Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation - Christine Becker - E-Book

Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation E-Book

Christine Becker

0,0

Beschreibung

Viele Studien belegen den Nutzen von asynchroner computervermittelter Kommunikation für das Fremdsprachenlernen. Ein Teilbereich des Fremdsprachenunterrichts, die Landeskunde, wurde jedoch bislang kaum berücksichtigt. Diese Studie nimmt daher das landeskundliche Lernen in den Blick und untersucht anhand von Daten aus einem kulturwissenschaftlich orientierten universitären Seminar zur DaF-Landeskunde, welches Potenzial, aber auch welche Probleme Forumsdiskussionen für kulturbezogenes Lernen bergen. Die Analyse zeigt dabei unter anderem welche Aufgabenformate im untersuchten Setting fruchtbar sind und bietet so Impulse für den sinnvollen Einsatz von Forumsdiskussionen im Rahmen von Fremdsprachenstudiengängen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 595

Veröffentlichungsjahr: 2018

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Christine Becker

Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation

Eine empirische Untersuchung von Online-Diskussionen im universitären Landeskundeunterricht

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

 

 

© 2018 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.francke.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

 

ePub-ISBN 978-3-8233-0084-7

Inhalt

Dank1 Einleitung2 Theoretischer Hintergrund2.1 Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien2.1.1 Blended Learning2.1.2 Computervermittelte Kommunikation im Fremdsprachenunterricht2.1.3 Aufgaben für CMC-Szenarien2.1.4 Rolle der Lehrenden in CMC-Szenarien2.1.5 Zusammenfassung2.2 Kulturbezogenes Lernen2.2.1 Landeskunde: Geschichte, Begriffe und Probleme2.2.2 Kulturwissenschaftlich orientierte Landeskunde2.2.3 Zusammenfassung2.3 Integrierter Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht2.4 Epistemisches Schreiben2.5 Zusammenfassung und Ausblick3 Der Landeskundeunterricht an der Universität Stockholm3.1 Das Fach Deutsch an der Universität Stockholm3.1.1 Sprachliche Voraussetzungen der Studierenden3.2 Das Landeskundeseminar3.2.1 Lehr- und Lernziele3.2.2 Technische Medienkompetenz3.2.3 Themenauswahl3.2.4 Integration von Fremdsprachen- und Fachunterricht3.2.5 Blended Learning und asynchrone computervermittelte Kommunikation4 Forschungsmethode4.1 Erkenntnisinteresse4.2 Forschungsverständnis4.2.1 Gütekriterien qualitativer Forschung4.2.2 Lehrende als forschende Subjekte4.2.3 Kulturgebundenheit des forschenden Subjekts4.2.4 Generalisierbarkeit der Forschungsergebnisse4.3 Forschungsdesign4.3.1 Methoden der Datenerhebung und -aufbereitung4.3.2 Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen4.3.3 Verfahren der Datenanalyse4.3.4 Das Forschungsdesign aus forschungsethischer Perspektive5 Ausgewählte Einflussfaktoren und Merkmale der Online-Diskussionen5.1 Beschreibung der Aufgabenstellung5.2 Anzahl und Länge der Beiträge5.3 Bearbeitungszeiten und Bedeutung der zeitlichen Vorgaben5.4 Zeitlicher Abstand zwischen den Beiträgen5.5 Sprachliches Niveau und Wahl der Sprache5.6 Verwendung von Hyperlinks und Emoticons5.7 Einflussfaktoren in der Aufgabenbearbeitung5.8 Interaktion zwischen den Studierenden5.8.1 Einfluss der Lehrperson auf die Interaktion5.8.2 Beitragslänge und sprachliche Besonderheiten5.8.3 Interaktion initiierende Inhalte5.9 Lehrerrolle5.10 Rolle der Studierenden mit Deutsch als L16 Kulturbezogenes Lernen6.1 Aufgaben und Modi ihrer BearbeitungSachfragen bzw. Fragen zum Text/FilmFrage zu eigenen ErfahrungenAbfrage von VorwissenFrage zur eigenen Meinung/VermutungEigene FragePerspektivenübernahme6.2 Sachwissen6.2.1 Umgang mit Sachfragen6.2.2 Vor- und Nachteile von Sachfragen in asynchronen Online-Diskussionen6.3 Begriffs- und Deutungsreflexionen6.3.1 Begriffsreflexionen6.3.2 Deutungsreflexionen6.3.3 Potenziale von asynchronen Online-Diskussionen für Begriffs- und Deutungsreflexionen6.4 Gegenwartsbezüge6.4.1 Von den Studierenden selbständig angebrachte Gegenwartsbezüge6.4.2 Potenzial von Gegenwartsbezügen für landeskundliches Lernen in asynchronen Online-Diskussionen6.5 Perspektivenübernahme6.5.1 Umgang mit Aufforderungen zu diachronen Perspektivenübernahmen6.5.2 Besonderheiten der Perspektivenübernahmen: Apologetische Tendenzen6.5.3 Kreative diachrone Perspektivenübernahmen6.5.4 Potenziale und Probleme von diachronen Perspektivenübernahmen für kulturbezogenes Lernen in asynchronen Online-Diskussionen6.6 Narrative Zugänge6.6.1 Wahl narrativer Zugänge6.6.2 Besonderheiten der erzählten Inhalte: Erinnerungen aus dem Familiengedächtnis6.6.3 Potenzial und Probleme narrativer Zugänge in asynchronen Online-Diskussionen7 Zusammenfassung, didaktische Implikationen und Ausblick7.1 Einflussfaktoren auf die asynchronen Online-Diskussionen7.2 Potenziale und Probleme der AufgabenbearbeitungsmodiSachwissenBegriffs- und DeutungsreflexionenGegenwartsbezügePerspektivenübernahmeNarrative ZugängeLiteraturverzeichnisAnhang1. Verzeichnis der im Unterricht verwendeten TexteInternetquellen (ohne Angabe des Verfassers/der Verfasserin)Sonstiges2. Seminarplan Präsenzunterricht (Sommersemester 2014)3. Informationen für Studienteilnehmer/-innen4. Einverständniserklärung5. Hintergrundfragebogen6. Kursevaluation7. InterviewleitfadenAbkürzungenAbbildungsverzeichnisTabellenverzeichnis

Dank

Diese Arbeit ist als Dissertation an der Universität Stockholm und an der Justus-Liebig-Universität Gießen entstanden. Mein Dank gilt meinen Betreuern in Stockholm und Gießen: Prof. Dr. Elisabeth Wåghäll Nivre, die nicht nur in wissenschaftlichen Fragen eine exzellente Ansprechpartnerin ist, und Prof. Dr. Dietmar Rösler: Vielen Dank für die sehr inspirierende und engagierte Betreuung! Ich danke ebenso Dr. Frank Thomas Grub für die sehr wertvolle Betreuung vor allem in der Schlussphase.

Ohne die Teilnahme von vielen Studierenden an meiner Studie wäre diese niemals zustande gekommen. Ihnen sei an dieser Stelle ganz besonders gedankt!

Darüber hinaus möchte ich mich bei Jun.-Prof. Dr. Katrin Biebighäuser für die hervorragende Begutachtung meines Manuskriptes im Rahmen des Schlussseminars bedanken.

Verschiedene schwedische Stiftungen haben mir während meiner Doktorandenzeit wichtige Konferenzreisen und die Anschaffung von Literatur ermöglicht: Helge Ax:son Johnson Stiftelse, Sven och Dagmar Saléns Stiftelse und K & A Wallenbergs Stiftelse. Der Universität Stockholm danke ich für das Stockholms universitets donationsstipendium.

Ich danke auch den Mitgliedern der Sektion 8 des Gießener Graduiertenzentrum Kulturwissenschaften für die freundliche und kollegiale Aufnahme in ihren Kreis.

Allen meinen Stockholmer Kollegen und Kolleginnen am Institut für Slawische und Baltische Sprachen, Finnisch, Niederländisch und Deutsch danke ich für die freundliche und offene Arbeitsatmosphäre. Ich danke Dr. Anna Callenholm für die Freundschaft und dafür, dass sie mir in der Schlussphase vollständig den Rücken frei gehalten hat. Bei den Teilnehmerinnen des Germanistischen Kolloquiums möchte ich mich für das Interesse und das kontinuierliche Feedback bedanken. Mein besonderer Dank geht hier an Dr. Susanne Tienken, Dr. Charlotta Seiler Brylla und Prof. Dr. Elisabeth Herrmann. Dr. Beate Schirrmacher danke ich für das Interesse an dieser Arbeit und die vielen wertvollen Gespräche und Kommentare.

Mein Dank gilt Judith Anastasiu und Torun Gille West für die Hilfe bei allen administrativen Belangen, Dr. Barbro Landén für ihre Unterstützung und ihr Vertrauen in den letzten zehn Jahren. Dr. Kerstin Lundström, Sara Eriksson, Dr. Annika Johansson und Dr. Sara Van Meerbergen haben meinen Arbeitsalltag sehr bereichert. Ich bedanke mich zudem auch bei Dr. Camilla Amft, Julia Baumann, Alice Duhan, Andrea Eppert, Dr. Caroline Merkel, Henrike Messer, Christine Schlagmann und Dr. Karolin Viseneber für das genaue Korrekturlesen des Schlussmanuskripts. Eventuelle Fehler gehen auf meine Kappe!

Mein größter Dank aber gilt meinen Eltern und Jens. Ihnen – und Jonathan – ist diese Arbeit gewidmet.

1Einleitung

Digitale Medien haben heute einen immensen Einfluss auf alle Bereiche des privaten, beruflichen und schulischen Alltags und werden auch herangezogen, um das Lehren und Lernen von Fremdsprachen zu unterstützen. Die Fremdsprachendidaktik erforscht daher, welchen didaktisch sinnvollen Beitrag digitale Medien für Sprachlehr- und -lernprozesse leisten können. Ein Teil dieser Forschungsbeiträge nimmt den Nutzen für den Erwerb sprachlicher Fertigkeiten in den Blick und fragt beispielsweise, welche Rolle didaktisierte Chaträume für die Entwicklung der Sprechfertigkeit spielen. Das Potenzial für landeskundliches Lernen wurde bislang in erster Linie im Rahmen von interkultureller Telekollaboration untersucht, wobei E-Mail und Online-Diskussionsforen den Austausch zwischen Fremdsprachenlernern und L1-Sprechern oft erst ermöglichen. Landeskundliches Lernen wird in diesem Zusammenhang häufig als interkulturelles Lernen verstanden, das mit Zielen wie Fremdverstehen und interkultureller Kommunikationsfähigkeit verbunden ist.

Ein Desiderat stellt die Auseinandersetzung mit dem Potenzial digitaler Medien für kulturwissenschaftlich orientierten Landeskundeunterricht dar. Seitdem der cultural turn, d.h. die Hinwendung der Geistes- und Sozialwissenschaften zu einem semiotisch und konstruktivistisch geprägten Kulturbegriff, auch die Fremdsprachendidaktik erreicht hat, sind einige kulturwissenschaftlich orientierte Ansätze entstanden, deren gemeinsamer Nenner ist, dass sie auf die Vermittlung von Kultur im Sinne geteilter Wissensbestände abzielen (vgl. vor allem Altmayer 2004). So ist festzustellen, dass aufgrund der Orientierung der Fremdsprachendidaktik an den Kulturwissenschaften eine Trendwende im Hinblick auf die wissenschaftliche Fundierung der Landeskunde stattgefunden hat: Für die Unterrichtspraxis liegt eine Reihe von konzeptuellen Arbeiten vor, die an kulturwissenschaftliche Fragestellungen und Ergebnisse anknüpfen und die Frage nach ‚sinnvollen‘ Unterrichtsinhalten vor allem mit einem Rückgriff auf erinnerungs- und gedächtniswissenschaftliche Forschung zu beantworten versuchen. Mit Recht wird argumentiert, dass das kulturelle Gedächtnis einen Zugang zu sozial geteiltem Wissen darstellt (vgl. Bärenfänger 2008, 49). Zugleich mangelt es aber an empirisch gesicherten Erkenntnissen über landeskundliche bzw. kulturbezogene1 Lehr- und Lernprozesse; diese sind jedoch unerlässlich, um die Praxis des Landeskundeunterrichts optimieren zu können.

Die vorliegende Arbeit leistet einen Beitrag zu einem besseren Verständnis landeskundlicher Lehr- und Lernprozesse und untersucht zum einen die Rolle von konkreten Kontextfaktoren, indem gefragt wird, welches Potenzial asynchrone computervermittelte Kommunikation für landeskundliches Lernen besitzt. Diese Arbeit ist somit an der Schnittstelle der Forschungsbereiche Landeskundedidaktik und Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien verortet. Während die Frage, warum der Einsatz von asynchroner computervermittelter Kommunikation im Fremdsprachenunterricht sinnvoll ist, dank einer aktiven Forschungstätigkeit relativ univok beantwortet werden kann, liegen im Bereich der Landeskundedidaktik erst in jüngster Zeit Forschungsergebnisse vor, an die mit dieser Arbeit angeknüpft werden soll. Indem diese Arbeit auf den Einfluss des Mediums und die konkreten Unterrichtsbedingungen fokussiert, soll aufgezeigt werden, wie Landeskundeunterricht gestaltet werden kann, um kulturbezogene Lernprozesse zu initiieren. Zum anderen wird untersucht, inwiefern bestimmte Aufgabenstellungen zu gewissen Strategien der Aufgabenbearbeitung führen können und wie diese im Hinblick auf das landeskundliche Lernen einzuschätzen sind. In diesem Zusammenhang wird beispielsweise, in Anknüpfung an gedächtniswissenschaftliche und geschichtsdidaktische Forschung, die Frage aufgeworfen, welche Rolle das (Weiter-)Erzählen von Erinnerungen für landeskundliches Lernen spielt und welche Funktion kreatives Schreiben übernehmen kann.

Untersucht werden dazu asynchrone Online-Diskussionen, die Teil eines Blended-Learning-Seminars zur Landeskunde der deutschsprachigen Länder sind und in denen die Studierenden sich mit geteilten Wissenbeständen auseinandersetzen. Dies geschieht in den meisten Fällen in der Beschäftigung mit zeitgeschichtlichen Themen, da mit ihrer Hilfe die Genese geteilter Wissensbestände aufgezeigt werden kann. Das hier untersuchte Seminar ist Teil des Germanistik-Studiums an der Universität Stockholm; aus den Sommersemestern 2013 und 2014 stammen die Produktdaten der Online-Diskussionen, die qualitativ und partiell auch quantitativ ausgewertet wurden. Zudem wurden mit einem Teil der Studierenden semistrukturierte Leitfadeninterviews zu ihren Erfahrungen mit den Online-Diskussionen durchgeführt. Mit Hilfe der Interviews konnten die Ergebnisse der Produktdatenanalyse trianguliert werden. Auch von den Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern ausgefüllte Hintergrundfragebogen, Prozessdaten, die mit Hilfe der verwendeten Lernplattform gewonnen wurden, sowie anonyme Kursevaluationen wurden, sofern sinnvoll, mit in die Analyse einbezogen.

Es handelt sich bei dem untersuchten Unterricht also um universitären Landeskundeunterricht, wie er im Rahmen von Fremdsprachenstudiengängen häufig zu finden ist und in dem Fremdsprachenunterricht mit der Vermittlung von Fachinhalten verbunden wird. Anders als der schulische integrierte Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht stellt die universitäre Lehre noch kein etabliertes Forschungsgebiet dar. In diesem Kontext können die in dieser Arbeit vorgelegten Forschungsergebnisse Impulse für die Unterrichtspraxis in Fremdsprachenstudiengängen geben.

In dem auf diese Einleitung folgenden Kapitel 2 wird der theoretische Hintergrund skizziert; das Unterkapitel zu Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien (2.1) ist, nach einleitenden Kapiteln zu Blended Learning und computervermittelter Kommunikation im Fremdsprachenunterricht, dem Potenzial von asynchroner computervermittelter Kommunikation gewidmet. Dabei wird zwischen einer allgemeindidaktischen und einer fachdidaktischen Perspektive unterschieden. So wird asynchrone computervermittelte Kommunikation beispielsweise allgemein dann eingesetzt, wenn die Lerner mehr Zeit für Reflexion bekommen sollen, was für den Fremdsprachenunterricht bedeutet, dass die Beiträge der Lerner vor allem sprachlich besser ausgearbeitet werden können bzw. für den Landeskundeunterricht, dass auch inhaltlich mehr Reflexion stattfinden kann.

Zwei Komponenten, die Unterricht maßgeblich beeinflussen (und zwar unabhängig davon, ob er im Präsenz- oder Online-Modus stattfindet), rücken sodann in das Blickfeld: Lernaufgaben und die Rolle der Lehrenden. Der Fokus liegt hier auf der Frage, welche Besonderheiten sich für diese beiden Einflussfaktoren im Kontext asynchroner computervermittelter Diskussionen feststellen lassen. Insgesamt werden die theoretischen Ausführungen, sofern sie sich in der Analyse als besonders relevant zeigen, in den Kapiteln der Datenauswertung (Kapitel 5 und 6) näher erläutert.

Das Unterkapitel zu landeskundlichem Lernen (Kapitel 2.2) skizziert die Geschichte sowie den aktuellen Stand der Landeskundedidaktik und führt in die kulturwissenschaftlichen Landeskundeansätze ein, an die mit dem hier untersuchten Unterricht angeknüpft wird.

Auf diese Kapitel zu den theoretischen Hintergründen folgen zwei kürzere theoretische Kapitel, deren Inhalte für die Datenanalysen relevant sind: Kapitel 2.3 behandelt das Thema integrierter Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht und zeigt auf, in welcher Situation sich der universitäre Fachunterricht befindet, der im Rahmen von Fremdsprachenstudiengängen stattfindet. Kapitel 2.4 ist der epistemischen Funktion des Schreibens gewidmet; da die Studierenden ihre Beiträge in der asynchronen Online-Diskussion verschriftlichen, ist davon auszugehen, dass dies einen Einfluss auf das Lernpotenzial der Diskussionen hat.

In Kapitel 3 der Arbeit wird der spezifische Untersuchungskontext zusammengefasst, d.h. auf das Fach Germanistik an der Universität Stockholm eingegangen, sowie die Didaktik des Landeskundeunterrichts erläutert und somit an Kapitel 2.2 angeknüpft.

Daran schließt in Kapitel 4 die Präsentation der Forschungsmethode an: Nach einigen Vorüberlegungen zu Erkenntnisinteresse und Forschungsverständnis wird das Forschungsdesign beschrieben, d.h. die Methoden der Datenerhebung und -auswertung. Die Methode der Datenauswertung folgt hauptsächlich der qualitativen Inhaltsanalyse. Abgeschlossen wird das Kapitel mit Reflexionen über das Forschungsdesign aus forschungsethischer Perspektive.

Es folgt der Teil der Arbeit, in dem die Analyseergebnisse präsentiert werden: Zunächst werden in Kapitel 5 die Ergebnisse der Detailanalyse einer Online-Diskussion zusammengefasst; Ziel ist es, Faktoren zu identifizieren, die das Geschehen während einer asynchronen Online-Diskussion beeinflussen, sowie Merkmale der Diskussionen zu beschreiben. Die Erkenntnisse stellen die Grundlage für die weitere Datenanalyse dar, denn das Potenzial asynchroner computervermittelter Diskussion für landeskundliches Lernen kann in seiner Komplexität nur beschrieben werden, wenn Aspekte wie beispielsweise Zeitpunkte der Bearbeitung, Beitragslänge, studentische Interaktion, Lehrerrolle und die Rolle von Studierenden mit Deutsch als L1 berücksichtigt werden. Zudem zeigen diese ausgewählten Einflussfaktoren, wie Lernprozesse initiiert werden können.

In Kapitel 6 wird schließlich das Lernpotenzial der Diskussionen für kulturbezogenes Lernen herausgearbeitet. Ausgangspunkt der Analyse sind die im Diskussionsforum gestellten Aufgaben und die Vorgehensweisen der Studierenden bei der Aufgabenbearbeitung. So kann aufgezeigt werden, dass die Studierenden verschiedene Modi der Aufgabenbearbeitung wählen, beispielsweise das Zusammenfassen von Sachwissen oder das Erzählen von persönlichen Erlebnissen. Eine Auswahl der identifizierten Modi (Zusammenfassung von Sachwissen, Gegenwartsbezüge, Begriffs- und Deutungsreflexionen, Perspektivenübernahme und narrative Zugänge) wird ab Kapitel 6.2 im Hinblick auf Vor- und Nachteile für landeskundliches Lernen hin untersucht. In Kapitel 7 werden die Ergebnisse und Implikationen für die Gestaltung der Unterrichtspraxis zusammengefasst.

2Theoretischer Hintergrund

2.1Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien

Seit dem Aufkommen der digitalen Medien1 werden diese auch für das Fremdsprachenlernen genutzt, wobei zunächst grob zwischen folgenden Verwendungsformen von digitalen Medien bzw. E-Learning2 im Fremdsprachenunterricht unterschieden werden kann: der „Verteilung (Distribution) von Lernmaterial, [und der] Kommunikation zwischen Lernenden und Lehrenden sowie zwischen Lernenden bzw. Lehrenden untereinander“ (Rösler 2010a, 9)3. Beide Verwendungsformen sind derzeit für das Fremdsprachenlernen gleichermaßen relevant und es lässt sich folgender Trend beschreiben: Während auf der einen Seite eine „Tendenz zur weitgehenden Individualisierung des Lernens“ festzustellen ist, da Lerner durch digitale Medien z.B. die Möglichkeit haben, individuelle Lernpfade zu beschreiten, kann zudem eine „weitere Verbreitung kooperativen Lernens“ beobachtet werden (Rösler 2010b, 1210), das z.B. durch asynchrone computervermittelte Kommunikation ermöglicht wird.

Als Beispiele für die Verwendung digitaler Medien für das Fremdsprachenlernen4 lassen sich erst einmal das Bearbeiten von automatisch korrigierten Lückentexten auf zu Lehrbüchern gehörenden CD-ROMs oder einschlägigen Internetseiten sowie das Üben von Vokabeln und grammatischen Strukturen auf Smartphones5 nennen, wobei diese Einsatzmöglichkeiten meist unter die Kategorie CALL fallen. CALL steht für Computer-Assisted Language Learning und prägte vor allem die Anfangsjahre von computergestütztem Fremdsprachenlernen.6 Seitdem vielen Fremdsprachenlernern auch mobile Endgeräte zur Verfügung stehen, könnte man jedoch von einem Revival von CALL sprechen: Apps wie Duolingo werden für das Selbstlernen angeboten und haben den instruktionalen Charakter, der typischerweise mit CALL verbunden wird.7

Zum kooperativen Arbeiten mit digitalen Medien gehören u.a. das gemeinsame Verfassen von Texten, das Erstellen von Podcasts oder Filmen, oder das, was unter computervermittelter Kommunikation (CMC: Computer-Mediated Communication)8 verstanden wird, wie das Diskutieren von Kurzgeschichten im didaktischen Chatraum, der interkulturelle Austausch in virtuellen Welten, im Chat oder durch die App WhatsApp, oder eben auch die Auseinandersetzung mit landeskundlichen Themen in Online-Foren.

Entsprechend des Bewusstseins, dass „[d]er Einsatz von digitalen Medien nur dann sinnvoll [ist], wenn er sinnvoll ist“ (Rösler 2006a, 69), versucht die fremdsprachendidaktische Forschung Klarheit in die Frage zu bringen, welchen Sinn bzw. Mehrwert digitale Medien für das Fremdsprachenlernen haben. Reinmann (2005, 76–78) erörtert ausgehend von Hauptfunktionen9 das Potenzial digitaler Medien für Lernumgebungen im Allgemeinen, die im Folgenden auf das Fremdsprachenlernen zugeschnitten werden sollen (vgl. Biebighäuser 2014, 98), mit besonderem Fokus auf das Potenzial für landeskundliches Lernen:

Distribution, Repräsentation und Exploration: Distribution meint die „zeit- und ortsunabhängige Verfügbarkeit von Informationen und Materialien“ (ebd., 98), dank derer Lernende und Unterrichtende Zugang haben zu z.B. Zusatzmaterialien zu Lehrwerken auf den Seiten der Verlage und zu unter Umständen tagesaktuellen authentischen10 Materialien aus der fremdsprachigen Lebenswelt. Dass digitale Medien hier nicht nur ein Potenzial besitzen, sondern es auch problematisch sein kann, wenn Lernende beispielsweise im Rahmen von eigenständigen Recherchen landeskundliche Informationen googeln, zeigt anekdotisch das kleine Experiment von Koreik, der im Suchfenster der Google-Bildersuche „deutsche Jugend“ eingibt:11

Von den ersten zehn Einträgen […] stammten vier aus der NS-Zeit, drei waren der Neonazi-Szene zuzuordnen, einer zeigte ein Plattencover der FDJ […], in einem Fall wurde eine Karikatur gezeigt, auf der als Ausländer skizzierte Jugendliche vor der Schule offensichtlich einen deutschen Schüler verprügeln […]. (Koreik 2011, 597)

Eine weitere Hauptfunktion digitaler Medien ist die Repräsentation, d.h. die Möglichkeit, „Informationen in verschiedenen Symbolsystemen darzustellen, Text, Bild und Animation zu kombinieren“ (Reinmann 2005, 76); jedes Symbolsystem schult dabei die entsprechende rezeptive Fähigkeit. Durch die multimediale Präsentation von Lerngegenständen können verschiedene Lernertypen angesprochen werden und durch die Kombination Synergieeffekte erzielt werden. Die mehrkanälige Repräsentation ist zudem heutzutage die authentische Form der Informationsvermittlung, so dass ein handlungsorientierter Sprachunterricht als sinnvoll betrachtet werden kann, wenn er „Sprache und Kultur in der Vielfalt ihrer natürlichen vorkommenden Medien“ (Roche 2010, 1244) vermittelt. Zugleich können Lernende durch digitale Medien die Produkte ihrer Arbeit in verschiedenen Symbolsystemen präsentieren, z.B. als Podcasts, Filme oder Blogs, wie im landeskundlichen Blog der Göteborger Deutsch-Studenten (vgl. Havermeier/Junker 2013).

Die Funktion der Exploration benennt die Möglichkeit der Interaktion des Lerners mit dem Material, z.B. im Rahmen von interaktiven Selbstlernmaterialien, Planspielen oder Simulationen, was schon darauf hinweist, dass dem Faktor der Interaktivität eine wichtige Rolle beim Lernen mit digitalen Medien zukommt (vgl. Zeyer/Stuhlmann/Jones 2016) und zu den anderen beiden Hauptfunktionen Kommunikation und Kollaboration überleitet, die in dieser Arbeit im Zentrum stehen:

Digitale Medien ermöglichen die (computervermittelte) Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden oder Lernenden untereinander, wobei diese asynchron, d.h. zeitversetzt, oder synchron, d.h. (nahezu) zeitgleich, stattfinden kann, sowie mündlich oder schriftlich. So besteht beispielsweise die Möglichkeit, E-Mail-Klassenpartnerschaften zu pflegen und so das interkulturelle Lernen12 zu fördern (vgl. besonders O’Dowd 2007) oder mit L1-Sprechern in Kontakt zu treten und die Fremdsprache in authentischen Situationen zu verwenden. Nach Rösler (2010a, 50f) liegt das Hauptpotenzial des asynchronen Modus somit darin, dass – rein praktisch – bei raumüberschreitenden Projekten verschiedene Zeitzonen keine Rolle mehr spielen und dass die Lernenden mehr Zeit zur Reflexion haben. Synchrones Arbeiten hingegen erlaubt es, dass man z.B. in einer Videokonferenz direkt miteinander redet. Funktionierende Kommunikation ist zudem die Voraussetzung für Kollaboration, das gemeinsame Arbeiten mehrerer Lernender, indem sie beispielweise in virtuellen Welten kollaborativ landeskundliche Aufgaben bearbeiten (vgl. Biebighäuser 2014).

Die fünf Hauptfunktionen digitaler Medien sind jedoch nur aus analytischen Gründen voneinander getrennt; werden digitale Medien in den Fremdsprachenunterricht integriert, sind je nach Unterrichtsphase oder Aufgabensequenz alle oder mehrere Funktionen unterschiedlich gewichtet. In dem im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Unterricht beispielsweise steht die Kommunikation zwischen Studierenden im Mittelpunkt, wobei dadurch, dass die Diskussion auf der Lernplattform gespeichert wird, die Funktion der zeit- und ortsunabhängigen Distribution eine wesentliche Rolle für das Lernpotenzial spielt, ebenso wie die Studierenden oftmals vor dem Verfassen ihrer Beiträge selbständig Recherchen anstellen. Ausgangspunkt der Diskussionen sind darüber hinaus in verschiedenen Symbolsystemen repräsentierte Informationen, vor allem Texte, Videos und Fotografien.

Diese knappe Darstellung der verschiedenen Hauptfunktionen digitaler Medien zeigt, dass es eine große Bandbreite an verschiedenen Einsatzmöglichkeiten für das Fremdsprachenlernen gibt. Im Folgenden steht das gesteuerte Fremdsprachenlernen im Fokus. Digitale Medien können in diesem Zusammenhang nicht nur in Selbstlern- oder Kooperationsphasen des Unterrichts integriert werden, sondern gesamte Lehrveranstaltungen modifizieren. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn alle zwei Wochen stattfindender Präsenzunterricht mit dazwischenliegenden Online-Phasen kombiniert wird, in denen die Lernenden allein oder in Kooperation Aufgaben bearbeiten. Dabei sind Integration und Modifikation als Enden eines Kontinuums zu verstehen, wobei vollvirtuelle Online-Kurse, die ohne physischen Kontakt aller Beteiligten ablaufen, am einen Ende des Kontinuums zu verorten sind.

Während solche Distanzlernangebote (vgl. Platten 2010, 1192f) für gewisse Kontexte durchaus sinnvoll sind, zeigt sich jedoch nach einer anfänglichen Begeisterung um vollvirtuelle Lernangebote, dass das Konzept des Blended Learning als relevanter angesehen wird: Blended Learning „ist aus der Einsicht erwachsen, dass die traditionellen Lehr-/Lernformen mit ihren bekannten Schwächen und Engpässen sich eben doch nicht so ohne Weiteres durch eLearning-Maßnahmen ersetzen lassen“ (Kohn 2006, 286).

Da das im Rahmen dieses Forschungsprojekts untersuchte Seminar im Blended-Learning-Modus stattfand und das Lernpotenzial von asynchronen Online-Diskussionen nur in diesem Kontext herauszuarbeiten ist, soll diese Lernform im nächsten Unterkapitel genauer diskutiert werden.

2.1.1Blended Learning

Blended Learning (auch: hybrides oder kombiniertes Lernen)1 wird überwiegend definiert als

ein abnehmerorientierter Mix von verschiedenen didaktischen Methoden und Lernformen […]. Durch eine möglichst optimale Kombination und ein ausgewogenes Verhältnis von Präsenzunterricht, Selbststudium und Lern- und Arbeitsphasen in virtuellen Arbeitsräumen soll ein erhöhter und nachhaltiger Lerneffekt erzielt werden. (Kranz/Lüking 2005, 1)

Sowohl die Kombination aus Präsenzunterricht und Online-Komponente als auch die Gestaltung der jeweiligen Komponente kann dabei sehr unterschiedlich ausfallen: Präsenzveranstaltungen können durch Online-Komponenten unterstützt werden und umgekehrt, je nachdem, wie didaktische Überlegungen sowie der institutionelle Rahmen das Design der Lehrveranstaltung beeinflussen. Gleiches gilt für die konkrete Ausgestaltung der beiden Komponenten: Ob die Online-Komponente hauptsächlich eine Selbstlernphase im digitalen Raum ist oder durch Phasen der synchronen bzw. asynchronen Kommunikation geprägt ist, hängt vom Kontext ab. Ebenso ist die technische Ausgestaltung der Online-Komponenten nicht festgelegt: Zum Einsatz können E-Mail-Programme, Skype, Lernplattformen, Web-2.0-Anwendungen oder virtuelle Welten u.a. kommen. Die konkrete Ausformung ist auch hier stets abhängig vom Kontext des jeweiligen Szenarios und es gilt: Wie auch immer es gestaltet wird, es sollte Mittel zum Zweck sein, nicht Selbstzweck.

Es ist also eine Vielzahl an Blended-Learning-Szenarien möglich; um diese beschreiben zu können, ist es erforderlich, diese zu kategorisieren, wobei es einen Unterschied macht, ob die Kategorisierung einen Orientierungsrahmen geben soll oder eher im Sinne einer Modellbildung für die Erforschung von Blended-Learning-Szenarien herangezogen wird.

Eine besonders für die Unterrichtspraxis brauchbare Unterscheidung liefern Rösler und Würffel (2010a), die Schulmeisters allgemein gehaltene Szenarien für die Hochschullehre (vgl. Schulmeister 2005, 175–187) auf den Fremdsprachenunterricht applizieren und konkretisieren: Szenario 1 bezeichnet die Ergänzung des Präsenzunterrichts durch Interneteinsatz, durch z.B. das Bearbeiten von offenen oder geschlossenen Übungen im Internet (vgl. Rösler/Würffel 2010a, 7, Stracke 2007). Dabei ist es denkbar, dass der Interneteinsatz innerhalb oder außerhalb des Präsenzunterrichts stattfindet. In Szenario 2 wird der Präsenzunterricht durch eine Online-Komponente unterstützt, die z.B. mit Hilfe einer Lernplattform oder einer Web-2.0-Umgebung organisiert wird. Lernende senden beispielsweise eine Hausaufgabe über eine Lernplattform ein (vgl. Rösler/Würffel 2010a, 7) oder laden sich das Lernmaterial von der Lernplattform herunter. Es findet jedoch keine direkte Integration des in der Online-Komponente Erarbeiteten in den Präsenzunterricht statt.

Das in dieser Arbeit untersuchte Setting entspricht Szenario 3: Es bezeichnet die inhaltliche Verzahnung von Präsenzunterricht und Online-Phasen, wobei die beiden Komponenten gleichwertig sind. Beispielsweise können diese Phasen alternieren oder es können, wie im vorliegenden Fall, Präsenzseminare durch Online-Phasen vorbereitet werden. Teile des Präsenzunterrichts finden also „nicht mehr als solche statt“ (ebd.), sondern sind in die Online-Phase verschoben.2

Diese Szenarien sind insofern sehr weit formuliert, als man sich die Frage stellen kann, bei welchem Fremdsprachenunterricht – zumindest in Deutschland und Schweden – es sich nicht um Blended Learning handelt. Hinsichtlich dessen ist im Übrigen davon auszugehen, dass die Digitalisierung des Alltags auch in Zukunft weiter voranschreitet und Blended Learning immer selbstverständlicher wird: „It may even become so ubiquitous that we will eventually drop the word blend and just call it learning“ (Graham 2006, 7).

Engere Definitionen betrachten demgemäß lediglich solche Szenarien als Blended Learning, in denen entsprechend Szenario 3 die Unterrichtsinhalte integrativ sowohl online als auch im Präsenzunterricht behandelt werden und eine inhaltliche Verzahnung von Online- und Präsenzkomponente vorliegt. Die oben zitierte Definition von Kranz und Lüking lässt sich dahingehend interpretieren.3

Bezüglich der Definitionen und Szenarienbeschreibungen des Blended Learning lässt sich feststellen, dass die implizite Funktion der Definitionen bzw. des Szenarios eine ausschlaggebende Rolle dafür spielt, welches Lernszenario als Blended Learning verstanden wird – und welches nicht. Graham unterscheidet, in Anlehnung an Gibbons und Bunderson (2005), im Hinblick auf die Modellbildung von Blended Learning zwischen „explore, explain und design models“ (2006, 15ff).4 Die Erkenntnis, dass Modelle entweder versuchen, das abzubilden, was es gibt (explore-Modell), oder nachzuvollziehen, wieso etwas passiert (explain-Modell), bzw. beschreiben, was wie umgesetzt werden muss, damit etwas eintritt (design-Modell, vgl. Würffel 2014, 151), spielt auch für Blended-Learning-Definitionen und -Szenarien eine Rolle. Die Szenarienbeschreibungen von Rösler und Würffel fallen dementsprechend in die explore-Kategorie.

Ein differenzierteres (explore-)Modell, das in der Forschung hilft, Aspekte und Phänomene des Blended Learning zu kategorisieren und zu systematisieren, gleichzeitig aber auch in der Praxis Leitfaden für die Planung sein kann, liegt von Kirchhoff (2008, 77–121) vor. Es bildet die theoretische Grundlage für die Beschreibung des hier untersuchten Blended Learning in Kapitel 3.2.7. In Kirchhoffs detailliertem Modell von Blended-Learning-Szenarien im Fremdsprachenunterricht wird zwischen sechs Parametern und ihren Realisierungsformen unterschieden, mit deren Hilfe alle Aspekte von Blended Learning erfasst werden können:

Unter (1) Modi wird die Unterscheidung in Präsenz- und Online-Komponente verstanden, die Verhältnisse der Modi zueinander wird durch den Parameter (2) Integrationsmodelle beschrieben. Hierbei spielen Sequenzierungsmuster, d.h. die verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten eine Rolle, aber auch die Integrationstiefe, d.h. beispielsweise die inhaltliche Verzahnung von Präsenz- und Online-Komponente. Der Parameter (3) Distribution der Lehr- und Lernziele umfasst den Bereich der Vermittlung von Lehr- und Lernzielen durch verschiedene Modi (parallele Distribution) oder durch einen Modus (isolierte Distribution). Weiter wird unterschieden zwischen dem Parameter (4) Lehr- und Lernmethoden, der die Methodenwahl in den verschiedenen Modi beschreibt, und (5) Aufgaben von Lehrenden und Lernenden, mit deren Hilfe Interaktionsmuster (z.B. individuelle vs. kollaborative Sprachlernszenarien) sowie die verschiedenen Lehrer- und Lernerrollen beschrieben werden können. Zuletzt benennt der Parameter (6) Lernorte eine Vielzahl an konkreten und virtuellen Lernorten.5

Ein Aspekt, der oftmals im Zusammenhang mit Blended Learning genannt wird und die Popularität der Lernform erklären kann, ist die Annahme, dass aus der sinnvollen Kombination von Präsenzunterricht und Online-Komponente eine neue Lehr-/Lernform entsteht, die einen Mehrwert gegenüber reinem E-Learning und reinem Präsenzunterricht hat, wobei der Mehrwert darin besteht, dass die Stärken von E-Learning Schwächen von Präsenzunterricht ausgleichen und umgekehrt:

Wenn die Lernformen also in einer Art und Weise miteinander verknüpft werden, dass jede Lernform ihre Stärken ausspielen kann, umgekehrt die jeweiligen Schwächen von anderen Lernformen kompensiert werden, dann – und nur dann – entsteht ein Ganzes, das mehr ist als die Summe seiner Teile. (Schlüter 2004, 35)

Dementsprechend wird in didaktischer Ratgeber- und Forschungsliteratur zu Blended Learning aufgeführt, welche Stärken und Schwächen Präsenz- und Online-Komponenten besitzen. Die hauptsächlichen Stärken von Präsenzunterricht liegen demnach in der Eingebundenheit der Lerner in einer sozialen Gruppe, was für den Lernerfolg als wichtig erachtet wird (vgl. z.B. Strathmann 2009, 24, Hess 2003, 22), sowie in der Möglichkeit, dass die Lehrenden unmittelbar auf Schwierigkeiten und Probleme reagieren können und dass Lernkontrollmöglichkeiten durch die Lehrenden bestehen (vgl. z.B. Kranz/Lüking 2005, 1). Zu den Stärken von reinem E-Learning zählt demnach vor allem die Unabhängigkeit der Lernenden von Zeit und Raum (vgl. z.B. Sauter/Sauter/Bender 2003, 68; Graham 2006, 1), die nicht nur bedeutet, dass die Lernenden die Aufgaben an einem frei wählbaren Ort und zu einem flexiblen Zeitpunkt erledigen können, sondern auch in einem individuellen Tempo. Diese Flexibilisierung des Lernprozesses, die bei Blended Learning auch hinsichtlich der Methoden und der Lernwege besteht, ist der am häufigsten angeführte Vorteil von Blended Learning.

Betrachtet man jedoch genauer, welche Stärken und Schwächen den einzelnen Lernformen zugeschrieben werden, zeigt sich schnell, dass diese Charakterisierungen oftmals nicht haltbar sind bzw. nicht pauschal für jedes Szenario gelten. Offensichtlich ist dies schon bei der Annahme, dass E-Learning von der Unabhängigkeit der Lernenden von Zeit und Raum gekennzeichnet sei. Während es in Online-Phasen noch möglich ist, dass Lernende unabhängig von einem bestimmten Ort lernen (sofern sie/er einen eigenen transportablen PC besitzt und sich nicht an öffentliche Computer an der Universität begeben muss), ist die Aussage, dass dies zeitlich unabhängig geschieht, äußerst problematisch und gilt vielleicht noch für die Arbeit mit Selbstlernmaterialien, die individuell bearbeitet werden.

Reine Online-Szenarien, in denen Phasen der Kommunikation mit Lehrenden und anderen Lernern vorgesehen sind, funktionieren jedoch nicht ohne zeitliche Vorgaben, wobei die zeitliche Abhängigkeit bei Aufgabenstellungen, die synchron bearbeitet werden, ebenso hoch ist wie bei Präsenzunterricht – hier wirkt sich vielmehr die räumliche Flexibilität aus. Auch asynchrone Diskussionen sind, wie die Analyse der Bearbeitungszeiten in Kapitel 5.3 zeigen wird, stark abhängig von zeitlichen Vorgaben, weil diese z.B. dafür sorgen, dass schon frühzeitig in der Online-Phase Beiträge gepostet werden. Die Loslösung von Zeit und Raum ist daher kaum möglich, höchstens eine Flexibilisierung dieser Parameter (vgl. Launer 2007, 127).

Ein weiteres Beispiel dafür, dass sich bestimmte angeblich typische Eigenschaften von Lernformen bei näherer Betrachtung als problematisch erweisen, ist die Annahme, dass im Präsenzunterricht Lernkontrollmöglichkeiten durch die Lehrenden bestehen und individuelle Beispiele und Übungen gegeben werden können (vgl. Kranz/Lüking 2005, 1). Abgesehen davon, dass dies nicht für große Lernergruppen gilt, verbirgt sich darin der Umkehrschluss, das E-Learning dieses Potenzial nicht im gleichen Ausmaß oder gar nicht besitzt, was nicht zutreffend ist, denn im E-Learning sind Lernkontrollen und die Bereitstellung individueller Übungen ebenso möglich, durch tracking-Software und andere technische Mittel unter Umständen sogar noch auf eine differenziertere Weise. Vielmehr gilt für Online-Phasen, dass seitens der Lehrenden z.B. durch einen Wechsel der Sozialformen nur begrenzt und kaum spontan auf Probleme, Stimmung etc. reagiert werden kann, was vermutlich eine der größten Schwächen von Blended-Learning-Szenarien und reinem E-Learning ist (vgl. dazu auch Kirchhoff 2008, 105).

Aussagen über einen Mehrwert von Blended Learning sind also generell schwer zu treffen, vor allem, wenn sie sich, so wie es bislang dargelegt wurde, auf die Lernform im Allgemeinen beziehen. Der anzunehmende Mehrwert eines Blended-Learning-Szenarios konstituiert sich für den Fremdsprachenunterricht noch einmal anders – und auch dort nicht einheitlich – als z.B. für Fachinhalte vermittelnde Hochschulseminare, was freilich an den verschiedenen Zielen liegt (vgl. Nicolson/Murphy/Southgate 2011, 8), und somit noch einmal anders für den hier untersuchten integrierten Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht, in dem sowohl inhaltliches als auch sprachliches Lernen stattfinden soll (vgl. Kapitel 2.3).

Aufgrund der hohen Anzahl an Möglichkeiten, digitale Medien in den Fremdsprachenunterricht zu integrieren, weisen Rösler und Würffel (2010a, 9) außerdem darauf hin, dass keine allgemeingültigen Aussagen darüber getroffen werden können, welche „Methoden, Inhalte, Aufgaben- und/oder Sozialformen etc. besser für Präsenzphasen oder Online-Phasen geeignet sind“ (ebd.), auch wenn Aussagen wie „Selbstlernphasen mit selbstkorrigierenden Übungen machen mehr Sinn in Online-Phasen, da die Präsenzphase eher zum interaktiven Austausch […] genutzt werden sollte“ (ebd.) durchaus einleuchtend sind. Die Abwägung, wie ein Blended-Learning-Szenario konkret ausgestaltet werden soll, hängt nicht nur von dem ab, was vermittelt werden soll, sondern auch von dem Kontext, d.h. z.B. den technischen Vorkenntnissen der Beteiligten, den technischen Voraussetzungen sowie den Lernzielen.

Aufgrund der schnellen Entwicklung der digitalen Medien, die es inzwischen ermöglichen, präsenzähnliche Kontakte auch über Distanz aufzubauen, wird daher in der Forschung vielmehr zwischen asynchronen und synchronen Phasen unterschieden (vgl. Rösler/Würffel 2010a, 9, vgl. Nguyen 2008, 4). Diese Modi besitzen unterschiedliche Potenziale:6 Synchrone Phasen, zu denen neben Voice-Chat und Text-Chat auch Präsenzunterricht gezählt werden kann (vgl. Nicolson/Murphy/Southgate 2011, 14), eignen sich besonders für informelles Tutorieren oder Lerner-Lerner-Interaktion in informellen Arbeitsgruppen (vgl. ebd.), während asynchrone Phasen, weil sie den Lernenden die Möglichkeit geben, intensiver zu reflektieren, für entsprechende Aufgaben als sinnvoll angesehen werden.

Das folgende Unterkapitel widmet sich im Anschluss daran zunächst in aller Kürze Merkmalen asynchroner und synchroner computervermittelter Kommunikation im Allgemeinen, dann dem lerntheoretischen Hintergrund für den Einsatz von computervermittelter Kommunikation und fokussiert daraufhin den Einsatz asynchroner Formen im Fremdsprachenunterricht.

2.1.2Computervermittelte Kommunikation im Fremdsprachenunterricht

Die Frage, was computervermittelte Kommunikation (CMC) ist, wird je nach zugrundeliegender Perspektive unterschiedlich beantwortet, d.h. beispielsweise technisch differenziert, mit einem Fokus auf CMC als Werkzeug, als Prozess oder interpersonale Interaktion: „In other words, CMC is a generic term that embodies all forms of communication between individuals and among groups via networked computers“ (Nguyen 2008, 2).

Besondere Merkmale von CMC werden häufig auf der Folie von Face-to-Face-Kommunikation beschrieben, so wie es auch in der folgenden kurzen Darstellung geschieht, die auf Nguyen (ebd., 3) beruht und die Vorlage für die weiteren Ausführungen zu CMC im Fremdsprachenunterricht liefert:1

Technische Merkmale: Interpersonale Kommunikation wird durch CMC erleichtert, sie kann zwischen einzelnen oder vielen stattfinden. Die Kommunikation kann synchron, d.h. nahezu zeitgleich, und asynchron, d.h. zeitversetzt, stattfinden. In beiden Fällen ist die Kommunikation insofern ortsunabhängig, als diejenigen, die miteinander kommunizieren, nicht am gleichen Ort sein müssen. Die zeitliche Flexibilisierung wurde bereits in Kapitel 2.1.1 kommentiert, ist aber, generell gesprochen, beim synchronen Modus weniger gegeben als beim asynchronen Modus.2 Während CMC in den Anfangsjahren zunächst ausschließlich textbasiert stattfand, gibt es heute auch audiobasierte Möglichkeiten wie Video- oder Voice-Chat bzw. die Möglichkeit, text- und audiobasierte Kommunikation zu mischen,3 wobei die Beiträge zu einem späteren Zeitpunkt gelesen/gehört werden können. Die Ausführungen in den folgenden Kapiteln beziehen sich, sofern nicht anders angegeben, auf textbasierte computervermittelte Kommunikation.

Sprachliche Merkmale: Die sprachlichen Merkmale von CMC unterscheiden sich stark je nach Modus (asynchron oder synchron). Übergreifend lässt sich feststellen, dass die Sprache von CMC sowohl „konzeptionell schriftlich“ als auch „konzeptionell mündlich“ (vgl. Koch/Oesterreicher 1994) sein kann.

Soziale Merkmale: Nguyen (2008, 3) nennt mit Bezug auf verschiedene Studien, die untersuchten, wie Benutzer/-innen CMC empfinden, Unpersönlichkeit („impersonality“) als das hervorstechende Merkmal. Dies kann auf die sogenannte Kanalreduktion zurückgeführt werden:

Bei computervermittelter Kommunikation via getipptem Text sind […] die meisten Sinnesmodalitäten im interpersonalen Zusammenhang ausgeschlossen: Man kann zwar den Computer riechen und die Computertatstatur fühlen, doch diese Sinnesmodalitäten sind nicht auf das kommunikative Gegenüber anzuwenden – dieses ist vornehmlich nur textuell präsent. Die im Vergleich zur Face-to-Face- bzw. Body-to-Body-Situation drastische Kanalreduktion auf der physikalischen Reizebene gehe auf psycho-sozialer Ebene mit einer Verarmung der Kommunikation […] einher. (Döring 2003, 149, Hervorhebung im Original)

Die Unpersönlichkeit computervermittelter Kommunikation kann so zu Missverständnissen führen, da wichtige nonverbale und paraverbale Aspekte wegfallen. Durch das Herausfiltern sogenannter sozialer Hinweisreize wie Gestalt, Kleidung, Geschlecht, Alter, laute Stimme etc. kann sowohl prosoziales als auch antisoziales Verhalten (sogenanntes flaming) gefördert werden (vgl. ebd., 54f).

Bei Kanalreduktion und Filtertheorie handelt es sich aber auch um die Gründe, die in den 1990er Jahren zum Einsatz von besonders synchroner computervermittelter Kommunikation in den Fremdsprachenunterricht führte: Da Sprachenlernende nur in den seltensten Fällen einen PC besaßen, wurde synchrone computervermittele Kommunikation (SCMC) in Form von didaktisierten Chats in den Face-to-Face-Unterricht integriert. So kann nachgewiesen werden, dass SCMC für eine gleichberechtigtere Teilnahme aller Lernenden sorgen kann: Studierende, die in Face-to-Face-Diskussionen eine zurückhaltendere Rolle einnehmen, nehmen verschiedenen Studien zufolge (vgl. z.B. Beauvois 1992, Bump 1990) häufiger an Online-Diskussionen teil, wobei die gesteigerte Teilnahme der Tatsache zugeschrieben wird, dass Aspekte wie z.B. Geschlecht, Klasse und Akzent in den textbasierten Umgebungen der Online-Kommunikation nicht zu erkennen sind (vgl. auch O’Dowd 2007, 2). Beauvois und Eledge können bestätigen, dass zurückhaltende Studierende von dem Einsatz von SCMC profitieren: Sie beziehen das Verhalten während Online- und Face-to-Face-Diskussionen auf Persönlichkeitstypen von Myers-Briggs4 und zeigen so, dass introvertierte Typen aktiver an den Online-Diskussionen teilnahmen als an Face-to-Face-Diskussionen (vgl. Beauvois/Eledge 1994, 35).5

Lerntheoretischer Hintergrund

Interaktionistisch-kognitivistische und interaktionistisch-soziokulturelle Fremdsprachenerwerbstheorien bilden die Basis für den Einsatz computervermittelter Kommunikation im Fremdsprachenunterricht (vgl. z.B. Lamy/Hampel 2007, 19–30, Warschauer 1997, 470–472, Brandl 2012, 2–4), wobei beide Theorien auch, in Abwandlungen, für Lernprozesse im Allgemeinen gelten (vgl. Nückles/Wittwer 2014, 231–235). In letzter Zeit kann zudem von einer Koexistenz beider Perspektiven gesprochen werden (vgl. ebd., 231, Aguado 2010, 822).

Interaktionistisch-kognitivistische Ansätze basieren zunächst auf Krashens Input-Hypothese (1982, 1985), nach der ein sprachlicher Input, der nur minimal über dem Kenntnisstand des Lernenden liegt, für den erfolgreichen Fremdsprachenerwerb ausreicht. Ausgehend von Krashens Input-Hyothese fokussiert Long (1983) in der Interaktions-Hypothese die Interaktion mit L1-Sprechern und fortgeschritteneren Lernern, da diese den Lernenden helfe, Bedeutung auszuhandeln, indem verschiedene Strategien wie z.B. Vereinfachung, Nachfragen etc. angewendet werden und der Input so besser angepasst und aufgenommen werden kann. Ergänzt wurden diese interaktionistisch-kognitivistischen Ansätze durch Swains Output-Hypothese (1985), die besagt, dass zudem das Produzieren von verständlichem sprachlichem Output für das Fremdsprachenlernen sehr wichtig sei, da dieser dazu führe, dass Sprache vom Lernenden bedeutungsvoll angewendet werde und er/sie potenziell gleichzeitig Fehler und Lücken bemerke, was für das Lernen relevant sei. Computervermittelte Kommunikation bietet den Fremdsprachenlernenden nicht nur verständlichen Input und die Möglichkeit des Produzierens verständlichen Outputs, sondern stellt zugleich eine Plattform dar, auf der sie interagieren können.

Besonders der Einsatz von synchroner computervermittelter Kommunikation geht auf diese lerntheoretischen Annahmen zurück. Didaktisierte Chats werden so als eine ideale Plattform für das Üben von Interaktion betrachtet (vgl. Lamy/Hampel 2007, 115). Als vorteilhaft wird dabei angesehen, dass die Lernenden ihre Beiträge in die Eingabemaske des Chats eingeben, aber dennoch wieder korrigieren können. Zahlreiche Studien bestätigen das Potenzial von synchroner CMC, wie beispielsweise die von Marques-Schäfer, in der dargelegt wird, dass „die DaF-Lernenden im untersuchten Chat-Raum Gelegenheiten erhalten, ihre Kenntnisse der deutschen Sprache in die Praxis umzusetzen, in Echtzeit fremdsprachliche Inputs zu bekommen und Outputs zu produzieren“ (Marques-Schäfer 2013, 298).

Wesentlich wichtiger für asynchrone computervermittelte Kommunikation im Allgemeinen und für die hier untersuchte im Besonderen sind interaktionistisch-soziokulturelle Theorien, die auf die Annahme von Vygotsky (1978) zurückgehen, dass alle höheren psychischen Funktionen soziokulturell vermittelt sind. Mit Block (2003) kann dies als der „social turn“ im Bereich des Fremdsprachenerwerbs bezeichnet werden. Der Fokus rückt hier auf die Bedeutung sozialer Aspekte für das Fremdsprachenlernen (vgl. auch Lantolf/Thorne 2006), wobei alle Arten von Wissen, nicht nur Sprachwissen, soziokulturell vermittelt sind (vgl. Fischer 2002). Im Lernen findet eine Bewegung von Fremdregulation zur Selbstregulation statt, „bei der die soziale, intermentale Entwicklung der individuellen, intramentalen Entwicklung vorangeht“ (Aguado 2010, 820). Lehrende und kompetentere Lernende spielen dabei eine wichtige Rolle, das gemeinsam konstruierte Wissen zu internalisieren. Die Online-Diskussionen haben dahingehend eine zentrale Rolle: Durch die Partizipation an Aktivitäten der kollektiven Konstruktion bzw. Bedeutungsaushandlung und Weiterentwicklung externaler Wissensbestände soll auch das individuell-kognitive Wissen erweitert werden (vgl. Fischer 2002, 124).

Asynchrone computervermittelte Kommunikation im Fremdsprachenunterricht

Asynchrone computervermittelte Kommunikation im Fremdsprachenunterricht kann in drei verschiedenen Szenarien stattfinden: Sie kann (1) innerhalb einer Lerngruppe erfolgen, dann findet die Kommunikation meistens in Online-Phasen statt. Zudem wird die Interaktion (2) zwischen zwei oder mehr Lerngruppen ermöglicht sowie (3) die sogenannte „class-to-world interaction“1 (Dooly/O’Dowd 2012, 16). Dieses Unterkapitel wird zeigen, dass die zweite Möglichkeit, die sogenannte Telekollaboration, zu den CMC-Szenarien gehört, zu denen derzeit die meiste Forschung stattfindet und die auch aus landeskundlicher Perspektive interessant ist. Forschung zu landeskundlichem Lernen in Diskussionen, die innerhalb einer Lerngruppe stattfinden, ist bislang ein Desiderat, obwohl dieses Szenario populär ist:

Today, in-class online interaction is of course still quite common in FL education. However, this type of activity now generally tends to focus on asynchronous tools such as discussion forums and blogging etc. which are used for reflective discussion in distance education courses or by teachers wishing to promote greater interaction among students of their normal classroom contact hours. (ebd., 17)

Allgemeindidaktische Gründe, die im Folgenden näher beschrieben werden und die dafür sorgen, dass asynchrone Online-Diskussionen auch in anderen Bildungskontexten eingesetzt werden, liegen demnach meistens dem Einsatz des ersten Szenarios zugrunde. Im Folgenden wird zunächst das allgemeindidaktische Potenzials beschrieben, sodann die Gründe für den Einsatz im Fremdsprachenunterricht dargestellt.

Allgemeindidaktisches Potenzial

Das allgemeindidaktische Potenzial asynchroner Online-Diskussionen wird in der Regel auf der Folie von Face-to-Face-Diskussionen formuliert. Graham (2006, 18) beispielsweise vergleicht unter Berücksichtigung von Forschungsergebnissen, welche Stärken und Schwächen Face-to-Face- und asynchrone Online-Diskussionen allgemein haben, die sich in der Verbindung beider Komponenten, d.h. in Blended Learning, ausgleichen können. Face-to-Face-Diskussionen haben die Stärke der sozialen Komponente: „It is easier to bond and develop a social presence in a face-to-face environment. This makes it easier to develop trust“ (ebd., 8). Zudem könne man in Face-to-Face-Diskussionen spontan Ideen und Assoziationen entwickeln. Diese Vorteile spiegeln wiederum die Schwächen von asynchronen Online-Diskussionen, die aufgrund der Kanalreduktion als unpersönlich empfunden werden können und so zu weniger befriedigenden Diskussionen führen (vgl. ebd., 18).

Nachteilig an Face-to-Face-Diskussionen sei jedoch, zumindest wenn die Gruppe eine bestimmte Anzahl an Teilnehmer/-innen übersteigt, dass sich nicht alle beteiligen können, vor allem nicht, wenn einige Personen die Diskussion dominieren. Dementsprechend gilt natürlich auch für Online-Diskussionen, dass die Überschreitung einer bestimmten Anzahl an Teilnehmer/-innen zu unüberschaubaren und damit nicht ergiebigen Diskussionen führt,1 doch ist davon auszugehen, dass insgesamt mehr Personen an Online-Diskussionen teilnehmen können, vor allem, wenn gleichzeitig mehrere Threads eingerichtet werden.

Ein weiterer Nachteil sei, dass Face-to-Face-Diskussionen in Unterrichtszusammenhängen zeitlich begrenzt sind, so dass die Diskussion nicht die gewünschte Tiefe erreichen könne (vgl. ebd., 18, O’Dowd 2007, 31). Hier muss angemerkt werden, dass durch die Einbindung von asynchronen Online-Diskussionen in Blended-Learning-Szenarien, in denen beide Komponenten miteinander verzahnt sind, durchaus auch eine zeitliche Begrenzung vorliegt, die dafür sorgen kann, dass die Diskussion nicht die gewünschte Tiefe erreichen kann. So sei außerdem auf die Ergebnisse von Benbunan-Fich und Hiltz (1999) hingewiesen, die feststellten, dass asynchrone Online-Diskussionen zum Prokrastinieren verführen, dass also die Teilnahme an der Diskussion immer wieder in die Zukunft verschoben wird, was die gewünschte inhaltliche Tiefe negativ beeinträchtigt.

Die Asynchronität führt hingegen dazu, dass alle Lernenden an den Diskussionen teilnehmen können und jeder (der die Technik beherrscht)2 die Möglichkeit besitzt, zu Wort zu kommen, ohne z.B. unterbrochen zu werden: „[T]he social dynamics of CMC have proven to be different from those of face-to-face discussion in regard to turn-taking, interruption, balance, equality, consensus, and decision making“ (Warschauer 1997, 473).

Am wichtigsten ist jedoch, dass die Lernenden mehr Zeit zur Reflexion haben als in Face-to-Face-Diskussionen: „Learners have time to more carefully consider and provide evidence for their claims and provide deeper, more thoughtful reflections“ (Graham 2006, 18).

Die Popularität von asynchronen Online-Diskussionen ist auf dieses Merkmal zurückzuführen, da die Möglichkeit zur Reflexion eine wichtige Rolle für die gemeinsame Wissenskonstruktion spielt. Dass die Lernenden genauer bedenken können – eventuell unter der Zuhilfenahme von weiteren Quellen –, was sie schreiben, dürfte sich positiv auf das Wissen der Beitragenden auswirken, ebenso wie qualitativ hochwertigere Beiträge vorteilhaft sind für den Lernzuwachs der anderen Teilnehmer/-innen. Indem in der Online-Diskussion mehrere Perspektiven und Ideen einander gegenübergestellt werden, kann in der Interaktion multiperspektivisches Wissen konstruiert werden, die Lernenden können neue Perspektiven kennenlernen und ihre Ideen und Perspektiven zur Diskussion stellen und damit testen: „Social interaction and collaboration shapes and tests meaning, thus enriching understanding and knowledge sharing“ (Garrison/Vaughan 2008, 14).

Wichtig ist aber festzuhalten, dass die Möglichkeit zur tieferen Reflexion zunächst nur theoretisch besteht und dass nicht zwangsläufig davon ausgegangen werden kann, dass dies auch tatsächlich zu inhaltlich hochwertigen Beiträgen der Teilnehmenden führt. Gleichwohl wird jedoch auch die Annahme vertreten, dass die Tatsache, dass die Beiträge über einen längeren Zeitraum schriftlich fixiert und damit auch zu späteren Zeitpunkten noch zugänglich sind, zu einer höheren extrinsischen Motivation der Lernenden führt, gut reflektierte Beiträge zu verfassen.

Forschung zu asynchroner computervermittelter Kommunikation ist vielfältig und nimmt verschiedene Aspekte in den Fokus (vgl. die überblicksartige Darstellung von Johnson 2006), z.B. wird mit Hilfe von Vergleichsgruppen die Lerneffektivität untersucht: Wang (2004) überprüfte das Verhältnis zwischen der Anzahl geposteter Beiträge und den Abschlussnoten von Studierenden und kam zu dem Ergebnis, dass diejenigen, die besonders intensiv teilnahmen, auch die besten Noten erhielten.3 Andere Studien, etwa Walker und Arnold (2004), verwenden die positive Evaluation der Lernform durch die Studierenden als einen Indikator für den Lernerfolg, während Johnson (2005) in seiner Untersuchung keine Korrelation zwischen diesen Faktoren feststellen konnte.

Die Forschung widmet sich zudem der Frage, ob in den Diskussionen gemeinsam Wissen konstruiert wird, wobei dies meistens in qualitativen, inhaltsanalytischen Studien untersucht wird (z.B. Moore/Marra 2005, Gunawardena/Lowe/Anderson 1997, Dysthe 2002, Henri 1995). Verschiedene Modelle liegen vor, anhand derer die Ko-Konstruktion von Wissen analysiert wird: Henris Analytical Model of Interactive Behaviour (1995) ist das erste Modell, mit dessen Hilfe Wissenskonstruktion in Online-Diskussionen untersucht werden kann; Ausgangspunkt ist die Idee, dass Lerner durch Interaktion Wissen aufbauen (vgl. auch Kapitel 2.1.2). Auch Dysthe (2002) verwendet Henris Modell und untermauert die Theorie mit Rückgriff auf Bachtins Dialogizitätsbegriff (vgl. Bachtin 1979, 169–180). Sie führt aus, dass sogenannte genuine Interaktion, d.h. wenn die Person, die die Diskussion initiiert, sich auch später nochmals zu Wort meldet, ein besonders hohes Lernpotenzial habe, da dies zeige, dass sich die Lernenden für die Beiträge der anderen interessierten. Das Lernpotenzial wird hier mit Interaktion gleichgesetzt, was, wie ich in Becker (2016b) gezeigt habe, zumindest im Kontext des Fremdsprachenunterrichts nicht unproblematisch ist. Das am häufigsten verwendete Modell ist das Interaction Analysis Model (IAM) von Gunawardena, Lowe und Anderson (1997, 414): Interaktion ist darin eine Voraussetzung für Wissenskonstruktion; das Modell besteht in der Hauptsache aus fünf Phasen der Wissenskonstruktion: Phase 1 („Sharing and comparing information“) und Phase II („The discovery and exploration of dissonance or inconsistency among ideas, concepts and statements“) zählen dabei nicht zur gemeinsamen Wissenskonstruktion, diese wird erst in den Phasen III bis V erreicht (III: „Negotiation of meaning“, IV: „Testing and modification of proposed synthesis or co-construction“, V: „Agreement statements/Applications of newly constructed meaning“). Lucas, Gunawardena und Moreira (2014) stellen die Funktionalität des IAM in Frage, da Studien, die auf diesem Modell beruhen, keine oder nur wenig gemeinsame Wissenskonstruktion nachweisen konnten, wobei es meines Erachtens fraglich ist, ob Wissenskonstruktion erst dann stattfindet, wenn zu einem Konsens gefunden wird, denn dieser ist nicht unter allen Umständen erwünscht (vgl. Kapitel 2.1.3).

Problematisch an diesen Modellen ist, dass die gemeinsame Wissenskonstruktion auf textueller Ebene festgemacht wird, da so vorausgesetzt wird, dass die Lernenden alle Überlegungen tatsächlich im Diskussionsforum posten. Viel wahrscheinlicher ist es jedoch, dass durch die Beiträge der anderen in einer Art innerem Dialog das eigene Wissen modifiziert wird. Henri stellt dementsprechend auch fest, dass schon das sogenannte lurking, d.h. das reine Lesen der Beiträge, ein Lernpotenzial besitzt: „And yet in interviews following the experiment, the learners stated that a main source of learning had been the reading of the different solutions offered during teleconferences“ (Henri 1995, 158).

Potenzial für das Fremdsprachenlernen

Das relativ unveränderliche Ziel von Fremdsprachenunterricht ist der Erwerb von sprachlichen Fertigkeiten.1 Vor allem die Fertigkeiten Schreiben und Lesen und die Bereiche Flexionsmorphologie, Syntax und Lexik können durch textbasierte asynchrone computervermittelte Kommunikation gefördert werden (vgl. die Übersichten in Nguyen 2008, 12f), wozu die allgemeindidaktischen Potenziale etwas modifiziert werden müssen. Die zeitliche Flexibilität von asynchronen Online-Diskussionen ermöglicht im Fremdsprachenunterricht zwar auch eine tiefergehende inhaltliche Reflexion, dort ist sie aber besonders relevant, weil auch mehr Zeit für die sprachliche Ausarbeitung zur Verfügung. Sotillo (2000) kann nachweisen, dass Lernende in asynchronen Diskussionen syntaktisch komplexere Sprache verwendeten als in synchronen und Face-to-Face-Diskussionen und fasst das Potenzial von asynchroner Online-Kommunikation für den universitären Fremdsprachenunterricht wie folgt zusammen:

Asynchronous discussions in particular allow language learners more time to plan their writing, edit their spelling, grammar, and punctuation when paying attention to form, and make longer contributions than students composing synchronously. Asking students to respond to challenging academic readings encourages them to think critically and post carefully prepared responses to teacher and student queries. Learners are thus able to focus on both form and meaning to a greater extent than when they are engaged in rapid fire exchanges and socializing via synchronous discussions. (Sotillo 2000, 106)

Im Hinblick auf die Rezeption spielt in diesem Kontext der Faktor Zeit und die Tatsache, dass die Beiträge gespeichert werden, eine wichtige Rolle, denn die asynchrone Kommunikation ermöglicht den Lernenden, Beiträge mehrmals zu lesen und damit besser zu verstehen. Sowohl auf einer sprachlichen als auch einer inhaltlichen Ebene können sich die Lernenden auch im Nachhinein mit den Beiträgen auseinandersetzen. Findet die Diskussion zwischen Lernenden und L1-Sprechern statt, können Lernende Strukturen und Vokabular in der Zielsprache identifizieren und sie später in anderen Situationen und Kontexten anwenden (vgl. Appel/Mullen 2000).

Das Hauptinteresse der Fremdsprachendidaktik liegt derzeit jedoch nicht nur auf dem potenziellen Nutzen von CMC für das Erlernen sprachlicher Fertigkeiten, sondern vor allem auch auf metasprachlichen Bereichen wie Bedeutungsaushandlung, gemeinsamer Wissenskonstruktion und interkultureller Kompetenz, d.h. auf Zielsetzungen von Fremdsprachenunterricht, die von bildungspolitischen Entwicklungen abhängig sind. Rahmendokumente wie die Bildungsstandards der KMK oder der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen spiegeln diese wider, wobei beispielsweise in Letzterem interkulturelle kommunikative Kompetenz (vgl. Byram 1997) als Schlüsselqualifikation gilt:

Gefasst werden darunter z.B. auf der Wissensebene die Kenntnisse spezifischer Kommunikations- und Interaktionsregeln sowie Sicht- und Wahrnehmungsweisen des eigenen und des fremdkulturellen Landes, auf der Einstellungsebene die Entwicklung von Neugier und Offenheit gegenüber Fremdem und kultureller Vielfalt, auf der Handlungsebene kulturangemessenes Verhalten ebenso wie die Kompetenz, z.B. Missverständnisse durch Aushandlungsprozesse zu überwinden. (Hu 2010, 77)

Hier rückt der Gegenstandsbereich der Landeskunde ins Sichtfeld:

In particular, the opportunities offered by engaging learners in online collaborative project work with members of other cultures has been identified as being an authentic and effective way of preparing learners for the complex yet enriching experience of foreign language and culture learning. (O’Dowd 2007, 3)

Die sogenannte Telekollaboration2, gilt somit heute als „one of the main pillars of online language learning“ (O’Dowd/Ritter 2006, 624) und ist u.a. auf die steigende Bedeutung von interaktionistisch-soziokulturellen Lerntheorien für das Fremdsprachenlernen zurückzuführen.3 Telekollaboration bezeichnet den oft asynchronen Austausch zwischen Lernenden, per E-Mail oder in virtuellen Räumen, wobei die Lernergruppe aus Fremdsprachenlernern und L1-Sprechern oder Fremdsprachenlernen aus verschiedenen Ländern bestehen kann. Landeskundliches Lernen wird hier zumeist als interkulturelles Lernen4 verstanden.5 Grundgedanke der interkulturellen Begegnung ist, dass durch den Austausch eine authentische Kommunikation stattfindet, die dazu führt, dass die Lerner die Perspektive des jeweils anderen kennenlernen und übernehmen können, gleichzeitig eine kritische Perspektive gegenüber ihrer eigenen Kultur einnehmen, Toleranz entwickeln und Stereotype abbauen (vgl. Möllering/Levy 2012, 234).6

Tamme (2001) hat in ähnlicher Weise (doch weniger ideologisch geprägt)7 in ihrer Arbeit zu E-Mail-Tandems den Begriff der personalisierten Landeskunde entwickelt, die stattfindet, wenn sich Fremdsprachenlernende und Vertreter/-innen der Zielsprachenkulturen über landeskundliche Phänomene austauschen und dabei persönliche Perspektiven nicht aussparen. Dies kann als besonders vielversprechend für interkulturelles Lernen eingeschätzt werden, denn

[j]e mehr es gelingt, das Potential der digitalen Medien in Richtung einer derart personalisierten Landeskunde zu entwickeln, um so mehr wird die alte Unterscheidung zwischen Realienkunde, kommunikativer Landeskunde und interkultureller Landeskunde an Trennschärfe verlieren, denn in dieser Art von personalisierter Landeskunde mit ihren subjektiv geprägten Erzählungen werden Fakten, Alltag und Einschätzungen miteinander verbunden und als selbstverständlicher Teil eines Dialogs über Grenzen verstanden. (Rösler 2004, 76)

Die Übersicht über den Einsatz asynchroner computervermittelter Kommunikation im Fremdsprachenunterricht zeigt auf, dass ein Potenzial für sprachliches und landeskundliches Lernen gesehen wird, das sich vor allem in der Forschung zu Telekollaboration widerspiegelt.8 Die Arbeit von Biebighäuser (2014) ist die bisher einzige Studie, die digitale Medien und kulturwissenschaftliche Ansätze in der Landeskundedidaktik (und interkulturelles Lernen) verbindet. Es wird darin u.a. untersucht, wie sich Gruppen von Studierenden aus verschiedenen Ländern an in der virtuellen Welt Second Life nachgebildeten Erinnerungsorten in (synchronen) Text- und Voice-Chat unterhalten. Die Analyse des landeskundlichen Lernens zeigt dabei u.a., dass es trotz eines deutlichen Potenzials viele ungenutzte Chancen birgt, und dass der Kommunikationskanal Voice-Chat zu inhaltlich umfassenderen Beiträgen führte als der Text-Chat (vgl. Biebighäuser 2014, 390–92, 417, 423), was wichtig ist für das landeskundliche Lernen. Auch die Arbeit von Biebighäuser und Marques-Schäfer (2011) zeigt, dass Diskussionen in didaktisierten Chat-Räumen relativ oberflächlich bleiben. Sie stellen fest:

Beispielsweise erschweren Chats durch die schnellen Sprecherwechsel die tiefergehende Thematisierung von komplexen kulturspezifischen Themen. Zudem können Lernende, die keine Erfahrungen mit dem Medium haben, schnell überfordert werden. […] Aufgrund dieser Zweischneidigkeit beim Einsatz digitaler Medien zum interkulturellen Lernen muss der Medieneinsatz gut reflektiert werden. (Biebighäuser/Marques-Schäfer 2011, 120)

2.1.3Aufgaben für CMC-Szenarien

Aufgaben sind zentrale Ausgangspunkte des Lehrens und Lernens; hauptsächlich durch Lernaufgaben steuern die Lehrenden das Lernen in Unterrichtskontexten.1 In der Fremdsprachendidaktik hat sich der aufgabenorientierte Ansatz (engl. task-based language teaching bzw. task-based language learning, TBLT) „inzwischen als angemessener und weltweit verbreiteter Sprachlernansatz […] etabliert“ (Müller-Hartmann/Schocker-von Ditfurth 2010, 203), mit dessen Hilfe Aufgaben sowohl in Präsenz- als auch in Online-Phasen gestaltet werden können (vgl. Müller-Hartmann/Schocker-von Ditfurth 2008). ‚Aufgabe‘ im Kontext von TBLT kann wie folgt definiert werden: „A task is an activity in which a person engages in order to attain an objective, and which necessitates the use of language“ (Van den Branden 2006, 4). Zentraler Gedanke ist, dass die Lerner durch die Aufgaben angehalten werden, die Zielsprache für authentische2 Zwecke zu gebrauchen, wobei der Interaktion, sei es nun zwischen Lernern oder mit L1-Sprechern, eine wichtige Rolle zukommt. Computervermittelte Kommunikation, deren Hauptmerkmal die Ermöglichung von interpersonaler Interaktion ist, kann somit als wichtiges Werkzeug für aufgabenorientiertes Lernen angesehen werden.

Damit Aufgaben das Sprachenlernen möglichst effektiv unterstützen, sollten sie bestimmte Merkmale erfüllen, die im Folgenden mit Hinblick auf asynchrone computervermittelte Kommunikation dargelegt werden. Ausgangspunkt sind die Gütekriterien, die von Biebighäuser, Zibelius und Schmidt (2012, 45–50) für „Aufgaben 2.0“, d.h. Aufgaben für das Fremdsprachenlehren mit digitalen Medien, formuliert wurden.3

Demnach ist es vor allem wichtig, dass Aufgaben einen bedeutungsvollen Bezug zur Lebenswelt der Lernenden aufweisen, und dass diese sich als ernst genommene fremdsprachlich Handelnde (und nicht primär als Fremdsprachenlernende) äußern können. Der Lebensweltbezug bzw. die lebensweltliche Relevanz kann unterschiedlich verstanden werden: beispielsweise als Übereinstimmung zwischen den Aufgaben, die die Lernenden im Klassenzimmer bearbeiten, und den Aufgaben, die sie in der fremdsprachlichen Lebenswelt außerhalb des Klassenzimmers bewältigen müssen, oder als Möglichkeit, „persönlich Bedeutsames mitzuteilen“ (Müller-Hartmann/Schocker-v. Ditfurth 2006, 3).4

Dass die Lerner sich als fremdsprachlich Handelnde äußern, wird durch einen offenen Charakter der Aufgaben möglich: „Hierdurch erlauben sie es den Lernenden, als sie selbst zu Wort zu kommen. Die Lernenden agieren als ernst genommene fremdsprachlich Handelnde“ (Biebighäuser/Zibelius/Schmidt 2012, 47). Aufgaben 2.0 können dabei in stärkerem Maße zur Entkünstlichung des Fremdsprachenunterrichts beitragen, indem sie die authentische Interaktion mit L1-Sprechern und anderen Fremdsprachenlernen fördern:

Die Lernenden erhalten die Gelegenheit, mit realen Personen außerhalb des Klassenzimmers zu kommunizieren und Inhalte für ein authentisches Publikum zu publizieren. Damit können gute Aufgaben 2.0 das ‚So tun als ob’ geschlossener Klassenraumdialoge durch die kommunikative Realität der fremdsprachlichen Kommunikation ersetzen. […] Gute Aufgaben 2.0 bieten Raum für authentische Interaktionen in der Zielsprache – schriftlich wie mündlich, synchron und asynchron. (ebd. 2012, 46)

Brandl setzt sich dahingehend mit der Frage auseinander, welche CMC-Aufgabentypen besonders interaktionsförderlich wirken. Interaktionsförderlich sind demnach Aufgaben, bei denen jeder einzelne Lerner durch einen spezifischen Teil zur Lösung beitragen muss (vgl. Brandl 2012, 5), und solche, in denen die Lerner zu einem Konsens kommen müssen, wobei festgestellt werden kann, dass das Vorhandensein von mehreren Lösungen (closed-outcome) wiederum zu mehr Interaktion führt als Aufgaben, die flexibel gelöst werden können (open-outcome) (ebd.). Aufgaben für CMC-Umgebungen an dem Ziel auszurichten, dass sie zu möglichst viel Interaktion führen, muss jedoch als problematisch angesehen werden: Zwar haben die bisherigen Ausführungen gezeigt, dass Interaktion aus lerntheoretischer Perspektive besonders (aber nicht nur) für das Fremdsprachenlernen sinnvoll ist, doch kann eine zu starke Fokussierung auf Interaktion und Konsens den offenen Charakter und die Berücksichtigung der Lerner als fremdsprachlich Handelnde gefährden. In bestimmten Fragen, besonders wenn es sich bei den Aufgaben um sogenannte „opinion-“ oder „experience-based activities“ (Brandl 2012, 4) handelt, wollen die Lerner vermutlich gar nicht zu einer gemeinsamen Meinung kommen bzw. besteht die Gefahr, dass sie nur aus pragmatischen Gründen, d.h. weil die Aufgabe dies vorschreibt, eine gemeinsame Lösung finden. Auch aus Gründen der Multiperspektivität, die für die gemeinsame Wissenskonstruktion eine wichtige Rolle spielt, ist es nicht sinnvoll, wenn die Lerner zu einem Konsens kommen müssen.

Die Gütekriterien für gute Aufgaben 2.0 betonen zudem die Integration von Bedeutungsgehalt und Formfokussierung (vgl. Müller-Hartmann/Schocker-v. Ditfurth 2006), so dass der lebensweltliche Bezug der Aufgaben sowie das Ernstnehmen der Lernenden als fremdsprachlich Handelnde nicht gleichgesetzt werden kann mit einer Negierung von Formfokussierung. Dabei müssen die Aufgaben einen angemessenen Anforderungscharakter haben, d.h. dass sie sich am Sprachstand der Lerner orientieren und die Anforderungen minimal über dem Kenntnisstand des Lernenden liegen.

Damit Aufgaben effektiv bearbeitet werden können, muss auch die konkrete Gestaltung der Aufgaben gewissen Gütekriterien gerecht werden: Gute Aufgaben zeichnen sich demnach zunächst dadurch aus, dass sie die Anforderungen transparent machen, z.B. durch die Verwendung einer verständlichen Sprache. Zur Transparenz gehört zudem die sinnvolle Sequenzierung von Aufgaben sowie auch die Angabe von zeitlichen Vorgaben als Strukturierungshilfe, wobei Biebighäuser (2014, 363) darauf hinweist, dass in virtuellen Welten Aufgabenstellungen möglichst detailliert formuliert sein müssen, was im Übrigen für alle digitalen Lernumgebungen gilt: Seitens der Lehrenden kann, im Gegensatz zum Präsenzunterricht, in den meisten Fällen kaum spontan auf Probleme bei der Aufgabeninterpretation reagiert werden (z.B. durch eine mündliche Erklärung oder eine Umformulierung) (vgl. Kirchhoff 2008, 105).

Wenn die Aufgabe nicht so bearbeitet wird wie von der Lehrerin/dem Lehrer geplant, kann dies mit der Unterscheidung zwischen task as workplan, der Aufgabenbearbeitung gemäß der Intention des Lehrers/der Lehrerin, und task in process, der tatsächlichen Aufgabenbearbeitung durch die Lerner, erklärt werden (vgl. Ellis 2003, 5). So wird die tatsächliche Aufgabenbearbeitung zunächst von der Interpretation der Aufgabenstellung (vgl. Butler/Cartier 2004) beeinflusst, in der sich die Lerner ein Bild davon machen, was von ihnen (vermutlich) erwartet wird, sodann von Motivation, persönlichen Zielen, früheren Lernerfahrungen, sprachlichem und inhaltlichem Vorwissen etc.:

Task designers can ask, demand or invite the learner to do meaningful things with language and meanwhile pay attention to particular forms, but they cannot force the learner into anything. The gap between the ‚task as workplan’ and the actual ‚task in process‘ […] can be wide. (Van den Branden 2006, 10)

Aufgaben spielen also eine zentrale Rolle im Unterrichtsgeschehen, so auch für das, was in den hier untersuchten asynchronen Online-Diskussionen geschieht. Für die Analyse wird vor allem auch die Unterscheidung von task as workplan und task in process wichtig sein. Neben den Aufgaben, die im Unterricht gestellt werden, sind Lehrende, auf deren Rolle im nächsten Unterkapitel eingegangen wird, ein weiterer entscheidender Faktor, der das Unterrichtsgeschehen beeinflusst.

2.1.4Rolle der Lehrenden in CMC-Szenarien

Lehrenden kommt in Unterrichtszusammenhängen eine zentrale Rolle zu, da sie die Unterrichtspraxis auf verschiedenen Ebenen gestalten, so auch in asynchronen Online-Kommunikationen. Der Lehrer/die Lehrerin trifft – meist ausgehend von institutionellen und curricularen Vorgaben – Entscheidungen über Unterrichtsinhalte, plant und leitet unter Berücksichtigung methodisch/didaktischen Wissens und subjektiver Theorien den Unterricht, und unterhält professionelle Beziehungen zu Lernern, Lehrenden und dem Kollegium (vgl. Witten/Harde 2010).

Lehrende besitzen somit verschiedene soziale Rollen, die durch das eigene Rollenverständnis, durch Persönlichkeit, Ausbildung und Erfahrungen und den jeweiligen beruflichen Kontext sowie das jeweilige Gegenüber geprägt werden, wobei sich diese Rollen im Zuge gesellschaftlicher Veränderungen wandeln und nicht selten normativ sind (vgl. Rösler 2012a, 14). Mit dem Aufkommen interaktionistisch-soziokultureller Perspektiven auf das Lernen, die, wie in Kapitel 2.1.2 gezeigt wurde, theoretischer Hintergrund für den Einsatz von computervermittelter Kommunikation in Bildungszusammenhängen sind, ändert sich auch die Rolle der Lehrenden (vgl. z.B. Lamy/Hampel 2007, 61).

Die Lehrerin/der Lehrer fungiert in diesem Zusammenhang – und dabei spielt es keine Rolle, in welchem Modus der Unterricht stattfindet – nicht mehr als Wissensvermittler, sondern als facilitator (vgl. Rogers 1969, 104), d.h. als Lernbegleiter, der hilft, das „Konstruktionspotenzial des Lernenden […] im Unterricht durch reichhaltige, vielfältige, erfahrungsbezogene und bedeutungsvolle Lern- bzw. Konstruktionsmöglichkeiten“ (Witte/Harden 2010, 1327) zu fördern, u.a. durch eine entsprechende Aufgabenstellung (vgl. Kapitel 2.1.3) und das Herstellen einer lernförderlichen Atmosphäre.1

Jedoch ist die Tatsache, dass eine Lehrerin/ein Lehrer ein neues eigenes Rollenverständnis entwickelt hat und dementsprechend den Unterricht planen und umsetzen will, noch kein Garant dafür, dass diese/-r auch als facilitator agieren kann. Dies ist darauf zurückzuführen, dass soziale Rollen nicht nur selbst gewählt werden, sondern in gleichem Maße auch interpersonal konstituiert werden.2 Wright weist darauf hin, dass Faktoren wie Status, Position, Persönlichkeit sowie Annahmen über die jeweils andere Gruppe ausschlaggebend dafür sind, in welcher Rolle man sich befindet (vgl. Wright 1987, 21). Erwartungen und Rollenzuschreibungen seitens der Lernenden können dazu führen, dass es z.B. einem Lehrer/einer Lehrerin nicht gelingt, sich im Sinne eines facilitators auf Augenhöhe der Lernenden zu positionieren. Selbst wenn er/sie anstrebt,

ihre sozial-institutionelle Rolle als Lehrkraft zugunsten ihrer didaktischen Lehrerrolle im Interesse eines emanzipatorischen Unterrichts zurückzunehmen, so kann sie dennoch nicht mit [den Lernenden] auf wirklich gleicher Ebene interagieren, da die Lehrkraft immer zugleich als Bewertungs- und Kontrollinstanz fungiert; zumindest aus Lernerperspektive […]. (Witten/Harden 2010, 1332)

Dieses Zitat weist darauf hin, dass die Rolle des Lehrers abhängig ist von den Annahmen, den subjektiven Theorien und dem Wissen, das Lernende von Lehrern haben, und dass traditionell hierarchische Verhältnisse3 nicht ohne weiteres überwunden werden können. Dies ist auch für landeskundliches Lernen wichtig, da davon ausgegangen werden kann, dass Lehrende, als (vermeintliche) Experten für das Zielsprachenland, in der Regel auch eine Deutungshoheit im Hinblick auf landeskundliche Gegenstände haben, und beispielsweise als eine Art gatekeeper auch die Macht darüber besitzen, ob persönliche Erfahrungen mit der Zielsprachenkultur, die im Rahmen von Landeskundeunterricht von den Lernern geäußert werden, als gültig anerkannt werden.

Im Hinblick auf die Frage, was der Einsatz von digitalen Medien im Kontext des Fremdsprachenlernens und -lehrens von den Lehrenden abverlangt, wurde in den Anfangsjahren von computergestütztem Fremdsprachenunterricht zunächst nur darauf hingewiesen, dass zu den fachdidaktischen Kompetenzen auch Computerkenntnisse gehörten (vgl. Hampel/Stickler 2005, 316). Inzwischen herrscht weitgehend das Bewusstsein vor, dass fachspezifische mediendidaktische Kompetenzen vonnöten sind, um durch den Einsatz von digitalen Medien Fremdsprachenlehr- und -lernprozesse zu unterstützen. In der bildungspolitischen Debatte um Kompetenzen von Lehrenden wird es demnach als sinnvoll erachtet, diese nicht global sondern domänenspezifisch zu beschreiben (vgl. Rösler/Würffel 2010b, 27f).

Von Rösler und Würffel (2010b) liegen Überlegungen4