Kompetenzorientiert unterrichten -  - E-Book

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  • Herausgeber: Kösel
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2011
Beschreibung

Die klassische „Wissensvermittlung“ hat ausgedient. Zeitgemäßer Unterricht hilft Schülerinnen und Schülern, sich die notwendige Schlüsselkompetenzen selbst zu erarbeiten. Dieses Arbeitsbuch für den Religionsunterricht in der Sekundarstufe liefert erstmals praxiserprobte Anleitungen und Hilfestellungen.

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Seitenzahl: 304

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Inhaltsverzeichnis

EinführungTeil I - Kompetenzorientiert unterrichten – Einsichten und Aussichten
Didaktischer PerspektivenwechselLehrerinnen und LehrerBildungspläne – Bildungsstandards – KompetenzenAnforderungssituationen und LernanlässeSelbstorganisiertes LernenKultur der WertschätzungLernsequenzen
Teil II - Lernsequenzen für den Religionsunterricht in den Sekundarstufen I und II
Mein Gottesbild – Vorstellungen von Gott (Lernzeitraum 5/6)Geschwisterjüdischen Glaubens (Lernzeitraum5/6)HeiligeRäume – Kirchenerkundung - (Lernzeitraum 5/6)Mordauf dem Abort – Die Bibel visualisieren (Lernzeitraum 5/6)Mirjam tanzt in die Freiheit - (Lernzeitraum 5/6)Das Gleichnis vom Senfkorn - (Lernzeitraum 7/8)Herausforderung Islam - (Lernzeitraum 7/8)Autoritäten gehorchen? - (Lernzeitraum 7/8)Das Geheimnis eines Sommers - (Lernzeitraum 7/8)Die Bibel verstehen - (Lernzeitraum 9/10)Ethische Begründungsmodelle - (Lernzeitraum 9/10)Diese Kirche – Meine Kirche - ( Lernzeitraum 9/10)Liebe, Partnerschaft, Sexualität - ( Lernzeitraum 9/10 )Umgang mit dem To d - ( Lernzeitraum 9/10)Biblische Motive in der Werbung - (Lernzeitraum 11/12)Moralische Dilemma-Situationen - ( Lernzeitraum 11/12)Mit den Gebeten beginnen - (Lernzeitraum 11/12)Homosexualität (Lernzeitraum 11/12)Jesus Christus (Lernzeitraum 11/12)Kirche im Nationalsozialismus - (Lernzeitraum 11/12)Ethische Problemfälle erleben- - Konkrete Diskurse (Lernzeitraum 11/12)Ethik an Lebensanfang und Lebensende - (Lernzeitraum 11/12)Trainingssache Religion (Lernzeitraum 11/12)Willkommen in der wirklichen - Wirklichkeit? (Lernzeitraum 11/12)
Verzeichnis der Autorinnen und AutorenCopyright

Einführung

»Erstes und letztes Ziel unserer Didaktik soll es sein, die Unterrichtsweise aufzuspüren und zu erkunden, bei welcher die Lehrer weniger zu lehren brauchen, die Schüler dennoch mehr lernen.«

Johann Amos Comenius (1592-1670)

Zum Schuljahr 2004/2005 wurden an den allgemeinbildenden Schulen in Baden-Württemberg die bundesweit ersten Bildungspläne eingeführt, in denen auf der Basis von Bildungsstandards Kompetenzen beschrieben werden, die Schülerinnen und Schüler am Ende eines Lernzeitraumes erworben haben sollen. Inzwischen sind einige Jahre ins Land gegangen. Und noch immer gibt es an den Schulen und andernorts reichlich Unsicherheit im Blick auf die Frage, wie ein Religionsunterricht aussehen kann, der sich an diesen Kompetenzen orientiert. Eine erste Praxishilfe zur Umsetzung der neuen Bildungspläne hatte den Titel »Von den Standards zum Unterricht«. Heute wissen wir, dass es eigentlich hätte heißen müssen: »Vom Unterricht zu den Standards bzw. Kompetenzen«.

Es hat lange gedauert, bis deutlich wurde, wie entscheidend in dieser Frage ein Perspektivenwechsel ist. Darin erst kommt das Grundanliegen der Bildungsplanreform zum Ausdruck: Es geht um die Entwicklung von Schule und vor allem von Unterricht. Dies geschieht durch eine andere Sichtweise auf den Lehr-Lern-Prozess. Dieses Praxisbuch zeigt auf, wie das gehen kann.

Lehrerinnen und Lehrer müssen dabei das Rad nicht neu erfinden. Sie sind eingeladen, die Blickrichtung zu wechseln und ihren Unterricht – auch den bisherigen – aus der Perspektive ihrer Schülerinnen und Schüler anzuschauen. Vieles von dem, was sie in ihrer Vorbereitung, Durchführung und Reflexion von Unterricht bisher schon tun, erscheint dann in einem anderen Licht.

Es stellen sich z.B. erstaunliche Konsequenzen ein, wenn Lehrerinnen und Lehrer nicht zuerst danach fragen, was sie selbst im Unterricht tun wollen oder müssen, sondern danach, was ihre Schülerinnen und Schüler im Unterricht tun sollen oder können, damit diese die von ihnen erwarteten Kompetenzen erwerben können.

Ein kompetenzorientierter Unterricht ist also nicht etwa eine zusätzliche Methode – so das weit verbreitete Missverständnis – oder ein völlig neues Verfahren, das alles bisher Dagewesene auf den Kopf stellt und daher nur noch mehr Arbeit macht. Vielmehr geht es um eine Veränderung der Unterrichtskultur und damit auch um die Veränderung der Schulkultur. Es geht um didaktische Haltungen, um einen didaktischen Perspektivenwechsel also, der Schülerinnen und Schüler als Akteure des Lernens ernst nimmt.

An dieser Stelle müssen zwei weitere Missverständnisse zur Sprache kommen, die immer noch für Irritationen sorgen. Kritiker der Kompetenzorientierung werfen dieser vor, sie beraube den Religionsunterricht seiner Inhalte, da mit den Kompetenzen lediglich ein formales Kriterium in den Blick genommen werde. Der Vorwurf übersieht, dass Kompetenzen immer nur an Inhalten erworben werden. Diese kommen jedoch auf eine andere Weise zur Geltung.

Ein zweiter Vorwurf lautet, die Stärkung des selbstgesteuerten Lernens der Schülerinnen und Schüler, also die Fokussierung der Konstruktion im Lehr-Lern-Prozess, vernachlässige die notwendige Lehre der Lehrerinnen und Lehrer, also die Instruktion. Ein Blick in die hier vorgestellten Lernsequenzen macht deutlich, dass dies nicht zutrifft. Konstruktion und Instruktion sind stets aufeinander angewiesen, sie stehen in einem produktiven Wechselverhältnis.

Das Bild vom Fährschiff, das zwischen zahlreichen Inseln verkehrt, mag das Verhältnis veranschaulichen. Während der gemeinsamen Fahrt von Insel zu Insel werden die Lernenden von den Lehrenden angemessen instruiert, sodass sie beim Landgang eigene Lernwege gehen und dabei Erkundungen und Entdeckungen machen können, um nach angemessener Zeit erneut das Schiff zur gemeinsamen Weiterfahrt (Instruktion) zu besteigen. Zur gelingenden Bildungsfahrt gehören beide: die Tage auf See und die Tage an Land.

Den Bezugsrahmen für dieses Praxisbuch stellt das baden-württembergische Bildungssystem dar. Zudem sind aus der Fortbildungsarbeit zahlreiche Perspektiven aus anderen Bundesländern in das Konzept eingeflossen. Diese und andere Aspekte werden im ersten Teil des Buches entfaltet. Sie bilden den theoretischen Hintergrund für das vorgestellte Modell der Lernsequenz.

Der zweite Teil des Praxisbuches bietet 24 Beispiele der Anwendung des Modells der Lernsequenz für die Sekundarstufen I und II. Sie sind entsprechenden Lernzeiträumen (LZR) zugeordnet. Ihr Anforderungsniveau ist für den mittleren wie für den gymnasialen Bildungsgang geeignet.

Die Autorinnen und Autoren des Bandes sind versierte Lehrkräfte mit reicher Unterrichtserfahrung. Mit großem Engagement haben sie neben den Mühen des Alltagsgeschäfts ihre Beiträge erprobt und verfasst. Ihnen allen danke ich an dieser Stelle sehr herzlich. Ebenso danke ich Claudia Lueg und Michael Kötzel für ihre überaus kompetente und charmante Betreuung bei der Realisierung des Projekts.

Wolfgang Michalke-Leicht

Teil I

Kompetenzorientiert unterrichten – Einsichten und Aussichten

Didaktischer Perspektivenwechsel

Jede Medaille hat zwei Seiten, die ganz unterschiedlich ausschauen können, je nachdem, von wo aus und wie ich sie betrachte. Und doch gehören beide zusammen. Die eine Seite ist nicht ohne die andere zu haben. Dieses Bild trifft auf viele Bereiche des Lebens zu: Alles hat (mindestens) zwei Seiten. Auch der schulische Unterricht lässt sich so beschreiben, geht es beim sogenannten Lehr-Lern-Prozess doch ums Lehren und ums Lernen – zwei Seiten einer Medaille. Das klingt so einfach und ist es dann doch wieder nicht. Vor allem, wenn es um die Frage geht, wie das Verhältnis der beiden Seiten »Lehren« und »Lernen« zueinander ist.

Vom Lehren und Lernen

Wer sich auf die Suche nach Antworten begibt, wird gegenwärtig allerorten mit dem Konzept der Bildungsstandards konfrontiert. Auf dessen Basis sind inzwischen bundesweit zahlreiche Bildungspläne oder Kerncurricula entstanden, mit zum Teil sehr unterschiedlichen Formaten. Exemplarisch seien genannt die baden-württembergischen Bildungspläne von 2004, die gleichsam eine Vorreiterrolle eingenommen haben, und die niedersächsischen Kerncurricula von 2009, die eine deutliche Weiterentwicklung des Konzepts erkennen lassen. Allen gemeinsam ist jedoch die Überzeugung, dass es beim Blick auf den Lehr-Lern-Prozess sinnvoll und produktiv ist, primär das erwartete Ergebnis des Lernens in Form von Kompetenzen zu beschreiben. Das Versprechen ist groß, dass diese Kompetenzformulierungen eine hohe Steuerungskraft besitzen und so die Qualität schulischen Unterrichts nachhaltig verbessern.

Nicht selten wird in diesem Zusammenhang von einer Kopernikanischen Wende gesprochen. Tatsächlich beinhaltet das Konzept der Bildungsstandards einen Systemwechsel, der bis in den alltäglichen Unterricht hinein Konsequenzen fordert. Mit anderen Worten: Ein kompetenzorientierter Unterricht wird sich von solchen Unterrichtskonzepten unterscheiden (müssen), die den konventionellen inhaltsorientierten Lehrplänen folgen.

Was bedeutet das nun für die Praxis des alltäglichen Unterrichts? Um noch einmal an das Bild vom Anfang anzuknüpfen: Die beiden Seiten der einen Medaille »Lehr-Lern-Prozess« bleiben aufeinander bezogen. Das könnte auf den ersten Blick den Eindruck vermitteln, alles könne beim Alten bleiben. Dem ist jedoch nicht so. Denn das entscheidende Merkmal eines kompetenzorientierten Unterrichts ist es, einen didaktischen Perspektivenwechsel vorzunehmen. Es gilt, bei der Planung und Durchführung von Unterricht das Lernen der Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stellen und das Lehren der Lehrerinnen und Lehrer dagegen zurückzunehmen.

Die etablierten didaktischen Konzepte fokussieren – meist mit guten Gründen – die Seite des Lehrens. Im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit steht die berechtigte Sorge darum, dass Lehrerinnen und Lehrer gut vorbereitet in den Unterricht gehen. Sie sollen sich genau überlegen, was sie warum und wie machen, damit ihr Unterricht – so wird ihr Lehren in der Regel bezeichnet – gut zu werden verspricht. Ein Großteil der Energie wird darauf verwendet, dass Lehrerinnen und Lehrer sich um die Optimierung ihres Lehrens bemühen. Selbstverständlich ist das wichtig. Niemand wird ernsthaft infrage stellen, dass es klare und eindeutige Kriterien zur Unterscheidung von gutem und schlechtem Unterricht gibt, wie sie z.B. von Hilbert Meyer vorgelegt wurden (vgl. Meyer 2004). In der Aus – und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern wird vielleicht sogar noch mehr darauf geschaut werden müssen, dass diese ihren Beruf professionell ausüben. Dazu zählen neben einem methodisch-didaktischen Handwerkszeug auch personale Kompetenzen. Die Rolle der Lehrerinnen und Lehrer wandelt sich derzeit sehr stark. Das hat weitreichende Konsequenzen vor allem im Blick auf ihre Beziehungskompetenz. Hier wird künftig manches mehr für die Stärkung der Selbstkompetenz der Lehrenden getan werden müssen.

Das Lernen der Schülerinnen und Schüler

Wenn in diesem Praxisbuch zum kompetenzorientierten Unterricht von einem didaktischen Perspektivenwechsel gesprochen wird, dann geht es darum, die Schülerinnen und Schüler als verantwortliche Akteure ihres eigenen Lernens ernst zu nehmen. Das professionelle Lehren der Lehrerinnen und Lehrer ist das eine. Ein kompetenzorientierter Unterricht jedoch – so die Überzeugung – basiert auf dem Wechsel der Perspektive hin zu dem, was Schülerinnen und Schüler tun sollen, wie sie lernen können und auf welche Weise sie das möglichst selbstständig und selbstorganisiert machen können. Damit wird diejenige Seite der Medaille des Lehr-Lern-Prozesses stark gemacht, die in den etablierten didaktischen Konzepten oft genug zu kurz kommt.

Das ist sicher nicht neu. Bereits vor über 350 Jahren schrieb Johann Amos Comenius, der Begründer der ersten systematischen Pädagogik: »Erstes und letztes Ziel unserer Didaktik soll es sein, die Unterrichtsweise aufzuspüren und zu erkunden, bei welcher die Lehrer weniger zu lehren brauchen, die Schüler dennoch mehr lernen; in den Schulen weniger Lärm, Überdruss und unnütze Mühe herrsche, dafür mehr Freiheit, Vergnügen und wahrhafter Fortschritt . . .« (Comenius 1657). Viele Impulse aus dem Bereich der Reformpädagogik stimmen seither in diesen Tenor ein. Allgemein bekannt ist die Maxime, welche die italienische Ärztin und Pädagogin Maria Montessori (1870 – 1952) für ihr Konzept der Freiarbeit formuliert hat: »Hilf mir, es selbst zu tun.« Damit fordert sie, die Schülerinnen und Schüler in ihrer Persönlichkeit zu achten und als ganze, vollwertige Menschen zu sehen, ihren Willen entwickeln zu helfen, indem sie Raum für freie Entscheidungen erhalten; ihnen zu helfen, selbstständig zu denken und zu handeln, ihnen Gelegenheit zu bieten, den eigenen Lernbedürfnissen zu folgen.

Kompetenzorientierung als didaktische Haltung

Kompetenzorientierung meint also Orientierung an den Schülerinnen und Schülern und zwar in dem Sinn, dass sie es sind, die lernen (müssen). Es gibt keinen anderen Weg: Bildung ist immer Selbstbildung. Lernen ist immer ein aktiver Prozess, der vom lernenden Menschen ausgeht und von ihm selbst getragen sein muss. Belehrungen, die von außen an den Lernenden herangetragen werden, können dazu allenfalls Impulse geben. Auch lassen sich die Rahmenbedingungen des Lernens positiv gestalten, sodass den Lernenden das Lernen besser gelingt. Letztlich jedoch müssen die Schülerinnen und Schüler die entscheidenden Schritte selbst tun. Insofern ist die Wortschöpfung nicht abwegig, die aus passiven Lehrlingen aktive »Lernlinge« macht.

Kompetenzorientierung im Unterricht vollzieht diesen didaktischen Perspektivenwechsel von der Vermittlung zur Aneignung. Das ist nicht einfach nur ein methodisches Vorgehen oder gar ein besonderer Trick. Didaktisch ist dieser Perspektivenwechsel insofern, als damit die intentionale Dimension des pädagogischen Geschehens zum Tragen kommt. Es geht um eine didaktische Haltung, um das Einnehmen einer didaktischen Perspektive, die nach dem fragt, was Schülerinnen und Schüler brauchen, damit sie lernen können. Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang hilfreich, von einer kulturellen Qualität zu sprechen. In einem kompetenzorientierten Unterricht wird eine Kultur gepflegt, in der das Lernen an erster Stelle steht. Schülerinnen und Schüler sollen sich in einer Lernumgebung bzw. in einem Lernarrangement bewegen können, in dem sie vielfältige Anregungen und Impulse vorfinden, eigene Lernentscheidungen zu treffen und eigene Lernwege zu gehen. Um eine Kultur handelt es sich insofern, als dieses Unterrichtssetting der Einübung, Pflege und Entfaltung hin zu mehr Offenheit bedarf. Das erfordert die besondere Achtsamkeit aller Beteiligten – der Lehrenden wie der Lernenden. Schulisches Lernen ist eben primär keine Frage der instrumentellen Technik, sondern der kultivierten Umgangsweise der Menschen untereinander. Ohne eine Weiterentwicklung der Unterrichtskultur ist Kompetenzorientierung daher nicht möglich. Das hat auch Auswirkungen auf die Schulentwicklung.

Entwicklung einer Lernkultur

Paradigmatisch hierfür steht die Bielefelder Laborschule, die 1974 als Versuchsschule des Landes Nordrhein-Westfalen nach den Vorstellungen und unter der Leitung des Pädagogen Hartmut von Hentig zusammen mit dem benachbarten Oberstufen-Kolleg gegründet wurde. Diese Schule hat den Auftrag, neue Formen des Lehrens, Lernens und des Zusammenlebens zu entwickeln und diese Ergebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Mit dem Begriff des Labors wird meist ein naturwissenschaftliches Setting assoziiert, in dem empirisch gearbeitet wird. Das klingt auf den ersten Blick vielleicht sehr technisch und menschenunfreundlich. Das Anliegen dieses Schulkonzeptes wird jedoch deutlich, wenn der Begriff »Labor« durch den der »Lernkultur« ersetzt wird. Es gilt, nach einer Schule Ausschau zu halten, die von einer Kultur geprägt ist, in der gut und gerne gelernt wird.

Ein besonderes Beispiel einer ausgewiesenen Lernkultur bietet das »Haus des Lernens«, das 1980 in Romanshorn/Schweiz gegründet wurde. Dort werden Kinder und Jugendliche vom Kindergarten bis zur Berufsbildung oder zum Abitur begleitet. Dies geschieht nach dem Konzept des autonomen Lernens in einer gestalteten Umgebung. Der lernende Mensch steht im Zentrum und soll eigenständig wachsen. Für ihr Konzept der Lernkultur, das die Individualität und Eigenverantwortung eines jeden Menschen ernst nimmt, formulieren die Verantwortlichen des Lernhauses die folgende pädagogische Basis: »Jeder Mensch ist ein Original, ein Unikat. Und jeder Mensch hat demzufolge das Recht und die Verantwortung, er selbst zu sein und er selbst zu werden. Unsere Entwicklung unterliegt biologischen, psychologischen und sozialen Gesetzen. Wir alle sind soziale Wesen, die in der Beziehung zu anderen wachsen. Entwicklung braucht Kommunikation und Resonanz der Innenwelt mit dem äußeren Umfeld« (www.sbw.edu). Damit sind starke Impulse zur Entwicklung einer Lernkultur gegeben, die mittlerweile in anderen schulischen Kontexten aufgenommen werden. Mehr und mehr wird auch in staatlichen Schulen gesehen, wie produktiv und menschlich die Entwicklung einer Lernkultur ist. So gibt es z.B. in manchen Schulen inzwischen Lernateliers bzw. Lernlandschaften, in denen Schülerinnen und Schüler eigenständig arbeiten können.

Neben diesen äußeren Bedingungen einer entwickelten Lernkultur sind vor allem die inneren Haltungen wichtig. Der Initiator des Lernhauses, Peter Fratton, unterscheidet hier den konventionellen 7-G-Unterricht von der V-8-Begleitung:

7-G-UnterrichtV-8-BegleitungAlleKinder und Jugendliche sind auf1.gleichaltrigen Kinder haben beim1.vielfältigen Wegen mit2.gleichen Lehrer mit dem2.vielfältigen Menschen an3.gleichen Lehrmittel im3.vielfältigen Orten zu4.gleichen Tempo das4.vielfältigsten Zeiten mit5.gleiche Ziel zur5.vielfältigen Materialien in6.gleichen Zeit6.vielfältigen Schritten mit7.gleich gut zu erreichen.7.vielfältigen Ideen in8.vielfältigen Rhythmen zu gemeinsamen Zielen unterwegs.

Ein kompetenzorientierter Unterricht wird sich mehr und mehr dem Modell der V-8-Begleitung annähern, ganz im Sinne einer kulturellen Einübung. Dazu müssen Schule und Unterricht nicht neu erfunden, wohl aber neu empfunden bzw. gedacht werden. Das Entscheidende spielt sich im Rahmen der eigenen Unterrichtsplanung ab. Inwieweit sind mir als Lehrerin oder Lehrer die Schülerinnen und Schüler mit ihrem Bedürfnis nach Selbstbestimmung und mit ihrer Fähigkeit dazu wichtig? Welche Schritte kann und will ich unternehmen, in dem von mir verantworteten Unterrichtssetting die Möglichkeiten selbstständigen Lernens auszuweiten? Welche Rahmenbedingungen kann und will ich setzen, damit Schülerinnen und Schüler darüber mit entscheiden können, welche Lernwege sie gehen? Nicht alles wird sofort und auf Anhieb anders oder neu werden. Der Unterricht wird jedoch in dem Maße zunehmend kompetenzorientiert, in dem sich Lehrerinnen und Lehrer diesen Fragen bereitwillig stellen und ihren Unterricht öffnen.

Stufen der inhaltlichen Offenheit von Unterricht (Peschel 2005b, S. 80, 85), zitiert nach: Bohl/Kucharz 2010, S. 85.

Damit ist ein pädagogisch-didaktischer Ansatz beschrieben, der in letzter Konsequenz auf eine Unterrichtskultur hinausläuft, die seit einigen Jahren unter dem Begriff »Offener Unterricht« firmiert (vgl. Jürgens 1994). Diese Unterrichtskultur ist gekennzeichnet durch eine größtmögliche organisatorische, methodische, inhaltliche, soziale und persönliche Selbstbestimmung der Schülerinnen und Schüler. Die vielfältigen Konzepte gehen zum Teil weit auseinander (vgl. Bohl/Kucharz 2010). Der entscheidende Wendepunkt vom »nur ansatzweise geöffneten« bis hin zum »weitestgehend offenen« Unterricht wird meist an der Frage festgemacht, ob und inwieweit Schülerinnen und Schüler im Blick auf die Inhalte selbstbestimmt entscheiden können.

Im Zusammenhang des in diesem Praxisbuch vorgestellten kompetenzorientierten Unterrichts wird wohl eher von einem Unterricht gesprochen werden können, der in ersten Schritten oder teils – teils geöffnet ist, da hier ein explizit niederschwelliges Vorgehen bevorzugt wird, das sowohl die Lehrerinnen und Lehrer als auch die Schülerinnen und Schüler nicht überfordern, sondern zu ersten Schritten hin zu mehr Öffnung ermutigen möchte (vgl. Peschel 2006).

Erkenntnisse der Lernforschung

Die angeführten Merkmale eines kompetenzorientierten Unterrichts finden ihre Begründungen nicht nur in den Einsichten einer humanistischen Pädagogik. Auch die Erkenntnisse der Lernforschung sprechen eine deutliche Sprache (vgl. Bauer 2007 und Hüther 2009). Von Konfuzius (551 – 479 v. Chr.), dem altchinesischen Lehrer und Meister, wird eine Weisheit überliefert, die in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung ist: »Sage es mir, und ich vergesse es. Zeige es mir, und ich erinnere mich. Lass es mich tun, und ich behalte es.«

Menschen setzen beim Lernen ihre verschiedenen Sinne auf unterschiedliche Weise ein. Wichtig sind das Sehen, das Hören, das Sprechen und das Tun. Die Psychologie unterscheidet Lernende danach, welchen ihrer Sinne sie bevorzugt benutzen. Um erfolgreich lernen zu können, ist es hilfreich, den persönlichen Lernstil zu kennen und entsprechend zu berücksichtigen.

Lernerfolg bei Verbindung der verschiedenen Sinne

Lernwege% des Gelerntenhören10 bis 20sehen15 bis 30hören + sehen25 bis 40hören + sehen +30 bis 50hören + sehen + reden + tun80 bis 90

Allerdings lässt sich in der Regel meist nicht eindeutig ein bevorzugter Lernstil bestimmen. Fast alle Menschen sind Mischtypen. Genau das bringt Konfuzius auf den Punkt. Beim Lernen ist eine Verbindung der verschiedenen Sinne am günstigsten. Die Ergebnisse der Lernforschung zeigen, dass der Lernerfolg wächst, wenn Schülerinnen und Schüler ihre Sinne beim Lernen sinnvoll zusammenarbeiten lassen. Ein kompetenzorientierter Unterricht wird daher immer ein Lernen mit allen Sinnen ermöglichen.

Auch Gefühle haben einen enormen Einfluss auf den Lernvorgang. Negative Gefühle wie Angst, Unlust oder Sorge behindern das Lernen deutlich. Ebenso mindert Lernen unter Stress den Erfolg. Gefühle entstehen in einem Teil des Gehirns, der limbisches System genannt wird. Dieses hat die Aufgabe, eintreffende Informationen zu bewerten, ihre Relevanz zu prüfen und somit eine adäquate Reaktion des Menschen auf den entsprechenden Reiz sicherzustellen. Mit dieser Bewertung ist eine emotionale Einfärbung der Informationen verbunden. Eine positive emotionale Besetzung des Lerngegenstandes ist für das Lernen wichtig. Er wird dann besonders gut aufgenommen, wenn er mit positiven Gefühlen verbunden ist.

Lernerfolg bei Selbststeuerung

ÜbermittlungsartErinnerbarkeitVortrag (nur hören)Ca. 20 %Bilder/Filme (nur sehen)Ca. 30 %Vortrag und Bilder (hören und sehen)Ca. 40 %Gemeinsames Lernen, Kooperation und eigenes HandelnCa. 70 %Mitentscheidung über Auswahl und Inhalt des SachverhaltesCa. 90 %

Schließlich ist der Aspekt der Selbststeuerung der Lernprozesse bedeutsam. Aktives Interesse an den gegebenen Themen und die aktive Auseinandersetzung mit anstehenden Problemen bewirken initiatives Handeln als Motor in jedem Veränderungsprozess. So ist z.B. ein spielendes Kind derart in sein Spiel vertieft, dass es sich selbst und seine Umwelt völlig vergisst. Oder Jugendliche, die von einer Sache (z.B. eine PC-Anwendung) fasziniert sind, können sich darin verlieren. Und welche Erwachsenen kennen nicht die Erfahrung, dass die Beschäftigung mit einem Gegenstand sie in seinen Bann zieht. Hier zeigt sich ein enormes Potenzial. Dieses Engagement bewirkt oft, dass Müdigkeit verschwunden ist, Konzentration wie selbstverständlich vorhanden ist, spontane und kreative Fragen und Antworten entstehen und forschendes Lernen zu Handlungen drängt.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Kompetenzorientierung des Unterrichts in dem Maße zunimmt, wie Schülerinnen und Schüler Lern-prozesse selbsttätig steuern können (Selbstkompetenz), den Lerngegenstand als für sich selbst wichtig erfahren (Bedeutsamkeit) und die Rahmenbedingungen des Lernens von einer positiven und wertschätzenden Atmosphäre geprägt sind.

Erweiterter Lernbegriff

Die Einführung des Kompetenzbegriffs in die Bildungspläne und Kerncurricula bringt eine deutliche Erweiterung des Lernbegriffs mit sich. Dass sich das Lernen auf weitaus mehr als lediglich die kognitiven oder fachlich-inhaltlichen Bereiche bezieht, ist seit Langem die Basis pädagogischen Handelns. Immer schon haben Lehrerinnen und Lehrer im Blick, dass Schülerinnen und Schüler nicht einfach nur Faktenwissen anhäufen, sondern dass sie sich dazu verhalten, dass sie damit verantwortlich umgehen oder dass sie in der Lage sind, auf der Basis eines erworbenen Orientierungswissens lebensrelevante Entscheidungen zu treffen.

Erweiterter Lernbegriff nach Klippert 1994ff.

Durch die Bildungsplanreform erfahren diese Einsichten endlich eine deutliche Aufwertung. Die verschiedenen Lernbereiche stehen jetzt tatsächlich paritätisch nebeneinander, sodass es nicht mehr möglich ist, methodische, kommunikative oder persönliche Dimensionen des Lernens auszublenden. Im Gegenteil, ein kompetenzorientierter Unterricht wird immer alle vier Lernbereiche, wie sie z.B. von Heinz Klippert beschrieben wurden, gleichermaßen berücksichtigen. Darin zeigt sich eine der wesentlichen Stärken dieses Konzepts. Zugleich ist damit auch eine Basis gelegt, auf der die verschiedenen Formen des selbstgesteuerten und offenen Unterrichts sich entfalten können.

Konstruktion und Instruktion

Aus dem Kontext der Erlebnispädagogik ist die folgende Redewendung bekannt: »Gib Kindern (und Jugendlichen) eine Hütte, und sie machen Kleinholz daraus. Gib ihnen Holz, und sie bauen daraus eine Hütte.« Lernen ist ein aktiver Konstruktionsprozess. Jegliches Wissen von der Welt stellt ein »Konstrukt« dar, das jedes erkennende Subjekt selber herstellt (vgl. Voß 2005). Das bedeutet konsequenterweise, dass die Vorstellung einer »objektiven Wirklichkeit« nicht aufrechtzuerhalten ist. Individuelle Konzepte und Theorien können und müssen sich in der Bewältigung der Realität und im Austausch mit anderen bewähren. Schülerinnen und Schüler sind demnach die Akteure ihres eigenen Lernens. Dieses subjektorientierte Paradigma wird mit dem Konzept des pädagogischen Konstruktivismus resp. der konstruktivistischen Didaktik begründet (vgl. Mendl 2005).

So weit die Theorie in äußerst knapper und sicherlich auch holzschnittartiger Beschreibung. Die philosophisch-pädagogischen Einsichten werden seit einigen Jahren durch die Ergebnisse der neurobiologischen Forschung deutlich gestützt. Auf der anderen Seite ist aus der Perspektive der Praxis allen Lehrerinnen und Lehrern klar, dass es in jedem Lehr-Lern-Prozess immer ein gewisses Maß an Instruktion braucht. Schülerinnen und Schüler – so die Erfahrung – können eben doch nicht alle Kompetenzen aus sich selbst heraus generieren. Sie brauchen Impulse und zuweilen deutliche Hinweise, die es ihnen ermöglichen, eigene Lernwege zu gehen. Ein kompetenzorientierter Unterricht wird daher nach geeigneten Formen suchen, Konstruktion und Instruktion in ein angemessenes Verhältnis zu setzen. Die ersten Erfahrungen zeigen, dass in dieser Frage tatsächlich die größten Unsicherheiten bestehen. Zumal es ja auch darum geht, dass Schülerinnen und Schüler im Kontext des schulischen Bildungssystems am Ende eines Bildungsabschnitts oder – zeitraumes einen zuvor definierten Bildungsstandard erreicht haben sollen. Hier werden sicherlich noch manche Wege gegangen und ausprobiert werden müssen. Das Arbeitsbuch möchte dazu ausdrücklich ermutigen und zugleich Hilfestellungen geben.

Lernvorhaben

Nach wie vor gibt es große Missverständnisse, wenn es um die Bedeutung und den Stellenwert der Bildungsstandards bzw. Kompetenzbeschreibungen geht. Die grundlegende Unterscheidung zwischen Inhalten und Kompetenzen, also zwischen dem, was in den Lehr-Lern-Prozess hineingegeben wird, und dem, was am Ende als dessen Ergebnis erwartet wird, ist in letzter Konsequenz vielerorts noch nicht wahrgenommen worden. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass manche Kritiker des Konzepts gerne behaupten, die Bildungsstandards seien doch im Grunde genau das Gleiche wie die Zielformulierungen der Curriculum-Theorie. Bildungsstandards jedoch sind keine Ziele in diesem curricularen Sinne. Auf der anderen Seite ist nicht selten die Auffassung zu hören, Bildungsstandards seien letztlich Inhalte, die durch die Kompetenzformulierung lediglich eine andere Verpackung erfahren hätten. Dieses Missverständnis führt meist dazu, dass der Bildungsplan dann doch als inhaltsbestimmte Vorgabe interpretiert wird, die das Lehren der Lehrerinnen und Lehrer normiert. Entsprechend gehen diese bei ihrer Planung von den Kompetenzformulierungen aus. Um diesen beiden, aber auch anderen Missverständnissen entgegenzuwirken, wird im vorliegenden Praxisbuch der Begriff des Lernvorhabens eingeführt. Was damit gemeint ist, kann mit einem Verweis auf das Ende eines Bildungsgangs bzw. eines Bildungszeitraumes verdeutlicht werden.

Für Schülerinnen und Schüler der Sek I steht an deren Ende der mittlere Bildungsabschluss, für die der Sek II das Abitur. Die Etappen dorthin sind die Versetzungszeugnisse am Ende der einzelnen Klassen. Sowohl die jeweiligen Zeugnisse als auch die genannten Abschlüsse können als Vorhaben im Sinne von Projekten verstanden werden, die mit einer Leistungsziffer (Note) qualifiziert werden. Diese Lernvorhaben der Schülerinnen und Schüler können auf unterschiedlichen Niveaus angestrebt werden. Während die einen den Abschluss lediglich irgendwie erreichen wollen, streben die anderen ein möglichst exzellentes Ergebnis an. Um diese Ergebnisse geht es in den Bildungsstandards bzw. der Kompetenzbeschreibung. Ihre Steuerungskraft liegt also nicht darin, dass sie etwas vorschreiben, so als ob eine bestimmte Kompetenz wie ein gewisses Pensum abgearbeitet werden müsste. Das können sie genauso wenig, wie es möglich ist vorzuschreiben, alle Schülerinnen und Schüler müssten am Ende die Note gut oder sehr gut erreichen – wie sollte das auch gehen? Bildungsstandards bzw. Kompetenzbeschreibung steuern die Qualität von Unterricht, indem sie Maßstäbe (Standards) bereitstellen, mit deren Hilfe die Leistungen gemessen werden. Dabei formulieren sie allerdings weder Minimal – noch Exzellenzstandards, sondern als sogenannte Regelstandards ein mittleres Niveau.

Daraus folgt zweierlei: Auf der einen Seite rücken die Bildungspläne bzw. Kerncurricula gewissermaßen weiter weg von der Planung des unterrichtlichen Geschehens als die Bildungspläne der früheren Jahre, die klar und deutlich Inhalte festgeschrieben haben, die in den Unterricht einzubringen waren. Das gerade tun die Bildungsstandards nicht. Auf der anderen Seite rücken die Bildungspläne bzw. Kerncurricula auf bisher nie da gewesene Weise in das Zentrum der Unterrichtsplanung, da sie die Lehrerinnen und Lehrer permanent mit der Frage konfrontieren, inwieweit ihre Unterrichtsplanung es den Schülerinnen und Schülern ermöglicht, die erwarteten Kompetenzen zu erwerben bzw. zu vertiefen. Genau darin gründet ihre didaktische Dignität. Das Konzept eines kompetenzorientierten Unterrichts, wie es im vorliegenden Praxisbuch vertreten wird, bringt dies zum Ausdruck, indem die jeweiligen Kompetenzformulierungen der einzelnen Unterrichtssequenzen, die im zweiten Teil vorgestellt werden, mit dem Begriff des Lernvorhabens überschrieben werden.

Literatur

Bauer, Joachim, Lob der Schule. Sieben Perspektiven für Schüler, Lehrer und Eltern, Hamburg 2007.

Bohl, Thorsten/Kucharz, Diemut, Offener Unterricht heute. Konzeptionelle und didaktische Weiterentwicklung, Weinheim 2010.

Hüther, Gerald, Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn, Göttingen 82009.

Jürgens, Eiko, Die »neue« Reformpädagogik und die Bewegung Offener Unterricht. Theorie, Praxis und Forschungslage, Sankt Augustin 1994 (62004).

Klippert, Heinz, Methoden-Training, Weinheim 1994 (142004).

Mendl, Hans (Hg.), Konstruktivistische Religionspädagogik. Ein Arbeitsbuch, Münster 2005.

Meyer, Hilbert, Was ist guter Unterricht?, Berlin 2004 (7 2010).

Peschel, Falko, Offener Unterricht. Bd. 1: Allgemeindidaktische Überlegungen, Baltmannsweiler 42006.

Voß, Reinhard (Hg.), Unterricht aus konstruktivistischer Sicht. Die Welten in den Köpfen der Kinder, Weinheim 22005.

Wolfgang Michalke-Leicht

Lehrerinnen und Lehrer

Die Einführung der Bildungsstandards hat bei Lehrerinnen und Lehrern entweder hohe oder gar keine Wellen geschlagen. Manche sehen in den Standards eine Chance für effektiven und nachhaltigen Unterricht und versuchen, den Unterricht an den von den Schülerinnen und Schülern zu erreichenden Kompetenzen auszurichten. Andere ignorieren sie und machen genau das, was sie schon immer im Unterricht gemacht haben. Sie argumentieren, die neben den fachlichen jetzt so aufgewerteten personalen und sozialen Kompetenzen seien doch seit jeher implizites Ziel des Unterrichtens gewesen. Die bei vielen Lehrerinnen und Lehrern wahrnehmbare Unzufriedenheit hinsichtlich ihres Unterrichtserfolgs gibt jedoch zu denken. Eine neuere Studie ergab, dass »deutsche Lehrer . . . hohe Erziehungsziele [verfolgen]. Bei ihnen stehen Sozialtugenden wie Gerechtigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Ehrlichkeit hoch im Kurs . . . Diese Ziele klingen zwar besonders ambitioniert, doch statistische Analysen haben gezeigt, dass die Korrelation zwischen der Wichtigkeit eines Ziels und seiner Umsetzbarkeit in hohem Maße negativ ist. Je wichtiger einem Lehrer also ein bestimmtes Ziel erscheint, desto unklarer ist ihm der Weg dahin« (Psychologie heute, März 2010). Es ist also durchaus so, dass das Gros der Lehrerinnen und Lehrer bei den Schülerinnen und Schülern mehr als einen Wissenszuwachs erreichen will; viele wissen nur nicht, wie.

Der Bildungsplan von 2004

Neu ist am aktuellen Bildungsplan, dass die oben genannten »Erziehungsziele« erstmals als soziale bzw. personale Kompetenzen in einem Bildungsplan gleichwertig neben den fachlichen stehen. Vor den ausgewiesenen evaluierbaren Standards werden zu erreichende Kompetenzen genannt, die – so die Hoffnung – das Unterrichten bzw. Lernen der Schülerinnen und Schüler effektiv und nachhaltig machen. Im Folgenden wird es darum gehen, dass die konsequente Realisierung eines kompetenzorientierten Religionsunterrichts eine Einstellungsänderung bei den Lehrerinnen und Lehrern und daraus folgend eine Änderung ihrer Rolle mit sich bringt. Zunächst wird aufgezeigt, wie sich dies im konkreten Unterrichtsgeschehen auswirkt, anschließend geht es allgemein um Facetten der Lehrerrolle.

Der Paradigmenwechsel des Bildungsplans 2004

Was eher selbstverständlich und schon oft gehört erscheint, der Wechsel von der Input – zur Outcome-Orientierung in Verbindung mit Kompetenzen, von denen die fachliche als eine neben anderen beobachtet wird, ist bahnbrechend. Erstmals steht nicht der Stoff, das, was den Schülerinnen und Schülern verabreicht werden muss, im Zentrum des Interesses, sondern, was diese nach einer bestimmten Zeit wissen, können, beherrschen sollen. Die Schülerinnen und Schüler stehen im Fokus, von ihnen ist auszugehen, es geht um ihr Lernen, auf sie hin ist zu unterrichten und im Hinblick auf sie ist der Unterricht zu arrangieren. Ziel ist neben der nachhaltigen Erweiterung ihres Wissens auch eine Modifizierung ihrer Einstellungen und idealerweise eine Vergrößerung ihres Verhaltensspektrums. Wenn die Schülerinnen und Schüler derart ins Zentrum des Lehr-Lern-Geschehens rücken, zieht dies automatisch eine veränderte Position der Lehrerinnen und Lehrer nach sich: Nicht mehr von dem, was diese wollen und für unbedingt wissenswert halten, ist auszugehen, sondern sie unterrichten immer mit dem Blick auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler; die Lehrerinnen und Lehrer treten zurück, hören zu und schauen genau hin.

Der Unterricht

Bei der Planung des Unterrichts sollte sich die Orientierung an den Schülerinnen und Schülern schon beim Thema und der Anlage der Lernsequenz zeigen. Bereits hier wird die Zielrichtung des Unterrichts deutlich. Das didaktische Prinzip der Elementarisierung mit der permanenten Frage nach den elementaren Erfahrungen und der elementaren Wahrheit bietet eine gute Richtschnur für das Planen und Unterrichten. So besteht ein großer Unterschied – nicht nur in der Formulierung – zwischen einem Thema »Die fünf Säulen des Islam« und »Richtlinien für das Handeln!? – die fünf Säulen des Islam« oder »Das Weinberggleichnis« und »Ist das wirklich gerecht? – Das Weinberggleichnis«.

Die Lernsequenzen mit der jeweils zweiten Themenformulierung haben nun einen »roten Faden«, an dem die Inhalte auszurichten und angesichts dessen die Unterrichtsmethoden auszuwählen sind. Außerdem zeigen sie das Bemühen und die Intention der Lehrenden, die Vermittlung der neuen Inhalte mit deren Problematisierung für die Schülerinnen und Schüler zu verbinden. Auf diese Weise geben Lehrerinnen und Lehrer vor sich selbst permanent Rechenschaft darüber ab, was an diesem Thema für Schülerinnen und Schüler relevant, bedeutsam sein könnte. Ihre Aufgabe beschränkt sich nicht mehr vorrangig auf die möglichst spannende Aufbereitung des Themas, vielmehr müssen sie überlegen, wie der Inhalt mit der konkreten Lerngruppe verbunden werden kann, um diese in einen Dialog, in eine Auseinandersetzung mit dem Thema zu bringen.

Es ist unbestritten, dass dies Zeit kostet. Zeit, während der Lernsequenz immer wieder innezuhalten und Phasen zuzulassen, in denen die Schülerinnen und Schüler mit den neuen Inhalten umgehen, sie vertiefen und sich dazu positionieren können. Eine konventionelle Unterrichtsstunde, bestehend aus einem Feuerwerk von unterschiedlichen Medien und Methoden steht dem diametral gegenüber. Hier werden die Schülerinnen und Schüler in eine Konsumentenrolle gedrängt, sie haben Anweisungen auszuführen, die auf ein von den Lehrenden definiertes Ziel hinführen. Ihre Mitbestimmung des Unterrichtsgeschehens ist dabei sehr gering, ihre Motivation oft eine eher extrinsische. Wie wirkt sich nun der genannte Perspektivenwechsel auf das Verhalten der Lehrerinnen und Lehrer im Unterricht aus?

Lehrerinnen und Lehrer fragen – Unterrichtsplanung

Lehrerinnen und Lehrer sind es gewohnt, dass im Unterricht getan wird, was sie geplant haben und erreichen wollen. Stoffverteilungspläne zu Beginn des Schuljahres bzw. einer neuen Unterrichtssequenz sowie vorformulierte Unterrichtsziele und Merksätze, die zum Stundenende an der Tafel stehen sollten, geben dabei die nötige Handlungssicherheit. Demgegenüber fordert es heraus und verunsichert, erhöht jedoch die Motivation und das Engagement der Schülerinnen und Schüler enorm, wenn diese den gemeinsamen Unterricht mit planen können. So bietet es sich an, zu Beginn von neuen Unterrichtssequenzen, in einer Einstiegsstunde das Vorwissen und das Interesse der Schülerinnen und Schüler zu eruieren und mit ihnen gemeinsam einen möglichen Verlauf der folgenden Sequenz zu besprechen. Je ausführlicher Lehrende sich mit der jeweiligen Gruppe im Hinblick auf ein neues Thema beschäftigen, desto leichter wird danach der Unterricht fallen, weil die Planung auf die Interessenslage der Gruppe abgestimmt ist. Die Wahl von (Teil-)Themen durch die Schülerinnen und Schüler sowie das Aufgreifen der von ihnen geäußerten Probleme nehmen die Kinder und Jugendlichen mit ins Boot und relativieren ihre Konsumentenrolle. Dies ist keineswegs ein didaktischer »Trick«; vielmehr sollte das Interesse der Lehrerinnen und Lehrer an den Schülerinnen und Schülern und deren Lebenswelt ein echtes sein – immerhin geht es ja um sie als Lernende und nicht um eine bestmögliche Performance der Lehrenden.

Lehrerinnen und Lehrer üben – Lernformen

Viele – besonders die offenen – Methoden werden von den Lehrenden wie auch von den Lernenden entweder als ineffektiv abgetan oder exzessiv als Selbstzweck eingesetzt. So häuft sich beispielsweise – gerade auf Seite der Schülerinnen und Schüler – die Ablehnung von Gruppenarbeit, die »ja sowieso nichts bringt, weil ein – und meist dasselbe – Gruppenmitglied arbeitet und der Rest nichts tut«. Oft werden Methoden auch von den Lehrenden perfekt durchgezogen, zeitlich und in ästhetischer Hinsicht stimmt alles, nur die Lernenden bleiben bisweilen auf der Strecke und sind mehr oder weniger Statisten in einem gut inszenierten Stück. Der Einsatz von Methoden stellt Lehrende immer vor die Frage, wie die Schülerinnen und Schüler dadurch so »mitgenommen« werden, dass das Unterrichtsgeschehen als effektiv erlebt werden kann und Nachklang bei ihnen findet. Häufig werden bestimmte Lernformen, wie ein offenes Unterrichtsgespräch oder die Arbeit in Projekten, in bestimmten Lerngruppen auch vermieden, weil diese in der konkreten – als schwierig erachteten – Gruppe als nicht möglich erscheinen. Doch damit ein ergiebiges Unterrichtsgespräch oder das selbstständige Erarbeiten eines Themas durch die Schülerinnen und Schüler »funktionieren«, bedarf es eines längeren Übungsweges. Auch im Hinblick auf die Lernformen sollten die Lehrenden die Lernenden ernst nehmen. Sie können mit einer Lerngruppe Unterrichtsformen beispielsweise einüben. Ein Methodencurriculum, das neben der Vermittlung von Inhalten und sachbezogenen Fertigkeiten mit den Schülerinnen und Schülern auch das Einüben unterschiedlicher Unterrichtsformen anleitet und begleitet, könnte hier sehr hilfreich sein. Die gemeinsame Reflexion eines soeben erfolgten Unterrichtsgesprächs oder einer gerade durchgeführten Methode verdeutlicht den Schülerinnen und Schülern zweierlei: Wie Unterricht verläuft, hängt in hohem Maße von uns selbst ab. Und: Es gibt bestimmte Kriterien, an denen die Qualität von Unterrichtsformen zu messen ist. Indem den Schülerinnen und Schülern diese Kriterien transparent gemacht werden, haben sie eine Handhabe, ihr eigenes und das Verhalten ihrer Lerngruppe daran zu messen und daraufhin zu reflektieren. So können z.B. nach einer Unterrichtsphase mit Standbildarbeit, Präsentation von Gruppenergebnissen oder der Arbeit an einem Bibeltext die Lernenden mit oder ohne Hilfe der Lehrerinnen und Lehrer über Verlauf und Ergebnisse dieses Unterrichtsschritts sprechen und daraus Schlüsse für ähnliche zukünftige Methoden ziehen. Das heißt aber auch, dass Lehrerinnen und Lehrer sich in die Karten schauen lassen, dass sie den Schülerinnen und Schülern vermitteln, was ihnen selbst für das Unterrichten wichtig ist; so kommunizieren sie ihre eigenen Werte, damit beispielsweise Kommunikation gelingt. Dadurch liefern sich Lehrerinnen und Lehrer aus, sie werden vielleicht sogar ein wenig »angreifbar«, auf jeden Fall aber sind sie besser einzuschätzen. Dies initiiert und begleitet im Idealfall einen Lernprozess, an dessen Ende ein größeres Methodenrepertoire der Lerngruppe steht sowie eine kommunikative Atmosphäre, die von interessiertem Austausch, dem Tolerieren sehr andersartig wirkender Redebeiträge und gegenseitigem Respekt geprägt ist.

Lehrerinnen und Lehrer moderieren – Sozialformen

Häufig – und durchaus zu Recht – planen und beurteilen Lehrerinnen und Lehrer Sozialformen im Hinblick auf ihre mögliche Effektivität. Am effektivsten, weil am zielstrebigsten, erscheinen der Lehrervortrag und das gelenkte Unterrichtsgespräch. Schülerinnen und Schüler sind es gewohnt, dass die Lehrenden im Zentrum des Geschehens stehen, dass auf sie hin jeder Unterrichtsbeitrag erfolgt. Ein häufiges Argument für eine starke Unterrichtslenkung ist die Schnelligkeit, mit der sehr viel Stoff in relativ kurzer Zeit durchgenommen werden kann. Wie jedoch sollen die Schülerinnen und Schüler auf diese Weise soziale und personale Kompetenz erwerben? Im Religionsunterricht geht es besonders auch um Einstellungen und Haltungen. Lehrerinnen und Lehrer sollen ermöglichen, dass diese eingenommen werden