Krankheit und Seele – Franz Anton Mesmer – Mary Baker – Sigmund Freud – Band 249 in der gelben Buchreihe - Stefan Zweig - E-Book

Krankheit und Seele – Franz Anton Mesmer – Mary Baker – Sigmund Freud – Band 249 in der gelben Buchreihe E-Book

Zweig Stefan

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Beschreibung

Stefan Zweig berichtet in diesem Buch über den Zusammenhang zwischen Krankheit und Seele. – Franz Anton Mesmer, Mary Baker arbeiteten mit Suggestion, um Kranken Linderung oder gar Heilung zu bringen. Sigmund Freud war um 1900 mit seiner Psychoanalyse bahnbrechend in der Heilung von Neurosen. Er entdeckte die fundamentale Rolle der Sexualität nicht nur für erwachsene Frauen und Männer, sondern auch für Kinder. – Mit vielen Bildern und Zusatzinformationen wird dieses von Stefan Zweig verfasste Buch neu herausgegeben. – Rezession: Ich bin immer wieder begeistert von der "Gelben Buchreihe". Die Bände reißen einen einfach mit. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechslungsreiche Themen aus verschiedenen Zeit-Epochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlicht hat. Alle Achtung!

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Seitenzahl: 507

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Stefan Zweig

Krankheit und Seele – Franz Anton Mesmer – Mary Baker – Sigmund Freud – Band 249 in der gelben Buchreihe

Band 249 in der gelben Buchreihe

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Der Autor Stefan Zweig

Sigmund Freud

Einleitung

Franz Anton Mesmer

Bildnis

Die ersten Versuche

Ahnungen und Erkenntnisse

Der zündende Funke

Der Roman des Fräuleins Paradis

Paris

Mesmeromanie

Die Akademie greift ein

Der Kampf um die Berichte

Der Mesmerismus ohne Mesmer

Heimkehr in Vergessenheit

Die Nachfolge

Mary Baker-Eddy

Das Leben und die Lehre

Vierzig verlorene Jahre

Quimby

Psychologie des Wunders

Paulus unter den Heiden

Bildnis

Die erste Stufe

Mary Baker-Eddys Lehre

Verwandlung in Offenbarung

Die letzte Krise

Christus und der Dollar

Rückzug in die Wolke

Die Nachfolge

Sigmund Freud

Situation der Jahrhundertwende

Charakterbildnis

Der Ausgang

Die Welt des Unbewussten

Traumdeutung

Die Technik der Psychoanalyse

Die Welt des Sexus

Abendlicher Blick ins Weite

Geltung in die Zeit

Die maritime gelbe Buchreihe

Weitere Informationen

Stefan Zweig: Die Heilung durch den Geist

Franz Mesmer

Mary Baker-Eddy

Impressum neobooks

Vorwort des Herausgebers

Vorwort des Herausgebers

Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuß der Hamburger Michaeliskirche.

Dabei lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.

Im Februar 1992 entschloss ich mich, meine Erlebnisse mit den See­leuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzu­tragen. Es stieß auf großes Interesse. Mehrfach wurde in Leser-Reaktio­nen der Wunsch laut, es mögen noch mehr solcher Bände erscheinen. Deshalb folgtendem ersten Band der „Seemannsschicksale“ weitere.

2021 Jürgen Ruszkowski

Ruhestands-Arbeitsplatz

Hier entstehen die Bücher und Webseiten des Herausgebers

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Der Autor Stefan Zweig

Der Autor Stefan Zweig

https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/zweig.html

Stefan Zweig, * 28. November 1881 in Wien – † 23. Februar 1942 in Petrópolis, Bundesstaat Rio de Janeiro, Brasilien, war ein österreichisch-britischer Schriftsteller, Übersetzer und Pazifist. Zweig gehörte zu den populärsten deutschsprachigen Schriftstellern seiner Zeit.

https://de.wikipedia.org/wiki/Stefan_Zweig

Stefan Zweig wurde am 28. November 1881 in Wien geboren und starb am 23. Februar 1942 in Petrópolis, Brasilien. Der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig kam aus großbürgerlich-jüdischer Familie. Er studierte in Wien und Berlin Philosophie, Germanistik und Romanistik. 1904 promovierte er zum Dr. phil. Nach der Promotion bereiste er Europa, Amerika, Afrika und Indien. Während des 1. Weltkriegs war er zuerst propagandistisch im Wiener Kriegsarchiv, dann in offiziösen Missionen in der Schweiz tätig.

Romain Rolland, * 29. Januar 1866 in Clamecy, Département Nièvre – † 30. Dezember 1944 in Vézelay, Burgund, war ein französischer Schriftsteller, Musikkritiker und Pazifist. Er wurde 1915 als dritter Franzose mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

Er engagierte sich zusammen mit Romain Rolland für den Frieden.

Nach Kriegsende lebte er bis 1933 mit seiner Frau Friderike in Salz-burg.

Friderike Zweig, geborene Burger, * 4. Dezember 1882 in Wien – † 18. Januar 1971 in Stamford, Connecticut, USA, war eine österreichische Schriftstellerin.

Von ihr löste er sich im Zug einer Übersiedlung nach England, 1941 zog er weiter nach Brasilien, nach Petropolis im Bundesstaat Rio de Janeiro.

Stefan Zweig

Unter Depression leidend, nahm er sich dort gemeinsam mit seiner zweiten Frau Lotte das Leben.

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Sigmund Freud

Stefan Zweig: Die Heilung durch den Geist

Franz Mesmer

Mary Baker-Eddy

Sigmund Freud

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Erstmals 1931 im Insel-Verlag erschienen

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Albert Einstein verehrungsvoll gewidmet

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Einleitung

Einleitung

Jede Bedrängnis der Natur ist eine

Erinnerung höherer Heimat.

Novalis

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Gesundheit ist für den Menschen das Natürliche, Krankheit das Unnatürliche. Gesundheit, sie nimmt der Körper als Selbstverständliches hin wie seine Lunge die Luft, wie sein Auge das Licht; stumm lebt und wächst sie mit im allgemeinen Gefühl des Lebens. Krankheit aber, sie drängt plötzlich als Fremdes herein, von ungefähr stürzt sie über die erschrockene Seele und rüttelt in ihr eine Fülle von Fragen wach. Denn da er von anderswo kommt, der schlimme Feind, wer hat ihn gesendet? Wird er bleiben, wird er weichen? Kann man ihn beschwören, erbitten oder bemeistern? Mit harten Krallen presst die Krankheit dem Herzen die gegensätzlichsten Gefühle ab: Furcht, Glauben, Hoffnung, Verzagen, Fluch, Demut und Verzweiflung. Sie lehrt den Kranken fragen, denken und beten, seinen verschreckten Blick ins Leere aufheben und ein Wesen erfinden, dem er seine Angst entgegenträgt. Erst das Leiden hat der Menschheit das Gefühl der Religion, den Gedanken eines Gottes erschaffen.

Weil Gesundheit dem Menschen naturhaft zugehört, erklärt sie sich nicht und will nicht erklärt sein. Seinem Leiden aber sucht jeder Gequälte jedes Mal einen Sinn. Denn dass die Krankheit sinnlos über sie falle, dass unverschuldet, ohne Ziel und Zweck plötzlich der Leib im Fieber brenne und bis in die Eingeweide hinab glühende Schmerzmesser wühlen – diesen ungeheuren Gedanken einer völligen Sinnlosigkeit des Leidens, der allein schon die moralische Weltordnung vernichtete, hat die Menschheit niemals zu Ende zu denken gewagt. Krankheit erscheint ihr allemal von jemandem gesendet, und der Unfassbare, der sie schickt, muss ihrer Meinung nach einen Grund haben, sie gerade in diesen einen irdischen Leib zu jagen. Irgendjemand muss dem Menschen böse sein, ihm zürnen, ihn hassen. Irgendjemand will ihn strafen für irgendeine Schuld, für einen Frevel, für ein übertretenes Gebot. Und das kann nur derselbe sein, der alles kann, derselbe, der die Blitze vom Himmel wirft, der Frost und Hitze über die Felder gießt und die Sterne entzündet oder verhüllt, ER, der alle Macht hat, der Allmächtige: Gott. Vom ersten Ursprung an ist darum das Geschehnis der Krankheit unlösbar dem Gefühl des Religiösen verbunden.

Die Götter senden die Krankheit, die Götter allein können sie wieder nehmen: dieser Gedanke steht unverrückbar am Eingang aller Heilkunde. Seines eigenen Wissens noch völlig unbewusst, hilflos, arm, einsam und schwach steht der Mensch der Urzeit im Feuerbrand seines Gebrechens und weiß keine Hilfe, als seine Seele im Schrei zu dem Zaubergott zu erheben, dass er von ihm ablasse. Nur den Schrei, das Gebet, die Opfertat weiß der primitive Mensch als Heilmittel. Man kann sich nicht wehren gegen Ihn, den Übergewaltigen, den Unbekämpfbaren im Dunkel: also muss man sich demütigen, seine Verzeihung erlangen, ihn anflehen, ihn erbitten, dass er den Schmerzensbrand wieder aus dem Fleisch nehme. Aber wie ihn erreichen, den Unsichtbaren? Wie zu ihm sprechen, dessen Behausung man nicht kennt? Wie ihm Zeichen geben der Reue, der Unterwürfigkeit, des Gelobens und der Opferwilligkeit, Zeichen, die ihm verständlich sind? Das weiß es nicht, das arme, unbelehrte dumpfe Herz der Menschheitsfrühe. Ihm, dem Unwissenden tut sich Gott nicht auf, in sein niederes Tagwerk beugt er sich nicht hinab, ihn würdigt er nicht seiner Antwort, ihm leiht er nicht sein Ohr. So muss in seiner Not der ratlose, machtlose Mensch sich einen anderen Menschen als Mittler zu Gott suchen, einen weisen und erfahrenen, der Spruch und Zauber kennt, um die dunklen Mächte zu versöhnen, die zürnenden zu begütigen. Und dieser Mittler ist in der Zeit der primitiven Kulturen einzig der Priester.

Kampf um die Gesundheit bedeutet also in der Urzeit der Menschheit nicht Kämpfen gegen die einzelne Krankheit, sondern ein Ringen um Gott. Alle Medizin der Erde beginnt als Theologie, als Kult, Ritual und Magie, als seelische Gegenspannung des Menschen gegen die von Gott gesandte Prüfung. Dem körperlichen Leiden wird nicht eine technische Handreichung, sondern ein religiöser Akt dawidergesetzt. Man untersucht die Krankheit nicht, sondern man sucht Gott. Man behandelt nicht ihre Schmerzerscheinungen, sondern sucht sie weg zu beten, weg zu sühnen, sie dem Gott mit Gelöbnissen, Opfern und Zeremonien abzukaufen, denn nur auf übersinnlichem Weg, wie sie gekommen, kann sie wieder weichen. So tritt noch eine volle Einheit des Gefühls der Einheit der Erscheinung entgegen. Es gibt nur eine Gesundheit und eine Krankheit und für diese wiederum nur eine Ursache und eine Heilung: Gott. Und zwischen Gott und dem Leiden gibt es nur ein und denselben Mittler: den Priester, diesen Behüter zugleich des Leibes und der Seele. Die Welt ist noch nicht zersplittert, noch nicht zweigeteilt, Glaube und Wissen bilden in der heiligen Stätte des Tempels noch eine einzige Instanz: Erlösung vom Leiden kann nicht vollbracht werden ohne gleichzeitigen Einsatz der seelischen Kräfte, ohne Ritus, Beschwörung und Gebet. Darum üben, kundig des geheimnisvollen Ganges der Sterne, Belauscher und Deuter der Träume, Meister der Dämonen, die Priester ihre ärztliche Kunst nicht als praktische Wissenschaft, sondern ausschließlich als Geheimnis. Unerlernbar, nur dem Geweihten überlieferbar, vererbt sie sich bei ihnen von Geschlecht zu Geschlecht, und obwohl sie medizinisch viel aus Erfahrung wissen, erteilen die Priester niemals einen bloß sachlichen Rat; immer fordern sie Heilgeschehen als Wunder und darum geweihte Stätte, Erhobenheit des Herzens und die Gegenwart der Götter. Nur gereinigt und geweiht an Leib und Seele darf der Kranke den Heilspruch empfangen: die Pilger, die zum Tempel in Epidaurus ziehen, weiten mühseligen Weg, müssen den Vorabend im Gebet verbringen, den Leib baden, jeder ein Opfertier schlachten, im Vorhof auf dem Fell des geopferten Widders schlafen und die Träume dieser Nacht zur Deutung dem Priester berichten: dann erst erteilt er ihnen gleichzeitig priesterliche Weihe und ärztliche Heilhilfe. Immer aber wird als erstes, unumgängliches Unterpfand alles Heilens die gläubige Annäherung der Seele an Gott gesetzt; wer das Wunder der Genesung will, muss sich dem Wunderbaren bereiten. Heillehre bleibt in ihrem Ursprung unlösbar von Gotteslehre, Medizin und Theologie sind anfangs ein Leib und eine Seele.

Diese Einheit des Anfangs wird bald gebrochen. Denn um selbständig zu werden und zwischen der Krankheit und dem Kranken praktischen Mittlerdienst zu übernehmen, muss die Wissenschaft die Krankheit ihres göttlichen Ursprungs entkleiden und die religiöse Einstellung – Opfer, Kult, Gebet – als völlig überflüssig ausschalten. Der Arzt stellt sich neben den Priester und bald gegen ihn – die Tragödie des Empedokles –, und indem er das Leiden aus dem Übersinnlichen in das allgemeine Naturgeschehen zurückführt, sucht er auch mit diesseitigen Mitteln, mit den Elementen der äußeren Natur, ihren Kräutern, Säften und Erzen die Störung der inneren zu beheben.

Empedokles – Ἐμπεδοκλῆς, * um 495 v. Chr. in Akragas, dem heutigen Agrigent auf Sizilien – † um 435 v. Chr. wohl auf der Peloponnes.

Der Priester beschränkt sich auf den Gottesdienst und lässt von der Krankenheilung, der Arzt verzichtet auf jede seelische Einwirkung, auf Kult und Magie: gesondert fließen fortab diese beiden Ströme jeder seinen eigenen Weg. Mit diesem großen Bruch der einstmaligen Einheit erhalten alle Elemente der Heilkunde sofort einen völlig neuen und umfärbenden Sinn. Vor allem zerfällt das seelische Gesamtphänomen „Krankheit“ in unzählige einzelne genau katalogisierte Krankheiten. Und damit löst sich ihr Dasein gewissermaßen von der seelischen Persönlichkeit des Menschen los. Krankheit bedeutet jetzt nicht mehr etwas, was dem ganzen Menschen, sondern was einem seiner Organe zustößt. – (Virchow auf dem Kongress zu Rom: „Es gibt keine Allgemeinkrankheiten, sondern nur mehr Organ- und Zellenkrankheiten.“)

Rudolf Virchow, * 13. Oktober 1821 in Schivelbein, Pommern – † 5. September 1902 in Berlin, war ein deutscher Arzt, Pathologe, Pathologischer Anatom, Anthropologe, Prähistoriker und Politiker.

Und so verändert sich naturgemäß die anfängliche Mission des Arztes, bezwingend der Krankheit als einer Ganzheit entgegenzutreten, zu der eigentlich geringeren Aufgabe, jedes Leiden ursächlich zu lokalisieren und einer systematisch längst gegliederten und beschriebenen Krankheitsgruppe zuzuweisen. Sobald der Arzt das Leiden diagnostisch richtig erkennt und beim Namen nennt, hat er das Eigentliche seiner Leistung schon meist zu Ende getan, und die Behandlung erledigt sich dann von selbst durch die für diesen „Fall“ vorausbefohlene Therapie. Vollkommen abgelöst vom Religiösen, vom Magischen, ein erstudiertes Erkenntniswissen, arbeitet die moderne Medizin statt mit individuellen Ahnungen mit sachlichen Sicherheiten, und wenn sie sich auch noch gern poetisch als „ärztliche Kunst“ bezeichnet, so darf dies hohe Wort nur noch im gemengten Sinn von Kunsthandwerk gelten. Denn längst fordert die Heilkunde von ihren Jüngern kein priesterliches Auserwähltsein mehr wie einst, keine geheimnisvoll visionären Kräfte, keinen übergewöhnlichen Einklang mit den universalen Mächten der Natur: Berufung ist Beruf geworden, Magie zum System, das Heilgeheimnis zu Arzneikunde und Organwissenschaft. Nicht mehr als seelischer Akt, als jedes Mal wunderbares Ereignis vollzieht sich eine Heilung, sondern als reine und beinahe rechnerische Vernunfthandlung von Seiten des Arztes; das Erlernte ersetzt das Spontane, das Schulbuch den Logos, den geheimnisvoll schöpferischen Priesterspruch. Wo das alte magische Heilverfahren höchste Seelenspannung forderte, erheischt die neue, die klinisch-diagnostische Methode vom Arzt das Gegenteil, nämlich nervenlose Helligkeit des Geistes bei vollkommenster sachlichster Seelenruhe.

Diese unvermeidliche Versachlichung und Verfachlichung des Heilprozesses musste im neunzehnten Jahrhundert zu noch übertriebenerer Steigerung gelangen: denn zwischen den behandelten und behandelnden Menschen schiebt sich ein drittes, ein vollkommen seelenloses Wesen ein: der Apparat. Immer entbehrlicher wird der durchschauende und die Symptome schöpferisch zusammenfassende Blick des geborenen Arztes für die Diagnose: das Mikroskop entdeckt für ihn den bakteriologischen Keim, das Messinstrument überprüft statt seiner den Schlag und Rhythmus des Bluts, das Röntgenbild erspart ihm die intuitive Schau. Mehr und mehr nimmt das Laboratorium dem Arzt in der Diagnostik ab, was an seinem Beruf noch Persönlichkeitserkenntnis war, und für die Behandlung wieder stellt ihm die chemische Fabrik schon fertig, dosiert und verschachtelt die Arznei bereit, die der Medikus des Mittelalters von Fall zu Fall sich eigenhändig mischen, bemessen und errechnen musste. Die Übermacht der Technik, die in die Medizin zwar später als überallhin, aber schließlich doch sieghaft eindringt, versachlicht den Heilprozess zu einem – großartig nuancierten und tabellierten – Schema: allmählich wird Krankheit, einstmals Einbruch des Außerordentlichen in die Persönlichkeitswelt, gerade das Gegenteil dessen, was sie in ihrem Urbeginn der Menschheit gewesen, sie wird meist ein „gewöhnlicher“, ein „typischer“ Fall mit vorausberechneter Dauer und mechanisiertem Ablauf, ein vernunftmäßig errechenbares Exempel. Zu dieser Rationalisierung von innen heraus tritt als mächtige Ergänzung die äußere durch Organisation; in den Kliniken, diesen Riesenwarenhäusern des menschlichen Elends, werden die Krankheiten genau wie in jenen geschäftlichen Betrieben nach Spezialabteilungen mit eigenen Betriebsleitern gesondert und ebenso die Ärzte aufgeteilt, laufende Bänder, die, von Bett zu Bett sausend, die einzelnen „Fälle“, immer nur das kranke Organ untersuchen, meist ohne Zeit, dabei einen Blick in das Antlitz des Menschen zu tun, aus dem das Leiden wächst. Die Mammutorganisationen der Krankenkassen, der Ambulatorien tragen ihr weiteres Teil zu dieser Entseelung und Entpersönlichung bei: ein überheizter Massenbetrieb entsteht, wo nicht ein einziger Funke innerlichen Kontakts zwischen Arzt und Patienten Zeit hat, zu zünden, wo auch nur ein Aufzucken jener magnetischen Geheimniskraft zwischen Seele und Seele bei bestem Willen immer unmöglicher wird. Als fossiles, vorweltliches Wesen stirbt dagegen der Hausarzt aus, dieser einzige, der noch den Menschen im Kranken kannte, nicht nur seinen körperlichen Zustand, seine Anlage und ihre Veränderungen, sondern auch seine Familie und damit manche seiner biologischen Bedingtheiten – er, der letzte, in dem noch etwas von der alten Dualität des Priesters mit dem Heilhelfer war. Aber die Zeit stößt ihn vom rollenden Band. Er widerspricht dem Gesetz der Spezialisierung, der Systematisierung wie die Pferdedroschke dem Automobil. Er passt, als zu menschlich, nicht mehr in die fortgeschrittene Mechanik der Medizin.

Gegen diese Entpersönlichung und vollkommene Entseelung der Heilkunde hat sich die breite, zwar unwissende, aber doch ahnungsvolle Masse des eigentlichen Volkes seit je gewehrt. Genau wie vor Tausenden von Jahren blickt heute der primitive, der noch nicht genug „gebildete“ Mensch die Krankheit als etwas Übernatürliches ehrfürchtig an, noch immer setzt er ihr den seelischen Akt des Hoffens, Fürchtens, des Betens und Gelobens entgegen, noch immer ist sein erster verbindender Gedanke nicht Infektion oder Arterienverkalkung, sondern Gott. Kein Lesebuch und kein Schullehrer wird ihn jemals überreden können, dass Krankheit auf „natürlichem“ Weg, also völlig sinnlos und unverschuldet entstehe; und darum misstraut er von vornherein jeder Praxis, die auf nüchternem, technischem, auf kaltem – das ist: seelenlosem – Weg Krankheit zu beseitigen verspricht. Die Ablehnung des gelernten Hochschularztes durch das Volk entspringt zutiefst dem Verlangen – einem Erbmasseninstinkt – nach dem universal verbundenen, Tier und Pflanzen verschwisterten, geheimniskundigen „Naturarzt“, der aus seiner Natur heraus, nicht durch Staatsexamina Arzt und Autorität geworden ist; das Volk will noch immer statt des Fachmannes, der ein Wissen von den Krankheiten, den „medizinischen Menschen“, der „Macht“ hat über die Krankheit. Mag auch längst der Hexen- und Teufelswahn sich im elektrischen Licht verflüchtigt haben, der Glaube an diesen wunderhältigen, zaubermächtigen Menschen ist viel weiter, als man sich öffentlich zugibt, lebendig geblieben. Und dieselbe erschütterte Ehrfurcht, die wir dem Genie, dem unbegreiflich schaffenden Menschen in einem Beethoven, einem Balzac, einem Van Gogh entgegenbringen, sie konzentriert noch heute das Volk auf jeden, in dem es höhere Heilkräfte als die normalen zu fühlen vermeint – noch immer begehrt es statt des kalten Mittels den warmblütigen lebenden Menschen, von dem „Macht ausgeht“, als Mittler.

Ludwig van Beethoven, getauft am 17. Dezember 1770 in Bonn, Haupt- und Residenzstadt von Kurköln – † 26. März 1827 in Wien, Kaisertum Österreich, war ein deutscher Komponist und Pianist. Er führte die Wiener Klassik zu ihrer höchsten Entwicklung und bereitete der Musik der Romantik den Weg.

Honore de Balzac, * 20. Mai 1799 in Tours; † 18. August 1850 in Paris) war ein französischer Schriftsteller. In den Literaturgeschichten wird er, obwohl er eigentlich zur Generation der Romantiker zählt, mit dem 16 Jahr älteren Stendhal und dem 22 Jahre jüngeren Gustave Flaubert als Dreigestirn der großen Realisten gesehen.

Vincent van Gogh, * 30. März 1853 in Groot-Zundert – † 29. Juli 1890 in Auvers-sur-Oise, war ein niederländischer Maler und Zeichner. Er gilt als einer der Begründer der modernen Malerei.

Kräuterfrau, Schäfer, Besprecher und Magnetiseur, eben weil sie nicht als Wissenschaft, sondern als Kunst und überdies als verbotene Schwarzkunst ihr Heil-Amt ausüben, reizen stärker sein Vertrauen als der pensionsberechtigte wohlstudierte Gemeindearzt im Dorf. Im gleichen Grad wie die Medizin technischer, vernunfthafter, lokalisierender wird, wehrt sich umso heftiger gegen sie der Instinkt der breiten Masse: dunkel und unterirdisch geht in den Tiefen des Volkes seit Jahrhunderten diese Strömung gegen die akademische Medizin trotz aller Volksschulbildung weiter und weiter.

Diesen Widerstand spürt die Wissenschaft seit langem und bekämpft ihn, aber vergeblich. Es hat nichts geholfen, dass sie sich sogar der Staatsmacht verbündete und ein Gesetz gegen Kurpfuscher und Naturheiler erzwang: Bewegungen, die im untersten Grund religiös sind, lassen sich niemals durch Paragraphen gänzlich ersticken. Im Schatten des Gesetzes wirken heute wie in mittelalterlichen Zeiten unzählige ungraduierte, im staatlichen Sinn also unrechtsmäßige Heilhelfer weiter, unablässig plänkelt der Guerillakrieg zwischen Naturheilverfahren, religiösen Heilungen und der wissenschaftlichen Therapie. Ihre eigentlich gefährlichen Gegner aber sind der akademischen Wissenschaft nicht aus den Bauernstuben und Zigeunerlagern erwachsen, sondern aus ihren eigenen Reihen; wie die Französische Revolution und jede andere ihre Führer nicht aus dem Volk nahm, sondern die Herrschaft des Adels eigentlich erschüttert wurde durch die Adeligen, die gegen ihn Partei nahmen, so sind auch in der großen Revolte gegen den übersteigerten Spezialismus der Schulmedizin immer einzelne unabhängige Ärzte die entscheidenden Wortführer gewesen. Der erste, der gegen die Entseelung, gegen die Entschleierung des Heilwunders kämpft, ist Paracelsus. Theophrastus Bombast von Hohenheim, genannt 

Theophrastus Bombast von Hohenheim, genannt Paracelsus, * 1493 oder 1494 in Egg, Kanton Schwyz – † 24. September 1541 in Salzburg,  war ein Schweizer Arzt, Naturphilosoph, Naturmystiker, Alchemist, Laientheologe und Sozialethiker.

Mit dem Morgenstern seiner bäurischen Grobheit geht er gegen die „Doctores“ los und schuldigt ihr papierenes Buchwissen an, den Mikrokosmos im Menschen wie eine künstliche Uhr zerlegen und wieder zusammenstückeln zu wollen. Er bekämpft den Hochmut, das dogmatisch Autoritative einer Wissenschaft, die jeden Zusammenhang mit der hohen Magie der natura naturans verloren habe, die Elementarkräfte weder ahne noch achte und das Strömende nicht spüre, das von der Einzelseele wie von der Weltseele ausgehe. Und so dubios auch seine eigenen Rezepturen heute anmuten, der geistige Einfluss dieses Mannes wächst gleichsam unter der Haut der Zeit weiter und bricht dann zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts in der sogenannten „romantischen“ Medizin vor, die, eine Seitengruppe der philosophisch-dichterischen Bewegung, wieder einer höheren Vereinheitlichung des Körperlich-Seelischen zustrebt. In ihrem unbedingten Glauben an das Universal-Beseelte der Natur verficht sie die Überzeugung, die Natur selbst sei die weiseste Heilerin und benötige den Menschen höchstens als Beihelfer. Wie das Blut gegen jedes Gift, von keinem Chemikus belehrt, sich Antitoxine schaffe, so wisse der sich selbst erhaltende und sich selbst umgestaltende Organismus meist völlig allein mit seiner Krankheit fertig zu werden. Hauptsinn aller Menschenmedizin müsse darum werden, den Gang der Natur nicht eigenwillig zu überkreuzen, sondern nur den innen allezeit bereitliegenden Gesundheitswillen im Krankheitsfall zu verstärken. Dieser Impuls könne aber auf seelischem, auf geistigem, auf religiösem Weg oftmals ebenso eindringlich bewirkt werden wie durch grobe Apparatur und das chemische Mittel; die eigentliche Leistung geschehe in Wahrheit doch immer nur von innen, nie von außen. Die Natur selbst sei der „innere Arzt“, den jeder seit seiner Geburt in sich trage und der darum mehr von den Krankheiten wisse als der Spezialist, der nur von außen den Symptomen nachtastet – zum ersten Mal ist Krankheit, der Organismus und das Heilproblem durch die romantische Medizin wieder als Einheit gesehen. Eine ganze Reihe von Systemen entwächst im neunzehnten Jahrhundert dieser Uridee vom Selbstwiderstand des Organismus gegen die Krankheit.

Franz Anton Mesmer, * 23. Mai 1734 in Iznang – † 5. März 1815 in Meersburg, war ein deutscher Arzt. Er führte „magnetische“ Kuren durch und begründete den animalischen Magnetismus, auch Mesmerismus genannt.

Mesmer gründet seine magnetische Lehre auf den „Gesundheitswillen“ im Menschen, die Christian Science auf die produktive Glaubenskraft der Selbsterkenntnis, und wie diese Heilmeister die innere, so verwenden andere die äußere Kraft der Natur: die Homöopathen die unvermengten Stoffe, Kneipp und die anderen Naturheillehrer die erneuernden Elemente Wasser, Sonne, Licht; alle aber verzichten sie einhelligermaßen auf jede chemische Medikamentierung, auf alle Apparatur und damit auf die entscheidenden neuzeitlichen Errungenschaften der Wissenschaft.

Sebastian Kneipp, * 17. Mai 1821 in Stephansried in Oberschwaben – † 17. Juni 1897 in Wörishofen, war ein deutscher römisch-katholischer Priester aus Bayerisch-Schwaben, der als Kaltwassertherapie betreibender Hydrotherapeut und Naturheilkundler bekannt geworden ist.

Der gemeinsame Gegensatz aller dieser Naturheilungen, Wunderkuren und „Heilungen durch den Geist“ gegen die schulmäßige Lokalpathologie, lässt sich in eine einzige knappe Formel fassen. Die wissenschaftliche Medizin betrachtet den Kranken und seine Krankheit als Objekt und weist ihm beinahe verächtlich die Rolle absoluter Passivität zu; er hat nichts zu fragen und nichts zu sagen, nichts zu tun als den Anordnungen des Arztes gehorsam und sogar gedankenlos zu folgen und sich selbst möglichst aus der Behandlung auszuschalten. In diesem Wort „Behandlung“ liegt der Schlüssel. Denn während in der wissenschaftlichen Medizin der Kranke als Objekt „behandelt“ wird, verlangt die seelische Heilkur vom Kranken vor allem, dass er selbst seelisch handle, dass er als Subjekt, als Träger und Hauptvollbringer der Kur, die höchste ihm mögliche Aktivität gegen die Krankheit entfalte. In diesem Aufruf an den Kranken, sich selbst seelisch aufzuraffen, sich zur Willenseinheit zusammenzufassen und diese Ganzheit seines Wesens der Ganzheit der Krankheit entgegenzuwerfen, besteht das eigentliche und einzige Medikament aller psychischen Kuren, und meist beschränkt sich der Hilfsakt ihrer Meister auf nichts anderes als auf das gesprochene Wort. Wer aber weiß, welche Wunder der Logos, das schöpferische Wort, zu wirken vermag, diese zauberische Schwingung der Lippe ins Leere, die doch unzählige Welten erbaut und unzählige Welten zerstört hat, den wird es nicht erstaunen, dass auch in der Heilkunst wie in allen anderen Sphären einzig durch das Wort zahllose Male wahrhafte Wunder geschehen sind, dass bloß durch Zuspruch und Blick, diese Sendezeichen von Persönlichkeit zu Persönlichkeit, manchmal in völlig niedergebrochenen Organen Gesundheit noch einmal nur durch den Geist auferbaut werden konnte. Durchaus wunderbar, sind solche Heilungen weder Wunder noch Einmaligkeiten, sondern sie spiegeln nur undeutlich ein uns noch geheimes Gesetz höherer Zusammenhänge zwischen Körper und Seele, die vielleicht kommende Zeiten deutlicher ergründen werden; genug schon dies für unsere Zeit, dass sie die Möglichkeit der Kuren auf rein seelischem Weg nicht länger leugnet und eine gewisse befangene Ehrfurcht Erscheinungen zollt, die rein wissenschaftlich nicht zu deuten sind.

Diese eigenwilligen Absonderungen einzelner Heilmeister von der akademischen Medizin gehören für mein Empfinden zu den interessantesten Episoden der Kulturgeschichte. Denn nichts innerhalb der Geschichte, der tatsachenhistorischen wie jener des Geistes, lässt sich an dramatischer Kraft der seelischen Leistung vergleichen, wenn ein einzelner, schwacher, isolierter Mensch sich allein gegen eine riesige, die ganze Welt umspannende Organisation auflehnt.

, gestorben 71 v. Chr. in der Zweiten Schlacht am Silarus, war ein römischer Sklave und Gladiator.

Ob Spartakus, der geprügelte Sklave, gegen die Legionen und Kohorten des Römerreichs oder Pugatschew, der arme Kosak, gegen das gigantische Russland oder Luther, der breitstirnige Augustinermönch, gegen die allmächtige fides catholica – immer wenn ein Mensch nichts als seine eigene innere Glaubenskraft gegen alle verbündeten Mächte der Welt einzusetzen hat und sich in einen Kampf wirft, der unsinnig scheint in seiner völligen Aussichtslosigkeit, gerade dann teilt sich seine Seelenspannung schöpferisch den Menschen mit und schafft aus dem Nichts unermessliche Kräfte.

Jemeljan Iwanowitsch Pugatschew, Емельян Иванович Пугачёв, * ca. 1742 in Simowejskaja, – † 1775 in Moskau, war ein Don-Kosak.

Martin Luther, * 10. November 1483 in Eisleben, Grafschaft Mansfeld – † 18. Februar 1546 ebenda, war ein deutscher Augustinermönch und Theologieprofessor, der zum Urheber der Reformation wurde. 

Jeder unserer großen Fanatiker für die „Heilung durch den Geist“ hat Hunderttausende um sich geschart, jeder mit seinen Taten und Heilungen das Bewusstsein der Zeit erregt und erschüttert, von jedem sind mächtige Strömungen in die Wissenschaft übergegangen. Phantastisch, sich die Situation auszudenken: in einem Zeitalter, da die Medizin dank einer märchenhaften Ausgestaltung ihrer Technik tatsächliche Wunder vollbringt, da sie die winzigsten Atome und Moleküle lebendiger Substanz zu zerteilen, beobachten, fotografieren, messen, beeinflussen und zu verändern gelernt hat, da ihr alle andern exakten Naturwissenschaften hilfreich Gefolgschaft leisten und nichts Organisches mehr Geheimnis scheint – gerade in diesem Augenblick zeigt eine Reihe unabhängiger Forscher die Überflüssigkeit dieser ganzen Apparatur in vielen Fällen. Sie tun öffentlich und unwiderlegbar dar, dass auch heute mit nackten Händen nur auf seelischem Weg Heilungen genauso wie einst erzielt werden können, sogar in solchen Fällen, wo vor ihnen die großartige Präzisionsmaschinerie der Universitätsmedizin vergebens gearbeitet hatte. Von außen gesehen, ist ihr System unbegreiflich, beinahe lächerlich in seiner Unscheinbarkeit; Arzt und Patient sitzen friedlich beisammen und scheinen bloß zu plaudern. Keine Röntgenplatten, keine Messinstrumente, keine elektrischen Ströme, keine Quarzlampen, nicht einmal ein Thermometer, nichts ist vorhanden von dem ganzen technischen Arsenal, das den berechtigten Stolz unseres Zeitalters bildet, und doch wirkt ihre uralte Methode oft mächtiger als die fortgeschrittene Therapie. Dass Eisenbahnzüge fahren, hat an der seelischen Konstitution der Menschheit nichts geändert – bringen sie nicht alljährlich zur Grotte von Lourdes Hunderttausende von Pilgern, die dort einzig durch das Wunder genesen wollen? Und dass Hochfrequenzströme erfunden sind, ändert ebenso wenig die Seeleneinstellung zum Geheimnis, denn sie zaubern, in den magischen Stab einer seelenfängerischen Persönlichkeit versteckt, 1930 in Gallspach eine ganze Stadt mit Hotels, Sanatorien und Vergnügungsstätten aus dem Nichts um einen einzigen Menschen herum. Keine Tatsache hat so sichtlich wie der tausendfältige Erfolg der Suggestionskuren und sogenannten Wunderheilungen bewiesen, welche ungeheuren Glaubensenergien noch im zwanzigsten Jahrhundert bereitliegen und wie viel an praktischer Heilungsmöglichkeit von der bakteriologisch und zellular orientierten Medizin durch lange Jahre bewusst vernachlässigt worden ist, weil sie hartnäckig jede Möglichkeit des Irrationalen leugnete und die seelische Selbsthilfe eigenwillig aus ihren exakten Berechnungen ausschloss.

Selbstverständlich hat kein einziges dieser neu-alten Gesundheitssysteme die herrliche, die in ihrer Durchdachtheit und Allfältigkeit unübertreffliche Organisation der modernen Medizin nur einen Augenblick ins Wanken gebracht; der Triumph einzelner seelischer Kuren und Systeme beweist durchaus nicht, dass die wissenschaftliche Medizin an sich unrecht hatte, sondern bloß jener Dogmatismus, der sich immer ausschließlich auf die letztgefundene als die allgültige und einzig mögliche Heilmethode versteifte und jede andere frech als unmodern, unrichtig und unmöglich verhöhnte. Dieser Autoritätsdünkel allein hat einen harten Stoß erlitten. Nicht zuletzt durch die nicht mehr abzuleugnenden Einzelerfolge der hier darzustellenden psychischen Heilmethoden ist eine sehr heilsame Nachdenklichkeit gerade bei den geistigen Führern der Medizin eingetreten. Ein leises, aber selbst für uns Laien schon vernehmbares Zweifeln hat in ihren Reihen begonnen, ob (wie ein Mann vom Rang Sauerbruchs öffentlich zugibt) „die rein bakteriologische und serologische Auffassung der Krankheiten nicht die Medizin in eine Sackgasse geführt habe“, ob nicht tatsächlich durch den Spezialismus einerseits und anderseits durch die Vorherrschaft der quantitativen Berechnung statt der Persönlichkeitsdiagnose die Heilkunst sich aus dem Dienst am Menschen langsam in etwas Selbstzweckhaftes und Menschenfremdes umzuwandeln beginne, ob nicht schon – um eine ausgezeichnete Formel zu wiederholen – „der Arzt zu sehr Mediziner geworden sei“.

Ferdinand Sauerbruch, *  3. Juli 1875 in Barmen, heute Stadtteil von Wuppertal – † 2. Juli 1951 in Berlin, war ein deutscher Chirurg und Sanitätsoffizier. Er war Generalarzt, Staatsrat, Geheimrat, Hochschullehrer und einer der bedeutendsten und einflussreichsten Chirurgen des 20. Jahrhunderts. 

Was man heute als „Gewissenskrise der Medizin“ bezeichnet, bedeutet aber durchaus keine enge Fachangelegenheit; sie ist eingebettet in das Gesamtphänomen der europäischen Unsicherheit, in den allgemeinen Relativismus, der, nach Jahrzehnten diktatorischen Behauptens und unbedingten Verwerfens in allen Kategorien der Wissenschaft, die Fachmenschen sich endlich wieder einmal zurückwenden und fragen lehrt. Eine gewisse Weitherzigkeit, sonst den Akademischen bedauerlich fremd, hebt an, sich erfreulich abzuzeichnen: so bringt das ausgezeichnete Buch von Aschner über die „Krise in der Medizin“ eine ganze Fülle überraschender Beispiele, wie Kuren, die gestern und vorgestern als mittelalterlich verlacht und angeprangert wurden (etwa der Aderlass und das Brennen), heute wieder die neuesten und alleraktuellsten geworden sind.

Bernhard Aschner, * 27. Januar 1883 in Wien – † 9. März 1960 in New York City, war ein österreichischer Gynäkologe und Geburtshelfer, Endokrinologe und Medizinhistoriker.

Gerechter und endlich neugierig auf ihre Gesetzmäßigkeiten blickt die Medizin auf das Phänomen der „Heilungen durch den Geist“, die noch im neunzehnten Jahrhundert verächtlich von den Graduierten als Schwindel, Lüge und Humbug abgefertigt und verlacht wurden, und ernste Bemühungen sind im Gange, ihre außenseitigen, weil rein psychischen Errungenschaften den exakt klinischen langsam anzupassen. Unverkennbar fühlt man bei den klügsten und menschlichsten unter den Ärzten ein gewisses Heimweh nach dem alten Universalismus, eine Sehnsucht, von der ausschließlichen Lokalpathologie zu einer Konstitutionstherapie zurückzufinden, zum Wissen nicht nur von den Einzelkrankheiten, die den Menschen befallen, sondern von der Persönlichkeit, die dieser Mensch darstellt. Nachdem die schöpferische Wissbegier den Körper und die Zelle als allgemeine Substanz beinahe bis zum Molekül herab erforscht hat, wendet sie endlich wieder den Blick zur Ganzheit des jedes Mal anderen Krankheitswesens und sucht hinter den lokalen noch höhere Bedingtheiten. Neue Wissenschaften – die Typenlehre, die Physiognomik, die Erbmassenlehre, die Psychoanalyse, die Individualpsychologie – bemühen sich, gerade das Nichtgattungsmäßige jedes Menschen, die einmalige Einheit jeder Persönlichkeit wieder in den Vordergrund der Betrachtung zu drängen, und die Errungenschaften der außerakademischen Seelenkunde, die Phänomene der Suggestion, der Autosuggestion, die Erkenntnisse Freuds, Adlers, beschäftigen immer stärker die Aufmerksamkeit jedes nachdenkenden Arztes.

Sigmund Freud, * 6. Mai 1856 in Freiberg in Mähren, Kaisertum Österreich, als „Sigismund Schlomo Freud“ – † 23. September 1939 in London.

Alfred Adler, * 7. Februar 1870 in Rudolfsheim – † 28. Mai 1937 in Aberdeen, war ein österreichischer Arzt und Psychotherapeut. Er entstammte einer jüdischen Familie und konvertierte im Jahr 1904 zum Protestantismus.

Seit Jahrhunderten getrennt, beginnen die Ströme der organischen und der seelischen Heilkunde sich einander wieder zu nähern, denn zwangsmäßig kehrt – Goethes Bild der Spirale! – alle Entwicklung auf immer höherer Ebene zum Punkt ihres Ausgangs zurück. Alle Mechanik fragt am Ende nach dem letzten Gesetz ihrer Bewegung, alle Vereinzelung strebt wieder zurück in die Einheit, alles Rationale mündet immer wieder ins Irrationale; und nachdem Jahrhunderte einseitig strenger Wissenschaft Stoff und Form des menschlichen Leibes bis hinab zu den Fundamenten ergründet haben, beginnt wieder die Frage nach „dem Geist, der sich den Körper baut“.

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Dieses Buch will keineswegs eine systematische Geschichte sämtlicher seelischen Heilmethoden sein. Mir ist es nur gegeben, Ideen in Gestalten darzustellen. Wie ein Gedanke in einem Menschen Wachstum gewinnt und dann über diesen Menschen hinaus in die Welt, dieses geistig-seelische Geschehnis scheint mir immer eine Idee sinnlicher zu veranschaulichen als jedes historisch-kritische Referieren. Darum habe ich mich begnügt, nur drei Menschen zu wählen, die, jeder auf anderem und sogar gegensätzlichem Weg, das gleiche Prinzip der Heilung durch den Geist an Hunderttausenden verwirklichten: Mesmer durch suggestive Verstärkung des Gesundheitswillens, Mary Baker-Eddy durch die chloroformierende Ekstatik der Glaubenskraft, Freud durch Selbsterkennung und damit Selbstbeseitigung der unbewusst lastenden Seelenkonflikte. Persönlich habe ich keine dieser Heilmethoden weder als Arzt erproben können, noch ist sie an mir als Patienten erprobt worden; an keine bindet mich Fanatismus der Überzeugung oder private Dankbarkeit. So hoffe ich, indem ich ausschließlich aus psychologischer Gestaltungsfreude diese Gestalten darstelle, unabhängig geblieben und im Bild Mesmers nicht Mesmerist, in jenem Baker-Eddys nicht Christian-Scientist, in jenem Freuds nicht restloser Psychoanalytiker geworden zu sein. Ich bin mir voll bewusst, dass jede dieser Lehren nur wirksam werden konnte durch Übersteigerung ihres Prinzips, dass jede eine überspitzte Form in anderer Überspitzung darstellt, doch getreu Hans Sachsen „sag ich nicht, dass dies ein Fehler sei“. Wie zum Wesen der Welle, dass sie über sich selbst hinaus will, gehört es zur Entwicklungskraft jedes Gedankens, dass er seine äußerste Form sucht. Entscheidend für den Wert einer Idee ist nie, wie sie sich verwirklicht, sondern was sie an Wirklichkeit enthält. Nicht was sie ist, sondern was sie bewirkt.

Hans Sachs, * 5. November 1494 in Nürnberg – † 19. Januar 1576 ebenda, war ein deutscher Schuhmacher, Spruchdichter, Meistersinger und Dramatiker.

„Nur durch das Extreme“ – wunderbares Wort Paul Valérys – „hat die Welt ihren Wert, nur durch das Durchschnittliche ihren Bestand.“

Paul Valéry, * 30. Oktober 1871 in Sète, Département Hérault – † 20. Juli 1945 in Paris, war Lyriker, Philosoph und Essayist.

Salzburg 1930

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Franz Anton Mesmer

Franz Anton Mesmer

Franz Anton Mesmer, * 23. Mai 1734 in Iznang – † 5. März 1815 in Meersburg, war ein deutscher Arzt. Er führte „magnetische“ Kuren durch und begründete den animalischen Magnetismus, auch Mesmerismus genannt.

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Ihr sollt wissen, dass die Wirkung

des Willens ein großer Punkt ist

in der Arznei.

Paracelsus

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Der Vorausgänger und seine Zeit

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Über nichts wird flüchtiger geurteilt

als über den Charakter des Menschen,

und doch sollte man in nichts behutsamer sein.

Bei keiner Sache wartet man weniger das

Ganze ab, das doch eigentlich den Charakter ausmacht,

als hier. Ich habe immer gefunden,

die sogenannten schlechten Leute gewinnen,

und die guten verlieren.

Lichtenberg

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Ein Jahrhundert lang hat Franz Anton Mesmer, dieser Winkelried der modernen Seelenheilkunde, auf der Schandbank der Schwindler und Scharlatane gesessen neben Cagliostro, dem Grafen Saint-Germain, John Law und anderen Abenteurern jener Zeit.

Alessandro Cagliostro, alias Giuseppe Balsamo, * 8. Juni 1743 in Palermo – † 26. August 1795 in San Leo in der Emilia-Romagna, war ein italienischer Okkultist, Alchemist und Abenteurer.

Graf Saint-Germain, * ca. 1710; † 27. Februar 1784 in Eckernförde, war ein Abenteurer, Hochstapler, Alchemist, Okkultist und Komponist.

John Law, * 16. April 1671 in Edinburgh – † 21. März 1729 in Venedig, war ein schottischer Nationalökonom und Bankier.

Vergebens protestiert schon der strenge Einsam unter den deutschen Denkern gegen dieses entehrende Verdikt der Universitäten, vergebens rühmt Schopenhauer den Mesmerismus als „die vom philosophischen Standpunkt aus inhaltsschwerste aller gemachten Entdeckungen, auch wenn sie einstweilen mehr Rätsel aufgibt, als sie löst“.

Arthur Schopenhauer, *  22. Februar 1788 in Danzig – † 21. September 1860 in Frankfurt am Main, war ein deutscher Philosoph und Hochschullehrer. Schopenhauer entwarf eine Lehre, die gleichermaßen Erkenntnistheorie, Metaphysik, Ästhetik und Ethik umfasst.

Aber welches Urteil wäre schwerer umzustoßen als ein Vorurteil? Üble Rede spricht sich unbedenklich nach, und so gilt noch immer einer der redlichsten Forscher unter den Deutschen, gilt ein kühner Alleingänger, der, von Licht und Irrlicht geheimnisvoll geführt, einer neuen Wissenschaft die Spur gewiesen hat, als zweideutiger Phantast, als unlauterer Schwärmer, und all dies, ohne dass man sich rechte Mühe genommen, zu überprüfen, wie viele wichtige und weltverändernde Anregungen uns aus seinen Irrtümern und längst überwundenen Anfangsübertreiblichkeiten erwachsen sind.

Mesmers Tragik: er kam zu früh und kam zu spät. Die Epoche, in die er eintritt, ist eben, weil sie sich auf ihre Vernunft so hahnenstolz viel zugutetut, eine der Intuition völlig abholde, jene (abermals nach Schopenhauers Wort) „superkluge“ Epoche der Aufklärung. Auf den Dunkelsinn des Mittelalters, den ehrfürchtig und verworren ahnenden, war gerade der Flachsinn der Enzyklopädisten gefolgt, der Alleswisser, wie man dies Wort wohl am sinnfälligsten übersetzt, jene grobmaterialistische Diktatur der Holbach, La Mettrie, Condillac, der das Weltall als interessanter, aber noch verbesserungsfähiger Mechanismus und der Mensch bloß als kurioser Denkautomat galt.

Paul-Henri Thiry d’Holbach, * 8. Dezember 1723 in Edesheim bei Landau – † 21. Januar 1789 in Paris, war ein Philosoph der französischen Aufklärung, der vor allem für seine religionskritischen und atheistischen Thesen bekannt ist.

Julien Offray, sieur de La Mettrie, * 23. November 1709 in Saint-Malo – † 11. November 1751 in Potsdam, war ein französischer Arzt, Schriftsteller, Pamphletist und radikalaufklärerischer philosophe des Lumières.

Étienne Bonnot de Condillac, * 30. September 1714 in Grenoble – † 3. August 1780 in Flux bei Beaugency, war ein französischer Geistlicher (Abbé von Mureau, Philosoph und Logiker im Zeitalter der Aufklärung.

Mächtig aufgeplustert, weil sie keine Hexen mehr verbrannten, die gute alte Bibel als einfältiges Kindermärchen dargetan und dem lieben Gott mit der Franklinschen Leitung den Blitz aus der Hand genommen hatten, erklärten diese Aufklärer (und ihre schwachbeinigen deutschen Nachtänzer) alles für absurden Wahn, was man nicht mit der Pinzette packen, nach der Regeldetri beweisen konnte, derart mit dem Aberglauben auch jedes Samenkorn Mystik aus ihrem glashellen, glasklaren (und ebenso zerbrechlichen) Weltall des Dictionnaire philosophique hinausfegend. Was nicht als Funktion mathematisch nachweisbar war, dekretierte ihr flinker Hochmut als Phantom, was man mit den Sinnen nicht fassen konnte, nicht etwa bloß als unfassbar, sondern glattweg für nicht vorhanden.

In eine so unbescheidene, unfromme, einzig ihre eigene selbstgefällige Ratio vergötternde Zeit tritt nun unversehens ein Mann mit der Behauptung, unser Weltall sei keineswegs ein leerer, unbeseelter Raum, ein totes, teilnahmsloses Nichts ringsumher um den Menschen, sondern ständig durchdrungen von unsichtbaren, unfassbaren und nur innerlich fühlbaren Wellen, von geheimnisvollen Störungen und Spannungen, die in dauernder Überleitung einander berührten und belebten, Seele zu Seele, Sinn zu Sinn. Unfassbar und vorläufig unbenannt, vielleicht dieselbe Kraft, die von Stern zu Stern strahle und im Mondlicht Schlafsüchtige lenke, könne dies unbekannte Fluid, dieser Weltstoff, von Mensch zu Mensch weitergegeben, Wandlung bei seelischen und körperlichen Krankheiten bringen und derart jene höchste Harmonie wiederherstellen, die wir Gesundheit nennen. Wo der Sitz dieser Urkraft sei, wie ihr wahrer Name, ihr wirkliches Wesen, dies freilich vermöge er, Franz Anton Mesmer, nicht endgültig zu sagen; vorläufig nenne er diesen wirkenden Stoff ex analogia Magnetismus. Aber man prüfe doch selbst, bittet er die Akademien, drängt er die Professoren, welchen erstaunlichen Effekt diese Behandlung durch bloßes Bestreichen mit den Fingerspitzen hervorbrächte; man untersuche doch endlich einmal mit unvoreingenommenem Blick alle die krankhaften Krisen, die rätselhaften Zustände, die geradezu zauberhaften Heilungen, die er bei Nervenverstörungen einzig durch magnetische (wir sagen heute: suggestive) Einwirkung erzeuge. Jedoch die professorale Aufgeklärtheit der Akademien weigert sich hartnäckig, auf all diese von Mesmer vorgezeigten und hundertfach bezeugten Phänomene auch nur einen einzigen unbefangenen Blick zu tun. Jenes Fluid, jene sympathetische Übertragungskraft, deren Wesen man nicht deutlich erklären kann (schon verdächtig dies!), steht nicht im Kompendium aller Orakel, im Dictionnaire philosophique, folglich darf nichts Derartiges vorhanden sein. Die Phänomene, die Mesmer vorweist, erscheinen mit nackter Vernunft nicht erklärbar. Folglich existieren sie nicht.

Er kommt um ein Jahrhundert zu früh, Franz Anton Mesmer, und er kommt um ein paar Jahrhunderte zu spät. Die Frühzeit der Medizin hätte seine abseitigen Versuche mit aufmerksamem Anteil begleitet, denn die weite Seele des Mittelalters hatte Raum für alles Unbegreifliche. Sie vermochte noch kindhaft rein zu staunen und der eigenen inneren Erschütterung mehr zu glauben als dem blanken Augenschein. Leichtgläubig, war diese Zeit doch zutiefst glaubenswillig, und nicht absurd wäre darum ihren Denkern, weder den fromm-theologischen noch den profanen, Mesmers Dogma erschienen, dass zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos, zwischen Weltseele und Einzelseele, zwischen Stern und Menschheit stofflich verwandte, transzendente Beziehung walte, ja ganz selbstverständlich sogar seine Anschauung, dass ein Mensch auf den anderen zauberkräftig einwirken könne durch die Magie seines Willens und wissende Prozedur. Ohne Misstrauen also, mit neugierig aufgetanem Herzen hätte jene faustisch universale Weltkunde Mesmers Versuchen zugeblickt, und ebenso beurteilt wieder die neuzeitliche Wissenschaft die meisten der psychotechnischen Wirkungen dieses ersten Magnetiseurs weder als Gaukeleien noch als wunderhaft. Gerade weil wir Tag für Tag, ja fast Stunde für Stunde überrascht werden von neuen Unglaublichkeiten und Wundern innerhalb der Physik und Biologie, zaudern wir sehr lange und gewissenhaft, ehe wir heute ein gestern noch Unwahrscheinliches unwahr nennen, und tatsächlich ordnen sich viele von Mesmers Erfindungen und Erfahrungen unserem jetzigen Weltbild ohne Schwierigkeit ein. Dass unsere Nerven, unsere Sinne geheimnisvollen Gebundenheiten unterliegen, dass wir „ein Spiel sind von jedem Druck der Luft“, suggestiv beeinflussbar von unzähligen äußeren und inneren Impulsen, wer denkt dies heute noch zu bestreiten? Lehrt uns, denen ein gesprochenes Wort noch in ebenderselben Sekunde über Ozeane herüberschwingt, nicht jeder neue Tag wieder neu, dass unser Äther beseelt ist von unfassbaren Vibrationen und Lebenswellen? Nein, wir erschrecken durchaus nicht mehr vor Mesmers bestrittenstem Gedanken, dass unserem individuellen Sein eine ganz einmalige und bestimmte Eigenkraft entströme, die weit über das Ende des Nervs hinaus in beinahe magischer Weise bestimmend auf fremden Willen und fremdes Wesen einwirken könne. Aber Verhängnis – Mesmer ist zu früh gekommen oder zu spät: gerade jenes Zeitalter, in das er das Unglück hat hineingeboren zu werden, besitzt für dunkel ehrfurchtsvolles Ahnen kein Organ. Nur kein Clair-obscur in seelischen Dingen: Ordnung vor allem und schattenloses Licht! Gerade dort also, wo das geheimnisvolle Zwielicht von Bewusst und Unbewusst sein schöpferisches Übergangsspiel beginnt, erweist sich das kalte Tag-Auge dieser Vernunftwissenschaft völlig blind. Und da sie die Seele nicht als gestaltende und individuelle Macht anerkennt, so kennt auch ihre Medizin in dem Uhrwerk Homo sapiens einzig Schädigungen der Organe, einen kranken Leib, niemals aber eine Erschütterung der Seele. Kein Wunder, dass sie darum für ihre Verstörungen nichts anderes weiß als die barbarische Bader-Weisheit: Purgieren, Aderlassen und kaltes Wasser. Geistesgestörte schnallt man auf das Drehrad, kurbelt sie so lange um, bis ihnen der Schaum vom Mund läuft oder prügelt sie bis zur Erschöpfung. Epileptikern pumpt man den Magen mit Quacksalbereien voll, alle nervösen Affekte erklärt man als einfach nicht existent, weil man ihnen nicht beizukommen weiß. Und als jetzt dieser unbequeme Außenseiter Mesmer durch seine magnetische und deshalb magisch erscheinende Einflussnahme solche Erkrankungen erstmalig lindert, da dreht die entrüstete Fakultät die Augen weg und behauptet, nichts gesehen zu haben als Gaukelei und Betrug.

In diesem verzweifelten Vorpostengefecht um eine neue Psychotherapie steht Mesmer vollkommen allein. Seine Schüler, seine Helfer sind noch um ein halbes, ein ganzes Jahrhundert zurück. Und tragische Erschwerung dieses Alleinseins – nicht einmal ein vollgewichtiges Selbstvertrauen panzert diesem einsamen Kämpfer den Rücken. Denn nur die Richtung ahnt Mesmer, er weiß noch nicht den Weg. Er fühlt sich auf der rechten Spur, fühlt sich durch Zufall einem Geheimnis, einem großen und fruchtbaren Geheimnis brennend nah und weiß doch, er kann es nicht allein lösen und völlig entschleiern. Erschütternd darum, wie dieser Mann, den leichtfertige Nachrednerei ein Jahrhundert lang als Scharlatan verrufen, gerade bei den Ärzten, seinen Kameraden, um Beistand und Hilfe bittet; nicht anders als Kolumbus vor seiner Ausfahrt mit seinem Plan des Seeweges nach Indien von Hof zu Hof irrt, so wendet sich Mesmer von einer Akademie an die andere und bittet um Interesse und Mithilfe für seine Idee. Auch bei ihm wie bei seinem großen Entdeckerbruder steht ein Irrtum am Anfang seiner Bahn, denn noch ganz eingesponnen in den mittelalterlichen Wahn des Arkanums, meint Mesmer mit seiner magnetischen Theorie das Allheilmittel, das ewige Indien der alten Arzneikunde, gefunden zu haben. In Wahrheit hat er längst, sich selber unbewusst, unendlich mehr entdeckt als einen neuen Weg – er hat wie Kolumbus einen neuen Kontinent der Wissenschaft gefunden mit ungezählten Archipelen und noch lange nicht durchforschten Geländen: die Psychotherapie. Denn alle die heute erst aufgeschlossenen Domänen der neuen Seelenkunde, Hypnose und Suggestion, Christian Science und Psychoanalyse, sogar Spiritismus und Telepathie liegen in jenem Neuland, das dieser tragisch Einsame entdeckte, ohne selbst zu erkennen, dass er einen anderen Erdteil der Wissenschaft betreten hat als jenen der Medizin. Andere haben seine Reiche gepflügt und Saat gewonnen, wo er den Samen in die Brache gestreut, andere den Ruhm geerntet, indes sein Name von der Wissenschaft verächtlich auf dem Schindanger der Ketzer und Schwätzer verscharrt ward. Seine Mitwelt hat ihm den Prozess gemacht und ihn verurteilt. Nun reift die Zeit, mit seinen Richtern zur rechten.

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Bildnis

Bildnis

1773 berichtet Vater Leopold Mozart seiner Frau nach Salzburg: „Letzten Posttag habe ich nicht geschrieben, weil wir eine große Musik bei unserem Freund Mesmer auf der Landstraße im Garten hatten. Mesmer spielt sehr gut die Harmonika der Miss Dewis, er ist der einzige in Wien, der es gelernt hat, und besitzt eine viel schönere gläserne Maschine, als Miss Dewis selbst hatte. Wolfgang hat auch schon darauf gespielt.“

Leopold Mozart, * 14. November 1719 in Augsburg – † 28. Mai 1787 in Salzburg, war ein deutscher Komponist zur Zeit der Vorklassik und Wiener Klassik.

Wolfgang Amadeus Mozart, * 27. Jänner 1756 in Salzburg, Erzstift Salzburg –m † 5. Dezember 1791 in Wien, der überwiegend mit Wolfgang Amadé Mozart unterschrieb, war ein Salzburger Musiker und Komponist der Wiener Klassik.

Man sieht, sie sind gute Freunde, der Wiener Arzt, der Salzburger Musiker und dessen berühmter Sohn. Schon einige Jahre vordem, als der berüchtigte Hofoperndirektor Afligio (der später auf der Galeere endete) die erste Oper des vierzehnjährigen Wolfgang Amadeus „La finta semplice“ trotz kaiserlichen Befehls nicht zur Aufführung bringen wollte, springt, kühner als Kaiser und Hof, der musikalische Mäzen, Franz Anton Mesmer ein und stellt sein kleines Gartentheater für das deutsche Singspiel „Bastien und Bastienne“ zur Verfügung, derart nebst seinem anderen Ruhm das unvergängliche Verdienst sich in der Geschichte sichernd, das erste Opernwerk Wolfgang Amadeus Mozarts aus der Taufe gehoben zu haben. Diese Freundestat vergisst der kleine Wolfgang nicht: in allen Briefen erzählt er von Mesmer, immer ist er am liebsten bei seinem „lieben Mesmer“ zu Gast. Und als er im Jahr 1781 ständig Aufenthalt in Wien nimmt, fährt er im Postwagen geradeaus vom Schlagbaum in das vertraute Haus. „Ich schreibe dies im Garten Mesmers auf der Landstraße“, so beginnt sein erster Brief an den Vater vom 17. März 1781. Und in „Cosi fan tutte“ hat er dem gelehrten Freund später das bekannte humoristische Denkmal gesetzt. Noch heute und wohl in Jahrhunderte hinein begleitet ein munteres Rezitativ die Verse über Franz Anton Mesmer:

„ Hier der Magnetstein solls euch beweisen. Ihn brauchte Mesmer einst, der seinen Ursprung nahm aus Deutschlands Gauen und so berühmt ward in Francia.“

Aber nicht nur ein gelehrter Herr, ein kunstfreudiger und menschenfreundlicher, ist dieser sonderbare Doktor Franz Anton Mesmer, er ist auch ein reicher Mann. Wenige im Wiener Bürgerstand besaßen damals ein so wunderschönes, heiter geselliges Haus wie jenes Landstraße 261, wahrhaftig ein Klein-Versailles am Donaustrand. In dem weiten, geräumigen, beinahe fürstlichen Garten entzücken die Gäste allerhand unterhaltsame Vergnüglichkeiten im Stil des Rokoko, kleine Boskette, schattige Baumgänge mit antiken Statuen, ein Vogelhaus, ein Taubenschlag, jenes kokette (leider längst verschollene) Naturtheater, in dem die Premiere von „Bastien und Bastienne“ stattfand, ein rundes Marmorbassin, das später bei den magnetischen Kuren höchst merkwürdige Szenen sehen wird, und auf einer kleinen Anhöhe ein Belvedere, von dem man weit über die Donau in den Prater blicken kann. Kein Wunder, dass die plauderfrohe und genießerische Wiener Gesellschaft sich gern in diesem schönen Haus zusammenfindet, denn dieser Doktor Franz Anton Mesmer zählt zu den allerhochansehnlichsten Bürgern, seit er die mehr als dreißigtausend Gulden schwere Witwe des Hofkammerrates van Bosch geheiratet hat. Seine Tafel steht täglich (wie Mozart erzählt) allen seinen Freunden und Bekannten offen, man trinkt und isst vortrefflich bei diesem hochgelehrten und jovialen Mann und entbehrt auch der geistigen Genüsse nicht. Hier hört man, lange vor dem Druck und meist eigenhändig vom Notenblatt gespielt, die neuesten Quartette, Arien und Sonaten von Haydn, Mozart und Gluck, den intimen Freunden des Hauses, aber auch das Neueste von Piccini und Righini. Wer dagegen vorzieht, von geistigen Dingen zu sprechen, statt Musik zu hören, der findet gleichfalls auf jedem Gebiet an dem Hausherrn einen universal gebildeten Partner. Denn dieser vorgebliche Schwindler Franz Anton Mesmer hat selbst unter Gelehrten Format; schon damals, als er – Sohn eines bischöflichen Jägers, am 23. Mai 1734 zu Iznang am Bodensee geboren – zu weiterer Ausbildung nach Wien übersiedelt, ist er bereits emeritierter Studiosus der Theologie in Ingolstadt und Doktor der Philosophie. Aber das genügt diesem unruhigen Geist noch lange nicht. Wie weiland Dr. Faustus will er die Wissenschaft an allen Ecken fassen. So studiert er in Wien zunächst noch Jura, um sich zum Schluss endgültig der vierten Fakultät, der Medizin, zuzuwenden. Am 27. Mai 1766 wird Franz Anton Mesmer, obwohl bereits zwiefacher Doktor „autoritate et consensu illustrissimorum, perillustrium, magnificorum, spectabilium, clarissimorum Professorum“ auch zum Doctor Medicinae feierlich promoviert; eigenhändig unterschreibt das Lumen der theresianischen Wissenschaft, der hochberühmte Professor und Hofmedikus Van Swieten, sein Doktordiplom. Jedoch Mesmer, durch seine Heirat ein reicher Mann, will keineswegs aus seinem Heilpermiss gleich Dukaten münzen. Er hat keine Eile mit seiner ärztlichen Praxis und verfolgt lieber als gelehrter Dilettant die entlegensten Entdeckungen der Geologie, Physik, Chemie und Mathematik, die Fortschritte der abstrakten Philosophie und vor allem der Musik. Er spielt selbst sowohl Klavier wie Violoncello, führt als erster die Glasharmonika ein, für die dann Mozart ein eigenes Quintett komponiert. Bald zählen die musikalischen Abende bei Mesmer zu den beliebtesten des geistigen Wien, und neben der kleinen Musikstube des jungen Van Swieten am Tiefen Graben, wo jeden Sonntag Haydn, Mozart und später Beethoven erscheinen, gilt das Haus Landstraße 261 als das erlesenste Refugium für Kunst und Wissenschaft.

Gerard van Swieten, * 7. Mai 1700 in Leiden – † 18. Juni 1772 in Hietzing beim Schloss Schönbrunn/Wien, war ein niederländischer Mediziner, Leibarzt und Reformer in der Zeit der Aufklärung.

Nein, dieser vielverleumdete Mann, den man später so böswillig als medizinischen Außenseiter und ahnungslosen Quacksalber verunglimpfte, dieser Franz Anton Mesmer ist nicht der erste beste, das spürt jeder sofort, der ihm begegnet. Schon äußerlich fällt der wohlgebaute, breitstirnige Mann in jeder Gesellschaft durch seinen hohen Wuchs und sein imposantes Gehaben auf.

Christoph Willibald Gluck, * 2. Juli 1714 in Erasbach bei Berching, Oberpfalz – † 15. November 1787 in Wien, war ein deutscher Komponist der Vorklassik.

Wenn er mit seinem Freund Christoph Willibald Gluck in Paris in einem Salon erscheint, wenden sich alle Blicke neugierig diesen beiden deutschen Enakssöhnen zu, die um Haupteslänge das gewöhnliche Maß überragen. Leider zeichnen nur unzulänglich die wenigen erhaltenen Bilder den physiognomischen Eindruck; immerhin, man sieht, das Antlitz ist harmonisch und schön gestaltet, saftig die Lippe, voll und fleischig das Kinn, prächtig gewölbt die Stirn über den stahlhell klaren Augen; wohltuende Sicherheit strahlt von diesem mächtigen Mann aus, der in unverwüstlicher Gesundheit patriarchalisches Alter erreichen wird. Nichts irriger darum, als sich in dem großen Magnetiseur einen Zauberer, eine dämonische Erscheinung mit flackerndem Blick und diabolischen Blitzfeuern, einen Svengali oder Doktor Spallanzani vorzustellen – im Gegenteil, was alle Zeitgenossen einhellig als Kennzeichen hervorheben, ist seine gesättigte, unerschütterliche Geduld.

Lazzaro Spallanzani, * 12. Januar 1729 in Scandiano, heute Provinz Reggio Emilia – † 12. Februar 1799 in Pavia, war ein italienischer Jesuit, Philosoph, Physiker und Universalwissenschaftler.

Mehr schwerblütig als heißblütig, mehr zäh als sprunghaft wild, beobachtet der wackere Schwabe („er forcht sich nit“) bedächtig die Phänomene, und so wie er durch ein Zimmer geht, breitbeinig, schwer und klobig, mit festem und gemessenem Schritt, so geht er langsam und entschlossen in seinen Forschungen von einer Beobachtung zur anderen weiter, langsam, aber unerschütterlich. Er denkt nicht in blendenden, blitzenden Einfällen, sondern in vorsichtigen, aber dann unumstößlichen Schlüssen, und kein Widerspruch, keine Erbitterung kann seine dickhäutige Ruhe erschüttern. Diese Ruhe, diese Zähigkeit, diese große, beharrliche Geduld bedeutet Mesmers eigentliches Genie. Und nur seiner ungewöhnlich bescheidenen Zurückhaltung, seiner ehrgeizlosen und umgänglichen Art ist das historische Kuriosum zu danken, dass ein gleichzeitig bedeutender und reicher Mann in Wien nur Freunde hat und keinen Feind. Allgemein rühmt man seine Kenntnisse, sein anspruchslos sympathisches Wesen, seine offene Hand und seinen offenen Sinn: „Son âme est comme sa découverte simple, bienfaisante et sublime.“ Sogar seine Kollegen, die Wiener Ärzte, schätzen Franz Anton Mesmer als vortrefflichen Medikus – freilich nur bis zum Augenblick, da er die Kühnheit besitzt, eigene Bahnen zu gehen und ohne Zustimmung der Fakultät eine weltbewegende Entdeckung zu machen. Dann ist es plötzlich mit der Beliebtheit zu Ende, und ein Kampf um Sein oder Nichtsein beginnt.

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Die ersten Versuche

Die ersten Versuche

Nun hat Franz Anton Mesmer, bisher nur simpler Arzt und Liebhaber der schönen Wissenschaften, einen Lebensgedanken, oder vielmehr der Gedanke hat ihn. Denn bis zu seinem letzten Atemzug wird er als unnachgiebiger Forscher diesem Perpetuum mobile, dieser Triebkraft des Alls nachsinnen. Sein ganzes Leben, sein Vermögen, sein Ansehen, seine Zeit setzt er von nun einzig an diese seine Uridee. In dieser Hartnäckigkeit, dieser starren und doch glühenden Unbelehrbarkeit liegt Mesmers Größe und Tragik, denn was er sucht – das magische Allfluid – kann er niemals klar beweisbar finden. Und was er findet – eine neue Psychotechnik –, das hat er gar nicht gesucht und zeitlebens nie erkannt. So erlebt er eigentlich ein ganz verzweifelt ähnliches Schicksal wie sein Zeitgenosse, der Alchimist Böttger, der in seiner Gefangenschaft chemisches Gold anfertigen will und dabei durch Zufall das tausendmal wichtigere Porzellan entdeckt: da wie dort entsendet der Urgedanke nur einen wichtigen seelischen Antrieb, und die Entdeckung entdeckt sich gleichsam selbst in dem leidenschaftlich fortgetriebenen Experimentieren.

Johann Friedrich Böttger, * 4. Februar 1682 in Schleiz – † 13. März 1719 in Dresden.

Mesmer hat im Anfang nur die philosophische Idee eines Allfluids. Und er hat den Eisenmagneten. Aber der Leistungsradius des Magneten ist verhältnismäßig gering, das sieht Mesmer schon bei den ersten Versuchen ein. Seine Anziehung wirkt bloß einige Zoll weit, und doch lässt Mesmers mystisches Ahnen sich nicht irremachen im Glauben, er verberge weit stärkere, gleichsam latente Energien, die man kunstvoll hervorlocken und durch richtige Anwendung steigern könne. So beginnt er die kuriosesten Künsteleien. Statt wie jener Engländer bloß ein einziges Hufeisen auf die schmerzende Stelle zu legen, appliziert er seinen Kranken zwei Magnete, einen links oben, einen rechts unten, damit in geschlossenem Strom das geheimnisvolle Fluid den ganzen Leib lebendig durchstreiche und so in Ebbe und Flut die gestörte Harmonie wiederherstelle. Um seine eigene mithelfende Influenz zu vermehren, trägt er, in einem Ledersäckchen eingenäht, selbst einen Magneten um den Hals, und nicht genug an dem, er überträgt diesen kraftspendenden Strom auf alle erdenklichen Gegenstände. Er magnetisiert Wasser, lässt die Kranken darin baden und davon trinken, er magnetisiert durch Bestreichen Porzellantassen und Teller, Kleider und Betten, er magnetisiert Spiegel, damit sie das Fluid weiterstrahlen, er magnetisiert Musikinstrumente, damit auch die Schallschwingung die Heilmacht fortleite. Immer fanatischer verrennt er sich in die fixe Idee, man könne (ähnlich wie später die elektrische Kraft) die magnetische durch Leitung weiter übermitteln, auf Flaschen ziehen und in Akkumulatoren sammeln. So konstruiert er schließlich den berüchtigten Gesundheitszuber, das vielverspottete „Baquet“, ein zugedecktes großes Holzschaff, in dem zwei Reihen von Flaschen, die mit magnetisiertem Wasser gefüllt sind, konvergent zu einem Stahlstab laufen, von dem der Patient einzelne bewegliche Überleitungsspitzen an seinen Schmerzpunkt hinführen kann. Um diese magnetische Batterie reihen sich die Kranken, Fingerspitze an Fingerspitze ehrfürchtig haltend, zur Kette, weil Mesmer erprobt haben will, dass die Durchleitung durch mehrere menschliche Organismen den Strom abermals verstärke. Aber auch die Experimente am Menschen genügen ihm nicht – bald müssen schon Katzen und Hunde daran glauben; schließlich werden sogar die Bäume in Mesmers Park und jenes Wasserbassin magnetisiert, in dessen zitternden Spiegel die Patienten andächtig ihre entblößten Füße tauchen, den Bäumen durch Seile mit den Händen verbunden, während der Meister gleichzeitig auf der gleichfalls magnetisierten Glasharmonika spielt, um mit ihren zarten und schmiegsamen Rhythmen die Nerven dem Universalbalsam gefügiger zu machen.

Unsinn, Schwindel und Kinderei, sagt selbstverständlich unser Gefühl von heute entweder entrüstet oder mitleidig zu diesen tollen Extratouren: hier wird man tatsächlich an Cagliostro und die anderen Zauberdoktoren erinnert. Mesmers erste Experimente stolpern – wozu hier eine Beschönigung? – völlig ratlos, völlig hilflos im krausen Dickicht mittelalterlichen Unkrauts herum. Uns Nachfahren erscheint es natürlich eitles Possenspiel, magnetische Kraft auf Bäume, Wasser, Spiegel und Musik durch bloßes Bestreichen übertragen und damit Heilwirkungen erzielen zu wollen. Aber man messe, um nicht in Ungerechtigkeit zu verfallen, doch einmal redlich die physikalische Situation jener Zeit. Drei neue Kräfte reizen damals die Neugier der Wissenschaft an, drei Kräfte, kinderklein alle drei, jede ein Herkules in der Wiege. Durch den Papinischen Topf, durch die neuen Maschinen Watts konnte man gerade eine erste Ahnung von der motorischen Kraft des Dampfes haben, von der gewaltigen Energiefülle der atmosphärischen Luft, die früheren Geschlechtern bloß als passives Nichts, als ein unfassbares farbloses Weltgas galt.

Papinscher Topf

James Watt, * 30. Januar 1736 in Greenock; † 25. August 1819 in seinem Haus in Heathfield, Staffordshire, war ein schottischer Erfinder.

Ein Jahrzehnt noch, und zum ersten Mal wird das erste Luftschiff einen Menschen über die Erde erheben, ein Vierteljahrhundert noch und zum ersten Mal das Dampfschiff das andere Element, das Wasser, besiegen. Damals aber ist diese ungeheure Macht der gepressten oder entleerten Luft einzig in Laboratoriumsexperimenten wahrnehmbar, und ebenso winzig und schüchtern offenbart sich die Elektrizität, dieser Ifrit, damals noch in der winzigen Leydener Flasche verschlossen.

Leydener Flasche

Denn was gilt 1775 als elektrische Wirkung?

Alessamdro Volta, * 18. Februar 1745 – † 5. März 1827.

Noch hat Volta nicht seine entscheidende Beobachtung gemacht, nur aus spielzeughaft kleinen Batterien vermag man ein paar unnütze blaue Funken und schwächliche Kraftschläge auf den Knöchel überspringen zu lassen. Das ist alles, was Mesmers Zeit von der schöpferischen Kraft der Elektrizität weiß, genau so viel oder so wenig wie vom Magnetismus. Aber doch muss ein dumpfes Ahnen damals in der menschlichen Seele herrlich drängend gewesen sein, dass die Zukunft dank einer dieser Kräfte, vielleicht vermittels des gepressten Dampfes, vielleicht mit jener elektrischen oder magnetischen Batterie die Form der Welt ändern und den zweibeinigen Säugetieren die Herrschaft über die Erde für Millionen Jahre sichern werde – ein Ahnen jener selbst heute noch unermessenen, von Menschenhand gebändigten Energien, die jetzt unsere Städte mit Licht überschütten, die Himmel durchpflügen und den Schall vom Äquator zum Pol im infinitesimalen Bruchteil einer Sekunde hinüberholen. Gigantische Gewalten sind in diesen winzigen Anfängen keimhaft geballt: das fühlt schon damals die Welt, das fühlt Mesmer – nur dass er, wie der Prinz im „Kaufmann von Venedig“, in seinem Missgeschick das falsche Kästchen von den dreien greift und die ungeheure Expansionserwartung der Zeit gerade an das schwächste Element, an den Magneten, wendet, – ein Irrtum unleugbar, aber doch ein zeitbegreiflicher, ein menschlich begreiflicher.

Erstaunlich sind also nicht Mesmers erste Methoden, sein Spiegelbestreichen, sein magnetisches Bassin – erstaunlich ist für uns bei seinem Verfahren nur die unvorstellbare therapeutische Wirkung, die ein einzelner Mann mit diesem nichtigen Magneteisen hervorbringt. Aber selbst diese scheinbaren Wunderkuren erweisen sich, psychologisch richtig gewertet, als gar nicht so wunderbar; denn wahrscheinlich, ja gewiss, ist seit Anbeginn aller Medizin die leidende Menschheit viel öfter durch Suggestion geheilt worden, als wir ahnen und die Heilkunde zuzugeben geneigt ist. Welthistorisch erweislich war noch nie eine medizinische Methode so widersinnig, dass nicht doch durch den Glauben an sie den Kranken eine Zeitlang geholfen worden wäre. Unsere Großväter und Ahnen sind durch Mittel geheilt worden, über die unsere Medizin von heute mitleidig lächelt, eben dieselbe Medizin, deren Behandlungsarten wiederum die Wissenschaft der nächsten fünfzig Jahre mit dem gleichen Lächeln als unwirksam und vielleicht sogar gefährlich abtun wird. Denn wo immer überraschende Heilung sich vollzieht, hat die Suggestion ungeahnt mächtigen Anteil.

Valentin Zeileis * 7. Oktober 1873 in Wachenroth – † 15. Juli 1939 in Gallspach, war ein Pionier der elektrophysikalischen Therapie.