Kommissar Kastner und das perfekte Weihnachtsdinner - Susanne Reiche - E-Book

Kommissar Kastner und das perfekte Weihnachtsdinner E-Book

Susanne Reiche

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Beschreibung

Kriminalhauptkommissar Kastners Kollege Wernreuther hat es in die Endausscheidung des Wettbewerbs »FrankenKocht!« geschafft, als sich sein Beikoch beim Snowboarden beide Handgelenke bricht. Kastner springt ein, obwohl sich seine Kochkünste auf Schinkennudeln und Tütensuppen beschränken. Schon am ersten Entscheidungstag des Finales, das in der edelstahlglänzenden Küche des Nobelrestaurants Muskatblüte unter regem Medieninteresse stattfindet, macht sich einer der Juroren mit harscher Kritik unbeliebt, und am nächsten Morgen stolpert Kastner im Kühlraum über dessen froststarre Leiche. Ein tragischer Unfall? Ein eiskalter Mord? Während Wernreuther unverdrossen am ultimativen Weihnachtsmenü feilt, ist Kastner endlich wieder ganz in seinem Element …

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Seitenzahl: 151

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Susanne Reiche studierte in Erlangen Biologie, war vierzehn Jahre lang beim ­Nürnberger Umweltamt im Bereich Umweltplanung tätig und arbeitet heute als Schriftstellerin. 2014 gewann sie mit ihrer Geschichte »Der Tod des Baulöwen« den Publikumspreis des Fränkischen Krimipreises. 2016 erschien ihr erster Krimi »Fränkisches Chili« um den ­Nürnberger Kommissar Kastner, 2017 folgte »Fränkisches Sushi«, 2018 »Fränkische Tapas«, 2020 »Fränkisches Pesto«, 2023 »Fränkischer Döner«.www.susanne-reiche.de

Susanne Reiche

Kommissar Kastnerund das perfekteWeihnachtsdinner

Ein fränkischer Winterkrimi

ars vivendi

Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlagerschienenen Originalausgabe (Erste Auflage Oktober 2024)© 2024 by ars vivendi verlagGmbH & Co. KG, Bauhof 1,90556 Cadolzburg

Alle Rechte vorbehaltenAlle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar.

www.arsvivendi.com

Lektorat: Stephan NaguschewskiUmschlaggestaltung: ars vivendi verlagCoverfoto: © ars vivendi verlag

eISBN 978-3-7472-0634-8

Kommissar Kastner und dasperfekte Weihnachtsdinner

Von der Treppe her waren Schritte zu hören … Konnte man denn in dieser Provinzspelunke nicht mal für fünf Minuten seine Ruhe haben? Idioten, überall Idioten! Er rieb sich die Nase, wischte ein paar verräterische Brösel von seinem Mantelkragen und richtete sich auf, ein wenig zu hastig vielleicht – für einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen, seine Smartwatch piepte einen Dreiklang in Moll. Hatte er einen Schoppen zu viel von dem muffigen Gesöff getrunken, das man in Franken – und nur dort! – für Wein hielt? Wa rum hatte er sich auf diesen ganzen Schwachsinn überhaupt eingelassen? Er hätte es besser wissen können, er hätte es besser wissen müssen! Man gab einem Idioten den kleinen Finger, er wollte die ganze Hand, das war nun wirklich nichts Neues. Mit Idioten kannte er sich aus. Sie waren Legion in seinem Metier, sie vermehrten sich wie Schimmel an einer feuchten Wand  … Restaurantkritiker mit dem Sachverstand eines Rudels hungriger Labrador-Retriever! Gäste, die eine Consommé mit dem Dessertlöffel aßen! Jungköche, die auf ihre Work-Life-Balance pochten! Konkurrierende Kollegen, die sich ungeniert zum Affen machten, um ins Rampenlicht zu gelangen: Profi-Coaching für die Pizzabude am Eck, Genussreisen in die kulinarischen Untiefen entlegener Landgasthöfe, Showkochen mit abgehalfterten Prominenten … Und nun war er selbst Teil des Spektakels: ein Kochwettbewerb, ein fränkischer Koch-wettbewerb! Beflissene Freizeitköche, Begeisterung heuchelnde Co-Juroren und woke Produzenten, die ihm diese Aufzählung wegen der fehlenden Gendersternchen sofort aus dem Manuskript gestrichen hätten … Idioten, alles Idioten! Dumpfbacken, Schwätzer, Wichtigtuer!

Die Wut tat ihm gut, Adrenalin und andere Substanzen klärten seine Gedanken und brachten seinen Kreislauf in Schwung. Er spähte in den Flur und lauschte, zu seinem Leidwesen hatte er sich nicht getäuscht: Irgendein Idiot – oder, bitte sehr: irgendeine Idiotin! – kam, scheinbar ohne Eile, die Treppe herunter. Er hätte sich lieber von einer seiner Küchenhilfen den Darm spiegeln lassen, als ein weiteres Problemgespräch mit selbst ernannten Mentoren politisch korrekten Betragens oder Heulsusen jedweden Geschlechts zu führen, die ihm für alles, was in ihrem Leben jemals schiefgegangen war, die Schuld in die Schuhe schieben wollten. Und was sollte er sagen, wenn man ihn fragte, was er hier zu suchen hatte? Dass er sich die Nase im Keller gepudert hatte, weil die Herrentoilette ständig besetzt gewesen war? Dass er der kleinen Aufmunterung dringend bedurft hatte, weil Tote aus ihren eingefallenen Gräbern gestiegen waren, um ihre skelettierten Finger nach ihm auszustrecken?

Er sah sich nach einem Versteck um.

Der Raum, in dem er sich frisch gemacht hatte – eine Art Gärkammer, übersichtlich möbliert mit einem blitzblank polierten Edelstahltisch und Wandregalen voller Essigballons und Einmachgläsern –, war ungeeignet, er floh in die einzig mögliche Richtung: weg von der Treppe. Aus dem Bedürfnis heraus, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und die Idioten dieser Welt zu bringen, ließ er ein dämmriges Gewölbe voller Gemüsekisten und Rollregalen mit Pilzkulturen links liegen, eine Entscheidung, die er wenig später bereute, denn es kam nichts Besseres nach. Ein quadratischer Raum, in dem sich summende Gefriertruhen und -schränke entlang weiß verputzter Wände aufreihten, ein breiter L-förmiger Raum mit glattem Estrichboden und Wänden aus wabenförmigen Tonziegeln  … Offenbar der Weinkeller, offenbar eine Sackgasse. Was hatte er erwartet?

Platz war in der Nürnberger Altstadt knapp, sowohl über als auch unter der Erde. Er duckte sich hinter einen brusthohen Stapel Kartons mit dem Aufdruck Chablis Grand Cru Les Clos Domaine 2021, Burgund. Seine Hoffnung, der lästige Störenfried würde in einem der vorderen Kellerräume finden, was er suchte, und anschließend zügig den Rückweg antreten, wurde enttäuscht: Die Schritte kamen näher, jemand bog um die Ecke … Er schluckte, als er die Gestalt im Gegenlicht erkannte. Musste es von all den Nervensägen, die ihm das Leben sauer machten, ausgerechnet diese sein? Weitaus dringlicher als zuvor sah er sich nach einem Ausweg um und atmete auf, als er einen erspähte.

*

Er schlüpfte in den finsteren Raum, zog die schwere Stahl-tür bis auf einen schmalen Spalt zu und lehnte sich daneben gegen die Wand. Durch ein auf Kopfhöhe in die Tür eingelassenes Fenster fiel ein Keil Licht auf glänzend weiße Bodenfliesen. Es war kalt. Er wartete auf Geräusche aus dem Weinkeller – das Reißen von Karton, das Klirren von Glas, Schritte, die sich wieder entfernten. Aber es blieb still. Es blieb so lange still, dass er begann, sich unwohl zu fühlen. Er löste den Rücken von der Wand und spähte durch das Fenster – bewegte sich dort jemand vor den Weinregalen? Stand jemand bei den Kartons, hinter die er sich eben noch geduckt hatte? Allmählich hatte er die Nase, um im Bild zu bleiben, gestrichen voll von diesem albernen Versteckspiel, wie einen in die Ecke gedrängten Kampfhund juckte es ihn, nach vorne zu gehen. Was hatte er zu befürchten? Die meisten Menschen waren Schafe, sie machten brav Mäh und ließen sich scheren, wenn man forsch genug auftrat; die anderen hielt ihm die Anwaltskanzlei Finte und Kollegen bislang erfolgreich vom Leib. Er brauchte nur das Kinn zu heben und sein schattiges Versteck energischen Schrittes zu verlassen – wer wollte ihn daran hindern?

Wie zur Antwort wurde die Stahltür von außen zugedrückt und verriegelt, er glaubte zu hören, wie der Press-hebelverschluss die Gummidichtung komprimierte – ein Geräusch, das ihn frösteln ließ, lange, ehe er dessen Tragweite auch nur annähernd begriff.

Zwei Tage zuvor. Mittwoch, 18. Dezember. Quo vadis?

Über Nürnberg lag Schnee, viel Schnee – weiße Hauben verhüllten parkende Autos, Mülltonnen und Verkehrsschilder; vereiste Gehwege machten jeden Schritt vor die Tür zu einem Abenteuer mit ungewissem Ausgang. In den Notaufnahmen drängelten sich Radiusflexionsfrakturen und Sprunggelenksdistorsionen. Der städtische Winterdienst war noch in den Herbstferien, aber die Rechtsgelehrten der zuständigen Behörde hatten das Problem pfiffig gelöst und sämtliche Treppenstufen im öffentlichen Raum mit rotweißen Absperrbändern vom Verkehrsfluss abgekoppelt. Aufsteller wiesen darauf hin, dass deren Benutzung unter Androhung eines Ordnungsgeldes strikt verboten war.

Kriminalhauptkommissar Kastner vom Dezernat Eins des Polizeipräsidiums Mittelfranken (Verbrechen gegen Leib und Leben) war prinzipiell bereit anzunehmen, dass diese Maßnahme zuvorderst dem Schutz der Bürger und erst in zweiter Linie der Abwehr lästiger Schmerzensgeldprozesse galt, aber er ließ sich ungern gängeln – was war aus dem guten alten Hinweis »Benutzung auf eigene Gefahr« geworden? Als Beamter sah er sich indes genötigt, Recht und Gesetz zu respektieren und der Umleitung zu folgen, was ihn zehn Minuten Lebenszeit und den Anschluss an die Straßenbahnlinie 5 ab Plärrer in Richtung Chris-tuskirche kostete. Kastner wohnte in der Südstadt, in der Wiesenstraße. Er wohnte schon lange dort, daher wusste er: Wer die Fünfer knapp verpasste, konnte die Strecke bis zu seiner Haltestelle genauso gut laufen.

»Schon Feierabend?«, fragte Mirjam aus der Küche.

»Hm«, brummte Kastner und zog im Flur den Mantel und die Winterstiefel aus. »Feierabend und drei Wochen Weihnachtsurlaub. Mein Chef verlangt, dass ich ein paar Überstunden abfeiere, er hat mich regelrecht dazu genötigt.« Sein Blick fiel auf eine gepackte Reisetasche, die neben der Garderobe stand. »Willst du verreisen?«

Mirjam saß am Küchentisch, ein Glas Rotwein in der Hand. Sie wartete, bis er sich ein Kellerbier aus dem Kühlschrank genommen und in einen Glaskrug dekantiert hatte, ehe sie sagte: »Ich fahre übers Wochenende mit Karla und Jutta ins Elbsandsteingebirge. Wir haben darüber geredet, Kastner. Du erinnerst dich?«

»Freilich, Hase!« Kastner küsste seine Lebensgefährtin auf die Wange und dachte fieberhaft nach. Spontan fiel ihm lediglich ein, dass Karla und Jutta Mirjams Arbeitskolleginnen waren, Mitarbeiterinnen beim Service öffentlicher Raum, der, unter anderem, für den städtischen Winter-dienst zuständig war. Alles Weitere fand er, nach einem kräftigen Schluck Bier, in tieferen Schichten seines Gedächtnisses: ein paar Tage Wellness und Digital Detox in einem sächsischen Ressort – Massagen, Sauna, Yoga und die Gelegenheit, soziale und fachliche Defizite abwesender Kolleginnen und Kollegen in Ruhe bei einem Gläschen Prosecco zu erörtern.

»Gib’s zu, du hast es vergessen.« Mirjam zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch aus, dann runzelte sie die Stirn. »Dass meine Eltern über Weihnachten kommen, weißt du aber schon noch?«

Kastner, im Geiste damit beschäftigt, einen Einkaufszettel für die Zeit seines Strohwitwerdaseins zu notieren  – Presssack, Stadtwurst und Bratwurstgehäck, ein paar Tiefkühlpizzen und vielleicht eine Kiste Bier mehr als üblich –, zuckte zusammen. »Deine Eltern?! Ich dachte … Wollten die Weihnachten nicht auf Madeira sein? Als ich neulich mit deiner Mutter telefoniert hab …«

»Neulich?« Mirjam lachte. »Das war im Juli, Kastner! Und es war nicht Madeira, sondern Malta. Aber egal: Der Reiseveranstalter hat Pleite gemacht, es ist noch nicht mal klar, ob sie ihr Geld zurückkriegen.«

Kastner erinnerte sich dunkel, davon schon gehört zu haben. Sein Handy klingelte. Nach einem Blick auf das Display drückte er den Anruf weg.

»Meine Eltern reisen am dreiundzwanzigsten gegen Mittag an, ich komm aber erst abends zurück«, fuhr Mirjam fort. »Es passt also ganz gut, dass du Urlaub hast. Du könn-test die beiden vom Bahnhof abholen und zuvor schon mal die Hütte putzen und ein bisschen was für die Feiertage einkaufen.«

Kastner nickte ergeben. Er mochte Mirjams Eltern, aber er würde in ihrer Anwesenheit kaum bis mittags schlafen, unrasiert im Bademantel durch die Wohnung schlurfen und mit den Füßen auf dem Couchtisch Ben Hur, Sissi und Quo vadis? schauen können.

Sein Handy klingelte erneut. Er ließ es brummen, bis die Mailbox ansprang.

»Warum gehst du nicht ran?«, erkundigte sich Mirjam. »Ist das deine Geliebte?«

»Sehr witzig, Hase. Sag mal – was gibt’s zum Abend­essen? Ich war heute Mittag nicht in der Kantine.« Seine

Kollegin Uli Hirschel hatte Geburtstag gefeiert und zu einem Buffet geladen, das im Wesentlichen aus einem Strauß roher Möhren mit Joghurtdip bestanden hatte. Er war kurz davor, sich selbst zu verdauen.

»Es ist noch Linseneintopf von gestern da, den brauchst du bloß aufzuwärmen. Und wenn du schon mal stehst: Vielleicht kannst du gleich ein paar Tomaten für einen Salat schnippeln?«

Kastners Laune hob sich augenblicklich. Eintopf aufwärmen und Tomaten schneiden, damit kam er zurecht … Er wusch die Tomaten und kramte in den Schubladen nach einem Schneidbrettchen und einem halbwegs scharfen Messer, als sich sein Handy zum dritten Mal meldete. Es waren nur knapp eineinhalb Meter vom Herd bis zum Küchentisch, aber Mirjam war schneller. Sie nahm den Anruf an.

»Ach«, sagte sie. »Du bist das  … Jaja. Neinnein. Hm. Freilich, er war nur grad – unter der Dusche. Moment, ich reich dich weiter!«

»Danke dafür«, formte Kastner tonlos mit den Lippen.

*

»Und? Was wollte dein Kollege?«

Kastner zuckte die Achseln. Sie saßen im Schein einer Kerze am Küchentisch und aßen Linseneintopf und Tomatensalat. Vor dem Küchenfenster tanzten Schneeflocken durcheinander wie Mais in einer Popcornmaschine, nur leiser.

»Es ist nicht zufällig irgendwer irgendwo über irgend­eine Leiche gestolpert?« Mirjams Misstrauen kam nicht von ungefähr: Kastner hatte schon mehr als einmal private Verpflichtungen vernachlässigt, weil das Böse keine Rücksicht auf Sonn- und Feiertage nahm.

Kastner schüttelte den Kopf. Er nahm sich Linsen nach und achtete darauf, genug von dem saftigen Räucherspeck in den Schöpfer zu bekommen.

»Warum dann der Telefonterror?«, beharrte Mirjam auf Auskunft. »Ich meine: Ich weiß, dass Felix Wernreuther etwas speziell ist, aber er ruft doch nicht dreimal in zehn Minuten an und kaut dir dann eine Viertelstunde lang das Ohr ab, nur um dir schöne Weihnachten zu wünschen?«

»Vertrau mir, Hase: Du willst es nicht wissen.«

»Und wenn doch?«

Kastner seufzte. »Es ist so: Felix Wernreuther und sein Kumpel Theo Bahlke haben an einem Kochwettbewerb teilgenommen …«

»Wernreuther hat einen Kumpel?«

»Willst du es jetzt wissen oder nicht?«

Mirjam hob die Hände.

»Die beiden haben sich im Frühjahr bei einem Volkshochschulkurs kennengelernt – Kochen wie die Kelten, oder so ähnlich. Nach dem Kurs hat Wernreuther ein Monatsgehalt in einen schmiedeeisernen Dreifuß und einen Kupferkessel investiert und ist regelmäßig zu Theo nach Mainfranken gefahren, um über offenem Feuer Hirsebrei mit Brennnesselspinat zu schmoren und Jahrgangsweine zu verkosten … Theo ist Winzer, er hat ein Weingut irgendwo bei Dings. Iphofen? Ipsheim? Wie auch immer, falls du dich für seine Marketingstrategie, seine Vertriebswege oder die Farbe seiner Schnürsenkel interessierst: Ich weiß alles darüber.«

»Bist du eifersüchtig?« Mirjam grinste, schob ihren Teller beiseite und zündete sich eine Zigarette an.

Kastner ignorierte den Einwurf. »Offenbar hat Theos Interesse an den trauten Lagerfeuerabenden nach kurzer Zeit merklich nachgelassen. Wernreuther hat die Situation analysiert und den Schluss gezogen, dass die hoffnungsvolle Freundschaft einer neuen Herausforderung bedarf … Ohne das groß abzusprechen, hat er den gemeinsamen Hut in den Ring besagten Kochwettbewerbs geworfen, und der wacke-re Theo hat sich nicht lumpen lassen. Was soll ich sagen? Die beiden haben sich bis ins Finale gekocht.«

»Klingt nach einem Happy End.«

»Tja. Wie es der Teufel will: Letzten Samstag hat sich Theo beim Snowboarden am Ochsenkopf beide Handgelenke gebrochen.«

»Shit happens.« Mirjam schenkte sich großzügig Rotwein nach, ehe sie, etwas ratlos, fragte: »Und was hast du damit zu schaffen?«

»Nichts, Hase. Absolut gar nichts. Wenn man davon absieht, dass Wernreuther mich seither rund um die Uhr bekniet, als Ersatz einzuspringen.«

Mirjam lachte glockenhell. »Wernreuther denkt, du könntest einen Riesling von einem Bordeaux unterscheiden?«

Kastner hatte sich seinem jungen Kollegen gegenüber beinahe wortgleich geäußert, um sich aus der Sache herauszureden. Nun aber nagte das Ausmaß von Mirjams Heiterkeit genug an seinem Ego, um seine Expertise zu verteidigen: »In erster Linie geht es darum, dass es ein Teamwettbewerb ist – Wernreuther muss bis morgen einen Partner vorweisen, sonst ist er raus. Er sucht eine Art Beikoch: Gemüse schnippeln, Salat waschen, die Spülmaschine einräumen … Das traust du mir ja wohl zu?«

Mirjam sah ihn mit großen Augen an, und Kastner setzte unbedacht noch eins drauf: »Scheint ein großes Ding zu sein, dieser Wettbewerb. Sterneköche in der Jury, Live-übertragung im Regionalfernsehen … Den Siegern winken fünftausend Euro Preisgeld und ein zwölfgängiges Weihnachtsmenü für zwölf Personen in irgendeinem Nürnberger Schickimicki-Restaurant.«

Mirjam beugte sich interessiert nach vorne. »Hat das Schickimicki-Restaurant einen Namen?«

»Irgendwas mit einem Gewürz – Ingwerblüte, Muskatnuss? Wie auch immer, ich habe eh Nein gesagt. Allein die Vorstellung, drei Tage lang mit Wernreuther am selben Herd stehen zu müssen …«

»Du hast Nein gesagt?« Mirjam schnappte nach Luft. »Bist du von allen guten Geistern verlassen? Ein Weihnachtsdinner in der Muskatblüte … Meine Eltern wären begeistert! Ich wäre begeistert! Du hast Urlaub, dein Kollege braucht deine Hilfe … Was wäre denn das Alternativprogramm? Willst du zu Hause im Bademantel rumlungern und dir in Endlosschleife Drei Haselnüsse für Aschenbrödel reinziehen?«

»Ja. Also – nein! Ich, äh, dachte …«

Mirjam griff kopfschüttelnd nach seinem Handy und tippte ein paarmal auf das Display. »Felix? Mirjam noch mal. Ja, genau. Hm. Ja, das hat er mir alles schon … Pass auf: Es gab da wohl ein Missverständnis. Ja. Jaja, genau. Was? Nein, da musst du dir echt keinen Kopf machen: Es wird ihm ein Vergnügen sein!«

Donnerstag, 19. Dezember. ComingTogether!

Das Finale des Wettbewerbs FrankenKocht! wurde in der Muskatblüte ausgetragen – eben jenem Edelrestaurant, dessen Inhaber neben dem Preisgeld auch das Weihnachts-dinner für die Gewinner ausgelobt hatte. Der Aushang der fachwerkromantisch in der Sebalder Altstadt gelegenen Lokalität versprach »exklusives High-End-Dining bei guten Freunden«, das Innere gemahnte Kastner an das Refektorium eines Klosters, in dem ein Raumschiff gelandet war: Gewölbedecke, Steinfußboden, grobverputzte Wände und rustikale Eichenholztische umrahmten das offen einsehbare, edelstahlglänzende und neonhell erleuchtete Kochatelier wie Flussperlen einen hochkarätigen Diamanten.

»Bei uns steht das Handwerk im Mittelpunkt!«, erklärte Karel Krafcik, Chef de Service und stellvertretender Geschäftsführer der Muskatblüte, beim ComingTogether! – einem bunten Trubel mit Presse, Häppchen und Sekt, der am Vorabend des ersten Entscheidungstages stattfand. Das Finale der fränkischen Küchenschlacht schien (neben der Wahl einer Miss Rauschgoldengel, die zeitgleich in einem Nebenraum zelebriert wurde) das Ereignis der Adventssaison zu sein: Reporter diverser Printmedien und Kamerateams traten einander auf die Füße, um Interviews mit den Sponsoren, den Schirmherren, den Finalisten oder den Juroren zu ergattern. Karel Krafcik – ein erdbeerblonder Mittdreißiger, dessen runde Wangen von einem akkurat gestutzten Backenbart notdürftig konturiert wurden – stellte die Jury als »Crème de la Crème der fränkischen Sterneküche« vor: Inga Schiffer, Chef de Cuisine der erst kürzlich mit einem zweiten Guide-Michelin-Stern geadelten Muskat-

blüte und »Shootingstar der jungen Wilden am Herd«; Arn Axel Drehermann, »sympathisch bodenständiger Starkoch« und, dank Funk und Fernsehen, »weit über seine fränkische Heimat hinaus bekannt wie ein bunter Hund.«

Es gab Szenenapplaus.

Der bunte Hund, ein trotz grau melierter Schläfen jugendlich wirkender Mittfünfziger, reklamierte den Beifall für sich, indem er seine breite Brust wie zufällig vor dem Shootingstar der jungen Wilden platzierte und ihn mit bescheidener Geste abwehrte.

Der Servicechef räusperte sich, ehe er, »last but not least«, den »Exilfranken und Wahlmünchener« Stefan Glauber-Butterscheidt an seine Seite bat, »eine, ach, was sage ich, die deutsche Koryphäe der Molekularküche!«

Ein Blitzlichtgewitter brach los. Drehermann, ins Abseits gedrängt, lächelte säuerlich und hob die Hände gelegentlich zu einem symbolischen Klatschen, während Krafcik über die Strahlkraft der Koryphäe referierte, in deren Gourmettempel MunicTaste!*by Stefan Glauber-Butterscheidt Kulinarik-Freaks aus aller Herren Länder einander offenbar die Klinke in die Hand gaben, um für teuer Geld fingerhutkleine Häppchen von wagenradgroßen Schieferplatten zu speisen. Der Gepriesene – ein hochgewachsener, schmerbäuchiger Griesgram in den Sechzigern mit unnatürlich vollem, dunklem Haupthaar – ließ die Lobhudelei ohne sichtbare Regung über sich ergehen.