Köln 9mm - Marco Hasenkopf - E-Book

Köln 9mm E-Book

Marco Hasenkopf

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Beschreibung

Die dunkle Seite Kölns – der 2. Fall für Mertin und Kaiser. Temporeich, vielschichtig, unkonventionell. Bei einem Überfall auf einen Geldtransporter wird ein Kölner Polizist erschossen, doch die Kugel stammt nicht aus der Waffe der Räuber. Die ungleichen Kommissare Judith Mertin und Markus Kaiser vom KK11 sollen die Todesumstände genauer untersuchen.Steckt mehr hinter dem schrecklichen Vorfall? Als im Keller des Opfers eine nicht registrierte Pistole entdeckt wird, tauchen Mertin und Kaiser tief ins Darknet ein und stoßen dabei auf ein kriminelles Netzwerk, das ihren Gerechtigkeitssinn auf eine harte Probe stellt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 352

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Marco Hasenkopf, geboren 1973 in Hamm/Westfalen, war nach der Ausbildung zum Drehbuchautor viele Jahre für Theater und Filmproduktionen tätig. Heute lebt er mit seiner Familie als Autor und Theaterproduzent in Köln. Sein historischer Roman »Eisflut 1784« wurde mit dem Goldenen Homer 2022 und dem Skoutz-Award in der Kategorie »History« ausgezeichnet.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2023 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: shutterstock.com/sandsun

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer

Umsetzung: Tobias Doetsch

Lektorat: Hilla Czinczoll

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-98707-097-6

Köln Krimi

Originalausgabe

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Dieser Roman wurde vermittelt durch die Literaturagentur Brauer, München.

Wahlen allein machen noch keine Demokratie.

Mittwoch

02:57Uhr

»Wie wär’s, Frau Kommissarin, noch einen Absacker?«, meinte MAP mit schwerer Zunge und versuchte, sich an Judith Mertin zu klammern, um nicht selbst das Gleichgewicht zu verlieren. Mertin warf den Kopf in den Nacken und torkelte vom Zülpicher Platz unmittelbar über den Hohenstaufenring, ohne darauf zu achten, ob eine Straßenbahn kam. Mitten in der Nacht fuhren keine Bahnen mehr. Ansonsten herrschte rund um die Ausgehmeile am Zülpicher Platz ein reges Treiben. Im Schatten der Herz-Jesu-Kirche pinkelten einige Männer an das alte Kirchengemäuer. Unbeeindruckt davon patrouillierten Mitarbeiter des Ordnungsamtes vorbei.

MAP hastete Mertin hinterher. »Haste das gesehen«, fragte der Journalist und zeigte auf die Wildpinkler, »unabhängig davon, wie man zur katholischen Kirche steht, sollte man doch verhindern, dass man das Gebäude als Urinal benutzt, oder nicht?«

Mertin schien kein Wort zu verstehen.

»Na, ich meine«, sagte MAP, »ist die Herz-Jesu-Kirche überhaupt eine katholische Kirche?« Er erwartete eine Antwort auf seine gerade gestellte Frage, doch Mertin reagierte nicht.

Vor den zahlreichen Cafés, Kneipen, Restaurants und Bars der umliegenden Straßen tummelte sich vor allem junges Publikum. Überall wurde ausgelassen gefeiert. Es war lauter und voller als zur Rushhour. Gemeinsam erkundeten Mertin und MAP seit geraumer Zeit das ausschweifende Nachtleben in Köln.

»Was ist denn jetzt, trinken wir noch einen?«

»Bin ich im Dienst, oder was?«, entgegnete Mertin und begann zu kichern, als hätte diesen Witz noch nie einer vor ihr gerissen. Dabei beobachtete sie einige Streifenpolizisten, die mit Engelszungen auf eine Gruppe junger Männer einredeten, doch die Waffenverbotszone zu beachten. Die Geduld der Kollegen schien allmählich zu schwinden. Mertin, plötzlich ernster, wandte sich ab und ging davon.

»Wo willst du denn eigentlich hin?«, rief MAP. »Bleib doch mal stehen!«

Mertin stolperte über irgendwas, was mutmaßlich ihre eigenen Füße waren, strich sich die Locken aus dem Gesicht und schnippte ihre halb aufgerauchte Zigarette im hohen Bogen über die Gleise. Als die Glut auf den Asphalt zwischen den Schienen traf, stoben Funken wild in alle Richtungen.

»Hast du das gesehen?«, sagte sie erstaunt und stoppte abrupt, »wie so eine Minirakete. Es erinnert mich an die Filmaufnahmen von Streubomben, die man mittlerweile fast täglich in den Nachrichten sieht.«

»Okay«, sagte MAP, »ich habe keine Ahnung, wovon du da sprichst.« Er fasste die schwankende Mertin am Unterarm.

»Na, die Funken und das alles«, erklärte sie.

MAP schüttelte ungläubig den Kopf. »Judith, was für Funken?«

»Na, die da … ach, egal!«, rief sie aus.

»Vielleicht hast du echt genug getankt für heute«, sagte er lachend und fügte hinzu: »Ich wohl auch!«

»Quatsch«, widersprach Mertin, »einer geht noch.«

»Na gut«, stimmte MAP nach einer nicht besonders langen Gesprächspause hinzu. Er war leicht umzustimmen.

»Hey, weißt du, was«, rief er begeistert aus, »wo wir jetzt schon mal so weit gelaufen sind, ich kenne da vorne eine echt coole Jazzkneipe. Genau das Richtige jetzt!«

MAP zog Mertin in die Richtung, in die er mit der Hand wedelte.

»Jazz?«, fragte Mertin. »Den gibt’s noch?«

»Jazz stirbt nie«, orakelte er, und sie lachten wieder.

Wenige Augenblicke später betraten sie das schlauchartige Lokal im Mauritiusviertel, in dem sich blauer Dunst unter der hohen Decke sammelte wie Nebelbänke vor Neufundland. Man konnte nicht sehen, was im hinteren Teil verborgen lag. Um in die Tiefen des Lokals vorzudringen, hätte man Nebelscheinwerfer benötigt.

Vorn waren die Wände der Kneipe von oben bis unten mit uralten Fotografien von längst vergangenen Jazzkonzerten tapeziert. Viele Fotos waren schon vergilbt. Die abgelichteten Personen darauf konnte Mertin nicht mehr richtig erkennen. Die Einrichtung der Bar bestand aus dunklem Holz. So ähnlich stellte sich Mertin eine üble Seemannsspelunke in einem verrufenen Hafenviertel vor. Es gab nur wenige Lichtflecke im Raum. Kleine Lampen mit Messingschirmen hingen tief über dem Tresen. Sich einen Weg durch den völlig überfüllten Laden zu bahnen schien unmöglich. Im Gedränge konnte man die Gesichter der anderen Gäste kaum erkennen. Aber Mertin und MAP hatten Glück und fanden noch einen Platz am Tresen.

»Tja, das ist noch echt. Kult. Nicht dieser seltsame Retromist«, kommentierte MAP, dem wohl nicht entgangen war, dass Mertin die faszinierende Atmosphäre quasi einsog. Sie nickte.

Die Musik war ziemlich laut, aber man konnte sich noch gut unterhalten. Saxophone, Bass und Schlagzeug gingen wild durcheinander, mal schnell, mal langsam – das alles klang in Mertins Ohren abgefahren, zum Teil schmerzte es sogar, aber sie fand es vom ersten Moment an richtig gut und wunderte sich darüber. Der Sound packte sie, die Stimmung in der Kneipe war genial. »Ich mag Jazz«, schrie sie gegen den Lärm an.

»Sie mag Jazz«, wiederholte MAP, während er Getränke bestellte. »Du liebe Güte, kannst du bitte nicht ganz so laut rumbrüllen bei deinem peinlichen Geständnis, du Küken!«

Zwei Guinness und zwei klare Kurze wurden ihnen serviert. Mertin griff sofort zu und setzte das Bier an. »Cooler Ort. Zum Wohl, mein lieber Arthur«, witzelte sie und trank einen kräftigen Schluck von dem dickflüssigen Bier.

Doch MAP trank nicht mit. Er stellte das an die Lippen gesetzte Glas wieder ab und starrte sie entsetzt an. Dann fluchte er laut, konnte sich aber dennoch ein Grinsen nicht verkneifen.

»Typisch, ihr Bullen! Ihr verdammten Bullen, prügelt linke Demonstranten, aber bei Clankriminalität sind euch die Hände gebunden. Und dann beraubt ihr arme Journalisten wie mich ihrer Anonymität. Ich brauche es für mein Sicherheitsbedürfnis, dass niemand weiß, wie ich heiße, wo ich wohne et cetera, verstehst du?«

Mertin kicherte unsicher.

»Wieso machst du dir die Mühe, meinen Klarnamen herauszufinden?«, fragte MAP weiter.

»Ich finde es einfach doof, dass ich ständig MAP zu dir sage, anstatt deinen richtigen Namen zu verwenden«, antwortete sie mit einem Schulterzucken. »Total affig, dieses ›MAP‹.«

»Mein Bedürfnis, mich zu schützen, findest du affig?«

»Ich wollte einfach mehr über dich wissen«, gestand sie dann.

»Okay, das verstehe ich ja. Ich meine, freut mich sogar, aber wieso verdammt noch mal hast du nicht einfach mal mich gefragt?«

»Ich war mir ziemlich sicher, dass du es mir nicht verraten hättest«, erklärte Mertin.

»Da ist was dran«, lenkte nun auch MAP wieder ein. »Ich habe neulich einen neuen Pass beantragt. Hast du es so herausgefunden?«

»Nein«, sagte sie, »ich habe einfach beim Einwohnermeldeamt angerufen.«

»Und die haben dir so ohne Weiteres die Info gegeben?«

»Ja, das nennt man Social Engineering«, erwiderte Mertin gelassen. »Das funktioniert ähnlich wie der Enkeltrick. Du laberst einfach so lange, bis dir einer die Tür öffnet. Tatsächlich geht es mittlerweile noch einfacher. Ich habe auf meinem Diensthandy eine App, mit der ich dich jederzeit überprüfen kann. Das darf ich natürlich nur im Dienst.«

MAP wehrte entsetzt ab.

»Wie läuft es beruflich bei dir?«, fragte Mertin, um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.

»Seit meinem Bericht über Blutmineralien im Kongo habe ich wieder Aufträge. Deshalb der Pass. Ich muss für Recherchen über Lithiumabbau nach Chile.«

»Chile, wow«, sagte sie, doch es klang nicht ganz überzeugt. Anscheinend ging es allen gut. Allen, nur nicht ihr. »Marius Arthur Paulussen. Klingt toll«, versuchte sie abzulenken.

»Scht«, schrie MAP, »geht’s noch lauter?«

»Paulussen, war das nicht ein Wehrmachtsgeneral?«

»Der, den du meinst, hieß Paulus. Aber können wir bitte nicht auch noch dieses Riesenfass mit den Kriegsversehrten und -traumatisierten aufmachen. Apropos, warst du mal beim Arzt?«

Mertin fühlte sich von MAPs Blick durchbohrt. Sie löste sich aus dem Bann und kippte stattdessen rasch den Schnaps. Das leere Glas knallte sie auf die Holztheke. Dann musste sie sich ordentlich schütteln. »Boah, was ist das denn für ’n Zeug?«, entfuhr es ihr.

MAP roch an der klaren Flüssigkeit in seinem Schnapsglas.

»Riecht streng«, stimmte er zu. »Verehrter Mundschenk, was hast du uns hier Feines kredenzt?«, rief er durch den Kneipenlärm zum Wirt hinüber, der zufällig gerade in ihrer Nähe war.

»Exquisiter Goat-Gin aus original Kölner Herstellung«, erwiderte der Angesprochene, ohne auf MAPs Ausdrucksweise zu reagieren.

»Goat«, echote Mertin.

»Ziegen-Gin«, erklärte der Wirt. »Der Gin wird durch Ziegenmilch destilliert. Das gibt ihm diese besondere Note.«

Fast gleichzeitig verzogen Mertin und MAP angewidert die Gesichter.

»Ziegen-Gin«, wiederholte MAP entsetzt und nippte vorsichtig am Schnapsglas, nur um erneut eine Grimasse zu schneiden.

»Warum ausgerechnet Ziege?«, sinnierte Mertin.

»Es ist ja nicht die Ziege, sondern die Milch der Ziege«, erklärte MAP.

»Trotzdem, warum Ziege, warum nicht … Hirsch?«

»Na, vielleicht weil Hirsche keine Milch geben«, antwortete MAP, der allmählich zu lallen begann.

»Gutes Argument«, stimmte Mertin mit ebenso schwerer Zunge zu, »gutes Argument. Aber trotzdem, warum …«, setzte sie erneut an, wurde aber abrupt unterbrochen.

Ein Gast schob sich aufdringlich zwischen die beiden, um eine Bestellung am Tresen aufzugeben. Er drehte sich hin und her, wobei er gleich mehrfach Mertins Brust streifte, die daraufhin erschrocken zurückwich. Doch hinter ihr war nicht genügend Platz, um den ungewollten Berührungen auszuweichen. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als die Arme vor der Brust zu verschränken.

Auf mehrere, laut geäußerte Aufforderungen seitens MAP reagierte der Eindringling gar nicht. Er trug neben dem Hipsterbart eine Art mexikanisches Totenkopftattoo am Hals. Während er auf sein Bier wartete, lächelte er Mertin an. Als er sein Getränk endlich erhielt und sich umdrehte, streifte er gleich nochmals Mertins Brust.

»Oh Mann, das ist mir voll unangenehm«, sagte er zu ihr, »kann ich dich auf ein Bier einladen?«

»Das ist sexuelle Belästigung«, schrie MAP empört.

»Halt die Klappe, du Pimpf«, erwiderte der Typ. Er verzog sich, nicht ohne MAP dabei grob zu schubsen.

Mertin fühlte sich plötzlich entkräftet und abgestoßen, regelrecht leer gesaugt, und sie wusste gar nicht, wovon. Irgendwo in ihren Eingeweiden spürte sie Zorn, unendlichen Zorn, aber es war, als hätte jemand das Gefühl eingesperrt und eine zentnerschwere Betondecke darübergegossen. Wie ein ausgeglühter Brennstab eines Atommeilers. Ohne weiter auf die Belästigung zu reagieren, rutschte sie vom Barhocker und quetschte sich durch die überfüllte Bar nach draußen.

Vor der Tür blieb sie stehen. Sie suchte nach dem Zorn, wollte am liebsten wieder reinstürmen, den Grapscher packen, die Finger in den Bart krallen, während die Faust die Nase blutig schlug. Doch ihr fehlte die Kraft, die Entschlossenheit. Tatsache war, dass sie gar nichts fühlte. Nicht einmal die Scham der Erniedrigung. Es fühlte sich alles tot an.

Sie zog die Kapuze über den Kopf und zündete sich eine Zigarette an. Sie ließ sich auf einen Betonpfosten nieder.

»Was war das denn?« MAP war neben ihr aufgetaucht. »Kannst du mir das mal erklären?«

»Nerv mich nicht, ich hab keinen Bock«, entgegnete sie knapp.

»Der Typ hat dich absichtlich angetatscht! Und was machst du? Ich habe gedacht, jetzt machst du Kleinholz aus dem, aber stattdessen … Du wehrst dich nicht, du läufst einfach weg. Das war ein waschechter sexueller Übergriff.«

Mertin wollte davon nichts wissen.

MAP schaute sie eine ganze Weile fassungslos an, dann sagte er: »Was ist nur mit dir los?«

»Was soll denn schon los sein?«, erwiderte sie gereizt. »Ich bin gut drauf! Hab kein’ Bock auf Stress. Was ist daran falsch?«

»Judith, ich bin echt froh, dass wir so viel Zeit miteinander verbringen, aber …« MAP brach mitten im Satz ab. Unsicher, was er sagen sollte, fuhr er sich durch die Haare. Eben wollte er sich durchringen zu äußern, was ihm auf dem Herzen lag, da ertönte die Weckfunktion von Mertins Smartphone.

»Oh, Mist. Ich muss zum Dienst.«

»Du musst zum Dienst?«, wiederholte MAP und schnappte nach Luft. »Du machst eine Sauftour mit mir, obwohl du zur Frühschicht musst? Wie bist du denn drauf?«

»Ach, halb so wild. Ich kann pennen, Kaiser macht den Rest.«

»Hörst du dir eigentlich zu?«

Mertin schwieg. Sie fühlte sich wie auf frischer Tat ertappt.

»Du kannst nicht besoffen arbeiten gehen.«

»Ach was, diese Idioten im Präsidium, die können mich am Arsch lecken.« Mertin war aufgesprungen und redete sich in Rage. »Lasst mich doch alle in Ruhe«, brüllte sie.

»Na dann«, meinte MAP, »weiß ich ja Bescheid.« Damit ließ er Mertin auf der nächtlichen Straße stehen.

Ihr ganzes Leben fühlte sich an, als würde man sie langsam vergiften. Dreimal am Tag toxische Abfälle unbemerkt unters Essen gemixt. Und langsam, aber sicher ging sie dabei zugrunde.

05:26Uhr

Kriminalhauptkommissar Markus Kaiser rückte sich im Fahrersitz zurecht und räusperte sich vernehmlich. Er wurde unruhig, und zwar nicht, weil er unbequem saß.

Kaiser hatte sich auf diesen für ihn besonders frühen Arbeitsbeginn extra vorbereitet. Er war früh ins Bett gegangen, hatte aber nicht gut in den Schlaf gefunden und war dann viel zu früh wieder aufgewacht. Seine Vorbereitung war also genau genommen schiefgelaufen. Er war dennoch wach, klar und fit. Mehr als bereit für die anstehende Überprüfung eines Verdächtigen. Und nun das: Im Dienstfahrzeug roch es entsetzlich. Wie vergammelt. Eine Beleidigung all seiner Sinne, die er auch nicht ignorieren konnte. Beinahe wurde ihm schlecht von dem Geruch. Und dabei hatte er noch nicht gefrühstückt.

Er hatte sich Kaffee und etwas zu essen mitgebracht, um das jetzt auf dem Weg nach Porz zu erledigen. Doch der Geruch verdarb ihm den Appetit. Nein, es roch nicht. Es stank tierisch nach Mief, Muff, schalem Bier und kaltem Zigarettenrauch. Und das war nicht etwa ein Pizzarest, der unter den Sitz gefallen war. Diese Dunstwolke üblen Gestanks ging unmittelbar von seiner neben ihm auf dem Beifahrersitz friedlich schlummernden Kollegin Judith Mertin aus.

Was hatte sie nur wieder gemacht? Hatte sie sich in einer Kneipe in Bierpfützen auf dem Boden gewälzt? Womöglich – aufgrund eines Streits – geprügelt? Bei Obdachlosen übernachtet und sich obendrauf tagelang weder gewaschen noch die Kleidung gewechselt? Kaiser dachte einen Moment darüber nach und kam zu dem bitteren Schluss, dass er ihr das durchaus zutraute. Alles gleichzeitig. Er seufzte. Was war nur los mit ihr? Seit mittlerweile Monaten verhielt sich die junge Kommissarin auffällig.

Mertin war zum Dienstbeginn wortlos eingestiegen, hatte sich in ihren Kapuzenpulli gekuschelt, den Sitz zurückgefahren und war sofort eingeschlafen. Kaiser hatte dieses Verhalten unkommentiert gelassen. Anfangs hatte ihn das sogar amüsiert – vermutlich privater Stress, den sie in Schnaps ertränkte. Er wusste nichts Genaues, nur dass Mertin sich gelegentlich mit diesem Journalisten traf, der ihnen bei ihrem letzten Fall geholfen hatte. Aus dieser Zusammenarbeit war eine Art Freundschaft entstanden. Oder mehr? Oder zu wenig?

Seiner Erfahrung zufolge liebte in einer Beziehung immer einer mehr als der andere. Aber beim besten Willen war er mit seinen gescheiterten Ehen nun wirklich kein Beziehungsexperte. Und er würde auch einen Teufel tun und irgendwelche Ratschläge verlauten lassen.

Kaiser erinnerte sich an die Zeit, als er im Alter seiner Kollegin gewesen war, da hatte er auch einige Kapriolen aufgrund emotionaler Verwicklungen gedreht. Vor allem nach der Trennung von seiner ersten Frau hatte er ordentlich über die Stränge geschlagen. Wild durchzechte Nächte, weil man nicht wusste, wie man diesen Liebesschmerz abstellen sollte, waren lange Zeit nichts Ungewöhnliches gewesen. Bloß nicht daran denken, mahnte er sich, diese Zeiten sind längst vorbei und vergessen! Aber dann fing er an zu überlegen, wann denn die Trennung von seiner ersten Frau gewesen war. Er kam auf über zwanzig Jahre, und auf einmal wurde ihm wirklich übel. Zwanzig Jahre.

Neben ihm drehte seine Kollegin sich um. Die Bewegung verbreitete ihren Duft im Wagen. Kaiser rümpfte die Nase. Seine Laune sank in den Keller. Konnte Mertin vor Dienstbeginn nicht wenigstens duschen und frische Klamotten anziehen? Musste sie mit Kneipenklamotten direkt in den Dienstwagen steigen?

Leise vor sich hin fluchend ließ er das Fenster für die restliche Strecke ein gutes Stück hinunterfahren. Genüsslich reckte er die Nase in die frische Luft. Das tat gut! Herbstliche Frische machte sich im Wagen breit.

»Ey, Kaiser«, maulte Mertin schlaftrunken, »mach das Fenster zu. Mir ist kalt!«

»Ich brauche dringend mal frische Luft«, widersprach er gereizt, »ein großer Parfümmeister könnte mit Sicherheit aus deinem Odeur herausriechen, was du alles getrunken und in welchen Ecken du dich rumgedrückt hast, und am Ende daraus einen einzigartigen Duft zaubern. Meine Laiennase nimmt nur unangenehmen Gestank wahr.«

»Oh nee, fängst du jetzt wieder so an«, entgegnete sie schlaftrunken.

Vermutlich spielte sie darauf an, dass er und sie nicht immer einen freundschaftlichen Umgang gepflegt hatten. Kaiser ließ die Frage unbeantwortet. Er setzte den Blinker, bog ab und parkte kurz darauf. »Wir sind da«, verkündete er.

Sie befanden sich in einer Wohnsiedlung im Kölner Stadtteil Porz. Die Siedlung bestand aus einigen Hochhäusern, die überwiegend von wirtschaftlich schlecht gestellten Menschen bewohnt wurden. Niemand kümmerte sich hier um irgendwas. Man ließ den Brennpunkt verbrennen. Der Kindergarten mit seinen bunt bemalten Fenstern wirkte wie ein müder Versuch, das Ganze etwas aufzufrischen.

Die Kölner Polizei hatte den Hinweis bekommen, dass ein Bandenmitglied einer Rockergang hier bei einem Familienmitglied Unterschlupf gefunden haben könnte. Besagter Rocker stand im Verdacht, vor zwei Wochen in eine Schießerei zweier rivalisierender Gruppen im Ruhrgebiet verwickelt gewesen zu sein. Der Verdächtige war schon häufiger auffällig geworden, zu einer Verurteilung war es bisher nicht gekommen. Die Kollegen aus Bochum hatten um Amtshilfe gebeten. Kaiser und Mertin sollten den Verdächtigen aufspüren.

Um herauszufinden, ob er sich tatsächlich hier aufhielt, beobachteten sie jetzt erst einmal die Umgebung. Es war noch sehr früh, aber in der Siedlung begann sich das Leben zu regen. Immer wieder verließen vor allem jüngere Männer die Häuser, gingen zu ramponierten Lieferwagen, die am Straßenrand parkten, und fuhren zur Arbeit. Okay, dachte Kaiser, hier wohnen also Kölns Paketboten und Lieferwagenfahrer.

Es wurde Zeit, bei der Familie des Verdächtigen zu klingeln. »Wollen wir mal arbeiten?«

»Gleich«, meinte Mertin, »lass mich mal erst noch ein Stündchen schlafen. Fang ruhig schon an.«

»Ich soll schon mal … was?«, echote Kaiser, langsam verlor er wirklich die Geduld.

»Komm schon, ich war bis vier Uhr oder so in der Kneipe, jetzt lass mich mal ein bisschen schlafen.«

Kaiser lachte künstlich auf: »Sonst noch was?«

»He, ich bin aktives Mitglied im Verein zur Wiederbelebung der deutschen Kneipenkultur«, meinte Mertin und wiederholte damit einen Spruch, den sie neulich an einer Theke von einem anderen Gast aufgeschnappt hatte.

»Wow, und was soll das jetzt bedeuten?«

Mertin schlug die Augen auf und richtete sich im Sitz auf. In diesem Moment fuhr ein weißer Lieferwagen an ihrem Fahrzeug vorbei. Kaiser sah, wie Mertin heftig zusammenzuckte. Gebannt blickte sie dem Fahrzeug hinterher. Es war exakt dasselbe Modell, ein weißer Sprinter, das im vorigen Jahr auf dem Messekreisel explodiert war. Ein weißer Sprinter. Aber davon fuhren allein in Köln etliche hundert oder gar tausend herum.

»Alles okay, Judith?«, erkundigte sich Kaiser, bemüht, möglichst vorwurfslos zu klingen. Seine Kollegin sah aus, als hätte sie ein Gespenst gesehen. Das beunruhigte ihn.

Mertin schnappte sich den Kaffeebecher, der auf der Zwischenkonsole stand, und trank einen kräftigen Schluck davon.

»Oh, bitte sehr«, knurrte Kaiser, »das war meiner. Ach, was soll’s?«

»Lass mich kurz wach werden, dann kann es losgehen.«

Sie schwiegen einen Augenblick. Kaiser überlegte angestrengt, ob es noch in Ordnung war, wieder selbst aus dem Kaffeebecher zu trinken, aus dem Mertin gerade trank. Sie ihrerseits spürte die gesamte Breitseite einer durchzechten Nacht auf ihren Körper einschlagen.

»Beamte unter Beschuss«, meldete sich die Leitstelle über Funk mit einem Notruf.

Beide waren sie augenblicklich hellwach. Auf der A59 war ein Schusswechsel gemeldet worden, in den auch Polizisten verwickelt waren. Genauere Informationen fehlten. Das war ganz in ihrer Nähe!

Noch während der Funkspruch vollständig einging und von Mertin bestätigt wurde, startete Kaiser den Motor und brauste los. Sie schalteten Blaulicht und Signalhorn ein. Mit hoher Geschwindigkeit raste Kaiser über die Frankfurter Straße hoch Richtung Autobahnauffahrt. Beim Hochschalten knarzte das Getriebe. Kaiser fluchte, ausgerechnet jetzt unterlief ihm ein Fahrfehler!

Mertin starrte auf die Fahrbahn vor ihnen. Schusswechsel. Dieses Wort löste eine schmerzhafte Beklemmung aus. Ihr Magen zog sich zusammen. Krampfhaft gab sie sich alle Mühe, diese Angst – was war es sonst? – zu unterdrücken. Schließlich brauchte Kaiser sie. Und es nützte gar nichts, ein schlechtes Gewissen zu haben, weil sie genau genommen nicht einsatzfähig war, weil sie noch betrunken war. Das hatte sie bereits verbockt.

Anscheinend kannte Kaiser den Weg. Mertin musste sich eingestehen, nicht die nötige Ortskenntnis zu haben, wenn sie nun am Steuer säße. War das ein gutes Argument, Kaiser fahren zu lassen? Auch das ein ständiger Streitpunkt zwischen ihnen beiden.

Momentan war sie froh, nicht fahren zu müssen, darüber hinaus machte sich das schlechte Gewissen trotz allem breit – ein Einsatz, und sie war quasi noch betrunken! Verantwortlich war das ganz sicher nicht. Gerade auch im Hinblick auf ihren Kollegen, der sich voll und ganz auf sie verlassen können sollte. Aber da musste sie jetzt durch.

»Korrektur, Kollegen«, meldete sich die Leitstelle kurz, »es ist nicht auf der A59, sondern weiter auf der L84Richtung Flughafen. Höhe Grengeler Mauspfad.«

»Scheiße«, brüllte Kaiser laut, aber er wirkte dabei weder launisch noch unkonzentriert. Denn sie hatten gerade eben die L84, die Kennedystraße, verlassen und befanden sich schon auf der Auffahrt zur Autobahn. Das Verkehrsaufkommen war hoch, doch momentan war kein anderes Fahrzeug hinter ihnen. Kaiser bremste scharf und fuhr rückwärts zurück zur Kennedystraße.

Die in beiden Fahrtrichtungen zweispurige Landstraße, der Zubringer zum Flughafen Köln/Bonn, war in der Mitte durch eine bepflanzte Fahrbahnabsperrung geteilt. Sie wussten nur ungefähr, auf welcher Höhe der Strecke sich der Tatort befinden sollte, der Grengeler Mauspfad lag jenseits der Autobahn. War man einmal in der falschen Richtung unterwegs, gab es keine Möglichkeit zu wechseln. Man musste den ganzen weiten Bogen um die Flughafenterminals fahren. Ein Riesenumweg.

Bereits dort, wo die Kennedystraße über den darunter verlaufenden Mauspfad führte, bildete sich ein Rückstau. Die Autos fuhren einfach nicht weiter. Knallgeräusche wie fernes Feuerwerk übertönten sogar die eigenen Motorengeräusche. Es gab kaum Zweifel, es musste sich um Schüsse handeln. Der Tatort konnte nicht weit sein. Der Flughafen war in Sichtweite. Die ersten Parkhäuser nah. Bei Kaiser und Mertin wuchs die Anspannung, hatten sie doch keine Ahnung, was sie erwarten würde.

Im Zickzackkurs lenkte Kaiser das Fahrzeug durch die wartenden Autos. Hin und wieder stiegen neugierige Autofahrer aus und brachten sich damit selbst in Gefahr, nur um zu gucken, was da vor sich ging. Kaiser wechselte auf den Standstreifen und fuhr mit hoher Geschwindigkeit weiter.

Kurz hinter der Überführung sahen sie von Weitem den Tatort. Hier standen nur noch vereinzelt Autos. Ein Streifenwagen – ein Ford Van – stand quer zur Fahrbahn. Vom Standstreifen aus hatten Mertin und Kaiser einen unzureichenden Überblick, denn der Tatort zog sich über mehrere, weit voneinander entfernt stehende Fahrzeuge.

Auffällig war ein offenbar von anderen Fahrzeugen eingekesselter knallorange lackierter Kastenwagen mit der Aufschrift »WULFF SECURITY«, vermutlich ein Geldtransporter. Mehrere Personen, zum Teil maskiert, hielten sich hinter Fahrzeugen verschanzt. Momentan herrschte so etwas wie eine Feuerpause. Kaiser erspähte einen Kollegen, der sich hinter der Beifahrertür des Streifenwagens in Deckung hielt.

»Siehst du das, Judith?«, fragte Kaiser, und da sie ihm nicht antwortete, warf er einen kurzen Blick auf seine Kollegin. Was er sah, gefiel ihm gar nicht. Mertin rutschte im Sitz immer tiefer. Schwer vorstellbar, dass sie überhaupt noch über das Handschuhfach blicken konnte. Krampfhaft klammerte sie sich an den Handgriff der Tür.

»Was ist los? Du musst Verstärkung rufen«, sagte er.

Mertin starrte ihn mit offenem Mund vollkommen paralysiert an.

»Scheiße, Judith, reiß dich zusammen«, schrie er sie an. »Ich brauch dich jetzt!«

Mertin verharrte in ihrer Starre. Kaiser fluchte. Sie rasten mitten in einen Raubüberfall – was sonst passierte da? –, und Mertin schmierte ab. Er griff selbst zum Funkgerät und forderte Verstärkung an.

Unterdessen war ihr Erscheinen nicht unbemerkt geblieben. Die Feuerpause wurde beendet, Schüsse folgten. Zeitgleich waren Knaller und Einschläge zu hören, die Geräusche waren fürchterlich. Voller Angst schrie Mertin auf. Ihr Fahrzeug wurde unter Beschuss genommen. Glas ging zu Bruch, Metall gab irgendein ploppendes Geräusch von sich, als hätte ein Hagelschauer eingesetzt. Kaiser traute seinen Augen nicht. Zwei maskierte Angreifer feuerten mit Sturmgewehren auf sie. Der linke Schütze trug eine Sturmhaube, der rechte eine schwarze Vollgesichtsmaske mit dunkel getönten Brillengläsern. Die Männer steckten in militärischer Funktionskleidung. Ihre hoch professionelle Erscheinung wirkte sehr bedrohlich.

Kaiser stemmte den Fuß auf die Bremse – allein die Wucht der Vollbremsung hätte ihm für diesen Tag gereicht. Aber das war nur der Anfang. Was hier gerade passierte, das war kein routinemäßiger Einsatz, keine Vernehmung oder die Überprüfung eines Verdächtigen, selbst die Verfolgung und Verhaftung eines Täters war dagegen harmlos. Es war kein »normaler« Notfall. Das hier war der berühmte Ernstfall. Mitten im Gefecht.

Es war diese Art Ernstfall, der aus seiner Kollegin gemacht hatte, was nun von ihr übrig war. Ein Häufchen Elend, kauernd im Fußraum. Nun war er dran!

Erneut trafen Schüsse ihr Auto. Die Schützen mit den Sturmgewehren unterbrachen ihre Feuerstöße, um nachzuladen. Kaiser sah, dass der mit der Gesichtsmaske Probleme mit dem Magazin hatte. Es schien zu haken. Das verschaffte ihnen Zeit.

»Raus hier«, schrie er, öffnete die Tür und ließ sich auf den Asphalt fallen. Gerade als er sich aufrichten wollte, um in geduckter Haltung hinter das Fahrzeug zu eilen, wurden sie erneut beschossen. Es musste ein dritter Schütze von weiter hinten sein, eventuell aus dem Fahrzeug, das vor dem Geldtransporter stand.

Kaiser kletterte wieder ins Auto und betätigte die Kofferraumtaste. Langsam schwang die Klappe hoch. Er pumpte eilig die Rückenlehne seines Sitzes zurück und kroch auf die Rückbank. Mit seinem Taschenmesser durchschnitt er das Gepäcknetz. Mertin rührte sich nicht. Kaiser sagte nichts, sondern schob sich durch den Kofferraum ins Freie. Rasch durchsuchte er die im Kofferraum befindliche Ausrüstung. Er fand Schutzwesten und eine Maschinenpistole. Die Waffe für den Ernstfall.

Er musste sich eingestehen, dass er keine Ahnung hatte, wie das Ding genau funktionierte, so lange war es her, dass er damit trainiert hatte. Und das war auch nur Training gewesen. Im Schießstand mit »Micky Mäusen« auf den Ohren, wie der Schießtrainer gern die Ohrenschützer nannte. Seltsam, dass ihm diese Micky-Maus-Geschichte ausgerechnet jetzt einfiel.

Er lud die MP und versorgte sich mit mehreren Magazinen. Dann krabbelte er zurück in den Fond des Autos und breitete zwei Schutzwesten über die lethargisch in sich zusammengesunkene Mertin aus. Die Panik in ihren Augen war ansteckend. Einst hatte sie ihn mit einem einzigen Schlag niedergestreckt. Bums, und Kaiser hatte am Boden gelegen. Nein, es war nicht mal ein Schlag gewesen. Ein Block – mehr nicht. Mertin hatte Kaiser mit einem Block ausgeknockt. Und nun lag dieses Energiebündel, für deren full power eine eigene Definition nötig war, zitternd wie Espenlaub am Boden. Kaiser musste den Einsatz allein durchziehen.

Konzentrier dich, ermahnte er sich und kämpfte die eigene Angst nieder. Er umklammerte die MP5, um sich ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Das funktionierte zumindest ein bisschen. Vorsichtig spähte er voraus, um sich einen Überblick zu verschaffen. Er konnte nur zwei Täter sehen, beide schauten in diesem Moment nicht in seine Richtung, sondern zum Geldtransporter. Kaiser hörte erneut Schüsse. Er vermutete, dass sie auf den Transporter abgefeuert wurden. Aber die Schüsse gingen nicht von den Männern in seiner Umgebung aus.

In gut fünfzig Metern Entfernung entdeckte er ein Streckenhäuschen. Das kleine Wartungsgebäude bot sicherlich mehr Schutz, war aber auch weit weg. Er blickte zurück: Wo zum Teufel blieb die Verstärkung?

Wieder hörte er Schüsse. Vage, irgendwie verschwommen dachte er an Hanna, seine Frau und seine Kinder. Die Frage, ob er sie heute Abend wiedersehen würde, ließ berechtigte Zweifel aufkommen.

Bis zur Leitplanke waren es nur ein paar Meter, das konnte er schaffen. Ein schneller Sicherheitsblick, dann sprintete er los. Es kam ihm vor, als wäre er noch nie in seinem Leben so schnell gerannt. Adrenalin schoss ihm in alle Glieder, als er im Spurt über die Leitplanke springen musste. Das gelang ihm nur mäßig gut, aber das Grün der Böschung federte seinen ungelenken Hüftsprung ab. Kaiser griff nach der MP, die ihm beim Sprung aus der Hand gefallen war, und bewegte sich auf allen vieren vorwärts.

Vorsichtig spähte er über die Leitplanke, um die Lage zu sondieren. Endlich war er nahe genug am Streifenwagen. Der VW-Transporter war stark zerschossen. Den Kollegen, der bei ihrer Ankunft beim Fahrzeug in Deckung gegangen war, sah er nun nicht mehr. Die Beifahrertür war geschlossen worden.

Auf der Straße war derweil Ruhe eingekehrt. Während einer der Räuber am vorderen Fahrzeug, das den Geldtransporter ausgebremst haben musste, wartete, standen drei maskierte Männer um den Transporter herum und richteten ihre Maschinengewehre auf das Fahrzeug, als herrschte eine Art Pattsituation zwischen den Räubern und den beiden Männern im Geldtransporter. Die Sicherheitsleute saßen die Bedrohung aus. Die Räuber ihrerseits wagten keinen Vorstoß, um den Transporter zu stürmen.

Der Geldtransporter war von Sturmgewehrkugeln arg ramponiert, aber die Panzerung hielt und bot den Männern Schutz. Die Räuber schienen unschlüssig zu sein, was sie als Nächstes tun sollten. Ihr Überfall war nicht wie geplant verlaufen. Das Zögern irritierte Kaiser.

Er entschloss sich, zu handeln und den Druck auf die Räuber zu erhöhen. Langsam pirschte er sich noch ein paar Meter vorwärts, bis er das Stromhäuschen erreichte. Aus der Deckung heraus konnte er das zweite Fahrzeug der maskierten Angreifer gut sehen. Gleichzeitig entdeckte er, dass zwischen Streifenwagen und zweitem Fahrzeug, einem schwarzen Škoda Yeti, eine uniformierte Person regungslos auf der Straße lag. Verdammt, das sah gar nicht gut aus! Ganz und gar nicht gut. Kaiser befürchtete das Schlimmste.

Mit kurzen gezielten Feuerstößen aus der MP5 zerschoss Kaiser die Reifen des Škoda und machte den Wagen damit fahruntauglich.

Aufgeschreckt durch Kaisers Angriff, brach bei den Räubern Panik aus. Kopflos flohen sie zum vorderen Fahrzeug und wollten sich aus dem Staub machen. Mit einem Angriff von der in Unterzahl befindlichen Polizei hatten sie wohl nicht gerechnet. Kaiser feuerte nun auf das vordere Fahrzeug, aber er konnte nicht verhindern, dass die Räuber die Flucht antraten. Endlich kam Unterstützungsfeuer eines Kollegen aus dem Streifenwagen dazu. Die Heckscheibe des Fluchtwagens zersprang mit einem Knall, aber die Reifen blieben heil. Kaiser fluchte, diese Maschinenpistolen schossen prima, trafen aber schlecht.

Immerhin erkannte er, dass dem Fluchtwagen ein Nummernschild fehlte, bevor es nach wenigen Augenblicken außer Reichweite war. Es war zwecklos. Die Räuber waren entkommen. Atemlos machte Kaiser kehrt, um zu dem am Boden liegenden Polizisten zu eilen. Erst mal musste er sich um ihn kümmern.

Er ging neben dem Kollegen in die Knie, sprach ihn an, und als er nicht antwortete, rüttelte er leicht an dessen Schulter, dann etwas fester. Nichts. Schließlich hob Kaiser den Kollegen leicht an. »Hofer«, stand auf dem gestickten Namensschild auf Brusthöhe. Doch für ihn kam jede Hilfe zu spät. Der Polizeibeamte Hofer war tot.

Donnerstag

09:48Uhr

Gestern hatte sie versagt. Komplett. Sie war zum Totalausfall geworden. Nervös rieb sie sich die Hände. Ihr Blick irrlichterte über den Boden, die gegenüberliegende Wand des Flurs im Präsidium und wieder zurück. Hatte sie ihr Leben noch im Griff?

Mertin saß auf dem einzelnen Bürostuhl, der vor Kriminaldirektor Müllers Amtszimmer aufgestellt war. Sie nannte diesen Stuhl den Büßerthron. Hier saß man nur dann, wenn man was verbockt hatte. Andere Gespräche führte Müller nämlich per Telefon, oder er kam persönlich zu ihnen ins Büro.

Die Schuldgefühle schmerzten körperlich. Geschlafen hatte sie kaum. Gegessen hatte sie nichts. Ihr war speiübel vor Aufregung. Heute musste sie einen einigermaßen klaren Eindruck vermitteln. Denn heute würden sicherlich viele Fragen gestellt werden.

Ein Kollege war tot. Polizeihauptmeister Tomaso Hofer war im Einsatz erschossen worden. Mutmaßlich von einem Geldtransporträuber. Noch wusste sie selbst nicht, wie es dazu gekommen war, denn am gestrigen Tag hatte man sie weitgehend in Ruhe gelassen. Erst einmal waren alle Fakten gesammelt worden. Der Schock – auch bei allen anderen Beteiligten – war enorm.

Sie war so in ihre Gedanken versunken, dass sie gar nicht merkte, wie Kaiser neben ihr auftauchte. »Wie geht’s dir heute?«, fragte er.

Mertin zuckte heftig zusammen. »Warum schleichst du dich so an?«

Kaiser schwieg kurz, dann sagte er: »Ich habe dich zweimal angesprochen. Du hast nicht reagiert.«

Oh, verdammter Mist, dachte Mertin. Sie konnte sich wahrlich nicht erinnern, jemanden gehört zu haben.

Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand gegenüber. Kaiser hatte eine auffällige Schramme im Gesicht, einen Verband an der linken Hand. Auch er wirkte niedergeschlagen und übernächtigt.

»Ich habe noch ganz weiche Knie«, erklärte er. »Ich habe erst heute Morgen richtig begriffen, was gestern passiert ist. Wie ist es bei dir?«

»Was starrst du mich so an?«, entgegnete Mertin nach einer kurzen Pause.

»Judith, ich mache mir Sorgen.« In Kaisers Stimme lag kein Vorwurf.

Okay, dachte Mertin, jetzt geht’s los. Die einfühlsame Papa-Kaiser-Masche. Sie verdrehte innerlich die Augen. Aber offenbar musste sie wirklich mit den Augen gerollt haben, denn Kaiser sagte: »Du musst gar nicht so tun. Ich meine es ernst. Was ist nur mit dir los?«

»Na, was soll schon los sein?« Sie bemühte sich, ihm entgegenzukommen. »Mir geht’s halt nicht so gut.«

Kaiser nickte und schwieg lange.

»Wird sich schon wieder geben«, fügte sie nach einer Weile hinzu.

»Weißt du, ich habe auch mal so gedacht«, sagte Kaiser. »Am Ende war ich dann doch ein paar Wochen in einer Klinik. Mit Burn-out ist nicht zu spaßen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.«

»Ach, Quatsch, ich habe keinen Burn-out«, entgegnete Mertin scharf.

»Ich meinte auch gar nicht, dass du einen Burn-out haben könntest. Den hatte ja ich. Du hast was ganz anderes.«

In ihren Ohren klang es nach etwas Schlimmem, so als wäre sie eigentlich schon halb tot. Mertin schwoll der Kamm. »Bist du jetzt Arzt, oder was?« Sie sprang so vehement auf, dass der Stuhl umkippte.

»Nee, das nicht, ich bin der Kollege, der sich auf dich verlassen können muss«, entgegnete Kaiser nun doch ziemlich vorwurfsvoll.

»Kannst du mich mal in Ruhe lassen mit deinem Gequatsche. Ich komm schon zurecht«, reagierte sie noch pampiger.

Kaiser schien etwas erwidern zu wollen, aber er klappte den Mund wieder zu. Dass die Tür von Müllers Büro in diesem Moment geöffnet wurde und seine Büroleiterin Farhild Bäcker auf den Flur trat, machte die unangenehme Situation nicht besser. Wortlos befahl sie die Kommissare ins Büro. Im Vorbeigehen bemühte sich Mertin, Bäcker freundlich zuzunicken. Aber das ging wohl schief, die zeigte nämlich keinerlei Reaktion, was bei Mertin ein unbehagliches Gefühl auslöste.

Bäcker geleitete sie durch das Vorzimmer, in dem sie wirkte, zu Müllers geräumigem Dienstzimmer. Der Kriminaldirektor saß hinter seinem Schreibtisch. Vor ihm die Besucherstühle und auf dem Tisch mehrere Tageszeitungen. Die Titelseite eines Boulevardblatts war Richtung Besucher gedreht. Mertin las die Schlagzeile: »Gefecht! Flughafen unter Beschuss?« Den Zusatz rettete nur das angehängte Fragezeichen.

Müller machte einen äußerst aufgeräumten und frischen Eindruck. Das weiße Hemd strahlte, einen gestärkten Kragen schien es auch zu haben. Er hielt eine kleine Espressotasse zwischen Daumen und Zeigefinger. Das Fenster war geöffnet. Der kalte, nasse Herbst ließ noch auf sich warten, obwohl der Kalender etwas anderes sagte.

»Setzt euch«, begann er, ließ die Zeitung, die er gerade gelesen hatte, fallen und fügte hinzu: »Gut, euch zu sehen. Ihr wart mittendrin. Wie geht’s euch?«

»Den Umständen entsprechend«, antwortete Kaiser prompt, was Mertin durch ein Kopfnicken bestätigte. Das war das Zuckerbrot. Wann kam die Peitsche, fragte sie sich.

Doch Kaiser lenkte das Thema des Gesprächs erst mal in eine ganz andere Richtung. »Wie war deine Fortbildung, Jörg?«, erkundigte er sich.

Müller ließ sich die Frage gefallen und berichtete recht ausführlich über sein fünftägiges Seminar über Cyberkriminalität bei Europol in Den Haag. Viele Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern habe er getroffen.

»Das Cybercrime Centre bei Europol ermittelt gegen einige Darknet-Marktplätze respektive -Händler. Die Server sollen in mehreren europäischen Ländern stehen. Versteckt stehen, versteht sich. Europol arbeitet mit Nachdruck daran, diese Server ausfindig zu machen«, erklärte er.

»Ich und Computer«, meinte Kaiser jovial und schaute Mertin an.

Sie lächelte gequält zurück. »Also, ich komme eigentlich ganz gut mit Computern aus«, erklärte sie dann.

Danach setzte eine peinliche Gesprächspause ein, die Müller durchbrach, indem er zum Kern ihres Gesprächs kam.

»Weshalb ich euch gerufen habe«, begann er, »gestern ist einiges schiefgelaufen. Das Ergebnis sehen wir: ein toter Kollege. Ich möchte, dass ihr herausfindet, was alles schiefgelaufen ist und wieso. Ich muss wohl kaum betonen, wie erschüttert ich bin. Im Wesentlichen kreisen eure Ermittlungen um die Frage: Wieso ist die Verstärkung erst so spät eingetroffen?«

Müller machte eine Pause und trank einen Schluck Wasser. Mertin spürte einen Kloß im Hals und hätte ebenfalls gern etwas zu trinken gehabt, doch Müller bot ihnen nichts an.

»Wann seid ihr verständigt worden?«

Müllers Frage richtete sich an Mertin. Vermutlich hatte er dem vorläufigen Bericht entnommen, dass sie den Funkspruch entgegengenommen hatte. Sie fühlte sich wie ertappt, denn daran konnte sie sich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Hatte sie den Funkspruch angenommen und dabei nicht automatisch auf die Uhr geschaut? Das gehörte doch so zusammen wie Magazin und Pistole. Ohne das eine ging das andere nicht.

Kaiser sprang ihr bei: »Es muss kurz vor halb sechs gewesen sein.«

»Der erste Notruf der Sicherheitsleute«, sagte Müller, »muss aber schon um kurz nach fünf getätigt worden sein. Und die Kollegen Hofer und Kürten waren da bereits vor Ort.«

Kaiser schaute Müller fragend an.

»Die Kollegen haben routinemäßig an der Auffahrt patrouilliert und auf Raser gewartet. Die Strecke ist für illegale Rennen bekannt«, erklärte er.

Kaiser und Mertin wussten das, dennoch nickten sie zustimmend, als wäre das eine ganz neue Info.

»Gibt’s denn irgendeinen konkreten Verdacht?«, sprach Kaiser aus, was auch Mertin auf den Lippen lag.

»Ich möchte, dass ihr zunächst im Stillen den genauen Zeitablauf rekonstruiert, um herauszufinden, wo Fehlerquellen vorhanden sind, die zu Hofers Tod geführt haben könnten. Wenn ihr was findet, überlegen wir weiter. Wenn nicht …« Er brach ab.

»Wäre das nicht eigentlich Aufgabe der Internen?«, wollte Mertin wissen.

»Die machen ihre eigene Untersuchung«, erklärte Müller. »Ich hole euch die vorläufigen Berichte.« Er erhob sich, um ins Vorzimmer zu gehen.

Kaum hatte er den Raum verlassen, zischte Mertin: »Warum sagst du denn nichts? Wir sollen die Kollegen kontrollieren und vermutlich anschwärzen. Das ist doch Kacke. Lass das die Interne machen.«

Kaiser giftete mit gedämpfter Stimme zurück: »Ich bin es leid, wegen dir ständig vor unserem Chef wie ein Depp dazustehen. An deiner Stelle würde ich jetzt einfach mitmachen und den Schaden begrenzen. Vielleicht erfahren wir dann ja auch, was eigentlich mit dir los ist.«

Mertin platzte der Kragen. »Du aufgeblasenes Arschloch«, rief sie.

Müller erschien mit den Berichten in der Hand wieder im Büro. Es konnte kaum sein, dass er den Streit nicht mitbekommen hatte. Er legte die Papiere vor ihnen ab und setzte sich schweigend wieder hin. Lange Zeit schien er nachzudenken.

»Wisst ihr eigentlich, was da draußen los ist?«, begann er nach einer ganzen Weile. »Die Stimmung ist mies. Am letzten Wochenende sind bei einer Massenschlägerei mit Fußballfans über dreißig Beamte verletzt worden. Täglich bekomme ich Beschwerden von Kollegen, die im Dienst respektlos behandelt und sogar attackiert werden. Die Attraktivität des Jobs sinkt. Andererseits gibt’s viele Beschwerden von Bürgern, die sich über angebliches Fehlverhalten von Polizisten aufregen.«

Müller klang nun selbst ziemlich genervt und legte richtig los. »Ich habe irgendwie die Schnauze voll davon. Es rumort – auch im Präsidium. Viele Kolleginnen und Kollegen sind sehr unzufrieden mit der Belastung, der Überlastung, den Arbeitsbedingungen, wie wir als Führungspersonal mit ihnen umspringen, was die Bürger von ihnen erwarten. Der Respekt schwindet. Neulich hat mir ein erzürnter Mann geschrieben, ein Kommissar habe ihm gesagt, bei seiner Beschwerde seien ihm die Hände gebunden. Und was schreibt der Mann mir: ›Ich dachte, genau dazu wäre die Polizei da. Verbrechern die Hände zu binden!‹ Auf den Spruch ›Die Polizei – dein Freund und Helfer‹ sei kein Verlass mehr, man müsse sich selbst schützen. Gleichzeitig bekommen wir oft nicht genug Unterstützung aus der Politik. Für den einen haben wir zu viele Befugnisse, für den anderen zu wenige. Keiner tut was. Die Polizisten sind frustriert. Die Kriminalstatistik sinkt, gleichzeitig blühen ganz neue Zweige von Kriminalität auf. Cyberkriminalität und auch der Drogenhandel, Kokain und das ganze Zeugs sind wieder total in. Obendrauf noch diese Diskussion um die Legalisierung von Cannabis.«

Müller legte eine Pause ein.

»Und jetzt wird ein Geldtransporter mit Maschinengewehren überfallen und ein Kollege eiskalt erschossen. Aber was macht ihr zwei komischen Vögel«, sagte er dann bitter, »meine besten Leute! Was ist denn mit euch wieder los? Könnt ihr nicht einmal ohne Streit auskommen?«

Keiner der beiden wusste etwas zu erwidern. Als Kaiser endlich zu einer Erklärung ansetzen wollte, kam ihm Mertin zuvor.

»Ich finde es nicht richtig, dass wir in dieser Sache ermitteln sollten. Wir sind Beteiligte«, sagte sie, ohne auf Müllers Vorwürfe einzugehen.

»Ich will die Arschlöcher schnappen«, widersprach Kaiser.

Müller schüttelte den Kopf. »Das ist nicht eure Aufgabe. Ihr sammelt die Fakten, klärt die Todesursache und so weiter. Um die Räuber kümmert sich eine Taskforce.«

Kaiser wirkte enttäuscht.

»Na super! Egal, was wir herausfinden, damit sind wir schon jetzt die Kollegenschweine«, rief Mertin aus. »Vielen Dank auch. Das kann ich gerade noch gebrauchen!«

Beide – Müller und Kaiser – schwiegen, und Mertin fühlte sich alleingelassen. »Ist ja auch egal, was ich denke, oder?«, giftete sie Richtung Müller und stand auf, um den Raum zu verlassen.

Kaiser stöhnte und stand ebenfalls auf.

»Warst du schon beim Arzt?«, hörte sie Müller fragen.

»Ich brauche keinen Arzt«, schoss Mertin sofort zurück.

Müller ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und blieb sachlich: »Frau Mertin, ich meinte gar nicht Sie, sondern Ihren Kollegen Kaiser.«

18:45Uhr

Nach ihrem Gespräch mit Kriminaldirektor Müller am Morgen hatten Mertin und Kaiser gleich begonnen, die Ereignisse des Raubüberfalls, in dessen Folge ihr Kollege Tomaso Hofer erschossen worden war, zu rekonstruieren. Über ihre Unstimmigkeiten hatten sie kein Wort mehr verloren.

Ihr Plan war es gewesen, erst einmal alle spärlichen Fakten zu sammeln, um damit den Hergang so exakt wie möglich wiederzugeben. Sie benötigten einen besseren Überblick, was genau eigentlich passiert war. Jetzt überlegten sie, wie sie weiter vorgehen sollten.

»Europol«, schnaufte Mertin verächtlich, die ihren eigenen Gedanken hinterherhing, während sie auf die Schautafeln mit den Ergebnissen sah. In der Folge ihres letzten großen Falls und des Anschlags am Messekreisel war Müller befördert worden. Kriminaldirektor. Die Präsidiumslegende besagte, er habe sie, also Mertin, auf diesen Terroristen angesetzt. Dabei war es genau umgekehrt gewesen. Sie hatte ihn