Kompetenzorientiertes Lernen und Lehren im Bewegungs- und Sportunterricht (E-Book) - Christelle Hayoz - E-Book

Kompetenzorientiertes Lernen und Lehren im Bewegungs- und Sportunterricht (E-Book) E-Book

Christelle Hayoz

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Beschreibung

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. In diesem Sammelband werden aktuelle theoretische sowie empirische Erkenntnisse aus verschiedenen wissenschaftlichen Bezugsdisziplinen herangezogen, um Lehrpersonen und Hochschuldozierenden wissenschaftlich fundiertes und praxisorientiertes fachdidaktisches Wissen im Bereich Bewegung und Sport bereitzustellen. Mithilfe eines fachdidaktischen Referenzmodells werden die dialogischen und kompetenzorientieren Lehr-Lern-Prozesse des Bewegungs- und Sportunterrichts erörtert.

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Seitenzahl: 513

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Christelle Hayoz, Nicolas Lanthemann, Gianpaolo Patelli, Gallus Grossrieder (Hrsg.)

Kompetenzorientiertes Lernen und Lehren im Bewegungs- und Sportunterricht

Fachdidaktisches Referenzmodell

ISBN Print: 978-3-0355-1894-8

ISBN E-Book: 978-3-0355-1895-5

1. Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 hep Verlag AG, Bern

hep-verlag.ch

Vorwort

Ein Grundlagenwerk unabhängig von Schulstufen und Sprachregionen

Das Inkrafttreten des HarmoS-Konkordats im Jahre 2009 als interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule löste auch bei der Erarbeitung von Lehrmitteln neue Dynamiken aus. Grundlage bilden die seither eingeführten neuen kompetenzorientierten und sprachregionalen Lehrpläne. Das fachdidaktische Grundlagenwerk des kompetenzorientierten Lernens und Lehrens im Bewegungs- und Sportunterricht, welches Sie nun vor sich haben, stützt sich auf den Lehrplan21 und den Plan d’études romand. Das vom Parlament verabschiedete und seit Oktober 2012 geltende Sportfördergesetz verlagerte die Zuständigkeit für Sportlehrmittelentwicklung vom Bund zu den Kantonen. Diese Verlagerung führte zur Initiierung des Entwicklungs- und Forschungsprojekts «Lernen und Lehren en éducation physique et sportive», kurz LELEPS.

Das Projekt LELEPS eröffnete einen breiten fachdidaktischen Diskurs sowohl im Rahmen der Schulpraxis wie auch in der Aus- und Weiterbildung von sportunterrichtenden Lehrpersonen auf allen Schulstufen. Die Erarbeitung eines sprachregionen- und schulstufenübergreifenden fachdidaktischen Grundlagenwerks sowie dessen Nutzung für die Forschung und Lehre für das Fach Bewegung und Sport galt dabei als Ziel. Die Zweisprachigkeit führte zu Diskussionen der Fachdidaktiker/-innen über die Sprachgrenze hinweg und letztlich zu einem übergeordneten fachdidaktischen Referenzmodell.

Dank der Finanzierung durch swissuniversities sowie durch die Trägerkantone der betreffenden Ausbildungsinstitutionen konnte das Forschungs- und Entwicklungsprojekt LELEPS initiiert und umgesetzt werden. Die Leitung oblag der Pädagogischen Hochschule Bern, die Co-Leitung der HEP Vaud. Für die EDK ist die Erarbeitung dieses fachdidaktischen Grundlagenwerks ein eindrückliches Beispiel einer erfolgreichen interkantonalen Zusammenarbeit: Nicht weniger als acht pädagogische Hochschulen aus der Deutsch- und Westschweiz mit über 20 Dozierenden aus dem Fach Bewegung und Sport waren daran beteiligt.

LELEPS zeigt, wie aus einem vierjährigen Forschungs- und Entwicklungsprojekt aktuelle theoretische sowie empirische Erkenntnisse aus verschiedenen wissenschaftlichen Bezugsdisziplinen herangezogen werden, um Lehrpersonen und Dozierenden an Hochschulen ein wissenschaftlich fundiertes und praxisorientiertes Fachdidaktikwissen bereitzustellen.

Silvia Steiner, Präsidentin EDK

Danksagung

An dieser Stelle soll all denjenigen Personen und Institutionen gedankt werden, welche zur Vollendung dieses Werks beigetragen haben.

Ein grosser Dank geht an die Dachorganisation der Schweizer Hochschulen swissuniversities für den projektgebundenen Bundesbeitrag. Zudem danken wir allen beteiligten Ausbildungsinstitutionen und Kantonen für das Vertrauen sowie die finanzielle Unterstützung.

Die Ausbildungsinstitutionen wurden durch fachkompetente Dozierende vertreten, welche durch ihr unermüdliches Engagement zum Gelingen dieses fachdidaktischen Grundlagenwerks beigetragen haben. Nachfolgend werden alle Projektmitglieder alphabetisch aufgeführt:

Dr. Baumgartner, Matthias (Pädagogische Hochschule St. Gallen)

Broger, Claudia (Pädagogische Hochschule St. Gallen)

Deriaz, Daniel (Institut für Lehrerinnen- und Lehrerbildung Universität Genf)

Prof. Dr. Descoeudres, Magali (Pädagogische Hochschule Waadt)

Prof. Dr. Disler, Pius (Pädagogische Hochschule Luzern)

Prof. Dr. Ferrari, Ilaria (Pädagogische Hochschule Zürich)

Gautschi, Roland (Pädagogische Hochschule Zürich)

Grandchamp, Annabelle (Pädagogische Hochschule Waadt)

Dr. Grossrieder, Gallus (Eidgenössische Hochschule für Berufsbildung)

Prof. Dr. Hayoz, Christelle (Pädagogische Hochschule Bern; Pädagogische Hochschule Freiburg)

Lanthemann, Nicolas (Pädagogische Hochschule Waadt)

Leuenberger, Stefan (Pädagogische Hochschule Freiburg)

Lüthy, Pascale (Pädagogische Hochschule Zürich)

Melly, Alain (Pädagogische Hochschule Waadt)

Owassapian, Dominik (Pädagogische Hochschule St. Gallen)

Patelli, Gianpaolo (Pädagogische Hochschule Waadt)

Poussin, Bernard (Institut für Lehrerinnen- und Lehrerbildung Universität Genf)

Schluep, Irène (Pädagogische Hochschule St. Gallen)

Stulz, Thomas (Pädagogische Hochschule Freiburg)

Dr. Valkanover, Stefan (Pädagogische Hochschule Bern)

Prof. Dr. Voisard, Nicolas (Pädagogische Hochschule der Kantone Bern, Jura und Neuenburg)

Zudem haben Expertinnen und Experten das Projektteam beim Verfassen einzelner Kapitel unterstützt. Auch diesen Autorinnen und Autoren sei hiermit ein grosser Dank ausgesprochen: Vitus Furrer, Stefan Häusermann, Mario Kamer und Dr. Dr. Grégory Quin. Das gesamte Werk wurde von Prof. Dr. Dr. Jürgen Kühnis sowie Prof. Dr. Cédric Roure gegengelesen. Ihnen sei ebenso für die wohlgesinnten und konstruktiven Rückmeldungen gedankt. Für die tatkräftige Unterstützung während des Arbeitsprozesses danken wir den Hilfsassistierenden Damian Beck, Fabian Büchel, Manon Cattani, Mario Kamer, Kevin Kohler und Lea Müller.

Allen Fachexpertinnen und -experten, die sich für das Gegenlesen einzelner Kapitel und Textbausteinen Zeit genommen haben, danken wir für die anregenden Rückmeldungen.

Inhalt

Kapitel 1 Rahmenbedingungen und Verständnis des Bewegungs- und Sportunterrichts

1 Gesellschaftlicher Wandel und seine Relevanz für den Schulsport

2 Das Sportsystem und der Schulsport in der Schweiz

3 Der Bewegungs- und Sportunterricht im Kontext einer bewegungsfreundlichen Schule

4 Bewegung und Sport als Schulfach in der Schweiz

5 Der Doppelauftrag des Bewegungs- und Sportunterrichts

6 Bewegungs- und Sportunterricht und das Individuum

7 Fachdidaktisches Referenzmodell

Kapitel 2 Lernende und Lernen im Schulsport

1 Lernende und ihre Voraussetzungen

2 Lernen im kompetenzorientierten Bewegungs- und Sportunterricht

Kapitel 3 Lehrende und Lehren im Schulsport

1 Kompetenzverständnis und Kompetenzorientierung in der heutigen (Sport-)Lehrerinnen- und Lehrerbildung

2 Lehren im kompetenzorientierten Bewegungs- und Sportunterricht

Kapitel 4 Planen – Durchführen – Beurteilen

1 Von der Klärung der Voraussetzungen zur Planung

2 Von der Planung zur Durchführung

3 Von der Beurteilung und Evaluation zur Neuplanung

Kapitel 5 Praxisbeispiele

1 Mehrjahresplanung zum Thema Rotationsbewegungen für die Zyklen 1, 2 und 3

2 Planung von Unterrichtsreihen zum Thema Parkour für den Zyklus 3

3 Planung einer an die Schule angepassten Form der Sportpraxis zum Thema Spiel für die Zyklen 2 und 3

4 Planung einer an die Schule angepassten Form der Sportpraxis zum Thema Leichtathletik für den Zyklus 1

Einleitung

Christelle Hayoz

In der Schweiz wurden nach der Veröffentlichung des ersten eidgenössischen Lehrmittels «Turnschule» im Jahre 1876 sieben neue Ausgaben durch die inzwischen aufgelöste Eidgenössische Sportkommission herausgegeben. Diese sieben Neuausgaben haben das Wissen über den Schulsport aktualisiert, um seine Verbreitung in den verschiedenen Sprach- und Kulturräumen zu gewährleisten und für alle Schulstufen anzupassen (Burgener, 1952; Eidgenössische Sportkommission, 2005). Die bisher letzte Ausgabe eines solchen Lehrmittels stammt aus den Neunzigerjahren. Durch die Harmonisierung des Schweizerischen Bildungssystems, die Einführung neuer kompetenzorientierter und sprachregionaler Lehrpläne (Lehrplan 21 für die Deutschschweiz und der Plan d’études romand für die Romandie) sowie die anderseits rasante Entwicklung auf dem Lehrmittelmarkt (Mayer, 2012) und der digitalen Medien hat sich auch die Forderung nach zeitgemässen Lehrmitteln verstärkt. Um die heutige Umsetzungspraxis zu unterstützen, besteht vor allem Bedarf an der Bereitstellung von fachdidaktischen Grundlagen, welche die Ansprüche eines kompetenzorientierten Unterrichts berücksichtigen (Adamina, 2014; Oelkers, 2010). Mit dem Inkrafttreten des neuen Sportfördergesetzes im Jahr 2012 (Spo-FöG/01.10.2012) fand zudem eine Verlagerung der bisherigen Zuständigkeit für die Sportlehrmittelentwicklung vom Bund zu den Kantonen statt. «Das Bundesamt für Sport wird […] selbst keine neuen Lehrbücher entwerfen […]. Es stimmt jedoch, dass ein oder mehrere neue Lehrbücher benötigt werden und es auch im Interesse des BASPO liegt, dass es in Zukunft qualitativ hochwertige didaktische Lehrbücher geben wird, die an den Lehrplan 21 und PER angepasst sind» (BASPO, 2018).

Vor diesem Hintergrund fand im Februar 2015 eine Expertentagung Nationales Lehrmittel Sport in Bern statt, welche vom Fachdidaktikzentrum Sport der Pädagogischen Hochschule Bern in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Dozierende Bewegung und Sport (DOBS) der Schweizerischen Gesellschaft für Lehrerinnen- und Lehrerbildung (SGL) sowie dem Bundesamt für Sport (BASPO) durchgeführt wurde. An diesem Austausch haben sich rund 80 Fachpersonen aus verschiedenen kantonalen Sportfachstellen, Universitäten, Pädagogischen Hochschulen und Fachhochschulen beteiligt und für eine Überarbeitung des nationalen Sportlehrmittels im Sinne eines neuen wissenschaftlich fundierten und praxisorientierten, fachdidaktischen Grundlagenwerks ausgesprochen. Dabei wurde die Notwendigkeit eines national koordinierten Vorgehens und einer gemeinsamen fachlichen Verständigung in Fragen des Schulsports und der Fachdidaktik Bewegung und Sport betont. Während sich bisherige Schweizer Sportlehrmittel (Eidgenössische Sportkommission, 2005) jeweils primär an die sportunterrichtende Lehrperson richteten, sollte mit dem neuen Grundlagenwerk ein breiter fachdidaktischer Diskurs im Rahmen der Schulpraxis sowie der Aus- und Weiterbildung von Sportlehrpersonen eröffnet werden.

Aus diesem Grundanliegen ist im Jahre 2017 das nationale Entwicklungs- und Forschungsprojekt Lernen und Lehren en éducation physique et sportive (LELEPS) entstanden, welches zum Ziel hatte ein sprachregionen- und schulstufenübergreifendes fachdidaktisches Grundlagenwerk für das Fach Bewegung und Sport in der Schweiz zu erarbeiten. In diesem zweisprachigen Projekt unter Leitung der Pädagogischen Hochschule Bern waren acht verschiedene pädagogische Hochschulen aus der Deutsch- und Westschweiz mit insgesamt 20 Dozierenden aus dem Fach Bewegung und Sport involviert. Die Finanzierung erfolgte durch die Dachorganisation der Schweizer Hochschule swissuniversities sowie die Trägerkantone der betreffenden Ausbildungsinstitutionen. Die Grundkonzeption und Diskussion der relevanten fachdidaktischen Kerninhalte des vorliegenden Sammelbandes erfolgte im Projektteam, die Ausarbeitung der verschiedenen Kapitel und Textbeiträge in zweisprachigen und stufenübergreifenden Arbeitsgruppen. Die deutsche und französische Übersetzung stellte eine besondere Herausforderung dar, denn diese verlangten nicht nur linguistische, sondern auch technische sowie konzeptionelle Kenntnisse. Die erarbeiteten Bausteine sind jeweils durch andere Arbeitsgruppen, Projektmitarbeitende sowie von externen Experten/Expertinnen kritisch gegengelesen worden. Wenngleich sich dieser Arbeitsprozess und Austausch aufgrund der Zweisprachigkeit anspruchsvoll gestaltete, konnte mit dieser Vorgehensweise der fachdidaktische Diskurs sprachregionenübergreifend geführt und gemeinsam ein übergeordnetes fachdidaktisches Referenzmodell zur Veranschaulichung des Fachverständnisses ausgearbeitet werden. Zugleich konnte bei der Verschriftlichung eine zu starke sprachkulturelle oder zielstufenspezifische Prägung vermieden und die inhaltliche Korrektheit gewährleistet werden.

In diesem Sammelband werden in verständlicher Weise neuste theoretische sowie empirische Erkenntnisse aus verschiedenen wissenschaftlichen Bezugsdisziplinen herangezogen, um Lehrpersonen, Studierenden, Dozierenden und Forschenden ein möglichst aktuelles, wissenschaftlich fundiertes und praxisorientiertes Fachdidaktikwissen bereitzustellen. In den fünf Teilen des vorliegenden fachdidaktischen Grundagenwerks werden folgende Themenbereiche beleuchtet:

• Im ersten Kapitel werden die heutigen gesellschaftlichen, politischen und institutionellen Rahmenbedingungen des Schulsports im förderalistischen System der Schweiz, deren Wechselwirkungen und Herausforderungen dargelegt sowie die Besonderheiten des Sportunterrichts als Schulfach und die bewegungsfreundliche Schule thematisiert. Am Ende dieses Kapitels wird ein fachdidaktisches Referenzmodell vorgestellt, welches den dialogischen und kompetenzorientierten Lehr-Lern-Prozess ins Zentrum stellt. Die verschiedenen Ebenen dieses Kreismodells werden in voran- oder nachgestellten Kapiteln ausführlicher und vertiefter behandelt.

• In den Kapiteln 2 und 3 werden die Hauptakteure des Sportunterrichts – die Lernenden und Lehrenden – in den Fokus gerückt. Im zweiten Kapitel werden vorerst die Lernenden im Kontext ihrer Entwicklung, ihrer persönlichen Voraussetzungen, Bedürfnisse sowie ihres Umfelds betrachtet. Daran anschliessend wird auf wesentliche Aspekte des Lernens im kompetenz- und förderorientierten Unterricht eingegangen. Das dritte Kapitel befasst sich mit dem heutigen Kompetenzverständnis in der Lehrer(innen)bildung, dem Professionswissen und dem Unterricht als Kerngeschäft von sportunterrichtenden Lehrpersonen, der Umsetzung eines gendersensiblen und integrativen Unterrichts sowie der besonderen Bedeutung der Klassenführung und des Feedbacks von sportunterrichtenden Lehrpersonen.

• Im vierten Kapitel werden die Bedeutung und der Aufbau der drei zentralen Phasen von der Planung über die Durchführung bis zur Beurteilung und Evaluation des Unterrichts für die didaktische Arbeit von Lehrpersonen erörtert und im abschliessenden Kapitel 5 mit ausgewählten Umsetzungsbeispielen aufgeführt.

Literaturverzeichnis

A

Adamina, M. (2014). Lehr- und Lernmaterialien im kompetenzorientierten Unterricht. Beiträge zur Lehrerbildung, 32(3), 359–372.

B

BASPO. (2018). FAQ. https://www.baspo.admin.ch/de/sportfoerderung/sport-in-der-schule/faq.html#ui-collapse-210

Bundesgesetz über die Förderung von Sport und Bewegung 01.10.2012). https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20091600/index.html

Burgener, L. (1952). La Confédération suisse et l’Education physique de la Jeunesse. Imprimerie Coopérative.

E

Eidgenössische Sportkommission (Hg.). (2005). Lehrmittel Sporterziehung (7. Aufl.). SVSS. https://www.mobilesport.ch/assets/lbwp-cdn/mobilesport/files/2012/11/Band_1_Grundlagen.pdf

M

Mayer, B. (2012). Die Lehrmittelsituation in den Fachbereichen im Hinblick auf die Einführung des Lehrplans 21. ilz.

O

Oelkers, J. (2010). Bildungsstandards und deren Wirkung auf die Lehrmittel. Beiträge zur Lehrerbildung, 28(1), 33–41.

Kapitel

1

Rahmenbedingungen und Verständnis des Bewegungs- und Sportunterrichts

 

Kapitelinhalt

1 Gesellschaftlicher Wandel und seine Relevanz für den Schulsport

Christelle Hayoz und Thomas Stulz

2 Das Sportsystem und der Schulsport in der Schweiz

Pius Disler und Grégory Quin

3 Der Bewegungs- und Sportunterricht im Kontext einer bewegungs- freundlichen Schule

Mario Kamer und Christelle Hayoz

4 Bewegung und Sport als Schulfach in der Schweiz

Nicolas Voisard und Daniel Deriaz

5 Der Doppelauftrag des Bewegungs- und Sportunterrichts

Claudia Broger und Irène Schluep

6 Bewegungs- und Sportunterricht und das Individuum

Bernard Poussin

7 Fachdidaktisches Referenzmodell

Christelle Hayoz

 

Rahmenbedingungen und Verständnis des Bewegungs- und Sportunterrichts

Welche gesellschaftliche Bedeutung hat der Sport und welchen Einfluss hat das Umfeld auf das Sportverhalten von Kindern und Jugendlichen? Wie ist der Sport in der Schweiz institutionalisiert? Wie hat sich der Bewegungs- und Sportunterricht in der Schweiz entwickelt und was charakterisiert ihn heute? Wie kann Bewegung und Sport im Schulalltag gefördert werden? Welche Prozesse sind notwendig, um die Kompetenzentwicklung beim Individuum anzustossen? Dies sind die übergeordneten Fragen, die im vorliegenden Kapitel 1 Rahmenbedingungen und Verständnis des Bewegungs- und Sportunterrichts beantwortet werden sollen.

 

1 Gesellschaftlicher Wandel und seine Relevanz für den Schulsport

Christelle Hayoz & Thomas Stulz

Die Gesellschaft befindet sich in einem ständigen Wandel. Diesem kann sich auch der Bewegungs- und Sportunterricht nicht entziehen. Zu Beginn dieses Kapitels werden die gesellschaftliche Entwicklung des Sports (1.1) und die damit verbundenen Auswirkungen auf den Schulsport (1.2) beschrieben. Anschliessend wird auf verschiedene Funktionen und Wirkungen des Schulsports eingegangen. Dabei wird der Bewegungs- und Sportunterricht als Erziehungs- (1.3) und Sozialisationsinstanz (1.4) beschrieben, bevor auf mögliche persönlichkeitsentwickelnde (1.5) und gesundheitsfördernde (1.6) Effekte des Schulsports eingegangen wird. Das Kapitel endet mit dem Thema der Integration (1.7), den Effekten der Digitalisierung (1.8) und des innerhalb der Gesellschaft immer stärker werdenden Nachhaltigkeitsgedanken auf den Schulsport (1.9).

1.1 Gesellschaftliche Entwicklung des Sports

Der Sport, der zu einem sozialen Phänomen geworden ist, erlebte mit dem Aufkommen der Freizeitgesellschaft in den 1960er-Jahren einen tiefgreifenden Wandel. Die Schule wurde allmählich von Differenzierungs- und Individualisierungsprozessen geprägt und das ausserschulische Sportengagement hat sich vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen vervielfältigt (Scheerder & Vos, 2011). Es werden nicht nur unterschiedliche Sportaktivitäten und -arten durchgeführt, sondern es wird auch häufiger zwischen Sportarten gewechselt und es werden mehrere Sportarten parallel ausgeübt (Burrmann et al., 2016; Lamprecht et al., 2015). Darüber hinaus wurde das klassisch-traditionelle Sportangebot durch neue kommerzielle Sportarten, Trendsportarten, Extrem- und Risikosportarten (u. a. Base Jumping, Free-Solo-Klettern, Gigathlons) sowie sogenannte «Urban Sports» wie beispielsweise Parkour stetig erweitert.

Obwohl der Sportverein heute nach wie vor der wichtigste Anbieter für das organisierte Sporttreiben von Heranwachsenden darstellt, wird mit zunehmendem Alter das informelle Sporttreiben immer beliebter. Nichtsportlerinnen und -sportler treiben unorganisiert (allein, mit Freunden oder Eltern) oder von der Schule organisiert Sport (Lamprecht et al., 2015). Trotz nationaler Bewegungs- und Sportförderprogramme wie beispielsweise Sport für alle oder Jugend+Sport sowie der Diversifizierung des ausserschulischen Sports sind die Ausstiegsraten, insbesondere im Jugend- und jungen Erwachsenenalter, relativ hoch. Zudem haben in den letzten Jahren die Unterschiede im Sportverhalten zwischen den Geschlechtern, Altersgruppen und Sprachregionen abgenommen. Allerdings bestehen nach wie vor Ungleichheiten hinsichtlich sozialer Herkunft und sozioökonomischen Status (Lamprecht et al., 2020). Da dem Sport allgemein ein hohes Integrationspotenzial zugeschrieben wird (Baur, 2008; Gugutzer, 2008; Pühse et al., 2013) und Bewegung und Sport auch einen wichtigen Beitrag zur Prävention von Krankheiten leisten können (Pahmeier & Tiemann, 2013), bestehen hohe gesellschaftliche Erwartungen, welche sich auf den obligatorischen Bewegungs- und Sportunterricht übertragen, wie beispielsweise erzieherische Massnahmen zur Werthaltung oder die Gesundheitserziehung (Zumbrunn et al., 2016).

1.2 Auswirkungen auf den Schulsport

Historisch bedingt, gab es Ende der 60er-Jahre eine Ablösung der bildungstheoretischen Leibeserziehung durch die sportwissenschaftliche Teildisziplin der Sportpädagogik. Die Aufgabe des Bewegungs- und Sportunterrichts wurde vermehrt in der Vorbereitung für den facettenreichen ausserschulischen Sport gesehen (Prohl, 2006). Die sportunterrichtende Lehrperson verfolgte immer mehr das Ziel, die Lernenden durch vielfältige Sinngebungen des Sports (Kurz, 1986) und Lerngelegenheiten zu einem lebenslangen Sporttreiben zu bewegen. Zudem wurden weitere Ziele durch die sportliche Aktivität verfolgt: Einerseits sollten traditionelle Körpererfahrungen ermöglicht, andererseits aber auch überfachliche Kompetenzen wie Fairness, Toleranz und Konfliktlösefähigkeit entwickelt werden (CIIP, 2010a; Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz, 2016). Der Schulsport orientierte sich dabei zunehmend an gesellschaftlichen Trends, wobei er «zu einem Ableger ausserschulischer Sport- und Bewegungskultur» wurde (J. Lange, 1998, S. 37). Neben den bildungspolitischen Einschränkungen eines multifunktionalen Bewegungs- und Sportunterrichts beeinflussen grundsätzlich auch Megatrends wie Globalisierungs-, Mediatisierungs- und Pluralisierungsprozesse die vorgegebenen Erziehungsziele sowie die Struktur der Schule und des Bewegungs- und Sportunterrichts (Emrich & Messing, 2009; zukunftsInstitut, 2018).

1.3 Schulsport und Erziehung

Aus einer sportpädagogischen Perspektive sind für den Schulsport zentrale Fragestellungen zu klären, nämlich wie das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft aussieht und welche Bedeutung der Bewegung und dem Sport in Erziehungsfragen zugesprochen wird. Die Entwicklung der Sportpädagogik und des Bewegungs- und Sportunterrichts verlaufen nicht identisch. Das Fach ist eher wie ein Pendel zu betrachten, das historisch gesehen immer wieder ähnliche Problemstellungen aufwirft wie beispielsweise die Frage nach dem Sinn von erzieherischen Massnahmen. Erst durch die Beantwortung der Frage, wozu der Bewegungs- und Sportunterricht durchgeführt werden soll, klärt sich die Frage, was im Unterricht wie genau vermittelt werden soll (Prohl, 2006, 2009).

Die Bildungsinstitutionen beziehungsweise Schulen richten sich nach (Schul-)Leitbildern und einem bestimmten Menschenbild, welche sich wiederum auf den (Bewegungs- und Sport-)Unterricht sowie die Lehrpersonen und Lernenden auswirken. Zudem werden Erziehung und Unterricht jeweils auch durch gesellschaftliche und individuelle Ideologien geprägt, wobei dem Bewegungs- und Sportunterricht verschiedene Funktionen und Wirkungen (z. B. Persönlichkeitsbildung, Gesundheitsförderung) zugeschrieben werden (Emrich & Messing, 2009).

1.4 Schulsport als Sozialisationsinstanz

Die Erziehung ist Teil des Sozialisationsprozesses, wobei die Schule mit dem Bewegungs- und Sportunterricht eine sekundäre Sozialisationsinstanz darstellt. Die Schule soll das Individuum befähigen, sich zu einer eigenständigen und selbstbestimmten Persönlichkeit zu entwickeln (Personalisation) sowie bestehende Werte und Normen weiterzugeben, um sich in die Gesellschaft zu integrieren (Sozialisation) beziehungsweise «ein soziales und moralisches Leben zu führen» (Becker, 2009; Durkheim, 1995; Klaus Heinemann, 1998; Kolb, 2007). Gemäss Durkheim (1995) gibt es jedoch keinen allgemeingültigen Erziehungsansatz, sondern es existieren in jeder Gesellschaft verschiedene pädagogische Systeme, welche parallel funktionieren. Im Kindes- und Jugendalter sind die primären Sozialisationsinstanzen wie die Familie mit den Eltern und Geschwistern sowie mit zunehmendem Alter die Peers für den Lebensstil und somit auch das (ausserschulische) Sport- und Bewegungsverhalten mitverantwortlich. Die Schule mit dem Schulsport als sekundäre Sozialisationsinstanz und Sportvereine, kommerzielle sowie private Sportanbieter als tertiäre Sozialisationsinstanzen können das Sportverhalten von Kindern und Jugendlichen ebenso mitbeeinflussen (Burrmann, 2008; Hurrelmann, 2005).

Gesellschaftliche Ansprüche an den Schulsport

Häufig wird der Bewegungs- und Sportunterricht durch gesellschaftliche Ansprüche insbesondere betreffend Persönlichkeitsbildung, Gesundheit, Integration und Inklusion instrumentalisiert (Dinold & Freundorfer, 2007; Patek, 2007). In den folgenden Kapiteln wird der Schulsport mit diesen gesellschaftlichen Ansprüchen in Zusammenhang gebracht.

1.5 Schulsport und Persönlichkeitsentwicklung

Die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung stellt ein wichtiges Ziel des Bewegungs- und Sportunterrichts dar. Der Lehrplan 21 legt für den Unterricht im Fach Bewegung und Sport auf Volksschulstufe Ziele zur Entwicklung von Kompetenzen im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung fest (Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz, 2016). Die Tatsache, dass durch Orientierung an Kompetenzen die Entwicklung der Persönlichkeit explizit als verpflichtender Auftrag in den Lehrplänen enthalten ist, ist neu. International hat sich für die generellen Persönlichkeitseigenschaften die Bezeichnung der Big Five etabliert (McCrae & Costa, 1987). Es sind dies Neurotizismus (die emotionale Stabilität einer Person), Extraversion (nach aussen gewandte Haltung), Verträglichkeit (Vertrauen, Bescheidenheit), Gewissenhaftigkeit (Selbstdisziplin) und die Offenheit für Erfahrungen. Diese fünf Dispositionen lassen sich durch Bewegungs- und Sportunterricht nur bedingt verändern, da sie relativ stabil sind (Baumberger, 2018). Conzelmann et al. (2011) konnten jedoch in der Berner Interventionsstudie Schulsport (BISS) empirisch nachweisen, dass eine gezielte Unterrichtsinszenierung über zehn Wochen positive Effekte auf das physische, emotionale und soziale Selbstkonzept der Schülerinnen und Schüler hat (siehe Abbildung 1).

Abb. 1 Exemplarische Darstellung eines mehrdimensional-hierarchischen Selbstkonzeptmodells in Anlehnung an Shavelson et al. (Shavelson, Hubner, & Stanton, 1976, S. 413; in Conzelmann, Schmidt, & Valkanover, 2011, S. 41)

Das Selbstkonzept spiegelt sich in den Gedanken zur eigenen Persönlichkeit wider, im Bewegungs- und Sportunterricht z. B. in der Überzeugung «Ich kann gut Badminton spielen». Conzelmann et al. (2011) erklären die positiven Einflüsse durch die gezielte Förderung einer bewussten Auseinandersetzung im Sinne einer Selbst- und Fremdbeobachtung, der Erfahrung von sozialen Prozessen und der physischen sowie emotionalen Herausforderung in Grenzsituationen. Der konsequent geförderte reflexive Überbau der Sportlektionen in Form von Feedbackgesprächen zwischen Schülerinnen und Schülern und den sportunterrichtenden Lehrpersonen und den Lernenden untereinander sowie das Protokollieren der individuellen Lernentwicklung inklusive deren Bewertung im Sportheft vermögen die wesentlichen Effekte der Intervention zu erklären (Baumberger, 2018). Häufiges und unmittelbares Feedback führt dazu, dass die Qualität der sportlichen Handlungen genauer eingeschätzt werden kann und bei den Schülerinnen und Schülern entsprechende Selbstwirksamkeitserwartungen realistischer erfolgen (Baumberger, 2018). Es ist demzufolge davon auszugehen, dass Bereiche der selbstbezogenen Kognitionen, wie das Selbstkonzept, durch sportliche Aktivitäten eher beeinflussbar sind als zeitlich relativ stabile generelle Persönlichkeitseigenschaften. Da der Bewegungs- und Sportunterricht nicht von selbst eine selbstwertfördernde Wirkung entfaltet, müsste immer angegeben werden, welcher Sport auf welche Art bei wem unter welchen Bedingungen welche Wirkungen auf welche Persönlichkeitseigenschaften haben soll (Conzelmann et al., 2011).

Das Selbstkonzept im Sportunterricht umfasst in diesem Zusammenhang v. a. die prozesshafte Struktur hin zu einem individuellen Modell der persönlichen Entwicklung. Der Bewegungs- und Sportunterricht kann unterstützend wirksam sein und Selbstreflexion in Gang setzen (Burrmann, 2016).

1.6 Schulsport und Gesundheit

Dem Schulsport wird durch den Gesetzgeber, die Öffentlichkeit, die Lehrpersonen sowie die Lernenden eine hohe gesundheitsfördernde Wirkung zugeschrieben, weshalb die Gesundheit häufig als Legitimationsgrund für den Bewegungs- und Sportunterricht genannt wird. Wie Untersuchungsergebnisse aus der Schweiz gezeigt haben, können durch Bewegung und Sport die volkswirtschaftlichen Gesundheitskosten gesenkt werden, weshalb der Bewegungs- und Sportunterricht ein günstiges Präventionsmittel darstellt (Martin et al., 2001).

Die Tatsache, dass immer mehr Mütter beziehungsweise Elternteile einer Erwerbstätigkeit nachgehen (Giudici & Schumacher, 2017), führt zudem zu einem Trend von ganztägigen Betreuungsmöglichkeiten, das heisst Tagesschulen, welche über eine gesamte Tagesdauer eine Struktur inklusive Mittagstisch, Hausaufgabenhilfe und Bewegungs- und Sportmöglichkeiten anbieten. Solche Ganztagsschulen haben die Möglichkeit, den Lebensraum Schule bewegungsfreundlich zu gestalten und stellen in der Schulsportentwicklung ein Desiderat dar (Gramespacher et al., 2019) (4, «Bewegung und Sport als Schulfach in der Schweiz»). Durch die Integration von Bewegung ausserhalb des obligatorischen Bewegungs- und Sportunterrichts sind die Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrpersonen im Unterricht konzentrierter, aufnahmefähiger und verfügen über ein höheres Wohlbefinden im Schulalltag, was wiederum zur ganzheitlichen Gesundheit beiträgt (Schulgruppe BASPO, 2010). Durch diese Ganztagsschulen wird zudem das Potenzial einer Zusammenarbeit zwischen der Schule beziehungsweise dem Fach Bewegung und Sport und anderen Sportanbietern geweckt. Bisher wurde der Fokus der Kooperation zwischen Schulen und Sportvereinen auf die traditionelle Förderung sportaffiner Schülerinnen und Schüler gelegt, jedoch verändern sich mit dem Trend zu Ganztagsschulen die anfänglichen Ziele und Ausführungsformen. Die Zusammenarbeit zwischen der Schule beziehungsweise dem Bewegungs- und Sportunterricht sowie unterschiedlichen Sportinstitutionen (z. B. Sportvereine, kommerzielle Sportanbieter) besteht zwar in der Schweiz, jedoch betrifft sie häufig lediglich den freiwilligen Schulsport und nicht den obligatorischen Bewegungs- und Sportunterricht. Die Kooperationsvereinbarungen zwischen den unterschiedlichen Sportinstitutionen könnten in Zukunft verstärkt werden, indem die Schulsportangebote durch andere Sportanbieter ergänzt und somit das lebenslange Sporttreiben durch den leichteren Transfer vom Bewegungs- und Sportunterricht in ausserschulische Sportinstitutionen gelingen kann (vgl. Brägger et al., 2017).

1.7 Schulsport und Integration

In vielen (sport-)politischen Diskursen wird häufig auf das Integrationspotenzial des Sports hingewiesen. Gemeinsame Sportaktivitäten im organisierten Sport sollen durch die Begegnung von Menschen unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft die Verständigung sowie die gegenseitige Toleranz fördern, womit der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt werden kann. Im Sport werden zudem überfachliche Werte und Orientierungs- sowie Verhaltensmuster wie zum Beispiel Fairness, Regelakzeptanz und Teamgeist vermittelt, welche zur Integration beitragen können (Schlesinger et al., 2018; Tiemann, 2012; 2019).

Gemäss der UN-Behindertenrechtskonvention sollen Kinder und Jugendliche mit Behinderungen gleichberechtigt am Schulsport teilnehmen können (UNBRK, 2014). Auch im Lehrplan 21 und dem PER wird als Erziehungsziel unter anderem festgehalten, dass ein reflektierter Umgang mit Heterogenität gepflegt werden soll, wobei unterschiedliche körperliche, psychische und kognitive Voraussetzungen sowie Geschlecht, soziale Herkunft, Begabungen und Interessen berücksichtigt werden sollen, um Kompetenzen zu erlangen, welche zu einem wertschätzenden und sozialen Zusammenleben befähigen (Conférence intercantonale de l’instruction publique de la Suisse romande et du Tessin [CIIP], 2010; Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz, 2016). Somit kann der Bewegungs- und Sportunterricht einen Beitrag zur sozialen Integration der Kinder und Jugendlichen in der Gesellschaft leisten (siehe Kap. 3, hier, «Integration oder Inklusion?»).

1.8 Schulsport und Digitalisierung

Ein weiteres Beispiel gesellschaftlicher Entwicklung ist die Digitalisierung, welche für den Schulsport in den nächsten Jahren als Herausforderung und gleichzeitig als Potenzial angesehen werden kann (Gramespacher et al., 2019). Einerseits entstehen durch aufkommende digitale Technologien neue Sportarten wie beispielsweise E-Sports, andererseits bietet die Digitalisierung neue und somit erweiterte Ausbildungs- und Lehrmöglichkeiten (2.4, «E-Sports – eine Konkurrenz zum bewegten Sporttreiben in der Schule?»). Die digitale Technologie kann als Unterstützung der Lehr- und Lernprozesse dienen, neue Lernangebote schaffen sowie als Kommunikationskanal fungieren. Durch die Digitalisierung kann das Lehren und Lernen orts- und zeitunabhängig organisiert werden und somit lassen sich bestehende Grenzen öffnen (z. B. individualisiertes und selbstständiges E-Learning) (Danisch & Friedrich, 2009; Schulmeister, 2006). Die Digitalisierung sowie andere gesellschaftliche Entwicklungen eröffnen Chancen für den Bewegungs- und Sportunterricht, bedingen jedoch unter anderem auch mediendidaktische Kompetenzen, welche es auch in der Ausbildung von angehenden (sportunterrichtenden) Lehrpersonen zu berücksichtigen gilt (Herzig, 2014).

1.9 Schulsport und nachhaltige Entwicklung

Eine weitere gesellschaftliche Entwicklung ist diejenige hin zur Nachhaltigkeit, auch Megatrend Neo-Ökologie genannt (zukunftsInstitut, 2018). Als nachhaltig wird in der Schweiz eine Entwicklung definiert, «die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können» (Bundesamt für Raumentwicklung, 2021). Nachhaltige Entwicklung ist für den Bund sowie die Kantone nicht freiwillig, sondern basiert auf der Bundesverfassung, welche die nachhaltige Entwicklung als Staatsziel erklärt (Bundesverfassung, 1999). Der Dachverband des Sports, Swiss Olympic, hat die Anforderung, einen respektvollen Umgang mit der Natur und den Mitmenschen zu pflegen, in seine Ethik-Charta aufgenommen sowie eine Strategie und Richtlinien zur Nachhaltigkeit und Beschaffung erarbeitet (Swiss Olympic, 2017). In der Schule ist die Thematik der Bildung für nachhaltige Entwicklung als fächerübergreifendes Thema in allen Lehrplänen der Schweiz enthalten.

Bildung soll den Menschen helfen, den eigenen Platz in der Welt zu reflektieren und darüber nachzudenken, was eine nachhaltige Entwicklung für die eigene Lebensgestaltung und das Leben in der Gesellschaft bedeutet. Es geht darum, Wissen und Können aufzubauen, das die Menschen befähigt, Zusammenhänge zu verstehen, sich als eigenständige Personen in der Welt zurechtzufinden, Verantwortung zu übernehmen und sich aktiv an gesellschaftlichen Aushandlungs- und Gestaltungsprozessen für eine ökologisch, sozial und wirtschaftlich nachhaltige Entwicklung zu beteiligen. (Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz, 2016, S. 36)

Die natürliche Umwelt sowie ihre Bedeutung als Lebensgrundlage für den Menschen stehen im Zentrum. Da dieser gesellschaftlich relevante Aspekt als fächerübergreifendes Thema in allen sprachregionalen Lehrplänen integriert ist, betrifft er auch den Bewegungs- und Sportunterricht. Die Sensibilisierung der Lernenden für das Thema der natürlichen Umwelt und der Ressourcen ist unabdingbar und lässt sich im Bewegungs- und Sportunterricht (z. B. Outdoorsportarten) sehr gut umsetzen.

1.10 Fazit

Es gibt diverse Ansprüche und Anforderungen an einen zeitgemässen Bewegungs- und Sportunterricht (z. B. Gesundheitsförderung, Persönlichkeitsentwicklung, Förderung von Integration und Inklusion, nachhaltige Entwicklung). Um möglichst allen gerecht zu werden, ist es notwendig, die Erwartungen in konkrete Ziele und spezifische Inhalte umzusetzen.

Zusammenfassung

• Kinder und Jugendliche nutzen vermehrt vielfältige ausserschulische Sportangebote, wechseln öfter zwischen Sportarten und führen häufiger verschiedene Sportarten parallel aus.

• Das traditionelle Sportverständnis hat sich aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen erweitert.

• Die vorgegebenen Erziehungsziele sowie die Struktur der Schule beziehungsweise des Schulsports werden auch von Megatrends wie Globalisierungs-, Mediatisierungs- und Pluralisierungsprozessen geprägt.

• Die Erziehung ist Teil des Sozialisationsprozesses, wobei die Schule mit dem Bewegungs- und Sportunterricht eine sekundäre Sozialisationsinstanz darstellt.

• Die Schule soll das Individuum befähigen, sich zu einer eigenständigen und selbstbestimmten Persönlichkeit zu entwickeln. Der Schulsport kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

• Dem Schulsport wird eine hohe gesundheitsfördernde Wirkung zugeschrieben, weshalb die Gesundheit häufig als Legitimationsgrund für den Schulsport genannt wird.

• Das Schulfach Bewegung und Sport spielt bei der Gestaltung einer gesundheits- und bewegungsfördernden Schule eine bedeutsame Rolle und nimmt im Fächerkanon eine Sonderstellung ein.

• Digitale Medien können Lehr- und Lernprozesse unterstützen, neue Lernangebote schaffen und als Kommunikationskanal fungieren.

• Neue Technologien bieten eine Chance, das Lehren und Lernen orts- und zeitunabhängig zu organisieren und bestehende Grenzen zu öffnen.

• Die nachhaltige Entwicklung ist als fächerübergreifendes Thema in den Lehrplänen integriert. Die Sensibilisierung für die natürliche Umwelt und die Ressourcen im Bewegungs- und Sportunterricht ist unabdingbar.

 

2 Das Sportsystem und der Schulsport in der Schweiz

Pius Disler & Grégory Quin

Ziel dieses Kapitels ist es, die verschiedenen Wechselwirkungen darzustellen, die zwischen Sport als sozialem Phänomen (Freizeit, Markt, Wettbewerb etc.) und dem Schulsport besteht. Dabei gilt es, den Stellenwert des Sports im öffentlichen Diskurs und die kommerzielle sowie gesundheitliche Dimension des Sports in den Schulen zu hinterfragen, aber auch die Auswirkungen des Schulsports auf das lebenslange Sporttreiben zu verstehen. Es geht zudem darum, die potenziellen Wege für die Entwicklung des Austauschs zwischen öffentlichen, privaten, nicht kommerziellen und privaten kommerziellen Institutionen aufzuzeigen.

2.1 Der organisierte Sport und seine Bedeutung für die Strukturen des Schulsports

Das Bereitstellen von Strukturen und Angeboten für den Sport ist einerseits eine Aufgabe privater und öffentlich unterstützter Trägerschaften – je nach ihren Rechten –, aber auch der Sportverbände, der kantonalen und regionalen Verbände sowie der Sportvereine. Der Bund, die Kantone und die Gemeinden werden dort tätig, wo die Privatinitiative nicht genügt. Gemäss dem Subsidiaritätsprinzip fördert der Staat körperliche Aktivität, versucht aber, die Verantwortung für öffentliche Aktionen auf die kleinste Einheit zu übertragen, die in der Lage ist, das gestellte Problem zu lösen. Dieses Prinzip gilt insbesondere für die Ausbildung im Sport, für die Breitensportaktivitäten und die Infrastruktur für den Leistungssport (Kempf & Lichtsteiner, 2017). Das kann für Sportinfrastrukturen dann zur Bedrohung werden, wenn Sparprogramme einzelner Kantone und/oder Gemeinden den Bau neuer und den Unterhalt bestehender Sportanlagen verhindern. Die Folgen dieser Situation sind vielfältig, unter anderem betreffen sie auch die regelmässigen informellen[1] Nutzerinnen und Nutzer dieser Sportanlagen, welche mittel- bis langfristig vom Sportbetrieb und somit von körperlicher Aktivität ausgeschlossen werden könnten.

In diesem Zusammenhang spielt das Bundesamt für Sport (BASPO) eine wichtige Rolle bei der Förderung eines sportlichen Lebensstils sowie der Bewegungförderung in all ihren Formen. Durch die Realisierung nationaler Zentren (Magglingen und Tenero), die kürzlich geführten Diskussionen um ein nationales Schneesportzentrum oder auch die dementsprechende Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Durchführung von Schulsportlagern können neue Impulse für die Ausübung sportlicher Aktivitäten geschaffen werden.

Die Idee, dass künftig Sportanlagen der öffentlichen Hand auch in freien Zeiten für alle Bürgerinnen und Bürger – unabhängig von der Mitgliedschaft in einem Sportverein – kostenlos zur Verfügung stehen könnten, erfordert ein Umdenken bei der Art, wie diese Infrastrukturen angedacht, geplant, finanziert, unterhalten sowie genutzt werden. Diese neuen Praxisformen stellen daher eine grosse Herausforderung dar, denn sie liegen zumindest teilweise ausserhalb einer zentralisierten Verwaltung. Die jüngsten Umfragen zur Sportpraxis der Schweizer Bevölkerung zeigen jedoch, dass die Aktivitäten mit dem grössten Wachstumspotenzial diejenigen der «schweizerischen Kombination» sind: Wandern, Radfahren, Schwimmen und Skifahren (Lamprecht et al., 2020).

Rolle und Einfluss des Bundesamtes für Sport (BASPO)

Dank eines immer grösser werdenden Angebots trägt der Breitensport wesentlich zur Förderung eines aktiven Lebensstils und der Lebensqualität bei. Als Bundesamt für Sport hat das BASPO den Auftrag, den Sport in der gesamten Bevölkerung zu fördern. Zur Erreichung dieses Ziels bietet das BASPO insbesondere die Programme Jugend + Sport (J + S) und Erwachsenensport Schweiz (ESA) an. Ausserdem bildet das BASPO Sportkoordinatorinnen und -koordinatoren aus und die Eidgenössische Hochschule für Sport Magglingen (EHSM) trägt zur Ausbildung von Fachkräften im Schulsport bei. Das BASPO betreibt die Breitensportförderung in der Schweiz in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit Kantonen, Gemeinden und Sportorganisationen sowie mit anderen Bundesämtern. Es existieren Instrumente zur Unterstützung des freiwilligen Schulsports (dieser wurde mit der Einführung des ersten Bundesgesetzes zur Förderung von Turnen und Sport in den 1970er-Jahren gegründet (Quin, 2014), welche regelmässig zur Förderung von Schullagern, aber auch für Kurse im freiwilligen Schulsport an Schulen genutzt werden. Von Anfang an wurden diese freiwilligen Schulsportkurse von J + S mit dem Ziel mitfinanziert, Brücken zu den lokalen Sportverbänden zu bauen. Wenn sich künftig der Austausch zwischen ausserschulischen Sportanbietern und Schulen weiter verstärkt, werden sich für den Schulsport und seine Entwicklung neue und wertvolle Möglichkeiten ergeben.

Durch diese Zusammenarbeit könnte der Schulsport vermehrt von den Entwicklungen der ausserschulisch wirkenden Sportarten und ihrer Handlungsfelder profitieren. Auch finden in der Austauscharbeit mit Verbänden wertvolle pädagogische und didaktisch-methodische Inhalte ihren Eingang in den Schulsport. Dieser Stärkenausgleich wird bereits in denjenigen Sportarten umgesetzt und gefördert, bei denen übergeordnete Institutionen den Austausch zwischen Trainerinnen und Trainern, Leiterinnen und Leitern, sportunterrichtenden Lehrpersonen und Hochschulen fördern.

Rolle und Einfluss von Swiss Olympic (SO)

Swiss Olympic (SO) wurde auf der Grundlage des ehemaligen Schweizerischen Olympischen Komitees (SOC) und des ehemaligen Schweizerischen Landesverbands für Leibesübungen (SLL) gegründet. SO hat vor allem, wie es in den Statuten festgehalten ist, eine unterstützende Rolle für den Leistungssport, insbesondere durch die Einrichtung von Delegationen. Diese vertreten die Schweiz an den verschiedenen olympischen Spielen und internationalen Multisportwettbewerben (Olympische Jugendspiele, Europameisterschaften usw.). SO setzt sich neben dem BASPO auch für die Interessen des Breitensports ein in den Bereichen der Wirtschaft, Kultur, Gesellschaft und Politik. SO unterstützt die Verbände auch bei ihren Entwicklungsprojekten und der Umsetzung von breitensportbezogenen Strategien und fördert in diesem Zusammenhang die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Partnern der Schweizer Sportszene. So sorgt SO dafür, dass Breitensportförderung in die Aus- und Weiterbildungsprogramme der verschiedenen Verbände sowie die kantonalen Organisationen oder Sportvereine integriert wird und arbeitet dazu sehr eng mit den Ausbildungsinstitutionen zusammen. Darüber hinaus engagiert sich SO auch für die Förderung der Freiwilligenarbeit im Sport.

Weiter hat SO seit 2017 die Leitung des Programms Schule bewegt übernommen, welches vorgängig beim BASPO angegliedert war. Für diesen Auftrag arbeitet die Institution mit der Gesundheitsförderung Schweiz zusammen und wird von der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Direktoren für öffentliche Bildung (EDK) und der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren (CDSIP) unterstützt. Diese Akteure setzen sich damit für eine langfristige Zusammenarbeit ein, um das Projekt Schule bewegt nachhaltig in der Schweizer Schullandschaft zu verankern (3, «Der Bewegungs- und Sportunterricht im Kontext einer bewegungsfreundlichen Schule»).

Rolle und Einfluss eidgenössischer, regionaler und lokaler Organisationen auf den Schulsport

Die Sportverbände

Die nationalen Sportverbände sind in erster Linie für die Förderung ihrer Sportart auf nationaler Ebene zuständig. Manchmal können sie mehrere Sportarten zusammenführen, wie zum Beispiel der Schweizerische Turnverband oder die Sportunion. Um ihren Auftrag zu erfüllen, analysieren die Verantwortlichen dieser Organisationen die technischen und ideologischen Trends in ihrer Sportart, versuchen aber auch, die Veränderungen der Bedürfnisse und der Interessen ihrer Mitglieder zu verstehen. Vor allem ist zu betonen, dass die meisten Programme dieser Institutionen zur Erhöhung ihrer Mitgliederzahl die Förderung von «Sport für alle»-Angeboten beinhalten.

Im Rahmen der Unterstützung dieser Verbände für ihre kantonalen Organisationen und angeschlossenen Sportvereine werden regelmässig unterschiedliche Wege beschritten. Diese reichen von der Förderung innovativer Praxisformen über die Unterstützung bei der Anfrage von Fördermitteln bis hin zur Unterstützung der Aus- und Weiterbildung zu Themen wie Freiwilligenarbeit, Vereinsmanagement und Frauenförderung in Verbands- und Vereinsgremien.

Um ein breiteres Spektrum an Kompetenzen zusammenzuführen, fördern diese Organisationen auch die Zusammenarbeit mit der Ausbildung von sportunterrichtenden Lehrpersonen bei der Suche nach talentierten Athletinnen und Athleten sowie bei der Entwicklung neuer Übungsangebote. Darüber hinaus erstrecken sich die Überlegungen zum Leistungssport im Rahmen der Jugendausbildung auch auf den Schulsport, indem bei J+S die technischen Leiterinnen und Leiter von Sportverbänden, sportunterrichtende Lehrpersonen sowie ehemalige Fachleiterinnen und Fachleiter von Sportarten bei J+S zusammenkommen. Verschiedene Verbände versuchen dadurch ihre Interessen in Schulen zu platzieren (www.swimsports.ch, www.snowsports.ch, etc.) und die diesbezügliche Zusammenarbeit zu intensivieren.

In diesem Zusammenhang eröffnen sich dem Schulsport weitere Vernetzungsmöglichkeiten. Zudem wird es auch an einer Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Welten, unterstützt durch das BASPO, nicht fehlen und diese könnte sich positiv auf den Sport auswirken, indem für Einzelpersonen der Zugang und der Transfer von Kompetenzen erleichtert werden.

Regionale und/oder kantonale Strukturen und die lokalen Sportvereine

Die Rollen und Einflüsse der regionalen und/oder kantonalen Verbände sind weitgehend von der Politik ihrer Dachverbände sowie den zuständigen kantonalen Behörden abhängig. Vor allem in sehr populären Sportarten mit grossen Mitgliederzahlen (z. B. Fussball) können kantonale Verbände autonome Strategien entwickeln. Auch wenn die Strategien zwar häufig unterschiedliche Ausbildungen auf höchstem Niveau betreffen, wie beispielsweise das Team (Genf, Wallis, Aargau, etc.) im Fussball, haben sie reale und häufig konkretere Auswirkungen auf den Breitensport. Darüber hinaus ist hervorzuheben, dass die wichtigste Ebene für die Schulen in der Schweiz die Kantone sind, sodass die kantonalen Organisationen zweifellos eine bedeutsame Rolle bei der Zusammenarbeit zwischen dem Sport- und dem Schulsystem einnehmen.

Auf lokaler Ebene nehmen die Sportvereine die wichtigste Position im Schweizer Sportsystem ein (Lamprecht et al., 2012). Sie schaffen die Strukturen für die Sportförderung und fördern die Sportaktivität, indem sie gezielte Angebote für alle Altersgruppen und Bedürfnisse schaffen, aber auch mit Schulen zusammenarbeiten und Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner bereitstellen. So können auf Initiative lokaler Sportvereine Strukturen zur Vereinbarung von Studium und Spitzensport geschaffen werden, um die besten Athletinnen und Athleten von morgen zu ermitteln und auszubilden, aber auch um die Ausübung des Sports in der breiten Öffentlichkeit zu fördern.

Während die kantonalen und/oder regionalen Strukturen eng mit den Sportämtern der verschiedenen Kantone zusammenarbeiten müssen, sind die Vereine von den Gemeinden abhängig. Es muss daher betont werden, dass die Gemeinden die Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit privaten Anbietern von Bewegungs- und Sportangeboten insbesondere bei der Einführung der Programme wie zum Beispiel Open Sunday[2] (Sonntage, an denen die Sporthallen der betreffenden Gemeinde frei zugänglich sind) zunehmend erkennen.

2.2 Einige Herausforderungen von Bewegung und Sport von der Volkschule bis zur Universität

Sport und Bewegungs- und Sportunterricht an der Volksschule

Der obligatorische Bewegungs- und Sportunterricht muss während den neun Jahren Volksschule gemäss Bundesgesetz drei Wochenstunden (Lektionen) umfassen. Die Inhalte des Fachs orientieren sich an den jeweiligen sprachregionalen Lehrplänen, mit welchen neben den fachlichen auch die überfachlichen Kompetenzen gefördert werden sollen. Neben der Ausbildung fachspezifischer Kompetenzen werden nun auch die überfachlichen Kompetenzen stärker gewichtet.

Zur Förderung der fachlichen sowie überfachlichen Kompetenzen kann zum Beispiel die Begeisterung für den Outdoor-Sport durch Schulprojekte, die durch öffentliche Mittel und Zuschüsse finanziert werden, verstärkt und unterstützt werden. Dies ermöglicht Kindern und Jugendlichen, im Zusammenhang mit der anhaltenden Zunahme des Anteils der in den Städten lebenden Bevölkerung, andere Landschaften zu entdecken, vom Wald bis zu den Bergen, mit oder ohne Schnee.

Diese Themen spiegeln sich auch in der Organisation von Schulsportlagern wider, von denen ein sehr grosser Teil Wintersportlager sind, deren Zukunft durch den kostenlosen Charakter der Schule nach dem Urteil des Bundesgerichts vom 7. Dezember 2017 gefährdet ist (Urteil vom 7. Dezember 2017). Während einige Kantone über den Bildungsnutzen dieser Sportlager diskutieren, zeigen die getroffenen Massnahmen beim Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) deutlich, dass diese externen Ausbildungswochen das motorische Lernen sowie die kulturelle Bildung junger Menschen fördern, aber auch die überfachlichen Kompetenzen weiterentwickeln.

Ausserdem setzen sich Projekte wie Schule bewegt für mehr Bewegung in der Schule ein und machen auf die Vorteile von Bewegung beim Lernen aufmerksam. Dieses Instrument trägt dazu bei, ein besseres Gleichgewicht zwischen Bewegungszeiten und kognitiven Lernzeiten in der Schule herzustellen (3, «Der Bewegungs- und Sportunterricht im Kontext einer bewegungsfreundlichen Schule»).

Sport und Bewegungs- und Sportunterricht an Gymnasien, Berufsschulen sowie an Hochschulen

In einem System, in dem die Schule vor allem eine kantonale Rechtsgrundlage hat (Criblez, 2007), aber die Voraussetzungen für den Bewegungs- und Sportunterricht auf Bundesebene entschieden werden, befinden sich Gymnasien, Berufsschulen und Hochschulen teilweise in einer paradoxen Situation. Tatsächlich erfüllen diese drei Arten von Institutionen nach wie vor nicht die Anforderungen, die sich aus den Harmonisierungen des HARMOS-Konkordats 2007 (PER und Lehrplan 21) ergeben. Der Inhalt des Bundesgesetzes zur Förderung von Gymnastik und Sport (seit seiner ersten Ausgabe 1972 regelmässig geändert) galt früher nicht mit den gleichen Rahmenbedingungen für die obligatorische und die postobligatorische Bildung.

Die Gymnasien wünschen sich trotz Zunahme der Anzahl Gymnasiastinnen und Gynmnasiasten den Rahmen für den Bewegungs- und Sportunterricht sowie der sportlichen Aktivitäten unverändert wie in der obligatorischen Schulzeit zu übernehmen. Im Hinblick auf das Alter und die zunehmende Selbstständigkeit der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten ist zudem die Zusammenarbeit mit lokalen und kantonalen Sportstrukturen empfohlen, um den Transfer vom Bewegungs- und Sportunterricht zur ausserschulischen Sportaktivität erleichtern zu können. Nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit findet nämlich häufiger ein Abbruch der ausserschulischen Sportaktivitäten statt, entweder unter dem Druck der immer entscheidender werdenden Schulleistungen oder durch einen verstärkten Wettbewerb mit anderen Formen kultureller Praktiken, zu einer Zeit, in der die elterliche Verantwortung an Bedeutung verliert (Lamprecht et al., 2015).

In den Berufsschulen ähnelt die Herausforderung derjenigen von Gymnasien. Die Bewegung der Schülerinnen und Schüler muss weiter gefördert werden, sowohl durch das Angebot von Sportstunden gemäss den Bundesvorschriften als auch durch die Entwicklung von Inhalten, die auf die zukünftigen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler zugeschnitten sind. In der Berufsausbildung ist der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die in Zukunft einer körperlichen Beschäftigung nachgehen, höher als in den Gymnasien. Die Betrachtung der körperlichen Dimension in diesen körperlich herausfordernden Berufen, sowohl in Bezug auf die Sensibilisierung für eine korrekte Bewegungsausführung als auch auf Elemente der Haltung oder der aktiven Gesundheitsförderung, ist jedoch noch lange nicht Realität – jenseits bestimmter Absichtserklärungen. In den Berufsschulen ist der Bewegungs- und Sportunterricht nach wie vor ein schwach geförderter Bereich. Zahlreiche Berufsschulen können die drei obligatorischen Wochenstunden nicht einhalten (Lamprecht et al., 2015).

Auch wenn die Ausbildung der Lehrlinge in der Schweiz seit dem Jahr 2000 auf Bundesebene verwaltet wird, liegt es nach wie vor an den Kantonen und Gemeinden, in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, Voraussetzungen zu schaffen, damit Spitzensportlerinnen und -sportler in der Ausbildung Lösungen zur Kombination von Training und Berufsausbildung finden. Während sich die Schulstrukturen in Richtung einer besseren Vereinbarung von Studium und Spitzensport zu verschieben beginnen, kämpft die Wirtschaft immer noch darum, Bedingungen zu bieten, die flexibel genug sind, damit alle ihre sportlichen Ambitionen verfolgen können.

An den Hochschulen ist die Situation nochmal anders, da die Studierenden eine explizitere berufliche Karriere aufbauen wollen. Die Schweizer Hochschulen, die oft von angelsächsischen und vor allem amerikanischen Modellen inspiriert sind, haben weitgehend auf den Sport gesetzt, um sich in der nationalen und internationalen Bildungslandschaft zu positionieren, aber auch um eine Verankerung der Gesundheitsförderung im Hochschulprofil zu entwickeln. Sehr oft ähneln aber die Probleme der Universitäten denjenigen der vorherigen Ausbildungsstufen mit einer chronischen Unterausstattung an Sportinfrastrukturen. Bei den Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern haben die Hochschulen noch Verbesserungspotenzial – sowohl bei der Flexibilisierung ihrer Studiengänge als auch bei der Anerkennung der im Rahmen der sportlichen Praxis erworbenen Kompetenzen (z. B. grosses technisches und administratives Engagement).

2.3 Lebenslange Bewegungs- und Sportförderung

Wie in der schulischen und beruflichen Ausbildung kann festgestellt werden, dass regelmässige Bewegung und sportliche Aktivitäten auch von Unternehmen zunehmend als Instrument zur Erhaltung und Verbesserung der Gesundheit, des Wohlbefindens und der Leistung im sozialen Leben betrachtet werden.

Bewegungs- und Sportaktivitäten werden als sinnvolle Möglichkeit betrachtet, um einen Mehrwert für das Unternehmen und seine Mitarbeitenden zu schaffen. Deshalb engagieren sich immer mehr Unternehmen für die Förderung von körperlichen und sportlichen Aktivitäten am Arbeitsplatz und erachten ihr Engagement für den Sport sogar als Teil ihrer sozialen Verantwortung.

Zunehmend schaffen Unternehmen geeignete Rahmenbedingungen für Sport und Bewegung im Arbeitsalltag (Bau von Duschen, Anpassen der Zeitpläne, spezifische Angebote an Partnerinnen und Partner), möglicherweise unterstützt durch Mittel der Krankenkassen. Ein Beispiel dafür ist die Ermutigung der Mitarbeitenden, an gewissen Tagen ohne motorisierte Fahrzeuge zur Arbeit zu kommen. Dies steht auch im Einklang mit der Förderung aktiverer Lebensstile, bei denen die Bewegung eine immer grössere Rolle spielt. Diese Massnahmen können auch von der schweizerischen Unfallversicherung (SUVA) oder der schweizerischen Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) unterstützt werden, um die Gesundheit expliziter zu fördern.

Vor dem Hintergrund einer alternden Bevölkerung ist zudem die Frage nach der lebenslangen Aufrechterhaltung – oder sogar Entwicklung – von körperlicher Aktivität ein wichtiges Thema unserer Zeit. Dieses Anliegen besteht vor allem für die älteren Menschen (über 65 Jahre), wobei davon auszugehen ist, dass auch im Erwachsenenalter Massnahmen zur Aktivitätsförderung vorgeschlagen und unterstützt werden müssen, insbesondere bei Frauen, deren Aktivität oft geringer ist als die der Männer (Lamprecht et al., 2020). Obwohl das Geschlechtergefälle in jedem Alter erkennbar ist, ist die Schwangerschaft immer noch eine Zeit, in der das Aktivitätsniveau der Frauen stark sinkt, häufig ohne dass die Frauen danach wieder das gleiche Mass an Engagement erreichen, und es sollten Massnahmen ergriffen werden, um diesen Einschränkungen entgegenzuwirken.

Wenn der Anteil der über 65-Jährigen an der Wohnbevölkerung in der Schweiz (bei einem absoluten Wert von mehr als 1 500 000 Personen) heute mehr als 20 Prozent erreicht (Bundesamt für Statistik BFS, 2018), wird der unvermeidliche Anstieg dieser Zahlen in den nächsten Jahren ein Gesundheitssystem, das bereits heute weitgehend unter Druck steht, stark wirtschaftlich und sozial belasten. Angesichts dieser Zahlen scheint es von grundlegender Bedeutung zu sein, über das Altern unter den bestmöglichen gesundheitlichen Bedingungen nachzudenken. Die physische Aktivität scheint ein entscheidendes Instrument zu sein, um die Mobilität bis ins hohe Alter zu gewährleisten.

Damit die Alterung der Bevölkerung zum Wohlergehen und zum sozialen Zusammenhalt unseres Landes beiträgt, ohne die öffentlichen Finanzen oder die Krankenkassen zu stark zu belasten, ist es in der Tat wichtig, dass die politischen Behörden auf allen Ebenen (Bund, Kantone und Gemeinden) und die Zivilbevölkerung konkrete Programme zur Förderung des aktiven Alterns verabschieden, die auf der Förderung der Gesundheit, der Aufrechterhaltung der sozialen Bindungen der älteren Menschen und ihrer physischen Sicherheit beruhen. In diesem Rahmen kommt auch der Sportkultur eine wichtige Rolle zu, denn Studien haben seit mehreren Jahrzehnten immer wieder gezeigt, dass körperliche Aktivität ein Schlüsselfaktor ist, um Gesundheit und Unabhängigkeit über das Alter hinaus zu verlängern. Während das J + S-Programm ein Modell ist, welches von vielen anderen Ländern als Vorbild für die Förderung des Sports bei jüngeren Menschen genutzt wird, würde die Schweiz davon profitieren, die Entwicklung eines nationalen Programms zur Förderung der körperlichen Aktivität älterer Menschen in Erwägung zu ziehen.

2.4 E-Sports – eine Konkurrenz zum bewegten Sporttreiben in der Schule?

Der Begriff E-Sport (elektronischer Sport) bezeichnet heute den sportlichen Wettkampf zwischen mehreren Personen mit Hilfe von Computerspielen. In der Regel wird der Wettkampf mit Hilfe des Mehrspielermodus ausgetragen und sowohl auf Computern als auch auf Spielkonsolen durchgeführt. Die Wettkampfteilnehmerinnen und Wettkampfteilnehmer werden E-Sportlerinnen und E-Sportler genannt. Die Wettkämpfe werden auf Individual- wie auch auf Mannschaftsebene organisiert. Neben der Beherrschung des eigentlichen Computerspiels benötigen die Spielerinnen und Spieler verschiedene motorische und geistige Fähigkeiten, um im Wettkampf erfolgreich zu sein – vergleichbar mit den traditionellen Sportarten. Es sind jedoch vor allem die Unterschiede zwischen Sport und E-Sport, welche die aktuelle Debatte in der Schweiz zu dominieren scheinen. In einer Stellungnahme zur E-Sport-Kultur hält das Bundesamt für Sport im Frühling 2019 (Bundesamt für Sport BASPO, 2019) fest, dass E-Sport

aus Sicht des Bundes in seiner heutigen Ausprägung keine Sportart im Sinn der Sportförderung darstellt, dass E-Sport nicht mit herkömmlichen Sportarten vergleichbar ist, weil keine Primärerfahrungen in direktem Kontakt mit Mitmenschen und der Umwelt möglich sind, sondern das Erlebnis im virtuellen Raum stattfindet. Die oft von Gewalt geprägten E-Sport-Games erfüllen die Anforderungen an den Kinder- und Jugendschutz nicht. E-Sport ist eine Spielkultur und trägt kaum dazu bei, die Sport- und Bewegungsaktivitäten der Menschen zu unterstützen. Darum erachtet das BASPO den E-Sport in seiner heutigen Ausprägung nicht als Sportart im traditionellen Sinn und somit auch nicht als subventionsberechtigt gemäss den geltenden gesetzlichen Bestimmungen der Sportförderung.

Demgegenüber geht die Darstellung von E-Sports davon aus, dass bei der Ausübung von E-Sports spezifische koordinativ-motorische Aspekte mit dem tatsächlichen Sporttreiben verglichen werden können. Motorisch sind für den Spieler vor allem Hand-Augen-Koordination, Reaktionsgeschwindigkeit, Differenzierung und (konzentrationsorientiertes) Durchhaltevermögen von Bedeutung. Ausserdem zählen theoretisches-räumliches Orientierungsvermögen, Spielübersicht, Spielverständnis, taktische Ausrichtung, vorausschauendes und laterales Denken zu den kognitiven Anforderungen.

In der Praxis wird E-Sport nur in wenigen Ländern (z. B. USA, Brasilien, China, Frankreich) von den führenden Sportverbänden als Sport anerkannt. Wie das BASPO klassifiziert auch das Deutsche Olympische Komitee den elektronischen Sport nicht als anerkannten und damit förderfähigen Sport.

In der Literatur zum Phänomen Sport finden sich keine Erhebungen oder Reflexionen über theoretische Grundlagen zu dieser neuen Komponente des Sporttreibens. In der Schweiz wurde erstmal am 26. Oktober 2018 in der Tagesschau SRF über einen Versuch von E-Sport innerhalb des Bewegungs- und Sportunterrichts in der Grundschule berichtet. Dieser Versuch basiert aber lediglich auf Novizenmeinungen, eröffnet keine Möglichkeit, basiswissenschaftliche Aussagen zum Thema zu machen und hat noch keine wirklichen Konsequenzen. Ob dabei E-Sport ein Ersatz von realer sportlicher Betätigung darzustellen vermag, bleibt zweifelhaft, da es sich nicht um Ganzkörperkoordination handelt, sondern lediglich um ein paar der angesprochenen koordinativen Fähigkeiten. Zudem geht es bei E-Sport-Events und -Unterstützung häufig um gewaltfördernde oder auffordernde Inhalte, die nicht den fachlichen oder überfachlichen Zielen der Schule entsprechen.

Zum Abschluss dieses Kapitels sind noch einige Fragen rund um die Bedeutung von E-Sport für den Schulsport offen:

 

• Welche Auswirkungen kann die Einführung neuer Gadgets (smart clocks, geocaching, white risk learning, virtual moving etc.) auf den Schulsport der Zukunft haben?

• Auf welcher Ebene wird die Diskussion über Sportersatz durch E-Sport geführt und was kann der Schulsport dazu beitragen, dass der E-Sport das reale Sporttreiben fördert und sportlich inaktive Menschen zu Bewegung motivieren kann? Ist dies überhaupt ein Ziel von E-Sport?

• Schafft es die Sportpädagogik in den Vereinen und in der Schule, sich den neuen Weg des virtuellen Sporttreibens zunutze zu machen, damit E-Sport-Athletinnen und -athleten (auf hohem Niveau oder auch nicht) den Weg und die Ansätze zu einem realen oder traditionellen Sporttreiben finden können?

• Was ist die neuropsychologische Wirkung des E-Sports im Vergleich zum traditionellen Sport?

• Welche Veränderungen erfährt vor allem der informelle Sport in Bezug auf Sportstätten, den sozialen Kontext des Sporttreibens und den Zeitpunkt von Sportmomenten im Alltag, und wie wirken sich diese Entwicklungen auf den traditionellen Sport und den Bewegungs- und Sportunterricht in der Schule der Zukunft aus?

Zusammenfassung

• Es ist wichtig, über die Förderung der körperlichen Aktivität während des gesamten Lebens nachzudenken, und diese Förderung muss das Ergebnis eines gemeinsamen Engagements von politischen Behörden, Sportorganisationen, aber auch von Akteuren im privaten Bereich sein.

• Das Bundesamt für Sport (BASPO) engagiert sich mit Programmen wie Jugend+Sport (J+S) und Sport für Erwachsene (ESA) für die Förderung des Breitensports.

• Um den Breitensport langfristig zu fördern, ist eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Schulen und der öffentlichen Sportbewegung erforderlich.

• Um den Spitzensport zu fördern, müssen Programme entwickelt werden, die die Kompatibilität zwischen den Anforderungen der schulischen Einrichtung und der Sportbewegung gewährleisten.

• Regelmässige körperliche Aktivität am Arbeitsplatz ist eine geeignete Massnahme, zur Förderung der Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Mitarbeitenden.

• Vor dem Hintergrund einer alternden Bevölkerung sollte die Förderung eines aktiven Lebensstils und regelmässiger körperlicher Aktivität sowohl das Wohlbefinden älterer Menschen als auch den sozialen Zusammenhalt sicherstellen, ohne die öffentlichen Finanzen oder die Krankenkassen zu stark zu belasten.

• Aus Sicht der Bundesregierung ist E-Sport derzeit keine Sportart im Sinne der Sportförderung, deshalb sind Subventionen noch nicht möglich. Daher ist es noch zu früh, um die Auswirkungen des E-Sports auf den Schulsport zu beurteilen.

 

3 Der Bewegungs- und Sportunterricht im Kontext einer bewegungsfreundlichen Schule

Mario Kamer & Christelle Hayoz

Welche Art und wie viel Bewegung ist im schulischen Kontext empfohlen? Welche Effekte erzeugt körperliche Aktivität im Schulalltag? Wie lässt sich Bewegung im schulischen Alltag integrieren? Im vorliegenden Kapitel 3 werden diese Fragen anhand von existierenden wissenschaftlichen Studien, theoretischen Rahmenmodellen sowie konkreten Umsetzungstipps für den Schulalltag beantwortet.

Die positiven Effekte regelmässiger körperlicher Aktivität sind gut belegt. Überblicksarbeiten machen deutlich, dass sich dadurch nicht nur die körperliche Fitness steigern lässt, sondern dass auch kognitive Prozesse (z. B. Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Konzentration) und Schulleistungen positiv beeinflusst werden können (Álvarez-Bueno et al., 2017; Donnelly et al., 2016). Weiter zeigen sie, dass sich Kinder und Jugendliche neben einer Verbesserung der körperlichen Gesundheit (z. B. ein vermindertes Risiko von Übergewicht, Herz-Kreislauf- und Stoffwechselstörungen, verbesserte Knochengesundheit) auch positive Auswirkungen von zusätzlicher Bewegung auf die psychische Gesundheit (weniger depressive und angstverbundene Symptome) erhoffen können. Zuletzt weisen sie auch auf einen positiven Zusammenhang zwischen dem Umfang körperlicher Aktivität und der wahrgenommenen Lebensqualität, dem Wohlbefinden und der motorischen Entwicklung hin (Janssen & Le Blanc, 2010; Poitras et al., 2016). Die auf der Basis dieser Befunde erarbeiteten internationalen und nationalen Empfehlungen für körperliche Aktivität, nach welchen Kinder und Jugendliche täglich während mindestens 60 Minuten bei einer mittleren bis hohen Intensität körperlich aktiv sein sollten (Bundesamt für Sport, 2013; World Health Organization WHO, 2010), werden allerdings nur von einem Teil der Kinder und Jugendlichen erreicht (siehe Kap. 2, hier, «Körperliche Aktivität»). Zudem zeigt sich, dass der Alltag der Kinder und Jugendlichen nicht nur durch wenig Bewegung, sondern dazu auch noch durch viel langandauerndes Sitzen (engl. sedentary behaviour) geprägt ist (siehe Kap. 2, hier, «Langanhaltendes Sitzen»). Die Zeit, die pro Tag im Sitzen verbracht wird, beträgt bei den sechs- bis siebenjährigen Schweizer Kindern im Schnitt 396 Minuten. Bei den Zehn- bis Elfjährigen sind es bereits 488 Minuten und bei den 14- bis 16-jährigen Jugendlichen 586 Minuten, was 9,8 Stunden entspricht. Im Schnitt verbringen Schweizer Kinder und Jugendliche damit 61 Prozent der Tageszeit sitzend (Bringolf-Isler et al., 2016). Langandauerndes Sitzen wird mit zahlreichen negativen Folgen in Verbindung gebracht. So zeigen Überblicksarbeiten, dass längeres und häufigeres Sitzen im Kindes- und Jugendalter signifikant mit einer ungünstigen Körperzusammensetzung, einer schlechteren Fitness und einem höheren Risiko von Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen zusammenhängt (Carson et al., 2016; Tremblay et al., 2011). Studienresultate belegen, dass langandauerndes Sitzen ein eigenständiger Risikofaktor für die Gesundheit ist und sich die negativen gesundheitlichen Folgen stundenlangen Sitzens durch Bewegung und Sport in der Freizeit nicht ausgleichen, sondern lediglich reduzieren lassen (Biswas et al., 2015). In den Schweizer Bewegungsempfehlungen für Kinder und Jugendliche wird darauf hingewiesen, dass langandauernde Tätigkeiten ohne körperliche Aktivität so weit wie möglich zu vermeiden sowie ab und zu durch kurze Bewegungspausen zu unterbrechen sind (Bundesamt für Sport, 2013).

Aus den beschriebenen Befunden lassen sich zwei Forderungen ableiten: Kinder und Jugendliche in der Schweiz sollten 1) weniger sitzen und sich 2) mehr bewegen. Da Kinder und Jugendliche einen beträchtlichen Teil des Tages in der Schule verbringen, scheint es naheliegend, bei der Bewegungsförderung in der Schule anzusetzen. Dafür sprechen auch Studien, welche die Schule im Vergleich zu anderen Settings als Ort mit besonderem Wirkungspotenzial identifiziert haben (Naylor & McKay, 2009).

3.1 Rahmenmodelle der bewegungsfreundlichen Schule

Im Folgenden werden drei Rahmenmodelle beschrieben, die entwickelt wurden, um die Schulen bei der Planung, Durchführung und Evaluation von Bewegungsförderungsmassnahmen zu unterstützen.

Das in Abbildung 2 dargestellte Schweizer Modell der Bewegten Schule ist «nach zeitlichen (vor/nach der Schule) und strukturellen (in der Schule – in der Klasse) Kriterien konzipiert» (Schulgruppe BASPO, 2010, S. 8). Es umfasst acht Zeitgefässe, in welchen mehr Bewegung in den Alltag der Lernenden integriert werden kann. Das Modell dient zur Strukturierung der verschiedenen Komponenten einer bewegungsfreundlichen Schule.

Abb. 2 Die Bewegte Schule – Das Schweizer Modell(Schulgruppe BASPO, 2010, S. 8)

Ein alternatives Modell wurde von Brägger et al. (2017) vorgestellt. Sie schlagen drei Handlungsfelder vor, welche in der Bewegten Schule berücksichtigt werden sollen: Lehren und Lernen (wie kann der Unterricht bewegungsfreundlich gestaltet werden?), Lern- und Lebensraum Schule (welche räumlichen und materiellen Voraussetzungen können zu mehr Bewegung beitragen?) sowie Steuern und Organisieren (durch welche schulorganisatorischen Massnahmen können die Bewegungschancen der Lernenden erhöht werden?). Jedem Handlungsfeld sind acht Bausteine zugeordnet, durch deren Zusammenwirken, eine dynamische und bewegte Schule entsteht (siehe Abbildung 3). Anders als im Schweizer Modell der Bewegten Schule steht im Modell von Brägger et al. (2017) der Prozess der Schulentwicklung stärker im Fokus.

Abb. 3 Handlungsfelder und Bausteine der Bewegten Schule(Brägger et al., 2017, S. 105)

Beim dritten Konzept, welches bisher vor allem im englischen Sprachraum sehr populär ist, handelt es sich um das in den Vereinigten Staaten vom Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in Zusammenarbeit mit der Society of Health and Physical Educators entwickelte Comprehensive School Physical Activity Program (CSPAP) (Centers for Disease Control and Prevention, 2013) (siehe Abb. 4). Es ist ein umfassendes Konzept zur schulischen Bewegungsförderung, welches nicht nur eine starke theoretische Basis hat, sondern auch in einem noch stärkeren Ausmass als die bisher beschriebenen Konzepte auf dem State of the Art der empirischen Forschung aufbaut. Zudem wird darin dem Bewegungs- und Sportunterricht und dem Engagement sportunterrichtender Lehrpersonen ein noch grösserer Stellenwert bei der schulischen Bewegungsförderung beigemessen, als dies in den anderen Modellen der Fall ist.

Abb. 4 CSPAP conceptual framework(adaptiert nach Carson et al., 2014, S. 101)

3.2 Elemente der bewegungsfreundlichen Schule

Im Folgenden werden die einzelnen Elemente einer bewegungsfreundlichen Schule auf der Basis des CSPAP-Frameworks (siehe Abbildung 4) erläutert. Dabei ist allerdings zu erwähnen, dass viele dieser Elemente auch im Schweizer Modell der Bewegten Schule (Schulgruppe BASPO, 2010) und im Modell von Brägger et al. (2017) vorkommen.

Um die im Zentrum stehende tägliche körperliche Aktivität der Lernenden (aber auch des Schulpersonals und der Eltern) zu erhöhen, wird empfohlen, auf verschiedenen Ebenen anzusetzen: Direkt beeinflusst wird der Umfang der körperlichen Aktivität durch die Komponenten auf der ersten Ebene im Zentrum des Modells. Der Bewegungs- und Sportunterricht bildet die Basis einer bewegungsfreundlichen Schule (R. L. Carson et al., 2014). Es muss das Ziel sein, diesen so zu gestalten, dass die körperliche Aktivität beziehungsweise die Bewegungszeit von Kindern und Jugendlichen während der Lektion hochgehalten, aber auch über die Lektion und langfristig über die Schulzeit hinaus gesteigert wird.

Zusätzlich zum Bewegungs- und Sportunterricht können in unterschiedlichen Settings mehr Möglichkeiten für körperliche Aktivität während der Schule geschaffen werden. Möglich ist dies zum Beispiel in Form von dynamischem Sitzen oder Stehen während des Unterrichts, Lernen mit oder durch Bewegung, Bewegungspausen/bewegten Pausen oder freiwilligem Schulsport.

Unter Berücksichtigung der aktuellen Bewegungsempfehlungen ist das Arbeiten im Stehen dem Arbeiten im Sitzen grundsätzlich vorzuziehen. Insbesondere sollte aber darauf geachtet werden, die Arbeitshaltung regelmässig zu wechseln. Es gilt: Die beste Arbeitshaltung ist die nächste! Um an Schulen die Möglichkeit für das Arbeiten im Stehen zu schaffen, sind nicht unbedingt Stehpulte anzuschaffen. Als Low-Budget-Variante können auch Beistelltische oder Kisten (z. B. im Format 20 x 30 x 40 cm) angeschafft werden, die bei Bedarf auf dem Tisch positioniert werden und so eine erhöhte Unterlage bieten.

Neben vermehrtem Stehen kann der Unterricht zusätzlich mit Bewegung angereichert werden. Dabei ist zwischen zwei Formen zu unterscheiden: Beim Lernen mit Bewegung hat die Bewegung während des Lernens keinen direkten Bezug zum Lerninhalt (z. B. beim Umhergehen während des Diskutierens, walk & talk; Jonglieren während des Lernens von Fremdwörtern). Beim Lernen durch Bewegung besteht hingegen ein direkter Bezug zwischen Bewegung und Lerninhalt (z. B. durch das Ausführen einer passenden Bewegung beim Aussprechen eines Fremdworts). Das Lernen wird durch die Bewegung unterstützt. Da die Integration von Bewegung in den Unterricht anspruchsvoll ist, sollten zur Unterstützung Schulungen für die Lehrpersonen organisiert und für die Praxis hilfreiche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden (Smith et al., 2017).

Pausen, in welchen bewegt wird, eignen sich hervorragend zur Rhythmisierung des Schulalltags. Im Rahmen der Schule können die Lernenden einerseits dazu ermutigt werden, die regulären Pausen zwischen den Lektionen aktiv zu gestalten (bewegte Pause). Andererseits ist es auch möglich, die regulären Lektionen für kurze Bewegungspausen zu unterbrechen.

Angebote des freiwilligen Schulsports sind weitere Möglichkeiten, um die körperliche Aktivität der Lernenden während der Schule zu fördern. Anders als bei Sportvereinen zeigte sich in Studien keine Selektionswirkung beim freiwilligen Schulsport (Bringolf-Isler et al., 2016). Der Zugang zum freiwilligen Schulsport ist also für Lernende im Vergleich zu Sportvereinen erleichtert. Allerdings kann man sich erhoffen, dass aus dem freiwilligen Schulsport die Übertritte in einen Sportverein erleichtert werden und somit verhindert werden kann, dass die Jugendlichen nach der obligatorischen Schulzeit mit dem Sport aufhören.

Auch körperliche Aktivität vor und nach der Schule kann einen erheblichen Beitrag zur schulischen Bewegungsförderung leisten. So können zum Beispiel Förderbemühungen unternommen werden, damit die Lernenden den Schulweg aktiv gestalten. Forschungsresultate zeigen, dass Lernende, welche den Schulweg aktiv gestalten, ein höheres Aktivitätslevel haben als diejenigen, welche eine passive Anreise bevorzugen (Faulkner et al., 2009). Auch informelles Spielen und Bewegen auf dem Schulgelände ist zu fördern. Dabei ist zu beachten, dass das nötige Material (z. B. Bälle) und die Infrastruktur (z. B. Fussballfelder mit Toren, Basketballplätze mit Körben, Beachvolleyballfelder mit Netzen) jederzeit für alle zugänglich sind.

Neben den bisher beschriebenen Bemühungen, die Kinder und Jugendlichen zu mehr körperlicher Aktivität anzuregen, scheint es auch sinnvoll, zusätzliche Bewegungsangebote (z. B. Mittagssport, geleitet durch eine sportunterrichtende Lehrperson oder externe Anbieter) für das Schulpersonal zu schaffen (Einbezug von Mitarbeitenden). Forschungsresultate zeigen, dass sich dadurch positive Effekte auf die Körperzusammensetzung, die psychische Gesundheit und die körperliche Aktivität von Mitarbeitenden erzielen lassen (Osilla et al., 2012). Interessanterweise haben Schulen, die ein CSPAP mit einer Staff-Wellness-Komponente implementieren, auch einen grösseren Einfluss auf die körperliche Aktivität der Lernenden als diejenigen, die diese Komponente nicht beinhalten (Russ et al., 2015). Wenn sich das Schulpersonal zu guten Gesundheitspraktiken bekennt, sind sie positive Vorbilder für die Lernenden. Um die Lehrpersonen zur Unterstützung des CSPAP beziehungsweise der bewegungsfreundlichen Schule zu bewegen, sind passende Anreize zu schaffen (z. B. Reduktion der zu leistenden Unterrichtsstunden oder finanzielle Entschädigung) (Smith et al., 2017).

Die Forschungsresultate bezüglich des Bewegungsverhaltens der Eltern sind sehr klar: «Kinder von aktiven Eltern sind ebenfalls aktiver» (Bringolf-Isler et al., 2016; Gesundheitsförderung Schweiz, 2016, S. 3). Nicht nur dem Schulpersonal, sondern auch den Eltern kommt also in Bezug auf das Bewegungsverhalten eine Vorbildfunktion zu. Neben dem Sporttreiben der Eltern kann auch der bewegungs- und sportbezogene Lebensstil im Familienalltag das Bewegungsverhalten der Kinder positiv prägen (Hayoz et al., 2016; Hayoz et al., 2019). Es scheint wichtig, den elterlichen Support für das CSPAP durch Newsletter oder besser noch durch Informationsveranstaltungen abzuholen, da sich durch den Einbezug der Eltern die Effektivität des Programms nachweislich steigern lässt (Haerens et al., 2007). Auch die Gemeinde kann die körperliche Aktivität der Jugendlichen unterstützen, indem mehr Bewegungsmöglichkeiten geschaffen werden (z. B. offene Sportplätze; Material zur Verfügung stellen). Zudem sind Angebote des Vereinssports ein weiterer zentraler Pfeiler, um die körperliche Aktivität der Kinder und Jugendlichen zu fördern. Der Zugang zu diesen Angeboten sollte so gut wie möglich erleichtert werden. Denkbar sind zum Beispiel Schnupperangebote von Vereinen, die an der Schule für die Lernenden angeboten werden (Engagement von Familie und Gemeinde).

Auf der zweiten Ebene des in Abbildung 4