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Beschreibung

Übergreifendes Ziel dieses Buchs ist es, Theorie und Praxis bezogen auf kognitive Prozesse und motorische Leistung zu verbinden und hierdurch neue Anregungen sowohl für die Forschung als auch für die Anwendung im Feld zu bieten. Einerseits werden wissenschaftliche Erkenntnisse aus verschiedenen Disziplinen wie der Trainings- und Bewegungswissenschaft, der Neurowissenschaft und der Psychologie beschrieben. Andererseits wird ihre praktische Relevanz anhand von Beispielen aus dem Sport aufgezeigt. Zu Beginn des Buchs werden die neurophysiologischen Prozesse im Zusammenspiel von Kognition und Motorik thematisiert. Themenschwerpunkte sind hier das Zusammenspiel von Wahrnehmungs- und motorischen Prozessen sowie die Wechselwirkung von Kognition und Motorik. Darüber hinaus werden kognitive und motorische Prozesse über die Lebensspanne betrachtet. Ein großer Mehrwert, insbesondere auch für die Sportpraxis, sind die Beiträge zur Anwendung einschließlich diagnostischer Verfahren, Training und Interventionen

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Stefanie Klatt

Bernd Strauß

(Hrsg.)

Kognition und Motorik

Sportpsychologische Grundlagen und Anwendungen im Sport

Sportpsychologie

Band 10

Kognition und Motorik

Prof. Dr. Stefanie Klatt, Prof. Dr. Bernd Strauß (Hrsg.)

Die Reihe wird herausgegeben von:

Prof. Dr. Bernd Strauß, Prof. Dr. Wolfgang Schlicht, Prof. Dr. Jörn Munzert, Prof. Dr. Reinhard Fuchs, Prof. Dr. Anne-Marie Elbe, Prof. Dr. Claudia Voelcker-Rehage

Prof. Dr. Stefanie Klatt (geb. Hüttermann), geb. 1985. 2004 – 2010 Studium der Sportwissenschaft in Köln. 2010 – 2016 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Deutschen Sporthochschule Köln. 2014 Promotion. Seit 2016 Juniorprofessorin und Leiterin der Abteilung Kognitions- und Sportspielforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln. Seit 2017 sportliche und wissenschaftliche Beraterin der Sportstadt Düsseldorf. Seit 2020 Research School Fellow der University of Brighton. 2020/2021 Vertretungsprofessorin und Leiterin des Lehrstuhls Bewegungswissenschaft an der Universität Rostock. Arbeitsschwerpunkte: Trainings- und Bewegungslehre sowie kognitive Diagnostik in den Sportspielen.

Prof. Dr. Bernd Strauß, geb. 1959. 1980 – 1987 Studium der Psychologie in Kiel. 1992 Promotion, 1998 Habilitation. Seit 1998 Professur für Sportpsychologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). Seit 2009 Spitzensportbeauftragter der WWU, von 2001 – 2006 und von 2008 – 2010 Dekan des FB7 an der WWU. Arbeitsschwerpunkte: Expertise, sozialpsychologische Fragen, Forschungsmethoden.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autor_innen bzw. den Herausgeber:innen große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autor:innen bzw. Herausgeber:innen und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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www.hogrefe.de

Umschlagabbildung: © iStock.com by Getty Images / vgajic

Satz: Sabine Rosenfeldt, Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

Format: EPUB

1. Auflage 2022

© 2022 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-3133-8; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-3133-9)

ISBN 978-3-8017-3133-5

https://doi.org/10.1026/03133-000

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Diese Bestimmungen gelten gegebenenfalls auch für zum E-Book gehörende Download-Materialien.

Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

Teil I Neurophysiologische Betrachtung des Zusammenhangs von Kognition und Motorik

1 Neurowissenschaftliche Sichtweise zur Bedeutung der körperlichen Aktivität für kognitive Prozesse und das Gehirn

2 Interhemisphärischer Transfer für kognitive und motorische Leistungen

3 Wechselwirkung von motorischen und kognitiven Prozessen in hierarchisch organisiertem Verhalten

Teil II Zusammenspiel von wahrnehmungsbezogenen und motorischen Prozessen

4 Einfluss von sensorischer Wahrnehmung auf motorisches Verhalten und Leistung

5 Aufmerksamkeitsfokus und sportliche Leistung

6 Embodied Cognition: Zusammenspiel von wahrnehmungsbezogenen und motorischen Prozessen

7 Wahrnehmung und Handlung im Rahmen der ökologischen Theorie

8 Kognitive Grundlagen von Täuschungshandlungen im Sport

Teil III Wechselwirkung von Kognition und Motorik bezogen auf Gesundheit und Leistung

9 Der Zusammenhang von körperlich-sportlicher Aktivität mit Stress und mentaler Gesundheit

10 Wirksamkeit von Bewegung und Sport bei affektiven Störungen

11 Die Bedeutung exekutiver Funktionen für die Selbstregulation des körperlichen Aktivitätsverhaltens

12 Einfluss von Stress auf motorisches Verhalten und Leistung

Teil IV Kognition und Motorik über die Lebensspanne

13 Ganzheitlich gesund aufwachsen: Wie der Zusammenhang von körperlicher Aktivität mit motorischer sowie kognitiver Entwicklung zum Aufbau körperlich-psychischer Gesundheit beiträgt

14 Zusammenhang zwischen motorischer Leistung und exekutiven Funktionen im Kindesalter

15 Motorische Leistungsfähigkeit, Motorische Kompetenz, Selbstkonzept und physische Aktivität im Kindesalter

16 Interaktion von Kognition und Motorik im Hinblick auf das Sturzverhalten älterer Menschen

17 Zusammenhang zwischen körperlicher und geistiger Fitness im Alter

Teil V Diagnostische Verfahren, Training und Interventionen

18 Sportmotorische Testverfahren zur Diagnostik von motorischer Leistungsfähigkeit

19 Einfluss von kognitiven Zusatzaufgaben auf die motorische Kontrolle und das motorische Lernen

20 Entwicklung und Förderung von Exekutiven Funktionen durch Bewegung und Sport: Übungs- und Trainingsvarianten

21 Mentales Training als Bewegungsvorstellung zum motorischen Lernen

Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes

|9|Einführung

Generell werden körperlicher Aktivität und sportlicher Belastung positive Effekte auf die motorische und kognitive Entwicklung zugeschrieben. Obwohl es eine Reihe von empirischen Evidenzen und abgesicherten Befunden über die Wechselwirkung von Kognition und Motorik gibt, werden diese häufig schnell in der Sportwissenschaft, anderen Disziplinen und in der Praxis des Sports übergeneralisiert, auch wenn keine empirischen Ergebnisse dazu vorliegen. Der körperlichen Aktivität und dem Sport im Besonderen werden häufig „Allheilqualitäten“ zugeschrieben, die aber so nicht pauschal zutreffen, sondern differiert und evidenzbasiert geprüft werden müssen. Die Motivation und das Ziel dieses Buchs sind es, das Zusammenspiel von Kognition und Motorik unter Berücksichtigung verschiedener Theorien und Ansätze sowie unterschiedlicher Einflussfaktoren auf motorische und kognitive Prozesse besser zu verstehen.

Der Begriff Kognition (vom lateinischen „cognitio“ für „Erkenntnis“) wird zumeist als Sammelbegriff verwendet zur Beschreibung von Prozessen der Informationsaufnahme, -verarbeitung und -weiterleitung (z. B.: Wahrnehmungs-, Aufmerksamkeits-, Gedächtnis-, Denk-, Entscheidungsprozesse; Achtziger & Gollwitzer, 2010; Beckmann, Fröhlich & Elbe, 2009; J. Heckhausen & H. Heckhausen, 2010). Gerade im Sport nehmen Kognitionen eine bedeutsame Funktion ein, da sie dafür verantwortlich sind, dass in den komplexen und dynamischen Situationen im Sport effektiv gehandelt werden kann und Entscheidungen entsprechend erfolgsorientiert getroffen werden können.

Der Begriff Motorik (vom lateinischen „motor“ für „Beweger“) bezeichnet die Gesamtheit aller willkürlichen Bewegungsvorgänge (Bewegung, willkürliche Muskulatur), die ein Mensch mithilfe seiner Muskulatur ausführt und die sowohl der Stabilisierung der Körperhaltung (Halte- und Stützmotorik; Gleichgewichtsorgane, Haltungssinne) als auch der Ortsveränderung des Körpers (Fortbewegung) oder von Körperteilen (Bewegungs- und Zielmotorik) dienen. Die in diesem Buch vertieft behandelte Sportmotorik beschäftigt sich mit den inneren Mechanismen der Bewegungskontrolle, denen wiederum äußerlich sichtbare Bewegungen zugrunde liegen (Hossner, Müller & Voelcker-Rehage, 2013).

Die Entwicklung motorischer Fähigkeiten und Fertigkeiten geht mit der Entwicklung höherer kognitiver Kompetenzen einher. Dies bedeutet, dass das motorische |10|Leistungsvermögen grundsätzlich von kognitiven Ressourcen abhängt, gleichzeitig sich das motorische Lernen aber auch positiv auf die kognitiven Ressourcen auswirkt. Kognitive und motorische Prozesse bedingen sich demzufolge gegenseitig (z. B.: Budde & Wegner, 2018, McMorris, 2016; Meeusen, Schaefer, Tomporowski & Bailey, 2017).

Übergreifendes Ziel dieses Buchs ist es, Theorie und Praxis bezogen auf kognitive Prozesse und motorische Leistung zu verbinden und hierdurch neue Anregungen sowohl für die Forschung als auch für die Anwendung im Feld zu bieten. Einerseits werden wissenschaftliche Erkenntnisse aus verschiedenen Disziplinen wie der Trainings- und Bewegungswissenschaft, der Neurowissenschaft und der Psychologie beschrieben. Andererseits wird ihre praktische Relevanz anhand von anwendungsbezogenen Beispielen aus dem Sport aufgezeigt.

Ausgewiesene Expert_innen verschiedener sportwissenschaftlicher Disziplinen nähern sich in insgesamt 21 Beiträgen im Buch den Zusammenhängen von Kognition und Motorik und greifen eine Vielzahl von Sichtweisen und Erkenntnisse mit unterschiedlichem Sportbezug auf. Alle Autor_innen sind in Forschung und Lehre im thematischen Feld des Buchs tätig und verfügen darüber hinaus zum großen Teil über langjährige Erfahrungen in der Betreuung und Beratung im (Hoch-)Leistungssport. Eine kurze Vorstellung aller Autor_innen ist am Ende des Buches zu finden. Das Buch richtet sich an Sportpsycholog_innen und Sportwissenschaftler_innen, ebenso an Trainer_innen, Athlet_innen, Verantwortliche im (Leistung-)Sport und Studierende.

Das Buch ist eingeteilt in fünf Teile (I – V), welche jeweils 3 – 5 Beiträge verschiedener Autor_innen beinhalten. Während die einzelnen Beiträge einen kurzen, aktuellen Überblick zu einem Schwerpunktthema geben, werden darüber hinaus Hinweise für Vertiefungen gegeben.

Teil I legt durch die Betrachtung der neurophysiologischen Prozesse im Zusammenspiel von Kognition und Motorik die Basis für die weiteren vier übergreifenden Teile. Leonardo Jost und Petra Jansen beschäftigen sich im Beitrag 1 mit der Bedeutung der körperlichen Aktivität für kognitive Prozesse und das Gehirn sowie der Interaktion der neuronalen Steuerung von Bewegung und Kognition. Stefan Panzer diskutiert in Beitrag 2 Fragen zum interhemisphärischen Transfer von kognitiven und motorischen Leistungen. Im Beitrag 3 des Buchs postulieren Eric Grießbach, Oliver Herbort und Rouwen Cañal-Bruland ein neues Modell hierarchischer Handlungskontrolle, welches verschiedene Möglichkeiten von Wechselwirkungen (Crosstalk) kognitiver und motorischer Prozesse integriert.

Im Teil II des Buchs geht es vorrangig um das Zusammenspiel von wahrnehmungsbezogenen und motorischen Prozessen. Mai Geisen und Stefanie Klatt beschäftigen sich in Beitrag 4 mit den verschiedenen sensorischen Wahrnehmungsprozessen sowie deren Einfluss auf motorisches Verhalten und Leistungsfähigkeiten. |11|Daran anknüpfend befasst sich der Beitrag 5 von Linda Schücker und Bernd Strauß mit dem optimalen Aufmerksamkeitsfokus während der Ausführung von Bewegungen. In Beitrag 6 beleuchten Markus und Mia Raab das Zusammenspiel von wahrnehmungsbezogenen und motorischen Prozessen im Kontext der Embodiment-Theorie. Benjamin Noël und Stefanie Klatt befassen sich in Beitrag 7 mit der ökologischen Theorie und deren Weiterentwicklungen in den letzten Jahren. Im Kontext des Zusammenspiels zwischen der Wahrnehmung fortlaufender Ereignisse und der Realisierung des Handlungsziels geht es im Beitrag 8 von Matthias Weigelt und Iris Güldenpenning um Täuschungshandlungen im Sport. Mit einer Reihe von Praxisbeispielen werden die kognitiven Grundlagen bzw. die mit einer Täuschungshandlung einhergehenden Konflikte bei der Handlungswahrnehmung und Reaktionsauswahl beschrieben.

Teil III fasst vier Beiträge mit dem thematischen Schwerpunkt der Wechselwirkung von Kognition und Motorik bezogen auf Gesundheit und Leistung zusammen. Unter anderem wird in diesem Teil diskutiert, in welcher Art und Weise körperliche Aktivität zur Stärkung der mentalen Gesundheit beiträgt, aber auch negative Auswirkungen mit sich bringt, um die Effekte der Wechselwirkungen zwischen Kognition und Motorik noch besser verstehen zu können. Jana Strahler und Kathrin Wunsch vertiefen in Beitrag 9 den Zusammenhang von körperlich-sportlicher Aktivität mit Stress und mentaler Gesundheit. Dabei gehen sie nicht nur auf Interventionsmaßnahmen zur Gesundheitsförderung und Stressreduktion ein, sondern geben auch einen Ausblick in den Bereich der Prävention und Therapie, einem Feld, in dem körperlich-sportliche Aktivität als Interventionsinhalt genutzt wird. Reinhard Fuchs, Sarah Paganini und Ramona Wurst diskutieren in Beitrag 10 die Wirksamkeit von Bewegung und Sport bei affektiven Störungen. In Beitrag 11 wird von Ines Pfeffer und Tilo Strobach die Bedeutung exekutiver Funktionen für die Selbstregulation des körperlichen Aktivitätsverhaltens aufgezeigt. Die Förderung exekutiver Funktionen wird als sinnvolle Maßnahme zur Unterstützung der Selbstregulation des körperlichen Aktivitätsverhaltens beschrieben mit dem positiven Effekt, dass die körperliche Aktivität gleichzeitig auch die exekutive Funktionsfähigkeit fördern kann. Teil III schließt mit Beitrag 12 von Marie Ottilie Frenkel, Laura Voigt und Yannick Hill ab, welche den Einfluss von Stress auf motorisches Verhalten und Leistung diskutieren. Ausgehend von Stressauslösern im Sport werden zudem Bewertungsprozesse sowie die Stressbewältigung thematisiert.

Teil IV des Buchs schließt fünf Beiträge mit dem thematischen Schwerpunkt zur Kognition und Motorik über verschiedene Lebensabschnittsbereiche ein, wobei der Fokus primär auf Kindern und älteren Menschen liegt. Valentin Benzing, Caterina Pesce und Mirko Wegner beschäftigen sich in Beitrag 13 mit der Fragestellung, wie der Zusammenhang von körperlicher Aktivität mit motorischer sowie kognitiver Entwicklung zum Aufbau körperlich-psychischer Gesundheit beiträgt. Dabei wird die notwendige Förderung sowohl der motorischen Kompetenz als auch der körperlichen Aktivität für eine positive psychosoziale und kognitive Entwick|12|lung thematisiert. In dem anschließenden Beitrag 14 konzentrieren sich Christina Stuhr und Tino Stöckel auf den Zusammenhang zwischen motorischer Leistung und exekutiven Funktionen im Kindesalter und diskutieren mögliche Einflussvariablen. Beitrag 15 von Maike Tietjens, Dennis Dreiskämper und Lena Henning bezieht sich auf die motorische Kompetenz, das Selbstkonzept sowie die physische Aktivität von Kindern. Den Fokus in Beitrag 16 des Buchs legt Nadja Schott auf die kognitiv-motorische Interferenz im Hinblick auf das Sturzverhalten von älteren Menschen. Durch die Zusammenführung der Themenfelder Gang, Kognition und Sturzrisiken gelingt es der Autorin, eine Erklärung über Sturzrisikofaktoren und den Mechanismen des Einflusses einzelner kognitiver Faktoren zu liefern. Claudia Voelker-Rehage und Robert Stojan greifen in Beitrag 17 den Zusammenhang zwischen körperlicher und geistiger Fitness im Alter auf. Es werden zum einen verschiedene Domänen der körperlichen Aktivität/Fitness sowie der geistigen Fitness betrachtet, zum anderen werden Dosis-Wirkungs-Zusammenhänge sowie die Vorteile kombinierter Trainingsinterventionen beleuchtet.

Der abschließende Teil V des Buchs umfasst vier Beiträge zur Anwendung, zu diagnostischen Verfahren sowie zum Training und zu Interventionen mit Fokus auf die in den vorherigen Teilen aufgegriffenen Themenbereiche. In Beitrag 18 geben Annette Worth, Claudia Niessner und Till Utesch einen Überblick über sportmotorische Testverfahren zur Diagnostik von motorischer Leistungsfähigkeit. Inwiefern kognitive Zusatzaufgaben einen Einfluss auf die motorische Kontrolle und das motorische Lernen haben, diskutieren Laura Broeker und Stefan Künzell in Beitrag 19. Dabei zeigen sie, dass es durch akute Doppelaufgabenbelastung einerseits zu einer Leistungsminderung kommen, andererseits ein Doppelaufgabentraining mit einer Leistungssteigerung einhergehen kann. Verschiedene Übungs- und Trainingsvarianten zur Entwicklung und Förderung von exekutiven Funktionen durch Bewegung und Sport werden in Beitrag 20 von Thomas Finkenzeller und Günter Amesberger vorgestellt und kritisch reflektiert. Das Buch schließt mit dem Beitrag 21 von Jörn Munzert und Britta Krüger zum mentalen Training als Bewegungsvorstellung zum motorischen Lernen ab, wobei vor allem spezifische Anwendungsbereiche für den Sport sowie für die motorische Rehabilitation aufgezeigt werden.

Wir wünschen allen Leser_innen dieses Buchs, dass sie Anregungen und Inspirationen für ihre Arbeit in den unterschiedlichen Bereichen des Sports mitnehmen können.

Köln und Münster, im Frühjahr 2022

Stefanie Klatt und

Bernd Strauß

|13|Literatur

Achtziger, A. & Gollwitzer, P. M. (2010). Motivation und Volition im Handlungsverlauf. In J.Heckhausen & H.Heckhausen (Hrsg.). Motivation und Handeln (4. Aufl., S. 309 – 335). Heidelberg: Springer. Crossref

Beckmann, J., Fröhlich, S. & Elbe, A. (2009). Motivation und Volition. W. Schlicht & B. Strauß (Hrsg.). Enzyklopädie der Psychologie. Band 1: Grundlagen der Sportpsychologie (S. 511 – 562). Hogrefe.

Budde, H. & Wegner, M (2018). The exercise effect on mental health: Neurobiological mechanisms. New York: Taylor and Francis.Crossref

Heckhausen, J. & Heckhausen, H. (2010). Motivation und Handeln: Einführung und Überblick. In J.Heckhausen & H.Heckhausen (Hrsg.). Motivation und Handeln (4. Aufl., S. 1 – 10). Berlin: Springer. Crossref

Hossner, E.-J., Müller, H. & Voelcker-Rehage, C. (2013). Koordination sportlicher Bewegungen – Sportmotorik. In:A.Güllich & M.Krüger (Hrsg.). Sport. Das Lehrbuch für das Sportstudium. Bachelor (S. 211 – 267). Berlin: Springer. Crossref

McMorris, T. (2016). Exercise-cognition interaction: Neuroscience perspectives. London: ElsevierCrossref

Meeusen, R., Schaefer, S., Tomporowski, P., & Bailey, R. (2017). Physical activity and educational achievement: Insights from exercise neuroscience. London: Routledge. Crossref

|15|Teil INeurophysiologische Betrachtung des Zusammenhangs von Kognition und Motorik

|17|1 Neurowissenschaftliche Sichtweise zur Bedeutung der körperlichen Aktivität für kognitive Prozesse und das Gehirn

Leonardo Jost & Petra Jansen

Zusammenfassung

Dass es eine Wechselwirkung zwischen Motorik und Kognition gibt, ist mittlerweile vielfach belegt. Doch viele Details dieses Zusammenhangs sowie die zugrundeliegenden Mechanismen sind nicht ganz klar. Eine Ursachenforschung kommt um die Betrachtung der neuronalen Prozesse nicht umhin. In diesem Beitrag soll eine Übersicht über einige aktuelle Erkenntnisse und Theorien der neurowissenschaftlichen Sichtweise zur Bedeutung der körperlichen Aktivität für kognitive Prozesse und das Gehirn gegeben werden. In den folgenden Abschnitten soll kurz dargestellt werden, wie das Gehirn die Wechselwirkung zwischen körperlicher Aktivität und Kognition beeinflussen kann, welche Wirkungen von körperlicher Aktivität auf das Gehirn bekannt sind und wie die neuronale Steuerung von Bewegung und Kognition interagieren kann. Während es in allen Bereichen interessante Erkenntnisse gibt, besteht noch erheblicher Forschungs- und Diskussionsbedarf, um diese Erkenntnisse einzuordnen und komplexere Zusammenhänge zu verstehen.

1.1 Einleitung

Die neurowissenschaftliche Sichtweise der Bedeutung der körperlichen Aktivität für kognitive Prozesse und das Gehirn ist komplex. Als Grund hierfür ist die Spannweite der Begriffe zu nennen. Sowohl in den körperlichen als auch in den kognitiven Aktivitäten gibt es viele Erscheinungsformen und Klassifikationen, die in der Wissenschaft diskutiert werden. So können körperliche Aktivitäten unter anderem durch die Intensität und die Dauer parametrisiert werden und es erfolgt eine Abgrenzung und Zuordnung von einzelnen motorischen Fertigkeiten zu übergeordneten motorischen Fähigkeiten, die ihrerseits wieder in teilweise überschneidende Untergliederungen eingeteilt sind. Darüber hinaus gibt es auch nicht DIE |18|Kognition – vielmehr sprechen wir von der Wahrnehmungsfähigkeit, der Aufmerksamkeit, dem Denken, dem Gedächtnis, den mentalen Vorstellungen, der Sprache oder den vielzitierten exekutiven Funktionen, die die Prozesse des Arbeitsgedächtnisses der Inhibition und der kognitiven Flexibilität umfassen (siehe Jansen & Richter, 2016). Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen und insbesondere innerhalb einer Kategorie weiter differenzieren, so gibt es z. B. nicht DAS Gedächtnis, sondern zahlreiche Dichotomien.

Die Forschung zum komplexen Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und den kognitiven Prozessen findet typischerweise auf zwei Ebenen statt. Auf der Verhaltensebene wird oftmals die kognitive Leistung gemessen und in quasi-experimentellen Designs zwischen Probanden mit unterschiedlichem Fitnesslevel oder in experimentellen Designs nach verschiedenen sportlichen Interventionen verglichen. In der anderen Richtung, die deutlich weniger Beachtung findet, wird die körperliche Leistung im Zusammenhang mit kognitiven Leistungen oder Interventionen untersucht. Auf der zweiten, der neuronalen Ebene, werden die Wirkungen von körperlicher und kognitiver Aktivität auf die Gehirnaktivität und Gehirnstrukturen untersucht. Auch die Interaktion der beiden Ebenen ist ein wichtiges Thema in der Motorik-Kognitionsforschung, bei dem jedoch noch erheblicher Forschungsbedarf besteht.

1.2 Der Einfluss von körperlicher Aktivität auf die Kognition

Auf der Verhaltensebene scheint der Einfluss der körperlichen Aktivität auf verschiedene kognitive Fähigkeiten belegt zu sein. So zeigen sich Verbesserungen in den visuell-räumlichen Fähigkeiten (Pietsch, Böttcher & Jansen, 2017; Voyer & Jansen, 2017) und den exekutiven Funktionen, wie z. B. in einer Meta-Analyse bei Kindern vor der Pubertät (de Greeff, Bosker, Oosterlaan, Visscher & Hartman, 2018) oder mit einem geringen Effekt bei älteren Menschen (Chen et al., 2020) dargestellt wurde. Diese Effekte finden sich sowohl nach kurzfristiger (Oberste et al., 2019) als auch nach langfristiger körperlicher Aktivität (Heinze et al., 2021).

Eine gängige Annahme aus diesen Erkenntnissen ist, dass die Bewegung selbst diese Veränderungen hervorruft. In einer aktuellen Analyse von Diamond und Ling (2016, 2019) belegen die Autoren aber, dass diese Effekte eher gering sind. Die Verbesserung der exekutiven Funktionen könnte demnach viel stärker durch kognitive Vorgänge beeinflusst werden, die mit der körperlichen Aktivität einhergehen. So zeigten sich größere Verbesserungen bei Sportinterventionen, wenn diese z. B. stärkere technische oder taktische Aspekte enthielten, die im Gegensatz zu einem einfachen Ausdauer- oder Krafttraining kompliziertere Bewegungen und auch die notwendige kognitive Flexibilität zur Auswahl einer situations|19|gerechten Handlung benötigen. Daneben gibt es noch andere indirekte Ursachen wie eine verbesserte Stimmung, Stress oder Schlaf, die durch Sport verändert werden und unsere Kognition beeinflussen. Die Diskussion mit Hillman, McAuley, Erickson, Liu-Ambrose und Kramer (2019) weist jedoch auf einen notwendigen Forschungsbedarf zur Klärung dieser Fragestellungen hin.

1.3 Die Rolle des Gehirns bei der Untersuchung des Zusammenhanges zwischen körperlicher Aktivität und Kognition

In vielen Studien wurde bislang der Einfluss der körperlichen Aktivität auf die Prozesse im Gehirn und die Kognition untersucht. In einem Review-Artikel verdeutlichen Stillman und Erickson (2018), dass das Gehirn in diesem Zusammenhang in verschiedenen Rollen betrachtet werden muss. Die Gehirnstruktur und -funktion werden nicht nur durch unser Verhalten beeinflusst, sie können auch den Zusammenhang zwischen Bewegung und Kognition mediieren. Daneben steuert unser Gehirn unser Verhalten und aus den Eigenschaften unseres Gehirns können Vorhersagen über zukünftiges Verhalten abgeleitet werden. Abbildung 1 verdeutlicht, dass das Gehirn als Outcome betrachtet werden kann, aber auch als Mediator und Prädiktor.

Die Rolle des Gehirns als Outcome von körperlicher Aktivität wurde in verschiedenen Studien thematisiert. So zeigt sich zum Beispiel eine Korrelation zwischen körperlicher Fitness und der Gehirnstruktur und -funktion. Die Kausalität dieses Zusammenhangs ergibt sich aus randomisiert-kontrollierten Studien, in denen Teilnehmende einer Fitnessintervention eine signifikante Veränderung der Gehirnstruktur im Vergleich zu einer Kontrollgruppe aufweisen (Stillman & Erickson, 2018). Es ist jedoch zu beachten, dass keine Messmethode alle Eigenschaften des Gehirns und damit alle Einflüsse von körperlicher Aktivität auf das Gehirn erfassen kann. Insgesamt lässt sich mittels bildgebender Verfahren in quasi-experimentellen Untersuchungen der Einfluss langjähriger verschiedenartiger körperlicher Aktivität auf die Veränderungen im Gehirn untersuchen (z. B., Hänggi et al., 2015; Huang, Lu, Song & Wang, 2015; Niemann, Godde & Voelcker-Rehage, 2016). Die Ergebnisse sind jedoch differenziert zu betrachten und von der Art der körperlichen Aktivität bzw. der Sportart abhängig. So traten z. B. in einer Studie mit Handballspielerinnen (Hänggi et al., 2015) Unterschiede in der grauen und weißen Substanz zwischen den Handballspielerinnen und den Teilnehmerinnen in der Kontrollgruppe in jenen Arealen auf, die mit der motorischen und somatosensorischen Kontrolle der Hände assoziiert sind. Während die graue Substanz zumeist aus Zellkörpern aufgebaut ist und im Kortex die weiße Substanz umgibt, besteht letztgenannte hauptsächlich aus myelinisierten Axonen.

|20|

Abbildung 1: Beschreibung unterschiedlicher Wege, in welchen das Gehirn im Kontext der körperlichen Aktivität konzeptualisiert werden kann. A) Das Gehirn als Outcome, B) das Gehirn als Moderator der durch die körperliche Aktivität erzeugten kognitiven Veränderungen und C) das Gehirn als Prädiktor für die körperliche Aktivität aufgrund von kognitiven und psychologischen Charakteristika (als auftauchende Eigenschaften der Gehirnfunktion). Moderatoren, wie das Geschlecht, die Genetik oder Baseline- Charakteristika der Teilnehmer und Teilnehmerinnen (z. B. Fitnesslevel) können die Beziehung bei jeder Stufe moderieren (nach Stillman & Erickson, 2018).

Betrachtet man die Wirkung von körperlicher Aktivität auf die Kognition, so stellt sich in Mediationsanalysen heraus, dass ebendiese hervorgerufenen Veränderungen des Gehirns die Kognition beeinflussen und damit den Zusammenhang mediieren. Hier wurden bisher das lokale Volumen an grauer Gehirnsubstanz, die Mikrostruktur der weißen Gehirnsubstanz und die funktionale Gehirnaktivität als mediierende Variablen identifiziert. Coen, Lawlor und Kenny (2011) sowie Diamond und Ling (2019) weisen jedoch darauf hin, dass diese Ergebnisse mit Vorsicht betrachtet werden sollten. Es ist möglich, dass die Veränderungen der Gehirnstruktur und kognitive Verbesserungen unabhängig voneinander auftreten und bisherige Forschungsarbeiten belegen noch keinen kausalen Zusammenhang.

|21|Die Struktur des Gehirns beeinflusst aber nicht nur die Kognition, sondern auch unser Verhalten. So wird bei der Betrachtungsweise des Gehirns als Prädiktor davon ausgegangen, dass bestimmte Mechanismen im Gehirn gesundes Verhalten, wie z. B. das Engagement zu mehr körperlicher Aktivität vorhersagen. In diesem Zusammenhang zeigten Best, Chiu, Hall und Liu-Ambrose (2017), dass eine größere Masse der grauen Substanz im lateralen Präfrontalen Kortex die Compliance der Teilnahme an körperlicher Aktivität vorhersagt. Dies verdeutlicht, dass eben nicht nur die körperliche Aktivität auf das Gehirn wirkt, sondern auch das Gehirn auf die körperliche Aktivität.

1.4 Einfluss der körperlichen Aktivität auf das Gehirn unter Berücksichtigung unterschiedlicher Mechanismen

Während Einflüsse von körperlicher Aktivität auf das Gehirn bereits vielfach beobachtet wurden, ist noch nicht im Detail bekannt, wieso und an welchen Stellen sich das Gehirn verändert. Stillman et al. (2021) haben in einer Übersichtsarbeit die Erkenntnisse zu randomisiert-kontrollierten Studien zusammengefasst und dabei versucht, verschiedene Mechanismen zu differenzieren. So kann die neurowissenschaftliche Bedeutung der körperlichen Aktivität auf unterschiedlichen Stufen betrachtet werden: a) auf der Stufe der Zellen und der molekularen Signalverarbeitungswege, b) der Stufe der Gehirnstruktur und Funktion und c) der Stufe der mentalen Zustände und des Verhaltens (siehe Abbildung 2). Gerade die ersten beiden Stufen sind in diesem Beitrag interessant und werden weiter ausgeführt. Wie in Abbildung 2 verdeutlicht, muss jedoch nicht nur zwischen den drei Stufen, sondern auch nach dem Alter differenziert werden, da es wahrscheinlich ist, dass altersbedingte neurologische Veränderungen mit den genannten Mechanismen interagieren. Insgesamt offenbaren sich in dem aktuellen Forschungsstand aber noch einige Lücken. Darüber hinaus fehlen auch Forschungsarbeiten, die sich mit der Interaktion zwischen den verschiedenen Stufen oder auch mit neurologischen Erkrankungen auseinandersetzen.

1.4.1 Effekte der körperlichen Aktivität auf zelluläre und molekulare Mechanismen

Bereits in tierexperimentellen Studien konnte belegt werden, dass aerobe körperliche Aktivität zu biochemischen Veränderungen im Gehirn der Tiere führt (van Praag, 2008). Bei Studien mit Menschen hat man sich hauptsächlich auf die Untersuchung des Nervenwachstums-Faktors, BDNF (brain-derived neurotrophic |22|factor), und des insulinartigen Wachstumsfaktors (IGF-1) konzentriert. Auch wenn es einige Inkonsistenzen bzgl. der Ergebnisse über die einzelnen Studien hinweg gibt, ließ sich ein Anstieg des BDNF nach einer längeren Zeit der körperlichen Aktivität bei Kindern, Jugendlichen, jüngeren und älteren Erwachsenen, aber auch bei Patienten mit Alzheimer oder anderen psychischen Erkrankungen beobachten. Bei älteren Erwachsenen zeigte sich auch ein Anstieg des IGF-1.

Abbildung 2: Evidenzbasierte Mechanismen der Wirkung von körperlicher Aktivität auf die Kognition über drei verschiedene Stufen der Analyse und getrennt nach Altersgruppen, um Muster und existierende Lücken aufzuzeigen. Die Lücken kennzeichnen eine für gesicherte Erkenntnisse noch nicht ausreichende Studienlage. Abkürzungen: BDNF: brain-derived neurotrophic factor; IGF-1: insulin-like growth factor 1. (nach Stillman et al., 2021)

Im Gegensatz zu tierexperimentellen Studien können diese biochemischen Veränderungen bei Menschen jedoch nicht in vivo sondern nur indirekt gemessen werden, wodurch eine höhere Fehleranfälligkeit entsteht. Bei der Beurteilung der Veränderung der zellulären und molekularen Mechanismen nach den sogenannten chronischen Effekten müssen zudem auch andere mögliche moderierende Mechanismen, wie eine Veränderung in der zellulären Signaltransduktion, mit bedacht werden. Der Einfluss des BDNF auf die Kognition bei kürzeren Interventionen ist darüber hinaus auch kritisch zu betrachten, denn die körperliche Aktivität bedingt weitere körperliche Veränderungen. Hierzu zählt z. B. ein Anstieg des Blutflusses oder der Neurotransmitter und eine größere Konnektivität in dem Aufmerksamkeitsnetzwerk (Walsh, Smith, Northey, Rattray & Cherbuin, 2020), Fak|23|toren, die ebenfalls einen vermittelnden Einfluss in der Beziehung zwischen körperlicher Aktivität und dem Gehirn haben können.

1.4.2 Effekte der körperlichen Aktivität auf die Funktion und die Struktur des Gehirns

Die Arbeiten lassen sich hinsichtlich ihres Einflusses auf die graue und weiße Substanz unterscheiden. Vorab ist jedoch anzumerken, dass es in beiden Bereichen an randomisiert-kontrollierten Studien fehlt. Viele Erkenntnisse basieren auf korrelativen Analysen und sollten daher mit Vorsicht betrachtet werden.

Bezogen auf die graue Substanz spielt insbesondere der Hippocampus bei der Untersuchung des Einflusses der körperlichen Aktivität auf die Funktion und die Struktur des Gehirns eine prominente Rolle. In einer Meta-Analyse, in welcher zum Schluss 14 Interventionsstudien mit unterschiedlichen Kontrollbedingungen bei erwachsenen Probanden eingeschlossen wurden, ergaben sich nur nicht-signifikante Effekte der aeroben Aktivität auf das gesamte Volumen des Hippocampus. Eine weitere Analyse der neun Studien, die die Veränderungen im linken und rechten Hippocampus getrennt betrachteten, erwies, dass aerobe Aktivität die Neurodegeneration im linken Hippocampus reduzieren konnte, jedoch zu keinem Wachstum führte. Dieses Ergebnis war unabhängig von dem Alter der an der Studie teilnehmenden Personen. Bei den älteren Probanden zeigte sich diese Verminderung der Abnahme des Volumens zusätzlich auch im rechten Hippocampus nach der körperlichen Aktivität (Firth, et al., 2018). Neben der Wirkung auf den Hippocampus wird davon ausgegangen, dass mindestens 80 % der grauen Substanz durch körperliche Aktivität veränderbar ist. Speziell ergeben sich Veränderungen im kortikalen Volumen und der kortikalen Dicke in den frontalen, parietalen und temporalen Kortexarealen (Batouli & Saba, 2017).

Hinsichtlich des Einflusses der körperlichen Aktivität und Fitness auf die weiße Substanz zeigte eine Metaanalyse von Arbeiten mit älteren Personen, dass eine höhere körperliche Aktivität und Fitness mit einem größeren globalen Volumen der weißen Substanz einhergeht und einem geringeren globalen Volumen von Läsionen in der weißen Substanz, auch wenn die Effektstärke gering war und die anatomische Spezifität noch weiter untersucht werden muss (Sexton et al., 2016).

|24|1.4.3 Effekte der körperlichen Aktivität auf das Zusammenspiel zwischen den molekularen Mechanismen und der Funktion und Struktur des Gehirns

In einigen Studien wurden die Erkenntnisse zu den molekularen Mechanismen und den Veränderungen im Gehirn korreliert. In einer randomisiert-kontrollierten Studie eines aeroben Trainings im Vergleich zu einem Beweglichkeitstraining mit älteren Menschen zeigten Erickson et al. (2011), dass sich die Größe des anterioren Hippocampus vergrößerte, und diese Vergrößerung mit der räumlichen Gedächtnisleistung und der Erhöhung des BDNF-Faktors korrelierte. Bei den Personen aus der Kontrollgruppe verringerte sich das Hippocampusvolumen, wobei eine höhere Fitness vor der Intervention diesen Effekt abschwächte. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit der Annahme, dass die zirkulierenden Spiegel der molekularen Faktoren den Einfluss der körperlichen Aktivität auf die Gehirnstruktur mediieren. Dabei ist es jedoch wichtig, das Grundlevel der molekularen Mechanismen mit einzubeziehen. So war in einer Walking-Gruppe älterer Personen ein höherer vaskulärer endothelialer Wachstumsfaktor (VEGF) mit einem Anstieg der funktionalen Konnektivität im Temporallappen assoziiert (Voss et al., 2013).

1.5 Die Rolle der Muskeln

Da Muskelaktivität eine notwendige Voraussetzung für Bewegung ist, muss der Zusammenhang zur Gehirnfunktion betrachtet werden (Pedersen, 2019). Während der körperlichen Aktivität kommunizieren die Skelettmuskeln mit anderen Organen durch die Produktion und die Freilassung der Myokine. Diese mediieren die Signalverarbeitung im Muskel und die Weitergabe des Signals an verschiedene Organe wie die Leber, den Darm, die Bauchspeicheldrüse, das Fettgewebe, die Knochen, das Gefäßsystem und die Haut. In Experimenten konnte gezeigt werden, dass die körperliche Aktivität die Produktion des Myokins Cathepsin B erhöht. Cathepsin B kann die Blut-Hirn-Schranke passieren, wo es zu einer Erhöhung des BDNF führt, welches wiederum die Neurogenese im Hippocampus stimuliert und dadurch die Kognition beeinflusst (Moon et al., 2016). Darüber hinaus induziert die körperliche Aktivität die Erhöhung der Regulation des Proteins PGC1α im Muskel, welches viele metabolische Prozesse im Muskel mediiert und unter anderem zu einem Anstieg des Membranproteins FNDC5 führt, das als Myokin Irisin im Blut zirkuliert. Eine erhöhte FNDC5 Gen-Expression im Gehirn wiederum führt zu einer Erhöhung des BDNF mit den bekannten positiven Aspekten. Unklarheit herrscht jedoch noch darüber, ob und inwiefern die FNDC5 Expressionen im Gehirn und im Muskel und das zirkulierende Irisin im Blut sich tatsächlich beeinflussen. Eine weitere Möglichkeit des Einflusses der Muskeln auf |25|das Gehirn ergibt sich aus dem Tryptophanstoffwechsel. Tryptophan ist eine wichtige Aminosäure in der Proteinsynthese, die jedoch in bis zu 95 % zu Kynurenin metabolisiert wird. Ein hohes Level von Kynurenin führt zur Depression. Eine Überausschüttung von PGC1α führt zu einer Veränderung im Kynureninmetabolismus, indem das Enzym Kynurenin-Aminotransferase frei gegeben wird und das neurotoxische Kynurenin in die neuroprotektive Kynureninsäure umwandelt und so vor einer Depression schützt. Dieser Anstieg der Kynureninsäure im Blut wurde nach einem extensiven Ausdauertraining auch beim Menschen gefunden (Lewis et al., 2010).

All diese Erkenntnisse belegen, dass es einen endokrinen Kreislauf zwischen den Muskeln und dem Gehirn gibt. Die durch die körperliche Aktivität ausgeschütteten Myokine verändern die Funktion des Hippocampus direkt oder durch ein verändertes BDNF-Level. Darüberhinaus wird auch das Myokin IL-6 in den Muskeln produziert und mit der körperlichen Aktivität in den Blutkreislauf übergegeben, der Spiegel im Blut steigert sich exponentiell mit der Dauer der körperlichen Aktivität. IL-6 kann die Blut-Hirn-Schranke passieren und die Glukosetoleranz verbessern. Das Wissen um diese Mechanismen, sowie darüber hinaus das Wissen über den Einfluss der körperlichen Aktivität auf das Gehirn über das Fettgewebe und die Leber, werden es ermöglichen, die Art, die Dauer, und die Intensität der körperlichen Aktivität zu bestimmen, um die geeignete körperliche Aktivität für die Prävention und Rehabilitation verschiedener Krankheiten zu bestimmen (Pedersen, 2019).

1.6 Interaktionsprozesse bei gleichzeitiger körperlicher und kognitiver Aktivität

Viele der zuvor berichteten Studien beziehen sich auf die Erkenntnisse nach der Durchführung einer sportlichen Aktivität. Wie sieht es jedoch mit der kognitiven Leistung während der Durchführung der körperlichen Aktivität aus?

Da sowohl kognitive als auch körperliche Leistungen das Gehirn beanspruchen, erscheint es grundsätzlich plausibel, dass sie sich gegenseitig beeinträchtigen. Dementsprechend gibt es theoretische Modelle, die von begrenzten Ressourcen in Form von Aufmerksamkeit oder Selbstkontrolle ausgehen (Baumeister, Vohs & Tice, 2007). Die von diesen Modellen vorhergesagte verringerte Leistung zeigt sich in vielen Dual-Task-Studien, bei denen gleichzeitig eine kognitive und eine motorische Aufgabe ausgeführt werden müssen. Dieser Effekt der Dual-Task-Kosten ist am größten bei einer Kombination von Aufgaben, die aufmerksam gelöst werden müssen wie z. B. koordinative Bewegungsaufgaben und Gedächtnisaufgaben und bei älteren Menschen, für die selbst einfachere motorische Aufgaben vergleichsweise anspruchsvoll sind (Riby, Perfect & Stollery, 2004; |26|Schäfer, Huxhold & Lindenberger, 2006). Einen ergänzenden Ansatz für die geringeren Kosten und teilweise sogar positiven Effekte bei einfachen Aufgaben bietet das Retikuläre-Aktivierungs-Hypofrontalitäts- (RAH) Modell (Dietrich & Audiffen, 2011). Dieses Modell unterscheidet stärker zwischen expliziten Aufgaben, also solchen, die aktive Aufmerksamkeit benötigen, und impliziten Aufgaben, die automatisiert gelöst werden können. Implizite und explizite Aufgaben werden von unterschiedlichen Gehirnarealen gesteuert, die beide limitierte metabolische Ressourcen benötigen. Eine Beanspruchung eines Systems führt also zu einer reduzierten Leistung des anderen Systems. Eine Besonderheit an dieser Stelle ist, dass die Ressourcenallokation an die zwei Systeme im Gegensatz zur Möglichkeit einer willkürlichen Priorisierung unserer Aufmerksamkeit auf eine Aufgabe unbewusst erfolgt. Außerdem profitieren alle impliziten Aufgaben von einer Stärkung des impliziten Systems im Vergleich zu einer notwendigen Aufteilung unserer Aufmerksamkeit bei mehreren expliziten Aufgaben.

Während die meisten theoretischen Modelle auf einer Wirkung von körperlicher Aktivität auf die Kognition und auf Messungen der kognitiven Leistung basieren, sind die theoretischen Beeinträchtigungen durch die Allokation der neuronalen Ressourcen prinzipiell ungerichtet. Eine neue Studie von Jost, Weishäupl und Jansen (2021) deutet darauf hin, dass auch explizite kognitive Aufgaben, ebenso implizite motorische Aufgaben beeinträchtigen können. Es zeigte sich, dass die Herzfrequenz beim (automatisierten) Fahrradfahren höher war, während gleichzeitig eine explizite kognitive Aufgabe gelöst werden musste, als man nach der Leistung und der Trittfrequenz erwartet hätte. Darüber hinaus sind die Vorhersagen der Modelle auch nicht an eine körperliche und gleichzeitig durchgeführte kognitive Aufgabe geknüpft, sondern es kann sich auch um zwei kognitive oder zwei motorische Aufgaben handeln. Dies deckt sich mit einer wechselseitigen Beeinträchtigung bei der gleichzeitigen Ausführung mehrerer kognitiver Aufgaben (Riby et al., 2004).

Die oben beschriebenen Modelle basieren bisher nur auf Messungen der prognostizierten Auswirkungen der neuronalen Ressourcenkonflikte auf die Leistung. Eine empirische Validierung benötigt bildgebende Verfahren, in welchen mögliche neuronale Veränderungen im Gehirn bei der gleichzeitigen Ausführung einer motorischen und kognitiven Aufgabe registriert werden. Eine sehr vielversprechende Untersuchungsmethode für diese Aufgabenstellung ist die funktionelle Nahinfrarotspektroskopie (fNIRS). Hierbei werden die durch die neurovaskuläre Kopplung ausgelösten Veränderungen der optischen Eigenschaften des Hirngewebes erfasst, d. h. die regionale Konzentrationsveränderung des oxygenierten Hämoglobins (oxyHb) und des deoxygenierten Hämoglobins (deoxyHb) werden gemessen und somit Rückschlüsse auf die Hirnaktivität in den untersuchten Hirnarealen gezogen (Böcker, 2021). Die Aktivierung des Präfrontalen Kortex bei dem Lösen einer kognitiven Aufgabe bei einer vorherigen körperlichen Aktivität war von der Art der körperlichen Aktivität abhängig, z. B. |27|zeigte sich eine geringere TOI (tissue oxygenation, oxyHv Konzentration/Gesamt Hämoglobin Konzentration) im Präfrontalen Kortex nach einem sehr intensiven Krafttraining verglichen mit einer moderaten aeroben Aktivität oder keiner Aktivierung. fNIRS Studien bei der gleichzeitigen Ausführung einer sportlichen und kognitiven Tätigkeit sind (noch) eher selten. Bislang wird fNIRS aber in dual-task Aufgaben verwendet, bei welchen eine einfache motorische Aufgabe, wie das Gehen oder die Balanceaufrechterhaltung gefordert werden. Die meisten Studien zeigen einen Anstieg der Aktivierung im Präfrontalen Kortex z. B. bei gesunden älteren Menschen (Udina et al., 2020). Trotz dieser vielversprechenden Ergebnisse bedarf es weiterer technischer Verbesserungen, um die Veränderung des Blutflusses im Gehirn während gleichzeitiger anstrengender kognitiver und sportlicher Aktivität messen zu können. Darüber hinaus müssen andere mögliche Komplikationen, wie physiologische Veränderungen (z. B. in der Herzfrequenz), Bewegungsartefakte und der Einfluss der Haltung mitbedacht werden (Herold, Wiegel, Scholkmann & Müller, 2018).

1.7 Fazit

Zahlreiche Studien belegen einen Zusammenhang sowohl auf neuronaler als auch der Verhaltensebene zwischen körperlicher Aktivität und Kognition. Gerade die exekutiven Funktionen werden in diesem Zusammenhang immer wieder genannt. Hierbei wird zumeist der Einfluss der körperlichen Aktivität auf eben diese exekutiven Funktionen untersucht. Viel weniger bekannt ist, dass auch eine Verbesserung der exekutiven Funktionen unser Bewegungsverhalten positiv beeinflussen kann (Audriffen & Andre, 2019) und es sich somit um einen Kreislauf handelt. Trotz der zahlreichen positiven Befunde der körperlichen Aktivität auf die Kognition, darf nicht vergessen werden, dass körperliche Aktivität nur eine Möglichkeit der „Kognitionssteigerung“ ist, und wie von Diamond und Ling (2016, 2019) beschrieben, vielleicht die am wenigsten effektivste, verglichen mit einem spezifischen kognitiven Training oder einer bewegungsbasierten Achtsamkeitsform. Während also grundsätzliche Zusammenhänge bereits bekannt sind, besteht noch viel Forschungsbedarf, um zwischen verschiedenen neuronalen und kognitiven Wirkungen unterschiedlicher Interventionen differenzieren zu können.

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|31|2 Interhemisphärischer Transfer für kognitive und motorische Leistungen

Stefan Panzer

Zusammenfassung

Das Großhirn, welches u. a. an der Planung von Handlungen beteiligt ist und die verhaltenswirksame Kontrolle der Handlung übernimmt, ist in zwei Hemisphären unterteilt. Für die Planung sind kognitive Leistungen wichtig, wie bspw. die Entscheidung, welche Handlung ich unter einer Vielzahl von möglichen auswähle. Für die verhaltenswirksame Kontrolle der Handlungen sind kognitive und motorische Leistungen von Bedeutung, wie die Ansteuerung der Muskulatur sowie die Registrierung der Positionen von Gliedmaßen im Raum über die sensorischen Systeme. Dabei sind die beiden Hemisphären auf die Verarbeitung bestimmter Informationen für kognitive und motorische Leistungen funktional spezialisiert. Für das Zustandekommen vieler Handlungen ist es jedoch notwendig, dass beide Hemisphären miteinander in Verbindung treten. Die beiden Hemisphären werden dieser Aufgabe gerecht über den interhemisphärischen Transfer. Über die neuronale Struktur des Corpus Callosum erfolgt der Informationsaustausch zwischen den beiden Hemisphären. Durch den funktionierenden Informationsaustausch erlangen wir das subjektive Gefühl, dass die kognitiven und motorischen Prozesse der beiden Hemisphären so integriert sind, dass wir unsere Handlungsziele erreichen.

2.1 Einleitung

Als interhemisphärischer Transfer wird der Informationsaustausch zwischen den beiden Großhirnhälften/Hemisphären verstanden (Kandel, Schwartz & Jessell, 2000). Der Informationsaustausch zwischen der linken und der rechten Hemisphäre ist aufgrund der Lateralisierung und funktionalen Spezialisierung von kognitiven und motorischen Funktionen ein integrativer Bestandteil zur Aufrechterhaltung eines optimalen Funktionszustandes des menschlichen Körpers bzw. |32|dessen Leistungen (Sainburg, 2005). Eine funktionale Spezialisierung äußert sich in Leistungsunterschieden zwischen den beiden Hemisphären. Operationalisiert werden die Leistungsunterschiede über die bevorzugte Verarbeitung von Informationen. Die wichtigste neuroanatomische Verbindung zwischen den beiden Großhirnhälften ist das Corpus Callosum, eine querverlaufende Faserverbindung der weißen Substanz des Zentralnervensystems. Das Corpus Callosum übernimmt damit eine substanzielle Funktion für den interhemisphärischen Transfer. Ein illustratives Beispiel für die Notwendigkeit eines interhemisphärischen Transfers findet sich in der bimanuellen Koordination. Da die beiden Großhirnhälften jeweils für die Kontrolle der kontralateralen Körperseite zuständig sind, ist es für die Zielerreichung der Aufgabe notwendig, dass Informationen zwischen der rechten und linken Großhirnhälfte ausgetauscht werden (Swinnen & Gooijers, 2015). Beim beidhändigen Fangen eines Balles müssen linke und rechte Hand als funktionale Einheit für die Zielerreichung der Aufgabe zusammenarbeiten.

Die Übertragung von Informationen von einer Körperseite auf die andere wurde schon Mitte des 19. Jahrhunderts beobachtet. Der Physiologe Ernst Heinrich Weber registrierte, dass seine Kinder Buchstaben mit der geübten dominanten Hand spiegelbildlich auch mit der ungeübten nicht-dominanten Hand schreiben konnten (Weber 1844; zitiert nach Fechner, 1858). Dies veranlasste Weber zu der Vermutung, dass sich die beiden Großhirnhälften spiegelbildlich entwickeln. In den Folgejahren stimulierten u. a. solche phänomenologischen Beschreibungen die Forschung zum interhemisphärischen Transfer und zur funktionalen Spezialisierung der beiden Großhirnhälften. Der Neurologe Hugo Karl Liepmann konnte in umfangreichen Läsionsstudien mit Patienten zeigen, dass die linke Hemisphäre einen wesentlichen Beitrag zur Kontrolle motorischer Handlungen leistet. Die Ergebnisse der Forschung gaben einen wichtigen Hinweis für die cerebrale Lateralisierung von bestimmten Funktionen menschlicher Verhaltensäußerungen (Liepmann, 1908). Einen wesentlichen Beitrag zur Bedeutung des interhemisphärischen Transfers für die Aufrechterhaltung des Funktionszustandes kognitiver Verhaltensäußerungen wie der Sprache bzw. für die Koordination von Bewegungen lieferten Ergebnisse aus der Neuropsychologie. In den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts arbeiteten Roger Sperry und seine Kollegen mit unkurierbaren Epilepsiepatienten. Mit der Durchtrennung des Corpus Callosum und der kleineren anterioren Kommissur (Kommissurotomie) zeigten die Patienten keine epileptischen Anfälle mehr (Sperry, 1968). Als Folge der Diskonnektion des Corpus Callosum arbeiteten nun die beiden Hemisphären unabhängig voneinander. Mit der Technik der Stimulus-Lateralisierung in der linken und rechten Gesichtshälfte konnte Gazzaniga (2000) bei Patienten_innen nach einer Kommissurotomie verhaltensauffällige Nebeneffekte aufdecken. In den Versuchsanordnungen wurde den Patienten_innen in der linken Hemisphäre ein Wort signalisiert, welches ein Objekt beschrieb. Danach wurden die Patienten_innen aufgefordert, das Wort zu wiederholen bzw. zu schreiben. Beides funktionierte tadellos. Signalisierte man |33|die Wörter in der rechten Hemisphäre, so waren die Patienten_innen nicht in der Lage, das Wort zu sprechen oder zu schreiben. Wurde jedoch die Art der Präsentation geändert, indem man nicht das Wort in der rechten Hemisphäre signalisierte, sondern das Objekt selbst, dann griffen die Patienten_innen aus einer Anzahl an vor ihnen liegenden Objekten das richtige heraus. Daraus zogen die Forscher die Schlussfolgerung, dass die rechte Hemisphäre auf die Verarbeitung von nonverbalen Informationen spezialisiert ist.

Eine weitere Schlussfolgerung aus den Untersuchungen war, dass bei Menschen mit intaktem Corpus Callosum die Informationen beider Hemisphären für alle Sinnesmodalitäten so integriert werden, dass sie zu einem Ganzen zusammengeführt und dann auf kognitiver und motorischer Ebene verhaltenswirksam werden. Dies heißt, dass unabhängig von der Darbietungsmodalität (Wort oder Objekt) das Wahrgenommene verbal oder motorisch geäußert werden kann. Durch die Befunde aus den Patientenstudien konnten somit neue Erkenntnisse über die Verarbeitungsdominanz der beiden Hemisphären sowie die Bedeutung des interhemisphärischen Transfers gewonnen werden.

Die Zielstellung des Kapitels ist es, Ergebnisse vorliegender Arbeiten zum interhemisphärischen Transfer darzustellen, welche für die Ausführung von Handlungen wichtig sind. Die Betrachtung beschränkt sich auf die Lateralisierung von kognitiven und motorischen Aspekten, welche für das Zustandekommen von Bewegungen verantwortlich sind. Der theoretische Rahmen der dargelegten Arbeiten ist der Informationsverarbeitungsansatz (Shea, Kennedy & Panzer, 2019). Die Forschung zum interhemisphärischen Transfer weist eine enge Verknüpfung von kognitiver Psychologie und Bewegungsphysiologie auf. Vor diesem Hintergrund werden zunächst einzelne Modellvorstellungen und verhaltensbasierte, experimentelle Zugänge zur Hemisphärenspezialisierung und zum interhemisphärischen Transfer dargestellt. Darauf folgt eine Betrachtung des interhemisphärischen Transfers mit dem Ziel einer kooperativen Interaktion zwischen beiden Hemisphären anhand von Befunden zur Entwicklung über die Lebensspanne und zur bimanuellen Koordination. Im letzten Abschnitt werden die Befunde nochmals kurz zusammengefasst sowie mögliche praktische Implikationen aus den Erkenntnissen zur Hemisphärenspezialisierung und dem interhemisphärischen Transfer skizziert. Die Fokussierung auf verhaltensbasierte experimentelle Zugänge hat drei Gründe. Der erste Grund ist ein rein pragmatischer: der begrenzte Platz. Der zweite Grund ist, dass verhaltensbasierte Zugänge die Untersuchung von Bewegungen ermöglichen, in denen auch mehrere Freiheitsgrade kontrolliert werden müssen, ohne konfundierende methodische Artefakte in der Messkonfiguration zu erzeugen. Der letzte Grund ist, dass in der verhaltensbasierten Kognitionspsychologie die experimentellen Zugänge entscheidend weiterentwickelt wurden, um in Kombination mit innovativen bildgebenden Verfahren aus den Neurowissenschaften und klinischen Studien neurokognitive Prozesse des interhemisphärischen Transfers zu untersuchen. Die rezente Literatur zu der Thematik ist sehr groß. Befunde zum interhe|34|misphärischen Transfer aus der Neuropsychologie werden in dem Kapitel nur dann erwähnt, wenn sie für den Kontext wichtig sind. Interessierte finden hierzu in dem Überblicksbeitrag von Serrien, Ivry und Swinnen (2006) sowie in den Lehrbüchern von Kolb und Whishaw (1993) und Karnath und Thier (2006) weitere ausführliche Informationen.

2.2 Modellvorstellungen und experimentelle Zugänge zur Hemisphärenspezialisierung

Um bevorzugte Orte der Verarbeitung von Informationen in den Großhirnhälften und die Verarbeitungsdominanz von kognitiven und motorischen Funktionen zu untersuchen, wurden spezifische experimentelle Zugänge erarbeitet. Dabei haben sich die methodischen Zugänge zur Untersuchung der kognitiven und motorischen Funktionen in den beiden Hemisphären in der Grundanlage in den letzten Jahrzehnten nicht geändert. Was sich jedoch geändert hat, sind Technologien der Stimuluspräsentation, die Aufzeichnung der Gehirntätigkeit in den beiden Hemisphären sowie die Erfassung der Verhaltensäußerungen auf der motorischen Ebene. Ein verhaltensbasierter experimenteller Zugang zur Lokalisation und zur Rolle von perzeptuellen und kognitiven Funktionen beim interhemisphärischen Transfer liegt mit dem ursprünglich vor mehr als einhundert Jahren von Poffenberger (1912) entwickelten Visuellen-Halb-Feld- Paradigma (VHF) vor. Die Lokalisation von Informationen zur Bewältigung von motorischen Aufgaben sowie der Transfer von Informationen zwischen den Hemisphären wird verhaltensbasiert mit dem intermanuellen Transfer-Paradigma untersucht. Das Ziel der experimentellen Zugänge ist es, mentale Operationen zu isolieren, sodass der Ort der Verarbeitung und die zugrunde liegenden Mechanismen möglichst genau identifiziert werden können.

2.2.1 Das VHF-Paradigma, Hemisphärenspezialisierung und interhemisphärischer Transfer von perzeptuellen/kognitiven Informationen

Wenn bestimmte Funktionen in einer Großhirnhälfte lateralisiert sind, dann scheint es eine effiziente Methode zu sein, die Informationen, welche die Grundlage für die Handlung darstellen, direkt auf die jeweilige Hemisphäre zu leiten (Serrien et al., 2006). Ein experimenteller Zugang, der genau dies zu leisten vorgibt, ist das VHF-Paradigma. Zielstellung der Versuchsanordnungen ist es, die Spezifität der eingegangenen Informationen und deren effiziente Verarbeitung in den beiden Hemisphären beim Menschen zu beurteilen. Mittels dieses Paradigmas lässt sich die Verarbeitungsdominanz von perzeptuellen und kognitiven Funk|35|tionen in den beiden Großhirnhälften detaillierter erforschen und der interhemisphärische Transfer kann über Reaktionszeiten quantifiziert werden (Brysbaert, 1994). Die Idee für die Wirksamkeit des Paradigmas basiert auf der neuroanatomischen Grundlage der Sehnervkreuzung (Chiasma opticum). Visuelle Informationen von der rechten Retina werden über das Chiasma opticum in die primäre Sehrinde der linken Hirnhemisphäre weitergeleitet und vice versa. Das VHF-Paradigma basiert auf der Idee, dass visuelle Informationen selektiv im rechten/linken Gesichtsfeld präsentiert werden und direkt auf die kontralaterale linke/rechte Hirnhemisphäre projizieren. Erfasst wird die Wahrnehmung der tachistoskopisch dargebotenen Stimuli über Reaktionszeiten (RT). Unter Beachtung methodischer Voraussetzungen, wie der Sicherstellung der zentralen Fixation, Fixationskontrolle, kurze Darbietungszeiten zur Minimierung von Blicksakkaden usw., lassen sich valide und reliable RTs erfassen, die Informationen über die funktionale Spezialisierung der jeweiligen Hemisphäre sowie den interhemisphärischen Transfer liefern. Anzumerken ist, dass aus den Befunden der Studien abgeleitet werden kann, dass bestimmte Informationen in einer Hemisphäre priorisiert verarbeitet werden, da bei gesunden Erwachsenen schon nach einem kurzen Zeitintervall ein interhemisphärischer Transfer von Informationen stattfindet. Die Zeit für den interhemisphärischen Transfer liegt in Abhängigkeit vom Stimulusmaterial unter 10 msec (Brysbaert, 1994). So sind bspw. RTs von visuellen Stimuli, welche im rechten Gesichtsfeld präsentiert werden, geringer, wenn deren Informationen in der korrespondieren linken Hemisphäre primär verarbeitet werden, als wenn diese im rechten Geschichtsfeld präsentiert werden. Dies wird dann als „Right Visual Field-Left Hemisphere“ (RFV-LH)-Vorteil charakterisiert. Verlängerte RTs geben einen Hinweis darauf, dass die Informationen zuerst über das Corpus Callosum in die kontralaterale Hemisphäre transferiert werden müssen, bevor sie handlungswirksam genutzt werden können. Umgekehrt werden kürzere RTs von Stimuli, die im linken VHF präsentiert werden, als „Left Visual Field-Right Hemisphere“ (LVF-RH)-Vorteil bezeichnet.

In der sportwissenschaftlich orientierten Motorikforschung wurde das VHF-Paradigma zur Untersuchung der funktionalen Spezialisierung der Hemisphären und zum interhemisphärischen Transfer beim Beobachtungslernen eingesetzt. Beim Beobachtungslernen geht es um die Verarbeitung perzeptueller Informationen über die Ausführung einer Handlung durch andere für eine spätere motorische Ausführung. Ellenbürger und Kollegen (2012) interessierte die Frage, ob die Etablierung einer Repräsentation beim Beobachtungslernen von einer sequentiellen Aufgabe unterstützt wird, wenn aufgabenrelevante visuelle Informationen direkt auf die unterschiedlichen Hemisphären projiziert werden. Die mittels einer modifizierten Variante des VHF-Paradigmas gewonnenen Befunde zeigen: Wenn aufgabenrelevante Informationen während der Aneignung im linken Gesichtsfeld präsentiert werden, entwickeln die Lerner eine stabilere Repräsentation im Vergleich zur Darbietung im rechten Gesichtsfeld. Der LVF-RH-Vorteil gibt einen Hin|36|weis, dass beim Beobachtungslernen visuell dargebotene Informationen zunächst verstärkt in der rechten Hemisphäre verarbeitet werden.

Schmitz, Pasquali, Cleeremans und Peigneux (2013) untersuchten die Rolle der beiden Hemisphären beim Erwerb einer sequentiellen Aufgabe. Laut dem „Novelty-Routinization“-Modell (Goldberg & Costa, 1981) ist die rechte Hemisphäre beim Erwerb von neuen Lerninhalten verstärkt in die Verarbeitung involviert und die linke Hemisphäre ist bevorzugt in die Verarbeitung von bereits bekanntem Lernmaterial eingebunden. In dem zweiten Experiment konnten die Autoren einen LFV-RH-Vorteil für den Erwerb einer bislang unbekannten sequentiellen Aufgabe beobachten. Konform mit dem „Novelty-Routinization“-Modell werden die Befunde als empirischer Beleg dafür diskutiert, dass die rechte Hemisphäre stärker in die Verarbeitung von Informationen in frühen Lernprozessen eingebunden ist als die linke Hemisphäre.

2.2.2 Paradigma des intermanuellen Transfers, Hemisphärenspezialisierung und interhemisphärischer Transfer von motorischen Informationen

Einen experimentellen Zugang zur Beurteilung der Hemisphärenspezialisierung und des interhemisphärischen Transfers auf der motorischen Ebene findet sich in dem Ansatz zur Untersuchung der Transferrichtung mit dem intermanuellen Transfer-Paradigma. Mittels dieses Paradigmas wird die Übertragleistung von der „trainierten Hand“ zur „untrainierten Hand“ untersucht (Shea, Panzer & Kennedy, 2016). Die Versuchsanordnung ist so angelegt, dass über die motorische Leistung als Resultat der Informationsverarbeitung die funktionale Spezialisierung der beiden Hemisphären beim Menschen beurteilt werden kann. Die Idee des Paradigmas basiert auf der Kreuzung der Pyramidenbahnen (Tractus corticospinalis). Über den Tractus corticospinalis werden Informationen von der rechten/linken Großhirnhälfte auf die kontralaterale Köperseite geleitet. Für dominante Rechtshänder hat bspw. durch den Tractus corticospinalis die dominante linke Hemisphäre einen starken Einfluss auf die rechte Körperseite.

Die Transferleistung und die Transferrichtung wurden anhand unterschiedlicher Aufgaben untersucht: schnelles Tapping (Laszlo, Baguley & Bairstow, 1970), diskrete sequentielle Fingerbewegungen (Taylor & Heilman, 1980), kontinuierliche Bewegungssequenzen im Ellenbogengelenk (Fries, Panzer, Shea, Grützmacher & Krüger 2010) oder mittels einer Zielbewegung bei einer Kraftadaptationsaufgabe (Sainburg, 2005). Die Transferleistung ist oftmals asymmetrisch in Abhängigkeit von der geübten Seite. Die Grundannahme ist, dass motorische Fertigkeiten in Richtung und Stärke unterschiedlich gut zwischen den Händen transferieren. Zur Erklärung der Transfereffekte werden in der Literatur (Thut et al., 1996) theore|37|tische Modelle diskutiert, welche alle auf der Annahme einer Transferasymmetrie beruhen: (1) das „Proficiency Model“ von Laszlo et al., (1970), (2) das „Cross-Activation Model“ von Parlow und Kinsbourne (1989), (3) das „Callosal Acess Model“ von Taylor und Heilman (1980) und (4) die „Dynamic-Dominance Hypothesis“ von Sainburg (2005). Die ersten drei Modellvorstellungen basieren auf der Idee, dass durch Reize eine Gedächtnisspur, ein Engramm, in einer Hemisphäre gebildet wird, in welcher motorische Informationen über die Handlungsausführung abgelegt sind.

Die „Dynamic-Dominance-Hypothesis“ (Sainburg, 2005) erweiterte die allgemeine Sichtweise von den Engrammen auf die unterschiedliche Leistungsfähigkeit der beiden Hemisphären für die Verarbeitung der Informationen zur Kontrolle der Handlungsausführung. Die Aufmerksamkeit wurde auf verschiedene Aufgabencharakteristika gelegt, welche in den jeweiligen Hemisphären vorrangig verarbeitet werden. Sainburg und Kollegen zeigten in systematischen Untersuchungsreihen mit Kraftfeldadaptationsaufgaben bei dominanten Rechts- und Linkshändern eine effektivere Transferleistung dynamisch-motorischer Charakteristika einer Aufgabe (z. B. produzierte Drehmomente in den Gelenken, muskuläre Sequenzierung von Agonist und Antagonist) von der nicht-dominanten zur dominanten Körperseite. Hingegen ist die Transferleistung visuell-räumlicher Charakteristika einer Aufgabe (z. B. die räumliche Lokalisation des Effektors oder die räumliche Position des Zieles) von der dominanten zur nicht-dominanten Körperseite bevorzugt (vgl. Sainburg, 2005). Der Überlegenheitseffekt beim Transfer dynamischer Informationen auf die dominante Hand nach vorangegangener Übung mit der nicht-dominanten Hand wird durch den Umstand erklärt, dass die Schlüsselinformationen zur Kontrolle von dynamischen Aufgabenanforderungen in der dominanten Gehirnhälfte abgelegt sind. Umgekehrt verhält sich dies bei den Schlüsselinformationen zur Kontrolle von räumlichen Aufgabenanforderungen, welche primär in der nicht-dominanten Gehirnhälfte abgelegt sind.

Konnten mittels Kraftfeldadaptationsaufgaben für dominante Rechtshänder überzeugende empirische Belege für die Hemisphärenspezialisierung von dynamischen Aufgabencharakteristika in der linken und von räumlichen Merkmalen in der rechten Hemisphäre erbracht werden, ließen sich in einer experimentellen Versuchsanordnung mit einer sequentiellen Aufgabe die Ergebnisse nur partiell replizieren. In einem Experiment von Fries, Panzer, Shea, Grützmacher und Krüger (2010