König und Ketzer - - Paul Schermuly - E-Book

König und Ketzer - E-Book

Paul Schermuly

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Beschreibung

Ende 14. - Anfang 15. Jahrhundert: In Mitteleuropa bekriegen sich Fürsten und Könige im Streben nach Macht und Einfluss. Die Kirche ist tief gespalten. Zwei Päpste, der eine in Avignon, der andere in Rom, später gar drei Päpste, erheben den Anspruch auf den Apostolischen Stuhl und tragen dadurch in erheblichem Maße zur Zerrissenheit Europas bei. Sigismund, König von Ungarn und später Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, sieht in Jan Hus aus Böhmen den zukünftigen Kirchenreformer, unterstützt und fördert ihn. Doch als Hussens Kampf gegen Ämterkauf und Sittenlosigkeit im Klerus radikaler wird, befürchtet Sigismund, dass Hus sich schließlich auch gegen die Sittenlosigkeit und Korruptheit der weltlichen Fürsten wende und deren Ämter infrage stelle, und stellt sich nun gegen ihn. Jan Hus wird 1415 während eines von Sigismund einberufenen Konzils verurteilt und verbrannt, obwohl ihm der König freies Geleit nach Konstanz und zurück versprochen hatte. Der Tragikroman spielt u.a. an Orten wie Nürnberg, Prag, Budapest (Ofen), Paris, Berlin, Neapel, Venedig und schließlich Konstanz; berichtet über den korrupten Kauf von geistlichen Ämtern, wodurch selbst ein ehemaliger Pirat (Baldassare Cossa von Neapel) über das Kardinalsamt zu einem der drei Päpste als Johannes XXIII. aufsteigen konnte. Diesem gelang, nachdem er vom Konzil in Konstanz abgesetzt wurde, unter Mithilfe des Erzbischofs von Mainz, Johann von Nassau, die Flucht aus der Konzilsstadt. Auch der Einfluss des englischen Theologen John Wiclif spielt eine große Rolle, welcher Jan Hus in Prag in dessen Kritik an der Kirche bestärkte. Es wird sogar über Vlad Dracul berichtet, bekannt als Graf Dracula, der mit Sigismund zweimal in den Krieg gegen die Türken unter Sultan Bajazed gezogen ist. Titelhelden sind weiterhin Kaiser Karl IV. von Luxemburg, Vater Sigismunds und König Wenzels IV. von Prag, und Johannes Nepomuk, der auf Befehl König Wenzels über die Prager Karlsbrücke in die Moldau gestoßen wurde und ertrank. Auch das damals mächtige und in Europa einflussreiche Adelsgeschlecht der Anjous aus der Provence, dem Sigismunds Schwiegervater, Ludwig I. von Ungarn, entstammte, spielt eine große Rolle. Im Wesentlichen beruht der Inhalt auf wahren Begebenheiten. Einige Personen entspringen der Feder des Autors und von manchen Personen sind Handlungern frei erfunden, welche jedoch deren überlieferten Neigungen entsprachen. Aus der Kindheit von Jan Hus sind lediglich Name und Beruf des Vaters belegt.

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Seitenzahl: 523

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Der Roman beruht im Wesentlichen auf den historischen Gegebenheiten der damaligen Zeit. Einige Personen jedoch sind frei erfunden um dem Roman einen Rahmen zu geben. Bei einigen bedeutenden historischen Persönlichkeiten sind Handlungen dazu gedichtet worden, die aber den belegten Neigungen und Verhaltensweisen dieser Personen entsprechen. Die Begebenheiten im Elternhaus, in der Kindheit und Jugend von Jan Hus sind frei erfunden; lediglich Name und Beruf von Hussens Vater sind belegt.

Wichtige historisch belegte Begebenheiten aus Jans und König Sigismunds Leben wie auch von beiden und anderen im Roman vorkommenden Persönlichkeiten gesprochene Zitate, geschriebene Reden, Briefe oder andere Texte sind entnommen aus dem Buch von Wilhelm Baum:

„Kaiser Sigismund Konstanz, Hus und Türkenkriege“

Verlag Styria 1993 aus den Seiten 120 bis130.

»Als Gott die Leiden seiner unter den Völkern zerstreuten Kinder sieht, vergießt er zwei Tränen, die in den Ozean tropfen; beim Fallen machen diese Tränen einen solchen Lärm, dass man es von einem Ende der Welt zum anderen hört.«

(aus einer chassidischen Legende)

Inhalt

Prolog Des Kaisers Traum

Kapitel 1 Geburt eines Königs

Kapitel 2 Geburt des Ketzers

Kapitel 3 Bestechung an der Sorbonne

Kapitel 4 Die Geburt des Antichristen

Kapitel 5 Verlobung der Königskinder

Kapitel 6 Begegnung beim Turnier

Kapitel 7 Bewegte Jahre eines heimatlosen Marktgrafen

Kapitel 8 Wiedersehen in Prag

Kapitel 9 Der brave und eifrige Student

Kapitel 10 Steile Karriere an der Sorbonne

Kapitel 11 Wilde Jahre eines Freibeuters

Kapitel 12 Sturz in die Moldau

Kapitel 13 Rettung am Bosporus

Kapitel 14 Verwandlung einer Bestie

Kapitel 15 Verwandlung zum Rebellen der Kirche

Kapitel 16 Papst – König – Ketzer

Kapitel 17 Ein König ruft zum Konzil

Kapitel 18 Frühlingsgespräche und des Ketzers Herbst

Kapitel 19 Die Falle schnappt zu

Kapitel 20 Des Feiglings Flucht

Kapitel 21 Sieg der Intrige und kalten Arroganz

Epilog Des Königs Traum

Abbildungen

Prolog: Des Kaisers Traum

Ein wunderschönes helles rötlichgelbes Licht durchdringt die Dunkelheit des beginnenden Morgens. Vögel aller Arten sonnen sich in den Ästen hoch und prächtig gewachsener Bäume am Waldesrand. Sie singen frohe Lobgesänge in den lichterfüllten Morgen hinein. Menschen bewegen sich aus den vier Himmelsrichtungen kommend, im Reigen tanzend. Voll Freude und Glück setzen sie ihre Schritte. Ein helles und liebliches Lachen gesellt sich zu dem Zwitschern der Vögel und durchbricht die Stille. Eine himmlische Musik ertönt von überall her, von den Wäldern und inmitten eines herrlichen und prächtigen Schlosses, zu dem hin sich die Menschen im Reigen bewegen. Prachtvoll gekleidete Könige, Fürsten, Bauern und stolze Ritter begleiten ihre Frauen zum Tanze. Wunderbar langes und lockiges Haar, schwarzes und goldblondes, rotes und braunes, bedeckt die lieblichen Häupter der Frauen und deren schöne und lächelnde Antlitze. Sie singen voll innerem Entzücken zur englischen Musik. Lange Kleider, mit Gold und Silber bestickt und aus schönstem Samt und kostbarster Seide zieren ihre wohlgeformten Körper. Sie lachen und erfreuen sich des herrlichen Tages, der Sonne, der Vögel, der wunderbaren Natur, die in voller Blüte und schon zugleich in den herrlichsten Früchten steht.

Immer mehr Menschen mit ihrem Gefolge und lachende Kinder mit Blumenkränzen in den Haaren, fröhlich tanzend und hüpfend, betreten die sich weiter und immer weiter ausdehnende Bildfläche und sie bewegen sich im Kreise und in fröhlichem Reigen. Sie ziehen aneinander vorbei und sie verbeugen sich tief voreinander. Sie vereinigen sich am Ende eines jeden Reigens und sie umarmen sich dort voll überschäumender Freude. Überall gehen durch die Reihen jung vermählte Königs- und Fürstensöhne mit ihren himmlisch geschmückten Bräuten daher, sich liebkosend und scherzend, voll Freude und Frieden.

Es erscheinen immer mehr Schlösser und Burgen ins Bild und von ihnen aus ziehen lange und tanzende Prozessionen übers Land, von Schloss zu Schloss, von Burg zu Burg, von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf. Es herrscht ein reger Austausch mit zarten und sanften Worten zwischen all den Menschen. Kein Geschrei und kein Heulen sind zu vernehmen, kein Dröhnen und Lärmen.

Ein prächtig gekleideter älterer Herr mit kurzem, noch fast schwarzem Bart, verschmitzten Augen, nicht sehr groß von Gestalt und ein wenig hinkend. Auf seinem Haupte trägt er die kaiserliche Krone und in seiner Hand führt er eine noch sehr junge und schöne, aber auch zugleich starke Braut durch die von Menschen durchströmte herrlich göttlich-königliche Natur. Ihm folgt seine königliche Familie: zwei schon etwas ältere Töchter, die eine in einem engelweißen Gewande und mit einem Blumengebinde auf dem lockig wallenden schwarzen Haar, und ein noch sehr junger, kindlicher Prinz, gefolgt vom gesamten Hofgesinde. Sie verbeugen sich vor dem ihnen begegnenden Volk und sie nehmen die Grüße des Volkes voll Dankbarkeit und Freude entgegen. Der Festzug der Menschen endet an einer riesigen, nach allen vier Himmelsrichtungen ausgerichteten strahlenförmigen Tafel, die gefüllt ist mit den besten Früchten der Welt und mit den erlesensten Weinen. Und die Menschen trinken sich zu mit den liebevollsten Worten, kein falsches Wort ist von ihnen zu hören. Inmitten dieser menschengefüllten Tafel bewegt sich der kaiserliche alte Herr von Tisch zu Tisch und mit ihm ein ganz in Weiß gekleideter Mann in froher Unterhaltung. Sie grüßen freundlich die Menschen überall an der fürstlichen Tafel. Sie bleiben bei Fürsten und anderen gekrönten Häuptern stehen, ebenso auch bei einfachem Volke. Sie scherzen und lachen, sie singen und tanzen und sie sind alle unendlich froh.

Die beiden Männer, der mit der kaiserlichen Krone und der in herrlich weißem Gewande, treten nun an eine, vom übrigen Volke abgerückte und etwas entferntere Tafel, woran sich Männer mit großen und purpurnen Hüten, die mit purpurnen Wollkugeln besetzt sind, niedergelassen hatten. Diese Männer befinden sich in einem ernsten Gespräch, die Köpfe dicht beieinander gesteckt, mit todernsten Gesichtern. Sie scheinen den Kaiser und den Papst nicht zu bemerken, doch auf ein lautes Räuspern der Beiden stehen sie eilends auf und verbeugen sich tief vor ihnen nieder und mischen sich daraufhin, unwillig und mit ernster starrer Miene und arroganten Blicken, auch unter das übrige Volk.

Plötzlich wird es tiefdunkel. Ein Kaiser erwacht in tiefer Nacht. Es ist die Heilige Nacht der Weihnacht anno 1367 in der Prager Burg, dem Hradschin. Hoch über der schönen Moldau steht sie, stolz erhaben und umgeben von einer hohen Mauer. Neben der Burg erhebt sich der noch im Bau befindliche stolze und prachtvolle Dom mit seinen beiden hohen Türmen, dessen Chor noch nicht ganz vollendet ist. Sie ist dem heiligen Veit geweiht, jenem frühchristlichen Märtyrer, dessen Gebeine Karl erst vor zwölf Jahren hierhergebracht hatte. Auf diesen Gebeinen hatte Karl durch den berühmten deutschen Baumeister Peter Parler diese herrliche Kirche erbauen lassen.

Kaiser Karl hatte an diesem Abend in der Mitternachtsmette nach alter Tradition als Diakon feierlich und voll inniger Hingabe das Weihnachtsevangelium gesungen, in dem ja vom »Frieden überall auf Erden« so wunderbar berichtet wird: »Als Friede war auf der ganzen Erde« (Lukasevangelium 2,14). Und er denkt über das alte christliche Martyrologium nach, worin es heißt: »Im 42. Jahre der Regierung des Oktavianus Augustus, da Friede war in der ganzen Welt, da wollte Jesus Christus, ewiger Gott und Sohn des ewigen Vaters, die Welt durch seine gnadenvolle Ankunft heiligen!« Karl liegt so hellwach in seinem königlichen Gemach. Er denkt über sein riesiges Reich nach und über seinen soeben geträumten wunderbaren Traum von Frieden und Einigkeit unter den Völkern in seinem Reich, dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Dem durfte er in dieser Zeit als Kaiser dienen und in diesem hatte er selbst überall Frieden gestiftet. Er denkt über seine vielfältigen Friedensinitiativen nach, seine teilweise sehr mühevollen und zähen Gespräche zwischen den zerstrittenen Völkern und Fürsten und auch Fürstbischöfen. Er denkt an die einstigen Streitigkeiten zwischen den Polen und seinem Böhmen, zwischen den ungarischen Anjous und der Anjou-Familie von Neapel, zwischen König Ludwig und Königin Johanna. Er denkt an die Fehden zwischen Mailand und der Seemacht und Republik Venedig, die Fehden zwischen Paris/Avignon, wo die Päpste fast sechzig Jahre unter der Fuchtel der französischen Könige residierten, und Rom. Und schließlich erinnert er sich voll innerer Genugtuung und Freude, dass durch seine Hochzeit mit der erst sechzehnjährigen Prinzessin Elisabeth von Pommern vor vier Jahren Frieden zwischen seinem böhmischen Volke und dem der Polen entstanden ist, denn das Herzogtum Pommern gehörte ja zur polnischen Krone. Ja, es war überhaupt sein Traum und seine Politik, wie schon die seines großen Vorgängers Rudolf von Habsburg, durch Heirat zwischen den Königs- und Fürstenhöfen Frieden im Deutschen Reich zu schaffen.

Eine großartige Hochzeitsfeier, ein rauschendes Fest - eine Woche lang - war das damals gewesen zusammen mit seinem geliebten Freund und polnischen König Kasimir, dem Großvater Elisabeths, der zusammen mit seiner Familie und seinem Volke vor noch nicht vielen Jahren zum christlichen Glauben übergetreten war. Jetzt war dieser große König von Polen sozusagen sein Verwandter. Und er und die junge Kaiserin erwarten nun ein Kind, das erste Kind Elisabeths. Ja, Karl erinnert sich noch sehr gut an jene erste liebestolle Nacht mit Elisabeth, an ihr polnisches Temperament, so stark und doch so zärtlich zugleich. Nun liegt sie neben ihm, so entspannt, so ruhig, so schön und so kraftvoll und erhaben in ihrem gemeinsamen Gemach, tief im Schlafe versunken. Sie hatte ihn, der ja doch schon einundfünfzig Jahre zählt, wieder um zwanzig Jahre jünger gemacht.

Schon zwei Töchtern hatte Karl in seinen ersten beiden Ehen das Leben geschenkt. Die älteste, Margarete, ist schon tot. Sie ist mit fünfundzwanzig Jahren in unglücklicher Ehe mit König Ludwig von Ungarn-Anjou gestorben. Und einen Sohn hatte er in der dritten Ehe gezeugt, den kleinen, nun schon 9-jährigen Wenzel, so wie auch er selbst einmal hieß, bis man ihm in Paris den Namen Karl gab und ihn nach seinem französischen Großvater benannte.

Karl ist in dieser Nacht überglücklich, auch darüber, dass jetzt endlich nach vielen Jahren des sogenannten Babylonischen Exils - es waren nun schon bald 60 Jahre - der Papst, der höchste Vertreter der abendländischen Christenheit, im vergangenen Oktober aus Avignon wieder nach Rom zurückgekehrt ist, in die Stadt des Petrus und Paulus. Achtundfünfzig Jahre waren die Päpste in dieser französischen Stadt zu Hause gewesen und sie residierten dort wie weltliche Fürsten und Könige unter der Kuratel der Könige von Frankreich und deren Fürsten und Kardinäle. Sie lebten in Saus und Braus, manchmal auch in schamloser Unzucht, Völlerei und Orgien feiernd, sodass man überall im Reich das Lied »von der Brücke von Avignon, auf der die feine Welt tanzt« sang und dieses Treiben dort im ganzen Reich in aller Munde war.

Eine kecke und mutige Frau und Mutter von sechs Kindern aus einem vornehmen Hause in Schweden, Brigitta mit Namen, hatte den Papst Urban durch ihre herausfordernden Briefe schließlich zur Umkehr bewegen können. Sie nahm kein Blatt vor den Mund und scheute sich auch nicht, als Frau den Papst ernsthaft zu warnen und ihm den Tod und strenge Rechenschaft vor Gott vorauszusagen, sollte er wieder nach Avignon zurückkehren und die Kirche, die sich im Zerfall befand und in Reichtum und Völlerei verkam, nicht reformieren. Nun war er endlich heimgekehrt in die Ewige Stadt. Er, Karl, wollte ihn unbedingt im neuen Jahr in Rom besuchen. Dort sollte dann auch seine innigst geliebte Elisabeth in der Sankt Petersbasilika zur Kaiserin gekrönt werden. In diesem inneren Glück und in dieser Selbstzufriedenheit schläft der Kaiser schließlich wieder ein und versinkt ruhig in einen zweiten und tiefen Schlaf.

Doch alles ist plötzlich so ganz anders und schwarz, dunkel und grau. Die noch vorhin so strahlende Landschaft und die farbenprächtige Natur sind nun plötzlich von grauem Nebel tief verhangen. Die Musik bringt nur noch schrille Töne hervor und erlischt schließlich vollends in eine angsterregende laute Stille! Die Menschen hasten auseinander, auch geraten einige aneinander und gegeneinander. Und an manchen Orten ziehen Männer gar ihre Schwerter und gehen wild aufeinander los. Die Frauen verschwinden eilig und verängstigt mit ihren Kindern in ihre Gemächer oder in ihre Hütten und werden fortan nicht mehr gesehen. Nur einige einfache Frauen kümmern sich um verwundete Männer auf den Feldern. Alles ist plötzlich so ganz anders. Und es entstehen zwei sich gegenüberstehende große Gruppen von Männern und Rittern, in deren Mitte wiederum Männer mit purpurnen langen Gewändern und purpurnen Hüten, mit purpurnen Wollkogeln darauf, stehen. Ganz im Innersten jeder der beiden Gruppen steht ein Mann in weißen, langen und prächtigen Gewändern. Er wird umringt und geführt von denen in den purpurnen Gewändern und Hüten, die wiederum geführt werden von Fürsten und Königen.

Ein noch sehr junger Mann, mit der deutschen Königskrone auf dem Haupte und dem Adler auf seinem Wappen, steht ängstlich und ohnmächtig zwischen diesen beiden Gruppen. Er ringt mit den Händen und rauft sich die im Sturm flatternden Haare und weiß nicht, wem er sich anschließen soll. Und ein gieriger Schwarm von Geiern und Krähen aus beiden Gruppen strecken ihre Krallen nach ihm aus, um ihn zu ergreifen, um ihn ganz gefügig zu machen und um ihn schließlich zu erdrücken und zu diesem Tun sie sich nun anschicken mit ihren grässlichen und grimmigen Fratzen!

Aus dieser erdrückenden lauten Stille heraus ertönt zunächst leise und dann immer lauter werdende Trauermusik. Und ein dritter weißer Mann, der sich zuvor in einer längeren Metamorphose aus einem wilden und grimmigen Piraten langsam verwandelt in eine stattliche Erscheinung, tritt nun in seinem langen weißen und reinen Gewande und einer dreistöckigen Krone auf dem Haupte auf die Weltenbühne. Und ein neuer, nicht ängstlicher, gutaussehender, listiger König mit rötlich blondem, langem und lockigem Haar und einem ebenfalls rotblonden Bart, Einer, der scheinbar mit allen Wassern gewaschen ist, kommt aus dem Nebel und tritt in den Blick.

Da erwacht der Kaiser ein zweites Mal in dieser Nacht, schweißgebadet, voll innerer Dunkelheit und Leere in seinem Herzen. Und er schreit voller Angst und Elend laut aus seiner Kehle heraus: »Mein Gott! Mein Gott! Was war das für ein Traum?«

Eine schlaftrunkene Kaiserin blickt ihn mit halb geöffneten Augen erschreckt, verständnislos und mitleidig tief in seine leeren Augen.

Kapitel 1: Geburt eines Königs

Man schreibt das Jahr 1368, den 14. Februar, das Fest des heiligen Valentin, jenes römischen Märtyrers, an dessen Gedenktage nach altem Glauben die Vögel sich zu paaren beginnen. Dieser Tag gilt aber zugleich auch als Schicksalstag.

Es ist ein rauer und kalter Tag, alles andere als ein Paarungstag für Vögel. Eher ein Schicksalstag für Karls riesiges Römisches Reich Deutscher Nation. Bitterkalte spätwinterliche Nord-Ostwinde blassen um die kalten und dicken Burgmauern und durch die schlecht abgedichteten Fenster der mächtigen Kaiserpfalz in Nürnberg. Über zwei Ellen hoch liegt der Schnee nun schon seit Weihnachten und immer wieder war Neuschnee hinzugekommen. Ein rauer und furchterregender Wintertag geht seinem Ende zu. Die Sonne, die nun schon länger am Himmel steht, schickt ihre letzten Strahlen durch die Ritzen mächtiger Burgmauern. Kaiser Karl sitzt an diesem Abend zusammen mit seinem geliebten Burggrafen Friedrich von Zollern am offenen und warmen Kamin in fröhlicher Tafelrunde. Hier hält sich Karl sehr gerne auf, in Nürnberg, bei den vielen Jagden und Feiern, die es hier schon gegeben hat. Das üppige fränkische Essen und den guten fränkischen Wein genoss der Kaiser immer gerne in vollen, aber doch auch maßvollen Zügen. Zur Winterszeit bis zum Ende der kalten Wintertage gab es hier den von den Frauen in der Küche so liebevoll zubereiteten Lebkuchen zu essen, der aus edelsten Gewürzen gemacht wird, die von reichen Nürnberger Kaufleuten erst kürzlich aus den Ländern im Fernen Osten hierhergebracht wurden.

Die beiden, Karl und Friedrich, sind soeben bis auf die Haut verfroren von der Saujagd mit ihren Mannen zurückgekehrt. Ihre Diener haben ihnen sofort in warme, schöne und prunkvolle Kleidung verholfen, die liebevoll von vornehmen Hofdamen herbeigebracht worden waren. Sie selbst legten sich ihre Hermelin mäntel über und so liegen sie nun mit ihren Rittern und Knappen zu Tische und erfreuen sich des guten und reichlichen Essens: Wildschweinbraten, Mehlklöße und roter Kohl, und natürlich feinster Frankenwein. Sie sind in angenehmer und fröhlicher Unterhaltung. Aber sie sprechen auch über die Schwierigkeiten im Reich. Die Familie der neapolitanischen Anjous, unter Führung der Königin Johanna von Neapel, einer verwandtschaftlichen Nebenlinie des Königs Ludwig von Ungarn, hatte sich wieder zum Krieg gegen Ungarn gerüstet, um König Ludwig dort den Thron streitig zu machen und ihren Erbansprüchen zur Geltung zu verhelfen.

Zwischen den Gesprächen reichen die schön gekleideten und reizvollen Burgfrauen den leckeren Lebkuchen und füllen immer wieder neu die Becher der Männer mit edlen Weinen.

»Mein lieber Friedrich«, so spricht der Kaiser, »ich werde einen bösen Traum in der Weihnachtsnacht nicht los. Er verfolgt mich nun schon bald sechs Wochen lang und er kommt immer wieder in meine Gedanken zurück und erschüttert meine Seele zutiefst.« »Was war das für ein sonderbarer Traum, den du, mein geliebter Karl, in jener Heiligen Nacht der Weihnacht geträumt hast. Willst du dich mir anvertrauen?«

»Ja gerne, lieber Friedrich!«, und er spricht leise und dem Burggrafen noch näher zugewandt weiter: »Es waren eigentlich zwei Träume in jener Nacht, wovon der erste mich in ein wahrhaft friedvolles weihnachtliches Entzücken versetzt hat. Der nachfolgende Traum aber bereitet mir bis heute tiefste Ängste.« Und der Kaiser erzählt seinem teuersten Freund alles, was er geträumt hatte. »Lieber Friedrich, dieser böse Traum lässt mich nicht los. Ich weiß nicht, was er zu bedeuten hat. Ich habe ein schlimmes Gefühl in meinem Herzen, dass nämlich der Friede überall im Reiche nicht mehr von langer Dauer sein wird! Es kommt mir so vor wie die Ruhe vor einem gewaltigen Sturme.«

Eine lange und tiefe Stille tritt ein, die allen Anwesenden im Saal große Angst bereitet. Nach einer Weile der Betroffenheit berichtet Friedrich seinem Kaiser: »Mein lieber Kaiser! Mir ist gestern von einem italienischen Boten zu Ohren gekommen, dass Papst Urban mit dem Gedanken spiele, wieder nach Avignon zurückzukehren. Die Zustände in Rom und die Bedrängnisse überall in Italien seien ihm schon unerträglich geworden. Außerdem sei die Stadt mitsamt seinen Gebäuden in einem miserablen Zustand und er und die gesamte Kurie vermisse doch so sehr das tolle und ausschweifende Leben in Avignon.«

»Vielleicht schmecken ja die schönen und liebestollen Französinnen viel besser als die prüden und zurückhaltenden Römerinnen?« »Haha ha «, so schallt es durch die Tafelrunde. Ein heftiges Gegröle und Gelächter breitet sich aus, welches die angsterregende Stille endlich unterbricht.

Der Kaiser erhebt voll Sorge sein Haupt. »Warum hast du mir nicht gleich nach meiner Ankunft davon berichtet, lieber Friedrich? Diese Information ist für mich von höchstem Wert!«

»Ich wollte dich am ersten Tag noch nicht gleich beunruhigen. Heute Abend hätte ich dir, wie nun geschehen, davon ausführlich berichtet, mein Kaiser.« Der Kaiser verzieht sorgenvoll seine Stirn. Er denkt an seinen Traum in der Heiligen Nacht. Er kann sich noch keinen Reim auf diese Szenen machen. Die Atmosphäre an der Tafel ist nun gedrückt. »Schenke Wein ein, Magd, aber bitte reichlich. Und lass die anderen auch nicht vertrocknen! … Ich versteh das alles nicht mehr, lieber Friedrich. Nun sollte doch eigentlich nach dem heiligen Auftrage unseres Herrn Jesus Christus gerade die Kirche Zeichen der Einigkeit und des Friedens in der Christenheit sein. Gerade auch deshalb, um stark zu sein gegenüber seinen Feinden. Ich denke da gerade besonders an die immer stärker werdende Bedrohung durch die eroberungswütigen und wilden Türkenheere im Süden und Osten. Und da erweist sich die Kirche, allen voran der Papst und die falschen und machtgierigen Kardinäle und Fürstbischöfe, die sich ihr Amt zumeist erkauft haben, als der größte Hemmschuh für eine geistige und religiöse Einheit aller Deutschen im Heiligen Römischen Reich. Pontifex, Brückenbauer sollen sie sein, diese Herren Päpste und Kardinäle, doch reißen sie Brücken ein und stellen sich auf die Seite herrschsüchtiger, tyrannischer und idiotischer Könige wie der eines Karls von Frankreich! … Ja, ›die Kinder dieser Welt sind oft klüger als die Kinder des Lichtes‹! Hat das nicht unser Herr Jesus selbst einmal gesagt? Nun, lieber Friedrich, ich muss unbedingt noch in diesem Lenz nach Italien reiten, um dort die im Streit liegenden Städte und die Familienfehden zu schlichten. Anschließend werde ich an ›Sankt Petrus et Paulus‹ in Rom sein, bei Urban, um ihn an seine doch so große Verantwortung für die Völker und für die gesamte Christenheit zu erinnern und zu ermahnen! Morgen noch werde ich einen Boten nach Italien und Rom senden, um meinen baldigen Besuch anzukündigen!« - Da plötzlich, was ist das für ein langanhaltender Schrei, der durch die ganze Burg sich schallend ausdehnt, ein Schrei, der durch Mark und Knochen geht.

»Wird hier ein Schwein geschlachtet für die nächste Schmauserei?«, so ruft ein an der Tafel sitzender Ritter. Kaiser Karl bittet Friedrich darum, einmal nachschauen zu lassen, welcher Tumult und Aufruhr dort im Schlosse zugange sei. »Vielleicht eine Meuterei einer bestimmten Familienclique. … Nimm genügend Soldaten mit, lieber Friedrich!« Plötzlich platzt eine junge Kammerzofe der Kaiserin in die Tafelrunde hinein und schreit lauthals: »Zu Hilfe, zu Hilfe! Die Kaiserin bekommt zu früh ihr Kind und es ist keine Hebamme aufzufinden im ganzen Schloss! Zu Hilfe, mein Kaiser, zu Hilfe!« »Man schicke aus nach Nürnberg und suche eilends nach einer brauchbaren Hebamme, aber flott«, so schreit der Kaiser und schon eilen zwei Ritter nach draußen durch den tiefen Schnee zur Stadt hinein und verschwinden schnell in der Dunkelheit.

Währenddessen hat sich die Kaiserin, in ihrem Gemach liegend, wieder beruhigt. Doch wie aus heiterem Himmel schreit sie erneut laut auf und windet und krümmt sich in ihrem Bette. Hastig und kopflos laufen die Kammerzofen im Gemach der Kaiserin auf und ab und versuchen die Kaiserin festzuhalten, die aber wild um sich schlägt und eine der Zofen mitten auf die Nase trifft, welche sofort zu bluten beginnt. Verängstigt und schüchtern tritt der junge, erst 8-jährige Prinz Wenzel an die Schwelle zum Schlafgemach, hält sich beide Ohren zu und beginnt jämmerlich zu weinen. Die Kaiserin macht eine kurze Pause mit ihrem Geschrei und ihren Windungen. Da plötzlich setzt eine weitere und diesmal noch heftigere Geburtswehe ein. Nun kommt aber kein Geschrei aus ihrem Munde. Nur ihr Gesicht verzerrt sich zu einer unansehnlichen Fratze und sie geht langsam und überlegt in die Hocke, spreizt kniend ihre Beine ganz weit auseinander, reißt sich ihr langes Untergewand vom Leibe über den Kopf, sodass ihre schönen und prallen Brüste hervortreten und man ihren schon weit geöffneten Schoß sehen kann, und sie ruft ganz laut und vernehmlich: »Ein Hufeisen zur Hand, los, ein Hufeisen, aber schnell!« Noch ehe man sich umsieht, rennt der kleine Prinz in sein Gemach, holt sein großes Hufeisen unter seinem Lager hervor, das ihm noch gestern nach der Anreise der Stall- und Hufknecht geschenkt hatte, als er beim Beschlagen der Pferde zuschauen durfte Er rennt geschwind zurück zum Schlafgemach seiner Stiefmutter und seines Vaters und drückt einer Kammerzofe sein Hufeisen in die Hand und ruft: »Schnell, gib es der Kaiserin!« Seine Augen sind dabei weit geöffnet vor Schreck.

Die Kaiserin unterdrückt immer noch sehr beherrscht ihren heftigen Wehenschmerz, indem sie die Luft anhält und in der gespreizten Körperhaltung zu pressen begonnen hat. Kaum hat sie das Hufeisen in ihren Händen, beginnt sie mit beiden Armen, das Hufeisen fest umklammert, so heftig sich gegen dieses zu stemmen, um es zu zerbrechen. Sie tut dies mit dem Einsatz all ihrer Kräfte, sodass sie die Schmerzen der Geburtswehe unterdrückt. Und mit all ihrer Kraft mit der sie das Hufeisen zum Biegen bringt, drückt sie nun auch das Kind, dessen Köpfchen schon aus ihrem Schoß herausschaut, mit letztem Einsatz vollends heraus! Eine ängstliche Kammerzofe ist mittlerweile hinzugetreten, denn die Schläge, welche die Kaiserin vorhin verteilt hatte, braucht sie nunmehr nicht mehr zu befürchten. Diese Kräfte fließen ja nun ganz in das Hufeisen und von dort hinab in den Unterleib, aus dem die Kaiserin mit all ihrer Kraft ein neues Menschenkind vor aller Augen herauspresst.

Plötzlich erschallt ein hartes, lautes und kurzes Klirren, das aber noch lange in den Ohren der Umstehenden nachhallt, und das Hufeisen bricht auseinander. Der neugeborene Knabe liegt vor der Kaiserin im Bett, die noch immer mit weit gespreizten Beinen dort kniet, die Haare zerzaust und nun wie ein triumphierender Gladiator ihre Arme nach oben streckt. Sie hält die beiden Teile des Hufeisens in ihren Händen. Und vor lauter Glück stößt sie einen Schrei der Freude aus, so wie eine Hirschkuh nach deren Niederkunft! Anschließend lässt sie sich nach vorne fallen. Im selben Augenblick rennt eine einfach gekleidete, etwas schmuddelige Frau in einem armem und dunklem Gewande, das sie eilig beim Betreten des Gemaches von sich wirft, zur Tür herein. Sie läuft schnell zum Bett der Kaiserin, nimmt sich des Kindes an und gibt diesem einen Klaps auf den Hintern. Und sofort fängt der Knabe an zu schreien.

Der Kaiser ist inzwischen herbeigeeilt und hat das Schlafgemach erreicht. Er sieht seiner Elisabeth angstergriffen in die Augen. Doch diese schaut ihn lächelnd an und löst sich endlich von den beiden Hufeisenteilen. Sie streckt, entspannt und sehnsüchtig zugleich, ihre beiden Hände zum Kaiser hin aus! Währenddessen entfernt die Hebamme die Nabelschnur und legt sich den Knaben auf ihre rechte ausgestreckte Hand. Und während sie sich umdreht, ruft sie laut: »Holt heißes Wasser, aber schnell! Oh, seht euch diesen strammen kleinen Pisser an, pisst der mir doch glatt einen heftigen Strahl mitten ins Gesicht. Ich glaub, aus dem wird ganz sicher auch ein guter Ficker! Haha!«

Im Nu pirscht der Kaiser vor, entreißt den Knaben geschwind der Hebamme und ruft: »Gib mir den Knaben, du derbes, elendes Weib! Und lass dein schamloses Geschwätz! Du!« Karl schaut sich den Knaben lange an. Tief entspannt und glücklich lächelnd, wirft er anschließend einen Blick hinüber zu Elisabeth, die mithilfe der gebeutelten Hebamme gerade unter kleinen Wehen die Nachgeburt aus ihrer noch weit geöffneten Scham ausstößt und ihrem Kaiser dabei überglücklich dessen Lächeln erwidert. Nun dreht er sich um, zur Eingangstür hin, und schaut erhaben auf zum gesamten Hofgesinde, zu seinem Kronprinz Wenzel, der immer noch ängstlich und mit weit geöffneten Augen dort steht, und zu Friedrich, der gerade zur Tür geeilt kommt, und er ruft voller Stolz und Freude: »Seht! Den künftigen König vom Ungarland! So wahr ich Kaiser des Römischen Reiches bin: Dieser wird einmal mein Nachfolger sein! Sein Name sei Sigismund, denn er wird den Frieden wieder herstellen und bewahren!«

Und sogleich peitscht ein starker und eisiger Windstoß durch ein kleines, geöffnetes Burgloch an der Wand!

Kapitel 2: Geburt des Ketzers

Langsam steuert der im achtundzwanzigsten Jahre seines Lebens stehende, obschon noch jung an Jahren, aber doch sichtlich gealterte und abgemagerte Fuhrmann Michael aus dem kleinen südböhmischen Gänsedörfchen Husinec mit seinem Fuhrwagen, den ein alter, ausgemergelter und müder Klepper gemächlich hinter sich herzieht, das Stadttor von Prachatice an. Es ist schon von weitem am Horizont zu sehen. Er hat die Zügel nur leicht und locker in seinen Händen, die Ellbogen auf seinen Oberschenkeln aufgestützt, den Kopf vornüber herunterhängend, die Haare wild zerzaust. Tiefe Furchen und Falten hat er im Gesicht, die Augenhöhlen tief liegend mit darunter befindlichen dicken Tränensäckchen! Seine Fuhrmannskleidung ist auffallend ungepflegt und verwaschen. Obwohl der Abend schon angebrochen ist, ist es noch nicht dunkel. Erst so langsam verschwindet die Sonne hinter Michaels Rücken in einem dichten Fichtenwäldchen, sodass die Dämmerung nun so allmählich einsetzt. Es ist Sommer. Der längste Tag und die kürzeste Nacht stehen bevor. Noch singen die Vögel die herrlichsten Lieder von den Wipfeln der Bäume und Hecken, die ihm unterwegs begegnen. Doch scheint Michael diese gar nicht zu bemerken, denn Müdigkeit hat ihn überfallen, obwohl es doch so ein herrlicher, sonniger Frühsommertag gewesen ist. Der Alkohol, den er an diesem Tag in sich hineingeschüttet hat, zehrt an seinem ganzen Körper. So trottet er mit seinem Fuhrwagen langsam vor sich hin. Er war am späten Vormittag von Prag aufgebrochen, wohin er die Naturalien des ›Zehnten‹ der armen Bauern, die in den Zehntscheunen der Burg von Prachatice gelagert werden, gestern hingebracht hatte. In der Prager Burg hatte er alles abgeliefert und sich anschließend mit seinem Freund, dem Josef, dem Wirt, in der alten, verkommenen Gaststube etwas unterhalb des unteren Tores, das zum Hradschin hochführt, getroffen. In einem Sack, den er in einem Geheimfach im Fußboden seines Fuhrwagens immer versteckt hält, hatte er einige Flaschen Schnaps für den Sepp zurückbehalten, um sie ihm für ein gutes Quartier, ein gutes Essen und ein Amüsement in der Nacht zu überreichen. Ihre Begrüßung war herzlich und ausgelassen. Gleich nach der Übergabe des Schnapses ließen sie nicht lange auf sich warten und öffneten eine gute Flasche. Ohne dass sie es bemerkten, schütteten sie ein Glas nach dem anderen in ihre Kehlen hinein. Michael erzählte dem Josef all seinen Kummer frei vom Herzen weg. Dass seine Frau nun nach sechs Tod- und Fehlgeburten wieder einmal schwanger geworden war und dass sie bald, wohl Anfang August, entbinden werde. Er erzählte ihm auch von seinem großen Streit mit seiner Maria und dass er sich nun unbändig freue auf das nächtliche Gspusi in Sepps Quartier oben auf dem Dachboden. »Was war denn los mit deiner Mitzi«, fragte ihn Sepp erstaunt. »Wollte sie dir ihre süße kleine Spalte vorenthalten, du alter Hurenbock!«

»Ja, ganz richtig. Ich kam vor etwa drei Monaten eines späten Abends von Prag und vom Grafen von Prachatice zurück. Natürlich hatte ich unterwegs in zwei Gasthöfen noch ein paar Schnäpse mitgenommen, da lag meine Mitzi doch schon im Bett. Sie tat so, als ob sie schliefe. Aber dem alten Michael kann man ja da nichts vormachen. Ich merkte es sofort, dass sie bei dem Kerzenlicht nervös mit den Augen zwinkerte. Sogleich schlich ich mich langsam und vorsichtig zu ihr ins Bett, genoss erst ein wenig ihre tolle Wärme und ihre süßen Düfte. Dann riss ich ihr geschwind das Nachthemd hoch und war gerade im Begriff, sie so richtig an ihren molligen Titten zu packen, da sprang sie, wie von einer Tarantel gebissen, ganz plötzlich aus dem Bett und eilte aus unserem Zimmer in die enge Küche. Ich war da natürlich ganz schön erstaunt im ersten Moment, denn das hatte sie ja früher noch nie mit mir gemacht. Als ich die Situation endlich begriffen hatte, eilte ich ihr torkelnd hinterher und ergriff sie in der Küche am Arm um sie heftig zu schütteln und zu züchtigen. Doch sie sprang urplötzlich hoch, befreite sich aus meinem Griff, ergriff ein großes Stück Holz vom Kamin und schlug es mir auf meinen Schädel. Hui, der brummt heute noch manchmal wenn’s Regen gibt. Ich war zuerst benommen, und noch ehe ich mich umsah, warf sie sich eine Jacke über ihr Nachthemd und stürzte aus unserem kleinen Haus hinaus ins Freie. Sie eilte auf der verregneten schlammigen Straße schnurstracks auf die Kirche zu. Am Pfarrhaus vor der Kirche angelangt, donnerte sie verzweifelt und wild an die Haustür. Und noch ehe ich sie ergreifen und zu mir zurückholen konnte, öffnete sich die Pfarrhaustür und Mitzi wurde hineingelassen und sofort wurde die Tür wieder von innen verriegelt! Da stand ich nun, wie ein gerupfter Hahn, kapierte noch immer nicht, was eigentlich geschehen war. Doch nach einer Weile, als ich so da mit dem Rücken an der Pfarrhaustür angelehnt stand, begriff ich erst alles. So beschloss ich denn, mir einmal diesen Dorfpfarrer vorzuknöpfen, und pochte heftig und laut an die Tür. Es öffnete sich nach einer Weile ein kleiner Holzschieber in der Tür und ich sah einen Kopf, bedeckt mit einer Schlafmütze, hinter einer vorgehaltenen brennenden Kerze. Es war der Dorfpfarrer, den ich, zwar etwas geblendet, doch erkennen konnte. ›Geben Sie sofort meine Frau wieder heraus!‹, so fuhr ich ihn ungehalten an. Doch der erwiderte mir frech: ›Geh erst einmal nach Hause, lieber Michael, und schlaf dir deinen Rausch aus und komm morgen vorbei. Dann können wir über alles reden. Deine Frau jedenfalls bleibt diese Nacht hier im Pfarrhaus‹, so sprach er unmissverständlich zu mir. Stell dir das doch einmal vor, Sepp! Wie stand ich auf einmal da in dem Dorf und im Ansehen der doch ach so ehrbaren und braven Bürger von Husinec.« »Ist ja nicht zu glauben. Diese Pfaffenärsche. Die wollen uns armen Leuten das schönste Vergnügen, das es hier auf der Welt gibt, am liebsten ganz wegnehmen. Ja, weil sie es sich selbst nicht gönnen! Man sollte sie alle zum Teufel jagen, dieses Pack!«, so entsetzte sich Sepp. »Was hast du denn dann gemacht, Michael?« Plötzlich betrat eine gut gebaute und selbstbewusste junge Frau Sepps Spelunke. Ihre Kleidung wirkte sowohl überaus reizvoll wie auch etwas schmuddelig zugleich. Vor allem aber der tiefe Ausschnitt ließ Üppiges erahnen.

»Grüß Gott, liebe Teresa. Darf ich dir den Michael hier vorstellen!«, sprach Sepp sie sofort an und bot ihr den Platz neben Michael. Ganz schnell drückte und schmiegte sie sich an diesen heran und reichte ihm ihre rechte Hand. Dabei verneigte sie sich ganz vor ihm, sodass er in ihren tiefen Ausschnitt schauen konnte und ihre locker hängenden großen Brüste sah. Dabei bedeckte sie sein Gesicht fast völlig mit ihrem langen blonden Haar, das sich locker über ihm entfaltete.

»Hui, was sehen denn da meine gierigen Augen? Das wird ja bestimmt eine heiße Nacht mit dir. Komm, trink einen Schnaps mit uns und dann geh ganz schnell hoch ins Bettchen und mach es schön warm mit deinem wilden Feuer in deinem feurigen Leib, du tolles Weib, haha!« Sepp lachte ebenfalls laut auf und schenkte allen fröhlich von dem guten Schnaps ein. Die Frau grinste nur leicht und ließ mit ihren lüsternen Blicken keinen Augenblick von Michael ab. Und die drei schütteten den Schnaps hinunter, als ob es Wasser wäre. »Nun lass uns noch etwas allein, Teresa! Wir haben noch Wichtiges zu besprechen. Hau ab geschwind und mach das Bett!«, rief Michael ihr zu und schlug ihr mit seiner großen Handfläche voll auf ihr wohlgeformtes dickes Hinterteil, das sie ihm beim Rausgehen lüstern entgegengestreckt hatte. Und geschwind lief sie die steile Treppe hoch auf den mit dem Wirt verabredeten Dachboden.

»Erzähl weiter, Michael! Warst du am anderen Tag bei diesem Pfaffenarsch?« »Ja, natürlich. Was sollte ich denn machen. Und du glaubst es kaum, der war doch ganz freundlich zu mir. Hat mich sogar bewirtet. Aber meine Mitzi habe ich nirgends gesehen. Heiße Milch bot er mir an. Schnaps wäre mir lieber gewesen. Aber von diesem wollte er mir keinen geben. Auch nicht von dem guten fränkischen Wein, der doch reichlich in seinem Keller lagert, war er bereit etwas rauszurücken. Nach einer Weile fing er dann endlich an zu sprechen und ließ die Katze aus dem Sack. ›Mein lieber Sohn‹, so sprach er väterlich von oben herab mich an. Ich wäre am liebsten explodiert und hätte gerne seiner feinen Fresse eine gehörige Tracht Prügel verabreicht. Aber ich be herrschte mich, wollte ich doch nicht das ganze Dorf auf mich hetzen. Die hätten mich dann vielleicht als Hexer verbrannt. So hörte ich ihm mit großem innerem Groll zu. ›Mein lieber Sohn! Du weißt, dass deine Maria schon sechs Kinder verloren hat. Und du bist dabei nicht ganz unschuldig gewesen. Sie ist von zierlicher Gestalt. Da darf man nach der Empfängnis nicht mehr diesen teuflischen ekelerregenden Verkehr mit einer Frau wie Maria treiben. Dieser ist ja sowieso die schlimmste Todsünde auf Erden, außer man zeugt ein Kind, mein Sohn!‹, hat er zu mir gesagt. Und dabei erhob er den Zeigefinger und feierlich und erhaben sein Haupt mit todernstem Blicke. ›Auch dann ist dieser grässliche Verkehr noch etwas Tierisches, was aber wohl oder übel nicht zu vermeiden ist, wollen wir doch Gott in dieser Welt viele Kinder schenken! Du aber hast von diesem sündigen Treiben niemals abgelassen, hast Maria immer wieder gezwungen, mit dir diesen satanischen Verkehr zu tun‹, so fuhr er fort. Dieser elende Lüstling, der doch selbst immer gerne auf die Frauen im Dorf heimlich schielt, die ihre Brüste tief ausgeschnitten locker zeigen!« »Ja, ich weiß davon viel zu erzählen, lieber Michael! Die tollsten Dinge erzählt man hier in Prag, was der Papst und die Kardinäle alles in Avignon treiben. Fahr fort, Michael!« ›Ja, gequält hast du sie, bist wie ein elender Hengst auf ihr geritten, sodass sie alle ihre Kinder verloren hat, du rücksichtsloser Geselle! Und nun habe ich deine Maria für den Rest ihrer Schwangerschaft zu mir ins Pfarrhaus genommen, um sie vor dir Elendem zu schützen, damit das Kind, das sie jetzt in ihrem Schoß trägt, endlich leben kann. Und du kannst dich während dieser nur noch kurzen Zeit einmal besinnen und in dich gehen. Vielleicht findest du ja wieder zurück zu Gott und flehst zu ihm um sein Erbarmen und tust endlich einmal Buße!‹, so hat doch dieser Pfaffe zu mir gesprochen, lieber Sepp. Komm, schütte uns noch einen von dem guten Gesöff ein! Nastrovje!« »Nastrovje!«, antwortete der Sepp und trank mit Michael das ganz Glas aus. »Ja, lieber Michael, hast du dich denn damit abgefunden und hast deine Mitzi bei diesem Pfaffen gelassen?« »Was sollte ich denn tun? Der hat doch das ganze Dorf hinter sich und haust auch noch öffentlich in der Kirche über mich. Wenn ich nicht als Hexer verbrannt werden will, muss ich mich doch fügen und den reuigen Sünder in Husinec spielen. Was soll ich denn machen? Aber nun habe ich ja oben in deiner Kammer mein Vergnügen liegen, wofür ich dir, lieber Sepp, ganz herzlich danke. Komm, schütte noch einen ein! Ich werde diese mollige Stute da oben heute Nacht richtig zureiten, bis sie zusammenbricht und mir erschöpft den Schwanz ableckt! Hahaha!«

»Du Hurenbock, du alter Angeber. Sieh zu, dass du Deinen Schwanz heute Nacht überhaupt noch hochbekommst! Haha!«, erwiderte Sepp und so saßen sie noch eine Stunde fröhlich und lachend zusammen. Und Michael vergaß dabei, sein warmes Essen zu bestellen, das der Sepp ihm doch versprochen hatte und das ja im Preis für den gelieferten Schnaps einbegriffen war. Sepp freute sich insgeheim darüber und dachte: »Nun habe ich das Essen gespart für diesen alten Bock und oben wird er nachher von Teresa ordentlich geknöpft, sodass ihm morgen früh Hören und Sehen vergeht!« Auf einmal stand Michael ganz schnell auf, torkelte hinaus zum Wasser lassen, was er direkt vor dem Eingang erledigte, betrat wieder den Gastraum und rief: »Nun muss ich aber endlich nach oben zu meinem Vergnügen. Aber ich habe ja vor lauter Erzählen und Trinken das Essen vergessen! Egal, das, was ich hätte essen können, das habe ich nun zur Genüge getrunken, gell, Sepp! Haha!« Und er torkelte zweimal laut furzend die steile und enge Treppe zum Dachboden hinauf. Sein dunkles und tiefes Gelächter war noch lange zu hören. Als er den Dachboden erreichte, ließ er sich sogleich neben Teresas Lager niederfallen, um ihren nackten Körper zu umfangen. Sie lag nun schon lange auf dem lockeren Strohlager und rief ihm nun zu: »Na, da bist du ja endlich, mein kleiner Bock! Zeig mal her, was du zu bieten hast!« Und Michael wälzte sich mehrmals, sich dabei die schmuddelige Hose abstreifend, über ihr hin und her und machte verkrampfte Versuche, sein Glied, das nur zu einer geringen Steifheit anschwoll, in Teresas Scheide einzuführen. Doch es wollte nicht so recht klappen. Hinzu kam auch noch seine ihn urplötzlich übermannende Müdigkeit, die ihm nur noch ein paar unregelmäßige, lahme Bewegungen auf Teresas Körper ermöglichten. Dann glitt er zur Seite ab und versank halb angezogen in einen tiefen Schlaf. Ein lautes Schnarchen setzte sofort ein, das überall im Haus vernehmbar war! Teresa schlüpfte lachend und kichernd ganz schnell in ihre Kleidung, machte sich an der Jacke von Michael zu schaffen, die er noch anbehalten hatte, suchte in den Taschen nach Dukaten und fand schließlich neun, überließ ihm drei und verschwand still und heimlich vom Dachboden mit der Bemerkung: »Du halbes Hemd, kriegst keinen hoch und spielst den starken Mann! Geh zum Teufel!«, und verschwand nach unten in die Gaststube.

Lautlos hielt Sepp die Hand nach ihr ausgestreckt. Und sogleich holte Teresa die sechs Dukaten aus ihrem Ausschnitt hervor und gab sie ihm in die Hand. Sepp überlegte und gab ihr drei zurück mit der kurzen Bemerkung: »Wie abgemacht! Bis zum nächsten Freier, Teresa, morgen Abend um dieselbe Zeit! Gute Nacht!« Und sogleich verschwand sie in der Dunkelheit von Prag, in der man ruhig und gleichmäßig das beruhigende Rauschen der Moldau von weitem vernehmen konnte. Hinter der Brücke, die Kaiser Karl vor fünfzehn Jahren von dem großen Baumeister Peter Parler hatte bauen lassen, konnte man das Aufgehen des nächtlichen Vollmondes bewundern.

Am nächsten Morgen, es war schon zu später Stunde, weckte Sepp den Michael mit lauter Stimme, sodass dieser von seinem Lager aufschreckte und schlaftrunken rief: »Wie spät ist es, Sepp, und wo ist eigentlich Teresa? Ich hatte mich doch so sehr auf den morgendlichen Ritt mit ihr gefreut.«

Sepp rief aufgeregt zurück: »Wir haben verschlafen. Du musst dich beeilen, denn dein Weg nach Prachatice ist noch lang mit deinem alten Kleppergaul! Und Teresa musste heute Morgen schon früh ihre Kinder verpflegen und ist deshalb schon in der Nacht verschwunden. Beeile dich, dein Graf wartet, sonst kriegst du Ärger!« Und insgeheim dachte Sepp: »Nun habe ich auch das Frühstück für den Hurenbock gespart. Dem genügt ja auch ein gutes Glas voll Schnaps für den Rückweg.«

Eilends polterte Michael den Dachboden hinunter und begehrte im Vorbeilaufen das dargebotene Glas, lief nach draußen, um nach seinem Klepper und Fuhrwagen zu schauen und dem alten Gaul ein wenig Heu, das Sepp ihm zur Verfügung gestellt hatte, zu fressen zu geben. Wasser war ja in dem gleich nebenan befindlichen Brunnen reichlich vorhanden. Michael lief eilends zurück, nahm dem Sepp ein weiteres volles Glas Schnaps aus der Hand und goss es mit einem Schluck hinunter.

»So viel wie ein gutes und reichliches Frühstück, Sepp! Danke und bis bald, vielleicht in einem Monat. Vielleicht bin ich ja dann, wenn hoffentlich diesmal alles gut geht, stolzer Vater eines strammen Sohnes!« Und eilig schwang er sich auf den Bock seines Fuhrwagens, zog die Zügel an und gab dem alten Gaul die Peitsche, um endlich loszutraben über die Karlsbrücke der Stadt hinaus nach Süden in Richtung Prachatice! Ein herrlicher Sommertag war es. Die Vögel begleiteten ihn mit ihrem Gezwitscher und ihren Gesängen durch das sich öffnende Stadttor der Altstadt Prags und er ritt mit einem großen Kater und einem dröhnenden Kopf von dannen! Unterwegs langte er in seine Jackentasche, um nach den Dukaten zu sehen, und bemerkte voll Groll seinen Verlust. »Diese Hure, diese Hexe, dieses Teufelsweib! Hat mich doch tatsächlich ausgenommen. Dabei hatte ich doch schon alles dem Sepp bezahlt. Was mach ich denn nun? Woher bekomme ich nun noch Schnaps?«

Da erinnerte er sich wieder an das andere Geheimfach im Fuhrwagen und lächelte: »Hätte ich ja bald glatt vergessen im Suff!«, und trottete weiter auf der gut gepflasterten Straße der Sonne entgegen, weiter, immer weiter in der heißen Mittagshitze dieses herrlichen Sommertages. Am späten Abend aß er etwas von einem alten Stück Schinken und einem schon etwas schimmeligen Brot, das er noch in seinem Proviantsäckchen versteckt hatte, und legte sich anschließend todmüde unter seinen Fuhrwagen zum Schlafen nieder, etwas abseits des Weges hinter einer dichten Hecke. Am nächsten Morgen weckte ihn das Gezwitscher der Vögel und er brach sehr früh auf, nachdem er einen guten Schluck Schnaps getrunken hatte.

Michael ist so tief in sich und in seine Gedanken versunken, so dass er das Stadttor von Prachatice nicht bemerkt, welches er gerade erreicht hatte, als ihn plötzlich ein lauter und harter Schrei aus seiner Versunkenheit weckt: »Halt an, du da! Zeig, was du in deinem Wagen hast! Runter mit dir!« Geistesgegenwärtig, da ja Michael die ganze Prozedur kannte, hält er an, schwingt sich vom Bock und zeigt den Wachsoldaten den leeren Wagen. »Ach du bist es, Michael! Die grelle untergehende Sonne blendet ganz schön. Du sollst dich sofort zur Burg aufmachen; irgendetwas ist mit deiner Frau. Beeile dich! Die warten schon lange auf dich!« Sogleich schwingt sich Michael auf den Bock und gibt seinem alten und müden Klepper die Peitsche, der sofort ohne Zögern los trabt, der Burg entgegen. Dort wartet schon der Stall- und Zehntmeister auf ihn und schimpft laut: »Wo bleibst du denn? Du solltest doch schon vor vier Stunden hier sein. Der Graf wartet schon ungeduldig auf eine Botschaft von der Prager Burg. Und du sollst dich sofort nach Husinec auf den Weg machen, denn deiner Frau geht es offenbar nicht gut. Frühzeitige Wehen soll sie bekommen haben. Und der Pfarrer und die Hebamme des Dorfes tun alles, um das Kind zu retten. Diese Nachricht überbrachte uns ein Bauer von Husinec heute Mittag, der seine jungen Zehntschweine höchstpersönlich hier abgeliefert hat! Gib mir schnell das Schreiben von Prag für den Grafen und schere dich nach Hause! Morgen früh bist du aber wieder hier an Ort und Stelle, hast du verstanden! Du musst die nächste und noch größere Fracht nach Prag bringen. Denn die kaiserliche Familie will in drei Tagen nach Polen reisen, um König Kasimir zu Grabe zu tragen! Bring auch den Zehnten deiner jungen Gänse gefälligst mit, sonst setzt’s zu. Du weißt, du bist lang schon im Verzug mit deiner Abgabe, du Elender! Hau nun endlich ab!«

Eilig trabt Michael dem Stadttor zu, das die Soldaten schnell öffnen, als sie ihn kommen sehen. Und so reitet er hellwach dem sechs Meilen entfernt liegenden kleinen Nest Husinec merklich angespannt und mit großer Furcht und Angst entgegen.

»Hatte ich mir doch gedacht. Diese Mitzi ist einfach unfähig und stellt sich zu dumm an, ein Kind zur Welt zu bringen!«, so versucht sich Michael selbst freizusprechen und zu entschuldigen!

Als er schließlich kurz vor Mitternacht in Husinec ankommt, steht der volle Mond über der alten kleinen Holzkirche des armen Gänsedorfes Husinec. Michael hält sofort vor dem alten, baufälligen Pfarrhaus an. Der Gestank der durch die Sommerhitze im Straßenfloß stehenden stickigen Kloake nimmt ihm fast den Atem. Er hält sich die Nase zu, springt vom Bock und eilt in das leicht geöffnete Pfarrhaus, das von einer Kerze erleuchtet ist und in dem der Dorfpfarrer ihn schon erwartet. »Da bist du ja endlich. Komm mit! Maria kann ihr Kind nicht halten. Es ist zwei Monate zu früh!«, und er zerrt an Michaels Ärmel und führt ihn in die Nebenkammer, wo sich die alte und dicke Dorfhebamme eifrig um Mitzi bemüht, die auf einem mit leinenen Tüchern ausgelegten Lager ausgebreitet daliegt und sich vor großen Schmerzen krümmt und biegt. Ein Stück Holz hat man ihr in den Mund geschoben, auf dem sie sich beinahe mit verzerrten und verkrampften Gesicht die Zähne ausbiss. Marias Gesicht ist kreidebleich und der Schweiß tropft ihr nur so von der Stirn. Michael ist wie erstarrt vor Schreck. Und nach einem nochmaligen heftigen Aufbäumen und Stöhnen zieht die Hebamme ein winziges kleines Würmchen, ein kleines, blutbeschmiertes Köpfchen in ihrer rechten starken Hand, unter dem durchnässten dunklen Frauenrock hervor. Sie hebt es hoch, legt es geschwind mit dem Bauch nach unten in die andere Hand und gibt dem Würmchen einen Klaps auf den winzigen zierlichen Po, sodass es sofort anfängt heftig zu schreien. Maria stemmt sich sofort mit den Ellbogen etwas in die Höhe und erblickt ihren Michael, sieht das Kind und im selben Augenblick erscheint ein Lächeln auf ihrem Gesicht und vor lauter Glück und Dankbarkeit stammelt sie leise: »Michael, wir haben einen Sohn. Er lebt! Gott sei Lob und Dank! Auf Sankt Johannis Baptista ist er geboren. Er soll Gott geweiht sein, denn er ist ein Geschenk des Himmels. Nennen wir ihn Jan. Er soll die Menschen wieder zur Buße führen.« Und völlig erschöpft lässt sie sich auf ihr Lager zurückfallen und fällt in einen tiefen und ruhigen Schlaf.

Kapitel 3: Bestechung an der Sorbonne

Jean Marie d’Bason betritt mit stolzem Schritt die Treppe der weltberühmten Universität in Paris. Er hat sich soeben von seinem Kutscher vom städtischen Hospital »Spiritus sanctus« hierherbringen lassen.

Dort im Hospital, wo sich die bessere Gesellschaft mit allerlei kleinen und großen Leiden von den besten Ärzten des französischen Königreiches behandeln lässt, hat seine geliebte Barbette d’Bason soeben einem zarten Jungen das Leben geschenkt. Die Geburt war etwas kompliziert gewesen, sodass diese nicht zu Hause stattfinden konnte. Barbette hatte mächtige frühzeitige Wehen bekommen und die Leibärzte der angesehenen Familie befürchteten ernsthafte Komplikationen, sodass sie sich genötigt fühlten, sie als Vorsichtsmaßnahme ins Hospital bringen zu lassen. Doch entgegen aller Befürchtungen kam dann doch der kleine Pierre ganz normal zur Welt. Nur etwas klein und schwach ist er geraten, im Gegensatz zu dem zwei Jahre vorher geborenen, gut gewachsenen Jean, der damals kräftig und pausbackig das Licht der Welt erblickt hatte. Außerdem scheinen die kleinen und winzigen Füßchen des soeben geborenen Pierre etwas nach innen gewachsen zu sein, was wohl auf eine spätere körperliche Behinderung jetzt schon schließen lasse, so die Meinung der Ärzte. »Er wird wohl zu keiner körperlichen Anstrengung fähig sein. Und an die Reisen als Kaufmann unter den Gefahren, so wie ich sie schon erlebt habe, ist bei ihm schon gar nicht zu denken«, so denkt Jean Marie, als er das Universitätsforum erreicht. »Ich werde ihm jetzt schon die Möglichkeit erkaufen, dass er einmal eine geistige und höhere kirchliche Laufbahn einschlagen kann. Vielleicht wird er ja einmal Kardinal oder gar Papst in Avignon, aber ganz gewiss einmal Bischof, dafür habe ich mich ja hierher begeben, um dies jetzt schon in die Wege zu leiten«, so sagt er zu sich selbst und steuert leichten Schrittes das Gebäude des Rektors der Sorbonne an. Er trägt elegante, der heißen Sonne angepasste, leichte Kleider aus Samt und Seide, Stoffe, die er von seinen Kaufmannsfahrten mit nach Paris gebracht hatte und hier von seinen auf Eleganz und neuste Mode bedachten Schneidern hatte zuschneiden lassen! Einen schönen großen Hut trägt er auf dem Kopf, der mit einer langen Pfauenfeder geschmückt ist, ebenfalls auf seinen Reisen in Asien erworben.

Stolz und jung ist d’Bason, erst zweiundzwanzig Jahre alt und er hat es schon mit viel Glück und Können und einer reichlichen Mitgift von seiner adeligen Barbette in nur wenigen Jahren zu einem angesehenen und reichen Kaufmann in Paris gebracht. Sein erstgeborener Sohn, den er natürlich ebenfalls Jean getauft hatte, soll einmal in seine Fußstapfen hineintreten und sein reiches Gewerbe weiterbetreiben! Hier in Paris besitzt er eine große Tuchfärberei mit einem großen Lagerraum für die Stoffe aus Asien und Übersee. Auch besitzt er Lager für die verschiedensten Gewürze und Reis aus China und viele Zwiebelarten verschiedenster exotischer Pflanzen, sowohl essbarer wie auch von Zierpflanzen für die Gärten und Schlösser des Adels und des reichen Bürgertums in der Stadt. In nur vier Jahren hatte er es zu einem großen Vermögen gebracht. Natürlich besitzt er auch einen großen Kaufladen, in dem er all die gelagerten Dinge anbietet und verkauft. Die Schneiderei befindet sich gleich neben dem Lager für die Stoffe und neben der Färberei. Hier arbeiten die besten Zuschneider des Landes. Sehr beachtlich war bisher d’Basons Karriere gewesen! Natürlich ist er mittlerweile auch schon Mitglied im Stadtrat von Paris und ebenso ein einflussreicher Ratund Geldgeber des Königs Karl von Frankreich. Dieser König kann leider nicht haushalten, weil seine Intelligenz nicht sehr weit reicht. Viele munkeln gar, er sei verrückt Er gebe sich lieber der Schwelgerei und dem süßen Leben hin, umgeben von vielen Mätressen und Mäzenen, die sein Geld für raffinierte sogenannte Künstler verschleudern! Die Fäden aber hält der Hochadel zusammen, allen voran die einflussreichen Kardinäle, die sich allesamt ihre Ämter erkauft hatten. Diese hatten es auch mittlerweile wieder erreicht, dass sich Papst Urban vor zwei Jahren, wie schrecklich für die gesamte Christenheit, wieder aus dem heruntergekommenen Rom nach Avignon zurückbegeben hatte. Nun haben ihn der französische Adel und die französischen Kardinäle wieder voll im Griff! Das »freche Aas« von Brigitta aus Schweden hatte dem Urban wohl prophezeit, dass er, sollte er wieder nach Avignon zurückgehen, danach sehr bald sterben werde. »Aber dies ist doch alles Geschwätz einer bösartigen Hexe, die man schon lange hätte verbrennen sollen«, so denkt d’Bason auf seinem Weg zum Rektor und Kardinal. »Natürlich muss der Einfluss meiner Familie auch in der Kirche seinen Platz finden! Mit diesem kleinen Pierre schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe: Zu harten Arbeiten und anstrengenden Reisen wird er wohl nicht fähig sein, dafür ist er wohl aber für das Geistige und Geistliche umso mehr berufen. Diese Laufbahn muss ich meinem Sohn unbedingt ermöglichen, gleich heute, denn nächste Woche bin ich auf meiner sechsten Asienreise als Großkaufmann von Paris. Und bei all den vielen Gefahren, die dort immer auf einen lauern, die Überfälle durch wilde Türken, die Seldschuken an den Grenzen nach Persien, die überall ihr Unwesen treiben und verheerende Massaker immer wieder veranstalten, da ich weiß ich nie, ob ich lebend wieder nach Paris zurückkomme. Selbst bei all meiner körperlichen Robustheit, Schläue und Raffinesse«, so spricht er ganz bescheiden zu sich selbst. Ja, d’Bason ist wirklich ein großer und kräftiger Mann und dazu noch von äußerst gutem Aussehen, hat tiefschwarze Augen und einen wunderschönen schwarzen, auf Oberlippe und Kinn gewachsenen Bart. Die schönsten Frauen der besten Gesellschaft von Paris lassen ihre Blicke nicht von ihm weichen, wenn sie ihn sehen!

Nun steht er vor dem Zimmer des Rektors, hier, wo schon vor hundert Jahren der wohl berühmteste Theologe seit Augustinus, Thomas von Aquin, als erster Professor dieser Universität gelehrt hat und überall in der damaligen Welt berühmt wurde! Hier, in der wohl berühmtesten Universität der Welt, steht er nun, er, der hier an diesem Ort selbst nicht studiert hatte. Wozu auch. Er, der sich ja aus eigener Kraft und mit viel Geld hochgearbeitet hatte! Diese riesige Universität ist überaus prunkvoll ausgestattet im Vergleich zu ihren Anfängen vor etwa hundertzwanzig Jahren, anno 1252, als der bischöfliche Sekretär, Robert de Sorbon, diese als bescheidenes kleines theologisches Institut für arme Theologiestudenten erbauen ließ. Von Armut und Einfachheit ist hier jetzt wohl nichts mehr zu spüren. Längst haben sich die Studenten der reichen und angesehensten Familien von Paris und des restlichen französischen Königreiches hier eingenistet und sich ihrer bemächtigt! Für d’Bason ist dieses Institut für die Elite des Reiches eine Selbstverständlichkeit und Normalität in seinem Denken und Fühlen. Denn längst hat er vergessen, dass auch seine Familie noch vor hundert Jahren im Pariser Armenviertel lebte, bis sich dann sein Großvater vor vierzig Jahren als tapferer und kluger Soldat in den damals beginnenden und noch heute andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen wegen Erbstreitigkeiten zwischen den beiden Königshäusern von Frankreich und England bewährt und später als erfolgreicher Offizier ausgezeichnet hatte. Er wurde damals vom König persönlich in den Adelsstand erhoben und gelangte als königlicher Offizier zu hohen Ehren.

Nun betritt d’Bason, geführt von einem Sekretär, der ihn an der Pforte empfangen hatte, das Empfangszimmer des Rektors der Universität. Kardinal Duvalier ist von hohem und starkem Wuchs. Er ist in ein prunkvolles, bis über die Füße wallendes purpurrotes Gewand gehüllt, das ganz aus Samt und Seide besteht. Dadurch wird sein wohlgeformter und extrem dicker Körperumfang ein Stück weit kaschiert, bleibt aber dennoch nicht ganz verborgen. Seine langen Arme hat er etwas schlaff herunterhängen und die Hände unterhalb seines Bauchansatzes gefaltet. An seinem dicken, wulstigen Ringfinger trägt er einen überdimensionalen Ring, der mit einem großen Rubin besetzt ist. Am anderen Ringfinger trägt er seinen Bischofsring, in den seine bischöflichen Insignien eingraviert sind. Seinen erhabenes Haupt mit einer hohen Stirn hat er zurückgelegt. Sein weißes Haar ist bedeckt mit einer großen purpurroten Samtmütze, mit weißem Saum besetzt. Sein Blick erscheint streng, seine wulstigen Augenbrauen sind nach vorne gerichtet, aber auch sehr erwartungsvoll und etwas schelmisch zugleich. »Was verschafft mir die Ehre, lieber d’Bason, wohl wieder eine großherzige Spende für unsere Universität oder vielleicht ein paar neue seidene Gewänder für meine Kleidersammlung? Oder was sonst?«, so empfängt ihn der Kardinal.

»Sehr zu Ehren, Ihre Eminenz, sehr zu Ehren!«, erwidert d’Bason etwas verlegen und errötend zugleich. Der Sekretär zieht sich auf einen Wink des Rektors nach hinten zurück, schließt die Tür hinter sich und lauscht sogleich mit seinen überdimensional großen Ohren hinter der dicken Eichentür angestrengt dem Gespräch. »Ehrwürdige Eminenz, ich bin hier, um meinen soeben geborenen Sohn Pierre jetzt schon hier in Ihrem ehrwürdigen Institut anzumelden und für einen ordentlichen Preis, wie sich von selbst versteht, das Bischofsamt für ihn zu erwerben, zu dem er nach seinem Baccalaureus und Magister geweiht werden soll. Ich bitte dabei selbstverständlich um höchste Diskretion, wie sich das versteht, ansonsten ich meine großherzigen Anstrengungen nicht mehr in der Lage bin, zu tätigen. Ein schriftliches Dokument soll bei meinem Notar so lange aufbewahrt werden, bis der Zeitpunkt des Eintritts meines Sohnes hier an der Sorbonne kommt! Eminenz, Sie sind doch sicher an einer weiteren, guten und einvernehmlichen Zusammenarbeit interessiert, so wie ich vermute?« »Sehr wohl, lieber d’Bason, sehr wohl!«, antwortet Kardinal Duvalier verschmitzt und mit einem Lächeln auf seinem Gesicht. »Die enge Wohnung hier an der Sorbonne ist mir schon sehr lange ein Gräuel. Haben Sie da nicht eine kleine, bescheidene Villa am Rande unseres schönen Paris, mit einem bescheidenen Lustgärtchen an lauschigem und von gemeinem Volke abgewandtem Plätzchen? Vielleicht gar am Rande eines Waldes, mein Freund?«

»Ja, ja! Da hätte ich etwas für Sie, Eminenz. Eine alte große Villa vor der Stadt, noch aus der römischen Zeit, die nach den Völkerwanderungen niemals mehr bewohnt wurde und die ich unlängst zusammen mit einem großen Grundstück günstig erwerben konnte Die wäre gerade richtig für Sie, da Sie ja so sehr die römische Vergangenheit lieben und schätzen. Ich muss allerdings zuerst diese Villa, die sich in einem schlechten, teilweise verfallenen Zustand befindet, von einem guten Steinmetzen wieder herrichten lassen. Ich denke, nächstes Jahr im Frühling können Sie dort lustwandeln und sich der blühenden Natur erfreuen, vielleicht auch mit ein paar hübschen Dienstmägden als Gespielinnen. Wie wäre es Eminenz?« »Sehr gut! Sehr gut! lieber d’Bason. Ich bin hoch entzückt und fühle mich schon gleich um Jahre jünger, mein Freund! Haha!« »Gut, Eminenz. Ich lasse den Vertrag gleich heute noch aufsetzen und morgen von meinem Sekretär und Notar vorbeibringen, sodass Sie ihn besiegeln können. Halten Sie sich gesund! Nächstes Jahr, nach meiner Handelsreise nach Asien, besuche ich Sie draußen vor Paris, Eminenz!« Und mit einer schnellen und tiefen Verbeugung verabschiedet sich d’Bason und verlässt stolzen und schnellen Schrittes das Rektorat.

Kapitel 4: Die Geburt des Antichristen

Ein herrlich heißer Spätsommertag geht seinem Ende zu. Eine leichte kühle Brise weht von Nordwest über die sagen- und märchenhafte Bucht von Neapel und dessen Hafen. Von weitem sieht man die gigantischen Segelschiffe am Ufer ruhig hin und her schaukeln. Ganz im Hintergrund der mächtige Vesuv, der fast keine Wolken mehr um sich herumhat, was für einen Spätseptembertag ungewöhnlich ist. Die Menschen hier halten immer den Atem an, dass er nicht noch einmal ausbricht, wie anno 79 n.Chr., als er die drei zu seinen Füßen liegenden Städte Pompeji, Herculaneum und Stabiae in Schutt und Asche gelegt hatte. Rauch steigt hin und wieder immer mal aus seiner riesigen kraterförmigen Öffnung auf.

Ein Riesensegler mit der königlichen Flagge segelt gerade von Westen kommend den Hafen an. Zu Füßen sieht man das im letzten Jahrhundert erbaute grandiose »Castel Nuovo«, den königlichen Palast. In diesem regiert zurzeit Königin Johanna aus dem italienischen Zweig des aus der Provence stammenden Hauses der Anjous. Und in der Verlängerung, auf einer kleinen, am Ende nach Südwest spitz zulaufenden kleinen Felseninsel im Meer, das Castel dell’Ovo aus dem vorletzten Jahrhundert, in dem der aus dem letzten männlichen Zweig der französischen Anjous stammende Karl Anjou-Durazzo seinen Sommersitz hat. Ganz ruhig und behütet sieht man in der Stadt die anno 1224 erbaute Universität, umgeben von Parkanlagen. Ganz klein kann man die mit weißen Tuniken bekleideten Studenten auf dem Forum der Universität auf und ab gehen sehen, sich angeregt unterhaltend und dabei gestikulierend. Umrahmt sind die Universität und der königliche Palast von vielen großen Palästen der reichsten Bürger dieser schon sehr alten, aus dem 5. Jahrhundert vor Christus stammenden süditalienischen Stadt, deren Handelsflotte in der ganzen Welt bekannt ist und deren Bewohner mit reichen