Kölsch. Blond. Tot! - Thomas Kredelbach - E-Book

Kölsch. Blond. Tot! E-Book

Thomas Kredelbach

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Beschreibung

Ein unheimlicher Serienmorder versetzt Köln in Angst und Schrecken. Der Chirurg," wie der Killer auf Grund seines rituellen und brutalen Vorgehens genannt wird, schneidet seinen Opfern die Kehle durch und entfernt ihnen die Augen. Bei ihren Nachforschungen stoßen die Polizisten Nicolas Sturmer und Stefan Heynckes auf ein bizarres Geflecht aus Lügen und Geheimnissen, das beinahe jeden Befragten verdächtig erscheinen lässt. Erst nach und nach kommen sie dem Killer auf die Spur, bis schließlich, in einem furiosen Finale, die ganze schreckliche Wahrheit über den Chirurgen an Tageslicht kommt ...

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Seitenzahl: 251

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Kurzbeschreibung:

Ein unheimlicher Serienmorder versetzt Köln in Angst und Schrecken. Der Chirurg," wie der Killer auf Grund seines rituellen und brutalen Vorgehens genannt wird, schneidet seinen Opfern die Kehle durch und entfernt ihnen die Augen. Bei ihren Nachforschungen stoßen die Polizisten Nicolas Sturmer und Stefan Heynckes auf ein bizarres Geflecht aus Lügen und Geheimnissen, das beinahe jeden Befragten verdächtig erscheinen lässt. Erst nach und nach kommen sie dem Killer auf die Spur, bis schließlich, in einem furiosen Finale, die ganze schreckliche Wahrheit über den Chirurgen an Tageslicht kommt ...

Über den Autor:

Thomas Kredelbach, geboren 1968, ist gelernter Bankkaufmann und studierter Erziehungswissenschaftler. Bereits mit Anfang zwanzig veröffentlichte er erste Kurzgeschichten. Im Jahr 2003 war er für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert sowie 2007 für den Deutschen Kurzkrimi Preis. Sein Debütroman Verliebt, verlobt … und tot erschien 2006. Thomas Kredelbach lebt in Köln.

Weitere Titel des Autors bei Edel Elements:

Fünf Millionen Lösegeld

Thomas Kredelbach

Kölsch. Blond. Tot!

Thriller

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2019 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2019 by Thomas Kredelbach

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Verlagsagentur Lianne Kolf

Lektorat: Tatjana Weichel

Korrektorat: Vera Baschlakow

Covergestaltung: Marie Wölk, Wolkenart

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-177-5

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

Inhalt

Erster Teil: Samstagabend bis Montagabend

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Zweiter Teil: Montagabend bis Dienstagabend

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Dritter Teil: Mittwoch

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Vierter Teil: Donnerstag

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Hinweis

Erster Teil

Samstagabend bis Montagabend

1.

Zum hundertsten Mal an diesem Abend trat Jessica Fuchs auf ihren Balkon hinaus. Noch immer war die Luft angenehm warm. Am Himmel leuchtete ein tiefgelber Mond, der nur vereinzelt von einigen Schleierwolken verdeckt wurde.

Jessica reckte sich über die Brüstung und sah nach unten. Obwohl die Entfernung zum Boden kaum mehr als sechs Meter betrug, kam es ihr vor, als würde sie in die tiefen Schluchten des Grand Canyons blicken.

Ihr gegenüber ragten die hell erleuchteten Türme des Kölner Doms empor. Etwas weiter entfernt zeigte die Spitze des Fernsehturms in den Himmel. Der Rhein floss träge vor sich hin. Die bunten Lichter der Altstadt spiegelten sich auf der Wasseroberfläche und verstärkten das Gefühl der Unruhe, das Jessica schon den ganzen Tag über in sich trug.

Sie seufzte leise. Wieder blickte sie die zwei Stockwerke nach unten, und endlich entdeckte sie, wonach sie die ganze Zeit über Ausschau gehalten hatte.

Der Schatten näherte sich dem Haus nur langsam, doch das war Jessica ganz recht. Auf diese Weise blieben ihr noch ein paar Sekunden der Vorfreude. Heute war der Abend, an dem es geschehen würde. Sie war sich dessen ganz sicher. Es musste einfach so sein.

Sie ging zurück in ihre Wohnung und sah sich um. Alles war genau so, wie sie es wollte.

Auf dem Wohnzimmertisch standen eine Flasche Rotwein und zwei Gläser. Jessica hatte den Wein bereits vor einer Stunde geöffnet, um ihm ausreichend Zeit zum Atmen zu geben. Die Tür zu ihrem Schlafzimmer stand einen Spaltbreit offen, gerade genug, um ihr frisch bezogenes Bett zu erkennen. Aus der Stereoanlage drang leise Musik. Zudem hatte sie mehrere Kerzen angezündet, die den Raum in ein angenehmes, organisches Licht tauchten.

Jessica nickte zufrieden. Wenn jemals ein Abend perfekt vorbereitet worden war, dann dieser.

Im selben Moment klingelte es.

Jessica ging zur Tür und drückte auf. Sie hörte, wie unten die Haustür aufsprang. Einen Augenblick später hallten Schritte durch das Treppenhaus. Seine Schritte.

Nervös strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie blickte auf den Flur hinaus. Die Schritte klangen jetzt ganz nah. Einen Moment später erklomm ihr Gast die letzten Treppenstufen und eilte auf sie zu.

Instinktiv lehnte sich Jessica gegen den Türrahmen. Der Stoff ihres Kleides spannte sich auf ihrer Haut. Am liebsten hätte sie es sich schon jetzt vom Leib gerissen, doch sie zwang sich, es nicht zu tun.

Endlich war er bei ihr. Jessica berührte seine Schultern und spürte deutlich das Zittern unter seiner Jacke.

So ist es richtig, dachte Jessica. Zittere nur. Das ist genau das, was ich will.

Sie schlang ihre Arme um ihn und küsste ihn. Seine Zunge glitt in ihren Mund, während sich auch seine Arme um ihren Körper legten. Der sanfte Druck erregte Jessica. Rasch zog sie ihren Gast in die Wohnung und schlug die Tür hinter sich zu.

„Schön, dass du da bist“, sagte sie, als sie sich für einen Augenblick voneinander lösten.

Wie selbstverständlich nickte er. „Ja, es ist schön. Ich habe den ganzen Tag über an nichts anderes denken können als an dich. Ich ...“

Weiter kam er nicht. Sanft legte ihm Jessica die Finger auf den Mund.

„Pssst“, sagte sie. „Du musst gar nichts erklären. Ich weiß es auch so.“

Ein schüchternes Lächeln umspielte seine Lippen. Er zog Jessica an sich und küsste sie erneut. Seine Hände strichen über den Stoff ihres Kleides.

Begierig streckte ihm Jessica ihren Oberkörper entgegen. Seine Hände streiften über ihre Brüste, ihren Bauch, ihre Hüfte.

Bereitwillig spreizte Jessica ihre Beine, als er ihr Kleid nach oben schob und mit den Fingern an den Innenseiten ihrer Oberschenkel entlangstreifte.

Ihre Küsse wurden heftiger. Forschend ließ Jessica ihre Hände über seinen Körper wandern. Seine Muskeln und Sehnen spannten sich unter seiner Jacke. Er war weitaus kräftiger, als Jessica erwartet hatte. Das brachte ihr Blut noch mehr in Wallung.

Langsam ließ sie ihre Finger abwärts gleiten, bis sie schließlich fand, was sie suchte. Sein Penis war so hart wie der Rest seines Körpers. Beinahe ehrfürchtig verharrte Jessica eine Weile. Dann öffnete sie seinen Reißverschluss und ließ ihre Hand hineingleiten.

„Wie fühlt sich das an?“, fragte sie, während sie ihn massierte.

„Wunderbar. Du ... du bist wunderbar.“ Seine Stimme zitterte.

Jessica lächelte. „Schön, dass du das sagst. Du ...“

Plötzlich löste er sich von ihr.

„Was ist los?“, fragte sie irritiert. „Habe ich etwas falsch gemacht?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, du machst alles richtig. Alles ist in Ordnung. Ich möchte nur ein wenig stimmungsvollere Musik auflegen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen.“

„Nein, natürlich nicht.“

Sie beobachtete, wie er zur Stereoanlage ging und eine noch verpackte CD aus seiner Jackentasche zog. Neugierig warf sie einen Blick auf das Cover.

„Nat King Cole?“

Er nickte. „Ja, Nat King Cole. Der Beste von allen.“

In Windeseile hatte er die Zellophanhülle von der CD entfernt und die kleine, silberne Scheibe eingelegt. Eine Sekunde später erklangen die ersten Töne von ‚Unforgettable‘.

Jessica legte den Kopf in den Nacken. „Du bist sehr romantisch, nicht wahr?“

„Gibt es denn etwas Schöneres?“, fragte er.

„Nein, gibt es nicht. Ich bin froh, dass du so bist.“

Lächelnd streckte er seine Arme nach ihr aus. „Schön, dass du so denkst.“

Für einen Augenblick schloss Jessica die Augen. Die Musik erfüllte den Raum. Jessica lauschte Nat King Coles Stimme. Einen Moment lang hatte sie das Gefühl, als würde er einzig und allein für sie singen.

„Möchtest du tanzen?“

Seine Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Jessica nickte schüchtern. „Ja, gern.“

Eine Sekunde später bewegten sie sich eng umschlungen durch den Raum. Jessica schmiegte sich an ihn. Ihre Hände strichen über seinen Hals, seine Brust, seine Hüften, immer weiter nach unten. Seine Hose war noch immer geöffnet. Er keuchte leise, als Jessica ihre Hand erneut hineinschob und fordernd seinen Penis massierte.

„Du fühlst dich gut an“, hauchte sie ihm ins Ohr.

Er seufzte leise. „Du dich auch.“

„Willst du mehr?“

„Ja, ich will mehr.“

„Dann komm!“

Hand in Hand gingen sie ins Schlafzimmer. Jessica ließ sich auf das Bett fallen. Ihr blondes Haar verteilte sich auf dem Kopfkissen.

„Du ... du bist wunderschön“, sagte er.

Jessica spürte, dass sie rot wurde. „Danke.“

Er beugte sich zu ihr nach unten und zog ihr langsam das Kleid über den Kopf. Bis auf einen schwarzen Tanga war sie nackt darunter. Ihre Brustwarzen waren hart vor Verlangen. Auf ihrem Bauch perlten winzige Schweißtropfen.

Behutsam streifte er ihr den Slip ab. Im Nebenraum stimmte Nat King Cole soeben die ersten Töne von ‚Stardust‘ an. Jessica seufzte vor Erregung.

„So wunderschön“, wiederholte er. Im selben Moment griff er mit der rechten Hand in seine Hosentasche.

„Was ...?“, setzte Jessica an, doch mehr brachte sie nicht hervor.

„So wunderschön“, verkündete ihr Gast zum dritten Mal, als er seine Hand wieder aus der Tasche zog.

Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte die Klinge eines Messers darin auf. Jessica sah entsetzt in seine Augen, die plötzlich jeden Ausdruck von Zärtlichkeit verloren hatten. Sie versuchte zu schreien, doch ehe sie dazu in der Lage war, spürte sie die scharfe Klinge an ihrem Hals. Spürte, wie sich das Metall durch ihre Haut bohrte und mit einem scharfen Schnitt ihre Kehle durchtrennte.

Der Schmerz war unerträglich. Sie riss die Hände nach oben und presste sie auf die Wunde. Doch es half nicht. Das Blut schoss gurgelnd aus ihrem Hals und floss zwischen ihren Fingern hindurch. Panik ergriff sie, gepaart mit Angst und diesem unsäglichen Schmerz. Und noch etwas fühlte sie: Der hohe Blutverlust raubte ihr die Sinne, sie wurde langsam schwächer.

Sie blickte in das Gesicht ihres Gastes, auf dem sich nun ein kindlicher Ausdruck der Zufriedenheit breit gemacht hatte. Leise summte er die Melodie von ‚Stardust‘ mit.

All das nahm Jessica nur noch benommen wahr. Nach und nach verschwamm die Realität vor ihren Augen.

Das Letzte, das sie sah, bevor sie starb, war, dass ihr Gast sich ganz nah über sie beugte und das Messer zu ihrem Gesicht führte. Dann zog die Dunkelheit sie fort.

2.

Das Klingeln des Telefons riss Nicolas Stürmer aus dem Schlaf. Er lag bäuchlings auf dem Bett, Arme und Beine weit von sich gestreckt. Sein Kopf brummte, sein Magen rumorte. Den Grund für seinen schlechten Zustand entdeckte er neben dem Kopfkissen: Dort lag eine leere Whiskyflasche.

Vorsichtig richtete er sich auf. Sein Magen rebellierte. Nur mit Mühe konnte er den aufkeimenden Brechreiz überwinden.

Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es kurz nach zehn war. Viel zu früh für einen Sonntagmorgen.

Wütend riss er den Hörer von der Gabel. „Stürmer.“

Seine Stimme klang wie ein Reibeisen. Wie so oft konnte er sich auch diesmal nicht daran erinnern, was er in der vergangenen Nacht getrieben hatte. Das passierte ihm in letzter Zeit immer häufiger.

„Nicolas?“

Stürmer brauchte einen Moment, um die Stimme am anderen Ende der Leitung zu identifizieren. Dann begriff er, dass sie Stefan Heynckes, seinem Partner, gehörte.

„Weißt du eigentlich, wie spät es ist?“, fragte er genervt.

„Ja, das weiß ich. Ich hätte auch nicht angerufen, wenn es nicht wichtig wäre.“

Eine böse Vorahnung durchzuckte Stürmer. Er presste den Telefonhörer fest an sein Ohr.

„Hat unser Killer wieder zugeschlagen?“

„Ja, hat er. Am Kennedy-Ufer in Deutz. Du musst herkommen.“

Stürmer biss die Zähne zusammen. Der Druck jagte eine neuerliche Schmerzwelle durch seinen Kopf.

„Gib mir die Adresse. Ich bin in zehn Minuten da.“

Aus den zehn Minuten wurde eine halbe Stunde. Stürmer parkte seinen Wagen auf dem Parkplatz des Landschaftsverbandes, der sich zwischen dem Lanxess-Hochhaus und dem Hyatt-Hotel befand. Die zwei Aspirin, die er genommen hatte, machten seinen Zustand etwas erträglicher. Trotzdem fühlte er sich noch immer wacklig auf den Beinen.

Schon von Weitem erkannte er den Tatort. Ein Großaufgebot von Polizisten war damit beschäftigt, die Schaulustigen zurückzudrängen. Entlang der Deutzer Brücke hatten sich mehrere Übertragungswagen lokaler und überregionaler Fernsehstationen postiert. Als die Reporter Stürmer entdeckten, gingen sie sofort auf ihn los und schrien ihm hysterisch ihre Fragen entgegen. Stürmer drängte sich mit abwehrend hochgehobenen Händen durch die Menschenmasse, durchschritt die Absperrung und eilte auf den Hauseingang zu.

„Wo muss ich hin?“, fragte er einen jungen Beamten, der mit mürrischer Miene vor der Haustür stand.

„Zweiter Stock. Immer dem Leichengeruch nach.“

„Sehr witzig.“

Er marschierte die Treppen hinauf, was ihm in Anbetracht seines Zustands nicht leichtfiel. Seine achtzig Kilo Körpergewicht, verteilt auf einen Meter sechsundachtzig Körpergröße, kamen ihm augenblicklich wie achtzig Tonnen vor. Er schwitzte, und seine Kleidung, bestehend aus Jeans, T-Shirt und Turnschuhen, klebte an seinem Körper. Er fühlte sich elend, und er wusste, dass er auch so aussah.

Im zweiten Stock erwartete ihn ein Pulk aus Menschen, der damit beschäftigt war, die Wohnung des Opfers zu untersuchen. Inmitten der Menge entdeckte er seinen Partner Stefan Heynckes.

Heynckes schüttelte beim Anblick Stürmers den Kopf. „Du siehst aus, als hättest du in einer Mülltonne geschlafen.“

„Danke, dass du mich daran erinnerst. Falls es dir ein Trost ist: Vor einer halben Stunde habe ich noch viel beschissener ausgesehen.“

„Es ist mir kein Trost“, entgegnete Heynckes und wies auf einen schmalen Korridor. „Da lang.“

Stürmer folgte seinem Partner. Sie durchquerten den Flur, an dessen Ende sich zwei offene Türen befanden. Eine davon führte ins Bad, die andere, auf welche Heynckes zusteuerte, ins Wohnzimmer.

„Nette Bude“, stellte Stürmer anerkennend fest, als sie den Raum betraten.

Das Zimmer war spärlich, aber geschmackvoll eingerichtet. Auf einem Tisch entdeckte Stürmer eine geöffnete Rotweinflasche und zwei Gläser. Die Flasche war voll, die Gläser sauber.

Auf der anderen Seite des Zimmers befand sich ein großer Balkon, auf den er sogleich zusteuerte. Von dort hatte man eine fantastische Aussicht auf den Rhein sowie die Altstadt und den Dom.

„Was man für so eine Bude wohl bezahlt?“

„Sicher mehr, als du dir von deinem Gehalt leisten könntest“, entgegnete Heynckes und wies auf eine Tür zu Stürmers Linken. „Sie liegt da drin.“

Stürmer steuerte auf das Zimmer zu. Im Vorbeigehen fiel sein Blick auf die Stereoanlage, vor der eine CD-Hülle mit dem Bild von Nat King Cole lag. Dieser Anblick war Stürmer schon bestens vertraut.

Im Schlafzimmer herrschte ebenfalls hektische Betriebsamkeit. Stürmer entdeckte Selcuk Ayman und Benno Keller, das Spezialteam der Spurensicherung. Beide standen neben dem Bett der Toten und untersuchten mit professioneller Aufmerksamkeit die Leiche. Zwischendurch machten sie sich immer wieder Notizen.

Ein Polizeifotograf war derweil damit beschäftigt, Fotos vom Tatort zu machen. Irgendeine gute Seele hatte das Fenster aufgerissen. Trotzdem war die Luft noch immer von einem penetranten Gestank erfüllt.

„Sieh an, unser Langschläfer ist auch schon da“, begrüßte Selcuk Ayman ihn grinsend. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ziemlich fertig aussiehst?“

Stürmer winkte ab. „Das höre ich andauernd. Aber wenn du heute schon in den Spiegel geschaut hast, kennst du das Gefühl ja.“

Ayman lachte. Es war ein fröhliches Lachen, das so gar nicht zu den gegenwärtigen Umständen passte.

Stürmer mochte Ayman. Obwohl sie ein komplett unterschiedliches Leben führten, kamen sie blendend miteinander aus. Sie waren beide vierunddreißig Jahre alt, Ayman war einen Kopf kleiner als Stürmer, wog aber zwanzig Kilo mehr. Er war seit elf Jahren verheiratet und Vater von drei Töchtern. Seine Eltern stammten aus der Türkei, aus einem kleinen Dorf in Anatolien. Er selbst war in Deutschland zur Welt gekommen, besaß aber beide Staatsbürgerschaften.

Stürmer wandte seine Aufmerksamkeit der toten Frau zu. Wie alle anderen Opfer zuvor war auch sie groß und schlank. Ihr blondes, von Blut verklebtes Haar verteilte sich auf dem Kopfkissen.

Stürmer betrachtete den Hals der Frau. Ihre Kehle war mit einem sauberen Schnitt durchtrennt worden. An ihren Händen klebte Blut, was Stürmer als Zeichen dafür wertete, dass sie in ihrer Verzweiflung noch versucht hatte, die Wunde zu schließen.

Stürmers Blick wanderte hinauf zur Augenpartie. Dort, wo einmal die Augen gewesen waren, klafften nun zwei walnussgroße, blutunterlaufene Löcher. Die zerfetzten Sehnerven hingen aus den leeren Höhlen. Die Augenlider waren fein säuberlich abgetrennt worden. Die Schnitte verliefen unmittelbar unterhalb der Augenbrauen.

Angewidert presste sich Stürmer die Hand auf den Mund. Wieder konnte er nur mit Mühe seinen Brechreiz unterdrücken.

„Das ist nichts für schwache Nerven“, bemerkte Benno Keller mitleidig. „Ich habe ja schon eine Menge in meinem Leben gesehen, aber was dieser Kerl seinen Opfern antut, übertrifft alles um Längen.“

Stürmer schüttelte den Kopf. „Was habt ihr bis jetzt herausgefunden?“

„Nicht viel“, entgegnete Ayman. „Das Opfer heißt Jessica Fuchs. Sie ist sechsundzwanzig Jahre alt. Die vermutliche Todeszeit liegt zwischen zweiundzwanzig und dreiundzwanzig Uhr gestern Abend. Gestorben ist sie an dem hohen Blutverlust, den das Durchtrennen der Halsschlagader bewirkte. Wie es aussieht, hat die Arme noch versucht, die Wunde mit den Händen zu schließen. Ein absolut sinnloses Unterfangen. Ich denke, der Todeskampf hat nicht länger als zwei oder drei Minuten gedauert. Dann wurde sie vermutlich ohnmächtig. So ist ihr zumindest der Rest erspart geblieben.“

„Gibt es Anzeichen für sexuelle Kontakte?“

„Nein, gibt es nicht. Wir haben keine Spermaspuren gefunden. Wenn du mich fragst, dann hat unser Killer mehr Spaß am Töten als am Vögeln.“

„Was ist mit Fingerabdrücken?“

„Davon gibt es jede Menge. Allein hier im Schlafzimmer haben wir Abdrücke von mindestens zehn verschiedenen Personen gefunden. Die ganze Wohnung ist voll davon. Allerdings ist die CD sauber. Ich glaube nicht, dass unser Killer etwas von sich hinterlassen hat. Dazu ist er zu clever. Wir werden aber natürlich die vorhandenen Abdrücke genau auswerten.“

Stürmer nickte bedächtig. Es war genauso wie bei den drei vorangegangenen Morden. Nicht eine einzige brauchbare Spur hatte die Polizei bislang entdeckt. Es gab nicht den geringsten Hinweis auf den Mörder.

„Wer hat die Leiche entdeckt?“

„Das war Peter Gerards, ein Nachbar. Er wohnt nebenan. Als er heute Morgen mit seinem Hund Gassi gehen wollte, fiel ihm die offene Wohnungstür auf. Zuerst hat er ein paarmal den Namen des Opfers gerufen. Als sie nicht reagierte, ist er in die Wohnung hineingegangen und hat sie hier gefunden.“

Stürmer blickte sich im Schlafzimmer um. Erst jetzt fielen ihm die Bilder an den Wänden auf. Größtenteils zeigten sie nackte Frauen und Männer in eindeutigen Posen. Manche der Bilder konnte man durchaus als pornografisch bezeichnen.

„Scheinbar stand sie auf so etwas“, sagte Heynckes, der sich bis jetzt im Hintergrund gehalten hatte. „In ihren Schränken haben wir noch mehr Bilder gefunden. Damit hättest du getrost die ganze Wohnung tapezieren können.“

Stürmer ging zum Fenster und sah hinaus. Unten auf der Straße hatten sich inzwischen noch mehr Pressevertreter eingefunden. Sie alle warteten wie die Aasgeier auf eine Stellungnahme der Polizei.

„Was hat sie beruflich gemacht?“

„Du willst wissen, wieso sie sich diese teure Wohnung leisten konnte?“

Stürmer nickte stumm.

„Ihrem Daddy gehört eine bekannte Immobilienfirma hier in Köln. Ich schätze, er hat ihr das hier ermöglicht.“

„Hat schon jemand mit den Eltern gesprochen?“

„Ja, Klepel und Bräutigam.“

„Verdammt! Da hätte man auch gleich einen Bulldozer hinschicken können.“

„Die beiden waren aber die einzig verfügbaren Männer“, verteidigte sich Heynckes.

Stürmer wiegelte ab. „Schon gut. Habt ihr sonst schon etwas über das Opfer herausgefunden? Hatte sie beispielsweise einen Liebhaber? Freunde? Freundinnen?“

„Darüber wissen wir noch nichts. Ich denke, wir sollten zunächst einmal mit dem Nachbarn sprechen. Dann sehen wir weiter.“

Stürmer nickte. „Das ist sowieso das Einzige, was wir im Moment machen können. Schöne Scheiße. Und dabei hatte ich mich endlich einmal auf einen gemütlichen Sonntag gefreut.“

„Frag mich mal“, seufzte Heynckes. „Was glaubst du, wie Conny getobt hat.“

Conny war Cornelia, Heynckes’ Frau. Nach allem, was Stürmer wusste, war es um die Ehe seines Partners nicht zum Besten bestellt. Zu viele Überstunden und Wochenendschichten hatten ihre Spuren hinterlassen. Ein Übel, mit dem viele Polizisten zu kämpfen hatten. Auch Stürmer hatte einige Beziehungen hinter sich, die an seinen unmöglichen Arbeitszeiten gescheitert waren.

„Tut mir leid“, bekundete er, während sie den Flur entlangliefen. Sein Bedauern war aufrichtig. Er und Heynckes waren seit beinahe fünf Jahren ein Team. Beinahe genauso lang kannte er Cornelia Heynckes. Er mochte sie, wusste aber auch, dass sie nicht immer pflegeleicht war. Besonders wenn es um ihre Ehe und die Kinder ging, war sie alles andere als kompromissbereit. Heynckes litt sehr unter der angespannten Situation, sprach aber nicht oft darüber. Er war ein Mensch, der seine Gefühle nur selten preisgab.

Für Stürmer war Heynckes so etwas wie ein großer Bruder. Das lag zum einen daran, dass Heynckes sechs Jahre älter war als er. Zum anderen war Heynckes ein Hüne. Mit über ein Meter neunzig Körpergröße und dazu einem Gewicht von mehr als hundert Kilo flößte er seiner Umwelt einen gehörigen Respekt ein. Dabei war er äußerst friedfertig. Seine sanfte Art machte ihn zu einem ausgezeichneten Vermittler in Krisensituationen.

Stürmer hingegen war ein Draufgänger, wie er im Buche stand. Sein Verhalten war fast immer emotional gesteuert. Er verließ sich vornehmlich auf seinen Instinkt und nur selten auf nackte Fakten. Das unterschied ihn von den meisten anderen Polizisten, die er kannte.

Stürmer war über Umwege bei der Mordkommission gelandet. Nach dem Abitur hatte er zunächst ein Jurastudium begonnen, dieses aber nach sechs Semestern wieder abgebrochen. Was ihn viel mehr interessierte als Scheidungsfälle und Nachbarschaftszwistigkeiten war der harte Alltag im Umgang mit dem Gesetz, der tägliche Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Recht und Unrecht.

Schließlich hatte er bei der Polizei angeheuert. Nach seiner Ausbildung hatte er zunächst beim Raubdezernat gearbeitet und dann, als sich die Chance bot, in die Mordkommission zu wechseln, sofort zugegriffen. Bis heute hatte er seinen Entschluss nicht bereut. Die Arbeit machte ihm nach wie vor Spaß, auch wenn ihm missfiel, wie viele Morde unaufgeklärt blieben und letztlich als Akte in einem staubigen Archiv landeten.

Denn Nicolas Stürmer hasste es zu verlieren. Aufgeben war ein Fremdwort für ihn. Es war gleichbedeutend mit einer Niederlage. Er gab nie auf, selbst dann nicht, wenn ihm eine Situation vollkommen aussichtslos erschien. Er war ein Kämpfer, der, wenn es sein musste, mit dem Kopf durch die Wand ging. Genau diese Zähigkeit hatte ihm bei seiner Arbeit schon oft geholfen. Da, wo andere aufgaben, machte er weiter. Wenn es sein musste, konnte er sich regelrecht in einen Fall verbeißen. Doch manchmal reichte es nicht.

„Hier wohnt er“, sagte Heynckes, als sie die Tür zu Gerards‘ Wohnung erreichten, dem Nachbarn des Opfers.

Stürmer klopfte an. Es dauerte eine Weile, bis Peter Gerards die Tür öffnete. Stürmer schätzte den Mann auf Mitte sechzig. Er trug eine braune Hose und ein weißes Hemd, an dem die oberen beiden Knöpfe fehlten. Seine Augen wirkten seltsam leer. Er warf einen Blick auf die Dienstmarke, die Heynckes ihm entgegenhielt, und schüttelte mürrisch den Kopf.

„Was möchten Sie denn noch? Ich habe Ihren Kollegen doch schon alles gesagt.“

„Das wissen wir“, entgegnete Heynckes. „Trotzdem möchten wir die Geschehnisse des Morgens noch einmal mit Ihnen durchgehen. Möglicherweise ist Ihnen in der Zwischenzeit ja noch etwas Wichtiges eingefallen. Es dauert nur einige Minuten.“

Gerards seufzte leise. „Gut, dann kommen Sie eben herein.“

Er führte die Männer in die Küche. Ein kleiner Pekinese lag in einer Ecke unter der Heizung und knurrte die Polizisten leise an.

Stürmer fiel auf, dass die Wohnung haargenau so geschnitten war wie die von Jessica Fuchs. An den Wänden hingen massenhaft vergilbte Fotos. Einige davon waren so alt, dass man kaum noch etwas darauf erkennen konnte.

„Würden Sie uns bitte noch einmal erzählen, was heute Morgen passiert ist?“, bat Heynckes.

Gerards nickte und zeigte auf seinen Hund. „Ich führe Harry jeden Morgen um acht Uhr aus. Meistens gehen wir eine Runde durch den Rheinpark. Harry ist ganz vernarrt in den Park, müssen Sie wissen.“

„Das heißt, es war Punkt acht Uhr, als Sie die Wohnung verließen?“

„Plusminus fünf Minuten. Ich denke aber, es war ziemlich genau acht Uhr.“

Gerards warf seinem Hund einen liebevollen Blick zu. Der Pekinese reagierte mit einem gelangweilten Gähnen.

„Als ich an Jessicas ... ich meine, als ich an Frau Fuchs‘ Tür vorbeikam, war mir sofort klar, dass etwas nicht stimmte. Die Tür stand einen Spaltbreit offen. Aus der Wohnung drang ein übler Geruch, so als hätte jemand die Toilette benutzt und nicht abgezogen. Erst habe ich ein paarmal ihren Namen gerufen. Als sie nicht antwortete, bin ich in die Wohnung gegangen. Sie können sich sicher vorstellen, wie entsetzt ich war, als ich die Leiche entdeckte.“

„Natürlich können wir das.“ Heynckes nickte mitfühlend. „Was haben Sie anschließend gemacht?“

„Ich habe nicht lange überlegt, sondern bin zurück in meine Wohnung gegangen und habe die Polizei angerufen.“

„Haben Sie in Ihrer Wohnung gewartet, bis die Polizei eintraf?“

„Ja, habe ich.“

„Wie lange hat das gedauert?“

„Ungefähr fünf Minuten. Soweit ich weiß, ist die nächste Polizeistation nicht weit von hier entfernt. Deshalb ging es wohl auch so schnell.“

„Das stimmt. Erlauben Sie mir bitte eine persönliche Frage: Hatten Sie ein enges Verhältnis zu Frau Fuchs?“

Gerards brauste auf. „Was meinen Sie damit? Wollen Sie etwa andeuten, ich hätte etwas mit der Sache zu tun?“

„Nein, natürlich nicht“, entgegnete Heynckes, den Gerards’ heftige Reaktion offensichtlich ebenso überraschte wie Stürmer. „Uns interessiert lediglich, was für ein Mensch Frau Fuchs war. Hatte sie beispielsweise viele Freunde?“

„Ob sie viele Freunde hatte?“ Gerards rümpfte die Nase. „Wenn Sie mit Freunden Männerbekanntschaften meinen, dann hatte sie sehr viele Freunde.“

„Heißt das, sie hatte viele Liebhaber?“

Gerards nickte verächtlich. „Genau das heißt es.“

Stürmer runzelte die Stirn. Für einen kurzen Moment betrachtete er eines der Fotos an der Wand. Es war eine Aufnahme, auf der Gerards, damals noch viel jünger, mit einer attraktiven jungen Frau vor einem Boot stand. Die Frau hatte langes blondes Haar und eine üppige Figur. Sie trug einen für die damalige Zeit modischen Badeanzug mit Karomuster. Besonders auffallend an der Frau waren ihre strahlenden blauen Augen.

„Woher wissen Sie das mit den Liebhabern?“, fragte Heynckes.

„Woher ich das weiß?“ Gerards verzog das Gesicht. „Ich habe sie gesehen. Fast jeden Abend kam ein anderer Mann zu ihr. Manchmal sind mir die Kerle auf dem Flur begegnet. Und dann diese Geräusche. Da dachte man, das Haus stürzt ein.“

„Das heißt, Sie konnten hören, wenn Frau Fuchs Sex hatte?“

„Und wie ich das konnte. Ich konnte mich ja nicht dagegen wehren. Sie hat immer das ganze Haus zusammengeschrien.“

„Wie war es gestern Abend?“, fragte Stürmer. „Haben Sie da auch Geräusche gehört?“

Gerards schüttelte den Kopf. „Nein, gestern nicht. Zumindest nicht diese Art Geräusche.“

„Sondern?“

„Musik. Ich habe Musik gehört. Alte Musik. Schöne Musik.“ Gerards seufzte leise. „Wissen Sie, meine Frau und ich waren früher oft zusammen tanzen. Luise war eine tolle Tänzerin, und ich ... nun, ich war auch nicht schlecht. Es war eine schöne Zeit, ganz anders als heute.“

Für einen Augenblick bekam der alte Mann feuchte Augen. Er sah aus, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen. Dann aber riss er sich zusammen und berichtete weiter.

„Gestern Abend war plötzlich dieses Lied zu hören. Ich weiß nicht, wie es heißt, aber ich kann mich noch genau daran erinnern, dass Luise es mochte. Ich saß hier in der Küche, habe Harry angeschaut und ihm gesagt, wie sehr mir Luise fehlt. Sie ist vor zwei Jahren gestorben. Diese Wohnung haben wir uns als Altersruhesitz gekauft. Luise hat so gern draußen auf dem Balkon gesessen und hinunter auf die Altstadt geschaut. Wir waren neununddreißig Jahre verheiratet.“

Er schüttelte traurig den Kopf. Jetzt liefen ihm tatsächlich Tränen übers Gesicht. Heynckes berührte ihn mitfühlend am Arm. Dann zog er eine Visitenkarte aus der Tasche und legte sie vor Gerards auf den Tisch.

„Danke, dass Sie sich so viel Zeit für uns genommen haben. Sollte Ihnen noch etwas einfallen, dann rufen Sie uns einfach an.“

Gerards nickte. Gedankenverloren begleitete er die Polizisten zur Tür.

Stürmer stand schon halb draußen auf dem Flur, als ihm noch eine Frage einfiel. „Sagen Sie, welche Augenfarbe hatte Frau Fuchs eigentlich?“

Für einen Augenblick huschte ein verträumter Ausdruck über das Gesicht des alten Mannes. „Sie waren blau“, antwortete er. „So blau wie das Meer.“

3.

„Glaubst du, Gerards hat mit ihr geschlafen?“, fragte Stürmer. Er und Heynckes befanden sich auf dem Weg zum Kölner Polizeipräsidium, das im rechtsrheinischen Kalk auf dem Gelände einer ehemaligen Chemiefabrik erbaut worden war.

„Keine Ahnung. Möglich wäre es.“

Stürmer runzelte die Stirn. Noch immer schwirrten ihm Gerards’ letzte Worte durch den Kopf. Sie waren blau. So blau wie das Meer.

„Hast du die Fotos an der Wand gesehen? Seine Frau hat in jungen Jahren genauso ausgesehen wie Jessica Fuchs. Das kann doch kein Zufall sein.“

„Verdächtigst du den alten Knaben etwa?“

Stürmer dachte kurz darüber nach. „Nein, eigentlich nicht. Obwohl es mir lieber wäre, ich würde es tun. Mich kotzt es an, dass wir nun schon den vierten Mord am Hals haben, ohne auch nur die geringste Spur zu besitzen. Es kommt mir fast so vor, als kämpften wir gegen ein Phantom. Was bedeutet diese Sache mit der Musik? Warum muss es ausgerechnet Nat King Cole sein? Und warum, zum Teufel, schneidet der Kerl seinen Opfern die Augen heraus? Je länger ich darüber nachdenke, desto merkwürdiger kommt mir alles vor. Was macht ein Mensch mit vier Augenpaaren? Wirft er sie weg? Bewahrt er sie auf? Ist er vielleicht so etwas wie ein Trophäensammler?“

Aus unzähligen Abhandlungen wusste Stürmer, dass Serienkiller häufig dazu neigten, einen Teil ihrer Opfer als Trophäe zu behalten. Er konnte sich allerdings an keinen einzigen Fall erinnern, in dem es sich um die Augen handelte. Ein Büschel Haare, ja. Auch ein Stück Haut, ein Finger oder ein Zeh. All das war nichts Ungewöhnliches. Die Augen aber waren ungewöhnlich.

Stürmer lenkte seinen alten Honda Civic, den er aufgrund seiner wuchtigen Felgen liebevoll den ‚Panzer‘ nannte, auf den Parkplatz des Polizeipräsidiums. Die beiden Männer stiegen aus und marschierten in ihr Büro, das im zweiten Stock des funktionalen Bürokomplexes lag.

Stürmer machte sich einen Kaffee und wandte seine Aufmerksamkeit der Pinnwand zu, auf der sämtliche bisherigen Morde mittels Fotos, Zeitungsausschnitten und handschriftlichen Notizen zusammengefasst waren. Am oberen Ende der Wand befand sich ein Schild mit der Aufschrift ‚Der Chirurg‘.Das war der Name, den die Presse dem Killer verpasst hatte.

Nach Stürmers Ansicht gab der Name nur unzureichend das wieder, was der Killer seinen Opfern antat. Der Name wirkte verharmlosend und klammerte die Brutalität, mit welcher der Täter vorging, völlig aus.