Kruzitürken - Su Turhan - E-Book

Kruzitürken E-Book

Su Turhan

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Beschreibung

Mehr als ein Doppelmord bei einer internationalen Bauchtanzshow  »Ermordet worden ist sie! Ich musste sie identifizieren. Der Mörder hat ihr das Kostüm in den Mund gestopft. In den Mund und …« Er sprach nicht weiter.  Beim Finale eines internationalen Bauchtanzwettbewerbs wird eine Leiche gefunden. Die professionelle Tänzerin liegt in der Dusche, offensichtlich wurde sie mit einem Schlauch stranguliert und mit dem Duschkopf erschlagen. Das paillettenbesetzte, mit Perlen bestickte Kostüm wurde ihr vom Leib gerissen. In ihrem Mund steckt das Stück eines rot funkelnden Bauchtanzkostüms, ein anderer Teil quillt zwischen ihren gespreizten Beinen hervor.  Kurz darauf wird eine weitere Frauenleiche gefunden. Was hat sie mit dem anderen Mord zu tun? Und welche Rolle spielt ein Kredithai, der auf offener Straße verstirbt?  Etliche Spuren führen die Soko Migra zu dem Geschäftsmann Okan Gök, Geldgeber der Bauchtanzshow und Inhaber eines Ladens auf der Maximilianstraße, Münchens Nobelmeile. Schließlich soll er den Tänzerinnen auch privat nähergekommen sein ...  Und Kommissar Zeki Demirbilek hat nicht nur eine neue Vorgesetzte, auch sein Privatleben ist mal wieder mehr als bunt.  Der dritte Fall für Kommissar Pascha und sein bayerisch-türkisches Team! »Sehr amüsant und rasant präsentiert – und gibt tiefe Einblicke in das Leben des liebenswerten Ermittlers zwischen zwei Kulturen.« Süddeutsche Zeitung

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Su Turhan

Kruzitürken

Band 3

Krimi

 

Über das Buch

Mehr als ein Doppelmord bei einer internationalen Bauchtanzshow

 

»Ermordet worden ist sie! Ich musste sie identifizieren. Der Mörder hat ihr das Kostüm in den Mund gestopft. In den Mund und …« Er sprach nicht weiter.

 

Beim Finale eines internationalen Bauchtanzwettbewerbs wird eine Leiche gefunden. Die professionelle Tänzerin liegt in der Dusche, offensichtlich wurde sie mit einem Schlauch stranguliert und mit dem Duschkopf erschlagen. Das paillettenbesetzte, mit Perlen bestickte Kostüm wurde ihr vom Leib gerissen. In ihrem Mund steckt das Stück eines rot funkelnden Bauchtanzkostüms, ein anderer Teil quillt zwischen ihren gespreizten Beinen hervor.

Kurz darauf wird eine weitere Frauenleiche gefunden. Was hat sie mit dem anderen Mord zu tun? Und welche Rolle spielt ein Kredithai, der auf offener Straße verstirbt?

Etliche Spuren führen die Soko Migra zu dem Geschäftsmann Okan Gök, Geldgeber der Bauchtanzshow und Inhaber eines Ladens auf der Maximilianstraße, Münchens Nobelmeile. Schließlich soll er den Tänzerinnen auch privat nähergekommen sein …

Und Kommissar Zeki Demirbilek hat nicht nur eine neue Vorgesetzte, auch sein Privatleben ist mal wieder mehr als bunt.

 

Der dritte Fall für Kommissar Pascha und sein bayerisch-türkisches Team!

Impressum

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- oder Bildteile.

Alle Akteure des Romans sind fiktiv, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und sind vom Autor nicht beabsichtigt.

 

Copyright der Originalausgabe © 2015 by Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München

Copyright © 2024 by Maximum Verlags GmbH

Hauptstraße 33

27299 Langwedel

www.maximum-verlag.de

 

1. Auflage 2024

 

Satz/Layout: Alin Mattfeldt

Umschlaggestaltung: Alin Mattfeldt

Umschlagmotiv: © dennizn/ Shutterstock

E-Book: Mirjam Hecht

 

Made in Germany

ISBN:978-3-98679-049-3

 

 

Inhalt

Über das Buch

Impressum

Widmung

1. KAPITEL

2. KAPITEL

3. KAPITEL

4. KAPITEL

5. KAPITEL

6. KAPITEL

7. KAPITEL

8. KAPITEL

9. KAPITEL

10. KAPITEL

11. KAPITEL

12. KAPITEL

13. KAPITEL

14. KAPITEL

15. KAPITEL

16. KAPITEL

17. KAPITEL

18. KAPITEL

19. KAPITEL

20. KAPITEL

21. KAPITEL

22. KAPITEL

23. KAPITEL

24. KAPITEL

25. KAPITEL

26. KAPITEL

27. KAPITEL

28. KAPITEL

29. KAPITEL

30. KAPITEL

31. KAPITEL

32. KAPITEL

33. KAPITEL

34. KAPITEL

35. KAPITEL

36. KAPITEL

37. KAPITEL

38. KAPITEL

39. KAPITEL

40. KAPITEL

41. KAPITEL

42. KAPITEL

43. KAPITEL

44. KAPITEL

45. KAPITEL

46. KAPITEL

47. KAPITEL

48. KAPITEL

49. KAPITEL

50. KAPITEL

51. KAPITEL

52. KAPITEL

53. KAPITEL

54. KAPITEL

55. KAPITEL

56. KAPITEL

57. KAPITEL

58. KAPITEL

59. KAPITEL

60. KAPITEL

61. KAPITEL

62. KAPITEL

63. KAPITEL

64. KAPITEL

65. KAPITEL

66. KAPITEL

67. KAPITEL

68. KAPITEL

69. KAPITEL

70. KAPITEL

71. KAPITEL

72. KAPITEL

73. KAPITEL

74. KAPITEL

75. KAPITEL

76. KAPITEL

77. KAPITEL

78. KAPITEL

79. KAPITEL

80. KAPITEL

81. KAPITEL

82. KAPITEL

Der Autor Su Turhan

BAND 1

BAND 2

BAND 4

BAND 5

BAND 6

BAND 7

BAND 8

Widmung

Lügen anhören ist schwerer als lügen.

Türkische Redensart

 

Für Lyn

1. KAPITEL

Das Blut war in der Dunkelheit nicht zu erkennen. Passanten und Gäste der Cafés auf der Leopoldstraße schenkten dem Mann mit buschigem Schnurrbart, der mit hängendem Kopf vorbeitorkelte, keine Beachtung. Betrunkene auf Münchens Flaniermeile waren kein Grund, dem eigenen überteuerten Longdrink die Aufmerksamkeit zu entziehen. Kein Gast konnte sich später bei den Befragungen an den Mann erinnern, der seine Hände an die Seite presste, um das Blut daran zu hindern, seinen Körper zu verlassen.

Der Verletzte schaffte es erstaunlich weit, bevor er vom Bürgersteig abkam und an einem Hindernis hängenblieb. Eine Viertelstunde nach dem Notarzt, der von Passanten verständigt wurde und nur noch den gewaltsamen Tod des Mannes feststellen konnte, erschien der zuständige Leiter der Mordkommission Pius Leipold.

Die Absperrung um den Fundort des Toten verursachte ein erhebliches Verkehrschaos im Herzen von Schwabing. Von der Leopoldstraße über das Siegestor bis hinauf zum Odeonsplatz stauten sich die Autos. Nach Norden hin, in die entgegengesetzte Richtung, zog sich der Stau nach einem Auffahrunfall bis hin zur Münchner Freiheit und weiter. Kommissar Leipold stand an seinem Einsatzwagen direkt am Fundort und wartete, bis ein Spurensicherer ihm den fremdländischen Ausweis des Toten überreichte. Er gab bald den Versuch auf, den Vor- und Nachnamen Süleyman Eczacıbaşı auf dem Dokument auszusprechen. Stattdessen legte er den Kopf in den Nacken, um sich beim lieben Herrgott zu beschweren.

»Muss das sein?«, fragte er mit leichter Verzweiflung in der Stimme.

»Ja«, dröhnte es.

Leipold erzitterte, glaubte er in dem Moment fest daran, dass Gott zu ihm sprach. Doch die Stimme gehörte zu seinem Kollegen Herkamer, der mit jemandem am Telefon redete. Er reichte Leipold das Handy. »Zeki.«

Leipold verdrehte die Augen. »Servus.«

»Rat mal, wo ich bin?«, sagte Leipolds Kollege Demirbilek am Apparat.

Leipold schwante etwas, und er blickte sich suchend um. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite erspähte er inmitten der Schaulustigen Demirbilek, der ihm mit einem Taschentuch zuwinkte. »Was ist? Warum kommst du nicht?«, stöhnte Leipold in das Handy.

»Wollte nicht stören.«

»Du? Nicht stören? Das ist der beste Witz, den ich seit langem gehört habe«, grölte Leipold und beendete das Gespräch. Er gab Herkamer das Telefon zurück und beobachtete, wie Demirbilek sich bei den uniformierten Kollegen auswies und durch die Absperrung auf seine Straßenseite wechselte.

»Und?«, fragte Demirbilek, als er bei ihm stand.

Leipold hielt ihm kommentarlos den Ausweis des Toten entgegen.

Kommissar Zeki Demirbilek warf einen flüchtigen Blick darauf. Dann wandte er sich zur Leiche, die noch nicht abgedeckt war. Der Mund des Toten war mit Tape abgeklebt, er lehnte mit dem Bauch voran an einer weißen, drei Stockwerke hohen Plastikskulptur. Die Arme umklammerten den linken Knöchel des auf Walking Man getauften Riesen, an dem er hängengeblieben war. Das imposante Kunstwerk machte einen im wahrsten Sinne raumgreifenden Schritt und starrte augenlos in die Ferne.

»Fremdverschulden?«, fragte Kommissar Demirbilek.

»Stichwunde. Innere Blutungen. Die Niere hat es zerfetzt, heißt es«, erwiderte Kommissar Leipold.

»Kommst du mit?«

»Der Knöcheltote gehört definitiv in dein Dezernat. Ich gehe wieder ins Wirtshaus. Ich war gerade so schön dabei, zu gewinnen.«

»Schafkopfen?«

»Was sonst? Wo kommst du denn eigentlich so schnell her?«

»Vom tavla. Woher sonst?«

Zeki Demirbilek nickte seinem Kollegen zu und machte sich an die Arbeit.

»Deckt den armen Mann doch endlich ab!«, übertönte die Stimme des Türken die abendlichen Geräusche auf der Leopoldstraße.

2. KAPITEL

Vor den Toren Münchens grinste zur selben Stunde der wohlbeleibte Tourmanager Farhaad über den Erfolg der Pressearbeit. Trotz vorgerückter Stunde war ein halbes Dutzend Journalisten der Presseeinladung gefolgt und wartete am Flughafen auf die Ankunft der Maschine aus Istanbul. Alle waren in die Pressemappe vertieft. Fotos der Bauchtänzerinnen, die sie erwarteten, funkelten darin. Die mehrheitlich männlichen Reporter bestaunten strahlende Frauengesichter, die in glitzernden Kostümen die Betrachter mit orientalischer Exotik bezirzten. Der Text zu den Aufnahmen beschränkte sich auf Kurzbiographien der Bauchtänzerinnen. Auf Alter, Geburtsort und Hobbys.

Von den sieben abgebildeten Frauen stammten zwei aus der Ukraine, zwei aus Tunesien, eine Aserbaidschanerin war in der Gruppe und zwei Türkinnen. Die eine mit türkischer Herkunft, Deniz Aralik, war laut Eintrag neben ihrem Ganzkörperbild in Ankara geboren. Die zweite Türkin, Meral Sez, zählte mit achtundzwanzig Jahren zu den Erfahreneren der Truppe. Das Foto zeigte die Istanbulerin in einem funkelnd grünen Kostüm, das pechschwarze Haar glänzte silbern. Im Zentrum der schlanken Figur dominierte der wie eine Wüstendüne geschmeidig gewölbte Bauch. Den Nabel zierte ein Piercing mit Glöckchen daran.

Meral Sez blieb ein Stück hinter den anderen Frauen zurück, als sich die automatische Tür zum Wartebereich für die Abholer öffnete. Farhaad hüpfte auf und ab und winkte seiner Truppe zu, gleichzeitig forderte er die Reporter auf, Fotos zu schießen. Wie eine siegreich heimkehrende Fußballmannschaft erschienen die Tänzerinnen alle in demselben Outfit. Der schmal geschnittene, mintgrüne Mantel reichte bis zu den Fußknöcheln, dazu trugen die sieben Frauen eine farblich passende Handtasche und zogen einen hellroten Trolley hinter sich her. Bis auf Meral, deren Lächeln müde und abgekämpft wirkte, strahlten alle in die Objektive der knipsenden Reporter. Nach der Begrüßung standen sie den Journalisten für Interviews zur Verfügung. Farhaad war zu sehr beschäftigt, seine Püppchen, wie er sie liebevoll nannte, zu umgarnen, als dass er mitbekommen hätte, wie sich die Istanbulerin von der Gruppe entfernte.

Mit schnellen Schritten eilte Meral an den Restaurantbetrieben vorbei und erspähte eine Apotheke. Dort kaufte sie etwas gegen die Kopfschmerzen, die sie seit der Abreise aus Istanbul plagten, und fragte in einwandfreiem Deutsch nach den stärksten rezeptfreien Schlaftabletten. Als sie zurückkehrte, bedankte sich Farhaad gerade bei den Journalisten für ihr Interesse und händigte jeweils zwei Freikarten für den bevorstehenden Showabend aus.

Später saßen die sieben Tänzerinnen in einem Großraumtaxi. Farhaad folgte ihnen in seinem Mietauto zu dem Appartementhotel, in dem er seine Püppchen untergebracht hatte. Meral hatte einen Fensterplatz in der hinteren Reihe ergattert. Sie holte aus ihrer Handtasche eine Flasche Wasser und schluckte zwei Kopfschmerztabletten gleichzeitig.

Währenddessen bemerkte die Istanbulerin, wie der Fahrer gefährlich lange in den Rückspiegel starrte, statt auf den dichten Verkehr auf der Autobahn zu achten. In seinem Gesicht spiegelte sich Gier und Lust, wie sie es von ihren Auftritten kannte, wenn sie bei Darbietungen in Männergesichter blickte. In den Gesichtern der Frauen dagegen las sie oft Bewunderung, manchmal auch Neid.

»Wollen wir uns vor dem Fotoshooting die Stadt zusammen ansehen?«, fragte nach einer Weile die Aserbaidschanerin neben ihr.

»Ich wollte mich kurz hinlegen, bevor es losgeht«, erklärte Meral mit Blick aus dem Fenster. Sie hatte es einen Spalt weit geöffnet, um das Potpourri aus sieben verschiedenen Parfümnoten zu ertragen.

»Schade«, erwiderte die Aserbaidschanerin.

Meral ertappte sich dabei, wie sie den grazilen Körper der jungen Frau mit ihren Augen verschlang. Ihr Bauchtanzstil war außergewöhnlich, moderner und extravaganter als ihr eigener.

»Meine Damen, was Sie zu Ihrer Rechten sehen, ist das schönste Fußballstadion der Welt«, begeisterte sich mit einem Mal der Fahrer in gebrochenem Englisch und verlangsamte die Fahrt, bis er anhalten musste. Der Motor des Taxis schaltete sich automatisch ab. Der Stau, in den sie geraten waren, rührte laut Straßenverkehrsmeldung von einem Polizeieinsatz auf der Leopoldstraße her.

Meral blickte auf die rot leuchtenden Waben der Allianz Arena und dachte an ihren Freund Okan Gök, mit dem sie seit kurzem zusammen war. Wie die meisten ihrer Landsleute war er begeisterter Fußballfan.

Meral aber hasste Fußball und Männer, die Fußball liebten.

3. KAPITEL

Wenige Lichteinheiten genügten dem Fotografen, um die sieben Bauchtänzerinnen zu einem dramatischen Spiel aus Farbe und Schatten zu stilisieren. Vor dem Museum Brandhorst, das mit seiner bunt schimmernden Fassade Kostüme und Gesichter der Frauen auf bizarre Weise ergänzte, entstand die Aufnahme für das türkische Modegeschäft, das die Bauchtanzshow finanzierte.

Meral Sez war froh über das pünktliche Ende des Fotoshootings. Zurück im Appartementhotel, duschte sie und zog sich um. In Vorfreude auf ihre Freundin legte sie einen Seidenschal um die Schultern und packte die aus Istanbul mitgebrachten Aufmerksamkeiten in ihren kleinen Rucksack.

In der Nähe des Hauptbahnhofs hatte Meral in einem Studio tanzen gelernt. Sie kannte sich in der Gegend aus und spazierte, in Erinnerungen schwelgend, die Bayerstraße entlang.

Franziska Saum wartete aufgeregt im Alten Botanischen Garten auf einer Parkbank mit Sicht auf den gelb beleuchteten Justizpalast. Als sie ihre Freundin auf sich zukommen sah, war das alte Gefühl mit einem Schlag wieder da. Vor zwei Jahren hatte Meral München verlassen, um nach Istanbul zurückzukehren. Nicht freiwillig, wie sich Franziska allzu gut erinnerte.

»Hallo, Meral! Hier drüben«, schrie sie und winkte. Das Glücksgefühl, ihre Freundin wiederzusehen, strömte durch ihren ganzen Körper. Gleichzeitig dachte sie mit Schrecken daran, dass Meral gleich bemerken würde, wie sehr sie zugenommen hatte. Verstohlen richtete sie ihre hellbraunen Haare und strich mit ein wenig Spucke die Augenbrauen glatt.

»Hallo, Franziska«, grüßte Meral und küsste sie auf die Wangen.

»Schön, dich zu sehen«, antwortete Franziska. Sie konnte das Glück nicht wahrhaben, in ihre tiefblauen Augen zu blicken.

»Besser als eine Kneipe, in der man nicht rauchen darf«, stellte Meral fest und zündete sich eine Zigarette an. Wegen der kühlen Temperatur und der fortgeschrittenen Zeit waren die zwei Frauen allein, bis auf vereinzelte Passanten, die den Weg durch den Botanischen Garten als Abkürzung Richtung Stachus nutzten.

»Ich dachte, da du wenig Zeit hast … Ist ja nicht weit von eurem Hotel«, erwiderte Franziska etwas verlegen, wobei sie die Augen nicht von dem Schal ihrer Freundin loseisen konnte.

»Was ist?«, fragte Meral.

»Den habe ich dir damals geschenkt.«

»Den Schal?«

Natürlich erinnerte sich Meral an die bitteren Tränen und den zu bunten Schal, den ihre Freundin zusammen mit ihren Habseligkeiten nach Istanbul geschickt hatte, nachdem sie Hals über Kopf München den Rücken gekehrt hatte. Meral bemerkte auch Franziskas knappen Rock und roch das fruchtige Parfüm, das ihren Körper umhüllte, wie auch das tief ausgeschnittene Oberteil.

»Ja, stimmt. Du siehst, ich trage ihn immer noch«, erklärte Meral, als wäre es purer Zufall, gerade diesen Schal ausgewählt zu haben. Dann legte sie ihren Rucksack ab und setzte sich auf die Bank.

»Lust auf ein Glas Weißwein? Trinkst du hoffentlich immer noch am liebsten?«, bot Franziska an.

»Ein Glas, mehr nicht«, willigte Meral ein. Die halb gerauchte Zigarette warf sie in hohem Bogen in die Pflanzungen.

Schnell holte Franziska eine Flasche Wein und Plastikbecher aus der Tasche. »Ich habe mich so gefreut über deine Mail!«, jubelte sie. Dann wurde ihr Gesicht kreidebleich. »Verdammt, ich habe den Korkenzieher vergessen.«

Meral kramte im Rucksack nach dem Schweizer Taschenmesser, das sie immer bei sich hatte. Statt des üblichen Kreuzes auf dem roten Plastikgriff waren der weiße Halbmond und der Stern der türkischen Flagge eingraviert. »Geht es damit?«

»Aber ja!«, freute sich Franziska, klappte den Korkenzieher auf und öffnete in Windeseile die Flasche.

»Bravo, das kannst du ja nach wie vor perfekt. Arbeitest du noch in der Gastronomie?«

Ohne einen Tropfen zu vergießen, schenkte Franziska die Becher voll. »Nur halbtags in einem Tagescafé in der Innenstadt. Vor allem ältere Damen und Herren. Kaffee und Kuchen. Hin und wieder bestellen die Herrschaften ein Glas Sekt, um den Kreislauf anzukurbeln.« Mit breitem Grinsen überreichte sie einen Becher und erhob den eigenen. »Auf dich! Auf meine schönste Geliebte, die ich je hatte.«

Meral und Franziska prosteten sich zu und nahmen einen Schluck.

»Dass ich auf Frauen stehe, muss nicht jeder hören«, flüsterte Meral dann.

»Keine Sorge, hier hört uns niemand.«

»Du hast recht, aber du weißt, dass ich vorsichtig sein muss.«

»Sehen kann uns übrigens auch niemand.«

Meral wartete einen Augenblick, blickte sich um, dann ließ sie ihre Hand unter den Rock ihrer Freundin gleiten. Sie spürte die aufgerichteten Haare und die rauhen Erhebungen ihrer Hautoberfläche am Oberschenkel – der Frühlingsabend war definitiv zu kalt für Miniröcke.

»Endlich«, hauchte Franziska. »Hätte ich das gewusst, hätten wir uns gleich bei mir treffen können. Ich habe einen Baldachin über dem Bett hängen.« Sie genoss die wärmende Hand auf der Innenseite ihres Oberschenkels. Plötzlich aber zuckte sie zusammen und fügte besorgt hinzu: »Und was ist mit Okan?«

»Okan?«

»Ja, bist du nicht mit ihm zusammen? Habe ich jedenfalls gehört.«

»Mit wem ist Okan nicht zusammen?«, fragte Meral ernst. Dann kicherte sie albern auf. »Ich will ein Kind von ihm, das ist alles.«

Verblüfft trank Franziska einen weiteren Schluck Wein. Dann grinste sie. »Das ist nicht dein Ernst.«

»Doch. Er sieht doch gut aus, oder?«

»Er ist ein Mann.«

»Und was für einer.«

»Okan Gök ist der größte Macho, den je eine Mutter zur Welt gebracht hat. Von dem willst du dir ein Kind machen lassen?«

»Vergiss Okan. Morgen ist Sonntag. Wir können ausschlafen.«

Dann beugte sich Meral zu Franziska und gab ihr nach zwei langen Jahren wieder einen Kuss.

4. KAPITEL

Die Ermittlungen in dem Mordfall Knöcheltoter, wie ihn Münchner Zeitungen wohl nach einem Interview mit Leipold bezeichneten, gestalteten sich schwierig. Das Opfer, in der türkischen Community als Kredithai verschrien, schien mehr Feinde als Haare auf dem Kopf zu haben. Das Migra-Team hatte ein ganzes Heer potenzieller Verdächtiger abzuarbeiten. Allesamt Kreditnehmer bei dem umtriebigen Geschäftsmann. Zeki war dankbar für die sonntägliche Auszeit und schielte gerade von der Parkbank einer Grünanlage zu einer augenscheinlich ausländischen Gruppe Männer. Sie standen zusammen, rauchten und tuschelten. Die Sonntagszeitung hatte er bereits durchgeblättert, gelesen allerdings hatte er nur die Bildunterschriften der Fotos und den Hauptartikel im Sportteil über die lahm laufende Bundesliga. Sonst fand er nichts auf den vielen bedruckten Seiten, was ihn an dem sonnigen Frühlingstag interessierte.

Er blinzelte in die Vormittagssonne, als sich einer der Männer mit wirbelnder Gebetskette vor ihm aufbaute. Ein Einweg-Brillengestell verformte sein Gesicht zu einer überreifen Wassermelone.

»Was gibt’s?« Demirbilek fixierte den älteren Mann, der zum Überfluss wie ein Schafbock Kaugummi kaute.

»Sind Sie nicht der türkische Kommissar?«, fragte er mit Berliner Dialekt.

Demirbilek hatte so seine lieben Probleme mit der Hauptstadt – eines der Vorurteile, die er trotz seiner vierzig Lebensjahre nicht abgeschafft hatte. »Wer will das wissen?«, gab er mit einem übertriebenen münchnerischen Einschlag zurück.

»Wir haben uns darüber unterhalten, ob sie Sie geschickt hat. Sie sitzen ja schon über eine halbe Stunde hier«, erklärte der Mann.

Was wird das?, fragte sich Demirbilek und war versucht, zu gehen. In der Regel wich er Scherereien nicht aus, hatte aber gerade weder Zeit noch Nerven dafür. »Mich hat niemand geschickt. Ich warte«, erwiderte er stattdessen.

»Sie warten?«

»Warum soll ich nicht warten?«

Der ältere Mann riss ihm die Zeitung aus der Hand, blätterte den Lokalteil auf und deutete auf einen Textkasten mit Foto. Neben den Spekulationen über den Toten am Walking Man wurde nach einem verschwundenen türkischen Mädchen gesucht.

Der Mann stupste mit dem Finger auf den Artikel, dann deutete er zu seinen wartenden Freunden, die gebannt zu ihnen blickten. »Der Zweite von links kennt die Kleine. Wollen Sie ihn nicht sprechen?«

Demirbilek atmete durch. Wie sollte er dem einfältigen Berliner Landsmann erklären, dass er nicht alle Fälle verfolgen konnte, in die türkische Mitbürger verwickelt waren. Das Sonderdezernat Migra, dem er vorstand, war in die Welt gesetzt worden, um schwere Verbrechen wie Mord und Totschlag aufzuklären, bei denen Täter oder Opfer einen Migrationshintergrund aufwiesen. Nur um die Sache nicht zu verkomplizieren, vergewisserte er sich mit Blick auf die Armbanduhr. Er war lange vor der verabredeten Uhrzeit zum Treffpunkt gekommen. Die Beine wollten nicht, wie er merkte, die Neugier aber trieb ihn zu der Gruppe Männer.

Der Zeuge in dem Fall, von dem Demirbilek nichts wissen wollte, zündete sich vor Nervosität gleich eine Zigarette an.

»Komiser Bey«, sprach ihn der Mann mit Sonntagssakko an, das ihm viel zu weit war. »Ich kenne das verschwundene Mädchen. Meine Freunde und ich sind Straßenreiniger, ich kehre am Bergsteig bis vor zur Ichostraße. Sie geht dort zur Schule.«

»Schöne Gegend, aber was hat das mit ihrem Verschwinden zu tun?«

»Sie ist erst vierzehn«, entgegnete er mit ungewollt hoher Stimme.

Was soll das jetzt bedeuten?, schoss es Demirbilek durch den Kopf. Wenn er die eher deutsch denkenden Synapsen seines Gehirns einschaltete, kamen ihm Verschleppung des Kindes nach Anatolien und Zwangsehe in den Sinn. Bemühte er den türkischstämmigen Anteil der ihm zur Verfügung stehenden Synapsen, dachte er an Pubertät, ausgerissen wegen gebrochenen Herzens. Beide rein spekulativen Erklärungsansätze sorgten für ein alarmierendes Gefühl im Bauch.

»In der Zeitung steht, sie sei sechzehn«, berichtigte Demirbilek ihn.

»Das stimmt aber nicht. Elif geht mit meinem Großen in eine Klasse. Sie ist jünger als die anderen, weil sie eine Klasse übersprungen hat. Das habe ich Ihrer Kollegin schon erzählt«, meinte der Sakkoträger.

»Welcher Kollegin?«, entfuhr es Demirbilek. »Ich habe zwei Frauen, die für mich arbeiten. Für mich, wohlgemerkt, nicht für die Vermisstenstelle.« Kaum hatte er das ausgesprochen, ereilte ihn ein Gedanke. »Klein. Kurze Haare. Der halbe Hintern ist zu sehen, wenn sie Jeans trägt«, beschrieb er die Frau, die als Einzige in Frage kam.

»Sie meinen Jale.«

Demirbileks Seufzer kam aus den Untiefen seines Herzens. Es gab nur eine Jale. Jale Cengiz gehörte seit der Gründung seinem Dezernat an und hatte eine ähnliche Berufsauffassung wie er. Wenn sie Gefahr witterte, legte sie los. Genehmigungen und transparente Kommunikation fielen dabei unter den Tisch.

»Bei Jale sind Sie in guten Händen, sprechen Sie mit ihr«, empfahl er, ohne seinen Groll zu zeigen. Er würde sie von der Suche nach dem Mädchen abziehen, Vermisstenfälle fielen nicht in ihr Aufgabengebiet.

Der Straßenreiniger presste mehrmals seine halb gerauchte Zigarette in einen Reiseaschenbecher. »Wir haben das Mädchen gefunden.«

»Was stellt ihr euch dann so an? Holt die Polizei, damit sie nach Hause kommt. Die Eltern machen sich bestimmt Sorgen.«

»Es wäre aber besser, wenn Sie mitkommen. Jale hat erzählt, dass Sie selbst Vater sind.« Er suchte die passende Formulierung. »Ein türkischer baba, der wie ein deutscher Papa denkt.«

Demirbilek schüttelte verdutzt den Kopf über die eigentümliche Beschreibung. Er war überzeugt, seine vierundzwanzigjährige Kollegin würde schnell Vertrauen zu der Ausreißerin aufbauen. Schließlich war Jale selbst eine türkische Tochter und er, wie er gerade erfahren hatte, eine Art Zwittervater, ein Babapapa. »Jale kann das besser als ich«, entschied er und wollte zurück zur Parkbank, um seine Verabredung nicht zu verpassen.

Da wölbte der Straßenreiniger seine Hände über den Bauch. Eine Geste, die auf der ganzen Welt dasselbe bedeutete. Das vermisste Mädchen war schwanger. Zu jung, aus Demirbileks Sicht, egal, ob sie vierzehn oder sechzehn war.

5. KAPITEL

Wegen seines Aussehens fiel der Kommissar zwischen den Straßenreinigern in Sonntagsstaat kaum auf. Natürlich sah der Münchner mit den Istanbuler Wurzeln aus wie ein türkischer Mann, beide Eltern kamen aus seiner Geburtsstadt am Bosporus. Das dunkle Haar, die wuchtigen Augenbrauen sprachen eine deutliche Sprache. Ganz zu schweigen von seiner inneren Haltung. Das war wohl das Türkischste an ihm.

Zeki Demirbilek galt nicht nur im Polizeipräsidium als Vorzeigetürke, auch innerhalb der türkischen Gemeinde genoss er den Ruf als einer, der es geschafft hatte, obwohl er bei aller Integration seine Wurzeln nicht leugnete. Der Spagat, in beiden Kulturen heimisch zu sein und sich wohl zu fühlen, gelang ihm scheinbar mühelos. Der Grund lag jedoch nicht darin, dass der von klein auf streitbare, oft uneinsichtige Zeitgenosse sich an die deutschen Verhältnisse übergebührlich anpasste oder charakterlich verrenkte, um der zu sein, der er war. Vielmehr lag es daran, dass er sich einen Dreck darum scherte, ob seine Mitmenschen ein Problem damit hatten, was er war. Er war Münchner. Durch und durch. Und Istanbuler. Durch und durch. Und über beiden kulturellen Identitäten schwebte seine Berufung zum Kommissar. Hätte ihn das Schicksal nach der Geburt in Istanbul nach Tokio verschlagen, wäre er, so versuchte er es einmal zu erklären, eben japanisch-türkischer Ermittler geworden.

Elifs Versteck lag am Fuße einer Böschung in der Nähe der Zugbrücke am Kolumbusplatz. In einer Nische, eingebettet zwischen Schrebergärten, die sich entlang der Bahngleise erstreckten, lugte ein Iglu-Zelt hervor.

Die Schülerin lag auf einer Isomatte davor und las in einem Roman. Der Fänger im Roggen, wie Demirbilek erstaunt feststellte. Als Elif die Gruppe Männer bemerkte, band sie ihr Kopftuch um und stand auf.

Mit Unterbrechungen, die die vorbeiratternden Züge notwendig machten, befragte der Kommissar das Mädchen mit einer für ihn ungewöhnlichen Geduld. Beim Zuhören verzog er immer wieder das Gesicht, weil er dem Mädchen nicht glaubte, dass es aus Angst, von ihrem Vater wegen ihrer Schwangerschaft totgeschlagen zu werden, ausgerissen war.

Um seine Hilfsbereitschaft zu zeigen, stellte er sie vor die Wahl: entweder in einem Streifenwagen nach Hause gebracht werden oder zusammen mit ihm im Taxi. Der Trumpf, dass ihr Vater gegenüber einem Kommissar Wort halten würde, wenn er ihn auf den Koran schwören ließe, ihr nichts anzutun, erbrachte die erhoffte Wende. Das Mädchen richtete das Kopftuch zurecht und packte seine Sachen.

Gemeinsam kehrte die Gruppe – der Kommissar und das Mädchen in ihrer Mitte – zurück über die Bahngleise auf die Straße. Zeki hatte die Hoffnung aufgegeben, seine Verabredung zu treffen, so dass er keinen Einwand hatte, als das Mädchen in einem Café auf die Toilette gehen wollte.

Während er vor der Tür wartete, verabschiedeten sich die Straßenreiniger. Der mit dem Melonengesicht schüttelte Demirbileks Hand und äußerte seine Freude, einen modernen, guten Türken in den Reihen der bayerischen Polizei zu wissen.

Sobald die Männer gegangen waren, dauerte es drei Minuten, bis der Kommissar die Geduld verlor und dem Mädchen in das Café folgte.

Er eilte an der Theke vorbei in den schwach beleuchteten Gang. Herren- und Frauentoilette befanden sich nebeneinander. Er klopfte mehrfach laut, dann öffnete er die Tür ein Stück weit.

In dem gekachelten Raum gab es zwei Toilettenkabinen. An beiden stand die Verriegelung auf Rot.

»Hallo! Elif! Bist du da drin?«, rief er.

Der Hilfeschrei einer Frau erfüllte den Raum. Gleich nach dem gellenden Schrei erschienen der Cafébesitzer und einige Gäste.

»Wen suchen Sie?«, hörte Demirbilek den Besitzer fragen.

»Ein Mädchen, sie wollte hier auf die Toilette …«

Demirbilek brach den Satz ab, als er eine Tür entdeckte, die nach draußen führte.

6. KAPITEL

»Ziehen wir denn aus, Herr Kommissar?«

»Ganz bestimmt nicht«, versicherte Demirbilek seiner Nachbarin, die mit einer Mischung aus Neugier und Hoffnung zusah, wie er den letzten Umzugskarton aus einem Kastenwagen wuchtete.

»Ich frage nur, weil ich jemanden kenne, der eine Wohnung sucht«, erklärte die Nachbarin mit enttäuschtem Gesicht.

»Ach wirklich?«, blaffte Demirbilek zurück, als hätte er gerade erfahren, dass der FC Bayern ein in München ansässiger Fußballverein war. Die bayerische Landeshauptstadt war für Wohnungssuchende genauso grausam wie die geheime Hauptstadt der Türkei. Es bedurfte bei ihm nie viel, um einen gedanklichen Abstecher an den Bosporus zu machen. Auf einem von Jale Cengiz’ Kartons, die bei ihm wohnte und aus Berlin ihre Sachen geholt hatte, stand »Istanbul« geschrieben.

Demirbilek schloss den Wagen ab und schleppte den zu schwer beladenen Karton zwei Stockwerke hoch in seine Etage. Er lebte seit über zehn Jahren in der Dreizimmerwohnung und fühlte sich wohl in der Weilerstraße, die zwischen Giesing und Haidhausen lag. Vom Herzen her näher an Giesing, dem einstigen Arbeiterviertel, das inzwischen von Besserverdienern übernommen wurde.

Das letzte Stück schob er den Karton über den Parkettboden des Flurs vor das ehemalige Zimmer seiner Tochter, das seit einigen Monaten von Jale und seinem Sohn Aydin bewohnt wurde. Er lehnte sich an den Türstock und beobachtete die beiden. Jale zeigte Aydin gerade ein Fotoalbum aus Kindertagen. Sie waren derart vertieft in die Aufnahmen, dass sie ihn nicht bemerkten. Sie passten gut zusammen, freute er sich.

»Sieh mal, mein jüngerer Bruder Levent. Da war er noch ein kleiner, süßer Hosenscheißer«, grinste Jale.

»Und jetzt?«

»Vermakelt er Wohnungen und Häuser an neureiche Berliner Türken und spendet Unsummen an islamische Gemeinden.«

»Hast du mit Levent in Berlin nicht gesprochen?« Aydin deutete auf ihren Bauch.

»Ich mit ihm schon, er aber nicht mit mir. Er hat mich hinausgeworfen.« Sie klappte das Fotoalbum zu. Die gute Laune war verflogen.

Zeki wusste von den unsäglichen Ehrvorstellungen des jüngeren Bruders und hätte mit dem Bürschchen am liebsten unter vier Augen geredet. Jales Eltern, wie auch ihr älterer Bruder, der in die Türkei zurückgekehrt war, hatten sich mit Jale ausgesprochen und akzeptiert, dass sie unverheiratet schwanger war. Nicht aber ihr jüngerer, geschäftlich erfolgreich in Berlin lebender Bruder. Was nutzte die liberalere Einstellung der Familie, wenn ihn niemand zur Räson brachte?

Plötzlich spürte Zeki, wie er wegen der Morde, die auf der ganzen Welt im Namen der Ehre begangen wurden, eine Gänsehaut bekam. Dabei kam ihm auch Elif in den Sinn. Er war versucht, seine Kollegin auf das verschwundene Mädchen anzusprechen. Doch er hatte die Vermisstenstelle bereits über ihr Verschwinden aus dem Café informiert, außerdem wollte er nicht Gefahr laufen, seinem Sohn die Zeit mit seiner Freundin zu stehlen. Wie er Jale einschätzte, hätte sie alles stehen und liegen lassen, um selbst nach Elif zu suchen.

»Wo ist der Rest, Jale?«, machte er sich bemerkbar.

Sie sah mit einem verkrampften Lächeln auf. »Welcher Rest?«

»Ist das alles, was du als türkische Tochter aus Berlin mitgebracht hast?«

»Ja, das ist alles, was ich besitze. Bis auf ein paar Sachen bei meinen Eltern in Istanbul«, erwiderte sie.

»Du meinst die Aussteuer?«

»Ein ganzes Zimmer voll!«, spöttelte sie und wandte sich an Aydin. »Komm, lass uns weitermachen. Wenn du brav auspacken hilfst, darfst du heute Abend Babybilder anschauen. Es gibt zwei, da bin ich ganz nackig zu sehen.«

»Ich muss los zur Generalprobe«, erwiderte dieser lachend. »Hörst du mir eigentlich nie zu?«

»Heute am Sonntag?«

»Geht nicht anders.«

Dann stand er auf und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

Zeki nutzte die Gelegenheit, seinem Sohn ein Zeichen zu geben, ihm zu folgen. Er ging voraus und wartete, bis sich Aydin zu ihm an den Küchentisch setzte.

»Was ist los?«, fragte Aydin besorgt.

»Mein Sohn, ich möchte nicht, dass du Jale erlaubst, schwer zu tragen.«

Aydin sah ihn verdutzt an. »Ich habe das Gewicht kontrolliert. Die Kartons, die sie getragen hat, waren federleicht. Außerdem lässt sich Jale von mir nichts sagen, du kennst sie doch.«

»Aber von mir. Deshalb reden wir ja jetzt miteinander. Wenn du Probleme hast oder Hilfe brauchst, du weißt, ich bin immer für dich da.«

Aydin schüttelte erstaunt den Kopf. »Was ist los, baba?«

»Was meinst du?«

»Ich wundere mich, dass du mir keine Ratschläge gibst, wie ich mit Jale umgehen soll.«

Zeki stand auf und lächelte seinen Sohn versöhnlich an. »Ich bin der Allerletzte, der dir gute Ratschläge geben könnte. Jale und deine Mutter haben einiges gemeinsam. Du weißt, welche Fehler ich gemacht habe.«

»Du vermisst Mama.«

»Führ du mit Jale eine bessere Ehe als ich mit Selma«, sagte Zeki ausweichend. »Das ist der einzige Rat, den ich dir geben kann.« Dann verließ er die Küche.

Aydin blieb sitzen und sah seinem Vater nach. Seine Gedanken wanderten zurück in die Kindheit. Er sah seine Eltern, Hand in Hand, mit glücklichen Gesichtern. In ein paar Monaten würde er selbst Vater werden. Und sein eigener Vater Großvater. Aydin schüttelte sich. Ihn schauerte bei der Vorstellung, wie der Nachwuchs sein Leben auf den Kopf stellen würde.

7. KAPITEL

Die mollige Bauchtänzerin stoppte abrupt in der Drehung, korrigierte ihre verkrampfte Haltung und setzte neu an. Sie tanzte zum ersten Mal auf das arabische Volkslied, das für ihre Darbietung ausgewählt wurde. Die drei Musiker, die seitlich auf einem Podest neben der Bühne spielten, waren es gewohnt, Passagen ständig zu wiederholen.

Doch was sie nicht gewohnt waren, war der Anblick des aus Algerien stammenden Tourmanagers Farhaad, der die organisatorischen Belange der Show verantwortete. Er übertönte mit kaum verständlichen Anweisungen die Musik, stampfte vor der Bühnenempore herum und riss die Arme hoch und nieder.

Aydin wohnte teils amüsiert, teils kopfschüttelnd der Generalprobe der internationalen Bauchtanzshow bei. Mit Engagements wie diesen verdiente sich der angehende Vater Geld zu seinem Studium an der Münchner Musikakademie, wo er als ordentlicher Student des Istanbuler Musikkonservatoriums eingeschrieben war. Über das Engagement hatte er sich gefreut und für die am morgigen Abend stattfindende Show Werbung im Freundeskreis gemacht.

Nun unterbrach er zum wiederholten Mal sein Spiel auf der Darbuka. Auf der Bechertrommel hatte er bereits als Achtjähriger zu spielen begonnen. Als Virtuosen schätzte er sich jedoch nicht ein, sein Hauptinstrument war das Saxophon. Doch sein Können reichte aus, um für den treibenden Rhythmus und den tänzelnden Charakter der orientalischen Bauchtanzmusik zu sorgen.

Aydin bemerkte zusammen mit den anderen Musikern, wie die blondhaarige Frau immer überforderter auf die Anweisungen des Managers reagierte.

»Wie kannst du ohne Muskel im Bauch tanzen, Frau?«, schrie er schließlich verzweifelt und sprang zu ihr auf die Bühne. Sein Deutsch mit französischem Einschlag ergänzte auf ideale Weise seine orientalische Erscheinung.

Tatsächlich hatte die pummelige Darbieterin nicht die Muskulatur, um ihre Bauchfalten passend zur Musik in schwingende Bewegungen zu versetzen. Die Haare waren zudem zu kurz geschnitten, das ruckartige Hin- und Herwerfen des Kopfes verfehlte seine erotische Wirkung. Seit zwei Jahren versuchte sie, neben ihrem Beruf als Floristin die Kunst des Bauchtanzes zu erlernen, und war als Beste und Ausdrucksstärkste eines Münchner Orientvereins zum Vorprogramm eingeladen worden. Für den Auftritt ihres Lebens hatte sie sich extra ein blau-gold glänzendes Kostüm maßfertigen lassen.

Die Meisterinnen selbst waren für die Generalprobe nicht eingeplant. Die teilweise im Auftrag komponierte Musik für ihre Vorstellungen wurde über CD eingespielt. Das Einstudieren der raffinierten Musikstücke wäre für Aydin und seine Kollegen zu aufwendig gewesen.

»Fass mich nicht an!«, schrie die Tänzerin dem Manager entgegen, als der versuchte, ihre Schultern in die richtige Position zu bringen. Sichtlich erschrocken über den Ausbruch, entschuldigte sich Farhaad prompt.

Als die Musiker in dem umgebauten, altehrwürdigen Theater zwischen Hauptbahnhof und Stiglmaierplatz dachten, dass mit dem Vorfall die Probe beendet sei, senkte der wuchtige Manager den Kopf auf seine Brust. Mit geschlossenen Augen konzentrierte er sich eine Zeitlang. Dann gab er den Musikern ein Zeichen, das arabische Musikstück von vorne zu beginnen.

Aydins Handflächen bearbeiteten als Erste die Ziegenhaut der Darbuka, der Kollege an der Saz – der langhalsigen Laute – folgte nach ein paar eingängigen Takten mit der Melodie. Zuletzt setzte der Flötist ein, der mit der Ney den typischen Singsang-Charakter beisteuerte.

Wie entfesselt knöpfte der Manager auf der Bühne sein Hemd auf und ließ seine Hüften zur Musik kreisen. Die Floristin verfolgte seine Bewegungen zunächst abschätzig, bis sie verstand, dass der Mann ihr zeigen wollte, was er meinte. Immer wieder forderte er sie auf, es ihm gleichzutun. Doch statt es selbst zu probieren, beobachtete sie fasziniert, wie er seinen wohlgeformten Bauch zum Tänzeln brachte. Noch bevor das Musikstück zum schnellen Mittelteil überging, flossen Tränen über ihre mit Rouge geschminkten Wangen. Dann schritt sie auf den Manager zu und packte ihn an den Schultern, damit er aufhörte. Als Farhaad den Tanz abbrach, drückte sie ihm einen Kuss auf den Mund. Offenbar als Dank für seinen Versuch, ihr helfen zu wollen.

»Das lerne ich nie«, presste sie dann unter Tränen zwischen den Lippen hervor und rannte von der Bühne des ehemaligen Theatersaales.

8. KAPITEL

Am nächsten Vormittag saß das dreiköpfige Team der Migra im Dienstzimmer des Sonderdezernatsleiters zusammen. Demirbilek informierte Isabel Vierkant und Jale Cengiz über die Begebenheit, die mit Elifs Flucht aus dem Café geendet hatte. Dabei ersparte er es sich, Jale die Leviten zu lesen. Wie er nicht anders erwartet hatte, rechtfertigte sie das Engagement für das Mädchen, das ihn so frech hereingelegt hatte, als rein private Unternehmung.

»Ich finde, wir müssen uns an der Suche beteiligen. Eine schwangere Vierzehnjährige …«, beharrte Jale.

»Die Vermisstenstelle hat Spezialisten dafür, außerdem sind wir inmitten der Ermittlungen um den Toten am Walking Man und haben auch sonst genug zu tun«, unterbrach Demirbilek sie in ruhigem Tonfall. Dann löste er seinen Blick von Cengiz und musterte das reparierte Handy, das sie für ihn abgeholt und mitgebracht hatte.

»Darf ich was sagen?«, erhob Vierkant die Stimme, deren Bedürfnis nach Harmonie allseits bekannt war.

»Nein«, erwiderte Demirbilek und dachte angestrengt nach. »Wie war noch mal meine PIN-Nummer?«

»4233«, beantwortete Vierkant seine Frage und wartete ab.

»Was Neues zum Kredithai?«, fragte Demirbilek.

»Keine Spuren, die uns weiterbringen. Was wir jetzt wissen, ist, dass er nicht im Büro, sondern vor seinem Bürogebäude in die Seite gestochen wurde. Ein tiefer Stich mit einem Schraubenzieher oder Ähnlichem, wie unsere Gerichtsmedizinerin meint. Zeugen gibt es nach wie vor keine.«

»Wie steht es um seine Klienten, oder wie nennt man das bei einem Kredithai?«

»Keine Ahnung. Kunden vielleicht?«, meinte Cengiz. »Wir haben jede Menge Unterlagen gefunden. Das ist ein Mordsaufwand, alle zu verhören. Es spricht auch einiges dafür, dass es neben den offiziellen Krediten mit Vertrag und Unterschrift noch andere Klienten oder Kunden gab. Geschäfte unter der Hand. Ohne Vertrag und Unterschrift. Bei den Offiziellen telefonieren wir uns durch, einige werden wir aufsuchen. Die meisten wohnen in München.«

»Darauf wollte ich nämlich vorhin hinaus«, brachte sich Vierkant wieder ein. »In der Bayerstraße wohnt einer der offiziellen Kunden, den wir vernehmen wollen. Ich könnte Jale vorher im Westend bei der Wohnung des verschwundenen Mädchens absetzen. Wenn sie dort fertig ist, kommt sie zu mir. Das sind zu Fuß vielleicht zehn Minuten. Natürlich hat unser aktueller Fall Vorrang, da haben Sie absolut recht, Herr Demirbilek. Aber die Wohnung liegt ja mehr oder weniger auf dem Weg. Das wäre ein Abwasch, wie man so schön sagt.«

Vierkant strich eine schokoladenbraune Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte ihren Chef verschmitzt an, der registrierte, wie Jale ihr Einverständnis zu Vierkants Vorschlag mit einem deutlichen Nicken zum Ausdruck brachte. Auch wenn der Dezernatsleiter nicht klein beigeben wollte, beschloss er, über seinen Schatten zu springen. Irgendetwas stimmte mit dem Mädchen nicht. Auch er wollte wissen, was passiert war, und wäre am liebsten selbst bei den Eltern vorstellig geworden. Elifs Vater betrieb eine Autowerkstatt, die Mutter war Hausfrau. Eine ganz normale türkischstämmige Familie.

»Also gut, ihr zwei. Ich schätze, ihr habt euch hinter meinem Rücken abgesprochen«, lenkte er ein. »Priorität hat die Vernehmung in der Bayerstraße. Ich sorge für Verstärkung, damit wir vorankommen. Jale, du befragst Elifs Eltern nicht alleine. Isabel begleitet dich. Ihr nehmt euch nicht mehr als zehn Minuten Zeit dafür. Fragt sie, warum ihre Tochter behauptet, schwanger zu sein. Ich bin ziemlich sicher, dass sie lügt. Wenn es Probleme gibt, ruft an. In fünf Minuten seid ihr im Dienstwagen, Fahrtzeit rund zwanzig Minuten.« Er griff zum Handy, um nach der Uhrzeit zu sehen, doch war diese nach der Reparatur noch nicht eingestellt.

»Ist klar, wir rufen an, wenn wir nach zehn Minuten fertig sind«, vollendete Jale seine Anweisung.

Die beiden Ermittlerinnen standen gleichzeitig auf und verließen das Dienstzimmer. Seiner Schwiegertochter in spe war die Schwangerschaft kaum anzusehen, fuhr es Demirbilek durch den Kopf. Der gewölbte Bauch hätte ebenso vom guten Essen sein können. Seit Jale und Aydin ein Paar waren und bei ihm wohnten, gestaltete sich das gemeinsame Abendessen zu einem bereichernden Element in seinem Leben. Zwar war Jale keine geborene Spitzenköchin, doch übertrafen ihre Kochkünste seine eigenen, eher mäßigen Bemühungen um ein Vielfaches. Auch Aydins Zwillingsschwester Özlem kochte in letzter Zeit öfter als gewohnt. Obgleich Zeki seine Tochter über alles liebte, hätte er gerne manchmal auf ihre phantasievolle Melange aus bayerischer und türkischer Küche verzichtet. Entweder oder war ihm manchmal doch lieber. Was machte Schweinebraten für einen Sinn, wenn es keine Kartoffelknödel und Krautsalat dazu gab, sondern bulgur und Tomatensalat?

Nach den kulinarischen Überlegungen, die um die herannahende Mittagszeit zwangsläufig einen Hungerschub verursachten, kam er endlich dazu, sein Handy einzuschalten. Er hoffte darauf, dass Derya Tavuk, mit der er am Vortag verabredet gewesen war, Nachsicht zeigen würde. Derya hatte er als Kellnerin im Nockherberg-Biergarten kennengelernt. Nicht nur dass sie hübsch war, sie war ihm auf Anhieb sympathisch gewesen und entpuppte sich bei den sporadischen Gesprächen als selbstbewusste Türkin. Die Frau, die sich in seine Gefühlswelt eingeschlichen hatte, hatte zweimal angerufen. Und beide Male keine Nachricht hinterlassen.

Schade, sagte er sich und brach zu einem Termin auf, den er nicht mehr verschieben konnte.

9. KAPITEL

Doktor Zsolt Szalay, Demirbileks in Budapest geborener Hausarzt, war nicht verwundert über die passablen Werte des EKGs. In ein paar Jahren erst stieg für seinen Patienten mit dem stressigen Polizeiberuf die Wahrscheinlichkeit für einen Schlaganfall. Das wusste er aus statischen Erhebungen, denen er absolut vertraute.

»Ihrem Herzen fehlt nichts, Herr Demirbilek, zumindest schulmedizinisch gesehen. Wann hatten Sie zuletzt Herzrasen?«

Demirbilek dachte nach. »Muss länger her sein, ich weiß es gerade nicht.«

»Aber ich!«, scherzte der Arzt. Er nahm seine Patientenakte zur Hand, deren Schutzumschlag künstlerisch gestaltet war. Der ungarische Münchner war Kunstliebhaber, seine Praxis vollgestellt und vollgehängt mit Objekten künstlerisch aktiver Patienten. »Sie waren vor einem halben Jahr bei mir. Psychosomatische Störungen. Unregelmäßiger Puls. Kam das zwischenzeitlich wieder vor?«

»Nicht dass ich wüsste.«

»Sind ja gerade erst vierzig geworden. Und rauchen wie lange nicht mehr?«

»Zweieinhalb Jahre«, antwortete Zeki, während er sein Hemd zuknöpfte.

»Sehen Sie, hat sich gelohnt, die Entscheidung«, munterte der Arzt ihn auf. »Trinken immer noch Weißbier, nehme ich an. Wie viel?«

Demirbilek zuckte mit den Achseln. »Ganz normale Mengen. Für einen Münchner jedenfalls.« Er zog das Sakko über. »Ich fühle mich allerdings recht matt in letzter Zeit.«

»Das Wetter! Mir geht es nicht anders.«

»Ja, Sie haben sicher recht.«

Doktor Szalay schloss die Akte. »Ja, das Wetter nimmt mehr Einfluss auf unsere Psyche, als wir glauben. Aber man weiß ja nie. Bei Ihrem Job. Ständig die Leichen und die geistige Anstrengung beim Ermitteln. Sie sehen abgeschlafft aus. Passen Sie auf, ich schreibe Sie eine Woche krank. Machen Sie eine Pause. Kommen Sie mal zu sich. Was halten Sie davon?«

»Das ist nicht notwendig, Herr Doktor. Mir geht es gut. Wir haben gerade eine Menge zu tun.«

»Nur ein paar Tage! Da wird Ihr Laden schon nicht zusammenbrechen. Fahren Sie weg, und erholen Sie sich mit Ihrer Frau oder Freundin«, riet der Arzt, ohne wissen zu können, was er damit bei Demirbilek auslöste.

Sofort katapultierten sich seine Ex-Frau Selma und Derya in seine Gedankenwelt. Sein Herz, glaubte er, begann nun doch zu rasen.

»Ich könnte für ein paar Tage nach Istanbul«, hörte er sich sagen, ohne vorher darüber nachgedacht zu haben.

»Aber natürlich! Ab nach Istanbul mit Ihnen!«, geriet sein Hausarzt ins Schwärmen. »Ich war letztes Jahr dort. Leider nur ein verlängertes Wochenende. Viel zu kurz, aber immerhin konnte ich einige der wichtigsten Galerien und Museen besuchen. Ein Wahnsinn! Ein paar freie Tage werden Ihnen guttun.«

Demirbilek stand auf und gab ihm die Hand. »Nicht jetzt, Herr Doktor. Vielleicht komme ich auf Ihr Angebot zurück.«

»Aber ja. Jederzeit.«

Als Zeki aus dem Praxisgebäude trat, hielt er kurz inne. Es wäre ihm lieber gewesen, die Geräte seines Arztes hätten etwas gefunden, was nicht in Ordnung war. Etwas Simples. Einen Infekt, der auf das Gemüt abstrahlte. Etwas, was mit Antibiotika zu heilen war. So aber spukten mit Szalays Bemerkung zwei Frauen in seinem Kopf, derer er mit Medikamenten nicht Herr werden konnte.