Krieg um Öl oder Frieden durch die Sonne - Franz Alt - E-Book

Krieg um Öl oder Frieden durch die Sonne E-Book

Franz Alt

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Beschreibung

Franz Alts brisantes Buch weist nach, dass Politik und Energiewirtschaft aufs engste verknüpft sind. Und es benennt die wahren strategischen Ziele der Antiterror-Allianz. Leidenschaftlich appelliert der Autor: Schaffen wir die Nutzung fossiler Energien ab, bevor diese uns abschafft! Frieden durch die Sonne statt die Katastrophe durch Öl!

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Inhaltsverzeichnis
Buch
Autor
Inschrift
Vorwort
Einführung
I. KAPITEL – Krieg um Öl
Der 11. September – ein Vorspiel?
George W. Bush: mit Bibel und Bombe
Kein Frieden durch Massenmord
Pazifismus – eine pubertäre Verirrung?
Die westliche Welt gegen die restliche Welt
Kriege beleben das Geschäft
II. KAPITEL – Sei klüger als dein Feind
Wann endlich gerechte Politik?
Deutsche Minen für die Welt
Gespräch mit Rupert Neudeck
Die autistische Supermacht
Hollywood goes Afghanistan
Am atomaren Scheideweg
III. KAPITEL – Öl-Wechsel
Öl als Waffe
Heute: Öl statt Kolonien
Dealer, Drogen, Diktatoren
Die tickende Zeitbombe
IV. KAPITE L – Banken, Öl und Religion
Das Öl geht zu Ende
Teure Erdgasreserven
Die Bush-Krieger, die Politik und das Öl
Banken, Öl und Religion
Der Tanz um das ölige Kalb
V. KAPITEL – Klima-Wechsel
Gerhard Schröder und die Kohle
Die Supermacht Sonne
Die Klimakatastrophe ist da
VI. KAPITEL – Frieden durch die Sonne
Sonne ist Leben
Bürger, zur Sonne, zur Freiheit!
Der solare Energiemix
Der Sonnenpapst aus Freiburg
Die Stromrebellen von Schönau
Werden Shell und BP Solarkonzerne?
Das ökologische Wirtschaftswunder
Technik global – Energie und Rohstoffe regional
VII. KAPITEL – Reichtum für alle
Chancen für China und Indien
Zukunftsfähige Bodenseeregion
Im Wald wächst Wärme
Schilfgras statt Atom
Die Zukunftsfabrik im Südschwarzwald
Die Verkehrswende: Autofahren ist heilbar
Von Sacramento bis Bangladesch
VIII. KAPITEL – Die Jesus-Buddha-Strategie
Die Politik der Bergpredigt
Assisi oder Pentagon?
Die solare Weltwirtschaft
Was tun?
Literaturverzeichnis
Danksagung
Copyright
Buch
Erdöl, Erdgas, Uran und Kohle – an nur einem Tag verbrauchen wir so viel fossile Energie, wie die Natur in 500000 Tagen geschaffen hat. Die Folgen sind dramatisch – nicht nur für Klima und Umwelt, sondern auch für die weltpolitische Lage. Denn bereits jetzt entbrennt zwischen den großen Industriestaaten der Konflikt um die zentralasiatischen Ölvorkommen. Ob die Kriege am Golf, in Afghanistan und Tschetschenien oder die Begierde, sich die letzten großen Reserven an Erdöl und Erdgas am Kaspischen Meer zu sichern – der Energiehunger der Industrienationen droht, uns in das schlimmste Gemetzel der Menschheitsgeschichte zu stürzen. Franz Alt beschreibt die Situation, vor der wir stehen, und ihre weitreichenden wirtschaftlichen, ökologischen und weltpolitischen Konsequenzen.
Autor
Franz Alt, geboren 1938, studierte Politische Wissenschaften, Geschichte, Philosophie und Theologie. Seit 1968 arbeitet er beim SWF. 20 Jahre moderierte er das Politmagazin »Report«. Seit 1992 Leitung der Sendereihe »Zeitsprung« im SWF und seit 1997 des Magazins »Querdenker« in 3 SAT. 1979 wurde er mit dem renommierten Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet. Für sein Engagement im Zusammenhang mit ökologischen Themen erhielt er u.a. den »Europäischen Solarpreis«. Mit Publikationen wie »Frieden ist möglich« (1983), »Liebe ist möglich« (1985), »Jesus – der erste neue Mann« (1989), »Die Sonne schickt uns keine Rechnung – Die Energiewende ist möglich« (1995) und »Der ökologische Jesus« (1999) hat sich der bekannte Fernsehmoderator auch als Buchautor einen Namen gemacht.
Die Probleme, die es in der Welt gibt, sind nicht mit der gleichen Denkweise zu lösen, die sie erzeugt hat.
Albert Einstein
Vorwort zur Taschenbuchausgabe

Bush’s Falle und Saddam’s Erdloch

Was immer der US-Präsident jetzt nach seinem Krieg im Irak tut, er sitzt in der Falle, in die er sich selbst hineingebombt hat. Wenn er seine Soldaten abzieht, sieht alles nach Flucht und Verrat aus. Und das Chaos wird noch größer. Aber auch wenn die US-Besatzer bleiben, wird es keinen Frieden und keine Demokratie im Irak geben.
Bush landete in der selbstgestellten Falle wie sein Gewalt-Bruder Saddam Hussein im Erdloch. Wieder einmal zeigte sich für die ganze Welt, dass mit Gewalt politische Probleme nicht zu lösen sind. Frieden kann nur mit friedlichen Mitteln erreicht werden. Alles andere ist Selbstbetrug und führt zu Massenmord, Vergewaltigung und Folter.
Ich schrieb dieses Buch nach dem Afghanistan- und vor dem Irak-Krieg. 16 Millionen Demonstranten im Februar 2003 konnten diesen Krieg nicht verhindern. Aber die pazifistisch orientierten Zivilgesellschaften haben durch Bushs Kriegspolitik eine neue Stärke bekommen. Verloren hat der vermeintliche Sieger George W. Bush – aber auch Tausende Unschuldige verloren ihr Leben und ihre Würde. Gewonnen haben durch Bushs Krieg weltweit die Terroristen. Der US-Präsident war ihr bester Helfer.
Weltpolitisch war die USA noch nie so isoliert wie heute. Diese Worte schreibe ich während der »Renewables 2004«-Konferenz in Bonn. Die Erneuerbaren Energien sind jetzt weltweit im Vormarsch. Die solare Energiewende ist eingeleitet.
Pfingsten 2004 haben die Terroristen in Saudi Arabien zugeschlagen – nahe bei den größten arabischen Ölfeldern. Der Krieg um Öl wird immer brutaler. Aber Kriege um die Sonne wird es nie geben. Heute kann jede große, alte Energieanlage das Ziel von Terroristen sein. 18 Atomkraftwerke in Deutschland und über 400 weltweit sind zu potenziellen terroristischen Angriffszielen geworden.
Terroranschläge auf Windräder oder Solaranlagen sind hingegen nicht zu befürchten. Damit würden sich Terroristen in ihren eigenen Augen nur lächerlich machen. Sie denken so großmannsüchtig wie George W. Bush. Alle Erneuerbaren Energien sind schon deshalb terrorsicher, weil es sich dabei immer um eine relativ kleine, dezentrale Energieversorgung handelt – weltweit. In den letzten zehn Jahren sind die Preise für die alten Energieträger etwa um das Doppelte gestiegen – die Preise für Erneuerbare Energien aber wurden halbiert. Es ist klar, wohin die Reise geht.
Die Frage »Krieg um Öl oder Frieden durch die Sonne« ist endgültig zur politischen Schicksalsfrage des 21. Jahrhunderts geworden.
Bonn, im Juni 2004
Franz Altwww.sonnenseite.com
Einführung

Problemversessen und lösungsvergessen

Die Welt ist voll von Politikern, die ewig über Problemen brüten. Sie sind geradezu nach Problemen süchtig. Zu allem Überfluss werden sie auch noch von tausenden Journalisten darin unterstützt. Dabei handelt es sich immer wieder um die gleichen Probleme wie Krieg und Frieden, Armutsbekämpfung, soziale Gerechtigkeit, Geld und Macht. So ist das seit Jahrtausenden. Allmählich wird das langweilig.
Daher versuche ich in diesem Buch etwas anderes: Lösungen zu beschreiben, statt Probleme zu analysieren. Genauer gesagt: Ich versuche beides.
Im ersten Teil dieses Buches (Kapitel I bis IV) geht es um eine Analyse des 11. September 2001 und seine Folgen. Also um die Frage: Gibt es wirklich keine intelligenteren Lösungen als Kriege? Denn Krieg ist keine wirkliche Lösung. Er führt immer zum nächsten Problem.
Im zweiten Teil (Kapitel V bis VIII) werden dann überraschende Lösungen aufgezeigt, um die wir uns nicht länger herummogeln können, wenn wir wirklich an einer friedlicheren Welt mitarbeiten wollen.
Es wird deutlich werden: Frieden ist möglich.
I. KAPITEL
Krieg um Öl

Der 11. September – ein Vorspiel?

Seit dem 11. September 2001 haben wir eine weltweite Koalition gegen den Terror. Sie wird erfolglos bleiben, wenn es uns nicht gelingt, eine weltweite Koalition gegen den Hunger zu organisieren. Armut ist die giftigste Substanz der Welt. Die heutige Politik, deren Aufgabe es ist, dieses Gift vom Weltmarkt zu nehmen, gleicht aber eher einer riesigen Maschine zur Vernichtung von Menschen, Ideen und Geld.
Eine Welt, in der die vier reichsten US-Amerikaner mehr Geld haben als die eine Milliarde der Ärmsten, ist krank. Die NATO gibt in eineinhalb Tagen so viel Geld aus, wie der UNO in einem Jahr zur Verfügung steht – alle Hilfsprojekte inbegriffen. Ist so Frieden möglich? Ausgaben zeigen sehr deutlich, was wir als unsere Aufgaben verstehen.
Der schlimmste und am weitesten verbreitete Terror ist der Hunger. Und die größte Bedrohung unserer Zukunft ist der Treibhauseffekt. Diese bedrängendsten aktuellen und zukünftigen Probleme werden zwar richtig analysiert, aber politisch nicht ausreichend angepackt. Die heutige Politik ist entschieden zu wenig problemlösungsorientiert. Die weltweit herrschende Politik betreibt Symptombekämpfung – aber die Ursachen des Terrorismus werden verdrängt, vergessen oder vernachlässigt.
Der Weltklimawandel ist der Ernstfall der Weltinnenpolitik. Er ist längst eingetreten. Aber noch sind die Kräfte der Zerstörung vielfach stärker als die Kräfte des Aufbaus. Gegenüber dem Treibhauseffekt betreiben wir lediglich Symptombekämpfung. Wenn wir nicht Selbstmord begehen wollen, müssen wir umsteuern. Dass der Klimawandel für die Sicherheit auf unserem Planeten eine noch größere Gefahr als der Terrorismus ist, ergab im März 2004 sogar eine Studie des Verteidigungsministeriums in Washington.
Die Bombardierung Afghanistans war die Rache für den 11. September. Erst wenn wir die 3000 Toten in New York nicht mehr verrechnen mit den 5000 Toten der Racheakte, sondern sie addieren, sind wir auf einem neuen Weg. Jeder Mensch zählt gleich viel – ob in Afghanistan oder in den USA. So hat es die indische Schriftstellerin Arundhati Roy schon in den ersten Wochen nach dem 11. September deutlich gesagt. Der Irak-Krieg im Jahr 2003 und seine Folgen haben 18 000 Menschen das Leben gekostet. Die für die Kriege politisch Verantwortlichen im Weißen Haus sind Massenmörder.
Klimakatastrophe, Bürgerkriege, Ressourcenkriege, Armut und Verleumdung sind Herausforderungen für eine Weltinnenpolitik, die rasch beginnen muss. Dann erst können wir damit anfangen, die Ursachen des Terrorismus zu überwinden.
Die jetzt weltweit bei Regierenden so beliebt gewordene Remilitarisierung der Politik bis hin zur Kriegführung bleibt vergebliche Symptombekämpfung, solange die Ursachen der Probleme übersehen und verdrängt werden.
Der 11. September war wahrscheinlich nur ein Vorspiel des Schreckens, wenn es uns nicht gelingt, einen Frieden durch Gerechtigkeit und einen Frieden mit der Natur zu schaffen. Die Lösungen der Probleme schaffen wir, wenn viele Menschen es wollen. Der bisherige Reichtum des Westens ist abhängig von seiner Verfügungsgewalt über die Ressourcen. In fünf bis zehn Jahren werden wir mehr als die Hälfte aller Erdölvorkommen verbraucht haben. Der Weltenergierat prognostiziert:
• Das Erdöl reicht noch etwa 40 Jahre,
• Das Erdgas noch etwa 50 Jahre,
• Uran zum Betreiben von AKWs noch 60 Jahre und
• Kohle noch etwa 100-120 Jahre.
Und was dann? Wir verbrauchen heute an einem Tag so viel fossile Energie, wie die Natur in 500 000 Tagen geschaffen hat. Aus der Sicht von Kindern handeln wir absolut gewissenlos. Wir Heutigen sind die erste Generation, die ihren Brutinstinkt verloren hat. Wir sind zu einer Generation der Endverbraucher verkommen.
Der Kampf gegen den Terrorismus ist auch ein Kampf um die Welt-Energieherrschaft. Wir führten und führen Kriege um Öl. Beispiele:
• der Krieg am Golf 1991,
• der Krieg in Afghanistan 2001/2002,
• der Tschetschenien-Krieg,
• Kriege in Afrika und künftige Kriege in Zentralasien und am Kaspischen Meer, wo es noch die größten Reserven an Erdöl und Erdgas gibt,
• und schließlich der Irak-Krieg 2003.
Die heutigen Kinder und Jugendlichen werden das Ende der Ölund Gasreserven auf unserem Planeten erleben. Wir verbrauchen in Jahrzehnten, was die Natur in Jahrmillionen geschaffen hat. Wie eine Generation von Pyromanen verbrennen wir die Zukunft unserer Kinder.
Kriege aber zerstören zwangsläufig das, was sie zu retten vorgeben. Kriege sind nie eine Lösung, sie sind immer Teil des Problems. Gewalt macht süchtig, wobei der Verlierer nach Rache dürstet und der Sieger nach weiteren Siegen. Nach Afghanistan sollen Irak und Somalia folgen. Genau so hat es George W. Bush angekündigt. Und Bin Laden? Er will, dass weitere Türme einstürzen! Die »Gotteskrieger« leben geradezu von der Rache. Ohne Rache würden sie machtlos.
Der Energiehunger der Industriestaaten wird zum größten Gemetzel der Menschheitsgeschichte führen, wenn nicht rasch der Umstieg auf erneuerbare Energien gelingt. Die Sonne schickt uns 15 000-mal mehr Energie, als zurzeit alle sechs Milliarden Menschen verbrauchen. Und zwar kostenlos. Hinzu kommen die indirekten solaren Energiequellen wie Windkraft, Wasserkraft, Erdwärme, Wellenenergie, Biogas, Biomasse-Energie und solarer Wasserstoff. Die Sonnenstrategie eröffnet die Chance zum Weltfrieden. Weltkonzerne wie Shell und BP sind bereits dabei, sich strategisch neu zu orientieren. Erdölkonzerne werden Solarkonzerne. BP wird nach eigenen Angaben nicht mehr für British Petroleum stehen, sondern für Beyond Petroleum. Die solare Energiewende kann aber auch Millionen neue Arbeitsplätze für innovative Mittelständler schaffen. Ressourcenkriege sind nicht nur unsinnig und unmoralisch, sie sind schlicht unnötig. Wir kennen heute vernünftigere Lösungen.
Die große politische Entscheidung des 21. Jahrhunderts wird heißen: Krieg um Öl oder Frieden durch die Sonne! Das ist der ultimative Scheideweg, vor dem wir als Weltgesellschaft heute stehen.

Frieden – nur mit friedlichen Mitteln

Die größte Chance besteht darin, dass heute jeder Mensch die Möglichkeit hat, sich im Umgang mit Gewalt und im Umgang mit seiner Mitwelt besser zu qualifizieren. Alle können etwas beitragen, wenn die grundsätzliche Entscheidung in uns erst einmal gefallen ist. Und die heißt: Frieden ist nur möglich mit friedlichen Mitteln.
Wir werden in diesem Buch erkennen: Gewaltfreiheit ist keine Utopie. Eine Welt in Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit ist möglich. Dafür brauchen wir anstelle der alten fossilen Weltwirtschaft eine solare Weltwirtschaft in einem solaren Zeitalter.

Auge um Auge – Wahn um Wahn

Nine-eleven ist in den USA inzwischen zu einem Synonym für den 11. 9. 2001 geworden. In Nordamerika wird das Datum so geschrieben: 9-11-2001. 911 ist in den USA auch die Telefonnummer für Notfälle. Was können die US-Amerikaner und was können alle Menschen aus den Notfällen der Terroranschläge des 11. September 2001 lernen?
Schon einmal war ein 11. 9. ein historisches Datum. Am 11. 9. 1973 war der chilenische Präsident Salvador Allende gestürzt worden. Später wurden 20 000 Anhänger Allendes ermordet. Allendes Sturz wurde vom US-Geheimdienst CIA und von den chilenischen Minenbaronen veranlasst, welche die Verstaatlichung ihrer Geschäfte verhindern wollten.
Selbstverständlich kann man auch die 20 000 Toten von Chile mit den 3000 Toten von New York und den inzwischen über 5000 Toten von Afghanistan nicht verrechnen. Was »nutzen« den 20 000 Toten von Chile die 3000 Toten in den USA und was die inzwischen über 10 000 Toten in Afghanistan und die 18 000 Toten im Irak-Krieg den 3000 Toten in New York und Washington? Kein einziger Toter lebt dadurch wieder, dass andere Menschen getötet werden. Krieg ist und bleibt Wahnsinn. Solange wir Massenmord mit Massenmord vergelten, handeln wir noch immer wie seit Jahrtausenden nach dem Motto: Auge um Auge – Wahn um Wahn. George W. Bush hat in Afghanistan einen Heuhaufen niedergebrannt, um ein paar Nadeln zu finden. Aber nicht einmal diese hat er gefunden.
Der Terrorismusforscher Peter Waldmann schrieb drei Jahre vor den Anschlägen in New York und Washington: »Dem Terroristen geht es nicht um den eigentlichen Zerstörungseffekt seiner Aktionen. Diese sind nur ein Mittel, eine Art Signal, um einer Vielzahl von Menschen etwas mitzuteilen. Terrorismus, das gilt es festzuhalten, ist primär eine Kommunikationsstrategie.«
Was wollten uns die Terroristen des 11. September 2001 mitteilen? Wer intellektuell redlich bleiben will, kommt um diese Frage nicht herum.
Jeder Terroranschlag ist auch ein Schrei nach Gerechtigkeit. Zwei Spitzenpolitiker der USA haben ganz verschiedene Antworten auf diesen »Schrei« gegeben. Präsident George W. Bush meinte noch unter dem Schock der Anschläge am Abend des 11. 9. 2001: »Wir werden unseren amerikanischen Lebensstil niemals ändern.«
Nur 14 Tage später traf ich seinen Gegenspieler vom letzten Präsidentenwahlkampf. Al Gore sagte in Basel während einer 70-Minuten-Rede 14-mal sinngemäß: Wenn wir uns nicht ändern, werden wir als Spezies Mensch von dieser Erde verschwinden.
Als George W. Bush bekannt gab, dass er seinen riesigen Rüstungsetat nochmals um 48 Milliarden Dollar erhöhen würde, und die drei kulturell, ökonomisch, politisch und religiös sehr unterschiedlichen Länder Irak, Nordkorea und Iran zur »Achse des Bösen« erklärte, antwortete Al Gore, der von den meisten US-Wählern als Präsident vorgesehen war, noch deutlicher: »Die Ursachen des Bösen sind Hunger, Armut und Unterdrückung.« Es gibt auch das andere Amerika! Die beiden Spitzenpolitiker des Präsidentenwahlkampfes im Jahr 1999 lesen die Zeichen des Nine-eleven offensichtlich ganz unterschiedlich.

George W. Bush: mit Bibel und Bombe

George W. Bush hat bei seinem Amtsantritt im Januar 2000 auf die Bibel geschworen – dort ist die Rede von Frieden schaffen, Feindesliebe und Versöhnung -, aber er vertraut eher auf die Bomben als auf den Gott Jesu, auf den er sich beruft. Wem vertrauen wir? Gott oder der Bombe? Jesus oder Cäsar? Verhandeln oder Vernichten? Die Antwort auf diese Fragen ist entscheidend für unsere Zukunft.
Die Taliban-Regierung in Kabul hat der US-Regierung nach dem 11. 9. Verhandlungen über die Auslieferung von Bin Laden angeboten. Doch für die Regierung in Washington gab es nichts zu verhandeln. Sie setzte auf Krieg. Wie will man wissen, dass man mit »dieser Regierung« nicht verhandeln oder »mit denen gar nicht reden« kann, solange man es nicht einmal versucht? Noch drei Jahre vorher war eine Delegation derselben Taliban-Regierung zu Verhandlungen über eine Erdgas-Pipeline durch Afghanistan in Washington. Über Erdgas wurde damals verhandelt, aber über Krieg und Frieden gab es nun angeblich nichts zu verhandeln.
Selbstverständlich wurde auch der Afghanistan- und der Irak-Krieg »für den Frieden« geführt. In Kriegszeiten nehmen die Kriegführenden das Wort Frieden besonders gern in den Mund. Als Präsident Bush die Luftangriffe auf Afghanistan bekannt gab, beliebte er zu sagen: »Wir sind eine friedliebende Nation.« Und sein Alter Ego in London, Tony Blair, der die USA militärisch unterstützt, sagte: »Wir sind ein friedliches Volk.«
Arundhati Roy dazu: »Jetzt wissen wir Bescheid. Schweine sind Pferde. Mädchen sind Jungen. Krieg ist Frieden.« Wir müssen den Terrorismus zweifellos bekämpfen. Die Frage ist nur, mit welchen Mitteln? Wäre es nicht erfolgversprechender, in Aufbauprojekte zu investieren anstatt in Waffen und Raketen?
15 der 19 Attentäter in den Flugzeugen am 11. 9. 2001 stammten aus Saudi-Arabien. Nach allen Gesetzen der Logik hätte die US-Regierung Saudi-Arabien bombardieren müssen. Warum geschah das nicht? Die Antwort ist ganz einfach: wegen der Ölinteressen der USA in Saudi-Arabien!
George W. Bush sagt: »Die ganze Welt ist unser Schlachtfeld«, und 83 Prozent der Nordamerikaner stimmen ihm zu. Für Bush ist der Krieg noch immer der Vater und die Mutter aller Dinge. Der derzeitige US-Präsident ist unfähig, die Zwangsehe einer jahrtausendealten Politik mit dem militarisierten Wahnsinn zu beenden. Mit Bibel und Bombe will er seinen Kreuzzug gewinnen. »Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns«, sagte John Foster Dulles im Kalten Krieg. Heute sagt es Bush junior mit denselben Worten. Kreuzzugsmentalität!
Es ist die Tragik der Macht, dass sie seit Jahrtausenden glaubt, töten zu müssen, um am Leben zu bleiben. Nichts anderes erwartet auch das Gros der veröffentlichten Meinungsmacher. Die Leitartikler der größten US-Zeitungen und die Mehrheit der Intellektuellen waren sich nach dem 11. 9. einig: »Irgendetwas muss George W. Bush jetzt tun.« Sie meinten selbstverständlich, er müsse militärisch reagieren! Auf eine andere Idee kamen die meisten Journalisten gar nicht. Auch deshalb bekam Präsident Bush für seine ersten Bomben in Afghanistan sogar Zustimmung von 93 Prozent der US-Bevölkerung.

Warum Krieg?

Zunächst wollte George W. Bush einen »Kreuzzug« führen. Kreuzzug – wie vor 1000 Jahren! Doch die potenziellen Verbündeten in der islamischen Welt waren darüber entsetzt. Dann also »Krieg«. Wie schon zehn Jahre vorher sein Vater den »Golfkrieg« führte. Damals sollten in Kuwait »die Menschenrechte wiederhergestellt« werden. Heute bestreitet in Washington kein Politiker mehr, dass der angebliche Krieg für die Menschenrechte in Kuwait natürlich ein Krieg um Öl war. Um nichts anderes ging es. Und worum geht es heute in Zentralasien?
In Kriegszeiten wird gelogen und betrogen, dass sich die Balken biegen. Krieg führende Regierungen sind an vielem interessiert, aber nicht an der Wahrheit. Jeder Journalist weiß, dass das erste Opfer jedes Krieges die Wahrheit ist.
Die Angriffe in Afghanistan auf die Taliban-Milizen lassen sich schlecht als Verteidigung der Menschenrechte verkaufen. Also sagt Bush: Wir führen einen Krieg. Aber warum denn? Welches Land hat die USA militärisch angegriffen? Führt jemand Krieg gegen die USA, sodass sie sich wehren müssten? Die Anschläge des 11. September waren ein gigantisches Verbrechen. Es war Massenmord. Aber deshalb Krieg? Neuer Massenmord?
Es bleibt unbegreiflich, dass Geheimdienste, für deren Arbeit jährlich 30 Milliarden Dollar aufgewendet werden, von den Spuren, welche die Terroristen jahrelang bei der Vorbereitung der Anschläge kreuz und quer durch die USA hinterließen, nichts gemerkt haben sollen. Die Verantwortlichen für die 3000 Toten in New York und Washington sind Verbrecher. Für die Bestrafung von Verbrechen gibt es Gesetze und Gerichte. Die Schuldigen müssen gefunden und vor Gericht gestellt werden. Ein Gerichtsverfahren haben die meisten islamischen Länder, aber auch der Vatikan, vorgeschlagen. Der ganz normale Rechtsweg wäre aber möglicherweise gefährlich gewesen für die USA. So hätte zum Beispiel aufgedeckt werden können, dass die offizielle Politik der USA über Jahrzehnte hinweg genau die Kräfte finanziert, unterstützt und aufgerüstet hat, die für die Verbrechen des 11. September 2001 vermutlich verantwortlich sind.
Die Geheimdienste der USA haben in Zusammenarbeit mit dem pakistanischen Geheimdienst schon in den 80er Jahren radikale islamistische Fundamentalisten bewaffnet, damit diese einen »heiligen Krieg« gegen die damaligen russischen Invasoren in Afghanistan führen konnten. Noch vor wenigen Jahren waren die islamischen Fundis die Lieblinge der amerikanischen Politik, weil sie die besten Killer hatten und weil sie brauchbar schienen für die amerikanischen Öl- und Gasinteressen. Diese Zusammenhänge wären in einem ordentlichen Gerichtsverfahren offensichtlich geworden. Dann also doch lieber Krieg! Damit ersetzte George W. Bush das Völkerrecht durch das Faustrecht. Die USA stellten ihren »Kampf gegen den Terrorismus« ursprünglich unter das Motto »Grenzenlose Gerechtigkeit«. Die meisten Menschen in den armen Ländern empfinden Amerikas Vorgehen als eine grenzenlose Ungerechtigkeit. Die US-Gesellschaft huldigt ihrem Waffenwahn, einem Kult der Gewalt, und erhebt den Krieg zu ihrem wahren Gott. Doch der Anfang der Rache ist immer nur das Ende des Rechts.

Die nächste Tankstelle

Und so wie sich die USA nach dem Golfkrieg militärisch im Nahen Osten, hauptsächlich in Saudi-Arabien, festgekrallt haben, um ihre Ölversorgung sicherzustellen, so bietet der neue Krieg in Zentralasien die große Chance, sich militärisch die nächste Tankstelle der Welt zu sichern. Denn im Gebiet vom Persischen Golf über das Kaspische Meer bis nach Zentralasien lagern 70 Prozent der Welterdölvorräte und ein Drittel aller Erdgasreserven. Pipelines für Gas und Öl durch Afghanistan und Pakistan sind der Traum der US-Energiebosse.
Im Norden von Afghanistan liegt Kasachstan – Energieexperten sprechen bereits von »Neu-Kuwait«. Der kasachische Boden hat gesicherte Ölreserven von 15 Milliarden Barrel. Die geschätzten Vorkommen betragen sogar 65 Milliarden Barrel. Der Bankrott gegangene US-Energiegigant Enron hatte sich an diesem Markt bereits den Hauptanteil gesichert.
Die Öl- und Gasbosse der USA haben George W. Bush mit Millionen Dollars den Wahlkampf finanziert. Er ist ihr Mann. Und nach dem 11. 9. zeigt sich wieder einmal: Wahltag ist Zahltag! Das war zurzeit des Golfkrieges so bei Bush senior und ist jetzt so bei Bush junior. Beide Präsidenten, Vater und Sohn, kommen aus der Öllobby, wichtige Minister und Mitarbeiter von ihnen ebenfalls. Der Energiewirtschaft verdanken sie ihren Aufstieg und ihre Karriere. Also: Nichts liegt näher als Kriege um Öl und Gas!
Ägypten, selbst vom islamischen Terror bedroht, seit »Gotteskrieger« Anwar as-Sadat 1980 ermordet hatten, machte nach dem 11. September George W. Bush den Vorschlag, Beweise für die Schuld von Bin Laden vorzulegen und Gegenaktionen im Einklang mit dem Völkerrecht, mit der UN-Charta und unter der Schirmherrschaft des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zu organisieren.
Diese Strategie haben auch andere islamische Staaten vorgeschlagen. Ein solcher Kurs hätte die Eskalation der Gewalt eindämmen können. Rache ist im Völkerrecht nicht vorgesehen. Wer aber mit Gewalt zurückschlägt, wird weitere Gewalt ernten – womöglich noch schlimmer als am 11. September 2001.
Jeder Mensch weiß, dass Kriege unmenschlich, pervers und absurd sind. Das hat die gesamte Welt auch vor diesem Krieg gewusst. Und trotzdem beschloss die »Staatengemeinschaft« – wie es hieß – diesen Krieg. Es wurde hochoffiziell beschlossen, zu bombardieren und zu töten, zu vertreiben und zu zerstören – im Namen der »Zivilisation«. George W. Bush hat einen unstillbaren Feindbedarf und sagte: »Dies wird ein langer Krieg. Ich sage das immer wieder.« Über Alternativen wurde nicht einmal nachgedacht. Selbst als im Mai 2004 systematische Folterungen und sexueller Missbrauch von irakischen Gefangenen durch US- und englische Soldaten und Soldatinnen bekannt wurden, hatten noch 50 Prozent der US-Wähler die verbrecherische Kriegspolitik von George W. Bush unterstützt.
In Deutschland hatte über 50 Jahre das Motto gegolten: »Nie wieder Krieg.« Aber Deutschland versprach den USA über seinen Bundeskanzler Gerhard Schröder »uneingeschränkte Solidarität« in diesem Krieg. Und so hatte der deutsche Kanzler den USA bereits Truppen angeboten, noch bevor die USA deutsche Truppen angefordert hatten. Die Deutschen sollten endlich wieder dabei sein dürfen nach jahrelanger militärischer Abstinenz, die uns doch gut bekam. So wurde aus der »uneingeschränkten Solidarität« eine peinliche, übereifrig begierige Solidarität. Gerhard Schröder musste mehrmals öffentlich versichern: »Wir drängeln nicht.«
Nach Schröders peinlicher Rede von der »uneingeschränkten Solidarität mit den USA« gilt im Deutschen Bundestag unter allen Parteien – auch der PDS – das Motto: »Es gibt jetzt keine Parteien mehr, es gibt nur noch Deutsche – und die sind alle Amerikaner!« Ein ähnliches Beispiel nationaler Würdelosigkeit wäre zum Beispiel im französischen Parlament undenkbar.
Willy Brandt hat auf die Frage, worauf er stolz sei, einmal gesagt: »Dass wir Deutschland und Frieden in einem Atemzug nennen können.« Aber Gerhard Schröder ist heute stolz darauf, dass Deutschland und Krieg wieder in Verbindung gebracht werden können.
Vor 50 Jahren hat der damalige Bundestagspräsident Hermann Ehlers (CDU) unter dem Applaus des gesamten Deutschen Bundestages mit Pathos gerufen: »Gott hat uns die Waffen aus der Hand geschlagen, damit wir sie nicht mehr ergreifen.« Doch jetzt soll der Krieg wieder ein Mittel der deutschen Politik sein. Deutschland geht heute – zusammen mit England und Frankreich – so weit, Europa den USA machtpolitisch unterzuordnen anstatt die Weltmachtpolitik der USA zu relativieren und auch in Freundschaft zu korrigieren. »Wenn wir mitmachen, können wir wenigstens mitreden«, verteidigten sich Gerhard Schröder und Joschka Fischer. Zur gleichen Zeit zitierte die »Washington Post« den US-Präsidenten so: »Irgendwann könnten wir alleine dastehen. Mir ist’s recht. Wir sind Amerika.« Dem Irak-Krieg hat sich die Regierung Schröder verweigert, aber in den Afghanistan-Krieg ist sie verstrickt.
Nach 1945 hatten wir die große Hoffnung, Deutschland könne für immer ein friedlicher Nachbar von Norwegen, Schweden, Dänemark, Finnland, Polen, der Tschechoslowakei, Österreich, der Schweiz, Frankreich, Luxemburg, Belgien und den Niederlanden sein. Wir wollten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur noch ein Nachbar unter Nachbarn sein.
Doch heute müssen wir neben den USA schon wieder groß sein, militärisch weltweit dabei sein mit Fregatten am Horn von Afrika, mit Spürpanzern in Kuwait und mit »Spezialeinheiten« in Afghanistan. Deutschland ist so groß geworden, dass es die Kleinen schon wieder dominiert. Das aufkeimende Misstrauen der Kleinen nehmen wir gar nicht mehr wahr. Der Sensibilitätsverlust der heute Regierenden ist atemberaubend. Sie verwechseln Solidarität mit Nibelungentreue. »Stolz« sollten die Deutschen sein, dass ihre Soldaten am Hindukusch auf Terroristenjagd gehen, tönte Verteidigungsminister Scharping. Das ist 57 Jahre nach 1945 viel verlangt von der deutschen Gesellschaft!

Vernunft statt Vergeltung

Die mächtigste und reichste Nation der Welt, die Vereinigten Staaten von Amerika, hätte alle ökonomischen Mittel gegen Hunger und Elend in Afghanistan und im Irak sowie Hilfsmittel für die Flüchtlinge aus Afghanistan in der Hand. Auch Wirtschaftssanktionen wären möglich gewesen sowie polizeiliche Mittel, um die Verantwortlichen für die Terroranschläge zu fassen – also den Terror wirkungsvoll zu bekämpfen. Afghanistan hätte Brot gebraucht, aber es erhielt Bomben. Dabei sagen uns alle Afghanistan-Kenner, dass in den Bergen dieses Landes ein mit US-Dollars beladener Esel weiter kommt als jede Armee. Vernunft ist die Alternative zur Vergeltung!
Krieg ist das Gegenteil von Zivilisation. Und Krieg soll die einzige Möglichkeit sein, den Terror zu bekämpfen und Bin Laden zu fangen? Für wie dumm halten uns eigentlich die Regierenden? Was sind die wahren Ziele dieses Krieges?
Der große alte Architekt Oscar Niemeyer aus Brasilien sagt in seinem 95. Lebensjahr:
»Wir erleben zurzeit einen der schlimmsten Momente der Menschheit, die totale Gewalt, die totale Verachtung jedes menschlichen Wesens und der Souveränität der Staaten … Ich mache mir Sorgen über die Bomben, die die Amerikaner auf andere Staaten werfen. Das ist feige, oft sind diese Länder vollkommen wehrlos. Es ist eine Schande … Das war (am 11. 9.) ein terroristischer Akt, aber die Bombardements der Amerikaner sind auch Terrorismus.«
In Kabul sitzt zwar mittlerweile eine Übergangsregierung, aber im gesamten Land herrschen Elend, Bürgerkrieg, Mord und Totschlag. Der Übergangs-Regierungschef in Kabul ist machtpolitisch nicht mehr als der Oberbürgermeister der Hauptstadt. Im Land Afghanistan regieren »die alten Kriegsherren«, die einen bekommen ihre Waffen schon wieder von Russland und die anderen von den USA. Der nächste Bürgerkrieg wird vorbereitet. Nichts hat sich wirklich geändert. Es muss ganz im Gegenteil mit neuen Terroranschlägen als Rache für die Rache gerechnet werden. Doch im Weißen Haus residiert ein sentimentaler Cowboy und kein pragmatischer Realpolitiker.
Und plötzlich sagt George W. Bush in einem Nebensatz: »Auf Bin Laden kommt es eigentlich gar nicht an.« Worauf kommt es dann aber an? Ratlosigkeit überall! Doch nachdem der Krieg einmal begonnen wurde, muss er gnadenlos weitergeführt werden. Durchhalteparolen! Wir sind zwar ratlos und erfolglos – aber der Krieg muss weitergehen. »Bedingungslose Solidarität« verlangt es so. Das ist das Ergebnis bedingungsloser Blödheit und Blindheit: Treu bis zum Ende des Krieges!
Ein Zwischenergebnis des Afghanistan-Krieges im Sommer 2002: Die Taliban-Regierung ist zwar vertrieben, aber Bin Laden immer noch nicht gefasst. Stattdessen: Rote-Kreuz-Station getroffen, Krankenhäuser bombardiert, Streubomben eingesetzt, Wohnviertel zerstört, 5000 Menschen getötet. Neue Kämpfe zwischen Stammeskriegern! Wieder einmal ist ausreichend bewiesen, dass Krieg kein geeignetes Mittel der Politik ist. Der »Ausweg«: Neue Schlachtfelder werden gesucht. Intelligenz und Weisheit wären gefragt – kein pubertäres Muskelspiel. Auch Freunde und Verbündete der US-Regierung, wie Pakistans Staatschef, geben öffentlich zu verstehen: Die Amerikaner haben keine politische Strategie. Sie wissen nur eines: Wir brauchen Öl.
In Zentralasien wiederholt die US-Politik gerade wieder einen ihrer entscheidenden früheren Fehler: Sie unterstützen eine brutale Diktatur. Dieses Mal in Usbekistan, nur weil dessen gnadenloser Diktator ihnen militärische Stützpunkte zur Verfügung stellt und somit den Weg zur nächsten Ölquelle frei macht. Die Londoner Zeitung »The Independent« hatte schon am 16. März 2001 über George W. Bush geschrieben: »Der zum Präsidenten gewordene Ölmann gibt nun zu erkennen, was er immer gewesen ist: ein zuverlässiger Verbündeter des großen Geldes im Allgemeinen und der Energiewirtschaft im Besonderen.«

Jürgen Todenhöfers Brief

Die Europäer müssen wenigstens künftig darauf achten, dass sie bei Bushs »Achse des Bösen« (Irak, Nordkorea, Iran) nicht zur »Achse der Blöden« degradiert werden und der amerikanischen Neigung zu moralischen Kreuzzügen zum Opfer fallen. Unter dem Deckmantel des »weltweiten Kampfes gegen den Terrorismus« kann jetzt die Türkei ihre Kurden noch gnadenloser schikanieren und einsperren als zuvor. Dasselbe machen die Chinesen mit buddhistischen Tibetern und muslimischen Uiguren, die Russen mit Tschetschenen und die Israelis mit Palästinensern.
Der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete und Afghanistan-Kenner Jürgen Todenhöfer hat zehn Wochen nach den ersten US-Angriffen auf Afghanistan eine bemerkenswerte Analyse veröffentlicht. In der »Süddeutschen Zeitung« meint er: »Nun hat das reichste Land der Welt das ärmste Land der Welt in Grund und Boden gestampft und ungezählte Zivilpersonen getötet – Bin Laden aber, um den es ging, ist zusammen mit dem größten Teil der Führungsmannschaft von Al-Qaida verschwunden … Der Antiterrorkrieg ist zur Lotterie geworden.« Todenhöfer, von 1972 bis 1990 entwicklungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, fragt: Hatten die USA das Recht, »unschuldige afghanische Frauen und Kinder zu töten, die mit den Terroranschlägen nichts, aber auch gar nichts zu tun hatten?«
Aus fünf Gründen hält Jürgen Todenhöfer »die Bombardierung der Städte Afghanistans für unverantwortlich«:
1. »Es gab die Möglichkeit, Bin Laden auch ohne Krieg auszuschalten …«
2. »Mittelfristig bestand auch die Möglichkeit, die Taliban ohne Bombenkrieg zu entmachten … Hätte man – wenn es wirklich um die Befreiung Afghanistans gegangen wäre – mit den Taliban nicht schon lange vor dem 11. September brechen müssen, anstatt mit ihnen über den Bau von Erdgasleitungen zu verhandeln und sie als Staatsgäste in die USA einzuladen?«
3. »Die Bomben über afghanischen Städten trafen vor allem Unschuldige … Es waren wahrscheinlich erheblich mehr als die über 3000 Menschen, die im World Trade Center ermordet wurden. Aber Zahlen sind hier trotz allem nicht entscheidend. Für mich ist die Tötung eines jeden einzelnen Kindes durch Bomben völkerrechtlich ein Verbrechen. Präsident Bush hat Recht, wenn er sagt, das Böse müsse man mit Härte bekämpfen. Aber afghanische Kinder sind nicht das Böse. Kinder sind nie unsere Feinde … Keine Regierung der Welt hat das Recht, bewusst den Tod von tausenden unschuldiger Zivilpersonen in Kauf zu nehmen, um ja nicht das Leben eines einzigen Soldaten zu riskieren.«
4. »Die afghanische Zivilbevölkerung ist an der Existenz von Al-Qaida und der Taliban weniger schuld als die USA … Die USA erhofften sich von dieser mörderischen Besatzungsmacht (Ministerpräsident Karsai) stabile politische Verhältnisse, um ungestört quer durch Afghanistan eine Erdgasleitung von Turkmenistan bis zum Indischen Ozean bauen zu können. Das afghanische Volk ist nie gefragt worden, ob es die Taliban oder Al-Qaida wollte. Die USA bestrafen daher das afghanische Volk mit ihren Bombenangriffen auf afghanische Städte für eine Tat, die sie selbst begangen hatten. Der Täter als Scharfrichter – wie kommt es, dass die Weltöffentlichkeit darüber fast kein Wort verliert?«
5. »Wir haben mit dem Bombenkrieg gegen die afghanische Zivilbevölkerung die nächste Generation von Terroristen gezüchtet. Noch nie war es für muslimische Extremisten so leicht, potenzielle Selbstmordattentäter anzuwerben wie jetzt.«

Kein Frieden durch Massenmord

Krieg war und ist immer ein Verbrechen. Wenn ein Mord nach nationalem Recht auf der ganzen Welt ein Verbrechen ist, warum soll dann Massenmord im Krieg eine Heldentat oder allenfalls ein Kavaliersdelikt sein? Ist diese Position Jürgen Todenhöfers zu moralisch? Kann Moral aus der Außenpolitik ausgeklammert werden? Solange wir so doppelmoralisch fragen, sind wir weit davon entfernt, uns zivilisiert nennen zu dürfen.
Gerhard Schröder hat zehn Jahre zuvor, als die USA im Golfkrieg Bagdad bombardierten, noch moralisch festgestellt: »Wir alle können kaum schlafen, weil hier ein ganzes Volk kollektiv für seine diktatorische Regierung bestraft wird.« Muss Realpolitik heute wirklich heißen, dass wir alle vernünftigen moralischen Bedenken gegen den Krieg über Bord werfen? Ist solche Feigheit vor dem Freund wirklich Realpolitik? Auch hier gilt: Wir werden ernten, was wir säen. Von schlaflosen Nächten des Gerhard Schröder wegen des Afghanistan-Krieges wurde nichts bekannt.
Das ganze Elend auch dieses Krieges ist seine Erbarmungslosigkeit. Am Tag, an dem ich diese Zeilen schreibe, werden zwei deutsche Soldaten durch einen Raketenunfall in Afghanistan getötet. Heute Abend gibt es Sondersendungen im Fernsehen und Interviews mit dem Bundeskanzler, dem Bundespräsidenten, dem Verteidigungsminister und Oppositionspolitikern. Dass am selben Tag 500 zerlumpte und total verängstigte »Al-Qaida«-Soldaten getötet oder gefangen genommen worden sind, ist in den Nachrichten einen Nebensatz wert. Feindliche Soldaten sind eben nur Terroristen und keine Menschen.
Solche Erbarmungslosigkeit, Verachtung und Gleichgültigkeit gegenüber den »anderen« durch westliche Politiker und Medien bringt die Menschen in den ärmsten Ländern zur Verzweiflung und bildet zugleich den Nährboden für künftige Terroranschläge. Das Gegenteil von Liebe ist nicht der Hass – das Gegenteil von Liebe ist unsere abgrundtiefe Gleichgültigkeit gegenüber den Armen und Elenden dieser Erde. Die Schmuddelkinder – beinahe zwei Drittel der Menschheit – interessieren uns einfach nicht. Eine Ethik der Achtsamkeit gegenüber den Schwachen, den Ausgeschlossenen und Totgeschwiegenen wird zum großen Imperativ des 21. Jahrhunderts werden müssen. Das ist heute sonnenklar für jeden, der global sehen, hören und empfinden will und der die Ursachen des 11. September nüchtern analysiert.
Eine Ethik der Achtsamkeit hätte einen offenen Dialog mit den Taliban zur Folge gehabt. Stattdessen haben wir gnadenlos gebombt. Die USA sind ein sehr merkwürdiges Land: Präsident Bush kündigt öffentlich den nächsten Krieg an und wird nicht verhaftet. Seine Nichte hat nichtöffentlich Drogen genommen und wurde verhaftet und verurteilt.

»Eine halbe Million Tote ist den Preis wert«

März 2002. Ein angenehmer Vorfrühlingstag in Washington. Einen Steinwurf vom Zaun des Weißen Hauses entfernt spricht Senator Carl Levin zu einigen tausend Stahlarbeitern. Sie bangen um ihre Arbeitsplätze. Der Politiker weiß, wie man heute, in den Zeiten des Krieges, in den USA Arbeiter zum Jubeln bringt. »Mit dem, was ihr herstellt, führen wir Krieg.« Beifall. Die Stahlarbeiter wollen nicht nur ihre Jobs retten, sondern mit ihren Kriegsprodukten aus Stahl auch gleich noch das Vaterland. Frühjahr 2002 – Kriegsbegeisterung in Washington – nicht nur unter Politikern, auch und gerade unter Arbeitern.
Die US-Politik in Afghanistan ist vergleichbar mit der US-Politik im Irak. Die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright wurde im Fernsehen gefragt, was sie von Schätzungen halte, nach denen durch die amerikanische Sanktionspolitik im Irak eine halbe Million Kinder sterben müssten. Das sei zwar hart, meinte Frau Albright, »aber wir glauben, es ist den Preis wert«.
Welchen Preis? Den Preis des Öls? Wir gehen bedenkenlos über Leichen, wenn es darum geht, uns das Schmiermittel der westlichen Industriegesellschaften zu beschaffen.
Washington ist bereit, sehr unheilige Kriege gegen die »heiligen Krieger« zu führen, weil es in Wahrheit auf etwas ganz anderes ankommt als auf Menschenrechte, Frieden oder Freiheit. Der frühere US-Verteidigungsminister William Cohen bekräftigte 1999, worum es wirklich geht, wenn die USA in den Krieg ziehen. »Die Vereinigten Staaten«, sagte er, sind zum »unilateralen Einsatz militärischer Macht verpflichtet, um lebenswichtige Interessen zu verteidigen«, wozu er »den ungehinderten Zugang zu Schlüsselmächten, Energievorräten und strategischen Ressourcen« zählte. Kriege um Öl und Gas sind offizielle US-amerikanische Politik. Es ist nicht verwunderlich, dass viele Menschen die USA, die ja immer Schurkenstaaten bekämpfen wollen, als den größten derzeitigen Schurkenstaat betrachten.

Pazifismus – eine pubertäre Verirrung?

Deutsche Politiker in fast allen Parteien versuchen heute, die jüngsten Kriege damit zu rechtfertigen, dass sie »Gewalt als letztes Mittel, als Ultima Ratio, nicht ausschließen«. So hat es mir in einem Fernsehinterview der Landesvorsitzende der Grünen in Baden-Württemberg, Andreas Braun, gesagt. Die rot-grüne Lieblingsvokabel für die neudeutsche Normalität des Kriegführens heißt: »Wir sind erwachsen geworden.« In dieser Metapher verleugnen die Grünen nicht nur ihr eigenes Gründungsethos, sondern auch die pazifistische Grundstimmung in der früheren Bundesrepublik Deutschland. Nach den »realpolitischen« Vorstellungen der heutigen Grünen war ihr eigener Pazifismus nur eine peinliche pubertäre Verirrung. Für die Grünen wird ihr früherer Pazifismus so platonisch wie das »C« für die CDU/CSU.
Die Remilitarisierung der US-Politik durch George W. Bush wird negative Auswirkungen auf die Weltpolitik haben. Zarte Ansätze zur Konfliktlösung durch friedliche Mittel erhalten weltweit Rückschläge. Im Nahen Osten ist die erhöhte Gewaltbereitschaft am sichtbarsten. Der Israeli Ariel Sharon sieht seinen Kampf gegen den palästinensischen Terror genauso wie Bush seinen Kampf gegen Bin Laden als einen Kampf gegen die Bösen.
Wie sollen in dieser Situation die USA in Nahost zwischen Israel und Palästina erfolgreich vermitteln können? Wegen ihrer Politik des militärischen Draufschlagens auf Terroristen können die USA jetzt in Nahost Israel bei seinem Kampf gegen Terror nicht mehr bremsen. Die USA können heute Israel nicht einmal mehr zwingen, UN-Resolutionen zu befolgen, welche die USA selbst im Sicherheitsrat unterstützten. Die US-Politik ist jetzt in ihren eigenen Widersprüchlichkeiten gefangen. Der amerikanische Präsident kann gegen Israel nicht mehr durchsetzen, was er selbst für notwendig hält. Kein arabischer Führer wird Bush gegen Saddam Hussein unterstützen können, solange Bush Israel nicht zum Einlenken bewegen kann. Das kann er aber nicht, solange Israel sagt, wir machen gegenüber Arafat nur, was ihr Amerikaner gegenüber Bin Laden betreibt. Mit dieser Gewaltpolitik siegen immer diejenigen, die nur noch auf Gewalt vertrauen. Und diese Rechnungen gehen immer zulasten der Zivilbevölkerung – in Afghanistan, in Nahost, in Tschetschenien, in Tibet.
Und Deutschland? Kein Land hat so viel Grund, über nichtmilitärische Konfliktlösungen nachzudenken und zivile Lösungsstrategien zu entwickeln. Dafür gibt es jahrzehntelange Vorarbeit: in Friedensforschungsprojekten und auch durch die Arbeit von Friedensinitiativen. Wenn auch hierzulande nur die Gewaltreflexe der USA imitiert werden, ist das kein Zeichen von Erwachsensein, sondern von Unreife. Uneingeschränkte Solidarität zwischen Staaten ist uneingeschränkt lächerlich. Blinder Amerikanismus ist genauso komisch wie blinder Antiamerikanismus.
Realistische Pazifisten wissen, dass wir in Deutschland nicht von heute auf morgen die Bundeswehr abschaffen können. In Mazedonien zum Beispiel leisten deutsche Soldaten zurzeit wichtige Friedensarbeit. Sie schießen nicht, sie nehmen vielmehr Schießwütigen ein Gewehr nach dem anderen ab. Im Nahostkonflikt aber müssen deutsche Soldaten wirklich nicht aktiv werden – wie es der Kanzler schon einmal öffentlich erwogen hatte.

Ein Angriffskrieg ist verfassungswidrig

Gerhard Schröder will »das Militärische enttabuisieren«. Aber dabei muss man ja nicht gleich alle Tabus einreißen, wie es der deutsche Kanzler und sein Verteidigungsminister permanent demonstrieren!
Sie wollen »politisch erwachsen« werden und erliegen dabei der Versuchung, die eigene Geschichte zu entsorgen. Jeder fühlende Mensch spürt, dass deutsche Gewehre auf jüdische Bürger nur eine Ausgeburt von Wahnsinn sein könnten. Geschichtsvergessenheit kann sich politisch als ebenso verheerend herausstellen wie Vergangenheitsbesessenheit. »Politisch erwachsen« wird man nicht durch historische Ignoranz. Ohne den von uns Deutschen zu verantwortenden Holocaust würde es Israel nicht geben. Deutschland ist also Teil der Ursache des Nahostkonfliktes und kann schon deshalb nicht anbieten, mit Waffen ein Teil der Lösung des Konflikts zu werden.
In Afghanistan und anderswo ist Gewalt und Krieg für George W. Bush nicht die Ultima Ratio, wie es die deutschen »Grünen« gerne hätten, sondern die Prima Ratio! Wie lange wollen deutsche Politiker aller Parteien sich selbst und ihre Wähler darüber noch täuschen? Afghanistan wurde aus seiner Friedhofsruhe unter der Taliban-Regierung befreit – aber die Friedhöfe wurden noch größer. Diese Entwicklung war absehbar. Regierende Politiker, die früher pazifistisch argumentiert haben, wissen das natürlich auch. Aber im Verdrängen sind wir alle gut. Ein grüner Abgeordneter verrät selbstverständlich nicht seine Ideale, wenn er Minister geworden ist, sondern er wurde lediglich »Realpolitiker«. Und er erklärt uns unablässig, dass er für den Krieg ist, weil er gegen den Krieg ist.
Ein ehemaliger Juso-Chef wie Gerhard Schröder ist natürlich auch gegen den Krieg – er nimmt lediglich »Verantwortung wahr«. Und seine Seele muss bei diesem Geschäft schon gar niemand mehr verkaufen – sie ist schon längst zum Fremdwort geworden. Die Seelenlosigkeit und Gewissenlosigkeit ist wahrscheinlich die gefährlichste Politikerkrankheit. Ich habe diese Krankheit in meinem journalistischen Geschäft kennen gelernt und war auch nicht immer immun gegen sie. Zum Glück für Deutschland haben wir uns wenigstens am Irak-Krieg nicht direkt beteiligt.
Natürlich wissen auch deutsche und US-Politiker, dass die Hintermänner des internationalen Terrorismus in Saudi-Arabien, in den arabischen Emiraten, in Ägypten und in den USA sitzen und dass keiner der 19 islamistischen Selbstmordattentäter des 11. September aus Afghanistan kam. »Aber welcher amerikanische Präsident legt sich mit reichen Erdölstaaten an?«, fragt Jürgen Todenhöfer zu Recht.

Deutschland, Deutschland überall

Kriegsherren und ihre Gefolgsleute sind nicht nur Verbrecher, feige sind sie auch noch. Und wir Deutsche, was machen wir in dieser Kriegszeit? Eugen Drewermann, Therapeut und Theologe, in seinem Buch Krieg ist Krankheit, keine Lösung: »Die moralische Möglichkeit einer wirklichen Verbesserung kann nur von dem Überlegenen ausgehen. Man kann nicht erwarten, dass die am Boden Liegenden von sich aus großzügig werden.« Die westliche Welt ist wirtschaftlich, militärisch, sozial und politisch so überlegen, dass sie zuallererst die Aufgabe hätte, neue Wege der Befriedung zu suchen. Gerade der Irak-Krieg beweist aufs Neue: Krieg ist kein Mittel zur Lösung von Konflikten. Pazifismus ist die intelligentere Realpolitik.
Wenn auf einer Straße ein Jugendlicher ein kleines Kind verprügelt, dann werden wir instinktiv dem Kleinen zu Hilfe kommen. Warum soll dieser Hilfsinstinkt nicht auch auf weltpolitischer Ebene gelten? Wir verhalten uns aber genau umgekehrt. Nach dem 11. September 2001 sind deutsche Soldaten an allen Fronten wieder dabei: im Kosovo, Bosnien und Mazedonien, in Dschibuti, Somalia und Kuwait, in Afghanistan und Usbekistan. Deutsche schon wieder an allen Fronten! Deutschland, Deutschland überall!
Schon 10 000 deutsche Soldaten rücken allen möglichen Feinden zu Leibe. Ein Angriffskrieg wird zwar im Artikel 26 des deutschen Grundgesetzes als »verfassungswidrig« verworfen. Aber Deutschland hat heute wieder eine Interventionsarmee. Diesen Widerspruch hat uns nie ein deutscher Bundeskanzler erklärt. Gerhard Schröder bezeichnet diese Entwicklung seltsam nebulös als »Rückkehr zur Normalität«. Soll also die uralte Abschlachterei 57 Jahre nach 1945 schon wieder die »Normalität« sein und werden? Ist Deutschland nur normal, wenn es Krieg führt? In jedem deutschen Diskussionszirkel wäre man noch ein Jahr zuvor für verrückt und wahnsinnig erklärt worden, wenn man diesen Gedanken ernsthaft vorgetragen hätte!
Der »Spiegel« fragte am 11. März 2002: »Will das Land tatsächlich wieder eine Krieg führende Nation werden, die das professionelle Töten betreibt? Sollen alle Bedenken, die kaum einer so treffend formulierte wie einst Erich Maria Remarque in seinem Klassiker Im Westen nichts Neues, wieder beiseite geschoben werden?« »Das Grauen lässt sich ertragen, solange man sich einfach duckt«, schrieb der Antikriegsschriftsteller, »aber es tötet, wenn man darüber nachdenkt.«
Beinahe 50 Jahre lang war Heimatverteidigung von der Mehrheit der Deutschen akzeptiert. Jetzt steht Einsatz fern der Heimat auf dem Dienstplan. Mit der Frage, wieso Deutschland in Afghanistan oder am Horn von Afrika »verteidigt« werden muss, wird sich hoffentlich bald das Bundesverfassungsgericht zu beschäftigen haben. Aber als Reaktion auf den 11. September wurde der deutsche Militärhaushalt zunächst mal um eineinhalb Milliarden Euro erhöht. Davon kann die Entwicklungshilfeministerin nur träumen.

Die westliche Welt gegen die restliche Welt

Die USA sind auch im Inneren die gewalttätigste Gesellschaft der Welt. Jährlich bringen US-Amerikaner 25 000 US-Amerikaner im eigenen Land mit Handfeuerwaffen um. Unter George W. Bush ist die US-Gesellschaft jetzt dabei, diese permanente Gewaltbereitschaft auf die ganze Welt zu übertragen.
Dabei geht es primär um die Ölinteressen der westlichen Welt gegen die restliche Welt. Ist das zukunftsweisend? Wenn in so einer schrecklichen Situation wie nach dem 11. September etwas hilfreich sein kann, dann eben nicht das alttestamentliche Gebot »Auge um Auge«, sondern allein die Frieden schaffenden Hinweise der Bergpredigt, die ich deshalb ausführlich in diesem Buch zitiere (siehe Kapitel VIII). »Auge um Auge« führt nur dazu, dass irgendwann die ganze Welt blind wird.
Im Alten Testament (3. Mose 24,17-23) gilt noch wie in der Politik von George W. Bush die Todesstrafe. Seine Politik nach dem 11. September 2001 war die Ausdehnung der Todesstrafe über die ganze Welt. Bush erklärte mit großer Geste: »Da draußen im Wilden Westen steht ein Schild: Gesucht – tot oder lebendig.« Wildwest statt Rechtsstaat! Selbstjustiz statt Internationaler Gerichtshof!
Worum aber geht es wirklich? Im März 2002 schickte die US-Regierung – nach Gerüchten, Osama Bin Laden halte sich in Georgien auf – 200 Soldaten in die Kaukasusrepublik. Die »Süddeutsche Zeitung« dazu:
»Dass es bei 200 Mann bleiben soll, wie angekündigt, denkt kaum jemand in Tiflis … Der georgische Staatschef will den Amerikanern auch etwas bieten: nämlich eine sichere Trasse für Gas und Erdölleitungen aus dem kaspischen Raum in Richtung Türkei. Der Kommentator Resonanzi stellt deswegen auch fest: ›Nun sind wir dabei beim großen Spiel um Öl und Gas. Passen wir auf, dass wir uns die Finger nicht noch mehr verbrennen.‹«

Warum sind »C«-Parteien für den Krieg?

Eine Politik der Bergpredigt wäre die große Alternative zu Terror und Krieg. Frieden schaffen ohne Waffen ist kein Wegschauen von den Problemen, sondern ein genaueres Hinsehen und ein Fragen nach den Ursachen. Wenn wir als Spezies Homo sapiens überleben wollen, dann bleibt uns spätestens heute, wo wir alles Leben vielfach vernichten können, »nur« der Weg der politischen Vernunft: die Überwindung von Krieg und Terror durch Friedfertigkeit und Geduld, Dialog und Interessenausgleich. Aber noch glaubt die Mehrheit, Krieg führen zu müssen. Und deshalb stellen sich auch Politiker in Demokratien im Zweifel auf die Seite des Krieges, solange sie glauben, damit Wahlen gewinnen zu können. Lieber täuschen wir uns selber und andere über die verheerenden Folgen eines jeden Krieges, als dass wir endlich anfangen, nach gewaltfreien Alternativen zu suchen. Warum fällt es nach 2000 Jahren Christentum gerade den sich christlich nennenden Parteien so schwer, die alternativen Vorschläge des Jesus von Nazareth ernst zu nehmen? Sich auf Jesus berufen und Krieg führen: Das wird eben niemals gehen. Selbst den infamen Irak-Krieg des George Bush und Tony Blair hat die CDU-Vorsitzende Angela Merkel im Jahr 2004 noch verteidigt. Dafür müsste sich jedes CDU-Mitglied entschuldigen oder – noch besser – spätestens bei der nächsten Wahl Konsequenzen ziehen.
Die Wahrheit der Bergpredigt liegt nicht hinter uns, sie liegt vor uns. Die Friedensangebote der Bergpredigt sind nicht Schnee von gestern, sondern Musik für eine bessere Welt von morgen.