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Spannend, fantasievoll, bewegend, aber vor allem überraschend, präsentiert die vorliegende Anthologie erstmals sämtliche Kurzgeschichten von Herbert Glaser, dem Autor des erfolgreichen Romans "Neustart". Beobachten Sie einen Mann, der versucht, seine Ehefrau vor einem Terroranschlag zu retten. Begleiten Sie einen zum Tode Verurteilten, der am Tag der Hinrichtung eine zweite Chance bekommt. Lernen Sie ein Wesen kennen, das mehr gelitten hat als jedes andere im Universum. Erleben Sie die Welt aus Sicht eines Fußabstreifers. Erfahren Sie, wie ein Todkranker zum Glauben findet. Freuen Sie sich über die erste Liebe zweier Kinder. Insgesamt 23 Storys aus den verschiedensten Genres laden zum Schmökern ein. Darunter die preisgekrönte Erzählung "Endspiel". Der Autor versteht es ein ums andere Mal, den Leser in die Irre zu führen und die Wahrheit erst mit dem letzten Satz ans Licht zu bringen. Bei Glaser kann man sich eben nie sicher sein.
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Seitenzahl: 130
Veröffentlichungsjahr: 2020
Über den Autor:
Herbert Glaser, geboren 1961, arbeitet als Sounddesigner bei einem Münchner Fernsehsender.
Er schreibt gerne Kurzgeschichten, von denen bereits mehrere in Anthologien veröffentlicht wurden.
Mit der Erzählung „Endspiel“ konnte er im September 2018 die Monatsausschreibung und die Ideenwertung des Schreiblust-Verlages gewinnen.
Im Januar 2019 erschien mit „Neustart“ sein erster Roman, wofür er bei www.writeronline.de zum „Most Wanted Autor“ gewählt wurde.
Er ist Vater von drei erwachsenen Kindern und lebt mit seiner Frau nördlich von München.
Herbert Glaser
kurz und schmerzend
23 Geschichten, die es in sich haben
© 2020 Herbert Glaser
Umschlaggestaltung: Herbert Glaser
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback
978-3-7497-6940-7
Hardcover
978-3-7497-6941-4
e-Book
978-3-7497-6942-1
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Für Gabi
Inhalt
Der alltägliche Terror
Beste Freundin
Vertippt
Begegnung am Kiosk
Großraumromanze
Der Tippschein
Helmut
Ausgleichende Ungerechtigkeit
Der Pflock im Kopf
Begegnung im Badezimmer
Der Auserwählte
Die Geburtstagsüberraschung
Mein Leben als Türmatte
Halloween
Der Ausflug
Galgenfrist
Hanno
Entscheidung aus Liebe
Heimat
Der Einschulungstest
Reine Liebe
Die letzte Seite
Endspiel
Der alltägliche Terror
„Das darf nicht wahr sein, schon wieder ein Anschlag. Sieh dir das an!“
Bernd hielt seiner Frau die Titelseite einer Tageszeitung hin. In Brüssel hatten islamistische Attentäter einen Sprengsatz gezündet.
„Ich habe es vorhin im Radio gehört“, entgegnete Diana, „schrecklich!“
Er legte die Zeitung weg. „Vor diesen religiösen Fanatikern ist man inzwischen nirgendwo mehr sicher.“
Sie deutete auf seinen unbenutzten Teller. „Iss bitte etwas. Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages!“
„Im Büro vielleicht.“ Er trank einen Schluck schwarzen Kaffee und hielt ihr die Tasse hin. „Genau das brauche ich jetzt.“
„Wieder schlecht geschlafen?“
Er winkte ab. „Ich muss los, was hast du heute vor?“
„Ich treffe mich mit Bianca im Einkaufszentrum.“
„Na dann viel Spaß euch beiden und grüße sie von mir.“
Bernd fuhr gerne mit dem Fahrrad zur Arbeit. Die Bewegung tat ihm gut und half ihm dabei, richtig wach zu werden. Gerade an diesem Morgen war das besonders nötig. Bis 3 Uhr hatte er kein Auge zugetan. Dann entschied er sich doch noch für eine Schlaftablette, um wenigstens ein paar Stunden Ruhe zu finden. Die Wirkung der Medizin war allerdings trotz des Koffeins immer noch spürbar.
Eigentlich gab es keinen Grund für schlaflose Nächte. Nach ihrem Umzug in die Großstadt war das gemeinsame Leben mit Diana nahezu perfekt. Sein Job in einem IT-Unternehmen gab ihnen finanziellen Spielraum, während seine Frau als Webdesignerin bequem von Zuhause aus arbeiten konnte. Anfangs fiel ihr zwar manchmal die Decke auf den Kopf, inzwischen hatte sie aber Anschluss gefunden. Vor allem mit ihrer besten Freundin Bianca war sie unzertrennlich. Grübeln war also gar nicht nötig, die Schlafprobleme hatte Bernd wohl von seinem Vater geerbt.
Auf halbem Weg zum Büro hielt er an einem Kiosk. Sämtliche Zeitungen berichteten von dem erneuten Anschlag, ein Titelbild schlimmer als das andere. Viele Menschen waren schwer verletzt, zwölf Todesopfer zu beklagen. Die Hintermänner drohten mit weiteren Attentaten in ganz Europa.
Bernd kaufte eine Flasche mit kaltem Cola, hoffte auf belebende Wirkung.
Die Luft um ihn herum war angefüllt mit klappernden Schritten und dem Stimmengewirr der Leute auf dem Weg zur Arbeit.
Er gab die Pfandflasche zurück, ging zum Fahrrad und kam aus dem Gleichgewicht, als ihn jemand anrempelte.
„Pass doch auf, du Idiot!“ schimpfte er dem Mann mit Kapuze und Rucksack hinterher, der unbeeindruckt in der Menge verschwand.
„Haben Sie das gesehen, der könnte sich wenigstens entschuldigen, so eine Frechheit!“ machte Bernd seinem Ärger beim Kioskbesitzer Luft.
„Ja ja, es nimmt keiner mehr Rücksicht … weiterhin schönen Tag“, beendete dieser das Thema, während er bereits den nächsten Kunden bediente.
Als Bernds Blick erneut auf die Terrornachrichten fiel, schreckte er auf. Der Typ, der ihn angerempelt hatte, war mit einem Rucksack unterwegs. Hatte der nicht einen Bart wie ein Islamist? Und außerdem, wer trug an einem so warmen Sommermorgen einen dicken Hoodie? Der musste etwas zu verbergen haben!
Bernd grübelte einen Moment, dann packte er sein Rad am Lenker und kämpfte sich zwischen den Passanten hindurch.
Fast hatte er den Kapuzenmann aus den Augen verloren, als er ihn in einiger Entfernung in einer Nebenstraße verschwinden sah. Im Laufschritt, das Fahrrad um die Fußgänger herum lenkend, bog auch Bernd um die Ecke und sah gerade noch, wie der Verfolgte die Treppe zu einer U-Bahnstation hinunterlief. Bevor der Verdächtige im Untergrund verschwand, sah Bernd sein Gesicht im Profil. Er hatte tatsächlich einen Bart wie diese IS-Krieger, die man aus den Nachrichten kannte.
Seine Gedanken rasten. War er einem Terroristen auf die Spur gekommen, der ein Attentat plant? Sofort fielen ihm die Rucksackbomber ein, die 2005 in London vier Sprengsätze gezündet hatten und der Sarin-Anschlag in Tokio zehn Jahre davor. War er nicht verpflichtet, die Polizei zu informieren? Aber was sollte die unternehmen?
Alle Bahnen stoppen, die Fahrgäste evakuieren, nach einer potentiellen Bombe und Giftgas suchen? Dafür erschienen Bernds Beobachtungen dann doch zu dürftig.
Andererseits … musste man nicht die Menschen schützen, die im Morgenverkehr unterwegs zur Arbeit waren, oder … zum Einkaufen! Der Gedanke traf ihn so heiß wie die Strahlen der Sonne, die inzwischen über den Häusern aufgegangen war.
„Diana!“, schrie er, die verstörten Blicke einiger Passanten ignorierend. Das Einkaufszentrum, in dem sie sich mit Bianca verabredet hatte, lag ebenfalls an dieser U-Bahnlinie. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn.
Er zückte das Smartphone und wählte die Festnetznummer ihrer Wohnung-Anrufbeantworter.
Dianas Mobilfunknummer - Mailbox. Warum um alles in der Welt hatte sie ihr Handy nicht an?
Bernd sah auf die Armbanduhr. Der Weg von ihrem Zuhause bis zur U-Bahn dauerte zu Fuß ca. 20 Minuten. Von dort zur Station, an dem er mit dem Rad stand, waren es drei Haltestellen, die musste er zurücklegen. Wenn Diana eben erst losgegangen war, könnte er sie erreichen, bevor sie im Untergrund verschwand.
Er schwang sich auf sein Rad und trat in die Pedale. Der Verkehr um ihn herum tobte, mehrere rote Ampeln verhinderten ein schnelles Vorankommen, es wurde knapp. Sein Hemd war inzwischen tropfnass.
Mit seinem Citybike sprang er vom Radweg auf die Straße herunter und setzte den Weg zwischen hupenden Autos hindurch fort. Abgaswolken stiegen ihm in die Nase, er bemerkte es nicht.
Noch zwei Querstraßen. Wieder schaltete eine Ampel auf Rot. Im letzten Moment konnte der Fahrer eines PKWs notbremsen, als Bernd, das Haltesignal missachtend, über die Kreuzung schoss.
Er war fast am Ziel. Die Station, an der seine Liebste einsteigen würde, lag in Sichtweite. Da sah er sie, wie sie auf das Grünlicht einer Fußgängerampel wartete. Er schrie aus Leibeskräften, winkte mit einem Arm, kam jedoch gegen den Lärm der Großstadt nicht an, aber er würde es schaffen. Diana war gerettet!
Erleichtert bog er ein letztes Mal ab und übersah den LKW, der ihn überfuhr.
Beste Freundin
12. Juli
Liebes Tagebuch, ich bin Corinna.
In wenigen Tagen werde ich sechzehn Jahre alt. Deshalb möchte ich dir gerne ab und zu meine Gedanken anvertrauen. Es ist gut, zu wissen, dass ich vor dir nichts verbergen muss und niemand sonst etwas daraus erfährt. Außer meine beste Freundin Natalie, von der auch die Idee zu diesem Tagebuch ist.
Ich kenne sie schon seit vielen Jahren und bin sehr traurig, weil wir uns jetzt nicht mehr jeden Tag sehen können. Aber in zwei Wochen beginnen die Ferien und da wird sie mich besuchen kommen, das hat sie mir ganz fest versprochen. Und auf ihr Wort kann man sich immer verlassen.
27. Juli
Die Ferien haben begonnen!
Das Zeugnis ist gar nicht so schlecht, wie ich befürchtet hatte. Das Schuljahr ist bestanden, das ist doch die Hauptsache.
Mama und Papa sind ganz zufrieden, es bleibt ihnen auch nichts anderes übrig. Von meinen Großeltern habe ich die übliche Belohnung bekommen. Ich glaube, sie haben die Noten nicht mal angesehen.
Nächste Woche kommt Natalie, ich freue mich riesig auf ihren Besuch. Endlich können wir wieder ausgiebig über alles reden, was ich sonst niemanden sagen kann.
3. August
Gestern stundenlang mit Natalie auf der Couch gesessen und geplaudert. Sind erst um 4: 00 Uhr ins Bett gegangen. Konnte trotzdem nicht einschlafen. Mir geht so viel durch den Kopf.
Sie besteht auf der Bergwanderung, weil sie meint, es wird mir helfen.
Warum um alles in der Welt tue ich mir das nur an?
Natalie lässt nicht locker. Sie meint sogar, dass sie sofort wieder verschwindet, wenn ich es nicht wenigstens versuche. Ich will sie nicht enttäuschen und mache mich bereit.
Es ist die gleiche Strecke, auf der ich als Kind beinahe abgestürzt wäre und heute soll ich sie noch einmal zurücklegen.
Ich bin nicht schwindelfrei und habe große Angst.
„Du schaffst das, ich weiß es und bin immer in deiner Nähe“, redet sie beruhigend auf mich ein und wandert los. „Siehst du, alles kein Problem, bleib einfach dicht hinter mir.“
Wir wandern einen breiten Weg entlang auf eine Schlucht zu. Weiter vorne macht er einen Bogen und nähert sich einer steilen Felswand.
Konzentriert versuche ich, mit Natalie Schritt zu halten, die zügig weitergeht, ohne auf mich zu warten.
Der Weg wird schmäler und schmiegt sich an die hoch aufragenden Felsen.
Ich werde langsamer. Meine Freundin bleibt stehen und dreht sich zu mir um.
„Schau.“ Mit ihrer linken Hand hält sie sich an dem angebrachten Stahlseil fest und marschiert unbeeindruckt weiter. Ich nehme allen Mut zusammen, drehe mich zur Wand, packe mit beiden Händen das kalte Metall und folge ihr Schritt für Schritt, mit dem Rücken zur immer tiefer werdenden Schlucht.
„Gut so!“, ermuntert Natalie mich.
Plötzlich höre ich entfernte Stimmen. Ein Paar kommt uns entgegen. Ein Liebespaar, eng umschlungen, turtelnd, kaum auf den Weg achtend. Natalie lässt die beiden passieren, die sie nicht zu bemerken scheinen. Ich drehe mich um, presse meinen Rücken gegen die Wand und bewege mich nicht. Der Mann will seine Begleiterin küssen. Dabei beugt sich die Frau nach hinten und hängt mit dem Oberkörper über dem Abgrund. Mir stockt der Atem, ich bringe kein Wort heraus.
Erkennen die zwei denn nicht, in welcher Gefahr sie schweben? Zum Glück zieht er sie wieder zu sich und drückt ihr einen Kuss auf die Wange.
„Schön festhalten!“, kichert die junge Frau in meine Richtung, während sie an mir vorbei schlendern. Ich schließe die Augen, um eine Panikattacke zu unterdrücken.
Das Paar entfernt sich, ohne sich noch einmal umzudrehen. Kurze Zeit später sind sie außer Sichtweite.
Ich atme tief ein und aus, ein und aus, ein und aus, wie Natalie es mir heute Morgen nach dem Frühstück gezeigt hat.
Sie nickt mir ermutigend zu. Ich überwinde die Angst und folge ihr weiter.
Endlich wird der Weg breiter, die Schlucht bleibt hinter uns.
„Gratuliere, die Hälfte hast du geschafft. Ich bin stolz auf dich.“
Meine Euphorie hält sich in Grenzen, denn der schlimmste Teil liegt noch vor mir.
Der tosende Gebirgsbach ist bereits von Weitem zu hören. Eine schmale Holzhängebrücke führt den Weg fort auf die andere Seite.
Neben Natalie bleibe ich stehen und sehe das Wasser fünfzehn Meter unter uns ins Tal rauschen. Unmöglich, das schaffe ich nicht, niemals!
Sie scheint meine Gedanken zu lesen. „Du weißt, was passiert, wenn du hier umkehrst?“
Mit ausladenden Schritten überquert sie die freihängende Konstruktion und dreht sich zu mir um.
„Nur noch ein paar Meter, dann hast du es geschafft. Sieh einfach nicht nach unten.“
Mein Herz pocht wie verrückt, ein Kloß schnürt mir den Hals zu.
Ich lasse Natalie nicht aus den Augen, greife die Sicherungsseile auf beiden Seiten und betrete den Holzsteg, auf dem ich mich zentimeterweise voran taste.
Ich fasse die Seile so fest, dass die Fingerknöchel weiß hervortreten. Eine Faust löst sich, schnellt ein kurzes Stück vor und packt wieder zu … dann die andere Hand. Nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich die Mitte erreicht.
Das Rauschen des wilden Wassers frisst sich in meine Gehörgänge bis ins Gehirn, alles dreht sich.
Genau hier wäre ich als Kind beinahe abgestürzt, wenn mich mein Vater nicht gepackt und hinüber getragen hätte. Die Erinnerung daran jagt mir einen kalten Schauer über den Rücken.
Etwas bringt mich aus dem Gleichgewicht, ein Windstoß vielleicht, ich falle auf die Knie.
Während ich mich mit einer Hand weiterhin krampfhaft festhalte, strecke ich die andere Natalie entgegen. „Bitte hilf mir, ich kann nicht mehr!“
„Du musst alleine weitergehen, sonst erreichst du niemals dein Ziel. Komm zu mir.“
Tränen kullern über meine Wangen. Mit letzter Kraft stehe ich auf, lasse die Brücke hinter mir und sinke ins Gras.
Als ich wieder zu mir komme, ist Natalie bereits vorausgegangen.
Ich rapple mich mühsam auf und folge ihr.
5. August
Endlich habe ich meine Angst besiegt, das habe ich Natalie zu verdanken.
Sie ist meine beste Freundin, mein Schutzengel.
Morgen werde ich sie zum ersten Mal besuchen.
Morgen gehe ich zu ihr und besuche ihr Grab.
Vertippt
Inge konnte den seltsamen Ton im ersten Moment nicht einordnen. Als sie das leuchtende Display ihres Handys sah, wurde ihr bewusst, dass jemand eine SMS geschickt hatte. Sie setzte ihre Brille auf und las.
Ich liebe Dich!
Inge musste schmunzeln. Wer sollte ihr eine solche Liebesbekundung zukommen lassen? Die einzigen Menschen, die ihre Nummer kannten, waren ihre Freundinnen. Die riefen von Zeit zu Zeit bei ihr an, schickten aber keine Textnachrichten.
Da hatte sich bestimmt jemand vertippt.
Egal, dachte Inge, eine schöne Nachricht ist es auf jeden Fall.
Umständlich gab sie eine Antwort ein.
Danke, einen so reizenden Satz habe ich lange nicht mehr gelesen.
Kurz darauf meldete sich das Gerät erneut.
Entschuldigen Sie bitte das Versehen, las sie.
Das macht doch nichts, antwortete sie, es gibt schlimmere Irrtümer.
Genau genommen war es sogar ein doppeltes Missgeschick, kam prompt zurück.
Inge rückte ihre Brille zurecht und legte die Stirn in Falten. Immer wieder näherte sich ihr Zeigefinger der Tastatur ihres Handys, ohne zu tippen.
Das verstehe ich nicht, schrieb sie schließlich.
Ich habe den verkehrten Text und die falsche Telefonnummer eingegeben, las sie danach auf ihrem Display.
Inge schüttelte den Kopf. Kurz entschlossen rief sie die unbekannte Nummer an. Eine Männerstimme meldete sich. „Oh, ich habe mit einer Frau gerechnet“, sagte sie, „ich bin sozusagen das andere Ende ihrer Leitung.“
Der Mann lachte. „Erstaunlich, was eine falsche Eingabe alles bewirkt. Ich wollte einem Kollegen eine Terminabsage zukommen lassen, dabei schickte ich Ihnen eine Liebeserklärung.“
Seine Stimme klang tief. Inge lauschte ihr nach, dann schmunzelte sie erneut.
„Na ja, zwischen einem Liebesgeständnis und einer Terminabsage ist ja kein großer Unterschied.“
Wieder lachte ihr Gesprächspartner.
„Die moderne Technik! In meinem Handy sind häufig benutzte Sätze gespeichert, wie Bitte um Rückruf, Ich komme später, Mitteilung über Terminverschiebungen, aber eben auch Ich liebe Dich. Nicht gerade originell, das muss ich zugeben. Ich habe mich um eine Zeile vertippt und noch dazu einen Fehler bei der Nummer gemacht. Nicht gerade männlich, nicht wahr.“
„Ich bitte Sie“, widersprach Inge, „das hat doch nichts mit männlich oder nicht männlich zu tun. Auf jeden Fall war es bezaubernd zu lesen.“
Für einen kurzen Moment war es still im Hörer.
„Ich muss zugeben, dass mich das seltsam berührt, was Sie sagen. Natürlich ist es ein besonderer Satz … vielleicht der schönste überhaupt … falls er stimmt.“
„Wenn Sie ihn so häufig benutzt haben … war er denn nie ernst gemeint?“, hakte Inge nach.
„Eigentlich schon … zumindest am Anfang … aber später …“
„Das hört sich nicht gut an!“
„Ich bin frisch geschieden. Sie hat die Kinder mitgenommen und ich sitze jetzt hier alleine.“
„Oh, das tut mir leid.“ Inge machte eine entschuldigende Geste, ohne sich bewusst zu sein, dass ihr Gesprächspartner dies nicht sehen konnte. „Ich wollte nicht indiskret sein.“