Küsse, Flirt & Torschusspanik - Irene Zimmermann - E-Book

Küsse, Flirt & Torschusspanik E-Book

Irene Zimmermann

0,0
2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Tag und Nacht denkt Sandra an nichts anderes als an Tiffo. Dabei hat sie ihn nur einmal ganz kurz gesehen. Aber es war Liebe auf den ersten Blick, eindeutig. Tiffo ist Fußballtrainer der Jugendmannschaft. Und in diese Mannschaft muss Sandra unbedingt reinkommen! Gar nicht so einfach, wenn man eigentlich eine Niete ist in Sport. Bei jeder Gelegenheit geht Sandra nun joggen, fährt Fahrrad bis kurz vorm Koma und büffelt Abseitsregeln, was das Zeug hält. Bis endlich die erste Trainingsstunde gekommen ist ... Ein Muss für alle Fußball-Fans!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



– 1 –

Sandra?«

Am liebsten hätte ich mich schlafend gestellt, aber das hätte wahrscheinlich nichts genutzt. Manchmal konnte meine Mutter nämlich ziemlich hartnäckig sein.

»Sandra!«, rief sie nochmals, aber nun noch etwas lauter, und dann hörte ich auch schon ihre hochhackigen Schuhe auf der Treppe.

Sekunden später riss sie meine Zimmertür auf. »Sag mal, was soll das? Es ist halb zehn und du liegst immer noch im Bett! Und warum lässt du die Rollos nicht hoch?« Sie schüttelte den Kopf. »Also, ich muss jetzt in die Redaktion. Vielleicht kannst du dich im Haus mal ein bisschen nützlich machen. Kisten ausräumen und so. Schließlich sind ja Ferien. Tschüss, ich muss los.«

Ich nickte bloß. Genau so hatte ich mir meine Sommerferien immer gewünscht: in einem wahnsinnig modernen Haus, in dem alles vollautomatisch gehen sollte, aber nichts funktionierte, in einer fremden Stadt, in der ich keine Menschenseele kannte. Und dann sollte ich auch noch Umzugskisten ausräumen, bloß weil Mama und Papa beruflich so engagiert waren, dass sie für solche Dinge keine Zeit hatten.

Am liebsten hätte ich mich umgedreht und weitergeschlafen, aber dann beschloss ich, nach meinem Bruder zu sehen. Vielleicht konnte man ihn überreden, zum Bäcker zu gehen. Irgendwo in Friedingen musste es ja eine Bäckerei geben!

Aber von Albert keine Spur. Aus irgendwelchen mir absolut schleierhaften Gründen schien er früh aufgestanden zu sein. Unschlüssig tappte ich durchs Haus in Richtung Küche. Ich musste überall Licht anmachen, denn die Chipkarte, mit der sich die Rollos angeblich öffnen ließen, hatte ich leider gleich am Tag unseres Einzugs verschlampt und Mama hatte natürlich vergessen, ihre Karte dazulassen. Tolle Perspektive, dachte ich, als ich in der Küche stand und versuchte, mir aus dem, was ich im Schrank gefunden hatte, ein Frühstück zu machen.

Ich fröstelte und das lag nicht nur daran, dass ich barfuß auf den Fliesen stand. Ein Blick auf den Monitor, der alle wichtigen Vorgänge in und vor dem Haus anzeigte, machte mir klar, dass es draußen zwar bereits sechsundzwanzig Grad hatte, im Haus selbst aber nur dreizehn Grad. Die Klimaanlage schien wieder zu spinnen. Dabei hatte Papa am Abend vorher behauptet, die Sache voll im Griff zu haben. Von wegen angenehme zwanzig Grad!

Ich zog mir zwei Winterpullis und dicke Socken an, schmierte Honig auf mein Knäckebrot und überlegte, wie ich den Tag verbringen könnte. In dieser komischen Grabkammer jedenfalls nicht!

»So ein Hightechhaus erfordert Mitdenken«, hatte Albert ganz stolz erklärt. »Du musst dich eben dran gewöhnen, dass du nicht mehr in irgendeinem 08/15-Bau lebst. Du bist jetzt Trendsetter. Wenn du verstehst, was ich meine.« Er hatte dabei ziemlich blöd gegrinst. »Das ist nämlich hier das Haus der Zukunft!«

Ich hatte bloß mit den Schultern gezuckt.

Ich hatte Sehnsucht nach Ludwigsstadt, nach meinem gemütlichen Zimmer direkt unter dem Dach, nach der Nachbarskatze, die mich oft besucht hatte, nach Anne, meiner besten Freundin, nach meiner Klasse, ja sogar nach meinen alten Lehrern. Stattdessen musste ich in Friedingen in einem wahnsinnig modernen Haus mit allen erdenklichen technischen Schikanen leben, bloß weil mein Vater hier Karriere als Stararchitekt zu machen gedachte.

Nach dem dritten Knäckebrot beschloss ich, Anne anzurufen. Eigentlich hatte sie ja versprochen, sich bei mir zu melden – was sie bisher nicht getan hatte –, aber das war jetzt auch egal. Ich brauchte dringend jemanden, dem ich was vorjammern konnte.

Verschlafen und mit ziemlich schlechtem Gewissen meldete sich Anne nach dem dreizehnten Klingeln. »Entschuldige«, gähnte sie. »Ich wollte dich die ganzen Tage schon anrufen, aber weißt du, es ist so wahnsinnig viel passiert.« Sie gähnte nochmals. »Ich hab die halbe Nacht nicht geschlafen, weil … Sag mal, hast du meinen Brief nicht gekriegt?«

»Brief? Nein, ich hab keinen Brief von dir gekriegt.« Dann musste ich lachen. »Sag mal, hast du vielleicht einen rosa Briefumschlag verwendet?«

»Dann hast du den Brief doch gekriegt. Ich habe nämlich –«

»Anne, du kannst dir nicht vorstellen, was für ein verrücktes Haus das hier ist! Der Brief liegt seit gestern im Briefkasten, man sieht ihn von außen, aber wir kommen nicht dran, weil wir den Zugangscode nicht wissen. Irgend so ’ne siebenstellige Nummer. Und mein Vater hat einen Techniker bestellt, weil er glaubt, dass der Brief aus den USA kommt und ihm darin vielleicht ein neuer toller Job angeboten wird.«

»Quatsch«, sagte Anne bloß. »Aber der Brief ist schon wichtig. Da steht nämlich alles über mich und …« – sie machte eine kurze Pause – »also, über mich und Jonas drin.«

»Jonas?«

»Jonas!« Ihre Stimme klang verschwörerisch. »Kannst du dich an Jonas aus der Bio-AG erinnern? Du weißt doch, er hatte letztes Jahr die Rastalocken.«

»Klar«, sagte ich. »Ich werde Jonas bestimmt nie vergessen. Der war schließlich schuld daran, dass wir unser Referat nicht fertiggekriegt haben. Wenn er nicht die ganzen Unterlagen verschlampt hätte, wäre das ein tolles Referat geworden und ich hätte in Bio garantiert eine bessere Note –«

»Das Referat war bescheuert«, fiel mir Anne ins Wort. »Wir können froh sein, dass Jonas seinen Ordner im Bus vergessen hat. Mit dem Mist, den wir da zusammengeschrieben haben, hätten wir uns vor der ganzen Klasse grauenhaft blamiert. Aber das ist ja auch alles egal. Jedenfalls«, sie zögerte kurz, »Jonas und ich sind jetzt zusammen.«

»Aber du warst doch in Torsten verliebt!«

»Torsten hat nur Stress gemacht. Er hat sich nicht wirklich für mich interessiert. Ich hab ihn mal gefragt, ob er sich daran erinnert, was ich am Tag zuvor anhatte, und – stell dir vor – er hatte nicht die geringste Ahnung.«

»Ja«, sagte ich. Es klang ziemlich lahm.

»Jedenfalls ist das mit Jonas völlig anders. Er war hin und weg, als ich mir das giftgrüne Shirt gekauft habe. Weißt du, das mit dem Spitzenbesatz. Also, er findet mich einfach super darin. Und vielleicht kann ich mir demnächst noch die Hose dazu kaufen. Aber dann fehlen mir natürlich noch die passenden Schuhe. Und …«

Ich klemmte den Hörer zwischen Ohr und Schulter, schmierte Apfelmus auf ein Knäckebrot und klapperte ein bisschen mit den Zähnen. Mir war so entsetzlich kalt! Vielleicht half es ja, wenn man einfach auf dem Monitor rumdrückte, um die Klimaanlage auszustellen. Versuchsweise tippte ich auf irgendwelchen Hieroglyphen rum, die man mit einem bisschen guten Willen als Symbole für die Klimaanlage betrachten konnte.

Anne klang beleidigt. »Nerv ich dich irgendwie? Findest du das mit Jonas denn nicht auch wahnsinnig? Ich meine, Jonas ist ein irre toller Typ, ganz anders als die aus unserer Klasse. Er ist viel reifer und … na ja, er hat mir erzählt, dass er mich schon immer toll gefunden hat und dass ich sowieso die Einzige in der ganzen Schule bin, mit der man vernünftig reden kann. Die anderen seien eigentlich total oberflächlich und hohl.«

Ich nickte. Mir hatte er vor einem halben Jahr auch erzählt, dass ich die Einzige sei und so weiter. Jonas schien nur ein begrenztes Repertoire an Komplimenten zu haben, aber ich sagte lieber nichts. Meine Freundin schwebte auf Wolke sieben und würde da bestimmt nicht runterkommen. Ich drückte nochmals auf dem Monitor rum.

»Sag mal, was ist denn das plötzlich für ein Höllenlärm?«, brüllte Anne ins Telefon. »Bist du noch dran? Sandra?«

»Ja«, brüllte ich zurück. »Anne, das ist hier ein total verrücktes Haus. Ich wollte die Klimaanlage runterdrehen, aber jetzt hab ich versehentlich den CD-Player angestellt und muss erst mal rausfinden, wie ich das Ding wieder auskriege.«

»Oder vielleicht könntest du ja auch ’ne andere CD einlegen. Ist das Wagner oder so?«

»Beethoven. Steht jedenfalls auf dem Monitor. Warte mal, ich hab’s gleich.«

Wie wild drückte ich auf der Bedienungsleiste herum, aber die Musik wurde nicht leiser. Stattdessen schien ich den Fernseher angestellt zu haben. Aber dann erkannte ich, dass das Schneegrieselbild von der Überwachungskamera an der Eingangstür kam. Jemand stand dort und schien zu klingeln. Albert?

Das Bild wurde wie von Zauberhand schärfer. Ich sah, dass der Himmel strahlend blau war, erkannte ganz deutlich die Sommerblumenwiese auf dem Nachbargrundstück und dann schob sich ein dunkler Lockenkopf ins Bild. Der Junge musste etwas älter sein als ich und schien etwas zu sagen … Ich schluckte.

»Was ist los mit dir? Alles okay?«, hörte ich Anne rufen.

»Ja, warte, ich ruf dich gleich wieder an«, sagte ich und legte auf.

Das Bild auf dem Monitor verschwamm und verwandelte sich wieder in graue und weiße Punkte, die wild durcheinandertanzten. Ich rannte zur Tür und wollte sie aufreißen, aber dann fiel mir ein, dass sie nur mit einem speziellen Code geöffnet werden konnte. Verflixt, warum mussten meine Eltern auch eine solche Angst vor Einbrechern haben!

Aber es war sowieso schon zu spät. Durch den Türspion sah ich, dass niemand mehr draußen war. Ich lehnte mich gegen die Tür. Der Junge hatte so süß ausgesehen und ich hätte gerne mit ihm geredet. Vielleicht wohnte er in der Nähe und würde mir die Stadt zeigen? Wir würden uns ineinander verlieben und ich hätte endlich auch einen richtigen Freund! Beethovens neunte Sinfonie dröhnte im Hintergrund. Vielleicht hatte ich mir alles auch nur eingebildet. Es war so unwirklich gewesen, fast wie ein Traum.

Endlich fiel mir der Code wieder ein und ich gab ihn in das Kästchen neben der Tür ein. Wie von Geisterhand öffnete sich die Haustür. Gleichzeitig verstummte die laute Musik.

Nein, ich hatte nicht geträumt. Irgendjemand war vor der Tür gewesen. Neugierig hob ich ein dünnes Heft vom Boden auf. FFF, stand in Druckbuchstaben auf dem Titelblatt und klein darunter: Fußballfreunde Friedingen. Ich blätterte die Zeitschrift durch – lauter Fotos von Fußballmannschaften und ähnlich spannende Dinge –, bis mir ein gelber Zettel entgegenfiel. Wir suchen dringend Nachwuchs für unsere Jugendmannschaft, las ich. Ruf uns an, wenn du sportlich interessiert bist und eine tolle Gruppe suchst.

Ich zog meine dicken Winterpullover aus, setzte mich auf die oberste Treppenstufe und dachte nach. Klar, der Junge war vom Fußballverein gekommen, wahrscheinlich hatte er erfahren, dass wir neu eingezogen waren, und wollte Albert als Mitglied für seinen Verein werben. Vielleicht würde sich Albert mit ihm anfreunden, dann würde er mich kennenlernen und mich nett finden und …

Leider gab es bei der ganzen Sache ein kleines, aber nicht unwesentliches Problem. Albert hasst Sport, vor allem Fußball. Aber ich wollte unbedingt diesen Jungen kennenlernen und dafür war ich bereit, einiges zu tun.

Als Erstes musste ich nochmals Anne anrufen.

»Du, Sandra, sei mir nicht böse, aber ich kann nicht lange reden«, sagte sie. »Jonas holt mich in einer Viertelstunde ab und ich weiß noch nicht genau, was ich anziehen soll. Es wäre alles viel einfacher, wenn du hier wärst.«

»Komm du doch«, sagte ich schnell. »Anne, wir haben doch ausgemacht, dass du mich besuchen kommst.«

Sie zögerte. »Ja, hab ich versprochen. Klar, ich will ja auch kommen. Aber jetzt läuft die Sache mit Jonas und … Sandra, bist du mir sehr böse, wenn wir es einfach verschieben? Ich komm auf alle Fälle noch in den Ferien, ganz bestimmt. Und ich bring dir auch mein blaues Top mit, das ist mir sowieso zu klein und dir hat es doch gefallen, oder? Und –«

»Okay«, unterbrach ich ihren Redeschwall. Ich schluckte meine Enttäuschung hinunter. »Ich hab im Moment auch genug zu tun.«

»Klar, du musst bestimmt Umzugskisten auspacken. Tut mir echt leid für dich, vor allem, weil du ja niemanden in diesem komischen Friedingen kennst.«

Ich bemühte mich zu lachen. »Ich packe keine Umzugskartons aus«, behauptete ich. »Ich unternehme ziemlich viel. Mit … na ja.«

»Ey, sag bloß, du hast jemanden kennengelernt! Das wäre ja super!«

Na ja, kennengelernt hatten wir uns noch nicht, aber es war bestimmt kurz davor.

»Genau«, sagte ich bloß. »Du, wahrscheinlich kommt er gleich vorbei, ich muss mal Schluss machen.«

Dann legte ich auf. Anne brauchte nicht zu glauben, dass sie als Einzige einen Freund hatte.

Kaum hatte ich aufgelegt, da klingelte das Telefon. Es war Albert, mein vielbeschäftigter älterer Bruder, der sich erkundigte, ob etwas Essbares da sei oder ob er lieber in der Stadt essen gehen sollte.

»Es ist überhaupt nichts da. Der Kühlschrank ist immer noch nicht angeschlossen. Vielleicht kannst du ja mal so nett sein und dir was einfallen lassen. Zum Beispiel, wie man die blöde Klimaanlage ausstellt. Du musst dich doch damit auskennen. Schließlich bist du der Computerexperte hier. Ich musste zwei Winterpullis und dicke Socken anziehen. Und die Rollos kriege ich auch nicht hoch. Und außerdem vergehe ich vor Hunger«, klagte ich. Dann fiel mein Blick auf die Werbeanzeige auf der Rückseite des Fußballheftes. »Du, Albert, ich hab ’ne prima Idee: In der Bodestraße gibt es einen Pizzaservice. Kannst du da nicht was mitbringen? Ich hätte gern ’ne große Pizza Funghi oder besser gleich zwei.«

»Friedingen ist eigentlich gar nicht so übel«, meinte Albert beim Essen. »Man muss nur was unternehmen. Aber wenn du den ganzen Tag hier in diesem Tiefkühlhaus rumhockst und deinen Freundinnen nachtrauerst, wird das nichts, das kannst du mir glauben. Ich zum Beispiel –«

»Stimmt«, unterbrach ich ihn und stibitzte mir ein Eckchen Pizza von seinem Teller. »Genau daran hab ich auch gedacht. Es gibt hier zum Beispiel einen Fußballklub und die suchen dringend neue Spieler zwischen 15 und 17 Jahren. Das wäre genau das Richtige für dich.«

Albert starrte mich an. »Fußball? Bist du verrückt?«

»Ja«, sagte ich, »Fußball. Mensch, Albert, alle Jungs spielen Fußball, da kannst du doch auch mal …« Ich zog das sorgfältig zusammengefaltete Heft aus meiner Hosentasche. »Sieh mal hier! Die suchen Nachwuchs und du hast gerade eben gesagt, dass man was unternehmen muss.«

Alberts Handy klingelte. Er sprang auf und verschwand im oberen Stockwerk. Ich versuchte zu lauschen, aber er sprach entweder sehr leise oder das Haus war tatsächlich so gut isoliert, wie Papa immer behauptete.

Irgendwie musste ich meinen Bruder so weit kriegen, dass er in den Fußballverein ging. Dann würde ich irgendwann dort aufkreuzen und diesen Jungen kennenlernen, in den ich mich schon fast verliebt hatte. Nur fast? Ich hatte ja schon Herzklopfen, wenn ich nur an ihn dachte.

Pfeifend kam Albert die Treppe herunter. Er schien plötzlich allerbester Laune zu sein. Das musste ich ausnützen.

»Also, kann ich mal bei dem Verein anrufen und dich anmelden?«, fragte ich mit Unschuldsmiene.

»Verein?«

»Fußballverein. Wir haben doch gerade ausgemacht, dass du in den Fußballverein gehst, um Leute kennenzulernen. Das mit der Anmeldung erledige ich gern für dich.« Das war mir gerade so eingefallen. Ich würde einfach dort vorbeigehen, fragen, wie der Junge hieß, der das Heft gebracht hatte, und ihn dann anrufen.

Mein Bruder schüttelte den Kopf. »Ich hab dir vorhin schon gesagt, dass Fußball nichts für mich ist. Außerdem will ich in der neuen Schule einen Computerkurs machen.« Er grinste. »Bei Computern bin ich unschlagbar. Das weißt du doch. Und in der Schule ist es bestimmt auch um einiges wärmer als hier.« Er holte das Tablett und räumte den Tisch ab.

Ich stutzte. Was war denn plötzlich mit Albert los? Normalerweise drückt er sich, so gut es geht, vor Hausarbeit.

Mit einem Schwammtuch bearbeitete er die Tischplatte und fragte mich dabei ganz beiläufig, was Mädchen eigentlich von Jungs mit Haargel halten würden.

»Wie bitte?«, sagte ich.

Albert wurde so rot wie das Schwammtuch in seiner Hand. »Na ja, finden Mädchen das gut oder macht man sich als Junge da vielleicht lächerlich oder …«

»Oder was?« Am liebsten hätte ich laut gelacht. Albert, der sich sonst nur für Computer interessiert, redete von Haargel. Dahinter musste mehr stecken! »Das kommt ganz auf das Mädchen an«, sagte ich vorsichtig. »Wie heißt sie denn?«

Albert errötete noch mehr.

»Wie heißt sie? Was macht sie? Wie alt ist sie?« Ich konnte mir das Grinsen nicht mehr verkneifen.

»Du bist schlimmer als Mama!« Albert bekam langsam seine normale Gesichtsfarbe wieder. »Na ja, vielleicht kannst du mir ein paar Tipps geben, worauf Mädchen so stehen. Also, Carolin ist einfach toll, weißt du. Sie sieht unheimlich gut aus und ist wahnsinnig nett und …« Er verdrehte die Augen. »Sie ist meine Traumfrau, wenn du verstehst, was ich meine.«

»Klar«, sagte ich, »klar versteh ich, was du meinst.« Ich konnte mir bloß nicht vorstellen, dass so ein überirdisches Wesen sich in meinen Bruder verliebte. »Und wo liegt das Problem?«

Albert sah mich verständnislos an. »Na, in den Haaren. Ich meine natürlich im Haargel. Soll ich oder soll ich nicht?«

Albert mit Haargel! Ich lächelte milde. »Vielleicht solltest du besser zuerst was gegen unreine Haut tun. Ich will dir ja nicht reinreden, aber das wäre im Moment hundertprozentig sinnvoller.«

Mein Bruder sah mich entsetzt an. »Du meinst, die paar Pickelchen stören Carolin?«

Ich nickte erbarmungslos. »Genau! Die paar Pickelchen stören sie garantiert. Außerdem stört es sie sicher auch, dass du grauenhaft unsportlich bist. Weißt du«, ich beugte mich zu ihm vor und blickte ihn schwärmerisch an, »wir Mädchen finden sportliche Jungs einfach besser.«

Albert glotzte bloß.

»Vor allem Fußball finden wir echt toll«, setzte ich nach. »Aber du willst ja nicht! Schade! Sonst wäre ich mal bei dem Verein vorbeigegangen und hätte mich um alles gekümmert.«

Albert guckte unsicher. »Vielleicht hast du ja recht. Ich frag mal Carolin, was sie so von Fußball hält. Aber das größere Problem im Moment sind meine Pickel. Meinst du wirklich, die stören?«

»Deine Freundin wird natürlich kein Wort sagen«, behauptete ich. »Und vielleicht erzählt sie dir sogar, dass sie Fußball bescheuert findet, aber das darfst du nicht glauben. Ich hab da mehr Erfahrung. Ich bin ja schließlich ein Mädchen.«

Albert hörte mir aufmerksam zu und nickte.

Ich musste unbedingt am Ball bleiben. »Am besten melde ich dich im Verein an und du überraschst sie dann damit! Okay?« Ich strahlte meinen Bruder an.

Er versuchte zu lächeln. »Wenn du so weiterredest, glaube ich am Schluss selber, dass ich unbedingt Fußball spielen sollte. Aber jetzt sag doch mal, hast du nicht irgendwas gegen Pickel?«

Ich überlegte kurz. Albert war inzwischen zu allem bereit. Carolin schien ihn so zu interessieren, dass er – zumindest vorübergehend – sogar mir mal was glaubte. Ich seufzte. Ob ich den süßen Jungen je kennenlernen würde? Und würde er mich auch so toll finden wie Albert diese Carolin? Ich seufzte wieder. Es war alles so schwierig.

»Was schaust du so komisch? Du wolltest dir doch was gegen die Pickel überlegen.« Albert fingerte an seinem Kinn rum und schien im Geiste seine Pickel zu zählen. »Gibt’s da nicht so Pickelstifte? Du hast doch bestimmt irgendwas in der Art. Carolin wartet nämlich um halb vier vor der Schule auf mich und da will ich einigermaßen gut aussehen. Also, gib mir mal deinen Pickelstift. So kann ich wirklich nicht gehen.« Albert wurde immer hektischer.

Ich setzte mich neben meinen Bruder. »Weißt du, Albert, das ist nicht so einfach, wie du denkst. Ein Pickelstift braucht eine ganz bestimmte Temperatur, damit er überhaupt wirkt. Bei diesen Minusgraden hier«, ich klapperte kurz, aber effektvoll mit den Zähnen, »wirkt nicht mal der teuerste Pickelstift. Der braucht nämlich genau zwanzig Grad Celsius, damit er alle, aber auch wirklich alle Pickel überdeckt.«

Ich lehnte mich zurück. Sollte mein Bruder sich doch was einfallen lassen. Ich hatte jedenfalls die Nase voll davon, in einem Hightechhaus mit dreizehn Grad Innentemperatur zu frieren, bloß weil die Erziehungsberechtigten nicht in der Lage waren, für ein angenehmeres Klima zu sorgen.

Und es klappte! Mein Bruder rief Papa an, störte ihn in einer wichtigen Besprechung, quetschte aus ihm die Nummer des Maklers, der dieses grandiose Haus verkauft hatte, heraus, gab sich dort als Papa aus und schaffte es immerhin, Infos über die Klimaanlage zu bekommen.

Dann stürmte er in den Keller, aber vorher forderte er mich noch auf, schon mal alles bereitzulegen, damit ich seine Pickel übermalen könnte. Natürlich gelang es ihm nicht, die hochintelligente Klimaanlage zu überlisten. Die Temperatur blieb konstant bei dreizehn Grad und Albert musste sich schließlich mit einigen Pickeln am Kinn und auf der Stirn auf den Weg zu seiner Eroberung machen.

Ich öffnete die Eingangstür, schob eine Fußmatte davor, damit die Tür nicht versehentlich zufiel, und setzte mich auf die halbkreisförmig vor dem Haus angeordneten Stufen. Die Sonne brannte, wie es sich für eine Augustsonne gehörte, und im Nachbargarten blühten Lobelien und Löwenmäulchen und viele Blumen, deren Namen ich nicht kannte. Wenn unser Grundstück bis auf eine kleine Ecke, in der zwei Pflaumenbäume standen, nicht eine einzige braune Schuttwüste gewesen wäre, wäre es richtig schön gewesen.

Ich holte mir das Telefon, atmete tief durch und rief die Nummer des Fußballvereins an. Vor lauter Aufregung verwählte ich mich zweimal, und als ich beim dritten Mal endlich die richtige Nummer hatte, informierte mich ein krächzender Anrufbeantworter, dass der Fußballverein in seiner wohlverdienten Sommerpause sei, ab 15. September freue man sich über nette Anrufe.

Ich wollte schon frustriert wieder auflegen, da nahm jemand den Hörer ab und eine Stimme, total außer Atem, meldete sich. »Ja?«

»Hallo«, sagte ich, »ich wollte mal fragen … also, ich hab da so ein Heft bekommen … und da werden Leute gesucht für die Jugendmannschaft-«

»Ach so«, unterbrach mich der Junge am anderen Ende der Leitung. Er lachte. »Finde ich toll, dass du dich so schnell meldest. Wir haben dreihundert Hefte verteilt und bis jetzt haben sich erst sieben Leute gemeldet. Ich bin übrigens der Max und trainiere die Mädchenmannschaft.«

Die Mädchenmannschaft? Ich schluckte. Das würde ja bedeuten, dass …

»Ich interessiere mich wahnsinnig für Fußball«, behauptete ich schnell. »Ich wollte schon immer in einer Mannschaft spielen.«

»Da bist du bei uns genau richtig«, lachte er. »Wir suchen sportliche Mädchen, die auch mal bereit sind sich reinzuhängen.«

Oh Gott, dachte ich, aber da musste ich durch. Einen kurzen Moment lang erinnerte ich mich an Papas Fußballbegeisterung und an die Jungs aus meiner früheren Klasse, die völlig verschwitzt und fertig vom Fußballplatz ins Klassenzimmer gekommen waren. Aber die Stimme klang unheimlich nett. Vielleicht war er es sogar gewesen, den ich vor unserer Haustür gesehen hatte.

Ich räusperte mich und dann fragte ich ihn direkt: »Sag mal, hast du auch in der Gartenstraße Prospekte verteilt?«

»Ja«, sagte er, »aber –« Ein ohrenbetäubender Lärm unterbrach ihn. »Die Handwerker sind hier«, brüllte er ins Telefon. »Am besten kommst du mal vorbei. Ich bin noch ’ne Stunde da, okay?«

Ratlos stand ich vor den Umzugskartons in meinem Zimmer. Was sollte ich anziehen? Kleid fiel aus, das wirkte nicht sportlich genug. Andererseits hatte ich keine Lust, im Jogginganzug zu gehen.

Ich musste unbedingt Anne anrufen. Sie kannte sich mit solchen Dingen viel besser aus als ich. Wenn ich Glück hatte, war sie noch nicht mit Jonas weggegangen.

Sie meldete sich sofort. »Ich dachte, es sei Jonas«, sagte sie. »Ist was passiert? Du klingst so hektisch.«

»Allerdings ist was passiert«, sagte ich. »Du, Anne, ich hab den süßesten Jungen kennengelernt und treff mich in einer Stunde mit ihm.«

Anne lachte kurz. »Du hast doch vorhin gesagt … Ist das schon wieder ein anderer?«

»Nein, das ist ziemlich kompliziert. Ich erklär’s dir später. Ich brauche deinen Rat. Er spielt Fußball und wir treffen uns auf dem Fußballplatz. Ich hab so getan, als ob ich sportlich wäre.«

Anne sagte gar nichts. Ich hörte nur, wie sie laut die Luft einzog.

»Ich brauche jedenfalls irgendwas, was mich sportlich aussehen lässt«, fügte ich schnell hinzu.

»Du hast in Sport ’ne Gnadendrei gekriegt«, erinnerte sie mich. »Wenn du mit dem Typ um die Wette laufen willst, dann kriegst du den nie.«

»Ist mir schon klar, aber im Moment gibt es keine andere Möglichkeit, ihn kennenzulernen. Wenn er sich erst mal in mich verliebt hat, dann ist es ihm wahrscheinlich egal, ob ich Fußball bescheuert finde oder nicht. Was würdest du an meiner Stelle anziehen?«

»Kurze Hose, Joggingschuhe.« Sie lachte. »Das ist dann zwar Vortäuschung falscher Tatsachen, aber egal. Und vielleicht ein T-Shirt mit Olympia oder DeutscherFußballmeister drauf. Mein Bruder hat so was. Guck doch mal bei Albert im Schrank.« Sie zögerte kurz. »Oder vielleicht doch besser Jeans. Sonst sieht man gleich, dass du keine Fußballerwaden hast.«