Kompetenzorientierter Unterricht auf der Sekundarstufe I -  - E-Book

Kompetenzorientierter Unterricht auf der Sekundarstufe I E-Book

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Beschreibung

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Der vorliegende Band versammelt erziehungswissenschaft­liche und fachdidaktische Beiträge zu kompetenzorientiertem Unterricht auf der Sekundarstufe I. Während im ersten Teil ein historischer, lernpsychologischer, soziologischer, sonderpä­dagogischer und allgemeindidaktischer Blick auf Kompetenz­orientierung geworfen wird, befassen sich die fachdidaktischen Beiträge im zweiten Teil mit Fragen der Unterrichtsplanung, des Lehrplanbezuges, der Messbarkeit und der Beurteilung, wobei die konkrete Umsetzung von kompetenzorientierten Unterrichtseinheiten in den einzelnen Schulfächern im Zentrum steht.

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Seitenzahl: 478

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Marcel Naas (Hrsg.)

Kompetenzorientierter Unterricht auf der Sekundarstufe I

Erziehungswissenschaftliche und fachdidaktische Perspektiven

ISBN Print: 978-3-0355-0581-8 ISBN E-Book: 978-3-0355-0474-3

 

Gestaltung: Atelier Bläuer, Bern

Fotos (Umschlag und Titelfotos): Donat Bräm, Zürich

 

1. Auflage 2016

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 hep verlag ag, Bern

 

www.hep-verlag.ch

 

 

 

Zusatzmaterialien und -angebote zu diesem Buch:http://mehr.hep-verlag.ch/kompetenzorientierter-unterricht

Inhalt

Einleitung

TEIL 1 – ERZIEHUNGS WISSENSCHAFTLICHE PERSPEKTIVEN

HISTORISCHE PERSPEKTIVE | Rebekka Horlacher

Kompetenz wider das «tote Wissen» oder: Ein Kampf gegen Windmühlen?

1 Einleitung

2 Kompetenz in der amerikanischen Curriculumreform der 1960er-Jahre

3 Kompetenz als Schlüsselqualifikation und lebenslanges Lernen

4 Kompetenz als messbare Alternative zu Bildung

5 Kompetenz oder Wissen

LEHR- UND LERNTHEORETISCHE PERSPEKTIVE | Matthias Baer

Kompetenzorientierung im Unterricht und modernes Lehr- und Lernverständnis

1 Professionalität beim Handeln

2 PISA und die Folgen

3 Was sind Kompetenzen, und warum Kompetenzorientierung?

4 Zur Herkunft und weiteren Bestimmung von Kompetenz

5 Kompetenzorientierung im Lehrplan 21

6 Kompetenzorientierter Unterricht

7 Kognitiv-(sozial-)konstruktivistisches Verständnis von Lehren und Lernen im kompetenzorientierten Unterricht

SOZIOLOGISCHE PERSPEKTIVE | Regina Scherrer

Kompetenzorientierung der Schule – weniger Bildungsungleichheiten für Schülerinnen und Schüler?

1 Einleitung

2 Bildungsungleichheiten

3 Wie werden Kompetenzen aus soziologischer Perspektive definiert?

4 Welche Funktionen werden der Volksschule von der Gesellschaft zugewiesen?

5 Kompetenzorientierung – welche Erwartungen und Kritikpunkte sind aus soziologischer Perspektive zentral?

6 Kann die Kompetenzorientierung illegitime Bildungs ungleichheiten verringern?

7 Fazit

SONDERPÄDAGOGISCHE PERSPEKTIVE | Raphael Gschwend, André Kunz und Reto Luder

Flexible Anwendung von Lehrplänen als Antwort auf individuelle Lernwege

1 Sonderpädagogik in einer inklusiven Schule

2 Das bio-psycho-soziale Modell als Grundlage einer sonder pädagogischen Perspektive

3 Der Kompetenzbegriff aus sonderpädagogischer Sicht

4 Die ICF als Grundlage des schulischen Standortgesprächs und der Förderplanung

5 Probleme, Entwicklungen und Trends

6 Beobachtungsindikatoren zum schulischen Standortgespräch (BISS)

7 Fazit

ALLGEMEINDIDAKTISCHE PERSPEKTIVE | Herbert Luthiger

Kompetenzorientierte Didaktik? – Auf gaben als Brücke zwischen Allgemeiner Didaktik und Kompetenzorientierung

1 Herausforderungen – auch für die Allgemeine Didaktik!

2 Zum Verhältnis von Allgemeiner Didaktik und Kompetenz orientierung

3 Aufgaben als Brücke zwischen der Didaktik und der Kompetenz orientierung

4 Fazit: Gibt es eine kompetenzorientierte Didaktik?

TEIL 2 – FACHDIDAKTISCHE PERSPEKTIVEN

DEUTSCH | Doris Grütz

Kompetenzorientierung im Deutsch unterricht: Lesen

1 Was passiert, wenn wir lesen? – Ein Beispiel

2 Das kognitionspsychologische Modell des Textverstehens

3 Lesekompetenzen: Didaktisches Drei-Dimensionen-Modell des Leseverstehens

4 Die kognitive Dimension der Lesekompetenz

5 Die subjektbezogene Dimension der Lesekompetenz

6 Die kommunikationsbezogene Dimension der Lesekompetenz

7 Welche Kompetenzen fördert die Schule? – Der Lehrplan 21

8 Was sind Lesestrategien, und wie werden sie am besten vermittelt?

9 Sachtexte lesen – ein Thema in allen Fächern!

10 Literarische Texte: Jugendliteratur

11 Kompetenzorientiert unterrichten

12 Fazit

MATHEMATIK | Maurus Küttel und Thomas Schmalfeldt

Kompetenzmodelle im Fach Mathematik

1 Typische mathematische Tätigkeiten und Prozesse

2 Kompetenzmodelle als Grundlage der Curriculumentwicklung

3 Planen von kompetenzorientiertem Mathematikunterricht

4 Überprüfung von Kompetenzen im Mathematikunterricht

5 Fazit

FREMDSPRACHEN: ENGLISCH UND FRANZÖSISCH | Karin Haller und Clément Zürn

L’importance of becoming compétent

1 Einleitung mit zwei Fallbeispielen

2 Kompetenzorientierung im Fremdsprachenunterricht

3 Kompetenzaufbau

4 Überprüfung der Kompetenzen

5 Fazit und Ausblick

NATUR UND TECHNIK | Christoph Gut, Hanspeter Pfirter und Josiane Tardent

Modellkompetenz im Naturwissenschaftsunterricht – Förderung und Diagnose

1 Grundkompetenzen der Naturwissenschaften

2 Modelle im Unterricht

3 «Arbeiten mit Modellen» als Schülerkompetenz

4 Planung und Gestaltung kompetenzorientierter Lerngelegenheiten

5 Diagnose von Modellkompetenz im Unterricht

6 Verknüpfung von Problemtypen: Diskussion zweier kompetenz orientierter Lerngelegenheiten

7 Fazit und Schlussgedanken

GESCHICHTE | Beatrice Bürgler, Peter Gautschi und Stephan Hediger

Kompetenzorientiert arbeiten im Geschichtsunterricht

1 Ziele historischen Lernens

2 Kompetenzorientiert lehren und lernen

3 Kompetenzorientierte Lernprozesse im Geschichtsunterricht – ein Beispiel

4 Kompetenzorientierten Unterricht planen und beurteilen

5 Fazit

BILDNERISCHES GESTALTEN | Hans Diethelm und Claudia Niederberger

Kompetenzorientierter Unterricht im Bildnerischen Gestalten

1 Ästhetisches Verhalten von Jugendlichen

2 Auf dem Weg zur Kompetenzorientierung – ein kurzer Blick in die Fachgeschichte

3 Bildkompetenz: Kompetenzorientierung im Lehrplan 21, Fachbereich Gestalten

4 Planung, Durchführung und Auswertung von kompetenz orientiertem Fachunterricht

5 Exemplarische Planung, Durchführung, Beurteilung und Analyse einer kompetenzorientierten Unterrichtseinheit

6 Ergänzende Bemerkungen zur Kompetenzorientierung

TEXTILES GESTALTEN | Pia Aeppli

Das Sweatshirt – Mein Sweatshirt

1 Einleitung

2 Kompetenzdiskurs im Textilen Gestalten

3 Kriterien für die Konstruktion kompetenzorientierter Lernaufgaben

4 Bezug zum Lehrplan 21

5 Kompetenzorientierung im Textilen Gestalten – Das Sweatshirt

6 Begutachten – Beurteilen im Textilen Gestalten

7 Fazit

BEWEGUNG UND SPORT | Ilaria Ferrari Ehrensberger und Ursula Baggenstos

Kompetenzorientierung im Sport unterricht der Sekundarstufe I

1 Einleitung: Kompetente Schülerinnen und Schüler im Sportunterricht

2 Der Kompetenzbegriff im sportpädagogischen Diskurs

3 Sportunterricht planen

4 Exemplarische Planung eines Unterrichtsvorhabens

5 Schlussgedanken

ONLINE VERFÜGBARE ARTIKEL

MEDIENBILDUNG | Flurin Senn-Albrecht und Friederike Tilemann

«Mehr als nur klicken» – Medienkompetenz als Unterrichtszielhttp://mehr.hep-verlag.de/kompetenzorientierter-unterricht

1 Einleitung

2 Medienbildung als Aufgabe der Schule

3 Lernen über Medien – Lernen mit Medien

4 Medienkompetenz als Unterrichtsziel

5 Lehrpersonen brauchen mehr als Medienkompetenz: medienpädagogische Kompetenz

6 Medienbildung und Kompetenzorientierung

7 Medien lesen, beurteilen und gestalten lernen

8 Kompetenzorientierung in der schulischen Medienbildung am Beispiel des Infotainments

9 Fazit

SEXUALPÄDAGOGIK | Lukas Geiser

Die Sache mit dem Sex und der Liebe – Sexualkundlichen Unterricht kompetenzorientiert umsetzenhttp://mehr.hep-verlag.de/kompetenzorientierter-unterricht

1 Sexualitätsbezogene Themenfelder und der damit verbundene Kompetenzerwerb

2 Wenn Werte und Normen mitspielen … Personale und soziale Kompetenzen

3 Das Spannungsfeld von Ressourcen, Kompetenzen und Performanz

4 Beispiele für die Praxis

5 Beurteilung von Kompetenz und Performanz im Kontext von Sexualität

6 Fazit

Einleitung

Einleitung

Kompetenzorientierung – ein Reizwort mit Potenzial

Der Begriff «Kompetenzorientierung» ist – nicht nur in der Schweiz und vor dem Hintergrund eines neuen kompetenzorientierten Lehrplans – in aller Munde. Er provoziert, polarisiert, verspricht aber auch Antworten auf ganz unterschiedliche pädagogische, didaktische und bildungspolitische Fragen.

Zum einen impliziert Kompetenzorientierung eine pädagogische und didaktische Antwort auf die Frage nach den richtigen Unterrichtsinhalten und -prozessen für eine zunehmend heterogene Schülerschaft. «Kompetenz» meint dabei das Wissen und Können einer Einzelperson, und der Leistungsfortschritt ist an einer individuellen Bezugsnorm orientiert. Binnendifferenzierung oder zumindest ein mit Heterogenität rechnender und daran ausgerichteter Unterricht muss demnach das Ziel sein. Nicht alles ist neu – das hat die Kompetenzorientierung auch nie für sich reklamiert –, und doch lohnt sich ein bewussterer Blick auf Kernelemente eines kompetenzorientierten Unterrichts, dessen grosse Chance der Fokus auf Unterrichtsqualität ist. Guter Unterricht thematisiert authentische und schülernahe Inhalte mittels kognitiv aktivierender Lernaufgaben, strebt eine Niveaudifferenzierung an, enthält Formen des kooperativen Lernens, der Partizipation und Verantwortung für das eigene Lernen, ist handlungsorientiert (verbindet also Wissen und Können) und auf transparente – möglichst individuell vereinbarte – Lernziele ausgerichtet. Kritisch gefragt werden darf, ob der Begriff «Kompetenz» diesen verschiedenen und schon länger bekannten Qualitätskriterien ein neues Gesicht oder einen Rahmen verleihen kann und somit – zum Beispiel durch neue kompetenzorientierte Lehrpläne und Lehrmittel – guten Unterricht tatsächlich begünstigt.

Zum anderen bietet Kompetenzorientierung mit der Forderung nach beschreibbarem Können, nach messbarem «Output» oder besser «Out­come» eine bildungspolitische Antwort auf die Frage der standardisierten Messung, der Vergleichbar-Machung von individuellen und institutionellen Leistungen und der damit verbundenen Steuerung, was gerne auch mit «Bildungsmonitoring» umschrieben wird. Dem oben erwähnten Zugang über eine individuelle Bezugsnorm steht also, quasi im krassen Gegensatz, eine kriteriumsorientierte und soziale Bezugsnorm gegenüber, indem – durchaus auch im Streben um Chancengerechtigkeit – mit «Bildungsstandards» versucht wird, sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Schulen – ja ganze nationale Bildungssysteme – miteinander zu vergleichen und damit nicht nur an sich selbst, sondern vor allem an der Leistung der anderen zu messen.

Aufbau und Absicht des Buches

Diese grosse Spannweite an positiven Erwartungen und kritischer Distanz bezüglich «Kompetenzorientierung» widerspiegelt sich auch in diesem Buch und ist durchaus beabsichtigt. Sie ist aber auch einer Fülle von teils recht unterschiedlichen Definitionen von «Kompetenz» geschuldet. Auch vor der Entstehung dieses Buches stand die Frage nach einer Definition von «Kompetenz» bzw. «Kompetenzorientierung» und demzufolge von «kompetenzorientiertem Unterricht» zur Diskussion. Wovon gehen wir aus? Beziehen sich alle Beiträge auf den gleichen Kompetenzbegriff? Gibt es einen Konsens in der Definition? – Und die Antwort ist so einfach und pragmatisch wie auch auf den ersten Blick enttäuschend: Nein.

Als Herausgeber des Buches gehe ich mit Walter Herzog einig, dass es «keine allgemeine Kompetenz (im Singular), sondern immer nur spezifische Kompetenzen (im Plural) [gibt], die die Bewältigung von spezifischen Anforderungen in spezifischen Situationen ermöglichen.»[1] Unter dieser Prämisse ist auch Kompetenzorientierung in jedem Fach etwas anders zu definieren und umzusetzen. Eine Anbindung an einen zu starren Begriff oder ein Modell schien deshalb für das vorliegende Buch nicht zielführend, was zur Folge hat, dass bezüglich der Auslegung des Kompetenzbegriffs Vielfalt statt Einfalt (im Sinne von Homogenität oder Uniformität) herrscht.

Im ersten Teil, «Erziehungswissenschaftliche Perspektiven», wird in fünf Beiträgen ein je historischer, lehr- und lerntheoretischer, soziologischer, sonderpädagogischer und allgemeindidaktischer Blick auf die Thematik geworfen. Im zweiten Teil folgen fachdidaktische Perspektiven, die in acht Beiträgen (und zwei weiteren überfachlichen Kapiteln online) aufzeigen, was Kompetenzorientierung in den einzelnen Fächern (Mathematik, Deutsch, Fremdsprachen, Geschichte, Bildnerisches Gestalten, Bewegung und Sport, Textiles Gestalten, Natur und Technik, Medienbildung, Sexualpädagogik und Lebenskunde) bedeutet und wie ein kompetenzorientierter Unterricht gestaltet sein könnte. Hierfür werden auch exemplarisch konkrete Unterrichtsreihen und -beispiele beschrieben, um der allenfalls zu Beginn der Lektüre noch leeren Hülle «Kompetenz­orientierter Unterricht» Inhalt und Kontur zu verleihen. Jeder Beitrag wird durch ein Abstract eingeleitet und enthält neben weiterführenden Fragen und einer ausführlichen Literaturliste zentrale Begriffe, die in der Marginalienspalte aufgelistet sind und in der zum Buch gehörenden App[2] erklärt werden.

App zum Buch

Da die Beiträge zeitgleich entstanden sind, beziehen sich die einzelnen Texte meistens nicht aufeinander; es ist deshalb auch keine bestimmte Reihenfolge beim Lesen vorausgesetzt. Redundanzen (z.B. die Forderung nach guten Lernaufgaben) sind bewusst nicht entfernt worden, weil eine wiederholte Nennung die Wichtigkeit einer Forderung zeigt und das Buch auch bewusst so angelegt ist, dass je nach Interesse (z.B. bezüglich der Fächer, die man selbst unterrichtet) auch nur einzelne Beiträge gelesen werden können. Dies wiederum will nicht heissen, dass kein roter Faden zu finden wäre – im Gegenteil. Die einzelnen erziehungswissenschaftlichen Perspektiven sind beispielsweise bewusst so gewählt worden, dass sie sich ergänzen und gemeinsam zu einer umfassenden Sicht auf die Thematik beitragen. Gerade die Erziehungswissenschaften haben sich – im Gegensatz zu den Fachdidaktiken, die aufgrund anstehender Reformen unter Zug- und Publikationszwang stehen – bisher eher zurückhaltend mit dem Thema befasst. Dies zu ändern, ist ein Ziel des Buches. Erziehungswissenschaft und Fachdidaktik in einem Buch zu vereinen, ein zweites. Und schliesslich sollen – als ein drittes Ziel – die oft als zu theoretisch zurückgewiesenen Forderungen der Fachdidaktiken mittels guter Beispiele aus dem konkreten Schulunterricht der Sekundarstufe I illustriert werden, um so der Theorie-Praxis-Kluft entgegenzuwirken.

Geplant war ein Studienbuch für angehende Sekundarlehrpersonen, das als Teil eines Projekts der Abteilung Sekundarstufe I an der Pädagogischen Hochschule Zürich die Absicht verfolgte, das Thema «Kompetenz­orientierter Unterricht» in Modulen der Ausbildung zur Lehrperson zu verankern. Entstanden ist – auch dank der ausgezeichneten Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule Luzern – ein Werk von Autorinnen und Autoren beider Hochschulen, das in dieser Form aber auch weitere an Bildung beteiligte Kreise erreichen kann und soll. Das Buch richtet sich somit an Studierende in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung, Lehrpersonen, Schulleitende, aber auch an Interessierte aus Bildungspolitik, Erziehungswissenschaft und Fachdidaktik und ist – trotz Orientierung am schweizerischen Bildungssystem – sicher auch in anderen deutschsprachigen Ländern gewinnbringend zu lesen.

Dank

Eine solche Publikation wäre nicht möglich ohne finanzielle und zeit­liche Ressourcen, wofür ich mich bei den Verantwortlichen der Pädagogischen Hochschulen Zürich und Luzern – namentlich bei Esther Kamm und Werner Hürlimann, die sich massgebend für das Projekt eingesetzt haben – herzlich bedanke. Für die inhaltliche Qualität gilt es dann aber in erster Linie den beteiligten Autorinnen und Autoren zu danken, die ihr grosses fachliches Wissen – auf Kompetenzorientierung fokussiert – zu Papier gebracht haben und ein Reviewing durch ausgewiesene Expertinnen und Experten (auch diesen sei an dieser Stelle herzlich gedankt!) nicht scheuten. Für die Illustrationen (auf dem Titelblatt und den Kapitelöffnerseiten) danke ich Donat Bräm, der in den Schulhäusern der Oberstufen Stadel und Pfäffikon ZH fotografieren durfte, weshalb deren Schulleitenden ebenfalls ein herzlicher Dank gebührt. Robert Fuchs bin ich für das Begleiten der vertraglichen Verhandlungen ebenso zu Dank verpflichtet wie den Mitarbeitenden des hep-Verlags für die ausgezeichnete Zusammenarbeit.

Nun wünsche ich dem Werk viel Erfolg und hoffe, es möge den Lesenden kompetenzorientierten Unterricht näherbringen und zur fundierten Diskussion darüber anregen, aber auch – und darum muss es schliesslich gehen – guten Unterricht bewirken und so die Schülerinnen und Schüler erreichen!

 

Zürich, im Frühling 2016

Marcel Naas (Herausgeber)

TEIL 1 – ERZIEHUNGS WISSENSCHAFTLICHE PERSPEKTIVEN

Teil 1

Erziehungswissenschaftliche Perspektiven

HISTORISCHE PERSPEKTIVE | Rebekka Horlacher

Historische Perspektive

Der Beitrag beschäftigt sich in einer historischen Perspektive mit dem Begriff der Kompetenz und widmet sich zuerst den verschiedenen Verwendungen von Kompetenz in der aktuellen Diskussion. Damit verbunden wird die Frage, ob Kompetenz ein pädagogischer Slogan sei. Anschliessend werden drei Wegmarken der pädagogischen oder psychologischen Verwendung des Kompetenzbegriffs in ihrem Kontext dargestellt: die Debatte um die amerikanische Curriculumreform der 1960er-Jahre, die erziehungswissenschaftliche Unterscheidung von Selbstkompetenz, Sachkompetenz und Sozialkompetenz in den 1970er-Jahren sowie die Diskussion um die Frage, ob der Begriff der Kompetenz den oft kritisierten Bildungsbegriff ablösen könne. Das abschliessende Kapitel diskutiert die in den verschiedenen Debatten sichtbar gewordene Unterscheidung von Kompetenz und «totem Wissen» und fragt nach deren Bedeutung für die bildungspolitische und wissenschaftliche Diskussion.

Kompetenz wider das «tote Wissen» oder: Ein Kampf gegen Windmühlen?

Rebekka Horlacher

1 Einleitung

Es ist eine bemerkenswerte Eigenheit pädagogischer Diskussionen, dass darin immer wieder neue Begriffe auftauchen, die breite Aufmerksamkeit auf sich ziehen und zu eigentlichen Modebegriffen werden. Diese Begriffe versprechen in der Regel, etwas Neues und noch nie Dagewesenes, aber dennoch Wichtiges und Essenzielles zu bezeichnen und die pädagogische Theorie oder Praxis (besser noch beide) entweder zu revolutionieren oder doch zumindest entscheidend neu zu gestalten und zu verbessern.

Die hier beschriebene Funktion eines Modebegriffs hat seit einiger Zeit der Begriff der «Kompetenz» übernommen, der nicht nur in der Bildungspolitik und in der Lehrerbildung in aller Munde ist, sondern auch in allen möglichen Verbindungen gebraucht wird, von der Sozialkompetenz in Stellenausschreibungen über das Schweizer Kompetenz Centrum für Gesundheit und Prävention (SKC) mit dem Ex-Fussballer Alain Sutter als «stolzem Mitglied des SKC Netzwerks»[3] bis hin zur transkulturellen Kompetenz als Weiterbildungsangebot des Roten Kreuzes. Damit hat sich «Kompetenz» zu einem eigentlichen Zauberwort des Unterrichts, der Schule, der Berufsbildung und der bildungspolitischen Debatte entwickelt. Der Begriff hat aber auch eine vielstimmige Opposition hervorgerufen, die ihm auf unterschiedlichen Ebenen skeptisch bis ablehnend gegenübersteht. «Kompetenz» wird dabei als Verkörperung eines eher sinnlosen Reformeifers verstanden, als Anfang vom Untergang der abendländischen (Bildungs-)Tradition, als Kniefall vor der Dominanz der Leistungsmessung und der Output-Steuerung im Bildungswesen, ja sogar als Trojanisches Pferd im Kampf um die Vereinheitlichung des Schweizerischen Bildungswesens, was den Verlust der kantonalen Souveränität in Bildungsfragen zur Folge hätte.

Die Verfechter des Kompetenzbegriffs setzen in ihrer Anwaltschaft der Kompetenz oft den Begriff des «toten Wissens» entgegen, wobei dieser eine Art von Wissen bezeichnet, das keine praktischen Konsequenzen habe bzw. in praktischen Situationen nicht angewendet werden könne. Es werde also nur für Prüfungen oder für die Schule gelernt, so der oft formulierte Vorwurf, weshalb Gelerntes, sobald die Prüfungs- oder Schulsituation vorüber sei, sofort wieder vergessen werde. Kompetenz dagegen verweise auf ein tätiges oder aktives Wissen, mit dem in konkreten Situationen aktiv gehandelt werden könne und das deshalb praxisrelevant und bedeutungsvoll sei und für diejenigen, die darüber verfügten, einen tatsächlichen Mehrwert biete.[4]

Gemäss der aktuellen Ausgabe des Dudens hat der Begriff «Kompetenz» zwei Hauptbedeutungen. Er bezeichnet einen bestimmten Sachverstand oder eine Fähigkeit und knüpft damit an die Verwendung innerhalb der römischen Rechtslehre im Sinne von kompetent als «zuständig», «befugt», «rechtmässig» oder «ordentlich» an (Grunert 2012, 39). Zudem beschreibt Kompetenz in den Sprachwissenschaften die Summe aller sprachlichen Fähigkeiten, die eine muttersprachliche Person besitzt. Von einer explizit pädagogischen oder psychologischen Verwendung ist im Duden nicht die Rede.

Ein – gemäss Eigenwerbung – «Standardwerk» der Psychologie, das «seit vielen Studentengenerationen […] eine umfassende Orientierung über Grundlagen, Konzepte und Begriffe der Psychologie ermöglicht»,[5] der «Dorsch», definiert «Kompetenz» als kontextspezifische «Leistungs­disposition» bzw. als «Leistungspotenzial», das stärker als das Konzept der Intelligenz den Handlungsaspekt betone und damit den Kontext berücksichtige (Wirtz 2015). Während der Kompetenzbegriff in der psychologischen Forschung noch als einigermassen klar definiert gelten könne, so ist weiter zu lesen, treffe das für eine pädagogische Verwendung nicht mehr unbedingt zu. Kompetenz werde im pädagogischen Feld zum Teil auch als «Persönlichkeitsdimension verstanden, die sich umfassend auf die ‹fühlenden, denkenden, wollenden und handelnden Individuen› während ihrer lebensbegleitenden Lern- und Entwicklungsprozesse bezieht», was «ein lebenslanges und zunehmend selbstgesteuertes» Lernen ermögliche, wobei der Lernende selbstverantwortlich in pädagogisch gestalteten Lernumgebungen agieren soll. Ein «solch umfassender Definitionsansatz» könne nur dann empirisch nutzbar gemacht werden, wenn er in analytisch zugängliche Konstrukte aufgeteilt werde (ebd.). Der Begriff der Kompetenz ist – das muss aus diesem Lexikoneintrag geschlossen werden – im pädagogischen Kontext ein Konglomerat unterschiedlicher Versatzstücke mit höchst bedingter empirischer Nutzbarkeit bzw. Funktions­fähigkeit, dafür aber mit hohen Erwartungen verbunden.

Den emanzipatorischen Aspekt betont eine Studie zu Kompetenz als neuem Paradigma des Lernens in Schule und Arbeitswelt, die hauptsächlich auf die französischsprachigen Debatten rekurriert. Der Begriff wird hier als «mehr» als nur ein Modewort beschrieben, da er Ausdruck einer gesellschaftlichen Veränderung mit dem Ziel einer kritischen und selbstreflexiven Autonomie sei, was nicht ohne Auswirkungen auf die Struktur und das Verständnis von Unterricht bleibe, aber auch das Selbstverständnis der Lehrenden nicht unberührt lasse (Max 1999, 469–471). Der «Kompetenzdiskurs» scheint ein sprachgrenzenübergreifendes Phänomen zu sein, das hier wie dort ähnlich diskutiert wird.

Ein Blick in die weitere Forschungsliteratur zeigt, dass der Kompetenzbegriff sich aus mehreren und vor allem auch theoretisch, historisch und konzeptionell ganz unterschiedlichen Wurzeln nährt. Darauf haben nicht nur schon die beiden im Duden angegebenen Begriffsverwendungen hingewiesen, sondern auch begriffsgeschichtlich orientierte Studien. Das historische Wörterbuch der Philosophie beispielsweise listet unter dem Stichwort «Kompetenz» sechs Einträge auf, die sich aus römisch-rechtlicher, militärischer, öffentlich-rechtlicher, biologischer, motivationspsychologischer und sprachtheoretisch-kommunikationswissenschaftlicher Perspektive mit dem Begriff beschäftigen (Ritter u. Gründer 1976, 918–920). Vor diesem Hintergrund erstaunt nicht, dass der Eintrag «Kompetenz» aus sechs Einzelbeiträgen besteht, die jeweils zu ganz unterschiedlichen Begriffsbestimmungen gelangen.

In einem Artikel zu «Kompetenzkonzepten» werden die «Wurzeln des Kompetenzbegriffs und der darauf aufbauende Diskurs in der Erziehungswissenschaft» rekonstruiert (Klieme u. Hartig 2007, 11) und die Ursprünge in der Soziologie Max Webers, der Linguistik Noam Chomskys und in einer «pragmatisch-funktionalen» Tradition der amerikanischen Psychologie gefunden. Damit ziehen die beiden Autoren eine Traditionslinie, der in der neueren Literatur oft gefolgt wird und auf die sich die erziehungswissenschaftlich-psychologische Literatur bezieht, die sich ihrer begrifflichen Herkunft versichern möchte.

Die verschiedenen Ansätze machen deutlich, dass die Bedeutungen, die dem Kompetenzbegriff in der Forschungsliteratur und in der zeitgenössischen Schul- und Unterrichtsdiskussion zugeschrieben werden, nicht neu sind und von einem gesellschaftskritischen und die Selbstreflexion und Selbstbestimmung fördernden Potenzial bis hin zu einem empirisch messbaren Konstrukt reichen. Die Analyse der verschiedenen und eher disparaten Diskussionsbeiträge verweist indes auf einen in den pädagogischen Debatten durchaus weitverbreiteten Umgang mit Begriffen. Diese Begriffe werden relativ unabhängig von ihrer inhaltlichen Bestimmung zu einer Chiffre für ein Phänomen, das nicht klar zu definieren und zu bestimmen ist und das aus durchaus unterschiedlichen Gründen Attraktivität besitzt. In dieser begrifflichen Unschärfe können jeweils mehr oder weniger diffuse Erwartungen und Anforderungen zusammengefasst werden, die Bedeutung versprechen, auch wenn oder vielleicht gerade weil nicht präzis formuliert werden kann, was genau damit gemeint ist.[6] Allerdings können solch unscharf konzeptualisierte Begriffe durchaus definiert und die daraus entstandenen Definitionen als «wahr» oder «real» angesehen werden, ohne dass der Begriff als historisches Konglomerat von vielen verschiedenen Anforderungen, Ansprüchen und Wünschen verstanden wird, das – vielleicht nur zufällig – Diskursdominanz erhalten und in dieser Dominanz ein Eigenleben entwickelt hat, das nur noch eine sehr bedingte Verbindung zu den eigentlichen oder ursprünglichen Absichten hat.[7]

Der amerikanische Wissenschafts- und Erziehungsphilosoph Israel Scheffler (1923–2014) bezeichnete das eben beschriebene Phänomen 1960 als «pädagogischen Slogan», der im Gegensatz zu einer Definition unsystematisch sei (Scheffler 1971, 55). Ein solcher Slogan beherrsche durch seine emotionale Konnotationsfähigkeit die Diskussionen sowohl in der Wissenschaft als auch in der Öffentlichkeit und gebe vor, «‹Forschungsresultate› der Pädagogik» zu bezeichnen (Reichenbach 2007, 190): «Einigermassen naiv dürfte die Annahme sein, dass der Gebrauch und die Akzeptanz von solchen Vokabularien keinen Einfluss auf pädagogisches Handeln und Denken hätte», wobei sie «auch entlastende Funktion» haben. Begriffe sind damit nicht nur Bezeichnungen für empirische Phänomene, sondern bestimmen durch ihre Begrifflichkeit auch empirische Phänomene. Oder noch pointierter formuliert: «Hinter verfänglichen Proklamationen und pathetischen Phrasen offenbaren sich immer wieder bloss die uniformierten Meinungen der tatsächlichen oder vermeintlichen Vertreter der Disziplin, die sich von den eigenen Selbstwirksamkeitsgefühlen und -wünschen haben verführen lassen» (ebd., 191).

Kompetenz wird in diesem Beitrag als ein ebensolcher «pädagogischer Slogan» verstanden, was anhand einiger Wegmarken der pädagogischen und psychologischen Verwendung dargestellt wird. Dabei geht es nicht darum, umfängliche Entwicklungslinien des Begriffs zu rekonstruieren, sondern an bestimmten Punkten der Geschichte schlaglichtartig ausgewählte Debatten in ihrem Kontext zu beleuchten, um die Vielschichtigkeit des Kompetenzbegriffs beispielhaft aufzuzeigen. Durch diese historische Kontextualisierung kann der Begriff der Kompetenz entmythologisiert und können dessen Grenzen und theoretische Verstrickungen aufgezeigt werden. Ziel ist kein wie auch immer ausformulierter «richtiger» Begriff von Kompetenz im Gegensatz zu einem «falschen» Begriff, um damit eine gültige Lesart zu bestimmen. Vielmehr geht es darum, die verschiedenen historischen Herkünfte und Wurzeln so herauszuarbeiten, dass die damit verbundenen Erwartungen oder gar «Erlösungshoffnungen» (Geissler u. Orthey 2002, 73) sichtbar werden. Die gängige Unterscheidung von Kompetenz und «totem Wissen» wird dabei als heuristisches Mittel verstanden, das heisst als eine intellektuell konstruierte Hilfe, um einen Sachverhalt deutlicher zu erfassen. Diese Unterscheidung hat sich allerdings längst zu einer empirischen Realität entwickelt, die sowohl die öffentliche als auch die wissenschaftliche Diskussion bestimmt und dazu führt, dass einigermassen «geschichtsvergessen» immer wieder neue Konzepte und Begriffe als «pädagogische Erlösung» zuerst erfreut rezipiert werden, bevor sie später enttäuscht durch neue ersetzt werden.

2 Kompetenz in der amerikanischen Curriculumreform der 1960er-Jahre

Ende der 1950er-Jahre führte der amerikanische Psychologe Robert W. White (1904–2001) den Begriff competence in die Motivationspsychologie ein. White ging davon aus, das die bis dahin dominanten psychologischen Konzepte des Behaviorismus und der Psychoanalyse an die Grenzen ihres Erklärungspotenzials gelangt seien, da Motivation allein durch Triebe nicht erklärt werden könne (White 1959, 297). Er schlug deshalb vor, diese Leerstelle in den traditionellen Triebtheorien mit dem Begriff competence zu füllen, wobei competence sich auf die Fähigkeit eines Organismus bezog, «to interact effectively with its environment» (ebd.). Mit competence wollte sich White explizit nicht an eine bestimmte Theorietradition anlehnen; er begründete die Begriffswahl vielmehr damit, dass Kompetenz in ihren alltäglichen Bedeutungen geeignet sei, «to promote an effec­tive – a competent – interaction with the environment» (ebd., 318), was hauptsächlich anhand von Beispielen aus der Entwicklungspsychologie Jean Piagets gezeigt wurde (ebd., 317–319).

Zwei Jahre später taucht der Begriff in einer Publikation der Educational Policies Commission[8] in Verbindung mit beruflichen Fähigkeiten auf. In dieser kurzen Schrift mit dem Titel «The Central Purpose of American Education» legte die Kommission dar, was die wichtigsten Ziele der amerikanischen Erziehung und Schule seien und wie diese am besten erreicht werden könnten. Angesichts einer sich stark verändernden Arbeitswelt, die immer mehr ausgebildete Fachkräfte brauche und immer weniger Arbeitsplätze für Ungelernte biete, sei die Steigerung der vocational competences eine dringende Aufgabe der Schule, wobei diese berufliche Kompetenz durchaus auch auf developed rational capacities angewiesen sei (Educational Policies Commission 1961, 6). Kompetenz baute also auf intellektuelle Stärken und war nicht als ihr Gegenkonzept gedacht. Allerdings war zum Bedauern der Kommission die konkrete Entwicklung der rational capacities bzw. der rational powers in der bisherigen Forschung noch kaum Thema gewesen: «The psychology of thinking itself is not well understood» (ebd., 13), weshalb es auch keine spezifischen Programme gebe, «to develop intellectual power» (ebd., 16).

Aus heutiger Perspektive vielleicht eher überraschend sind die Vorschläge, welche die Kommission zur curricularen Umsetzung ihrer Empfehlungen formulierte. Sie erklärte nämlich, dass nicht nur der Unterricht in Mathematik oder Philosophie die geforderten rationalen Kräfte verbessere (ebd., 17), sondern auch verschiedene Erfahrungen in eher als «geisteswissenschaftlich», «schöngeistig» oder «ästhetisch» zu bezeichnenden Fächern. «Music, for example, challenges the listener to perceive elements of form within the abstract. Similarly, vocational subjects may engage the rational powers of pupils» (ebd., 18). Grundsätzlich sei es das Ziel von Schule, bei den Schülern den Wunsch nach sowie den Respekt vor Wissen zu wecken und sie zur Antwort auf die Frage zu befähigen, wie sie wissen, aber auch was sie wissen (ebd., 19). Damit wird Schule als Ort bestimmt, an dem wissenschaftliches oder zumindest an den Wissenschaften orientiertes Wissen und ein forschender Zugang zur Welt zu vermitteln ist, wobei die Entwicklung der rationalen Kräfte den Schüler auch befähigt, «to use his mind to make of himself a good citizen and contributing person». Oder anders formuliert: «The school should encourage the student to live the life of dignity which rationality fosters» (ebd., 20).

Diese Organisation und inhaltliche Ausrichtung von Schule, wie sie sich als Folge der Progressive Education, der amerikanischen Form der Reformpädagogik mit ihrer starken Betonung des Learning by Doing, entwickelt hatte und unter dem Namen life adjustment movementbekannt geworden ist, rief Kritik sowohl vonseiten der liberalen Intellektuellen als auch vonseiten der strengen Antikommunisten und der traditionellen Konservativen hervor (Kliebard 2002, 106–108; Hartman 2008). Die Hauptkritik richtete sich gegen die Überzeugung, Schule habe ihre Schüler zwar auf die Arbeitswelt vorzubereiten, sie aber auch in ihrem physischen und psychischen Wohlbefinden zu fördern. Die damit verbundene antiintellektuelle Tendenz konnte sehr einfach mit den didaktischen Reformen der Progressive Education in Verbindung gebracht werden, während die geforderte Curriculumreform die Stärkung der traditionellen akademischen Fächer bzw. die Rückkehr zu ihnen zum Ziel hatte.

Der später als solcher bezeichnete «Sputnikschock», das heisst die kulturellen und politisch-gesellschaftlichen Reaktionen in den USA auf den 1957 erfolgten Start des ersten künstlichen Erdsatelliten ins All durch die Sowjetunion, unterstützte diese Kritik. Die Niederlage im globalen Wettkampf um die Vorherrschaft im Weltall wurde der mangelnden Qualität der naturwissenschaftlichen Ausbildung in den Schulen angelastet, weshalb eine Reform des Curriculums[9] mit Schwerpunkt auf den naturwissenschaftlichen Fächern notwendig erschien (Kliebard 2002, 58–59).[10] Ziel des Unterrichts sollte die Vermittlung von zu Handlung befähigendem Wissen sein, mit dessen Hilfe der Wettlauf der beiden auf geopolitische Dominanz ausgerichteten Systeme gewonnen werden konnte. Ziel war also nicht der sich kompetent selbst verwirklichende Bürger des life adjustment movement.

Diese Unterscheidung von handlungsleitendem Wissen, das für den geopolitischen Wettlauf hilfreich war, und einer kompetenten Lebensführung, die das individuelle Wohlbefinden zum Ziel hatte, wurde in der theoretischen Konzeptualisierung der international vergleichenden Schulleistungsstudien, die im Kontext des Kalten Krieges entstanden waren, nicht übernommen – im Gegenteil. Eine vergleichende Perspektive war nicht mit Testaufgaben möglich, die Wissen voraussetzten, das von den jeweiligen nationalen Lehrplänen abhängig war, sondern nur durch von konkretem Wissen unabhängige Testaufgaben. Statt also «totes Wissen» abzufragen, wurde auf das Konzept der Kompetenz rekurriert, mit dessen Hilfe Wissen getestet werden konnte, das für die Zukunft der Schüler als relevant galt, wobei diese Relevanz als vergleichbar beurteilt wurde (Tröhler im Druck).[11]

3 Kompetenz als Schlüsselqualifikation und lebenslanges Lernen

Für die Verwendung und Weiterentwicklung des Kompetenzbegriffs im deutschsprachigen Raum war Noam Chomskys Unterscheidung von Kompetenz und Performanz bedeutsam, wie sie in der pädagogisch-psychologischen Debatte rezipiert wurde (Kobelt 2008, 10) und, zur «kommunikativen Kompetenz»[12] weiterentwickelt, auch in den Sozialwissenschaften Fuss fassen konnte (Grunert 2012, 54). Chomsky hatte 1965 in «Aspects of the Theory of Syntax», die 1969 unter dem Titel «Aspekte der Syntax-Theorie» in einer deutschen Übersetzung erschienen waren, (Sprach-)Kompetenz als «Kenntnis des Sprecher-Hörers von seiner Sprache» und Performanz als den «aktuellen Gebrauch der Sprache in konkreten Situationen» bestimmt (Chomsky 1972, 14). Der Mensch besitze ein angeborenes oder intuitives Muster der Spracherkennung, eine innere Sprachkompetenz, die durch die Sprechhandlung erst sichtbar werde und als das Resultat der Kompetenz zu sehen sei (Vonken 2005, 20). In seiner Theorie geht Chomsky von einer «idealen» Sprechsituation aus, das heisst von einer Situation, in welcher der Sprecher-Hörer von keinen Kontextfaktoren beeinflusst wird und nicht beeinflussbar ist. Er argumentiert damit nicht mit empirischen oder historischen Erfahrungen, sondern konstruiert seine Unterscheidungen und Argumente auf einer rein rationalen, von der Vernunft bestimmten Ebene (Chomsky 1972, 13). Die rational bestimmte Trennung von Kompetenz und Performanz ist denn auch in ihrem Modellcharakter zu verstehen.[13]

In der deutschsprachigen Pädagogik wurde das Konzept der Kompetenz vor allem durch Heinrich Roth (1906–1983) wirkmächtig vertreten. Im ersten Band seiner zweibändigen «Pädagogischen Anthropologie» hatte sich Roth mit der Frage nach der Bildsamkeit und der Bestimmung des Menschen und damit mit normativen Fragen der Erziehung beschäftigt, wodurch er zeigen wollte, «warum diese Leerformeln [Erziehungsziele wie Mündigkeit, Kritikfähigkeit, Kreativität, Emanzipation] […] zur langfristigen Orientierung unverzichtbar sind» (Roth 1971, 14). Mit dem zweiten Band rekonstruierte Roth die entwicklungspsychologischen Grundlagen der Erziehungswissenschaft und wandte sich damit wieder den sogenannt empirischen Fragen zu.

Auch wenn Roth Erziehungsziele als «Leerformeln» bezeichnete, haben diese seines Erachtens trotzdem das Potenzial, ja sogar die Pflicht, Ziele für empirische Entwicklungsprozesse vorzugeben (ebd., 179). Konkret ging es ihm darum, die neue psychologische Überzeugung, Entwicklung als Lern- und nicht als Reifeprozess[14] zu verstehen, auf ihre Bedeutung für die Pädagogik hin zu untersuchen. Dabei spielte Mündigkeit als «Zieldimension von Erziehungs- und Bildungsprozessen, die er auf Seiten des Subjekts als entwickelte Handlungskompetenz versteht» eine zentrale Rolle (Grunert 2012, 47). Eine so verstandene Mündigkeit betreffe die «seelische Verfassung einer Person, bei der die Fremdbestimmung soweit wie möglich durch Selbstbestimmung abgelöst ist». Sämtliche erzieherischen Massnahmen haben sich demzufolge an der Förderung der Selbstbestimmung zu orientieren, wobei diese als «Kompetenz» im dreifachen Sinn definiert wird: als «Selbstkompetenz», «Sachkompetenz» und «Sozialkompetenz» (Roth 1971, 180). Der von Roth gebrauchte Kompetenzbegriff ist damit kein Begriff, der Handlungen oder Umsetzungen bezeichnet, sondern er befasst sich mit den Bedingungen mündigen, moralischen und selbstbestimmten Handelns.[15]

Seit den 1970er-Jahren wurde der Kompetenzbegriff vermehrt in der Berufs- und Erwachsenenpädagogik sowie in der Weiterbildung verwendet, wobei teilweise auch der Begriff «Schlüsselqualifikationen» gebraucht wurde. Auf der theoretischen Seite wurde mit dem Konzept der Schlüsselqualifikationen versucht, die traditionelle Trennung zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung aufzuheben bzw. die beiden Bereiche enger miteinander zu verknüpfen. Damit sollte aber auch die fachliche Qualifikation gewährleistet werden, ohne dass diese eng an bestimmte Handlungsabläufe oder Kenntnisse geknüpft werden musste, die in einer sich schnell wandelnden beruflichen Umgebung nur kurze Zeit Gültigkeit beanspruchen konnten (Tippelt 2002, 50–51). Die zunehmende Globalisierung der Wirtschaft seit den 1980er-Jahren und die damit verbundenen Umstrukturierungen der Arbeitswelt und der beruflichen Tätigkeiten machten das Konzept der Schlüsselqualifikationen auch für die bildungspolitische Diskussion interessant. In diesem Kontext wurde auch das Schlagwort vom «lebenslangen Lernen» geprägt.[16] Gerade in der Berufsbildung war damit die Überzeugung verbunden, dass nicht länger «Qualifikationen», verstanden als Wissen und Fähigkeiten, die im Idealfall für ein ganzes Berufsleben ausreichten, zur Lösung einer bestimmten Aufgabe zu erwerben waren, sondern «Kompetenzen», welche die Basis für eine ständige Weiterentwicklung bilden sollten und die flexibel auf neue Aufgabenstellungen angewendet werden konnten (Kobelt 2008, 15–16).

4 Kompetenz als messbare Alternative zu Bildung

Ende der 1990er-Jahre wurde der Kompetenzbegriff im Kontext der vergleichenden Schulleistungsstudien wie PISA in die empirische Bildungsforschung eingeführt, wobei sich die Begriffsbestimmung von Franz Emanuel Weinert und dessen Ausdifferenzierung durch Eckhard Klieme als die gültige Kompetenzdefinition etablieren konnte. In einer im Auftrag des Deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung verfassten Expertise zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards wird explizit darauf hingewiesen, dass der dabei verwendete Kompetenzbegriff abzugrenzen sei «von den aus der Berufspädagogik stammenden und in der Öffentlichkeit viel gebrauchten Konzepten der Sach-, Methoden, Sozial- und Personalkompetenz» (Klieme et al. 2003, 22) und damit von einer erziehungswissenschaftlichen Vorstellung von Kompetenz, wie sie sich während der 1970er-Jahre entwickelt hatte. Kompetenzen werden in der Expertise als eine bestimmte «Leistungsdisposition» verstanden und bezeichnen «erworbene, also nicht von Natur aus gegebene Fähigkeiten […], die der lebenslangen Kultivierung, Steigerung und Verfeinerung zugänglich sind» (ebd., 65). Kompetenzen können also nicht nur erworben, sondern auch entwickelt werden und sind nicht als Fähigkeiten zu verstehen, über die man verfügt oder eben nicht verfügt, sondern über die unterschiedlich verfügt werden kann. Sie grenzen sich zudem deutlich von Qualifikationen ab, die mit ihrer Abhängigkeit von «externer Zweckbestimmung» dem Verdacht ausgesetzt sind, von aussen her vorbestimmt zu sein (Geissler u. Orthey 2002, 70–71).

Auffallend am hier skizzierten Kompetenzbegriff ist seine semantische Nähe zum Bildungsbegriff. Auch dieser wird ja in seiner klassischen humboldtschen Formulierung als eine Kraft verstanden, die es dem Menschen ermögliche, «seinem Wesen» in Auseinandersetzung mit der Welt «Werth und Dauer [zu] verschaffen» (Humboldt 1960, 235) oder in einer in der Literatur oft zitierten zusammenfassenden Neuformulierung durch Hartmut von Hentig: Bildung ist «die Anregung aller Kräfte eines Menschen, damit diese sich über die Aneignung der Welt […] entfalten und zu einer sich selbst bestimmenden Individualität und Persönlichkeit führen» (Hentig 1999, 38). Dies wird dann in der Expertise zur Entwicklung von Bildungsstandards als «erworbene, also nicht von Natur aus gegebene Fähigkeiten» bezeichnet, «die an und in bestimmten Dimensionen der gesellschaftlichen Wirklichkeit erfahren wurden und zu ihrer Gestaltung geeignet sind» (Klieme et al. 2003, 22). Diese Nähe ist nicht weiter erstaunlich, übernimmt der Kompetenzbegriff doch ähnliche Funktionen wie der Bildungsbegriff um 1800. Auch dieser verstand sich als Gegenpol zu «reinem» oder «blossem» Wissen, das nicht tätig oder handlungsleitend wurde. Wenig überraschend wurde denn auch die Debatte geführt darüber, ob und, wenn ja, wie der Kompetenzbegriff den immer wieder in die Kritik geratenen Bildungsbegriff ersetzen kann (Rekus 2007; Tenorth 2008; Schulze 2009; Martens 2010, 42–43).

Kritik an einer In-eins-Setzung des Bildungsbegriffs mit dem Kompetenzbegriff wurde aus einer bildungstheoretischen Perspektive laut, die betont, dass Bildung als Prozess von Selbstentfaltung und Aneignung über den Kompetenzerwerb hinausgehen müsse, da Kompetenzerwerb sich wesentlich auf funktionales Wissen beziehe (Gruschka 2006). Bildung müsse zudem auch unabhängig von einem erreichten Kompetenzniveau möglich sein (Schlömerkemper 2004). Bei dieser Argumentation wird in der Regel allerdings nicht berücksichtigt, dass der Kompetenzbegriff schon in den 1970er-Jahren mit dem Begriff der Mündigkeit in Verbindung gebracht worden ist (Roth 1971, 180), einem der zentralen Begriffe einer emanzipatorischen Bildungstheorie.

Unabhängig jedoch von der Frage, inwiefern der Kompetenzbegriff den Bildungsbegriff ersetzt, ergänzt oder an die internationale Diskussion anschlussfähig macht, finden sich auch Aussagen, dass der Kompetenzbegriff einseitig den Bereich des Wissens fokussiere (Hofer 2012, 31). Gleichzeitig bemängeln die aktuellen Diskussionen um kompetenzorientierte Lehrpläne allerdings gerade die fehlende Bedeutung von Wissen. Kompetenz kann offenbar sowohl als wissensbasiertes als auch als eher wissensunabhängiges Konzept verstanden werden, das, je nach weltanschaulicher Position, Bildung inkorporiert oder verhindert.

5 Kompetenz oder Wissen

Die Frage nach der Rolle des Wissens verweist auf die in der zeitgenössischen Diskussion beliebte Unterscheidung von «totem Wissen» und Kompetenz. Diese Gegenüberstellung von verschiedenen Arten von Wissen ist auf den ersten Blick durchaus nachvollziehbar und knüpft an pädagogisches Alltagswissen und pädagogische Alltagserfahrung an. Sie verweist darüber hinaus aber auch auf ein «traditionelles» Problem der Pädagogik, das Problem nämlich, wie Pädagogik als eine auf Praxis zielende Wissenschaft die Lücke zwischen Theorie und Praxis schliessen kann.[17] Konkret geht es um die Frage, wie man einen anderen Menschen (oder auch sich selber) dazu bringen kann, Vorstellungen, Ideen oder eben Wissen effektiv anzuwenden bzw. in konkrete Taten umzusetzen und damit tatsächlich gemäss den eigenen Überzeugungen und Vorstellungen zu handeln.[18]

Die Unterscheidung zwischen Kompetenz und «totem Wissen» könnte so als heuristisches Mittel verstanden werden, das heisst als intellektuell konstruierte Hilfe, deren Funktion lediglich darin besteht, einen Sachverhalt deutlicher zu erfassen, hier also zwei Formen von Wissen voneinander zu unterscheiden. Das Problem ist allerdings, dass die in der zeitgenössischen Literatur so oft betonte Gegenüberstellung von Kompetenz und «totem Wissen» in der Regel gerade nicht heuristisch, sondern als real verstanden wird und damit als empirisch überprüfbarer Tatbestand, der mit entsprechenden Methoden gemessen werden kann. Unter dieser Voraussetzung ist diese Unterscheidung auch für die wissenschaftliche oder fachliche Beschäftigung mit – hier konkret – Schule und Unterricht leitend und bestimmt (auch) die Vorstellung davon, was Schule und Unterricht ist und zu sein hat.

Diese Unterscheidung schliesst auch an die Frage an, wie der Mensch damit umgeht, dass er nie alles wissen kann und wie mit dieser ständigen Defiziterfahrung in Bezug auf die Qualität und Quantität des je verfügbaren Wissens umgegangen wird. Auch wenn der Anspruch der Allwissenheit schon immer illusorisch war, hat er sich als ein sehr beliebter pädagogischer Anspruch erwiesen, der vermeintlich durch das Konzept der Kompetenz eingelöst werden kann, da Kompetenz nicht mehr vorgibt, alles (oder möglichst vieles) «wissbar» zu machen, sondern Methoden oder eben die «Kompetenz» zu vermitteln, situativ und je nach Bedarf jenes Wissen verfügbar machen zu können, das zur Lösung einer bestimmten Aufgabe notwendig ist. Somit ist Wissen umfassend verfügbar, wenn nicht de facto, so zumindest potenziell. Die Frage nach dem Verhältnis von Kompetenz und Wissen ist demnach auch aus dieser Perspektive nicht neu, sondern Bestandteil einer wie auch immer verstandenen «Wissensgesellschaft», ein weiteres beliebtes Schlagwort der pädagogischen Diskussion.

Unabhängig von der grundsätzlichen und wohl eher philosophischen Frage, weshalb der Anspruch besteht, «alle alles zu lehren» bzw. «alles zu wissen», ist das angeblich Neue, das mit dem Kompetenzbegriff Einzug in Schule und Unterricht finden soll, nicht wirklich neu. Bei diesem angeblich «Neuen» handelt es sich vielmehr um eine bekannte Frage der Pädagogik, zumindest wenn man die Geschichte der Pädagogik seit dem 18. Jahrhundert in den Blick nimmt, da seit dieser Zeit davon ausgegangen wird, dass gesellschaftliche und soziale Probleme pädagogisch gelöst werden müssen. Dieses Phänomen wird in der internationalen Diskussion auch unter dem Stichwort educationalization of social problems diskutiert (Smeyers u. Depaepe 2008).

Wenn sich Pädagogik als Wissenschaft einer Tätigkeit versteht, die nicht darauf abzielt, durch Konditionierung oder Zwang eine bestimmte Handlung oder ein bestimmtes Verhalten hervorzurufen, sondern beansprucht, die der Erziehung bedürftigen Subjekte als autonome, selbstverantwortliche und selbstbestimmte Individuen zu sehen, dann geht es immer auch darum, wie in der und durch die Erziehung erreicht werden kann, dass als gut, sinnvoll oder passend erkannte Handlungs- oder Verhaltensweisen in den entsprechenden Situationen auch tatsächlich ausgeführt werden. Diese vermittelnde Instanz oder Fähigkeit wurde in der Geschichte der Pädagogik als (pädagogischer) Takt, Tugend oder Moral bezeichnet, wobei diese normativ geprägten Begrifflichkeiten heute eher als «nichtwissenschaftlich» etikettiert werden würden. Sie stehen auch quer zur gegenwärtig dominanten Logik der quantitativen Forschung mit ihrem vom Kritischen Rationalismus geprägten Forschungsansatz, der davon ausgeht, dass auch geistes- oder sozialwissenschaftliche Forschung Resultate hervorbringe, die so lange als «wahr» zu gelten hätten, als sie nicht durch gegenteilige Befunde falsifiziert worden seien. Zu dieser Forschungslogik passt, dass es sich bei der Kompetenz um einen Begriff handelt, der verspricht, operationalisierbar und damit für die empirische Forschung brauchbar zu sein.

Auch wenn sich die empirische Bildungsforschung als die zurzeit dominante Forschungslogik der Erziehungswissenschaft und der Bildungspolitik an einer psychologischen Begriffstradition orientiert, hat sie den Kompetenzbegriff nicht in der von Noam Chomsky formulierten Trennung von Kompetenz und Performanz weiterentwickelt, sondern versteht Kompetenz als «Fähigkeit einer Person», «situativ geprägte Anforderungen zu bewältigen» (Klieme u. Hartig 2007, 16), was in der Linguistik unter den Begriff der Performanz fallen würde. Kompetenz ist demnach in der zeitgenössischen Diskussion sehr wohl als Performanz zu verstehen, da Kompetenz hier keine anthropologische Fähigkeit bezeichnet, sondern eine Handlung, die sichtbar und damit messbar ist (Grunert 2012, 16). Kompetenz mag damit als Konzept und Begrifflichkeit gelten, die als empirisch fassbar und operationalisierbar gesehen wird und nicht zuletzt aus diesem Grund die bildungspolitische Debatte bestimmt. In einer längerfristigen Perspektive ist aber zu erwarten, dass der Kompetenzbegriff ein ähnliches Schicksal erleiden wird wie der Begriff der Schlüsselqualifikation. Die Kritik an der Operationalisierbarkeit wird zunehmen und an einem bestimmten Zeitpunkt einen kritischen Punkt überschreiten, dann wird auch das Kompetenzkonzept von einem neuen Konzept abgelöst werden (Faulstich 2002, 23). «Die Qualifikation bleibt also Qualifikation – auch wenn sie jetzt Kompetenz heisst», so haben es Karlheinz A. Geissler und Frank Michael Orthey (2002, 73) schon vor über zehn Jahren auf den Punkt gebracht. Das bedeutet nicht, dass damit das zur Diskussion stehende Phänomen dann ebenfalls obsolet sein wird, im Gegenteil.

Die Frage, wie Wissen zu Handlung wird oder wie Ausbildung eine Investition in eine Zukunft sein kann, wird die pädagogische und damit auch die bildungspolitische Diskussion weiterhin begleiten. Ob mit einer neuen Begrifflichkeit jeweils auch ein Erkenntnisfortschritt verbunden ist, muss mindestens diskutierbar bleiben. Wenn die pädagogische Debatte sich nicht ganz so geschichtsvergessen gibt, wie das gelegentlich zu beobachten ist, und wenn sie nicht aufgrund von rationalen Begriffsdefinitionen glaubt, damit auch empirische Realität beschreiben zu können, sondern diese als heuristisches Modell versteht, dann hat sie zumindest die Chance, die Welt nicht alle zehn Jahre neu erfinden zu müssen und von neuen Konzepten Erlösung zu erwarten.

Weiterdenken

•In diesem Beitrag wurde das Konzept des pädagogischen Slogans eingeführt. Welche Begriffe würden Sie gemäss Scheffler als pädagogische Slogans charakterisieren und warum?

•Welche Argumente können – aus einer historischen Perspektive – für eine kritische Haltung gegenüber dem Kompetenzbegriff angeführt werden?

•Worin sehen Sie den «Mehrwert» einer historischen Perspektive – konkret auf den Kompetenzbegriff bezogen, aber auch darüber hinaus?

Bibliografie

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