sicher davon ausgehen, dass geschickte Steinschläger ebenso viel Ansehen in der Gruppe besaßen, wie besonders gute Jäger. Bei einer der letzten noch existierenden Steinzeitkulturen, den Asmat in Papua Neuguinea, stehen die Steinschnitzer, die sibopeipits in hohem Ansehen. Sie gelten als Künstler und Lieblinge der Götter. Die Qualität ihrer Werke wird nach Härte, Textur, Farbe, Schliff und Politur beurteilt. Besonders gelungene Stücke sind viele Generationen lang bis heute weitergegeben und bewahrt worden als gehüteter Clan-Besitz. Sie werden im Wald unter Bäumen vergraben und versteckt und nur zu besonderen Anlässen hervorgeholt. Je älter sie sind, desto höher ihr Wert: Sie gelten als Verbindung zur Ahnenwelt.

Vor etwa acht bis 10 000 Jahren endete die letzte Eiszeit. Nun begann die Fortschritts-Spirale ernstlich. Die Erfindungen und Verbesserungen folgten rasch und logisch aufeinander. Da sich die hominide Bevölkerung in dem milderen Klima wieder ausbreiten konnte und nach neuen Ressourcen suchte, entstanden weite Handelsbeziehungen. Die besten Feuersteine kamen aus dem Gebiet des heutigen Norddeutschland und Mittelfrankreich und wurden bis weit in die Mittelmeergebiete gehandelt. Woher weiß man das? 1898 berichtete Rudolf Virchow – der nicht nur Pathologe war, sondern auch allgemein naturwissenschaftlich interessiert – von einer Entdeckung in Ösel im Landkreis Wolfenbüttel. Dort hatte man eine schöne große Mittelmeermuschel gefunden, eine Tritonschnecke, die mit Flintstücken gefüllt war. Das spitze Endstück der Muschel war bearbeitet und durchbohrt: Offenbar ist sie als Trompete genutzt worden und hatte – für damalige Verhältnisse – einen weiten Weg hinter sich. Aus solchen und ähnlichen Funden von Gegenständen weit von ihren jeweiligen Ursprungsort hat man sich ein Bild machen können vom erstaunlichen Ausmaß steinzeitlicher Fernbeziehungen. Nach genauen Untersuchungen über die Herkunft bestimmter Gesteine, ließ sich für die schönen, tiefschwarz glänzenden Geräte aus Hornblendeschiefer aus dem Böhmischen zum Beispiel ein Handel entlang der großen Flüsse nachweisen bis zum Unterrhein, nach Friedland und in die Mark Brandenburg.

Die Methoden des Bergbaus waren um 3000 v.Chr. bereits auf hohem Niveau. Neben dem Tagebau und dem Herausarbeiten von Flintknollen aus Hängen und Wänden, wurden trichterförmige Löcher bis zu fünf Metern Tiefe gegraben und schließlich sogar Stollen in den Berg getrieben, so tief, dass man dort nur noch mit künstlichem Licht, im Schein von brennenden Kienspänen arbeiten konnte. Bis zu siebzehn Meter tief wurden die Stollen vorangetrieben, wobei sie progressiv niedriger wurden, um ein Einstürzen der Stollen zu verhindern. Hölzerne Stützen gab es zu dieser Zeit noch nicht. Besonders viele solch urgeschichtlicher Stollensysteme hat man in Belgien, England, den Niederlanden, Polen und Ungarn gefunden. Zeichen von Gewinnstreben: Man baute das weithin begehrte Material nun nicht mehr nur für den eigenen Bedarf ab, sondern um damit Handel zu treiben. Um gute Fundgründe dürfte es auch schon die ersten Kleinkriege gegeben haben. Flint war damals der wichtigste Rohstoff. Wer die Fundstellen kontrollierte, konnte die Preise diktieren; das war in der Steinzeit nicht anders als heute.

Mit der Ballung von Menschen konnten das Jagen von Wild und das Sammeln von Wurzeln, Kräutern und Beeren den Nahrungsbedarf nicht mehr decken. Nomadenhafte Tierhaltung gab es wahrscheinlich schon seit 50000 Jahren. Jetzt kam der systematische Anbau von Pflanzen dazu. Gerätschaften zur Bearbeitung des Bodens und Getreideernte mussten erdacht werden. Regelrechte Sicheln von bis zu 30 Zentimetern Länge wurden aus den größten Rohlingen gefertigt, ein Meisterstück der Steinzeit-Technik. Neu dazu kam der Reib- und Mahlstein zur Bereitung von Breien und später Mehl für Brot. Hierzu eignete sich am besten Basaltlava, wie sie in der Eifel und an einigen Stellen in Frankreich und Ungarn vorkommt.

Die Sesshaftigkeit wurde auch begünstigt durch die Nutzbarmachung eines weiteren Minerals, des Salzes. Die Kelten von Halstatt entwickelten als erste Methoden zu seiner massenhaften Gewinnung. Wie verhältnismäßig wohlhabend sie wurden, das lässt sich an den Grabbeigaben erkennen, aber auch, dass offenbar die Salzlagerstätten als heilig betrachtet wurden. Man hat viele Schmuckstücke und im Salz konservierte feine Kleidung gefunden, aber ungewöhnlich wenige Waffen in dieser Gegend. So war Salz eines der seltenen Güter, um das – wenigstens hier und in dieser Zeit – nicht gekämpft und gemordet wurde. Die Salzgabe zum Einzug in eine neues Haus stammt daher. Das keltische Wort für Salz war hal – daher Hallstatt – Bad Reichenhall oder auch Halle an der Saale, während der lateinische Ausdruck ganz ähnlich lautete: sal.

Tacitus berichtete, dass auch für die Germanen Salzgewinnungsstätten heilig waren:

“Im selben Sommer wurde zwischen den Hermunduren und den Chatten eine große Schlacht geschlagen, da die Chatten einen salzreichen Grenzfluss mit Gewalt an sich rissen, nicht allein aus Übermut, alles mit den Waffen zu entscheiden, sondern auch aus eingeborenem religiösem Glauben, dass vor allem diese Orte dem Himmel nahe seien und die Gebete der Sterblichen nirgends näher von den Göttern gehört würden.”

Salz war unentbehrlich und kostbar. Römische Legionäre wurden zum Teil in Salz entlohnt, mit dem salarium, der Salzgabe, woraus heute das ‘Salär ‘geworden ist. Salz sollte auch eine bedeutende Rolle spielen in Magie und Alchemie, sal – eines der Hauptelemente der frühen Chemie, Bestandteil des Steines der Weisen. In der Magie sollte es böse Geister bannen; da es konservierende Kräfte besitzt glaubte man, dass Dämonen es zu fürchten hätten. Dämonen waren schließlich flüchtige Wesen aus dem Jenseits...

Salz und Silicium – zwei Minerale, die die Welt veränderten. Das dritte war das Eisenerz. Zwar hatten die Ägypter die verwandelnde Kraft des Feuers schon entdeckt und die Metallschmelze erfunden. Jedoch besaßen sie kein Eisen. Die Waffen ihrer Soldaten waren aus Bronze, einem Kupfer-Zinn-Gemisch. Das Ausschmelzen von Eisen wurde im Kaukasus entdeckt, wo das Erz reichlich vorhanden war. Als der Pharao, der damals mächtigste Mann der Welt, davon hörte, schickte er seine Handwerker aus, um die neue Kunst zu lernen. Aber die Schmiede des Kaukasus hüteten ihr Geheimnis. Der Pharao bettelte um Eisen und bekam keines. Er musste sich mit winzigen Mengen Magnetit zufriedengeben, der beim Goldwaschen im nubischen Sand anfiel. Folglich reichte in Ägypten das Eisen nur zu Herrschaftssymbolen, wie dem eisernen Helm, den Ramses II trug, und zu Zauberamuletten.

Auch in der Bibel wird Eisen erwähnt: Den besiegten Juden war es verboten Waffen zu besitzen. Ihre Schmieden waren zerstört. Wenn sie also Werkzeug brauchten, Sicheln, Sensen und Messer, so waren sie gezwungen, sie für teures Geld bei den verachteten Philistern zu kaufen. Die wiederum waren versprengte Indogermanen, die die Schmiedekunst auf ihren Raubzügen im heutigen Anatolien gelernt hatten.

Eisen und Stahl machten Kleinasien zum neuen Zentrum der Macht. Reiche fielen und wurden geboren aufgrund der neuen Waffen, die der Bronze überlegen waren. Hethiter eroberten das Mitannireich und wurden ihrerseits besiegt. Die Griechen stiegen zu neuen Herren auf und ihre weitgerühmte Demokratie verdankt man möglicherweise dem Umstand, dass ihre Adligen Bronzewaffen und -rüstungen trugen. Kupfer und Zinn waren nämlich seltener und teurer als Eisenerz. Folglich wurde das Heer des Fußvolks mit billigeren Eisenwaffen ausgestattet – und besaß nun bessere Waffen als ihre Herren.

Als die Römer begannen, ihr Weltreich auszubauen, förderten sie überall, wohin sie kamen, die Metallgewinnung. Schmiede wurden am Arm gebrandmarkt als wertvoller persönlicher Besitz. Sie wussten genau, welchem Umstand sie ihre Siege verdankten. So wertvoll wurde Eisenerz, dass es in zahlreichen Dichtungen verherrlicht wurde. Stahl aus Noricum, dem heutigen Kärnten, wurde von Tacitus gelobt, von Horaz und Ovid besungen.

Gegenstände, die so wichtig sind für die Gemeinschaft fördern die Entstehung von Mythen: Im heutigen Westfalen sind noch niedrige Stollen erhalten, so klein, dass sie wohl nur von zwergenhaften Menschen benutzt werden konnten (oder auf dem Bauch kriechend). Daher hat sich im deutschen Sprachraum die beliebte Sage von den bergbauenden Zwergen entwickelt.

Aber auch die Römer trafen auf Grenzen. 500 v. Chr. waren die Kelten allen anderen Völkern überlegen. Sie fanden direkt unter ihren Füßen einen Stoff, mit dem sich Stahl direkt, ohne lange Verfahren herstellen ließ: Manganeisenerz. Und da sie nun bessere Waffen hatten, als die römischen Legionäre, beherrschten sie eine Zeit lang fast ganz Europa.

Warum aber machten die meisten Völker nach der Entdeckung der Steinbearbeitung einen gewaltigen Satz vorwärts, manche aber nicht? Noch heute gibt es einige wenige Menschengruppen, die leben wie in der Steinzeit und sogar vor den UN um ihr Recht auf diese Lebensweise kämpfen: Amazonas-Indianer, Buschmänner – die San, die Inuit und einige der australischen Aborigines.

Bis noch vor wenigen Jahrzehnten stellte man das gern als Faulheit, mangelnde Intelligenz und Initiative dar. Betrachtet man inzwischen die Nachteile, die wir uns durch den unerbittlichen Fortschritt eingehandelt haben, dann sieht die Sache etwas anders aus. Aber warum nur verspürten sie so gar keinen Drang nach technischer Weiterentwicklung, nach dem Mehr, dem Bequemer, dem Geplanten und Berechenbaren? Aufhören, wenn man genug hat? Wer tut das schon? Was ist genug?

Die Aborigines, seit ca. 30 000 Jahren auf dem australischen Kontinent heimisch, gehören zu den egalitären Kulturen. Sie haben nie feste Machtstrukturen entwickelt und sahen dafür auch keine Notwendigkeit. Das beweist schon ihre Vorstellung von der Erschaffung der Welt. Kein übermächtiger Schöpfergott hat hier in einem Kraftakt alles einfach hingestellt. Am Anfang war Schlamm und Dunkelheit. Dann stiegen die Ahnen vom Himmel, wohlmeinende Tiere, denen sich die naturverbundenen Aborigines besonders nahe fühlten, und sie erschufen die Welt, die Berge, Gewässer und Pflanzen einfach durch ihr Sein und Wandeln. Hier legte sich eines von ihnen zur Ruhe und wurde zum Berg. Dort verspürte eines Durst und sang eine Quelle oder einen Tümpelherbei. So entstanden Meer, Flüsse, Berge und alles was wir heute sehen. Die Schöpfung der Ahnen muss respektiert und durch das Wandern auf den Traumpfaden immer neu gedacht – und also aufs Neue erschaffen werden. Dadurch, dass diese Menschen die Schöpfungsgeschichte oft rituell wiederholt haben, fühlten sie sich eins mit und verantwortlich für die Welt, während die hierarchischen Kulturen sie sich ‘untertan’ gemacht haben.

Obwohl die australischen Ureinwohner in einer extremen Umwelt lebten, passten sie sich ihr an. Sie haben nie versucht, ihrerseits die Lebensbedingungen zu verändern – das was wir ständig tun. Es heißt, sie benötigten für die Erfüllung aller primärer Bedürfnisse, Nahrungssuche und Unterkunft, nur zwei Stunden täglich. Der Rest blieb ihnen zum spielen, tanzen, träumen – welch paradiesische Welt! In diesem Paradies sind sie geblieben, bis die Weißen kamen und sie daraus mit Gewalt vertrieben.

Steine spielen eine besondere Rolle in der Aborigines-Kultur. Aber abgesehen von der Herstellung feinster Beile bearbeiteten sie die Steine nicht. Sie bewunderten ihre naturgegebene Schönheit. Und wer einmal gesehen hat, wie der Ayers Rock, Uluru, im Lichtspiel der untergehenden Sonne seine Farben ändert, von ocker-gelb und gold über brennend rot, über rotbraun, magenta, violett zum tiefschwarz vor dem stern-funkelnden Wüstenhimmel, der kann vielleicht ermessen, dass man hier einer solitären Kraft gegenübersteht, die keine menschliche Verbesserung oder Veränderung verträgt, Die australischen Aboriginals brauchen keine Götter, keine Helden, keine Denkmäler. Aber sie haben ihr Gefühl für die Mächtigkeit der Natur nicht verloren. Uluru ist der größte Monolith der Erde und strahlt eine seltsame Macht aus, die sich sogar einem einigermaßen sensiblen Europäer mitteilt. Abends, in der Stille der Dämmerung, wenn die Sonne hinter den Horizont taucht und die Touristenhorden in ihren Bussen verschwunden sind, dann kann man hören, wie Uluru singt.

Edelsteine oder Gold wurden von den Aborigines nicht besonders hoch geschätzt. Zum Stadium der Metallbearbeitung sind sie nie gelangt, nicht einmal zum Edelsteinschliff, obwohl es Edelsteine gibt auf dem roten Kontinent: Diamanten, Saphire, Rubine, Smaragd und den feurigen Opal, dazu zahlreiche bunte Halbedelsteine. Ihr Schmuck bestand aus geflochtenen Haaren, getrockneten Beeren und Kernen. Sie haben nie ein Streben nach Unvergänglichkeit gekannt, vielleicht, weil sie sich durch die Traumzeit mit der Ewigkeit bereits verbunden fühlten. Sie hatten den Tod nicht so zu fürchten wie wir.

Die einzigen Steine von Wert für die australischen Ureinwohner, waren auffallend geformte Kiesel, bis zu handtellergroß und abgeflacht, die mit Pflanzenfarben bemalt und bestimmten Ritualen zugeordnet waren. Sie symbolisierten die Verbindung zu bestimmten Teilen der Traumzeit, in die auch lebende Menschen in Schlaf oder Trance jederzeit zurückkehren können. Man könnte sagen, auch sie hatten das Bedürfnis, die Vergänglichkeit zu bewältigen, aber sie entwickelten dazu von Anfang an eine andere Strategie als wir: Nicht die Trennung von der Natur und ihre Überwindung, sondern die Bewahrung der Einheit.

Ebenso, wie die Aborigines, haben andere Völker in extremen Umweltbedingungen sich ab einem bestimmten Punkt nicht weiterentwickelt oder, anders ausgedrückt, sich zufrieden gegeben. Aber unsere Welt ist zu klein geworden, der Druck zu groß. Man wird ihnen nicht erlauben, in der selbstgewählten Steinzeit zu verharren. Der Hominide will nicht unbedingt lernen, aber er muss.