Kreons Erben - Erwachen - Veit Störmer - E-Book

Kreons Erben - Erwachen E-Book

Veit Störmer

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Beschreibung

In einer Welt, die von Göttern, Magie und der unermüdlichen Suche nach Gleichgewicht beherrscht wird, gerät Lara in einen Strudel von Ereignissen, die ihre Familie und das Schicksal der Menschheit auf eine harte Probe stellen. Gefangen in den Schatten der Vergangenheit, kämpft sie darum, ihre Mutter zu retten und eine uralte Macht zu verstehen, die das Gleichgewicht zwischen Licht und Dunkelheit ins Wanken bringen könnte. Während sich Laras verborgene Fähigkeiten offenbaren, entfaltet sich ein finsterer Plan, der mit dem Tod einer Göttin alles verändert hat. Die Grenze zwischen Gut und Böse verschwimmt, und Lara muss entscheiden, auf welcher Seite sie steht, um die Welt vor dem Untergang zu bewahren. Aber kann ein junges Mädchen den uralten Kampf der Mächte beeinflussen? „Erwachen“ ist Teil der epischen Reihe Kreons Erben, in der Familienbande, Magie und das Ringen um Macht das Schicksal von Göttern und Menschen gleichermaßen bestimmen.

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Endloser Weg
Abschied
Weltenkrieg
Licht
Brei und Beeren
Die Reise beginnt ...
Danksagung

 

 

Kreons Erben

 

Erwachen

 

Von Veit R. Störmer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1. Auflage, 2024

© 2024 Veit R. Störmer – alle Rechte vorbehalten.

 

Independently Published

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich widme dieses Buch meiner Mutter,

weil sie mich stets unterstützt,

meist verstanden und immer geliebt hat.

 

Ich vermisse Dich!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Familie

Erste Sonnenstrahlen brachen durch die engen Gassen des Rübenlochs, einem Teil Meneos, den die Ärmsten bewohnten. Die ersten Menschen krochen aus der behaglichen Wärme ihrer kleinen Hütten, hinaus in die Kälte. Und auch wenn der Frühling langsam Einzug hielt, die Tage länger wurden und die Temperaturen gemächlich stiegen, fröstelte es Isolas, als er vor das Haus im Rübenloch trat.

Seine Mutter hatte ihm aufgetragen, etwas Brot bei Torne zu holen. Und so machte er sich auf in die Stadt. Durch enge Gassen hindurch, vorbei an den mit Stroh gedeckten kleinen Hütten des Viertels folgte Isolas den Geräuschen der erwachenden Stadt. Der Geruch des Rübenlochs, eine Mischung aus Abwässern und den Gerüchen des alltäglichen Lebens, begleitete ihn und verflog allmählich, während er sich weiter auf das Zentrum der Stadt zubewegte.

Tornes Hütte befand sich im Zentrum Meneos, unweit eines Marktes, auf dem Händler ihre Stände errichtet hatten oder noch errichteten, während Isolas an Tornes Tür klopfte. Er hörte, wie sich jemand von innen der Tür näherte und diese schließlich öffnete.

Torne war ein großer, muskulöser Mann. Ob er lachte oder grimmig schaute, konnte man hinter seinem dichten Bart nicht erkennen.

»Isolas«, knurrte Torne und wischte sich den Schlaf aus den Augen.

Er deutete hinein, woraufhin der Junge ihm folgte. Nachdem Isolas die Tür hinter sich geschlossen hatte, erklärte er, dass seine Mutter ihn geschickt hatte.

»Ich soll das Brot holen.«

»Ich gehe davon aus, dass eure Mutter beim nächsten Mal bezahlt?«

Isolas sah unsicher zu Boden. Er wusste, dass seine Mutter ihm keinen Silberling gegeben hatte. Doch der grimmig wirkende Torne schmunzelte oder zumindest glaubte Isolas, ein Schmunzeln zu sehen.

»Keine Sorge.«, erklärte er. »Mein Bruder hat mir mehr als einmal geholfen, als ich keinen einzigen Silberling in der Tasche hatte. Und jetzt, wo er bei den Göttern ist, ist es meine Pflicht, euch zu helfen.«

»Er fehlt mir, Onkel«, erklärte Isolas und sah erneut zu Boden.

Torne kniete sich vor den kleinen, schmächtigen Jungen, legte zwei Finger an dessen Kinn und richtete seinen Blick auf. Aus tiefbraunen und vertraulich wirkenden Augen sah er in die blauen und klaren Augen des Jungen, dessen Blick von Kummer und Traurigkeit zeugte.

»Er fehlt mir auch«, murmelte Torne. »Es ist nicht gerecht, dass gerade er so früh zu den Göttern gerufen wurde. Aber weißt du, wo du ihn finden kannst?«

»Nein«, schluchzte Isolas.

Torne legte seine große Hand auf die schmale Brust des Jungen und lächelte. »Da drin ist ein Teil von ihm und es genügt schon ein Gedanke an deinen Vater, um ihm, zumindest für einen Moment, ganz nah zu sein. Nicht allein das, was du siehst, ist real. Auch das, was du fühlst, träumst oder auch nur ahnst, kann so real sein, wie es eben geht.«

»Ich träume manchmal von ihm.«, berichtete Isolas, während seine Lippen ein zaghaftes Lächeln formten. »Ich erinnere mich, wie er mit mir zum Markt ging oder als er mir zeigte, wie man die Pferde unseres Herrn versorgt. Ich weiß noch wie er mit mir auf die Jagd ging und wie uns die Soldaten des Herzogs fast dabei erwischt hätten.«

»Siehst du«, nickte Torne, »deine Erinnerungen halten ihn am Leben. Bewahre sie dir und bewahre dir das Bild, das deine Erinnerungen zeichnen. Höre nicht auf das, was man sich erzählt. Er war ein guter Mensch und niemand hatte das Recht, sein Ende herbei zu führen.«

»Aber er wurde verurteilt«, sagte Isolas und deutete durchs offene Fenster auf den Markt.

Torne folgte Isolas‘ Blick und starrte einen Moment auf den Richtblock, der sich am anderen Ende des Marktes befand.

»Es war das Recht, das Menschen sprechen«, widersprach Torne.

»Aber der Herzog spricht das Recht.«

»Den Herzog trifft keine Schuld«, entgegnete Torne. »Ich werde niemals glauben, dass es der Wille der Götter war, und ich glaube, dass es Mächte gibt, denen sich selbst der Herzog beugen muss.«

»So dürfen wir nicht sprechen«, flüsterte Isolas und sah sich um.

»Du hast Recht. Wir sollten vorsichtig sein«, gab Torne zu. »Aber wir dürfen niemals aufhören, selbst zu denken. Es ist nichts falsch daran Fragen zu stellen.«

»Warum haben sie ihn getötet?«

»Das erzähle ich dir beim nächsten Mal«, erklärte Torne, erhob sich und strich Isolas durchs Haar. Er ging hinüber zum Ofen, öffnete diesen und nahm einen Laib Brot heraus.

»Hier mein Junge«, sagte Torne und hielt Isolas das Brot entgegen.

»Danke«, antwortete der Junge, während er den Laib Brot ganz nah an seine Nase hielt und mit geschlossenen Augen daran roch.

Er spürte die Wärme, die seine Hände erfasste, während der Geruch des Brotes seinen Sinnen sichtlich schmeichelte. Torne lachte beim Anblick des Jungen.

»Das ist nicht das erste Brot, dass du in Händen hältst. Oder?«

»Nein«, grinste Isolas, »aber das Beste.«

»Wie dem auch sei. Bring es deiner Mutter und wehe du isst es auf dem Weg nach Hause auf.«

»Mach ich nicht«, versprach Isolas und ging gerade in Richtung Tür, als Torne ihm folgte und am Arm festhielt.

»Pass auf deine Mutter und deine Schwester auf. Hörst du? Die Welt ist im Wandel und da draußen geschehen Dinge, die gefährlich sind. Du bist jetzt der Mann in eurem Haus und wenn du mal nicht weiter weißt, kommst du zu mir.«

»Mama sagt auch, dass wir vorsichtig sein müssen.«

»Und sie hat Recht«, nickte Torne und öffnete die Tür. Als er diese durchquerte, verharrte er kurz in der Bewegung und tippte drei Mal mit dem Finger an den Türstock, bevor er Isolas nach draußen folgte.

»Was machst du denn da?«, wunderte sich Isolas und deutete auf die Tür.

Torne überlegte einen Moment, wusste dann aber, was der Junge meinte.

»Ein alter Aberglaube. Ich merke schon gar nicht mehr, dass ich das mache.«

Isolas gab sich zufrieden und verabschiedete sich.

Torne sah Isolas noch eine Weile nach und winkte ihm, als der Junge sich noch einmal umdrehte. Nachdem Isolas in einer der Gassen verschwunden war, verschwand er wieder im Haus. Auch dieses Mal klopfte er drei Mal an den Türrahmen, bevor er die Tür hinter sich schloss.

Die Menschen, denen Isolas auf dem Weg nach Hause begegnete, reagierten nicht auf ihn. Sie schienen ihn auf eine eigenartige Weise zu ignorieren. Selbst als Isolas die Schneiderin freundlich grüßte, wie er es immer tat, wandte sie ihren Blick von ihm ab und gab sich irgendeiner Beschäftigung hin.

Seit dem Tod seines Vaters redeten nur wenige in der Stadt mit ihm oder seiner Mutter. Menschen, die vor ein paar Monaten noch freundlich grüßten oder am Marktstand seiner Mutter Kräuter kauften, schwiegen nun und behandelten sie wie Fremde, denen es nicht zu trauen galt.

Und auch wenn Isolas nicht wusste, was sein Vater getan hatte, was ihn das Leben kostete, wusste er, dass es verboten genug gewesen sein musste, um die Schuld auch auf ihn zu übertragen.

 

Einzig Nilda, die alte Nachbarin grüßte den Jungen und winkte freundlich, als dieser in die enge Gasse einbog. Er winkte zurück und erwiderte ihr vertrautes, freundliches Lächeln. Am Ende der kleinen Gasse stand das kleine Haus seiner Familie. Er öffnete die knarrende Tür und schloss diese wieder, nachdem er das Haus betreten hatte.

Meneo

»Isolas!«, brüllte die kleine Lara, als ihr Bruder die Hütte betrat.

In Windeseile kam sie angerannt und fiel ihrem Bruder in die Arme, gerade so, als ob er Jahre gebraucht hätte, um das Brot bei Onkel Torne zu holen. Isolas drückte seine Schwester an sich und beide verharrten einen Moment in dieser Umarmung, bis ihre Mutter die Küche betrat.

»Wie geht es deinem Onkel?«, fragte Livia und nahm Isolas das Brot ab.

»Ich glaube, es geht ihm gut«, berichtete Isolas.

Nachdem Lara die Umarmung gelöst hatte, zog Isolas seine Jacke aus und legte diese über einen der Stühle, die um einen alten hölzernen Tisch standen.

»Du weißt, wo die hingehört«, mahnte Livia, die mit dem Rücken zu ihm am Herd stand und in einem Topf rührte.

Ohne zu widersprechen, nahm Isolas seine Jacke und hängte diese an einen rostigen Nagel direkt neben der Tür.

»Onkel Torne hat gesagt, dass ich auf euch aufpassen muss, weil da draußen gefährliche Dinge geschehen«, erinnerte sich der Junge an das Gespräch mit seinem Onkel und setzte sich an den Tisch.

»Da hat er Recht. Die Menschen haben sich verändert«, stimmte Livia zu.

Sie setzte sich zu ihrem Sohn an den Tisch und sah ihm in die Augen. Auch Lara setzte sich. Livia nahm Laras Hand in die eine und Isolas‘ in die Andere.

»Euer Vater weigerte sich, seinen Glauben zu verraten. Und weil neue Herrn sich anschicken, Gott gleich zu sein, ist es gefährlich die echten Götter zu ehren. Versteht ihr das?«

»Der Herzog?«, fragte Isolas.

Ohne eine direkte Antwort zu geben, setzte Livia fort.

»Die Götter geben uns Hoffnung. Sie richten gerecht und ihr Blick kann die Wahrheit erkennen. Doch unsere Herren wollen nicht das wir hoffen oder gar zuversichtlich sind.«

»Warum wollen die das nicht?«, fragte Lara.

»Weil es nicht Hoffnung ist, die uns zu gehorsamen Untertanen macht. Es sind die Angst und das Misstrauen, die die Macht nähren, begleitet durch Missgunst, die uns Menschen hörig macht.«

»Und Vater war nicht gehorsam?«, flüsterte Isolas und sah zu Boden. Er glaubte verstanden zu haben.

»Die Götter geben Hoffnung und aus Hoffnung wächst Kraft, erblüht Mut. Aber wenn wir voller Hoffnung und Mut sind, ist es schwer, uns zu brechen und uns zu unterwerfen. Dein Vater hat niemals aufgehört, zu hoffen und zu glauben. Das war das Einzige, was er tat und was die Ratgeber des Herzogs Verbrechen nannten.«

»Aber wir sind voller Hoffnung«, erklärte Isolas.

»Und daran ist auch nichts falsch«, stimmte Livia zu. »Aber wir müssen gut überlegen, mit wem wir unsere Hoffnung und unsere Gedanken teilen.«

»Und wir sind mutig!«, fügte Lara hinzu und grinste.

»Oh ja meine Süße«, lachte Livia und streifte ihrer Tochter durchs Haar. »Ihr seid die mutigsten kleinen Wildlinge, die ich kenne.«

Livia stand nun auf, nahm aus dem Regal zwei Schüsseln und schöpfte etwas von dem Brei, den sie zubereitet hatte, hinein. Dann stellte sie jeweils eine Schüssel vor Isolas und eine vor Lara.

Lara sah ihre Mutter fordernd an. Livia schmunzelte und ging erneut an das Regal. Sie öffnete eine alte Dose, griff hinein und entnahm eine Handvoll roter Beeren, die sie für den Winter getrocknet und aufbewahrt hatte. Diese warf sie nun zu gleichen Teilen in die beiden Schüsseln auf dem Tisch.

Lara begann zufrieden zu essen und auch Isolas ließ es sich schmecken. Nachdem Livia sich selbst den Rest des Breis in eine weitere Schüssel gegeben hatte, setzte sie sich zu ihren Kindern und aß nun selbst.

 

»Mama dürfen wir in die Stadt?«, kicherte Lara, die gejagt von ihrem Bruder, wieder einmal viel zu schnell die Treppe nach unten in die Küche des kleinen, aber sauberen Hauses gerannt kam. Ihre langen, leicht gelockten, blonden Haare flogen in alle Richtungen und ihre tiefbraunen Augen glänzten verschmitzt, als sie neben ihrer Mutter zum stehen kam.

»Ich habe noch zu tun meine Süße«, erwiderte Livia, die sich sichtlich schwer tat dem Bitten der Kleinen eine Absage zu erteilen.

»Aber Isolas kann doch auf mich aufpassen«, schlug Lara vor und kreischte, als ihr Bruder nun ebenfalls in die Küche kam und damit begann sie zu kitzeln.

Sicher war dies ein völlig absurder Gedanke. Isolas war gerade einmal vierzehn Jahre alt und Lara feierte in Kürze ihren siebten Geburtstag. Doch der Tod seines Vaters, vor nunmehr vier Jahren, hatte Isolas schneller erwachsen werden lassen, als Livia es sich gewünscht hatte.

Schnell nahm er den Platz des Beschützers ein, ließ Lara nur selten aus den Augen und kümmerte sich rührend um die Kleine, wenn seine Mutter ihrer Anstellung als Magd des Herzogs nachging oder Kräuter auf dem Markt verkaufte. Doch auch wenn Lara ein quirliges, meist aufgedrehtes und lebendiges Kind war, folgte sie ihrem Bruder aufs Wort. Zu ihm blickte sie auf, auch wenn nur wenige Jahre die beiden trennten.

»Also gut«, gab Livia nach und sah Isolas ernst an. »In zwei Stunden seid ihr zurück. Lass deine Schwester nicht aus den Augen.«

Isolas musste nicht antworten. Sie wusste, dass ihr Sohn die wenigen, aber wichtigen Regeln genau kannte und nichts lag ihm ferner, als seine Mutter zu enttäuschen.

Lara wollte bereits zur Tür hinaus laufen, als Livia ihr nachrief.

»Bekommt deine Mutter nicht einmal einen Kuss?«

»Doch bekommt sie«, kicherte Lara und machte in der Tür kehrt. Sie sprang ihrer Mutter in die Arme. Livia hielt die Kleine ganz fest und begann nun damit, Lara zu kitzeln. Nachdem Lara ein weiteres Mal herzhaft aufkreischte, drückte sie ihr einen dicken Kuss auf die Wange und lies sie wieder herab.

»Hab dich lieb«, rief Lara und verschwand durch die Tür.

Nachdem Livia auch ihrem Sohn einen Kuss auf die Wange gedrückt hatte, nahm dieser Laras Jacke und folgte seiner kleinen Schwester nach draußen.

Lara war nur ein paar Schritte vorausgelaufen und wartete in der kleinen Gasse direkt vorm Haus. Die Leute in der Stadt, abgesehen von den Armen, mieden diese Siedlung. Doch auch wenn die Aristokraten, die reichen Händler oder Adligen der Stadt die Siedlung abfällig das Rübenloch nannten, fühlte sich hier niemand ausgegrenzt.

Bis zu jenem Tag, als man den Vater der Kinder verurteilte und zum Richtblock führte, verstanden sich alle als eine große Familie. Man passte aufeinander auf, reichte dem Nachbarn ein Stück Brot, wenn dieser keines mehr hatte. Nur selten verliefen sich die Aristokraten der Stadt ins Rübenloch. In einer schier endlosen Anzahl mit Stroh gedeckter, kleiner Lehmhütten lebten hier die Ärmsten der Stadt, die sich auf den Feldern des Herzogs ein paar Kupfermünzen verdienten oder in Anstellung beim Adel ihr Tagwerk verrichteten, um so ihre Familien mehr schlecht als recht über die Runden zu bringen.

Isolas erreichte Lara und hielt ihr die Jacke entgegen.

»Zieh die an. Du wirst sonst krank.«

Ohne Widerspruch zog sich Lara die Wolljacke über und knöpfte sie zu. Auch wenn der Winter längst den Kampf gegen den Frühling verloren hatte, stiegen die Temperaturen nur langsam Tag um Tag an.

Letzte Schneehaufen hier und da zeugten von den Strapazen eines langen und eisigen Winters, den einige der Leute hier im Rübenloch nicht überlebt hatten. Sicher hätte es noch mehr von ihnen erwischt, da das Feuerholz in den letzten Wochen knapp wurde und auch die Vorräte des letzten Jahres neigten sich schnell dem Ende.

Einzig die Großherzigkeit des Herzogs, der im Südwesten der Stadt, in der Nähe des Südtores, residierte, verhinderte das Schlimmste. Er lies Holz und Brot ins Rübenloch bringen und unter den Bewohnern verteilen, nachdem Livia ihm von den Leiden der Ärmsten berichtet hatte. Eigentlich unterschied sich der Herzog nicht sonderlich vom Adel andernorts und vielleicht wäre ihm das Leiden im Rübenloch egal gewesen. Doch es war Livia, die seinen Sohn vom schweren Fieber heilte und er sah sich seither in ihrer Schuld.

In Anbetracht dieser Tatsache hätten Livia und die Kinder hier gut leben können. Doch auch wenn der Herzog das Oberhaupt der Stadt war, hatten Andere längst damit begonnen, dessen Entscheidungen zu beeinflussen.

Vor allem lebte die Stadt mit ihren unzähligen Gotteshäusern im Glauben an einen neuen Gott und eben jener Glaube war es, der den Bischof der Stadt zum mächtigsten Mann hatte werden lassen.

Selbst der Herzog wagte es fast nie, ihm zu widersprechen, und duldete dessen eisernes Regiment. Isolas und Lara wussten um die Strenge des Mannes, auch wenn ihre Mutter Bischof Lazus nur selten erwähnte.

Sie wussten auch, dass er Menschen verbrennen lies, Menschen hier aus dem Rübenloch und nur sehr selten aus einem anderen Teil der Stadt. Meist waren es Menschen, die sich weigerten, diesen neuen Gott zu akzeptieren, Menschen, die sich nach wie vor einzig dem Urteil der alten Götter ergaben.

Einmal hörte Isolas, wie Nilda von diesem neuen und einzigen Gott sprach. Wie sollte ein einziger Gott sowohl die Trauer einer Mutter um ihr verstorbenes Kind, als auch die Wut eines Vaters, dessen Familie unter der Last der Steuern Hunger drohte, nachempfinden? Seine Mutter war es, die Nilda zum Schweigen anhielt. Zu groß wäre die Gefahr, die aus solchen Gedanken erwuchs.

Lara schloss die Augen und genoss die Wärme, die ein paar Sonnenstrahlen auf ihr Gesicht warfen. Isolas musste lachen, als er sie betrachtete, wie sie ihr Gesicht in die Sonne hielt und dabei eher unbedacht eine eigenartige Grimasse machte.

»Warum lachst du?«, fragte Lara und öffnete wieder die Augen.

Sie sah ihn dabei strahlend und zufrieden an, was Isolas ein weiteres Lächeln abgewann.

»Ach nichts«, antwortete Isolas und nahm ihre Hand. »Lass uns gehen.«

Ziellos liefen die beiden nun in Richtung Süden, hinunter zum Kornmarkt, wo Händler die Reste der letzten Ernte feilboten. Der unerbittliche Winter hatte die Preise für Korn und Mehl in die Höhe getrieben und selbst die betuchten Bürger Meneos feilschten mit den Händlern, die mit wilden Gesten jede Kritik abzuwehren suchten.

Lara und Isolas nahmen kaum Notiz von den Leuten und rannten weiter in Richtung Süden, die Korngasse entlang, bis hinunter zu San Miguel, der größten und eindrucksvollsten Kirche der Stadt. Die Kathedrale erhob sich hoch über die Dächer der Stadt und der dunkle Klang ihrer Glocken war selbst im Rübenloch deutlich zu hören.

Mit einer Länge von 450 und einer Breite von mehr als 270 Fuß dominierte der imposante Bau, mit seinem weit in den Himmel ragenden Turm, die Stadt und zeugte, wenn man Bischof Lazus Glauben schenken wollte, von der unendlichen Größe des wahrhaftigen Gottes.

An den Sonntagen beteten hier die Einflussreichsten der Stadt. Bischof Lazus persönlich hielt die Messe und nahm die Beichte ab, während die einfacheren Menschen der Stadt Zuflucht in einer der anderen, viel kleineren Kirchen, suchten.

Laras Schritte wurden schneller, je näher sie San Miguel kam. Während Isolas immer beeindruckt hinauf zur Spitze des Turms starrte, überkam Lara Unbehagen in der Nähe der Kathedrale. Erst als sie weit genug entfernt, ja fast schon am Hafen angekommen waren, beruhigte sich ihr Gemüt und auch das Lächeln kehrte auf ihr Gesicht zurück.

Das Meer war es, dass Lara immer wieder hinunter zum Hafen lockte und so sehr sie sich auch bemühte, konnte sie am Horizont nur Wasser sehen und schien beeindruckt von dieser nicht enden wollenden Weite.

Isolas verharrte einen Moment neben seiner Schwester und starrte nun ebenfalls hinaus aufs Meer. Er sah einige Fischerboote, die in den Hafen zurückkehrten.

Ein alter Mann, der am Bug eines kleinen Fischerbootes stand und genüsslich an seiner Pfeife zog, entdeckte die Kinder und winkte ihnen zu. Isolas erkannte Alof und winkte zurück. Er und seine Frau Nilda gehörten zu den Wenigen, deren Verhalten sich, seit der Hinrichtung nicht verändert hatte, und manchmal brachte er ihnen einen prächtigen Fisch, wenn die See es gut mit ihm meinte.

Alof war ein guter Freund ihrer Familie und fuhr viele Jahre mit seinem Vater hinaus aufs Meer. Seit dem Tod des Vaters versuchten er und Nilda alles, um Livia und den Kindern zu helfen.

Nachdem Alof das kleine Boot an einem der unzähligen kleinen Stege festgemacht hatte, stieg er eine kleine Leiter hinauf und kam auf Lara und Isolas zu.

»Na ihr zwei. Weiß eure Mutter das ihr hier seid?«

»Ja«, antwortete Isolas, während Lara dem alten Mann in die Arme fiel.

»Alof!«, freute sie sich. »Hast du einen Fisch gefangen?«

»Einen? Ich habe heute mindestens zwanzig Fische gefangen«, berichtete der alte Mann und streichelte Lara sanft durchs Haar. »Ich werde euch später einen ganz Großen vorbeibringen.«

Lara umarmte Alof erneut und deutete Isolas an, dass sie nun weiter wolle. Alof lächelte Isolas zu und machte eine Kopfbewegung in Richtung des Fischmarktes, der nur wenige Schritte entfernt war.

»Geht schon und grüßt mir meine Frau.«


Am Fischmarkt angekommen sahen sie wie ein Junge, in Isolas Alter, einen Apfel vom Stand der alten Nachbarin nahm und eilig davon rannte. Die Alte bemerkte dies, machte jedoch keine Anstalten ihm zu folgen oder eine der patrouillierenden Wachen zu rufen.

»Möchtest du auch einen Apfel?«, fragte Isolas und deutete auf Nildas Stand. Er wusste, dass Lara die Äpfel, die die Ascûri aus dem Süden, von der Insel Tar’is mitbrachten, über alles liebte.

Lara nickte und zerrte ihn zum Stand der alten Frau.

Dort angekommen tat sich Lara schwer einen der Äpfel auszuwählen. Sie sahen alle furchtbar lecker aus und sie wollte, wie immer, den Schönsten.

»Lara, meine Süße«, freute sich Nilda, als sie die Kleine entdeckte und schenkte ihr ein warmes, fast schon vertrautes Lächeln.

»Einen Apfel«, antwortete Lara. »Aber er muss schön sein und süß.«

»Da vorn habe ich nur die normalen Äpfel für jedermann«, schmunzelte die Alte und zwinkerte Isolas zu. »Deinen Apfel habe ich hier in meinem Korb.«

Sie deutete auf einen alten Weidenkorb, den sie unter dem Tisch abgestellt hatte. Sie öffnete den Deckel des Korbes und holte einen wirklich schönen Apfel hervor. Es war ein großer, roter Apfel, dessen Süße man ihm ansehen konnte. Lara musste nicht überzeugt werden, schließlich hatte Nilda, die Frau des Fischers, ihren Apfel extra für sie aufgehoben. Sie nahm den Apfel und biss hinein. Sie sinnierte einen Moment und kaute langsam und genussvoll. Dann stand ihr Urteil fest.

»Der beste Apfel, den ich je gegessen habe.«

Isolas musste lachen und auch Nilda brach nun in Gelächter aus.

»Das will ich doch hoffen«, prustete sie los, unterbrochen von einem trockenen Husten. »Für dich nur das Beste.«

Nun deutete sie Isolas, ebenfalls zuzugreifen, was sich der Junge nicht zweimal sagen ließ. Er nahm sich nun auch einen Apfel, wobei es ihm egal war welchen, da Lara sich den besten aller Äpfel längst schmecken ließ.

Er bedankte sich bei Nilda und erinnerte sich an die Bitte ihres Mannes.

»Ich soll dich von Alof grüßen. Er hat mehr als zwanzig Fische gefangen.«

Nilda freute sich sichtlich und begann damit Platz auf dem Tisch zu machen. Selbst nach Abgabe des Zehnts an den Herzog würden die restlichen Fische den einen oder anderen Silberling einbringen.

Isolas und Lara verabschiedeten sich von Nilda. Lara kicherte, als diese sie in den Arm nahm und ihr einen Kuss auf die Stirn drückte. »Pass auf deinen Bruder auf. Hörst du?«

»Mach ich doch immer«, grinste Lara bis über beide Ohren und nahm Isolas Hand.

Gemeinsam folgten sie dem Hafenbecken weiter in Richtung Westen und kamen zum Stehen, als sie fremde Schiffe entdeckten. Drei vom Rumpf bis zu den Masten in einem dunklen Blau gehaltene Schiffe, hatten an einem der Stege angelegt. Zeichen und Symbole, deren Bedeutung Isolas und Lara nicht kannten, zierten die Segel.

Mit jedem Schritt, den die beiden näher kamen, erkannten sie mehr Details, entdeckten Schnitzereien und weitere Zeichen, die überall an den Schiffen ihren Platz fanden.

Mit einigen Schritten Abstand, hielten die Kinder inne und beobachteten das Treiben rund um die Schiffe. Mehrere Leute be- und entluden die Schiffe, während wieder andere die Planken der Schiffe putzten. Lara und Isolas entdeckten auch Kinder, die mitten in dem Treiben spielten und lachten.

»Die Ascûri«, murmelte plötzlich jemand hinter Isolas und Lara.

Es war Alof, der sich unbemerkt genähert hatte. Er setzte seine Ausführungen fort, während die beiden Kinder aufmerksam zuhörten.

»Sie leben auf den Schiffen. Ihre Heimat ist das offene Meer.«

»Auf den Schiffen?«, staunte Lara.

»Ja«, antwortete Alof. »Sie verbinden kleine Koggen und große Karacken miteinander und bauen so kleine und manchmal auch riesig große Siedlungen mitten auf dem Meer. Nur zum Handeln kommen sie an Land.«

»Dann haben die kein richtiges Zuhause?«, fragte Isolas.

»Sie sind überall zu Hause, aber nirgends willkommen.«

»Aber hier sind sie willkommen«, wunderte sich Isolas und deutete zu den Schiffen.

»Ja, solange sie dem Herzog von Nutzen sind.«

»Warum mag er sie denn nicht?«

»Anders als wir haben die Ascûri ihrer Göttin Aela nie abgeschworen.«

Lara starrte noch immer gebannt auf die Schiffe und die Kinder, die um sie herumtollten, als Isolas zusammen zuckte.

»Wir sollten nach Hause. Mama wartet.«

»Aber ich will noch gucken«, protestierte Lara, gab dann aber dem fordernden Blick ihres Bruders nach und folgte ihm zurück ins Rübenloch.

Vorboten

Nilda machte gerade den Abwasch, als sie auf das Geschrei aus dem Haus gegenüber aufmerksam wurde. Sie wusste, dass Livia ihrer Anstellung im Schloss nachging und die Kinder allein zu Hause waren.

Es kam nicht oft vor, dass Isolas und Lara sich stritten. Auch wenn die beiden Kinder sich anbrüllten, konnte Nilda nicht verstehen, worum es ging. Vorerst beschloss sie, dem Ganzen nicht mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als nötig schien. Ruhig beendete sie den Abwasch und begann gerade damit, das Geschirr zu trocknen, als aus Livias Haus das Geräusch herunterfallenden Geschirrs zu hören war.

Nilda legte das Geschirrtuch beiseite und sah zu Alof, der seelenruhig in einem alten Sessel saß und seine Netze flickte.

»Ich sehe mal nach den Kindern.«

Alof nickte kurz, woraufhin Nilda das Haus verließ.

Nilda, die dem Haus nun immer näher kam, hörte, dass die beiden darüber stritten, wer was aufräumen sollte. Isolas forderte Lara immer wieder auf, zu helfen, während Lara sich lautstark beschwerte. Nilda zuckte, kurz bevor sie die Tür des Hauses erreichte, zusammen, als erneut ein lautes Knallen zu hören war.

Ohne zu klopfen, öffnete Nilda die Tür und sah Lara, wie diese die Treppen nach oben rannte. Sie sah aber auch zerbrochenes Geschirr, das vom Tisch gefallen sein musste, während die Kinder stritten.

Isolas, der nicht bemerkt hatte, dass Nilda eingetreten war, folgte seiner Schwester. Dies tat auch Nilda, die sich schwertat die Treppen hochzukommen. Sie hörte plötzlich ein dumpfes Geräusch und sah einen großen Schatten, der scheinbar durch den Raum zu fliegen schien. Danach vernahm sie ein lautes Krachen.

Stille kehrte ein.

Als Nilda die letzte Stufe erreichte, sah sie Lara, die sichtlich erschrocken, mit weit offenem Mund regungslos im Raum stand. Sie sah Isolas, der neben seinem Bett lag. Er stöhnte kurz und erhob sich vom Boden.

»Sag mal, spinnst du!«, protestierte er und hielt sich den Arm.

Lara sagte noch immer nichts, woraufhin Nilda einschritt.

»Was ist denn hier los?«, zischte sie und sah Lara fragend an.

Diese zuckte zusammen und sah die Alte mit großen Augen an.

»Ich wollte nur, dass sie ein wenig hilft«, erklärte Isolas, der sich noch immer den Arm hielt. »Sie ist völlig durchgedreht.«

»Ich hab jetzt aber keine Lust«, protestierte Lara, nachdem sie sich beruhigt hatte. »Ich will spielen.«

»Und weil du keine Lust hast, zerlegst du das Haus?«, fragte Nilda wütend.

»Ich hab nichts gemacht«, beteuerte Lara. »Das Geschirr ist einfach vom Tisch gefallen. Und Isolas hab ich nicht angefasst.«

Isolas, der die Zurechtweisung seiner Schwester durchaus als gerecht empfand, musste aber zugeben, dass Lara die Wahrheit sagte.

»Sie hat mich wirklich nicht angefasst.«

»Also gut …«, beruhigte sich Nilda und setzte fort: »… Kommt nach unten. Wir räumen das Chaos auf und dann helft ihr Alof bei seinen Netzen.«

Nildas Gesichtsausdruck machte klar, dass es nichts zu diskutieren gab. Also folgten die Kinder der alten Frau nach unten.

Nachdem sie das zerbrochene Geschirr aufgefegt und auch den Rest des Raumes in einen akzeptablen Zustand gebracht hatten, nickte Nilda zufrieden und deutete zur Tür.

»So und jetzt ab Marsch. Alof kann Hilfe gebrauchen.«

Ohne ein Wort des Widerspruchs folgten die Kinder der Aufforderung und verließen das Haus. Nilda, die ihnen in einigem Abstand nachging, schloss die Tür und folgte ihnen zu Alof, der sich freute, die Kinder zu sehen.

Es wunderte ihn, dass die kleine Lara, die normalerweise quirliger agierte, seelenruhig vor ihm stand und auf irgendetwas wartete. Nilda, die ebenfalls eingetreten war, sah ihren Mann an und erklärte, dass er jetzt Hilfe hatte.

»Zeig ihnen, wie man die Netze flickt. Die beiden Wildlinge bleiben vorerst hier und helfen dir.«

Die Kinder verbrachten den Rest des Tages bei den Nachbarn. Lara beruhigte sich zusehends und erwachte langsam aus ihrer Starre. Gemeinsam mit ihrem Bruder reparierte sie eines der kleineren Netze, die Alof zum Fischen benutzte. Auch Nilda hatte sich beruhigt, räumte im Haus auf und beobachtete zufrieden, dass Isolas und seine Schwester sich wieder vertrugen.

Die Dämmerung setzte bereits ein und die Kinder lauschten gerade Alof, der vom Meer und den Ascûri berichtete, als Nilda durch eines der Fenster sehen konnte, dass Livia eingetroffen war.

Diese wollte gerade die Tür des Hauses öffnen, als Nilda ihr aus einiger Entfernung zurief.

---ENDE DER LESEPROBE---