Komm raus da - Egon Christian Leitner - E-Book

Komm raus da E-Book

Egon Christian Leitner

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Beschreibung

Seit Jahrzehnten simuliert der Katastrophenpsychologe Dörner Unfälle und Katastrophen, politische, technische, ökonomische, z. B. in Städten, Staaten, AKWs. Und zwar, um die Desaster zu verhindern. Er schult seine Versuchspersonen zu diesem guten Zwecke nach. Sein legendäres Erstversuchsland hieß Tanaland, man könnte heutzutage meinen, es sei Griechenland. Seine Erstversuchsstadt hieß Lohausen, man könnte heutzutage in der Realität meinen, es seien die bankrotten Gemeinden und Regionen. Und aus Tschernobyl, das Dörner genau rekonstruiert hat, wurde in der jetzigen Realität eben Fukushima. Der sogenannte Held des Romans "Komm raus da", der hilfsbereite, hilfsbedürftige, lebensfrohe Uwe, Uwe wie Auweh, Held heißt freier Mensch, erlebt am laufenden Band Paraphysisches, Anomien, Ausgeliefertsein, Ausweglosigkeiten, groteske Katastrophen, organisierte Verantwortungslosigkeiten in Hilfseinrichtungen, ein Milgram- und ein Dörnerexperiment nach dem anderen. Einmal etwa will er sein Eigentum einer hochanständigen Hilfseinrichtung zur Verfügung stellen und wird anständig betrogen; und einmal wird ihm über einen anderen Menschen gesagt, er werde nicht überleben, und wenn doch, dann ohne jede höhere geistige Fähigkeit, und dann, dass dieser Mensch einfach nicht therapierbar, nicht rehabilitierbar sei. Aber es ist dann zum Glück alles nicht wahr, aber es ist ein sehr anstrengender Kampf, damit das alles nicht wahr ist. Um dieses und andere Leben eben ein Kampf. Einmal zum Beispiel erlebt er mit, wie ein anderer Mensch in ein berüchtigtes Heim verschleppt wird, in das er nie und nimmer gehört, niemand gehört dorthin, und sie holen ihn da raus, und das riesige Heim wird später wegen der Grausamkeiten darin geschlossen.

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Seitenzahl: 449

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LEITNER • KOMM RAUS DA

Die Herausgabe dieses Buches erfolgtemit freundlicher Unterstützung derKulturabteilungen des Landes Steiermark und der Stadt Graz.

EGON CHRISTIAN LEITNER

Geboren 1961 in Graz, Studium der Philosophie und Klassischen Philologie. Kranken- und Altenpflege, Flüchtlingshilfe.

Publikationen (Auswahl): Bourdieus eingreifende Wissenschaft. Handhab(ung)en, Wien: Turia + Kant, 2000; Die Judokunst des Pierre Bourdieu, in: Forum Stadtpark (Hg.), Von mir nach dort, Wien: edition selene, 2002; Schutz & Gegenwehr. Menschenleben und Widerstandswissen von Hesiod bis Bourdieu, Wien: Turia + Kant, 2002; Durch Menschenhand. Die Banalität des Guten, in: H. Halbrainer, Ch. Ehetreiber (Hgg.), Todesmarsch Eisenstraße 1945, Graz: Clio, 2005; Dazwischengehen (Ein Interview), in: Petzold, Orth, Sieper (Hgg.), Gewissensarbeit, Weisheitstherapie, Geistiges Leben. Werte und Themen moderner Psychotherapie, Wien: Verlag Krammer, 2011.

Erhielt 2013 den Literaturförderungspreis der Stadt Graz für Des Menschen Herz. Sozialstaatsroman, erschienen bei Wieser: ISBN 978-3-99029-002-6.

EGON CHRISTIAN LEITNER

Komm raus da

Freiheitsroman

Erstveröffentlichung 2012 in:Egon Christian Leitner, Des Menschen Herz.Sozialstaatsroman. Bd. IIFurchtlose Inventur

wtb 04

Cover unter Verwendung einerInstallation von Peter Christian H. Stachl.

A-9020 Klagenfurt/Celovec, Ebentaler Straße 34bTel. + 43(0)463 370 36, Fax. + 43(0)463 376 [email protected]

Copyright © dieser Ausgabe 2015 bei Wieser Verlag GmbH,Klagenfurt/CelovecAlle Rechte vorbehaltenLektorat: Thomas Redl, Helga SchichoKorrektorat: Wolfgang EbnerISBN 978-3-99047-021-3

Inhalt

Schlüssel

Von einer Dialysestation, auf der ein Pfleger gewissenhaft arbeitete, aber eineinhalb Jahrzehnte nach der berichteten Zeit schuldig gesprochen wurde, weil 2005 ein Patient während der Dialyse gestorben war. Die Richterin bedauerte, dieses Urteil fällen zu müssen, denn statt des Pflegers sollten sich die Ärzte, die Verwaltung und die Politik vor dem Gericht verantworten müssen. Doch so weit reichten die Gesetze nicht, sagte die Richterin. (1989–1992)

Von einer Frau, deren Gehirn plötzlich blutete, und über die man sagte, sie werde das nicht überleben oder wenn, dann nur ohne jede höhere geistige Funktion, und später, sie sei nicht therapierbar. Aber das war alles nicht wahr, weil um sie gekämpft wurde. (1993–1999)

Ein Sozialarbeiter kommt mit seinem Beruf nicht zurande, gerät auf Abwege, erpresst seine Organisation. Diese will ihn loswerden. (1992–1998)

Wie ein großmütiger Gelehrter und herzensgebildeter Forscher, in dem 3000 Jahre Menschheitsgeschichte am Leben und Wirken waren, unterging und sein Universitätsinstitut mit ihm und dadurch der Schulunterricht. Aber das weiß fast niemand, weil man vergessen hat, was alles möglich ist. (1992–1997)

Wie einem Flüchtling ein fremdes Kind in den Händen starb und er darüber ein anderer Mensch wurde. (1992–)

Von einer Frau, die als Kind fast zu Tode gekommen wäre und für ihre Kinder lebte; und wie es ist, wenn es dann plötzlich in Wahrheit doch keine Schmerzmittel gibt, die helfen, und keinen Gott und die netten Hospizleute sich irren. (1999)

Von einem Lehrer aus kleinen Verhältnissen, der glaubt, er sei unnütz und werde nicht gebraucht. Er bemüht sich. Aber in der Schule ist nichts wirklich. Man muss aber auf das stolz sein können, was man lernt. Es muss also wichtig und wertvoll sein. Und man darf nicht so viel im Stich gelassen werden. (2005)

Ein Vietnamese, der im Krieg Funker war, stirbt fast im Meer als einer der Boatpeople. Zufällig wird er vom Roten Kreuz von seiner Familie, seinem Bruder, getrennt, der nach Amerika gebracht wird. Er kommt ganz alleine hierher, verliebt sich in eine Chinesin, gibt ihr Geld, damit sie von hier fortkann, ist dann wieder sehr alleine, hat Asyl, aber nicht viel Geld, nur seine Arbeit, die oft nicht. Am 11. September 2001 wird er ziemlich schizophren, weil er die Fernsehbilder nicht fassen kann. Er kommt immer wieder ins Stadtspital und wird dann in ein Pflegeheim in einem Landschloss verschleppt, in dem die Verweildauer 4 Jahre beträgt, dann stirbt man. Er ist 54 und immer freundlich. Ins Heim muss er, weil es heißt, dass er niemanden habe. Er hat aber jemanden; die brechen ihn heraus. Das Pflegeheim ist die Hölle für die Insassen und für das Pflegepersonal. Aber die Politik nimmt das der Region und der Arbeitsplätze wegen billigend in Kauf. Auch spare man durch das Heim anderswo Geld. Vor allem sei das Patientenmaterial das Problem. (2004–2005)

Schlüssel

Menschen sind gut, wenn man sie es sein lässt, und Systeme sind änderbar, wenn man sich ihrem Verhängnis nicht fügt.

Komm raus da handelt von den Anomien, Simulationen, Exzessen, all den Milgram- und Dörnerexperimenten, von denen der freie Mensch Uwe alias Auweh Kenntnis hat, insbesondere davon, wie Hilfseinrichtungen samt Helfern zu Milgramexperimenten und zu Dörnerexperimenten werden und wie man bewerkstelligt, dass sie nicht dazu werden. Seit Jahrzehnten hat der Kognitionspsychologe und Experte im Fehlermachen Dörner Unfälle und Katastrophen simuliert, politische, technische, ökonomische, z.B. in Städten, Staaten, AKWs. Und zwar um die Desaster zu verhindern. Er schult seine Versuchspersonen zu diesem guten Zwecke nach. Sein legendäres Erstversuchsland hieß Tanaland, man könnte heutzutage meinen, es sei Griechenland. Seine Erstversuchsstadt hieß Lohausen, man könnte heutzutage in der Realität meinen, es seien die bankrotten Gemeinden und Regionen. Und aus Tschernobyl, das Dörner genau rekonstruiert hat, wurde in der jetzigen Realität eben Fukushima.

Lassen Sie es mich ganz simpel so sagen: Immer wenn man als Helfer, Verantwortungsträger, Entscheidungen Treffender »Es geht nicht anders« oder »Es geht nicht anders: Es ist das kleinere Übel« zu jemandem sagt oder selber gesagt bekommt und es gar auch noch selber glaubt, befindet man sich wahrscheinlich gerade als Versuchsperson in einem grausigen Milgram- oder Dörnerexperiment. Und zu glauben, man könne es sich für sich selber oder für die Seinen trotz allem schon irgendwie richten, gehört zum Verlauf des Experimentes. In jedem Augenblick aber gilt: Menschen sind gut, wenn man sie es sein lässt, und Systeme sind änderbar, wenn man sich ihrem Verhängnis nicht fügt.

Jänner 2014

(Dieser Schlüssel wird von neuem ausgehändigt nach abverlangtem Nachdenken darüber, wofür Arno Geigers Der alte König in seinem Exil vielleicht gut war, was Werner Vogts Mein Arztroman eventuell erwirken wird und warum die von der Arbeiterkammer in Auftrag gegebene Studie Arbeitsbedingungen in den Gesundheits- und Sozialberufen bislang weder Überraschung noch ausreichendes Aufbegehren zeitigt.)

Von einer Dialysestation, auf der ein Pfleger gewissenhaft arbeitete, aber eineinhalb Jahrzehnte nach der berichteten Zeit schuldig gesprochen wurde, weil 2005 ein Patient während der Dialyse gestorben war. Die Richterin bedauerte, dieses Urteil fällen zu müssen, denn statt des Pflegers sollten sich die Ärzte, die Verwaltung und die Politik vor dem Gericht verantworten müssen. Doch so weit reichten die Gesetze nicht, sagte die Richterin. (1989–1992)

1

Auf der Dialysestation lagen zwei Patienten, die hatten Gliedmaßen bei Arbeitsunfällen verloren. Stromunfall, Herzstillstand, Nierenversagen. Einer hatte keine Beine mehr und nur eine Hand. Es schienen jetzt seine letzten Tage gekommen zu sein. Der Arzt, dessen Name so schön griechisch klang, mochte den Mann sehr. Der Mann mit dem verstümmelten Körper wollte nach Hause, nur ein paar Tage, über das Wochenende, glaube ich. Seine Frau war ihn einmal besuchen auf der Dialyse. Mir schien, die Frau und der Mann liebten einander inniglich. Und als er traurig war und für das Wochenende heim wollte und nur mehr ein paar Tage zu leben hatte – aber das wusste er vielleicht nicht, ich weiß auch nicht, ob der Arzt es wusste –, bat der ohne Beine mich, als er am Apparat hing, ich solle seine Frau anrufen und sie bitten, dass sie ihn holen komme. Er sagte mir zwei Nummern. Ich erreiche seine Frau ganz gewiss. Sie sei immer zu Hause um die Zeit. Das sei so ausgemacht, damit er sie telefonisch erreichen kann. Er warte jetzt schon seit Tagen auf ihren Besuch. Sie rufe ihn auch nicht an. Er verstehe das nicht. Ich ging aus der Dialyse raus an die frische Luft und in die nächste Telefonzelle und rief ein paar Mal dorthin an, wohin er wollte und weil er verzweifelt war. Aber ich erreichte niemanden. Und im Telefonbuch schaute ich nach, ob die Nummern stimmen. Sie muss da sein!, sagte er. Sein Gesicht. Mir war, als liebe er sie über alles und verabscheue sich. Ich habe so ein liebevolles und verzweifeltes und gefasstes und angewidertes Gesicht niemals zuvor gesehen. Er konnte nicht heim. Ein paar Tage später gab es ihn nicht mehr. Der Dialysearzt mit dem Bart und der Brille und dem griechischen Namen hatte zu ihm gesagt, es gehe ihm jetzt besser, für ein paar Tage könne er jetzt, wenn er wolle, heim. Aber er konnte das nicht, weil er seine Frau nicht fand. Der zweite Verstümmelte, von einem Stromunfall her auch, war besserer Dinge, hatte auch nur mehr ein paar Körperstücke, ich weiß nicht mehr genau, was er und ich miteinander redeten, er erzählte mir vom Unfall, die Voltzahl, die er überlebt hatte. Es habe geheißen, so etwas könne man nicht überleben.

2

Die Frau, die auf der Dialyse starb, ich rannte, sie reagierten nicht, ich rannte um den Notkoffer, rannte. Der Mann der Frau holte die Frau oft ab. Er liebte sie. Ich glaube, er holte sie an dem Tag auch ab, ich weiß es nicht mehr. Ich glaube, er kam an dem Tag und wusste von nichts. Nein, ich sah ihn nicht an dem Tag. An einem anderen, glaube ich, später einmal noch, da ging er auf die Station, kurz. Einmal sah ich ihn dann später noch, ich wusste nicht, ob ich ihm sagen soll, wie seine Frau gestorben war. Ich tat es nicht. Ich überlegte mir auch, ob ich ihn anrufen soll. Tat ich auch nicht. Heute, Jahre später, in diesem Augenblick erst fällt mir ein, dass das vielleicht ein Unrecht war, dass ich ihm nicht erzählt habe, wie seine Frau gestorben war. Aber ich wollte ihm etwas ersparen. Auch später dann. Es war ein Unfall, ein Unglück. Es war ein sanfter Tod, schien mir, einer wie im Schlaf. Das hätte ich dem Mann sagen können. Das hätte es ihm vielleicht leichter gemacht. Aber es war nicht die Wahrheit. Gewiss, die Frau starb sehr leicht, und jedem Menschen wohl ist ein solcher Tod zu wünschen, sanft war der und nicht grausam. Aber es ist nur die halbe Wahrheit. Und wie ruhig seine Frau gestorben war, das hätte ich ihm damals, weil ich dabei gewesen und gerannt war, gar nicht so sagen können, ihrem lieben Mann, obwohl es wahr war.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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